Transmediale Erzählanalyse von Erich Kästners "Pünktchen und Anton". Kinderroman, Verfilmung und Kinderoper

Unter besonderer Berücksichtigung der Dialogizität der einzelnen Adaptionen


Hausarbeit, 2016

51 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Pünktchen und Anton
2.1. Der Roman
2.1.1. Analyse des Discours (Wie-Seite der Erzählung)
2.1.2. Analyse der Histoire (Was-Seite der Erzählung)
2.1.3. Auffälligkeiten des Inhalts
2.2. Der Film
2.2.1. Analyse des Discours
2.2.2. Analyse der Histoire
2.2.3. Auffälligkeiten des Inhalts
2.3. Die Kinderoper
2.3.1. Analyse des Discours
2.3.2. Analyse der Histoire
2.3.3. Auffälligkeiten des Inhalts

3. Dialoganalyse der Ausschnitte von Pünktchen und Anton
3.1. Quantitative Analyse der Redeanteile
3.1.1. Im Roman
3.1.2. Im Film
3.1.3. In der Kinderoper
3.1.4. Zusammenfassung
3.2. Qualitative Analyse der Redeanteile
3.2.1. Begriffsklärung für die Bestimmung der Dialogizität
3.2.2. Im Roman
3.2.3. Im Film
3.2.4. In der Oper

4. Fazit

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Erich Kästner selbst machte in der Einleitung seines Buches „Pünktchen und Anton“ folgenden Ausspruch:

„Wenn ein kleiner Junge ein Stück Holz unterm Ofen vorholt und zu dem Holz „Hü!“ sagt, dann ist es ein Pferd, ein richtiges lebendiges Pferd. Und wenn der große Bruder sich kopfschüttelnd das Holz betrachtet und zu dem kleinen Jungen sagt: „Das ist ja gar kein Pferd, sondern du bist ein Esel“, so ändert das nicht das Geringste daran. Und mit meiner Zeitungsnotiz war es ähnlich. Die anderen Leute dachten: Na ja, das ist eben eine Notiz von zwanzig Zeilen. Ich aber murmelte „Hokuspokus!“ und da war´s ein Buch.“1

So spricht sich Kästner ganz direkt dafür aus, dass es möglich ist, aus der kleinsten Idee kombiniert mit der eigenen Phantasie, aus einer einzigen Notiz ein ganzes Buch zu erschaffen. Die Kunst eines erfolgreichen Autors besteht also darin, dass aus einer solch grundlegend einfachen Idee ein ganzes Werk entstehen kann.

Manche dieser auf diese Weise entstandenen Werke sind in ihrem Stoff so beeindruckend und einflussreich, dass sie im Laufe der Zeit nicht nur einmal verwirklicht werden, sondern immer wieder auf verschiedenste Arten (neu) aufgegriffen oder abgewandelt werden, indem sie beispielsweise in mehreren unterschiedlichen Medien eine neue Umsetzung erfahren. Viele Romane bilden auch heutzutage noch Vorbilder für später entstehende Filme, Hörbücher, Theaterstücke oder sogar Opern.

Kästner selbst konnte wahrscheinlich nicht ahnen, wie erfolgreich und bedeutend sein Kinderroman „Pünktchen und Anton“ sein würde. Jedoch ist genau dieses Werk ein Beispiel dafür, dass eine (minimale) Idee Kästners Vorlage für mindestens zwei weitere mediale Adaptionen war. Auf der Basis des Originalromans entstanden ein Film und eine Kinderoper, (später sogar noch ein zweiter Film).

In der nun folgenden Ausarbeitung soll mit Hilfe einer transmedialen Erzählana- lyse dargestellt werden, mit welchen spezifischen erzähltechnischen Mitteln die einzel- nen Adaptionen von Kästners Kinderroman umgesetzt wurden und welche Ähnlichkei- ten/Unterschiede in den drei Medien existieren. Daran anschließend sollen die dialogi- schen Realisierungen des Romans, des Films und der Kinderoper auf sprachliche Beson- derheiten, sowohl quantitativ, als auch qualitativ überprüft werden, um so Aufschluss über bestimmte (dialogische) Charakteristika der einzelnen medialen Adaptionen zu ge- ben.

