Männer in Pflegeberufen. Historische, geschlechtsspezifische und soziologische Zusammenhänge


Bachelorarbeit, 2012

43 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

1. Einführung

2. Der Männermangel in Zahlen
2.1 Allgäuer Daten
2.2 Bundesweite Daten
2.3 Zusammenfassung

3. Historie der Altenpflege
3.1 Die Altenpflege als Teil der Armenfürsorge
3.2 Historische Erklärungsansätze für den Männermangel
3.2.1 Konstruktion der Pflege als Frauenberuf
3.2.2 Entwicklung der Altenpflege als eigenständiger (Frauen-)Beruf
3.3 Zusammenfassung

4. Geschlechterforschung: Entwicklung und Erklärungsansätze
4.1 Geschlechtsspezifika
4.2 Geschlechterdifferenzen sind natürlich
4.3 Geschlechterdifferenzen sind sozialisiert
4.4 Geschlechterdifferenzen sind konstruiert
4.5 Geschlechtsspezifische Erklärungsansätze für den Männermangel
4.5.1 Doing gender im Berufswahlprozess
4.5.2 Geschlechtskonformität des Berufes
4.5.3 Erfüllung der Geschlechterrolle
4.5.4 Prestige der professionellen Altenpflege
4.6 Zusammenfassung

5. Männliche Sozialisation
5.1 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
5.2 Soziologische Erklärungsansätze für den Männermangel
5.3 Zusammenfassung

6. Männer im Kontext der beruflichen Altenpflege
6.1 Wege in die professionelle Pflege
6.2 Bedeutung von Geschlecht in der direkten Pflege
6.2.1 Männliche Pflegekräfte im Pflegeteam
6.2.2 Männliche Pflegekräfte und BewohnerInnen des Pflegeheims
6.3 Zusammenfassung
6.4 Bedeutung von Geschlecht in der indirekten Pflege
6.4.1 Doppelte Stigmatisierung
6.4.2 Distanzierung durch Spezialisierung und Aufstieg
6.4.3 Männer in Führungspositionen der stationären Altenpflege
6.4.4 Begünstigung des männlichen Aufstiegs
6.5 Zusammenfassung

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

Darstellung 1: SchülerInnen Berufsfachschulen Altenpflege im Schuljahr 2010/2011 (Allgäu)

Darstellung 2: Personal stationäre Altenpflege nach Berufsabschluss 2012 (Allgäu)

Darstellung 3: Personal ambulante Altenpflege nach Berufsabschluss 2012 (Allgäu)

Darstellung 4: SchülerInnen Berufsfachschule Altenpflege im Schuljahr 2011/

Darstellung 5: Personal stationäre Altenpflege nach Berufsabschluss am

Darstellung 6: Personal ambulante Altenpflege nach Berufsabschluss am

Darstellung 7: Berufstätige Männer und Frauen in Altenpflegeeinrichtungen

Darstellung 8: Vollzeit und Teilzeitäquivalente in stationären Pflegeeinrichtungen nach Geschlecht

Darstellung 9: Resonanz aus der ambulanten Pflege zum Projekt „Technischer Pflegefachhelfer

Darstellung 10: Resonanz aus der stationären Pflege zum Projekt „Technischer Pflegefachhelfer

