Systemisches Coaching und Gender - Eine Explorationsstudie zu gender-spezifischen Faktoren im Coachingprozess aus der Sicht weiblicher und männlicher Coachs


Diplomarbeit, 2004

97 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung

1. Forschungsfragestellung

2. Aufbau der Arbeit

II. Theoretischer Teil

3. Konstruktivismus und Systemtheorie als theoretischer Hintergrund
3. 1. Zum Konstruktivismus
3. 2. Zur Systemtheorie

4. Was ist Gender?
4. 1. Überblick über Gender-Theorien und das “doing gender“-Konzept
4. 2. Geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung
4. 3. Gender-spezifische Faktoren im Coaching

5. Was ist Coaching?
5. 1. Definition des Begriffs Coaching
5. 2. Abgrenzung des Begriffs Coaching von verwandten Begriffen
5. 3. Formen von Coaching
5. 3. 1. Externes Coaching und internes Coaching
5. 3. 2. Einzelcoaching und Gruppencoaching
5. 3. 3. Selbstcoaching
5. 3. 4. Coaching und moderne Kommunikationsformen: e-Coaching
5. 4. Anlässe und Themen von Coaching
5. 4. 1. Anlässe von Coaching
5. 4. 2. Themen von Coaching
5. 5. Anwendung von Coaching in Organisationen
5. 5. 1. Coaching als Instrument der Personalentwicklung
5. 5. 2. Coaching als Form der Persönlichkeitsentwicklung
5. 6. Was ist systemisches Coaching?
5. 7. Ablauf eines Coachingprozesses
5. 8. Anforderungen an die Coachs
5. 8. 1. Fachliche Qualifikation
5. 8. 2. Persönliche Qualifikation
5. 8. 3. Das Geschlecht der Coachs
5. 9. Grenzen und Problemfelder von Coaching
5. 9. 1. Problemfelder seitens der Coachs
5. 9. 2. Problemfelder seitens der KlientInnen

6. Grundannahmen

III. Empirischer Teil

7. Methode und Untersuchungssample
7. 1. Methode
7. 2. Untersuchungssample

8. Auswertung und Interpretation
8. 1. Auswahlkategorien
8. 2. Auswertungskategorien und Interpretation
8. 3. Vertiefende Interpretation

IV. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Formen von Coaching

Tabelle 2: Merkmale des systemischen Coachings

Tabelle 3: Phasen eines Coachingprozesses

Tabelle 4: Zusammenhang zwischen Grundannahmen, Interviewfragen und Auswahl- bzw. Auswertungskategorien

Tabelle 5: Studienrichtungen der AkademikerInnen unter den befragten weiblichen und männlichen Coachs

Tabelle 6: Klientel der befragten weiblichen und männlichen Coachs

Tabelle 7: Rolle gender-spezifischer Faktoren im systemischen Coaching aus der Sicht der befragten weiblichen und männlichen Coachs

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Konstruktion eines Coachingprozesses

Abbildung 2: Formen von Systemen

Abbildung 3: Anlässe von Coaching in den Vergleichsjahren 1989 und 1998

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

1. Forschungsfragestellung

Coaching boomt – in der Theorie, in der Praxis und besonders in den Medien. Immer mehr Menschen suchen Hilfe bei einem/einer professionellen BeraterIn, im privaten Bereich bei einem/einer PsychotherapeutIn und im beruflichen Bereich zunehmend bei einem/einer Coach (vgl. Schwertfeger 2003). Aber nicht nur die Nachfrage nach Coaching steigt, auch das Angebot, so dass der Coachingmarkt immer vielfältiger und unüberschaubarer wird. Ob Coaching im Sport, in der Wirtschaft oder in der Politik, Coaching scheint alles und nichts zu sein (vgl. Langheiter 2003). Es stellt sich daher zunächst die Frage, was sich hinter dem Begriff Coaching verbirgt und was ein professionelles Coaching auszeichnet bzw. wie weit der Professionalisierungsprozess im Bereich Coaching fortgeschritten ist.

