Villenbauten der Jahrhundertwende in Dresden. Die Beiträge des Architekturbüros Schilling & Graebner


Bachelorarbeit, 2011

48 Seiten, Note: 1,9

Clara Göbel (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Städtebauliche Voraussetzungen in Dresden
2.1 Die Entwicklung des Dresdner Villenbaus
2.2 Die Entstehung von Villenvierteln
2.3 Das Villenviertel Dresden Blasewitz

3 Das Architekturbüro Schilling & Graebner
3.1 Julius Wilhelm Graebner
3.2 Georg Rudolf Schilling
3.3 Die innerbetriebliche Organisation des Büros

4 Die Villen und Landhäuser Schilling & Graebners
4.1 Beispiele herausragender Villenarchitektur
4.2 Das Pernwaldhaus
4.3 Das Gärtnerhaus
4.4 Villa Wolff
4.5 Villa Friedrichsruh
4.6 Villa Ginsberg
4.7 Villa Gerhardt Hauptmann oder Villa Rautendelein
4.8 Villa Würzburger

5 Zuordnungsproblematik
5.1 Die Villa Weigang
5.2 Die Villa Basteistr. 26

6 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

„Der besondere Charakter Dresdens als einer Stadt im Grünen ergibt sich nicht allein aus der reizvollen Lage im Elbtal, sondern ist auch der offenen Bebauung, den zahlreichen Wohnvierteln mit villenartigem Charakter geschuldet.“1

Dieses Zitat deutet bereits an, dass sich neben Dresdner Kulturschätzen wie der Semperoper (1838-41) Ende des 19. Jahrhunderts abseits der Innenstadt eine Baukultur etablierte, die die Stadtlandschaft noch heute kennzeichnet: Der Villenbau. Keineswegs nahm dieser während der Jahrhundertwende eine so zentrale Rolle in der Dresdner Stadtentwicklung ein wie beispielsweise der Rathaus- oder Kirchenbau. Dennoch war er, noch heute prägend für das Stadtbild Dresdens, von hoher Bedeutung für die Entwicklung der Dresdner Vororte und für bereits eingemeindete Bezirke am Dresdner Stadtrand.

Bei eingehender Betrachtung der Dresdner Stadtentwicklung nach der Industrialisierung wird deutlich, dass sich die Stadt zwar, ähnlich wie vergleichbare Metropolen, Problemen des Wohnraummangels stellen musste. Einem städtischen Bebauungsplan geschuldet, fand man hier jedoch galantere Lösungen, wodurch die Stadt eine andere Entwicklung als typische Industriestädte nahm.

Architekten, die in dieser Zeit einen guten Ruf genießen wollten, waren gezwungen, sich dem schnellen Wandel anzupassen und mit den verschiedenen stilistischen Prägungen vertraut zu sein, um nicht als rückständig geltend in der Masse unterzugehen. So gehörten auch die Architekten Rudolf Schilling und Julius Graebner, die sich Ende der 1880er im Architekturbüro Schilling & Graebner zusammenschlossen, zu denen, die sich zum Wechsel des Jahrhunderts in Dresden behaupten mussten.

Die Stadt stand zu jener Zeit für Tradition, Sachlichkeit und Funktion.2 Bis Anbruch des neuen Jahrhunderts berief man sich maßgeblich auf die klassischen Werte der italienischen Renaissance, was es jungen, motivierten Architekten, wie Schilling & Graebner es waren, jedoch erschwerte, neue Bauformen zu etablieren. Dennoch galt das Architekturbüro von Rudolf Schilling und Julius Graebner „in den beiden Jahrzehnten um die Jahrhundertwende [als] das einflussreichste in Dresden.“3

Doch was beinhaltete das Alleinstellungsmerkmal Schilling & Graebners? Wieso waren sie so unverwechselbar und warum konnten sie sich, trotz ihres vielfach kritisierten Stils, gegen andere Architekturbüros der Stadt behaupten? Um diese Fragen beantworten zu können, soll der Villenbau, der zu den Hauptaufgaben des Büros zählte, im Folgenden exemplarisch für das Schaffen Schilling & Graebners genauer betrachtet werden.