2. PÜNKTCHEN UND ANTON

Nachfolgend soll ein Teil des ersten Kapitels bzw. der Einstieg in den Film/die Oper nä- her untersucht werden. Dort geht es in allen drei Medien inhaltlich grob um Folgendes: Die allgemeinen Umstände der Familie Pogge werden dargestellt, indem ihre so-ziale und wohnliche Situation gezeigt werden. Herr Pogge kommt, wie jeden Mittag, nach Hause und möchte gemeinsam mit seiner Familie und dem Kinderfräulein zu Mittag es-sen. Das Mittagessen ist schon bereit und wartet nur noch darauf, serviert zu werden. Bevor jedoch gegessen wird, passieren einige Dinge im Hause Pogge. Herr Di-rektor Pogge versucht mit dem Kinderfräulein über das Befinden seiner Tochter zu spre-chen, Pünktchen verkleidet sich und kommt mit ihrer Verkleidung ins Esszimmer und es wird entschieden, dass ohne Frau Pogge zu Mittag gegessen wird.

Schon in diesem Abschnitt können einige Abweichungen und Unterschiede zum Original, dem Roman, festgestellt werden. Welche Punkte genau abgewandelt, oder komplett verändert wurden, soll im Folgenden in den Teilkapiteln herausgearbeitet werden. Auf die allgemeinen Inhalte wird nicht mehr genauer eingegangen.

2.1. DER ROMAN

Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich auf die Textgrundlage Pünktchen und Anton von Erich Kästner. Alle Informationen sind dem ersten Kapitel „Pünktchen spielt Theater“ entnommen.2

2.1.1. ANALYSE DES DISCOURS (WIE-SEITE DER ERZÄHLUNG) Zeit:

3 Im vorliegenden Kapitel setzt die Erzählung in medias res ein, das Geschehen wird wei- testgehend chronologisch erzählt, allerdings mit einigen kleinen Analepsen, z.B. das Er- wähnen des früheren Kindermädchens und den schon früher geäußerten Ansichten Bertas über Frau Pogge, versetzt. Die Erzählung ist zeitdeckend, hat fast schon einen szenischen Charakter. Aus diesen Gründen decken sich die Begriffe Erzählzeit und erzählte Zeit fast komplett. Es wird hier ein zeitlicher Abschnitt von nur einigen Minuten behandelt. Es gibt eine erzählerische Pause, in der einige (Haupt-)Figuren und die Wohnsituation der Familie näher beschrieben wird, die Handlung jedoch währenddessen komplett stillsteht und eine „schildernde“ Pause, in der der Erzähler dem Leser ganz detailliert die Verklei- dung Pünktchens beschreibt. Insgesamt herrscht eine singulative Erzählung vor, die je- doch einige repetitive Elemente enthält, wie beispielsweise das Mittagsgericht, Frau Pog- ges verspätetes Nachhausekommen und Herrn Pogges Tabletteneinnahme.4

Modus5:

Im gesamten Textabschnitt sind trotz eines sehr hohen Anteils an Figurenrede, die den dramatischen Modus des Romans verstärken, auch viele Erzählerberichte zu finden. In diesen wird der Leser über Details informiert, die er sonst nicht aus den Dialogen und der Erzählung allein gewinnen könnte. Die Fokalisierung kann als Nullfokalisierung einge- ordnet werden, da der Erzähler nicht nur eine äußere Mitsicht, sondern auch eine Innen- sicht über die Figuren, ihre Emotionen und Gedanken hat. An einigen Stellen könnte man sich allerdings auch für eine externe Fokalisierung entscheiden, da es immer wieder Ab- schnitte gibt, an denen einzig und allein Äußerlichkeiten beschrieben werden. Zusam- menfassend ist also zu sagen, dass hier keine Reinform der Fokalisierung zu finden ist, sondern eine Mischung zwischen Extern- und Nullfokalisierung, wobei die Übersicht den weitaus größeren Anteil einnimmt.