Seit den 80er Jahren ist Coaching in Österreich nicht nur im Sport, sondern zunehmend auch in der Wirtschaft bzw. im Management ein viel verwendeter Begriff. Mit diesem Coaching Boom und konfrontiert mit dem Vorwurf, dass Coaching nur ein Modebegriff bzw. eine Modewelle zu sein scheint, ist die Forderung vieler professioneller Coachs nach einer einheitlichen Definition des Begriffs, sowie nach einem eindeutigen und anerkannten Berufsbild und somit nach einer Professionalisierung von Coaching verbunden (vgl. Dilk 2003).

Der Austrian Coaching Council (Österreichischer Dachverband für Coaching) ist ein Verein, der im Jahr 2002 von ExpertInnen aus dem Beratungs- und Coachingbereich gegründet wurde und seinen Sitz in Mödling hat. Vereinsziel des ACC ist, die Interessen der Coachs und angehenden Coachs zu vertreten, sowie die Entwicklung eines anerkannten Berufsbildes für Coachs und damit die Professionalisierung von Coaching zu fördern (vgl. ACC 2004). Noch gibt es in Österreich keine einheitlichen und gesetzlich geregelten Standards für die Aus- und Weiterbildung von Coachs, wie z.B. für MediatorInnen in dem mit dem Coaching verwandten Bereich der Mediation. Ein weiteres Anliegen des ACC ist der Aufbau eines Netzwerks, durch die Zusammenarbeit mit der in Deutschland von Christopher Rauen gegründeten Interessengemeinschaft Coaching (vgl. IGC 2004). Ein weiterer Verein in Deutschland ist der im Jahr 2004 gegründete Deutsche Berufsverband Coaching. Ziel des noch jungen DBVC ist neben der Förderung der Professionalisierung von Coaching die Zusammenarbeit von Coachs, KlientInnen, Unternehmen und WissenschafterInnen (vgl. DBVC 2004). Eine Institution im Coachingbereich auf internationaler Ebene ist die im Jahr 1995 entstandene European Coaching Association mit Sitz in Düsseldorf. Der ECA ist ein europaweit vernetzter Verband professioneller Coachs, der ebenfalls das Ziel hat, die Professionalisierung von Coaching zu fördern, sowie durch Qualitätsstandards im Coaching für mehr Transparenz am Coachingmarkt zu sorgen (vgl. ECA 2004).

Auch wenn Qualitätsstandards und Transparenz am Coachingmarkt sowohl für die Coachs selbst als auch für die KlientInnen wesentlich sind, sind mit der Forderung nach Professionalisierung und Vereinheitlichung von Coaching auch einige Probleme bzw. Gefahren verbunden. Es besteht beispielsweise die Gefahr, dass sich einige wenige private AnbieterInnen den Coachingmarkt aufteilen oder dass sich nur bestimmte Coachingansätze durchsetzen, wodurch Vielfalt und Qualität im Coaching verloren gehen würde (vgl. Schwertfeger 2004).

Mit der Förderung von Professionalität und Qualität im Coaching ist auch die Förderung und Durchführung wissenschaftlicher Forschung im Bereich Coaching bzw. Beratung verbunden, zu der auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten soll.

Auch wenn Coaching heute in vielen Organisationen und auch im privaten Bereich so zu sagen zum guten Ton gehört, ist Coaching noch lange keine Selbstverständlichkeit. Die Inanspruchnahme von Coaching wird nach wie vor von vielen als ein Zeichen von Schwäche gesehen und nicht unbedingt publik gemacht. Da mit Coaching immer noch eine Art „Couchdenken“ verbunden ist, ist es für das Coaching bzw. für die Coachs nicht einfach, sich in der Wirtschaft unter ManagerInnen, aber besonders unter Managern, einen anerkannten Platz zu verschaffen.