Zunächst wird ein Überblick über die architektonische Beschaffenheit und städtebauliche Voraussetzung in Dresden gegeben, im Anschluss daran soll Aufschluss über die Entwicklung des Villenbaus seit den 1830er Jahren gegeben werden. Nachdem das Architekturbüro Schilling & Graebner und die Architekten selbst kurz vorgestellt werden, widmet sich der Hauptteil der Arbeit den Villenbauten Schilling & Graebners. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Villen allgemein und den derzeitigen Bestand gegeben, um anschließend exemplarisch auf sieben Villen, die von besonderer Bedeutung zeugen, einzugehen. Abschließend werden Problemstellungen zur Diskussion gebracht, die sich aus der Zuordnung zweier Villen zum Werk der Architekten ergaben.

Als wichtigste Grundlage für die Recherchetätigkeit zu dieser Arbeit diente die zweiteilige Dissertation Ricarda Kubes, „Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Architektenfirma“. Das Werk wurde vielfach rezensiert und diente dem Großteil der Arbeiten über Schilling & Graebner als Quelle. Da die Thematik letztmalig intensiv im Jahr 1988 von Ricarda Kube aufgearbeitet wurde, ergab sich der Anspruch für diese Arbeit, den aktuellen Zustand zu erfassen, um Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte, wie Verfall, Rekonstruktionen oder Sanierungsmaßnahmen in die Untersuchungen einbeziehen zu können.

2 Städtebauliche Voraussetzungen in Dresden

Verschrieb man sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend den historisierenden Bauformen, prägte während der Jahrhundertwende im deutschen, nahezu im gesamten europäischen Raum die Suche nach einem neuen Stil das künstlerische Schaffen. Während in Städten wie München oder Darmstadt der Jugendstil als Antwort auf diese Suche enorme Verbreitung fand, erhielt diese ornamental-florale Gestaltungsform in Dresden nur bedingten Zuspruch. Eklektizismus und Stilpluralismus, unter dem natürlich auch der Jugendstil, wenngleich in etwas zurückhaltenderer Ausprägung, vertreten war, bestimmten jenes Bild der Jahrhundertwende in Dresden.

Obwohl der Wohnraummangel in Folge der Zuwanderungen aus dem Umland auch Dresden vor neue Bauaufgaben und Herausforderungen stellte, war der Umgang mit dieser Problemstellung hier souveräner als in Metropolen vergleichbarer Größe. Die Ursachen dafür lassen sich u.a. auf den Residenzstadtcharakter der Stadt zurückführen. Damit verbunden waren stets umfassende Bauordnungen, die bereits im 16. Jahrhundert die Entwicklung des Dresdner Stadtbildes kontrollierten.4 Auch im 19. Jahrhundert beeinflusste der Hof das öffentliche Leben stark. Er stellte finanzielle Mittel zur Errichtung von Bildungs- und Verwaltungsbauten zur Verfügung und überwachte darüber hinaus noch immer die Bauplanung der Stadt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich infolgedessen ein vergleichsweise hoher Anteil an Adel und Beamten in Dresden niederließ, um von diesen Vorteilen profitieren zu können. „Und diese Kreise waren es, die ganz neue Ansprüche an das Wohnen anmeldeten. Sie entwickelten einen Lebensstil, der Stadthaus und Villa gleichzeitig beanspruchte.“5

2.1 Die Entwicklung des Dresdner Villenbaus

Keineswegs ohne Grund assoziiert man Dresden noch heute mit der Geschichte des Villenbaus. Im Jahr 1839 setzte Gottfried Semper mit der Villa Rosa in Dresden einen Meilenstein, der weit über die sächsischen Grenzen hinaus anerkannt und bis in die 1880er Jahre nicht nur für den Dresdener Villenbau maßgeblich prägend sein sollte. Die Villa „zeigt eine dreiteilige Komposition: der risalitartig vorgezogene Mittelteil ist in großen gekoppelten, rundbögigen Fenstern und Loggien geöffnet; die Seiten bleiben flächig geschlossen, zwei übereinander liegende hochformatige Fenster bilden ein vertikales Band.“6 Die Innovation lag vor allem in der Raumaufteilung, bzw. in den damit verbundenen Raumnutzungsmöglichkeiten, die der Villa des 19. Jahrhunderts eine völlig neue Funktion gaben. Während das Bauwerk ursprünglich als altrömisches Landhaus das Zentrum eines Gutshofes bildete, diente es im 16. Jahrhundert eher als Erholungs- oder Rückzugsort in den Sommermonaten. Erst seit dem 19. Jahrhundert widmete man Villenbauten bewusst und ausschließlich dem (Privat)leben, sie waren ein privater, von der Erwerbswelt ausgeschlossener Ort und dienten vor allem der Repräsentation und Darstellung des gesellschaftlichen Ranges.7

Nach der Flucht Sempers knüpfte Hermann Nicolai an diese innovativen Vorlagen an und übernahm 1850 den Vorstand des Ateliers für Baukunst an der Dresdner Akademie8. Als Folgebau gilt die 1851-52 errichtete Villa Struve, die trotz ihrer ausgewogeneren Fassadenstruktur und dem vereinfachten Grundriss zahlreiche Bezüge zur Villa Rosa und zur damit verbundenen italienischen Hochrenaissance verzeichnet.