Stimme6:

Im untersuchten Textabschnitt ist der Zeitpunkt des Erzählens ein eindeutig gleichzeitiges Erzählen, der von einer extradiegetischen Erzählebene aus gestaltet wird. Da das Gesche- hen in der 3. Person geschildert wird und der Erzähler selbst keine Figur der erzählten Welt ist, handelt es sich hier außerdem um einen heterodiegetischen Erzähler. In nur we- nigen Ausnahmefällen wird der Leser direkt vom Erzähler angesprochen, beispielsweise als er Frau Pogge näher charakterisiert.7 Diese direkten Ansprachen treten in den meisten Fällen dann auf, wenn der Erzähler den Rezipienten durch seinen Kommentar, oder seine Meinungsäußerungen in eine bestimmte Denkrichtung, meist bezüglich der Charaktereigenschaften einer Figur, beeinflussen möchte. Eine große Sonderstellung in diesem Bereich nehmen die Nachdenkereien ein, die hinter jedem Kapitel angefügt wurden und gezielt an den Leser adressiert sind.

2.1.2. ANALYSE DER HISTOIRE (WAS-SEITE DER ERZÄHLUNG) Erzählte Welt:

8 Die Erzählung ist homogen und hier in diesem Kapitel uniregional, d.h. der dargestellte Schauplatz beschränkt sich auf einen einzugrenzenden Bereich, nämlich das Haus der Familie Pogge. Es wird eine stabile Welt dargestellt, die natürlich, also rein physikalisch bzw. hier sogar wirklich real möglich ist.

Figuren9:

In dem gewählten Textabschnitt finden sich schon fast alle Haupt- und Nebenfiguren der Erzählung, die für das Geschehen von Bedeutung sind. Die einzigen Figuren, die noch nicht einmal genannt werden, sind Anton und seine Mutter. Ansonsten werden die Figu- ren Pünktchen/Luise, Piefke (Pünktchens Dackel), Herr und Frau Pogge (Pünktchens El- tern), Berta (Dienstmädchen/Köchin), Fräulein Andacht (Kinderfräulein) und Herr Hol- lack (Schofför) vorgestellt und auch in ihren (Handlungs-)Typen charakterisiert. Mehr über die Typisierung der einzelnen Figuren, besonders in Bezug auf Sprachliches, ist im Kapitel 3 zu lesen.

Handlung10:

In der gesamten Erzählung, sowie in diesem speziellen Abschnitt, geht es um die Haupt- figur Pünktchen und ihr Leben. Im Besonderen handelt dieser, wie oben ausführlicher beschrieben wurde, von den Geschehnissen und Begebenheiten der Familie Pogge, die von einem außenstehenden Erzähler geschildert oder durch szenischen Handeln der ein- zelnen Figuren dargestellt werden.

Motive:

Schon in diesem ersten kurzen Abschnitt des Romans taucht das Motiv des Gegensatz- paares Armut - Reichtum auf. Aber auch das Motiv der Familie und der daraus folgenden (damaligen) Rollenverteilung der einzelnen Familienmitglieder ist klar erkennbar.

2.1.3. AUFFÄLLIGKEITEN DES INHALTS

Die folgenden genannten Geschehnisse sind deshalb so wichtig, weil sie später die Basis der vergleichenden Analyse der drei Medien bilden sollen:

Die Erzählung des gewählten Teilabschnitts beginnt damit, dass Herr Direktor Pogge nach Hause kommt und seine Tochter Pünktchen dabei unerwartet beobachtet, wie sie im Wohnzimmer des Hauses eine Bettelszene schauspielert. Ein weiterer wichtiger Moment ist das Ende dieser Szene, in dem Frau Pogge nach Hause kommt und sowohl ihren Mann, als auch die restlichen Anwesenden mit Fragen, kritischen Aussagen und terminlichen Verpflichtungen (des Ehepaares) konfrontiert. Anschließend zeigt der Vater noch etwas Mitgefühl und Verantwortung für seine Tochter (sorgt sich um den Wackelzahn), bevor er dann jedoch schon wieder Richtung Firma aufbrechen muss.

