Eine vergleichende Betrachtung der Brüder Buddenbrook und der Verfall der Familie. „Die Ehre, der Kränkere zu sein“


Hausarbeit, 2011

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Charakterisierung Thomas und Christian Buddenbrooks
2.1 Thomas Buddenbrook- ein erfolgreicher Kaufmann?
2.2. Christian Buddenbrook- der arbeitsscheue Hypochonder

3. Betrachtung des brüderlichen Verhältnisses

4. Gegenüberstellung der Charaktere Thomas und Christian Buddenbrooks
4.1. Das Leben als ein Schauspiel
4.2. Thomas’ und Christians Krankheiten und die Entwicklung des Verfalls

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„[V]erständige[ ] Munterkeit“ gegen „alberne[ ] Komik“[1]: Auf den ersten Blick scheinen die Brüder Thomas und Christian Buddenbrook völlig gegensätzliche Charaktere darzustellen, nach und nach treten jedoch auch Gemeinsamkeiten der beiden Figuren auf. Sie erscheinen zunehmend als Repräsentanten einer Gegebenheit: des Verfalls der Kaufmannsfamilie. Die Brüder weisen vielfältige Symptome eines Krankheitsbildes auf, das in beiden Fällen auf unterschiedliche Weise zur Lebensuntauglichkeit und letztendlich zum Scheitern führt.

Die Darstellung von scheiternden Figuren ist im Frühwerk von Thomas Mann durchaus häufig anzutreffen. Sein Roman „Buddenbrooks“ inszeniert zwei Neurotiker in einer humoristisch- ironischen Darstellungsweise, wobei dies in einer distanzierten Form geschieht.

Ich möchte in der vorliegenden Hausarbeit zeigen, wie es dem Autor gelingt, den Verfall der Kaufmannsfamilie Buddenbrook mit den beiden jeweils auf ihre Weise ,entarteten Lebensformen’ Thomas und Christian darzustellen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Entwicklung ihrer „als Kennzeichen einer vorhandenen Neurasthenie gewertet[en]“[2] Krankheitssymptome und die vom Autor beschriebene fortschreitende Degeneration ihrer Persönlichkeit. Ich habe es für notwendig erachtet, beide Charaktere zunächst kurz vorzustellen und ihre Entwicklung im Romanverlauf zu schildern, um daran anschließend ihr Verhältnis zueinander zu beschreiben. Zusammenfassend möchte ich beide Figuren im Hinblick auf ihr Auftreten und die Entwicklung ihrer Krankheiten im Romanverlauf vergleichend gegenüberstellen, um so noch einmal ihren eigenen Verfall und damit ihren Beitrag zum Verfall der gesamten Familie zu verdeutlichen.

2. Charakterisierung Thomas und Christian Buddenbrooks

2.1 Thomas Buddenbrook- ein erfolgreicher Kaufmann?

Thomas scheint die positiven Eigenschaften der Buddenbrookschen Familie in sich zu vereinen. Er wird in das Romangeschehen eingeführt, indem ihn der die Familie besuchende Dichter Hoffstede in folgender Weise beschreibt: „Thomas, das ist ein solider und ernster Kopf; er muss Kaufmann werden, darüber besteht kein Zweifel.“[3] Auch das Äußere des jungen Thomas wird durch den Erzähler beschrieben: „Seine Zähne waren nicht besonders schön, sondern klein und gelblich. Aber [ ] er ähnelte in den Augen und in der Gesichtsform stark seinem Großvater.“[4] Diese Familienähnlichkeit lässt sich als ein „deutlicher Hinweis darauf [deuten], dass von den beiden Brüdern Thomas der rechte ist, der eigentliche Nachfolger in der Linie der Väter und Söhne und der, der das Familienvorbild [ ] am reinsten bewahrt und verkörpert“.[5]

Dass seine eher mangelhaften Zähne bereits an dieser Stelle und auch im weiteren Romanverlauf immer wieder erwähnt werden, deutet auf den leitmotivischen Charakter dieser hin.