Die Parallelen der Villa Rosa, aber auch der Villa Struve, die inzwischen beide nicht mehr existieren, zum Prototyp der „Wiederbelebung der Villenkultur“9 in der Renaissance, Andrea Palladios La Rotonda, (1567-71) lassen sich kaum leugnen.

Während sich zum Ende des 19. Jahrhunderts in Metropolen wie München oder Darmstadt die prächtigsten Jugendstilvillen etablierten, dominierten in Dresden die klassischen Bauformen der italienischen Hochrenaissance. „Die Vorstadtvilla in den Formen der Neorenaissance war hier zum Inbegriff der „Dresdner Schule“ geworden.“10 1881 trat Constantin Lipsius den Lehrstuhl für Architektur an der Dresdner Akademie an. Er markierte mit dem heftig umstrittenen Akademie- und Ausstellungsgebäude (1883-94) an der Brühlschen Terrasse in Dresden „den Höhepunkt des international geprägten Renaissance- Historismus und sein Ende.“11

Anknüpfend an diese Voraussetzung griffen die Dresdner Architekten auf die freieren Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Renaissance zurück.12 Heidrun Laudel, habilitierte Architekturhistorikerin, spricht in diesem Zusammenhang von der „Neuen Bewegung“ des Villenbaus um 1900.13 Maßgeblich entscheidend für diese Entwicklung war, dass die Architekten der „neuen Bewegung“, zu denen auch Rudolf Schilling und Julius Graebner gehörten, ihre Erfahrungen in den Architekturzentren Berlin und München sammelten und von diesen in der sächsischen Hauptstadt Gebrauch machen konnten.14 „Sie kannten die modernen Strömungen und wandten sich von der monumentalen Renaissance als Vorbild ab. Es entstanden große Villen von pittoresker Wirkung“.15

So wird die Einführung der deutschen Renaissance in Dresden sogar den Architekten Schilling und Graebner zugesprochen: „In Dresden war die Formensprache der deutschen Renaissance damals noch völlig unbekannt, es ist das Verdienst von Schilling & Graebner, mit dieser historischen Rezeptionsmöglichkeit neue Formen in der Dresdener Architektur etabliert zu haben.“16 Als Beispiel ist an dieser Stelle das Rathaus in Dresden-Pieschen (1890-91) zu nennen.

2.2 Die Entstehung von Villenvierteln

Keineswegs lässt sich die Entstehung von Villen in dafür vorgesehenen Stadtbezirken ausschließlich auf das 19. Jahrhundert begrenzen. Der idyllische Villenvorort Loschwitz beispielsweise galt bereits im 17. Jahrhundert als „Sommerwohnsitz begüterter Dresdner Familien“.17 Während die Vororte Dresdens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumeist noch sehr landwirtschaftlich geprägt waren, entwickelten sich erste Villenviertel zunächst innerhalb der städtischen Grenzen. Als einer der ersten solcher Stadtbezirke, entstand bereits Ende der 1830er Jahre das „Englische Viertel“ an der Bürgerwiese. Dieser wurde, aufgrund der intensiven Bebauung mit Villen im Stil der italienischen Renaissance, in den 1860/70er Jahren bezeichnender Stadtteil der „Dresdner Schule“.