2.2. DER FILM

Alle im Folgenden dargestellten Inhalte stehen in direktem Bezug zum Drehbuchtext des Sequenzprotokolls in Anhang 1 und der betreffenden filmischen Sequenz der DVD.11 Um für das Medium Film eine entsprechende Analyse erstellen zu können, müs-sen die oben angeführten erzähltechnischen Kategorien entsprechend abgewandelt, dass sie auf das Medium Film angewandt werden können. „Es geht dabei in erster Linie um die Seite der Darstellung oder - narratologisch betrachtet - um die Ebene des discours [...], weshalb man auch von einer Discours -Narratologie sprechen kann.“12

2.2.1. ANALYSE DES DISCOURS

Zeit:

Auch in der filmischen Adaption des ausgewählten Abschnitts wird die Handlung in chronologischer Reihenfolge dargestellt, was es auch den jüngeren Rezipienten des Films erleichtert der Handlung folgen zu können. Jedoch sind die einzelnen Handlungssequenzen etwas anders angeordnet als im Roman. Auch der Film setzt dabei in medias res ein. Die Dauer ist zeitdeckend, da durch das Medium Film ein szenisches und somit „realzeitliches“ Handeln Voraussetzung ist. Dem Erzähltext gleich, liegt ein singulatives Erzählverhalten vor, da in der betreffenden Sequenz ein Ereignis an das Nächste gereiht wird und somit die Handlung vorangetrieben wird.

Modus:

Im Film herrscht die Unmittelbarkeit und damit verbunden der dramatische Modus vor, denn alles was in der Handlung geschieht, wird direkt und (audio-)visuell dem Rezipien- ten vorgeführt. „Der narrative Film kann nicht-sprachliche Ereignisse abbilden bzw. vor- führen und unterscheidet sich damit eklatant von der Erzählliteratur, die Nichtsprachli- ches immer in Sprache transponieren muss.“13 Erzählerberichte entfallen, da die Hand- lung durch die darstellenden Figuren und ihren Dialogen, in Kombination mit den Requi- siten im Film dargestellt wird.

Der Aspekt der Fokalisierung kann als extern fokalisiert bestimmt werden, da die Kamera dem Zuschauenden zwar immer ermöglicht im jeweiligen Handlungsraum an- wesend und als „Beobachter“ tätig zu sein, jedoch nie eine innere Perspektive verwendet. Man könnte stattdessen auch damit argumentieren, dass die filmische Umsetzung intern fokalisiert ist, indem das Wissen und die Wahrnehmung einer Figur übereinstimmen und damit ungefähr das aufzeigen, was diese bereits weiß und gleichzeitig wahrnehmen kann.14 Jedoch ist es durchaus üblich, dass in einzelnen Filmsequenzen zwischen interner und externer Fokalisierung gewechselt wird. Die Aspekte der Nullfokalisierung im Ro- man, die eine gewisse Innensicht beinhalten, werden im Film durch Mimik, Gestik und Handlungsfortgang dargestellt, jedoch nicht explizit als Kameraperspektive.

Ein weiteres Mittel, das im Film zur Vermittlung der Distanz zwischen dem Zu- schauenden und dem dargestellten Objekt benutzt wird, ist die differenzierte Verwendung von Einstellungsgrößen, die jedoch in ihrer Funktion immer in Verbindung mit der vor- liegenden Fokalisierung gebracht werden muss.15

Stimme:

Der Zeitpunkt des Erzählens ist, genau wie im Buch, gleichzeitiges Erzählen. Wichtig ist, zu erkennen, dass es im Film, auch wenn nicht immer eine sprachlich vermittelnde Instanz greifbar ist, eine narrative Vermittlungsinstanz, beispielsweise durch visuell Erkennbares, wie im Punkt Modus schon angedeutet wurde, gibt. So ist es bedeutend, dass die im Roman eindeutig vorliegende Erzählinstanz, im Film durch das Zusammenwirken der Kameraführung, den damit verbundenen Montagen, den visuell sichtbar handelnden Figuren und ihren auditiv wahrnehmbaren Dialogen gestaltet wird.16

Im vorliegenden Filmabschnitt kann außerdem festgestellt werden, dass alles, was visuell im Bild gezeigt wird, mit den dazu passenden auditiven Elementen ergänzt wird und umgekehrt. Visuelles und Auditives stehen sozusagen auf einer Ebene und unterstützen sich gegenseitig. Trotzdem gibt es bei näherer Analyse zwei diegetische Ebenen, in denen erzählt wird, eine extradiegetische und eine intradiegetische Ebene.