Seiner augenscheinlichen Vorbestimmung folgend, ergreift Thomas dann auch den Kaufmannsberuf. Doch das zunächst positiv erscheinende Bild eines „künftigen erfolgreichen Prinzipal[s] der angesehenen Firma“[6], der selbst seine Liebe aus Familien- und Firmeninteressen aufgibt und die vornehme, aber kühle Gerda Arnoldsen heiratet, wird schon bei der Übernahme der Geschäfte nach dem Tod des Vaters getrübt: Thomas legt zwar „in Miene und Haltung ein ernstes Würdegefühl an den Tag“[7] aber bei der Beschreibung seines Äußeren „fällt [ ] die Häufung der Begriffe bleich, weiß, frostige Blässe, bläuliche Färbung auf, die alle nicht gerade als Kennzeichen einer robusten Konstitution anzusehen sind.“[8]

Diese sich schon andeutende „Widersprüchlichkeit seiner Konstitution und seines Verhaltens“[9] wird im Fortgang der Erzählung immer deutlicher. Thomas’ äußere Fassade aus „Pflichtbewußtsein, Selbstdisziplin und Erfolgsstreben“[10] steht seiner konstitutionell beeinträchtigten körperlichen Verfassung gegenüber, ohne dass eine Krankheit fixierbar wäre. Es ist von „Thomas’ angestrengte[r] Thätigkeit, de[m] Zustand seiner Nerven“[11] die Rede, häufig wird er als „ein wenig abgespannt und überhäuft“[12] beschrieben.

Er erlaubt es sich jedoch nicht, Schwäche zu zeigen und verwendet sehr viel Energie in „seinem Bemühen um die Aufrechterhaltung einer perfekten Fassade“.[13] Thomas’ Gesicht ähnelt, sobald er sich in Gesellschaft befindet, einer Maske, die „beinahe von selbst infolge eines ganz kurzen Willensaktes über sein Gesicht geglitten war.“[14] Sein Bemühen um sein äußeres Erscheinungsbild steigert sich zur Manie, der Schein eines erfolgreichen, pflichtbewussten Kaufmannes, der sich auch von seiner Frau Gerda und seinem Sohn Hanno zunehmend entfremdet, wird nur noch mit großer Mühe aufrechterhalten und seine Kraft nimmt immer mehr ab. Als er mit der Natur spekuliert und „die Pöppenrader Ernte auf dem Halme“[15] kauft, diese aber durch einen Hagelsturm vernichtet wird, ist dies ein weiterer herber Schlag für den Chef der Firma Buddenbrook. Sein Versuch, die Natur beherrschen zu wollen, dient „als Metapher für Thomas Buddenbrooks Umgang mit seinem eigenen konstitutionellen Zustand“[16], denn er „handelt mit Dingen, die er gar nicht besitzt“[17]: weder das Getreide noch körpereigene Kraftreserven kann er sein eigen nennen.

„[D]ie Darstellung von [Thomas Buddenbrooks] finale[m] Zusammenbruch [ist] von hohem symbolischen Aussagewert“[18]: Sein Tod an einem kariösen Zahn kann sowohl auf seinen eigenen verfallenen Körper als auch auf die Morbidität der gesamten Firma bezogen werden.

2.2. Christian Buddenbrook- der arbeitsscheue Hypochonder

Christian, der äußerlich dem Vater sehr ähnlich ist, scheint auch charakterlich das klare Pendant zu seinem Bruder zu sein: für den Dichter Hoffstede ist er „ein wenig Tausendsassa“ [,] „ein wenig Incroyable“[19]. Er versteht es, die Familie zu unterhalten, indem er seinen Lehrer „witzig und brilliant“[20] imitiert. Neben dieser Begabung werden Christian jedoch auch „mangelnde Ernsthaftigkeit und Ausdauer, stattdessen allzu große Vorliebe für das Theater“[21] zugeschrieben. Er „[erscheint] launenhaft [und] neigt [ ] zu einer albernen Komik“.[22] Dieses unstete Wesen zeigt sich ebenfalls in seiner Einstellung zur Arbeit, denn obwohl er eine kaufmännische Ausbildung macht und ins Geschäft eintritt, sind ihm Fleiß und Pflichtgefühl fremd. Die Firma interessiert ihn nur am Rande, vielmehr beschäftigen ihn Äußerlichkeiten wie etwa seine zufriedenen Hände.[23] Er hält sich mit Vorliebe im „Klub [auf], dem vorwiegend unverheiratete Kaufleute angehör[ ]en“[24] und fühlt sich am wohlsten in der Gesellschaft der Suitiers, „denn kein Zweifel: Christian Buddenbrook [ist] ein ,Suitier’.“[25]