Parallel zu diesem, entwickelte sich ab etwa 1855 das „Schweizer Viertel“.18 Zwischen Böhmischem Bahnhof und Nürnberger Straße orientierte man sich, worauf der Name schließen lässt, am sogenannten „Schweizer Stil“. Er bezeichnete die „einstöckigen quergelagerten Villen mit zentralem Giebelausbau und reichverziertem Holzschnittwerk.“19 Nordöstlich der rein militärischen Albertstadt errichtete man ab den 1860er Jahren das „Preußische Viertel“, das sich, wie das Villenviertel Bürgerwiese, streng an den Vorgaben Sempers und Nicolais orientierte.20 Weitere solcher Villen entstanden vorwiegend an den Ufern nördlich und südlich der Elbe, oder aber zentral gelegen im Umkreis des Ferdinandplatzes und südlich des Großen Gartens.21

Inzwischen definiert sich Villa sich als „ein nach einem einheitlichen künstlerischen Entwurf erbautes allseitig freiliegendes, für eine oder höchstens zwei Familien bestimmtes Landhaus von mittleren Größenverhältnissen, nebst dazugehörigen Anlagen.“22

Folgt man dieser Erläuterung, muss das Entstehen dieser Wohnbezirke tatsächlich eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts gewesen sein, da sich, maßgeblich geprägt durch Sempers Villa Rosa, die Funktion und Wohnqualität der Villa um ein Vielfaches steigern konnte. Mit der Industrialisierung und dem damit verbundenen technischen Fortschritt ging also auch das Entstehen von Villenvierteln einher, um dem „Wunsch nach Einbettung in eine Ideallandschaft“23 trotz steigender Bevölkerungszahlen nachzukommen.

Es ist daher kein Phänomen Dresdens, dass solche Villenviertel Ende des 19. Jahrhunderts in der Regel am Stadtrand oder in Vororten entstanden. Sie entwickelten sich aus einer Sehnsucht des wohlhabenden Bürgertums nach einem ruhig gelegenen, intimen aber dennoch repräsentativen Wohnort, der im Kontrast zu dem industriell geprägten pulsierenden Leben in der Großstadt stehen sollte. Es lässt sich anhand der Baudatierungen erkennen, dass diesem Bestreben mit den Jahren immer weniger nachgekommen werden konnte. Die Grundstücke wurden knapper, die Preise höher und die Gartenanlagen, die die Villen umgaben, immer kleiner. Aufgrund dessen richtete man das Hauptaugenmerk später auf eine komfortablere Innenausstattung der Immobilie.

Selbstverständlich entstand diese einheitliche Bebauung nicht zufällig konzentriert in einem Stadtbezirk. Um ein einheitliches Stadtbild zu erhalten, legten regelmäßig aktualisierte Bebauungspläne u.a. Bauhöhe und Straßenfluchten fest. „Die Bauordnung von 1905 [beispielsweise] legte Baufluchtlinien fest und bestimmte weitere Bauzonen für offene und geschlossene Bebauung, wies Gewerbegebiete aus und verbot damit für bestimmte Stadtteile jegliche gewerbliche Ansiedlung.“24 Dank dieser bis 1945 erhalten gebliebenen Bestimmungen „gelang es, das städtebauliche Gesamtbaukunstwerk Dresden zu bewahren, bis es in den Luftangriffen des 13. und 14. Februar 1945 in weiten Bereichen völlig zerstört, in anderen zumindest beschädigt wurde.“25

Als Beispiele für Villenvororte sind Dresden-Plauen und Dresden-Strehlen zu nennen.

Exemplarisch für Dresden und das Oeuvre Schilling & Graebners soll im Folgenden auf die Entwicklung des heutigen Stadtteils Dresden-Blasewitz genauer eingegangen werden.

2.3 Das Villenviertel Dresden Blasewitz

„Die dicht an Dresden angrenzende Nachbargemeinde Blasewitz besitzt längs des linken Elbufers, zwischen dem Waldpark und dem Elbstrom ein Areal, das zum größten Teile dem Überschwemmungsgebiet durch Hochlegen der Straßenzüge abgewonnen worden ist und das sowohl durch seine eigene Lage: Ruhe, Sonne, gute Luft, als auch durch das benachbarte rechte Elbufer die reizendsten Ausblicke auf stattliche Hügelketten mit höchst malerischen Bestand an Schlössern, Parks, Weinbergen und Waldungen gewährt. Es ist vollkommen begreiflich, dass diese Gegend von wohlhabenden, unabhängigen Leuten mit Vorliebe zum Wohnsitz erwählt wird und die Folge davon ist wieder, dass eine Zahl prächtiger herrschaftlicher Villen in den letzten Jahren hier entstanden sind.“26

Dabei galt Blasewitz noch Ende des 18. Jahrhunderts als ein unbedeutendes Fischerdorf.27 Auf dem unfruchtbaren Land siedelte eine überschaubare Gemeinde, die Dresdner nach einem knapp einstündigen Fußmarsch erreichen konnte.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als wohlhabende Dresdner ihre Sonntagsausflüge entlang des Elbufers nach Blasewitz unternahmen, begann sich ein gewisser Wohlstand in dem Viertel bemerkbar zu machen. Sie wollten von der abgeschiedenen Lage profitieren, kauften den Bauern ihre Grundstücke ab und ließen sich dort ab ca. 1860 herrschaftliche Landhäuser und Villen errichten.28 Die Trennung von Privat- und Berufsleben konnte mit dieser bewussten räumlichen Trennung von Wohn- und Arbeitsort gewährleistet werden.