Coaching ist vorwiegend im Bereich Wirtschaft und dort unter Führungskräften angesiedelt, wo es nach wie vor eine Ungleichverteilung von Frauen und Männern bzw. eine Chancenungleichheit zwischen Frauen und Männern gibt (vgl. Balog/Cyba 1990). Zudem werden Frauen und Männer auf Grund ihrer unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsrollen in der Gesellschaft bzw. in dem Gesellschaftssystem, in dem wir leben, und in der Wirtschaft mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Da Coaching vorwiegend berufliche und damit verbundene private Probleme bzw. Themen beinhaltet, stellt sich die Frage, ob sich diese in der Wirtschaft existierende Ungleichverteilung bzw. Chancenungleichheit auch im Coaching widerspiegelt (vgl. Schreyögg 2001, S. 102).

Nach eingehender Beschäftigung mit Literatur zum Thema Coaching, die in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht vielfältig ist wie der Begriff Coaching selbst, zeigt sich vor allem eines, dass von den AutorInnen bzw. Coaching-ExpertInnen das Geschlecht der am Coaching beteiligten Personen, der Coachs und der KlientInnen, sowie generell gender-spezifische Faktoren im Coaching nicht oder nur wenig thematisiert werden. Das Geschlecht bzw. Gender spielt jedoch in sozialen Situationen eine wesentliche Rolle (vgl. Acker 1992, S. 248) und damit auch im Coaching. Die Frage ist nur, wie weit es bewusst ist und von Coach oder KlientIn explizit thematisiert wird. Das Thema Gender kann besonders dann eine Rolle spielen, wenn ein/e KlientIn ein rollen- bzw. gender-spezifisches Problem hat, wenn z.B. eine Managerin mit Kindern mit dem Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie konfrontiert wird, und der/die Coach nicht auf gender-spezifische Faktoren sensibilisiert ist, somit „blinde Flecken“ bestehen und das gender-spezifische Problem nicht erkannt wird bzw. nicht gelöst werden kann.

Da das Thema Gender in der Coachingtheorie nicht oder nur wenig thematisiert wird, ist anzunehmen, dass Gender auch in der Coachingpraxis nicht oder nur wenig zum Thema gemacht wird. Auf Grund dieser Annahme und der Grundannahme, dass das Thema Gender im Coaching sehr wohl eine Rolle spielt, ob direkt oder indirekt, ist die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit, das Thema Gender im Coaching sowohl theoretisch als auch praktisch zu thematisieren, sowie mit der Darstellung des Coachings einen Beitrag zur Professionalisierung von Coaching zu leisten.

Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet: Spielen aus der Sicht der weiblichen und männlichen Coachs gender-spezifische Faktoren im systemischen Coaching eine Rolle, sowohl für sie selbst als auch für ihre KlientInnen, und wenn ja, welche?

Ausgehend von dieser Forschungsfrage wurden aufbauend auf den Erkenntnissen aus dem theoretischen Teil in Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit zusammenfassend einige Grundannahmen formuliert, auf die sich der empirische Teil, eine Explorationsstudie zu gender-spezifischen Faktoren im Coachingprozess, stützt.

2. Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit gliedert sich nach der Einleitung mit der Forschungsfragestellung in Kapitel 1 in einen theoretischen Teil und einen empirischen Teil.

Der theoretische Teil der Arbeit gibt in Kapitel 3 einen Einblick in einige für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte des Konstruktivismus und der Systemtheorie, die dem systemischen Coaching und dem Fokus der Arbeit, dem Thema Gender, als theoretischer Hintergrund dienen.

Kapitel 4 gibt einen Überblick über Gender-Theorien und das Konzept des “doing gender“, skizziert die geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung und ihre Folgen für die Lebens- und Arbeitsrollen von Frauen und Männern, sowie daraus abgeleitet gender-spezifische Faktoren im Coaching.

Kapitel 5 beinhaltet eine allgemeine Darstellung des Coachings, durch die Definition und Abgrenzung des Coaching-Begriffs, die Formen von Coaching, Anlässe und Themen von Coaching, die Anwendung von Coaching in Organisationen, sowie eine spezielle Darstellung des systemischen Coachings, den Ablauf eines Coachingprozesses, die Anforderungen an die Coachs, Grenzen und Problemfelder von Coaching.

In Kapitel 6 werden die aus dem theoretischen Teil gewonnenen Grundannahmen zusammengefasst.