1. Einführung

Finger weg von meiner ALTEN “. Dieser Spruch ziert das T-Shirt eines jungen Man- nes, der lässig und zugleich selbstbewusst in die Kamera blickt. Mit „Alte“ meint der Junge aber nicht etwa seine Mutter oder seine Großmutter, sondern die älteren Menschen, um die er sich in seinem Beruf kümmert. Er ist nämlich Altenpfleger und sein Konterfei war Teil einer Imagekampagne der Bundesregierung aus dem Jahr 2009. Diese hatte zum Ziel, Männer vermehrt für Sozialberufe zu begeistern (vgl. Süddeutsche Zeitung 2009, S. 218). Hintergrund für diesen großen Bedarf an (männlichen) Fachkräften im Pflegesektor sind die Herausforderungen des zu erwartenden demografischen Wandels. Im Detail führen höhere Lebenserwartung und bessere medizinische Versorgung zu einem steigenden Pflegebedarf in unserer Gesellschaft. Demgegenüber prognostizieren Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2025 einen Personalmangel von mindestens 193 000 Beschäftigten (vgl. Statistisches Bundesamt 2010, S. 998). Ohne eine deutliche Steigerung des Männeranteils in der Pflege wird dieser Bedarf jedoch nicht zu de- cken sein. In diesem Kontext entstand speziell im Allgäu die Idee einer neuen Aus- bildungsform, welche dem Berufsfeld Altenpflege zu steigender Attraktivität verhel- fen soll. Das im Herbst 2011 initiierte Modell „Technischer Pflegefachhelfer“ ist ein Teil des internationalen EU-Projekts DemoChange. Es zielt darauf ab, die reguläre einjährige Pflegefachhelfer-Ausbildung um vorwiegend technische Lehrinhalte zu erweitern. Durch diese Innovation erhoffen sich die Verantwortlichen, neue Interes- senten und insbesondere auch mehr Männer anzusprechen. Um die Resonanz der Altenpflegepraxis auf die geplante Ausbildungsform zu erfragen, nahmen studenti- sche MitarbeiterInnen der Hochschule Kempten qualitative Befragungen in Allgäuer Pflegeheimen, Sozialdiensten sowie Sanitätshäusern vor. Die dabei weitgehend offen gewählten Fragestellungen ermöglichten eine individuelle und situationsge- rechte Interaktion mit den InterviewpartnerInnen.

In der gemeinsamen Arbeit am Forschungsprojekt „Technischer Pflegefachhelfer“ fand auch die Themenfindung zu vorliegender Arbeit statt. Die dort aufgeworfene Frage nach den gesellschaftlichen Hintergründen des Männermangels in der Alten- pflege lieferte die Grundidee zu weiterführenden Recherchen. Ziel der daraus ent- standenen Arbeit ist es, einen umfassenden Einblick in die Thematik „Männer in Pflegeberufen“ zu ermöglichen sowie abschließend eine Bewertung des Projekts „Technischer Pflegefachhelfer“ vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse vorzunehmen. Dabei konzentriert sich die vorliegende Thesis auf Männer in der beruflichen Altenpflege. Ausführungen zu verwandten Pflegeprofessionen wie bei- spielsweise der Krankenpflege werden möglichst vermieden.

Im Detail beantworten die anschließenden Darstellungen folgende drei Fragestel- lungen:

1. Welche historischen, geschlechtsspezifischen und soziologischen Zusammenhänge erklären den Männermangel in der professionellen Altenpflege?
2. Aus welchen Motiven entscheiden sich Männer für die professionelle Altenpflege, und welche Rolle spielt ihr Geschlecht im Berufsleben?
3. Wie ist die Idee des „Technischen Pflegefachhelfers“ allgemein und unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten zu bewerten?

Einleitend wird hierzu der Männermangel in der formellen Altenpflege an Hand ent- sprechender Grafiken illustriert. Anschließend bilden historische, geschlechtsspezi- fische und soziologische Ausführungen in Kapitel 3 bis Kapitel 5 das theoretische Fundament zur Beantwortung der ersten Fragestellung. Kapitel 6 beleuchtet darauf- hin die geschlechtsspezifische Situation männlicher Altenpflegefachkräfte im berufli- chen Kontext. Zur Beantwortung der dritten Fragestellung wird in Kapitel 7 abschlie- ßend eine allgemeine und geschlechtsbezogene Auswertung des Projekts „Technischer Pflegefachhelfer“ vorgenommen. In den Fortlauf des Textes wurden an passender Stellen Aussagen der InterviewpartnerInnen integriert. Durch diesen Bezug zur Praxis kommt es zu einer doppelten Bereicherung der vorliegenden Arbeit. Zum einen lassen die Antworten aus der ambulanten und stationären Altenpflegepraxis die „graue Theorie“ lebendiger und anschaulicher wirken. Zum anderen kann die Wissenschaft die Aussagen aus dem Pflegealltag in einen begründbaren Zusammenhang setzen.

2. Der Männermangel in Zahlen

Das vorliegende Kapitel veranschaulicht den Männermangel in der professionellen Altenpflege mittels entsprechender Statistiken. Im Detail werden sowohl die Ge- schlechterverhältnisse in der Altenpflegeausbildung als auch im Beruf näher be- leuchtet. Die berufliche Altenpflege wird dabei in ambulante und stationäre Versor- gung untergliedert.