Sein Wesen ist durch eine übersteigerte Einbildungskraft gekennzeichnet: Als er sich allein in die Vorstellung, einen Pfirsichkern verschlucken zu können, extrem hineinsteigert, erschreckt er damit seine ganze Familie. Dieses Verhalten ist kennzeichnend für seine gesamte weitere Entwicklung, denn „[ ] er [richtet] seine ganze Fantasie und Beobachtungsgabe auf Symptome des Anormalen und Kranken, vor allem bei sich selbst.“[26] Seine hypochondrische Veranlagung lässt ihn ständig über die verschiedensten Krankheiten klagen, es ist die Rede von einer „unbestimmte[n] Qual in Christians linke[n] Beine“[27] und von zu kurzen Nerven an der ganzen linken Seite[28], ohne dass eines dieser Leiden medizinisch erklärbar wäre. Christians eingebildeten Krankheiten weisen auf starke moralische Defizite hin, seine extreme Egomanie und Ich- Bezogenheit, die aus einem übertriebenen Gefühlskult resultieren, tragen nicht nur zu seinem eigenen Verfall, sondern auch zum Verfall der gesamten Familie bei.

Der unglaubliche Drang, Geschichten zu erzählen, wird bei Christian immer ausgeprägter, jedoch ist dies mit einem abnehmenden Schamgefühl und zunehmender Taktlosigkeit verbunden. Seine Verhaltensauffälligkeiten steigern sich im Romanverlauf immer mehr, er neigt zunehmend zu Zwangshandlungen und Halluzinationen, so dass er „kein offenes Fenster sehen [kann], ohne von dem grässlichen und durch nichts gerechtfertigten Drange befallen zu werden, hinauszuspringen“.[29]

Die Schauspielerin Aline Puvogel, zu der sich Christian schon lange hingezogen gefühlt hat und die er nach dem Tod seiner Mutter gegen den Willen seines Bruders heiratet, weist ihn schließlich in eine Nervenheilanstalt ein und „[e]s war wenig Aussicht vorhanden, daß er je aus der Anstalt, in der er saß, wieder hervorgehen würde“.[30]

[...]


[1] Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Heinrich Detering , Eckhard Heftrich u.a. Bd. 1.1. Frankfurt: S. Fischer 2002. S.74.

[2] Max, Katrin: Niedergangsdiagnostik. Zur Funktion von Krankheitsmotiven in "Buddenbrooks". Frankfurt a.M.: Klostermann 2008 (=Thomas-Mann-Studien, 40). S.101. Neurasthenie: Nervenschwäche, psychische Störung mit Symptomen wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Motivationsschwäche, Handlungsunfähigkeit

[3] Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Heinrich Detering , Eckhard Heftrich u.a. Bd. 1.1. Frankfurt: S. Fischer 2002.. S.17

[4] Ebd. S.18.

[5] Koopmann, Helmut: Thomas Mann: Konstanten seines literarischen Werks. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1975. S.14.

[6] Müller, Fred: Thomas Mann, Buddenbrooks: Interpretation. 3.Auflage. München: Oldenbourg 1988. S.30.

[7] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 277.

[8] Müller, Fred: Thomas Mann, Buddenbrooks: Interpretation. 3.Auflage. München: Oldenbourg 1988. S.30.

[9] Vogt, Jochen: Thomas Mann: Buddenbrooks. 2.Auflage. München: Fink 1995. S.62.

[10] Ebd. S.62.

[11] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 342.

[12] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 360.

[13] Max, Katrin: Niedergangsdiagnostik. S.107.

[14] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 558.

[15] Ebd. S.517.

[16] Max, K.: Niedergangsdiagnostik. S.132.

[17] Ebd. S.132.

[18] Max, K.: Niedergangsdiagnostik. S.135.

[19] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 17.

[20] Ebd. S.17.

[21] Müller, Fred: Thomas Mann, Buddenbrooks: Interpretation. S. 37.

[22] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 74.

[23] Ebd. S. 295.

[24] Ebd. S. 297.

[25] Ebd. S. 298. Suitier: Hallodri, lustiger Kerl, Weiberheld

[26] Müller, Fred: Thomas Mann, Buddenbrooks: Interpretation. S.38.

[27] Mann, Thomas: Buddenbrooks. S. 342.

[28] Ebd. S.444.

[29] Ebd. S.731.

[30] Ebd. S.835.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Eine vergleichende Betrachtung der Brüder Buddenbrook und der Verfall der Familie. „Die Ehre, der Kränkere zu sein“
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar: Buddenbrooks
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
12
Katalognummer
V341453
ISBN (eBook)
9783668312548
ISBN (Buch)
9783668312555
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, betrachtung, brüder, buddenbrook, verfall, familie, ehre, kränkere
Arbeit zitieren
Kristin Rohbock (Autor:in), 2011, Eine vergleichende Betrachtung der Brüder Buddenbrook und der Verfall der Familie. „Die Ehre, der Kränkere zu sein“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341453

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