Im empirischen Teil der Arbeit, der sich auf den theoretischen Teil und die Grundannahmen stützt, werden in Kapitel 7 zunächst die Methode des ExpertInnen-Interviews und das Untersuchungssample der Coaching-ExpertInnen beschrieben.

In Kapitel 8 erfolgt die Auswertung anhand von 14 Auswertungskategorien, sowie eine Interpretation der Ergebnisse aus den ExpertInnen-Interviews.

Zusammenfassung und Ausblick bilden den Abschluss der vorliegenden Arbeit.

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf das systemische Coaching bzw. auf den systemischen Ansatz, der auf der Systemtheorie und dem Konstruktivismus aufbaut, ohne auf andere Coachingansätze einzugehen, um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen. Ein Überblick über die unterschiedlichen Coachingansätze ist beispielsweise bei Christopher Rauen zu finden (vgl. Rauen 2003, S. 75 - 145). Weiters konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf das Einzelcoaching durch eine/n externe/n Coach, da es sich dabei um eine der bekanntesten Formen von Coaching handelt. Eine Darstellung der unterschiedlichen Formen von Coaching findet sich in Kapitel 5. 3. der Arbeit.

In der vorliegenden Arbeit werden die am Coaching beteiligten Personen mit „Coach“ und „KlientIn“ bezeichnet. Eine alternative Bezeichnung für KlientIn wäre „KundIn“. Von anderen für KlientIn verwendeten Bezeichnungen wie Coachee oder Gecoachte/r wird jedoch Abstand genommen, da diese dem/der KlientIn eine eher passive Rolle bzw. eine hierarchische Beziehung zwischen Coach und KlientIn, wie z.B. bei MentorIn und Mentee zutreffend, unterstellen.

Auch wenn es (noch) keine geschlechtssensible Schreibweise für die Person des/der Coach/s gibt, wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne der These „Sprache konstruiert Wirklichkeit“ (vgl. Tomaschek 2003, S. 45) für den männlichen Coach die Bezeichnung „der Coach“, für die weibliche Coach die Bezeichnung „die Coach“ und im Plural folglich sowohl für männliche als auch für weibliche Coachs die Bezeichnung „die Coachs“ verwendet.

II. Theoretischer Teil

3. Konstruktivismus und Systemtheorie als theoretischer Hintergrund

Als aus der Praxis heraus entstandene Beratungsform gibt es nicht „das Coaching“, das einem bestimmten theoretischen Hintergrund zugeordnet werden kann. Es gibt unterschiedliche Formen von Coaching bzw. Coachingansätze und jeder Ansatz hat seinen mehr oder weniger ausgeprägten theoretischen Hintergrund. Da sich die vorliegende Arbeit auf das systemische Coaching konzentriert, soll ein Einblick in die Systemtheorie gegeben werden, auf der der systemische Ansatz aufbaut. Zuvor soll jedoch ein kurzer Einblick in den Konstruktivismus gegeben werden, der sowohl für das systemische bzw. systemisch-konstruktivistische Coaching als auch für die Gender-Theorien und das “doing gender“-Konzept den theoretischen Hintergrund bildet.

Da es sich bei Konstruktivismus und Systemtheorie um komplexe Theorien handelt und innerhalb dieser unterschiedliche Ansätze existieren, soll lediglich auf einige für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte bzw. Grundgedanken dieser beiden Theorien eingegangen und großteils auf entsprechende Literatur verwiesen werden (zum Konstruktivismus vgl. Berger/Luckmann 1995, zur Systemtheorie vgl. Luhmann 2002, vgl. Willke 1999 und 2000).

