Das Kapital des Geldes - Die Philosophie des Kapitals. Zur Soziologie des Geldes bei Karl Marx und Georg Simmel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Karl Marx – oder die Philosophie des Kapitals
2.1 Das bewusste Sein
2.2 Die abstrakte Vergesellschaftung durch Arbeit im Kapitalismus
2.3 Geld – oder das Kommunikationsmedium der Waren
2.4 Mehrwert, Zins und das Kapital
2.5 Die Entfremdung
2.6 Fazit
2.7 Der Fetischcharakter der Moderne

3. Georg Simmel – oder das Kapital des Geldes
3.1 Warum eine „Philosophie“ des Geldes?
3.2 Der wertend-rationale Mensch
3.3 Das Geld als Tauschmittel und Symbol
3.4 Das Geld in den Zweckreihen
3.5 Individualisierung ohne Sinn?
3.6 Der Angriff auf die Würde des Menschen
3.7 Das Geld und das Weltbild
3.8 Geld und Liebe

4. Schlusswort

5. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Jeder Soziologiestudent wird in seinen ersten Semestern mit den grundlegenden Begriffen seines Faches vertraut gemacht. Die heutige moderne (oder postmoderene?) Gesellschaft kann auf eine lange Entwicklung zurückblicken. Stichworte wie Individualisierung, Differenzierung, Kultivierung, Rationalisierung, Geburtensteigerung, Wohlstandssteigerung, Ausdifferenzierung von Subsytemen mit spezifischen Eigenlogiken, Verschiebungen zwischen dem primären, sekundären und tertiären Sektor hin zur Informationsgesellschaft, ect. benennen Entwicklungsprozesse, die zur heutigen Gesellschaftsform geführt haben bzw. diese weiterhin verändern. Obwohl all diese Prozesse eng mit der Durchsetzung der kapitalistischen Geldwirtschaft verbunden sind, fand das Thema Geld in der Soziologie nur wenig systematische Beachtung[1]. Diese Arbeit soll hingegen zeigen, welches verborgene Potenzial eine soziologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Geld birgt. Im Zentrum stehen dabei die Ausführungen von Karl Marx und Georg Simmel. Hierbei handelt es sich bekanntlich um zwei „Klassiker“ der Soziologie, deren Einsichten allerdings schon über hundert Jahre zurück liegen. Warum also so weit zurückgehen?

Für ein Verständnis der heutigen komplexen Verhältnisse der Geldwirtschaft läge es näher, auf zeitnähere Theorien zurückzugreifen, wie etwa die systemtheoretischen Ansätze von Talcot Parsons, Jürgen Habermas oder Niklas Luhmann. Wie Christoph Deutschmann zeigt, bieten die Klassiker jedoch einige Vorteile. Zur Zeit von Marx und Simmel war die Soziologie erst noch auf dem Weg, sich als eigenständige Disziplin zu etablieren. Soziologie und Ökonomie waren noch nicht getrennt, was sich auch daran zeigt, dass Karl Marx seinem Hauptwerk Das Kapital den Untertitel Kritik der politischen Ökonomie gab. Politische Ökonomie bedeutete damals noch, dass die Wirtschaft in ihren gesellschaftlichen und politischen Bezügen untersucht wird (Deutschmann 1999, S.37). Die Profilierung der Soziologie als Wissenschaft erfolgte dann in klarer Abgrenzung von der Ökonomie (ebd. S.35), was weitreichende Folgen für die Behandlung des Themas Geld hatte, denn dieses fiel nun primär in den Kompetenzbereich der Ökonomie (ebd. S.39). Analog zum ökonomischen Verständnis von Geld als Tausch- bzw. Wertaufbewahrungsmittel behandeln die systemtheoretischen Ansätze[2] von Parsons, Habermas und Luhmann Geld als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium. Als solches stellt es eine Spezialsprache dar, auf deren Grundlage sich das Subsystem der Wirtschaft aus der Gesellschaft ausdifferenziert und eine spezifische Eigenlogik ausbildet (Deutschmann 1999, S.74). Diese Verkürzung des Geldes als Tauschmittel bzw. symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium ist wohl dem erkenntnisleitenden Interesse der Autoren geschuldet. Zugleich aber fallen hier wesentliche Aspekte des Geldes unter den Tisch, denn Geld beschränkt sich nicht auf das Subsystem Wirtschaft. Es ist vielmehr auf allen Ebenen der Gesellschaft präsent und funktioniert dort (ebd. S.75). Oder kurz: Geld ist nicht automatisch gleich Geld – also einfach Tauschmittel.