Auf extradiegetische Ebene ist beispielsweise das für sich sprechende Schild, das Herr Pogge am Eingang des Hauses findet („Piefkes Baum“), als erzählendes Mittel eingesetzt wird. Jegliche sprachliche, also dialogisch angelegte Erzählinstanzen, müssen als intradiegetische Ebene und sozusagen als mehrere zusammenwirkende sprachliche Erzählinstanzen eingeordnet werden.17

2.2.2. ANALYSE DER HISTOIRE Erzählte Welt:

Auch die im Film gezeigte Welt ist homogen und stabil. Außerdem entspricht diese Welt einer realen Welt, die der Welt des Filmrezipienten weitestgehend gleicht bzw. gleichen soll. Durch diesen Realitätsanspruch ist es für den Zuschauer sehr einfach, sich mit der Erzählung und den Gegebenheiten des Films zu identifizieren.

Figuren, Handlung, Motive:

Im Filmausschnitt werden die gleichen Haupt- und Nebenfiguren, annähernd die gleiche Handlung und dieselben Motive aufgezeigt, wie sie auch im betreffenden Abschnitt des Romans zu finden sind (vgl. 2.1.2.).

2.2.3. AUFFÄLLIGKEITEN DES INHALTS

Die unter 2.1.3. genannten Inhalte bilden nun teilweise die Besonderheiten des Filmaus- schnitts.

Die Filmsequenz beginnt zwar ebenfalls damit, dass Herr Pogge mittags nach Hause kommt, jedoch ist die daraufhin folgende Handlungschronologie anders als im Buch.

Im Roman kommt der Vater nach Hause und findet seine Tochter im Wohnzimmer vor.18 Im Film trifft Herr Pogge zu Hause ein, unterhält sich zunächst mit der Haushälterin/Kö- chin Berta und erst dann kommt Pünktchen von der Schule nach Hause. In Empfang ge- nommen wird sie vom Kinderfräulein, das dann vor Pünktchen in Richtung Esszimmer geht und sich kurz mit Herrn Direktor Pogge über seine Tochter unterhält (ähnlich wie im Roman). Die anschließende „Verkleidungssequenz“ ist ähnlich gestaltet wie im Ori- ginal, mit dem Unterschied, dass Pünktchen nicht nach den Fahrscheinen fragt, sondern die Werbesprüche der Firma ihres Vaters zitiert.19 Der nächste Unterschied der Chrono- logie zwischen Roman und Film sind die daran anschließenden zwei Sequenzen. Im Er- zähltext wird zunächst gegessen, anschließend trifft Frau Pogge ein. Danach kümmert sich Herr Pogge um seine Tochter bzw. fängt mit ihre ein Gespräch an.20 Im Film schließt sich das Vater-Tochter-Gespräch an die Verkleidungssequenz an und erst im Anschluss daran wird gegessen.21 Hier fand also im Vergleich zur filmischen Adaption eine Vertau- schung der einzelnen Handlungssequenzen statt. Interessant jedoch ist, dass trotz dieser Abwandlung in beiden Medien die jeweils gezeigte, oder beschriebene Handlung absolut chronologisch abläuft. Komplett ausgespart wurde in der filmischen Adaption die „Zwil- lings-Unterhaltung“.