Einleitend führen die Zahlen ausgewählter Allgäuer Pflegefachschulen sowie Kemp- tener ambulanter und stationärer Versorgungseinrichtungen in die Thematik ein.1 Die Allgäuer Zahlen dienen auf Grund der begrenzten Datenauswahl nur zur Veran- schaulichung und führen zu keiner weiterführenden Interpretation. Um auch die anschließenden bundesweiten Beschäftigungsverhältnisse einheitlich analysieren zu können, wurden für beide Versorgungsarten die vier Professionen AltenpflegerIn, AltenpflegehelferIn, KrankenpflegerIn und KrankenpflegehelferIn ausgewählt und optisch dargestellt.2 Es gilt in diesem Kontext weiterhin zu betonen, dass an dieser Stelle allein Tätigkeitsfelder an der Pflegebasis aufgeführt werden. Alle weiteren Überlegungen und grafischen Darstellungen zu Männern im Altenpfle- geberuf erfolgen in Kapitel 6.

2.1 Allgäuer Daten

In den Berufsfachschulen Kempten und Immenstadt wurden im Herbst 2011 insgesamt 115 Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr gezählt. Davon absolvieren rund 63,5 Prozent eine Ausbildung zum/zur AltenpflegerIn und 36,5 Prozent eine Ausbildung zum/zur AltenpflegehelferIn. Im Fachbereich Altenpflege betrug der Männeranteil 32,9 Prozent, in der Altenpflegehilfe rund 23,8 Prozent.

a. Altenpflegefachschule

Darstellung 1: SchülerInnen Berufsfachschulen Altenpflege im Schuljahr 2010/2011 (Allgäu)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Ermittlung (eigene Darstellung)

b. Stationäre Altenpflege

Beispielsweise ergab die Recherche in den zwei Kemptener Pflegeheimen

„Pro Seniore Residenz“ und dem „AllgäuStift“: Von insgesamt 40 Altenpflegekräften in beiden Einrichtungen waren 17,5 Prozent männlich und 82,5 Prozent weiblich. Unter den insgesamt 59 Altenpflegehilfskräften befanden sich 11,7 Prozent Männer und 88,3 Prozent Frauen.

Darstellung 2: Personal stationäre Altenpflege nach Berufsabschluss 2012 (Allgäu)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Ermittlung (eigene Darstellung)

c. Ambulante Altenpflege

Bei den befragten Sozialdiensten „Josef´s Dienste“ und „Rudolf Dick“ in Kempten waren insgesamt 23 Personen in der Pflege beschäftigt. Hier zeigte sich eine we- sentlich differenziertere Personalstruktur als in der stationären Altenpflege: Im Detail waren 10 Krankenpfleger, 5 Altenpfleger, 3 Krankenpflegehelfer, 2 Altenpflegehelfer und 3 Arzthelfer vertreten.

Der Männeranteil war hier im Bereich der Krankenpflege mit 30,8 Prozent vergleichsweise hoch. Im Bereich der Altenpflege lag er allerdings bei nur 5,8 Prozent. In den „unterstützenden“ Professionen, Krankenpflegehilfe, Altenpflegehilfe oder Arzthilfe fanden sich überhaupt keine Männer.

Darstellung 3: Personal ambulante Altenpflege nach Berufsabschluss 2012 (Allgäu)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Ermittlung (eigene Darstellung)

2.2 Bundesweite Daten

a. Altenpflegefachschulen

In Deutschland begannen im Herbst 2011 insgesamt 11 925 Personen eine Ausbildung im Bereich Altenpflege, davon 66,7 Prozent als zukünftige Altenpfleger. Darunter waren 24,4 Prozent Männer und 75,6 Prozent Frauen. Die 33,3 Prozent der Altenpflegehelfer in spe teilten sich in 21 Prozent Männer und 79 Prozent Frauen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011a, S. 14).

Darstellung 4: SchülerInnen Berufsfachschule Altenpflege im Schuljahr 2011/2012

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011a, S.14 (eigene Darstellung)

b. Stationäre Altenpflege

Insgesamt waren 2009 in Alten- und Pflegeheimen 621 000 Personen beschäftigt. Die Mehrzahl des Personals war mit rund 85 Prozent weiblich (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b, S. 15). Im Detail stellten die Altenpflegekräfte mit rund 26 Pro- zent den höchsten Anteil unter den Beschäftigten. Die Berufsgruppe der Kranken- pflegerInnen umfasste 10,1 Prozent des Personals. Die AltenpflegehelferInnen bil- deten insgesamt 4,6 Prozent, die KrankenpflegehelferInnen 3,0 Prozent der Beschäftigten (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b, S. 22). Die höchste Männerquo- te im Bereich der Pflege war mit 17,2 Prozent in der Altenpflege zu verzeichnen. Am wenigsten Männer arbeiteten mit 11,1 Prozent in der Krankenpflege.