Da innerhalb der Ortschaft die finanziellen Möglichkeiten gegeben waren, begann man jedoch schnell, die Gemeinde an den Fortschritt der Stadt anzupassen. Bereits 1872 richtete man Pferdebahnen ein, die vom Vorort Plauen über den Böhmischen Bahnhof, heute Hauptbahnhof, bis zum Blasewitzer Schillerplatz führten.29

Zählte man im Jahr 1709 gerade einmal 31 Häuser, bildeten 1900 von nun 774 Häusern die Villen und Landhäuser einen Anteil von 714 Immobilien.30 Lediglich im Zentrum des Ortes, am heutigen Schillerplatz, sah der Bebauungsplan von der „lockeren Villenbebauung“ ab und ließ die Errichtung viergeschossige Häuserzeilen zu.31 So beherbergte die Gemeinde um 1900 etwa 7500 Einwohner und konnte innerhalb von weniger als 100 Jahren - um 1800 zählte man etwa 100 Einwohner32 - einen Zuwachs von etwa 7400 Einwohnern verzeichnen. Die Blasewitzer profitierten ungemein von ihrem hohen Steueraufkommen. Zum Vergleich: „Blasewitz brachte 1900 37,92 RM Steuern pro Kopf auf, die Stadt Dresden 18,54 RM.“33 Bewohner der Vororte „nutzten die technischen und kulturellen Einrichtungen der Stadt, ohne dort Steuern zu zahlen“34 Die Bemühungen der Stadt, den Vorort einzugemeinden, scheinen unter Berücksichtigung dieser Fakten durchaus nachvollziehbar. Während sämtliche andere Vororte, darunter Stehlen, Striesen und Löbtau bereits eingemeindet wurden, konnten sich die Blasewitzer auch nach dem ersten Weltkrieg als selbstständige Gemeinde behaupten. Als einer der letzten Vororte, musste Blasewitz sich jedoch am 01.04.1921 der Stadt angliedern.35 Die Villen, von denen im Folgenden die Rede sein soll, entstanden demnach, bevor Blasewitz zum Dresdner Stadtteil wurde.

Es fällt auf, dass auch Schilling & Graebner einen Großteil ihrer Villenbauten im heutigen Dresdner Ortsteil Blasewitz errichteten. Das Gros dieser Blasewitzer Villen befindet sich auf der heutigen Goetheallee. Die Ende des 19. Jahrhunderts eigens für den Villenbau angelegte Straße trug bis 1945 den Namen „Emser Allee“.36

So wurden neben renommierten Architekten wie Martin Pietzsch, Karl Emil Scherz und Heino Otto37 auch die Architekten Schilling & Graebner mit Villenbauten beauftragt und trugen insgesamt sieben Gebäude zu diesem Stadtteil bei.

Bevor jedoch auf die Villen im Einzelnen eingegangen wird, sollen zunächst Architekturbüro und Architekten vorgestellt werden, um die Zusammenhänge zwischen biografischen Details, Ausbildung und Werk besser nachempfinden zu können.