Karl Marx und Georg Simmel beleuchten die Tatsache deutlicher, dass der etwas überspitzte Dualismus – die Ökonomie funktioniert nach den Regeln des Geldes, die Gesellschaft nach den Regeln von Norm, Rolle, Kultur ect.- die Komplexität verkürzt. Vielmehr bestehen, um mit Simmel zu sprechen, zwischen beiden unzählige Wechselwirkungen. Die Frage ist also: Welche Rolle spielt Geld für das Verhältnis von Gesellschaft und Wirtschaft? Wie beeinflusst es die Beziehungen von Menschen untereinander? Welchen Einfluss hat es auf das Individuum? Welche Rolle spielt es für die Entwicklung der Gesellschaft überhaupt? Und letztlich: Wenn es für so viel Wirbel sorgen kann, was ist es dann eigentlich?

Hierzu sollen die Theorien von Karl Marx und Georg Simmel dargestellt werden, sowie gewisse Verbindungen zwischen beiden Theoretikern. Zugleich soll an Hand von zwei Beispielen gezeigt werden, dass sich diese über hundert Jahre alten Ansätze durchaus anschlussfähig für neuere Theorien erweisen. Abschließend wird zusammengefasst, welches soziologische Verständnis von Geld sich aus der Beschäftigung mit diesen beiden „Klassikern“ ergibt.

2. Karl Marx - oder die Philosophie des Kapitals

2.1 Das bewusste Sein

Bei Theoretikern wie Karl Marx und Georg Simmel, die einen stark philosophischen Hintergrund haben, handelt man sich zwangsläufig eine spezifische Metaphysik[3] ein. Bei Marx ist dies nun die bewusste Abgrenzung von der idealistischen Philosophie Hegels. Dies hat weitreichende Konsequenzen. Der Mensch verfügt nicht über einen von der realen Welt unabhängigen Geist, wohl aber hat er Bewusstsein, was ihn vom Tier unterscheidet. Bewusstsein kann nach Marx aber „nie etwas Anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß“ (Marx/Engels 1960, S. 22). Für das reale Sein des Menschen stellt Marx nun 2 Axiome auf. (a) Da der Mensch nicht wie das Tier ein instinktives, unmittelbares Verhältnis zur Natur hat, muss er seine Lebensmittel produzieren, d.h. arbeiten. Arbeit ist aber ein bewusster, vorstellungsgeleiteter und vom rein physisch-instinktiven Drang freier Akt, bei dem der Mensch die Natur formt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Somit schafft der Mensch sich zum einen seine Natur selbst, zum anderen aber erkennt er sich selbst als Gattungswesen Mensch, da seine Arbeitskraft in den Produkten seiner Arbeit vergegenständlicht ist (MEW Ergb.1, S.516f.). (b) Der Mensch arbeitet aber nie allein, sondern immer schon in Gemeinschaft mit anderen. Menschen arbeiten also immer schon füreinander.

Der Mensch ist somit im Arbeitsprozess schon immer von sozialen Beziehungen und den materiellen Umständen (Beschaffenheit der Natur) abhängig – ohne, dass er diese Abhängigkeit irgendwie beeinflussen könnte (Marx/Engels 1960, S.22). Damit produziert er in der Arbeit nicht nur sein materielles Leben, sondern auch die sozialen Strukturen. Dass Bewusstsein und vorstellungsgeleitete Arbeit[4] ohne Sprache nicht möglich sind, Sprache aber immer schon gesellschaftliches Produkt ist, beweist noch einmal, dass das menschliche Sein schon immer gesellschaftlich vermittelt ist (ebd. S.27).