Darstellung 5:Personal stationäre Altenpflege nach Berufsabschlüssen am 15.12.2009

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Pflegestatistik 2011, S.22 (eigene Darstellung)

c. Ambulante Altenpflege

Im Jahr 2009 waren 269 000 Personen in der ambulanten Pflege beschäftigt. Der Frauenanteil betrug 87 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b, S. 9). Im Ge- gensatz zur stationären Altenpflege war hier die Krankenpflege mit 31 Prozent die beschäftigungsstärkste Profession. Darauf folgen der Anteil von AltenpflegerInnen mit 22,5 Prozent sowie der Anteil der KrankenpflegehelferInnen mit 4,5 Prozent. Das Schlusslicht bildet die Altenpflegehilfe mit 3,4 Prozent. Der höchste Männeran- teil in der Pflegepraxis war mit 14,9 Prozent wiederum in der Altenpflege zu finden, der niedrigste mit 10,6 Prozent in der Krankenpflegehilfe (vgl. Statistisches Bundes- amt 2011b, S. 14).

Der hohe Anteil an KrankenpflegerInnen/KrankenpflegehelferInnen insgesamt ist bezeichnend für Sozialdienste und erklärt sich durch die Leistungsstruktur in der ambulanten Pflege. Diese bietet nicht nur Leistungen nach dem SGB XI, sondern erbringt auch Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder Hilfe entsprechend dem SGB V (vgl. Backes et al. 2008, S. 48).

Darstellung 6: Personal ambulante Altenpflege nach Berufsabschluss am

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Pflegestatistik 2011b, S.13 (eigene Darstellung)

2.3 Zusammenfassung

Die Grafiken sprechen eine eindeutige Sprache: Sowohl im Allgäu als auch bun- desweit belegen sie eine deutliche Geschlechterungleichheit in der professionellen Altenpflege. Mit marginalen Unterschieden zwischen den Professionen dominieren eindeutig die weiblichen Beschäftigten. Insgesamt ist der Frauenanteil in der ambu- lanten Pflege sogar noch um 2 Prozent höher als in der stationären Pflege. Die ins- gesamt höchste Männerquote findet sich in den Altenpflegefachschulen. Inwiefern dies auf einen positiven Trend schließen lässt muss an dieser Stelle mangels Ver- gleichswerten offen bleiben.

Doch zurück zu dem ungleichen Geschlechterverhältnis in den pflegenden Professionen der formellen Altenpflege. Nachdem dieses nun grafisch erschlossen wurde, stellt sich die Frage nach dessen Ursachen: Wie kam oder kommt es dazu, dass so wenige Männer in der Altenpflege arbeiten (wollen)?

Um diesen Männermangel in der beruflichen Pflege besser nachvollziehen zu kön- nen, werden im Folgenden historische, geschlechtsspezifische und soziologische Erklärungsansätze herangezogen.

3. Historie der Altenpflege

Die Altenpflege als Frauenberuf3 ist im Verständnis unserer Gesellschaft fest veran- kert und bestätigt auch ohne veranschaulichende Daten eine weitverbreitete All- tagswahrnehmung. Mehr noch, Weiblichkeit und Pflege scheinen in unseren Augen zwei Bereiche zu sein, die auf ganz natürliche Weise zusammenpassen. Die mit der Pflege verbundene „Gefühlsarbeit“, die Fähigkeit, Empathie zu zeigen und für ande- re zu sorgen, passt in unseren Augen einfach besser zu Frauen (vgl. Ummel 2004a, S. 42). Diese Empfindung bestätigt sich in der Aussage einer Interviewpartnerin aus der ambulanten Pflege: „ Pflege ist Gefühlsarbeit, und das steckt eben mehr in der Frau.“ Aber macht es vor diesem Hintergrund überhaupt Sinn, sich über die Steige- rung der Männerquote in der Altenpflege Gedanken zu machen? Gibt es nicht ein- fach deshalb kaum Männer im Altenpflegeberuf, weil sie auf Grund ihres Ge- schlechts weniger für diese Profession geeignet sind? Die folgenden Ausführungen zur Historie des Altenpflegeberufs revidieren diese Vermutung. Sie eröffnen einen neuen Blick auf die Altenpflege als Frauenberuf und stellen die einfache Formel „Altenpflege als Beruf = weiblich“ in Frage.