3. 1. Zum Konstruktivismus

Innerhalb des Konstruktivismus existieren unterschiedliche konstruktivistische Ansätze. VertreterInnen des radikalen Konstruktivismus beispielsweise gehen davon aus, dass die Wirklichkeit unsere eigene Erfindung oder Konstruktion ist, Wirklichkeit wird durch Wahr-Nehmung konstruiert (vgl. Kieser 2002, S. 287 f). Den unterschiedlichen konstruktivistischen Ansätzen gemeinsam ist die Annahme, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern nur subjektive Wirklichkeitskonstruktionen, die sich wechselseitig beeinflussen, wodurch eine soziale Wirklichkeitskonstruktion entsteht. Das heißt dadurch, dass wir unsere Wirklichkeit in Interaktion bzw. Kommunikation mit anderen konstruieren, (mit-) konstruieren wir die Wirklichkeit unserer Mitmenschen. Auch Sprache ist nur eine Konstruktion bzw. Sprache konstruiert Wirklichkeit (vgl. Tomaschek 2003, S. 45). Daher ist beispielsweise eine geschlechtssensible Sprache ein wesentlicher Teil unserer sozialen Wirklichkeitskonstruktion.

Diese konstruktivistischen Annahmen gelten auch für den systemischen Coachingprozess bzw. die Konstruktion des Coachingprozesses. Dadurch, dass der/die Coach durch Sprache seine/ihre Wirklichkeit und damit den Coachingprozess konstruiert, (mit-) konstruiert er/sie die Wirklichkeit des/der KlientIn, und umgekehrt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Konstruktion eines Coachingprozesses

Der Coachingprozess wird daher im systemisch-konstruktivistischen Coaching als ein gemeinsames Produkt bzw. Konstrukt von Coach und KlientIn aufgefasst.

3. 2. Zur Systemtheorie

Auch innerhalb der Systemtheorie existieren unterschiedliche Ansätze. Das systemische Coaching orientiert sich am systemischen Ansatz , der sich aus der systemischen Familientherapie entwickelt hat (vgl. de Shazer 1992).

Ein wesentlicher Grundgedanke des systemischen Ansatzes bzw. nach Steve de Shazer ist das Denken in Systemen, das heißt dass wir Menschen in verschiedene Systeme eingebunden sind, wie z.B. in das System Familie. Für den systemischen Coachingprozess wesentlich ist, dass der/die KlientIn immer abhängig von seiner/ihrer (System-) Umwelt zu verstehen ist und auch die beruflichen und damit verbundenen privaten Probleme des/der KlientIn nie einseitig, sondern immer im Kontext einer Vielzahl von Faktoren eines Systemzusammenhangs bearbeitet werden (vgl. Schmidt 1998, S. 249).

In Anlehnung an den Systemtheoretiker Niklas Luhmann können vier verschiedene Formen von Systemen unterschieden werden: Organismen, wie z.B. Tiere, psychische Systeme, wie z.B. Menschen, soziale Systeme und Maschinen. Innerhalb der sozialen Systeme können wieder vier Formen unterschieden werden: Interaktionen, wie z.B. die Familie oder ein Coachingprozess, Organisationen, die Gesellschaft und die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft, wie z.B. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik oder Kunst (vgl. Kasper/Mayrhofer/Meyer 1999, S. 15).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Formen von Systemen (Quelle: in Anlehnung an Mikl-Horke 2001)

Ein weiterer wesentlicher Grundgedanke nach Steve de Shazer ist das Denken in Unterschieden. Ein Unterschied ist immer ein Unterschied zwischen, wie z.B. der Unterschied zwischen dem System und der (System-) Umwelt. Dieser Unterschied bzw. diese Abgrenzung stellt jedoch keine Grenze im Sinne einer Barriere dar (vgl. de Shazer 1992, S. 173). Wenn wir unsere Wahrnehmung beschreiben, agieren wir als BeobachterInnen, und Beobachtung ist eine Beschreibung, die auf Unterscheidung aufbaut. Voraussetzung dabei ist, dass die Unterscheidung für den/die BeobachterIn einen Sinn macht, wie z.B. die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit (vgl. Willke 1999, S. 17). So stellt beispielsweise die Unterscheidung Frau - Mann, die bewusst und unbewusst erfolgt, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft ein wesentliches Strukturmerkmal dar.