Trotz der Abwandlung in ein neues Medium, wurden einige Textpassagen fast wortwörtlich aus der Vorlage - dem Roman von Kästner - übernommen, z.B. „Iwo, den [Zahn] reiß ich mir gelegentlich mal raus“.22 Die Parallelstelle im Buch unterscheidet sich nur in der Einleitungsfloskel des Satzes vom Film („ach wo“, anstatt „iwo“).23

2.3. DIE KINDEROPER

2.3.1. ANALYSE DES D ISCOURS Zeit:

Die chronologische Reihenfolge des Erzählten wird auch in der Oper beibehalten, weil dies speziell für Kinder komponiert wurde und die Anwesenden sonst Probleme mit dem Verständnis des behandelten Stoffes hätten. In der dargestellten Szene, die in medias res beginnt, liegt zumeist eine zeitdeckende Erzählgeschwindigkeit vor, da - ähnlich wie im Film - die szenische Darstellung die Dauer beeinflusst. Es gibt allerdings zwei Ausnah- men, an denen das Geschehen in einer (stark) zeitdehnenden Form realisiert wurde. Diese Zeitdehnungen wurden in den Abschnitten von Pünktchens Bettel-Schauspiel und dem ausführlichen Darstellen des (bevorstehenden) Mittagessens vorgenommen.24 Diese Deh- nung kann in Bezug auf die Operntradition erklärt werden, da es in einer Oper, in der immer wieder auch gesprochene Dialoge realisiert sind, üblich ist, an wichtigen und für den weiteren Fortgang des Geschehens entscheidenden Stellen, musikalische Nummern einzufügen.25 Die Erzählfrequenz entspricht der des singulativen Erzählens, jedoch muss man auch hier beachten, dass die Oper eine Sonderform ist und wiederkehrende Wort- wiederholungen nicht als repetitives Erzählen gewertet, sondern als gattungsspezifisches Merkmal vermerkt werden müssen.

Modus:

Auch in der Oper sind Unmittelbarkeit und dramatischer Modus einer Erzählung reali- siert, da wie im Film das Gezeigte unmittelbar vor den Zuschauern realisiert ist. Erzähl- handlungen in Form eines Erzählers, oder Erzählerberichte sind hier nicht zu finden, da das Geschehen von den Figuren, den benutzten Requisiten und ihren sprachlichen/gesun- genen Äußerungen für die anwesenden Rezipienten verständlich dargestellt wird. Jedoch bilden nicht nur die handelnden Figuren eine Art der Erzählinstanz, sondern auch die Musik spielt eine bedeutende Rolle. Selbst wenn auf der Bühne in bestimmten Momenten nicht gesprochen, oder gesungen wird, wird das Musikalische zur Erzählinstanz, die be- stimmte Stimmungen erzeugt, oder im Zuhörer schon gewisse Vorahnungen hervorrufen kann.26

Bezieht man in Bezug auf die Oper den Fokalisierungsaspekt mit ein, so kann, wiederum ähnlich wie in der filmischen Adaption, eine externe Fokalisierung bestimmt werden. Denn im Medium Oper ist eine klare Rezipientensituation gegeben, da die Zu- schauer nur das wahrnehmen können, was auch explizit auf der Bühne realisiert wird. Interne/emotionale Aspekte der einzelnen Figuren können jedoch trotzdem durch Mimik, Gestik und durch die im Hintergrund begleitende Musik dargestellt werden. Häufig wird in der Oper die musikalische Komponente dazu verwendet, um affektiv das emotionale, vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbare, Gefühlsleben der gerade handelnden Fi- gur darzustellen. Diese gesungene Komponente der Oper wird meist mit Requisiten an- gereichert, die das Gesungene sozusagen als Verständnishilfe unterstützen sollen.

Stimme:

Gleichzeitiges Erzählen ist ebenso im Medium Oper zu finden. Diese Gleichzeitigkeit verstärkt die Unmittelbarkeit des Geschehens, die schon im Modus näher bestimmt wurde.