Mit der Arbeit füreinander ergibt sich auch die Arbeitsteilung[5]. Diese hat nach Marx aber zwei Folgen: Zum einen setzt damit eine ungleiche Verteilung der qualitativen und quantitativen Arbeit, sowie der Arbeitsprodukte ein. Zum anderen ergeben sich durch die entstandenen unterschiedlichen Stellungen im Produktionsprozess einander entgegengesetzte Interessen (vgl. Marx/Engels 1960, S.29f.).

Da nun für Marx der menschliche Geist oder Intellekt kein unabhängiges Dasein neben dem realen Sein führt, kann Bewusstsein - im Sinne von Bewusstem Sein - nichts anderes als die subjektive Deutung bzw. Vorstellung von der Wirklichkeit sein. Und da diese Deutung notgedrungen gesellschaftlich vermittelt und mit unterschiedlichen Machtpositionen und Interessen durchsetzt ist, gibt es wohl kein objektiv wahres Bewusstsein. Vielmehr wird sich immer die Deutung bzw. Ideologie[6] der „herrschenden Klasse“ durchsetzen. Diese wiederum wird immer versucht sein, ihre Gedanken als allgemein gültige darzustellen, was auf nichts anderes herausläuft, als dass sie mehr oder weniger bewusst ihre Machtposition bzw. Herrschaft erhalten wollen (ebd. S.46ff.).

Die Vorstellungen, welche die Menschen von sich selbst, den sie umgebenden Gegenständen und der Gesellschaft, in der sie leben, haben, lassen sich also nur aus den realen Verhältnissen erklären. Wenn Marx nun in seinem Hauptwerk Das Kapital die herrschenden (hier im Sinne von geltenden) ökonomischen Theorien als Ideologie entlarven will, muss er die realen Verhältnisse analysieren. Hier deutet sich allerdings eine Schwachstelle an. Er selbst kann sich von seiner Theorie nicht ausnehmen. Auch er ist notwendig von seiner gesellschaftlichen Stellung und den daraus resultierenden Interessen befangen und kann damit keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit stellen. Michael Berger betont, dass Marx seine radikalen Thesen aus Die Deutsche Ideologie in seiner Analyse des Kapitals abschwächt (Berger 2003, S.14). Der Begriff der Ideologie wird wohl durch den des Fetisch ersetzt. Somit kann Marx als Philosoph das wahre Verhältnis der Dinge erkennen. Zugleich können diejenigen entlarvt werden, die dem besagten Fetisch anhängen.

2.2. Die abstrakte Vergesellschaftung durch Arbeit im Kapitalismus

Karl Marx untersucht nun das reale Sein der Menschen im kapitalistischen Produktionsprozess. Der Mensch verändert durch seine Arbeit die Formen der Natur in einer für ihn nützlichen Weise. Das Produkt seiner Arbeit hat damit Gebrauchswert, d.h. es befriedigt menschliche Bedürfnisse. Zugleich ist in dem Arbeitsprodukt menschliche Arbeit verausgabt[7] bzw. vergegenständlicht, wobei die verausgabte Arbeit sowohl eine bestimmte Qualität, als auch eine bestimmte Quantität besitzt (MEW 23, S.85). Das Arbeitsprodukt ist somit ein Gebrauchsgegenstand, dessen sinnliche und natürliche Eigenschaften - also menschlich geformte[8] Natur und vergegenständlichte Arbeit – den Gebrauchswert tragen.

Menschen arbeiten aber immer schon füreinander. Unter den Bedingungen einer kapitalistischen Produktionsweise[9] bzw. Gesellschaftsform produzieren die Menschen Gebrauchsgegenstände nicht nur für den Gebrauch, sondern auch um sie gegen andere Gebrauchsgegenstände einzutauschen. Die Menschen produzieren also Waren (ebd. S.87). Das konkrete, sinnliche Ding hat plötzlich neben seinem Gebrauchswert einen Tauschwert, der angibt, in welcher quantitativen Relation die Ware gegen andere Waren eintauschbar ist.