3 Das Architekturbüro Schilling & Graebner

Architekturfirmen begannen sich allgemein „mit dem Vormarsch kapitalistischer Produktionsverhältnisse“38 in den 1850er Jahren auf deutschem Raum zu etablieren. Die Besonderheit solcher Gemeinschaften lag in der Arbeitsteilung. Große Bauaufträge über Rathäuser oder sonstige Verwaltungsgebäude konnten durch die Zusammenarbeit von Architekt, Bauingenieuren und Statikern besser bewerkstelligt werden.39 Die beiden Architekten, Georg Rudolf Schilling und Julius Wilhelm Graebner, die sich beim Studium der Architektur am Dresdner Polytechnikum kennenlernten, entschlossen sich, ihren Schaffensumfang und Status auf diesem Wege zu erhöhen. Am 1. April 1889 trat Julius Graebner dem bereits 1887 gegründeten Gewerbe Schillings bei.40 Ab diesem Zeitpunkt führten die beiden Architekten das Architekturbüro bis 1917 gemeinsam zum Erfolg. Als Firmensitz bezogen sie die kleine Frohngasse 141 in Dresden, einen kleinen Straßenzug in der inneren Altstadt, der die heutige Wilsdruffer Straße mit der Ecke Gewandhausstraße verband. Die Suche nach einem „neuen Stil“ prägte auch das Schaffen Schilling & Graebners. Zwar warf man „ihnen den Wechsel ihrer Formgebung“42 vor, doch wie bereits angesprochen, versuchten die Architekten stets, sich den aktuellen Strömungen anzupassen. Zu ihren Haupt-Bauaufgaben zählten vor allem der protestantische Kirchenbau, der ungefähr ein Drittel aller „Bauten und unausgeführten Entwürfe“43 einnahm, sowie der Rathaus-, Wohnhaus- und Villenbau. Höchste Anerkennung für ihre Leistungen erhielten die Architekten im sozialen Wohnungsbau, wie auch im Kirchenbau.

Nach dem Tod Julius Graebners übernahm dessen Sohn Julius Gustav Erwin Graebner, der eine Ausbildung zum Zimmerer absolviert hatte und anschließend ebenfalls das Studium der Architektur antrat, im Jahr 1921 den väterlichen Posten im Architekturbüro.44 Gemeinsam mit Rudolf Schilling leitete er das Büro bis zu dessen Tod 1933 - allerdings ohne an den Erfolg der gemeinsamen Schaffensphase Rudolf Schillings mit Julius Graebner anknüpfen zu können. Bis zu seinem Tod im zweiten Weltkrieg, 1945, führte Erwin Graebner das Büro alleine weiter, zwei Jahre später löschte man es aus dem Handelsregister.45

Um das Zusammenwirken, die Aufgabenteilung und die Inspirationsquellen des Architekturbüro Schilling & Graebners nachvollziehen zu können und um die Intentionen der Architekten zu verstehen, soll nun ein kurzer Überblick über ihre biografische Daten bis zur Gründung des Büros gegeben werden.

3.1 Julius Wilhelm Graebner

Julius Wilhelm Graebner wurde am 11.01.1858 in Durlach bei Karlsruhe geboren. Er galt als fantasievolles Kind, das zwar nicht durch überdurchschnittliche Intelligenz, doch aber mit einem besonderen „Drang zur Kunst“ auffiel.46

Er besuchte das dortige Realgymnasium und trat, nachdem er seinen einjährigen Militärdienst vollzogen hatte, im Jahr 1876 das Studium der Architektur am Karlsruher Polytechnikum an. Besonders die Werke und Lehren Fritz Schumachers und Joseph Durms beeinflussten den jungen Architekten während seines Studiums, hatten jedoch keinen Einfluss auf sein späteres Schaffen.47

Nach einem weiteren Jahr im Militärdienst setze er sein Studium ab 1880 am Königlich- Sächsischen Polytechnikum zu Dresden fort. Erst fünf Jahre zuvor, mit der Gründung der Hochbauabteilung, begann sich das Polytechnikum als Architekturausbildungseinrichtung zu entwickeln.48

Seine Dozenten, u.a. Karl Weißbach, erhielten ihre Ausbildung im Atelier Hermann Nicolais - so lässt sich der Bogen im weiteren Sinne bis zur Lehre Gottfried Sempers schlagen. Studienreisen nach Italien prägten zunächst auch Graebners Interesse für die italienische Renaissance, von dem im späteren Zusammenwirken mit Rudolf Schilling jedoch kaum noch etwas zu spüren war. Neben dem Studium verdiente er sich im Privatatelier seines Lehrers Ernst Giese etwas Geld dazu, doch bleibt auffällig, dass keine seiner Bekanntschaften am Dresdner Polytechnikum sein Werk nachhaltig prägen konnte.49

Man kann an dieser Stelle nur mutmaßen, dass dies ein Grund für sein vorübergehendes Verlassen der Stadt sein könnte. Fest steht jedoch, dass er 1883 nach Berlin ging, das man zu jener Zeit, ganz im Gegensatz zu Dresden, als Zentrum der modernen deutschen Architektur empfand.50

Als Beispiele hierfür sind u.a. das Postfuhramt (1881) in der Oranienburger Straße51, vor allem aber das ab 1884 errichtete Reichstagsgebäude zu nennen.