Ein weiterer Grundgedanke nach Steve de Shazer ist der Perspektivenwechsel. Ein soziales System, aber auch ein psychisches System, wie z.B. der Mensch, ist operativ geschlossen, das heißt erzeugt sich und damit sein Wissen selbst. Wissen ist daher immer personenabhängig und jede Beobachtung ist abhängig von der Perspektive des/der BeobachterIn. Für den Coachingprozess wesentlich ist daher ein Perspektivenwechsel bzw. eine Perspektivenerweiterung des/der KlientIn, wie z.B. auch der Wechsel zwischen einer „weiblichen“ und einer „männlichen“ Perspektive. Beim Perspektivenwechsel wird zwischen der Beobachtung erster Ordnung und der Beobachtung zweiter Ordnung unterschieden. Bei der Beobachtung erster Ordnung beobachtet der/die KlientIn nur seine/ihre Umwelt, z.B. ein Problem. Hingegen beobachtet der/die KlientIn bei der Beobachtung zweiter Ordnung seine/ihre Umwelt und sich selbst (vgl. Tomaschek 2003, S. 23 f). Die Beobachtung zweiter Ordnung stellt den Ausgangspunkt des systemischen Ansatzes dar (mehr dazu vgl. Kapitel 5.6).

Mit Hilfe dieses kurzen Einblicks in einige für die vorliegende Arbeit relevante Grundgedanken des Konstruktivismus und der Systemtheorie wurde die theoretische Basis für die folgenden Kapitel über systemisches Coaching und Gender gelegt.

4. Was ist Gender?

Fokus der vorliegenden Arbeit über systemisches Coaching ist das Thema Gender bzw. gender-spezifische Faktoren im Coachingprozess. Die Thematisierung von Gender im Coaching bedarf zunächst einer Klärung, was sich hinter dem Begriff Gender verbirgt.

Zur Beschreibung, die als theoretische Basis für die folgenden Kapitel dient, was Gender bzw. Geschlecht ist und wie Geschlecht in Gesellschaft und Wirtschaft reproduziert wird, soll zur Darstellung unterschiedlicher Gender-Konzepte, die im Coaching eine Rolle spielen können, ein Überblick über Gender-Theorien und das Konzept des “doing gender“ gegeben werden. Weiters sollen die damit verbundene geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung und ihre Folgen für die Lebens- und Arbeitsrollen von Frauen und Männern dargestellt werden, um daraus gender-spezifische Faktoren im Coachingprozess ableiten zu können.

4. 1. Überblick über Gender-Theorien und das “doing gender“-Konzept

In Anlehnung an Simone de Beauvoir kann das Geschlecht nicht nur als biologische, sondern auch als soziale Kategorie bzw. als soziale Konstruktion gesehen werden (vgl. Frey/Dingler, S. 9). Geschlecht ist nicht etwas, das objektiv gegeben ist, sondern etwas, das sozial konstruiert wird (vgl. Kapitel 3.1). In der feministischen Theorieentwicklung wird unter “sex“ das biologische bzw. natürliche Geschlecht und unter “gender“ das soziale oder kulturelle Geschlecht eines Menschen verstanden (vgl. Frey/Dingler 2001, S. 9).

Die Entwicklung der feministischen bzw. Gender-Theorien kann vereinfacht in drei Stadien unterteilt werden. Diese drei Stadien sind historisch nacheinander entstanden, in der Gender-Diskussion jedoch nebeneinander vertreten (vgl. Frey/Dingler 2001, S. 8).

Im ersten Stadium, auch Liberalfeminismus genannt, ist das Gleichheitsparadigma vorherrschend, in dem die Gleichheit zwischen den Geschlechtern betont und damit eine Gleichheit zwischen Frauen und Männern angestrebt wird. Auch die Gleichheit zwischen Frauen wird betont. Das Gender-Konzept im Liberalfeminismus geht davon aus, dass sich das eine Gender, Frauen, an das andere (Norm-) Gender, Männer, anpassen muss, um Gleichheit zu erreichen (vgl. Frey/Dingler 2001, S. 12).