Entscheidend ist nun Folgendes: Indem die Menschen füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit eine „gesellschaftliche Form“ (ebd. S.86). Im Austausch abstrahieren die Menschen von den qualitativen Unterschieden ihrer konkreten Privatarbeiten, sowie deren Vergegenständlichung in den Arbeitsprodukten. Genauso wie die konkrete Arbeit als vergesellschaftete bzw. abstrakte Arbeit eine gesellschaftliche Form erhält, erhält die konkrete Verkörperung im Arbeitsprodukt als Gebrauchswert eine vom sinnlichen Ding unabhängige, gesellschaftliche Form als Tauschwert (ebd. S.87f.). Daher interpretiert Michael Berger den Tauschwert bzw. die abstrakte Arbeit auch als „soziale Struktur“ der prinzipiellen Austauschbarkeit, die auf allen Ebenen der Gesellschaft wiederkehrt (Berger 2003, S.206ff.). Diese soziale Struktur wird, wie oben gezeigt, im Produktions- und Tauschprozess der Menschen stetig reproduziert[10].

Da die Arbeitsprodukte vergegenständlichte Arbeit sind, ist ihr Verhältnis untereinander eigentlich das Verhältnis der Arbeiten untereinander, welche jedoch gesellschaftlich formiert sind. Da alle vergesellschafteten Einzelarbeiten gegeneinander austauschbar sind, haben sie eine (von ihrer realen Unterschiedlichkeit unabhängige) gesellschaftlich gleiche Qualität[11]. Nach Marx lässt sich der Wert einer Ware quantitativ bestimmen durch die zeitlich[12] bestimmte Menge Arbeit, die in dem Arbeitsprodukt vergegenständlicht ist. (MEW 23, S.89). Relativ ergibt sich der Wert einer Ware hingegen durch das Verhältnis der Einzelarbeit zur Gesamtarbeit einer Gesellschaft (ebd. S.90). Inwiefern die hier dargestellte sog. substanzialistische Werttheorie von Marx heute noch gültig ist, ist hier weniger von Belang. Viel wichtiger ist, dass das Verhältnis der Arbeitsprodukte bzw. Waren in einer Gesellschaft eigentlich das Verhältnis der Menschen bzw. deren Arbeiten zueinander ist.

Da aber nun die Menschen erst im Austausch ihrer Arbeitsprodukte zueinander in Kontakt treten, erkennen sie diesen Zusammenhang nicht (ebd. S.87). Ihr eigenes Produkt wird zur „gesellschaftlichen Hieroglyphe (ebd. S.88), oder:

„Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dieses Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge“. (MEW 23, S.86)

Im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen[13] erscheint den Menschen also unter den Bedingungen der kapitalistischen Warenproduktion ihr gesellschaftliches Verhältnis untereinander als ein Verhältnis ihrer eigenen dinglichen Produkte. Und da die Menschen ihre eigene Produktionsweise nicht reflektieren bzw. in Frage stellen, suchen sie die Erklärung in den Dingen selbst (vgl. hierzu MEW 23, S.94-98). Diese Tendenz, welche dann zu dem führt, was Marx als Fetisch bezeichnet, wird noch durch eine weitere gesellschaftliche Erfindung verstärkt: durch das Geld.

2.3 Geld – oder das Kommunikationsmedium der Waren

Das Geld macht die Waren nicht kommensurabel, sondern weil alle Waren schon an sich kommensurabel sind (vgl. oben), kann es ein allgemeines Äquivalent geben, das den Wert der Waren repräsentiert und als allgemeines Wertmaß derselben fungiert (MEW 23, S.109). Geld ist also zunächst nur Maßstab und allgemeines Äquivalent. Da aber Geld nicht nur die rein theoretische Äquivalentform, sondern auch eine Naturalform besitzt, verwachsen die beiden Formen in einer besonderen Warenart – dem Geld. (ebd. S.107). Geld wird also selbst eine Ware. Nach Marx erkennen die Menschen aber - wie schon bei der normalen Ware - auch bei der Ware Geld nicht die wirklichen Zusammenhänge, denn:

„Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die anderen Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eigenen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigene Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper.“ (MEW 23, S.107).