Julius Graebners Aufenthalt in Berlin wurde hauptsächlich durch das Schaffen im Architekturbüro „Kayser und von Großenheim“ geprägt, das „zu den größten und renommiertesten Berlins“52 zählte und sich bereits in den 1870er Jahren von der italienischen Renaissance abwendete. Insgesamt diente er dem Büro, das von keinem geringeren als Heinrich Kayser, dem Bruder Engelbert Kaysers - Begründer der renommierten Kölner Firma Kayserzinn53 - geleitet wurde, für mehr als drei Jahre.

Hier lassen sich nun auch deutliche Rückschlüsse auf Schilling & Graebners Schaffen in Dresden ziehen, so z.B. lässt sich die Inspiration für Bauten der Neorenaissance, wie das Rathaus in Dresden-Pieschen hier vermuten.

In einer weiteren Anstellung bei Hans Grisebach in Berlin wurde Graebner sogar die Stelle als erster Architekt zuteil54 Als zentrale Bauaufgaben wählte er, wie unter anderem auch später in Dresden, den Villen- und Kaufhausbau.55

Die Freundschaft zum Dresdner Rudolf Schilling konnte Julius Graebner vor allem deshalb aufrecht erhalten, da dieser in jener Zeit selbst in Berlin tätig war.

3.2 Georg Rudolf Schilling

Am 1. Juni 1859 wurde Rudolf Schilling als Sohn des bekannten Dresdner Bildhauers Johannes Schilling geboren.

Seine künstlerische Prägung erhielt er schon im Elternhaus, im Zusammenhang mit seinem Vater sind Werke wie die Pantherquadriga (1871-77) auf der Semperoper oder das RietschelDenkmal (1876) auf der Brühlschen Terrasse zu nennen. Darüber hinaus stammte seine Mutter, Louise Isidore Arnold, aus einer Kunsthändlerfamilie.

Nachdem Schilling seine Schulbildung am Dresdner Kreuzgymnasium absolviert hatte, durchlief er, wie Julius Graebner, zunächst eine einjährige militärische Freiwilligenausbildung. Seine architektonische Laufbahn begann, abgesehen von den künstlerischen Ambitionen seines Elternhauses, 1879 am Dresdner Polytechnikum. Auch er arbeitete im Privatatelier seines Dozenten Karl Weißbachs, wo vermutlich die Bekanntschaft zu Julius Graebner vertieft werden konnte.56

[...]


1 Wieczorek, Thomas; Das Villenviertel an der Bürgerwiese, in: Bauen in Dresden im 19. und 20. Jahrhundert, 1991 Dresden, S. 25.

2 Karge, Henrik; Die Vielfalt des Neubeginns- Dresdener Architektur um 1900, in: Jugendstil in Dresden. Aufbruch in die Moderne, 1999 Dresden, S.31.

3 Gössel, Peter und Leuthäuser, Gabriele (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, 1991 Köln, S.144.

4 Laudel, Heidrun; Bauen in Dresden im 19. und 20. Jahrhundert; 1991 Dresden, S.53.

5 Ebenda, S. 25.

6 Paul, Jürgen; Noble Villen, monumentale Fassaden : Städtebau und Architektur der Gründerzeit in Dresden; in: Dresdner Hefte: Dresden in der Gründerzeit, S. 52-65, 2009 Dresden. S. 57.

7 Gössel, Peter; Leuthäuser, Gabriele (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, 1991 Köln. S. 8.

8 Helas, Volker; Architektur in Dresden 1800 - 1900, 1985, S. 43.

9 Gössel; Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 10.

10 Laudel, Heidrun; Dresdner Villenbau und die „Neue Bewegung“ um 1900, in Dresdner Hefte: Repräsentation und Historismus - Dresden am Ende des 19. Jahrhunderts, 1991 Dresden, S. 26.

11 Karge, Henrik; Die Vielfalt des Neubeginns - Dresdener Architektur um 1900, in: Jugendstil in Dresden, S. 31.

12 Freiherr von Tettau, W. ; Die Privat-Architektur auf der Deutschen Bau-Ausstellung, in: Deutsche Bauhütte, 4, (1900) Hannover, S.262ff , S. 288.