3.1 Die Altenpflege als Teil der Armenfürsorge

Im Rückblick zeigt sich, dass die Pflege alter Menschen seit der Antike überwiegend in den Aufgabenbereich des Familien- oder Stammesverbands fällt (vgl. Köther 2007, S. 810). Die Pflegetätigkeit wurde selbstverständlich in den Alltag der Mehr- generationen- bzw. Großfamilien integriert. Wer keine Unterstützung durch Fami- lienangehörige erfuhr, konnte auf die Unterstützung der Armenfürsorge zurückgrei- fen. Vorwiegend minderbemittelte, nicht mehr arbeitsfähige Personen wählten daher den Weg der institutionellen Versorgung. Diese befand sich vorwiegend in der Trä- gerschaft klösterlicher Orden oder Stiftungen (vgl. Schneider 2007, S. 34). Die dort erbrachte körperlich schwere Arbeit bei gleichzeitig schlechter Entlohnung machte es schon damals schwierig, geeignetes Personal für die Pflegetätigkeit zu rekrutie- ren. Unter dem Vorwand, dass Dirnen den Anblick nackter Menschen gewohnt sein und Strafgefangene eine sinnvolle Tätigkeit bräuchten, wurden die Pflege daher vorwiegend an die unteren Gesellschaftsschichten, die sogenannten KrankenwärterInnen, delegiert (vgl. Sittler/Kruft 2011, S. 9). In Ergänzung dazu pflegten Ordensangehörige und vornehme Persönlichkeiten, um sich von ihren Sünden zu befreien (vgl. Duppel 2005, S. 20). Das mangelnde pflegerische Wissen der Pflegepersonen spiegelte sich in hygienisch katastrophalen Verhältnissen wider und hielt begüterte Schichten davon ab, sich in den kirchlichen Institutionen pflegen zu lassen. Insgesamt sollte die Pflege alter und hilfsbedürftiger Menschen in erster Linie mit geringen Kosten verbunden sein (vgl. Schneider 2007, S. 27).

Neben Frauen waren Männer im Rahmen der „christlichen Barmherzigkeit“ als „Krankenwärter“ oder Mönche also durchaus in der außerhäuslichen Pflege von unteren Gesellschaftsschichten vorgesehen oder sogar erwünscht, wie folgendes Zitat aus dem Jahr 1784 vermuten lässt:

„ Nichts ist mehr zu beklagen, als dass die meisten unserer jetzigen Krankenwärter Weiber sind, deren viele mehr auf die eigene Gemächlichkeit, als auf die Bedienung des Kranken sehen[ … ]. Ihre größte Beschäftigung ist, die Geheimnisse des Hauses in das andere sorgfältig hinüberzutragen und Feindseligkeiten zwischen den Fami lien zu stiften. “ (zit. nach Kellner 2011, S. 85)

Die professionelle Pflegetätigkeit war den Frauen also bis Ende des 18. Jahrhunderts, entgegen dem bis in die Gegenwart weitverbreiteten Alltagsverständnis, noch nicht wesensmäßig zugeordnet (vgl. Kellner 2011, S. 85). Fraglich ist daher, durch welche gesellschaftlichen Umbrüche die professionelle Pflege schließlich zum typischen Frauenberuf wurde.