Mit dieser Bestimmung des Geldes, kann geklärt werden, was Marx unter dem Fetischcharakter der Ware versteht[14]. Mit Fetisch bezeichnet man den Sachverhalt, dass natürlichen Dingen übersinnliche, magische oder metaphysische Kräfte zugesprochen werden. Marx lässt die Waren im Kapitel über den Fetischcharakter der Ware sprechen, um sich über gewisse Ökonomen lustig zu machen. Die Waren beziehen sich als Tauschwerte selbst aufeinander – ohne das Zutun des Menschen. Deutschmann interpretiert dies so, dass Geld wirklich eine Spezialsprache[15] (im Sinne von symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium) ist, mit deren Hilfe Waren im übertragenen Sinne „kommunizieren“ können (Deutschmann 1999, S.57). Da die Menschen sich nicht über ihre reziproken Arbeitsverhältnisse verständigen, übertragen sie diese auf die Waren. Dadurch lassen sie sich von den Waren vertreten und zugleich aber auch steuern. In diesem Sinne ist das Geld Kommunikationsmedium der Waren (Deutschmann 1999, S.59f.). Fetisch meint somit, dass die Menschen sich von ihren eigenen Produkten – also den Waren und der Spezialware Geld – vertreten und steuern lassen, statt diese zu vertreten und zu steuern. An den Natureigenschaften ihrer eigenen Produkte versuchen nun die Menschen die Verhältnisse zu erklären. Aber an den Natureigenschaften lassen sich die unsichtbaren gesellschaftlichen Ursachen für die Verhältnisse nicht finden. Daher meint auch Marx etwas zynisch: „Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perle oder Diamant entdeckt“ (MEW 23, S.98).

Das Geld verstärkt nicht nur den Fetischcharakter aller Waren, sondern es hat gerade durch diesen Fetischcharakter die Eigenschaft, alles zur Ware werden zu lassen wie z.B. Ehre, Gewissen ect. (ebd. S.117), denn man muss es nur auf die Ware Geld beziehen. Entscheidend ist nun, dass auch die Arbeitskraft zur Ware wird. So sollen nun die Ausführungen von Marx abgerundet werden, indem dargestellt wird, welche negativen Folgen sich durch die Geldwirtschaft und ihren Geld- bzw. Warenfetisch ergeben. Indem Marx die Pathologien der Geldwirtschaft aufzeigt, erschließt sich ihm das Wesen des Kapitals.

2.4 Mehrwert, Zins und das Kapital

Die Arbeitskraft ist die Fähigkeit von Menschen, geistig und körperlich zu arbeiten, und damit die „Quelle von Wert“ überhaupt[16] (MEW 23, S.181). Damit diese als Ware auftreten kann, müssen in der kapitalistischen Produktionsweise zwei Bedingungen erfüllt sein. (a) Der Arbeiter muss frei über seine Arbeitskraft verfügen. (b) Er besitzt nur diese, d.h. er besitzt selbst keine Produktionsmittel, mit denen er selber produzieren kann (ebd. S.183). Zugleich gibt es den entsprechenden Gegenpart, den Kapitalisten. Dieser ist im Besitz der Produktionsmittel, braucht aber Arbeitskraft. Wie jede Ware hat auch die Arbeitskraft einen Gebrauchswert - nämlich (Gebrauchs-) Werte zu schaffen - und einen gesellschaftlich vermittelten Tauschwert. Der Tauschwert berechnet sich nach der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die zu deren Herstellung bzw. Reproduktion nötig ist. Sie ist also davon abhängig, was unter historischen und moralischen Gesichtspunkten als angemessener Lebensstandard gilt (ebd. S.185).

Wichtig ist nun, dass bei jedem Tausch nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert den Besitzer wechselt. Bei der einfachsten Tauschbeziehung W-G-W fungiert Geld tatsächlich als reines Tauschmittel. Eine Ware wird gegen Geld verkauft, um eine andere Ware zu kaufen, und diese dann zu konsumieren. Der Endzweck ist also der Gebrauchswert der Ware. Ist dieser durch den Konsum realisiert, endet die Zirkulation (MEW 23, S.164).