Ähnlich wie im Film, gibt es auch hier zwei Erzählebenen. Die extradiegetische Ebene, also die Rahmenhandlung, wird durch das Auftreten Pünktchens noch vor ge- schlossenem Vorhang eingeleitet. Durch den noch nicht geöffneten Vorhang, hinter dem einige Requisiten hervorgeholt werden und damit die Existenz einer Welt hinter dem Vorhang verdeutlicht wird, wird dem Zuschauer klargemacht, dass es hinter dem Vorhang weitergeht, man jedoch als Zuschauer noch nicht genau weiß wie. Erst als Herr Pogge hinter einer Art Spiegel erkennbar wird, deutet sich auch die eigentliche „Handlungswelt“ an. Beim Beginn des Dialogs zwischen Herrn Pogge und seiner Tochter öffnet sich sowohl der Spiegel als auch der Vorhang - der bislang unbekannte Handlungsraum wird sichtbar. Dies könnte als eine intradiegetische Ebene gesehen werden, die eine Art tieferes Eintauchen in die Extradiegese erlaubt.

Einen expliziten Erzähler gibt es hier, wie oben schon erklärt wurde, nicht. Statt- dessen übernehmen der Handlungsraum, die Figuren, ihre Requisiten und die Dialoge, gekoppelt mit der realisierten Musik, gemeinsam die Aufgabe einer Erzählinstanz.

2.3.2. ANALYSE DER HISTOIRE

Erzählte Welt:

Die in der Oper realisierte Welt ist homogen und stabil. Trotzdem liegt hier eine besondere Realisierung der erzählten Welt vor, da wir uns auf einer Opernbühne befinden. D.h. die äußere Räumlichkeit kann also nicht wie im Roman oder Film gewechselt werden, sondern befindet sich immer am selben Ort. Allerdings wird hier mit dem Einsatz von unterschiedlichen Bühnen- und Hintergrundbildern gearbeitet, um dem Zuschauer die Vorstellung von verschiedenen Schauplätzen zu ermöglichen.

Figuren, Handlung, Motive:

Auch in der Opernszene werden die gleichen Haupt- und Nebenfiguren, annähernd die gleiche Handlung und dieselben Motive aufgezeigt, wie im betreffenden Abschnitt des Romans. Allerdings gibt es zwei figurenbezogene Ausnahmen.

In der Opernrealisierung existieren die beiden Figuren Herr Hollack (der Schofför) und Piefke (Hund der Familie) nicht. Sie wurden bei der Umsetzung komplett ausgespart, da sie das Geschehen der Oper nicht direkt beeinflussen würden und außerdem eine zusätzliche Hürde in der Darstellung mit sich bringen würden.

2.3.3. AUFFÄLLIGKEITEN DES INHALTS

Die Handlung der Oper startet identisch mit der „Originalhandlung“ des Romans, aller- dings ist hier noch nicht klar, dass sich Pünktchen mit ihrem Bettelschauspiel im Wohn- zimmer der Familie Pogge befindet, da die Bettelszene komplett vor verschlossenem Vor- hang gespielt wird.

Eine Besonderheit der Inszenierung zeigt sich jedoch schon hier, weil es in der Mitte der Bühne zwischen den beiden Vorhängen eine kleine Spiegelwand gibt, die z.B. Pünktchens Gesicht, und damit auch vor allem ihre Mimik zeigt, wenn sie von den Zu- schauern abgewandt singt. Diese Spiegelwand wird gegen Ende von Pünktchens Bettel- lied durchsichtig und man sieht nun sowohl Herrn Pogge dahinterstehen, als auch schon einzelne Ausschnitte des Wohnzimmers. Der daran anschließende Handlungsfortgang entspricht genau dem des Romans, jedoch hat wiederum eine Vertauschung in der Chro- nologie stattgefunden. Im Buch trifft Frau Pogge erst kurz vor Ende des Kapitels zu Hause ein, nachdem schon gegessen wurde, Pünktchen sich verkleidet hatte und das Vater-Toch- ter-Gespräch bezüglich der Schule stattgefunden hat.27 In der Oper allerdings, trifft Frau Pogge nach dem Gespräch zwischen Herrn Pogge und Fräulein Andacht ein, jedoch noch bevor sich Pünktchen verkleidet und der Vater seine Tochter über die Schule ausfragt.