13 Laudel, Heidrun; Dresdner Villenbau und die „Neue Bewegung“ um 1900, S.26-36, S. 26.

14 Wolf, Tobias Michael; Die Villenkolonie Altfriedstein in Niederlößnitz/Radebeul. Werk der Dresdner Architektenfirma Schilling & Graebner, 2008 Saarbrücken, S. 20.

15 Ebenda.

16 Reimann, Cornelia; Die Christuskirche in Dresden-Strehlen, S. 36.

17 Gössel; Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 24.

18 Ebenda, S. 26.

19 Wolf, Tobias Michael; Die Villenkolonie Altfriedstein in Niederlößnitz/Radebeul, S. 20.

20 Helas, Volker; Architektur in Dresden 1800 - 1900, 1985 Braunschweig, S. 43.

21 Paul, Jürgen; Noble Villen, monumentale Fassaden: Städtebau und Architektur der Gründerzeit in Dresden, S. 52.

22 Gössel; Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 8.

23 Ebenda. S. 10.

24 Ebenda, S. 28.

25 Ebenda.

26 Gruner, O.; Neue Dresdener Architektur, in: Deutsche Bauhütte, 5. Jahrgang, Nr. 9, 1901 Hannover, S. 57-60, S. 57.

27 Dubbers, Annette; Blasewitz. Aus der Geschichte eines Dresdner Stadtteils, 1996 Dresden, S. 5.

28 Gössel und Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 22.

29 Brühl, Astrid; Stadtführung: Von Bomätschern, Künstlern und Fabrikanten - Ein Spaziergang durch Blasewitz, 2011 Dresden, URL: http://www.igeltour-dresden.de/ig_rundgaenge_stoebern_detail.asp? thema=2011_9, 06.11.2011.

30 Dehio, Georg; Handbuch der deutschen Kunstdenkmälder, Sachsen I Regierungsbezirk Dresden, 1996 Dresden, S. 248.

31 Gössel und Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 24.

32 Helas, Volker; Architektur in Dresden 1800 - 1900, Braunschweig1985, S. 5.

33 Gössel und Leuthäuser (Hg.); Villenarchitektur in Dresden, S. 22.

34 Reimann, Cornelia; Die Christuskirche in Dresden-Strehlen, 2007 Dresden, S. 8.

35 Brühl, Astrid; Von Bomätschern, Künstlern und Fabrikanten - Ein Spaziergang durch Blasewitz.

36 Herrmann, Lars; Goetheallee, in: Dresdner Stadtteile,

URL: http://www.dresdner-stadtteile.de/Ost/Blasewitz/Strassen_Blasewitz/Goetheallee/goetheallee.html, Jahr unbekannt, Dresden (07.12.2011).

37 Dehio, Georg; Handbuch der deutschen Kunstdenkmälder, S. 24.

38 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma. Dissertation, 1988 Dresden, S. 74.

39 Ebenda.

40 Ebenda, S. 60.

41 Wolf, Tobias Michael; Die Villenkolonie Altfriedstein in Niederlößnitz/Radebeul, S. 25.

42 Reimann, Cornelia; Die Christuskirche in Dresden-Strehlen, S. 33.

43 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 8.

44 Wolf, Tobias Michael; Die Villenkolonie Altfriedstein in Niederlößnitz/Radebeul, S. 26.

45 Ebenda.

46 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 53.

47 Ebenda.

48 Pressestelle der TU Dresden; Die Geschichte der TU Dresden, in Technische Universität Dresden, 2011 Dresden, URL: http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/portrait/geschichte, (13.11.2011).

49 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 57.

50 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 57.

51 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 56.

52 Ebenda.

53 Museum für angewandte Kunst, Köln: Sonderausstellung: Jugendstil-Zinn, 12.11.2011 Köln.

54 Kube, Ricarda; Schilling und Graebner (1889-1917). Das Werk einer Dresdner Architektenfirma, S. 58.

55 Ebenda.

56 Ebenda, S. 68.

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Villenbauten der Jahrhundertwende in Dresden. Die Beiträge des Architekturbüros Schilling & Graebner
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,9
Autor
Jahr
2011
Seiten
48
Katalognummer
V342475
ISBN (eBook)
9783668324862
ISBN (Buch)
9783668324879
Dateigröße
2223 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
villenbauten, jahrhundertwende, dresden, beiträge, architekturbüros, schilling, graebner
Arbeit zitieren
Clara Göbel (Autor:in), 2011, Villenbauten der Jahrhundertwende in Dresden. Die Beiträge des Architekturbüros Schilling & Graebner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342475

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