Wird nun die Ware Arbeitskraft gegen den Lohn getauscht, so gehört der Gebrauchswert der Arbeitskraft dem Kapitalisten. Er kann frei über sie verfügen, und den Arbeiter mehr[17] Werte herstellen lassen, als für die Arbeitskraft bezahlt wird. Diesen sog. Mehrwert eignet sich der Kapitalist an. Dies ist nach Marx aber nur ein Glück für den Käufer der Arbeitskraft, aber kein Unrecht gegen den Verkäufer derselben, denn die Gesetzte des Tauschs wurden eingehalten, d.h. Äquivalent gegen Äquivalent gegeben (ebd. S.208f.). Der Mehrwert erklärt sich vielmehr dadurch, dass der Gebrauchswert und der Tauschwert (hier der Arbeitskraft) inkommensurable[18] Größen sind (ebd. S.563). Aber da der Kapitalist jede Stunde bezahlt, und der Arbeiter jede Stunde bezahlt bekommt, verdeckt der Lohn die Differenz zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit (ebd. S.562). Man ist sich einig. Dies bezeichnet Michael Berger als den Lohnfetisch (vgl. hierzu: Berger 2003, S.127f.).

Somit lässt sich das Kapital bestimmen als Geld, das sich unter den oben genannten Umständen durch den Austausch mit der Ware Arbeitskraft vermehrt (ebd. S.235). Die Formel dieses Zyklus ist nun G-W-G ´, wobei = G + ∆G. Dieser Zyklus bricht jedoch nicht ab, sondern geht immer weiter, sodass sein Endzweck nicht der Gebrauchswert ist, sondern der Tauschwert (MEW 23, S.164f.). Denn man kann Geld nicht konsumieren. Aber es kann erneut gegen wertschöpfende Arbeitskraft eingetauscht werden, und indem man sich den Mehrwert aneignet, vermehrt sich das Kapital scheinbar von selbst.

Diese Vermehrung des Kapitals erreicht seinen Gipfel im Zins. In der Formel G-G´ erreicht die kapitalistische Gesellschaft ihren fetischartigsten Charakter. Denn hinter jedem Zins steckt eigentlich angeeigneter Mehrwert. Aber im Zins fällt das aus der Perspektive, denn:

„ … das Resultat des gesamten Reproduktionsprozesses erscheint als eine, einem Ding von selbst zukommende Eigenschaft […] Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein ausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes, zu sich selbst. […] Es wird so ganz Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen.“ (MEW 25, S.405)

Im Fetisch des Kapitals gibt sich die Gesellschaft also vollends auf, indem all ihre eigenen Entwicklungen in ein dingliches Produkt ihrer selbst projeziert. Damit wird ihr nicht nur dieses Ding Geld ein Rätsel, das die Gesellschaft dirigiert, sondern sie wird sich zugleich selbst ein Rätsel, das sie in der Erforschung dieses Dings jedoch nicht lösen können wird.

[...]


[1] vgl. hierzu: Deutschmann 1999, S.29 und Wimbauer 2003, S12, .32

[2] Natürlich sollen die erheblichen Unterschiede in den genannten Ansätzen nicht eingeebnet werden. Aber für die Argumentation ist nur ihre prinzipielle Gemeinsamkeit in der Behandlung des Geldes relevant.

[3] Karl Marx deutet in der Formulierung die Ware sei bei genauer Analyse ein „vertracktes Ding, voll metaphysischer Spitzfindigkeit“ (MEW 23, 85) selber an, dass er gewisse philosophische Vorraussetzungen macht (vgl. hierzu auch Berger 2003, S.17).

[4] vgl. hierzu auch Deutschmann 1999, S.55 und S.64

[5] Als primitivste Form der Arbeitsteilung nennt Marx die Arbeitsteilung bzw. Sklaverei in der Familie (Marx/Engels 1960, S.29)

[6] Ideologie meint bei Marx ein „Bewusstein, das sich über seine historische Entstehung und gesellschaftlichen Ursachen keine Rechenschaft zu geben vermag“ (Berger 2003, 235).