Auffällig ist auch, wenn man das Original Kästners kennt, dass einige Figuren komplett ausgelassen wurden, vgl. 2.3.2. (Handlungen, Motive, Figuren).28 Werden die beiden Sprechakte des Romans und der Oper miteinander verglichen, so stellt man fest, dass einige Passagen fast wortwörtlich aus dem Buch entnommen wurden, z.B. in Pünktchens Bettellied („Mutter ist völlig erblindet, und ich bin noch zu klein,...)29 im Vergleich zum Schauspiel aus dem Roman („Mutter ist völlig erblindet und noch so jung.“).30

Interessant ist auch, dass man hier erneut, wieder näher am Roman angelehnt, auch die „Zwillings-Unterhaltung“, die im Film komplett weggelassen wurde, realisiert hat.

[...]


1 Kästner, Erich: Pünktchen und Anton. Ein Roman für Kinder. 133. Auflage, Hamburg 2015, S. 8.

2 Vgl. ebd.: S. 11 - 20.

3 Vgl. Martínez, Matías/Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9., erweiterte und aktualisierte Auflage, München 2012, S. 32 - 49.

4 Vgl. Kästner: Pünktchen und Anton, S. 14, 17 - 19.

5 Vgl. Martínez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, S. 49 - 70.

6 Vgl. ebd.: S. 70 - 92.

7 Vgl. Kästner: Pünktchen und Anton, S. 18.

8 Vgl. Martínez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, S. 132 - 144.

9 Vgl. ebd.: S. 144 - 150.

10 Vgl. ebd.: S. 111 - 132.

11 Vgl. Anhang 1 und DVD „Pünktchen und Anton“.

12 Kuhn, Markus: Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin/New York 2011, S. 7.

13 Ebd.: S. 185.

14 Vgl. ebd.: S. 140 f.

15 Vgl. ebd.: S. 185 ff.

16 Vgl. ebd.: S. 55 f.

17 Vgl. ebd.: S. 95 ff.

18 Vgl. Kästner: Pünktchen und Anton, S. 11.

19 Vgl. Anhang 1, Einstellungsnr. 12+13.

20 Vgl. Kästner: Pünktchen und Anton, S.18 ff.

21 Vgl. Anhang 1, Einstellungsnr. 14 - 16.

22 Anhang 5 (Äußerung Pünktchens über Wackelzahn).

23 Kästner: Pünktchen und Anton, S. 20.

24 Vgl. Anhang 2 und Anhang 3.

25 Vgl. Blume, Friedrich (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Band 10: Oper - Rappresentazione, Kassel/Basel/London/New York 1962, Sp. 1.

26 In Bezug auf die filmische Fassung der Kinderoper, könnte man auch noch von einer weiteren objektiven Erzählinstanz sprechen, würde man die Kamera- und Zoomeinstellungen der aufgenommenen DVD miteinbeziehen. Diese Instanz zeigt durch ihre technischen Mittel dem Filmrezipienten oft genau die Details, die der Opernzuschauer durch seine Anwesenheit und Nähe zum Geschehen sehen kann.

27 Vgl. Kästner: Pünktchen und Anton, S. 15-20.

28 Vgl. Anhang 6.

29 Anhang 3.

30 Kästner: Pünktchen und Anton, S. 11.

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Transmediale Erzählanalyse von Erich Kästners "Pünktchen und Anton". Kinderroman, Verfilmung und Kinderoper
Untertitel
Unter besonderer Berücksichtigung der Dialogizität der einzelnen Adaptionen
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Transmediale Erzählanalyse
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
51
Katalognummer
V341583
ISBN (eBook)
9783668313354
ISBN (Buch)
9783668313361
Dateigröße
731 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
transmediale, erzählanalyse, erich, kästners, pünktchen, anton, kinderroman, verfilmung, kinderoper, unter, berücksichtigung, dialogizität, adaptionen
Arbeit zitieren
Sarah-Maria Bader (Autor:in), 2016, Transmediale Erzählanalyse von Erich Kästners "Pünktchen und Anton". Kinderroman, Verfilmung und Kinderoper, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341583

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