3.2 Historische Erklärungsansätze für den Männermangel

In Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen, die zu einem neuen professionellen Pflegeverständnis führten, ist insbesondere die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zu nennen. Sie führte auf Grund neuer Arbeitsanforderungen zum Zerfall der oben genannten Mehrgeneratio- nen/Großfamilie. Da Männer und auch zunehmend Frauen nun einer außerhäusli- chen Berufstätigkeit nachgingen, blieb nur noch wenig Zeit für Kindererziehung oder die Pflege alter Angehöriger (vgl. Sittler/Kruft 2011, S. 9). Mit Brüchigwerden des familiären Netzes kristallisierte sich entsprechend ein zunehmender Bedarf an professionellen Pflegemöglichkeiten heraus. Allerdings machten die schlechten Be- dingungen in den bisherigen Hospizen und Krankenanstalten deutlich, dass allein eine zahlenmäßige Aufstockung des Personals nicht reichen würde. Daher sollte damit gleichzeitig eine qualifikatorischen Verbesserung verbunden sein. Es wurde geplant, in der Pflege tätige Personen zu schulen, um ihnen das notwendige pflege- rische Grundwissen zu vermitteln. Diese Neuerungen in der Pflegestruktur sollten allerdings weder die Vormachtstellung der Ärzteschaft in Frage stellen noch mit steigenden Kosten verbunden sein (vgl. Schneider 2007, S. 29). Diesen gewachse- nen Herausforderungen an die Pflegetätigkeit wurde durch die Gründung von kon- fessionellen Krankenpflegevereinigungen Rechnung getragen. Letztere praktizierten eine an den Orden der Barmherzigen Schwestern angelehnte klösterliche Lebens- form und machten es sich zur Aufgabe, unverheirateten Frauen im Rahmen einer Tätigkeit als Pflegerin Zuflucht und gesellschaftliche Akzeptanz zu bieten. Ange- sprochen waren dabei vor allem gebildete Frauen aus dem Bürgertum und aus dem verarmten Adel (vgl. Duppel, 2005, S. 20).

3.2.1 Konstruktion der Pflege als Frauenberuf

Der Spagat, das bis dahin „schmutzige Gewerbe“ des Pflegeberufs zu einer „acht- baren Frauenarbeit“ in bürgerlichen Kreisen zu machen, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen (vgl. Kellner 2011, S. 93), gelang durch zwei Veränderungen: Zum ei- nen wurde die Pflege kranker und alter Menschen zum „Liebesdienst par excellence“ und zum „heiligen und würdigen“ Geschäft erklärt. Zum anderen wurde der Frau die professionelle Pflegetätigkeit nun auf Grund ihrer „wesensmäßigen“ Ähnlichkeit zur Hausfrauen- und Mutterrolle zugeordnet (vgl. Bischoff 1984 zit. nach Schneider 2007, S.29).

„ Nächst dem Beruf der Gattin und Mutter, zu dem die Frau von der Vorsehung vor allem bestimmt ist, ist sicher der Pflegeberuf derjenige, der dem Mütterlichkeitsempfinden, das in jedem Frauenherzen ruht, am meisten Befriedigung gibt. “

(Lindauer J. 1928 zit. nach Kellner 2011, S.93).

Das Zitat steht in direktem Kontrast zum oben stehenden Ausspruch aus dem Jahre 1784 und verdeutlicht die zentrale Veränderung in der Wahrnehmung des Pflegeberufs. Dieser hatte sich vom sog. „schmutzigen Gewerbe“ zur „weibliche Berufung“ gewandelt (vgl. Kellner 2011, S. 92). Die Grundlage für eine „Verweiblichung der Pflege“ (Kellner 2011, S. 83) und gleichzeitige Verdrängung der Männer aus dem Beruf war gelegt (vgl. Kellner 2011, S. 93).

[...]


1 Die Allgäuer Zahlen wurden im Anschluss an die Projektarbeit auf elektronischem Weg durch die Verfasserin ermittelt.

2 Die vier Professionen werden in der Pflegestatistik 2009 sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Altenpflege zu Beginn der Berufsliste aufgeführt. Sie entsprechen allerdings nicht den vier häufigsten Berufen in beiden Bereichen (vgl. Statistisches Bundes- amt 2011b, S.14ff.).

3 Frauenberufe werden definiert als Berufe mit einem Frauenanteil von über 70 Prozent. Männerberufe implizieren entsprechend einen Männeranteil von über 70 Prozent (vgl. Hall 2011, S. 110).

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Männer in Pflegeberufen. Historische, geschlechtsspezifische und soziologische Zusammenhänge
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten
Note
1,0
Jahr
2012
Seiten
43
Katalognummer
V341261
ISBN (eBook)
9783668309654
ISBN (Buch)
9783668309661
Dateigröße
688 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
männer, pflegeberufen, historische, zusammenhänge
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Männer in Pflegeberufen. Historische, geschlechtsspezifische und soziologische Zusammenhänge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341261

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