[7] Dieser Aspekt ist entscheidend für die Entfremdungsthese von Marx, die in Punkt 2.5 noch dargestellt wird.

[8] Der Begriff Form ist hier philosophisch zu verstehen, und hat somit seinen entsprechenden Gegenbegriff im Inhalt oder der Materie.

[9] Produktionsweise kann als Oberbegriff angesehen werden, der das dialektische Verhältnis der Marxschen Begriffe Produktionsverhältnisse (Eigentumsverhältnisse) und Produktivkräfte umspannt. vgl. hierzu Niedenzu 2001, S.99

[10] vgl. hierzu auch MEW 23, S.86

[11] Marx weist darauf hin, dass Ökonomen wie Smith oder Ricardo übersehen haben, dass die quantitative Messbarkeit und Vergleichbarkeit schon eine qualitative Gleichheit voraussetzt (MEW 23, S.95 Fußnote)

[12] Marx betont zusätzlich, dass es stets um die in einer Gesellschaft durchschnittlich notwendige Arbeitszeit geht, welche natürlich vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte abhängt. Dies bestätigt noch einmal, wie stark der gesellschaftliche Einfluss ist (vgl. Niedenzu 2001, S.107)

[13] Dem einsamen Robinson Crusoe, den Familienmitgliedern einer traditionellen Bauernfamilie, dem Leibeigenen, dem Knecht und dem Feudalherrn erscheint ihr Verhältnis zueinander im Austausch ihrer spezifischen und persönlichen Produkte noch als ihr persönliches und spezifisch gesellschaftliches (vgl. MEW 23, S.90-93). Georg Simmel wird diese Tendenz unter den Stichworten Objektivierung, Individualisierung und Differenzierung aufgreifen (vgl. hierzu Kapitel 3).

[14] Michael Berger schreibt, dass Marx wohl das Werk von Brosses über den Dingkult von Naturvölkern gelesen hatte und auch an das Fetisch-Verständnis von Hegel anknüpft. Hier heißt Fetisch, dass man Naturverhältnisse nicht durchschaut (Berger 2003, S.53f.)

[15] Deutschmann bemerkt auch, dass bei sprachlicher Kommunikation zwar Informationen getauscht werden, aber kein Eigentumswechsel stattfindet. Die Waren drücken also nur in ihrer Preisform über das Medium Geld ihre Relation untereinander aus und beziehen sich aufeinander. Wird Geld vom Menschen beim Tausch verwendet, so findet ein Eigentumswechsel statt (Deutschmann 1999, S.57f.).

[16] Als konkrete Arbeit ist sie die Quelle von Gebrauchswert und als vergesellschaftete, abstrakte Arbeit die Quelle von Tauschwert (vgl. 2.2)

[17] Der Grund dafür liegt nach Marx darin, dass es im Gebrauchswert der Arbeitskraft schon so angelegt ist, dass sie Quelle von mehr Wert sein kann, als sie selbst als Tauschwert hat (MEW 23, S.208)

[18] Nach Marx wäre wohl der Tausch von Arbeit gegen Arbeit und Ding gegen Ding angemessen. Hier wird aber ein Ding (Lohn), das keinen Wert schafft, gegen die wertschaffende Arbeitskraft eingetauscht. Der Fehler ist also, dass das Rechtsbewusstsein keinen Unterschied macht zwischen Do ut des, do ut facias, facio ut des und facio ut facias (MEW 23, S.563).

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Details

Titel
Das Kapital des Geldes - Die Philosophie des Kapitals. Zur Soziologie des Geldes bei Karl Marx und Georg Simmel
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
39
Katalognummer
V34275
ISBN (eBook)
9783638345477
Dateigröße
608 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kapital, Geldes, Philosophie, Kapitals, Soziologie, Geldes, Karl, Marx, Georg, Simmel
Arbeit zitieren
Stefan Dettl (Autor:in), 2004, Das Kapital des Geldes - Die Philosophie des Kapitals. Zur Soziologie des Geldes bei Karl Marx und Georg Simmel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34275

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