Anliegen des Differenzparadigmas im zweiten Stadium ist die Betonung der Differenz zwischen Frauen und Männern, sowie die Darstellung der Frauen als gleichwertig oder den Männern überlegen, anstatt unterlegen. Das Gender-Konzept in diesem Stadium zielt darauf ab, die positiven weiblichen Eigenschaften zur Norm zu machen (vgl. Frey/Dingler 2001, S. 12).

Im dritten, dem postmodernen Stadium, wird als Kritik and den beiden anderen Stadien die Differenz zwischen Frauen betont, und weniger jene zwischen Frauen und Männern, sowie die Vorstellung des biologischen Geschlechts kritisiert und eine Auflösung der Trennung zwischen Sex und Gender gefordert. Das Geschlecht ist diesem Ansatz zu Folge keine homogene Kategorie. Zudem gibt es weitere soziale Kategorien, wie z.B. die sexuelle Orientierung eines Menschen (vgl. Frey/Dingler 2001, S. 13).

Gender ist also nur eine von vielen sozialen Kategorien bzw. ein Faktor von Diversity. Neben dem Geschlecht sind Alter, Ausbildung, Klasse oder Rasse bzw. Ethnizität weitere Faktoren, die der Kategorisierung von Menschen innerhalb eines Gesellschaftssystems dienen. Eine Gemeinsamkeit dieser Faktoren ist, dass sie mit dem Begriff Unterscheidung (vgl. Kapitel 3.2) bzw. Ungleichheit und in Folge mit Ausgrenzung verbunden sind, besonders im Kontext von (Erwerbs-) Arbeit. Zudem können diese einzelnen Faktoren mit der sozialen Kategorie Gender in sozialen Situationen in unterschiedlichen Ausprägungen interagieren, wodurch es zu doppelten bzw. mehrfachen Ausgrenzungen kommen kann, wie z.B. für schwarze Frauen (vgl. Klinger 2003, S. 24 f).

Grundannahme der sozialen Konstruktion von Gender ist, dass Gender bzw. Geschlecht und Geschlechterdifferenz in sozialen Situationen immer wieder reproduziert bzw. rekonstruiert wird, was unter anderem mit dem Begriff “doing gender“ bezeichnet wird (vgl. Littig 2002, S. 195). Grundlage des “doing gender“-Konzepts ist, dass die Wirklichkeit und damit auch das Geschlecht sozial konstruiert wird (vgl. Kapitel 3.1), im Gegensatz zu der Annahme, dass es „natürlich“ zwei und nur zwei Geschlechter gibt und dass jeder Mensch eindeutig entweder Frau oder Mann ist (vgl. Gottburgsen 2000, S. 26). In sozialen Situationen findet “doing gender“ auf vier verschiedenen Ebenen statt (vgl. Acker 1992, S. 253), erstens auf einer mentalen Ebene, z.B. durch das Selbstbild, zweitens auf einer symbolischen Ebene, wie z.B. durch Sprache oder Bilder in der Werbung, drittens auf einer strukturellen Ebene, z.B. durch bestimmte (Arbeits-) Strukturen in Organisationen, und viertens auf einer interaktiven Ebene im alltäglichen Miteinander. Das soziale Konstrukt Geschlecht bzw. “doing gender“ kann daher als interaktiver Vorgang aufgefasst werden, bei dem Frauen und Männer in ihrer täglichen Interaktion, und damit auch im Coaching, ihr Geschlecht und damit Unterschiede zwischen den Geschlechtern immer wieder reproduzieren.

Die vorliegende Arbeit stützt sich auf das Gender-Konzept des postmodernen Gender- Ansatzes, da sowohl von Unterschieden (und Gemeinsamkeiten) zwischen Frauen und Männern als auch innerhalb der Frauen bzw. innerhalb der Männer ausgegangen wird, sowie auf das Konzept des “doing gender“, indem von der Reproduktion von Gender in sozialen Situationen und damit auch im Coachingprozess ausgegangen wird.

Im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Gender-Theorien und dem “doing gender“-Konzept kann für das systemische Coaching die Annahme formuliert werden, dass die Vorstellung von Gender bzw. das Gender-Konzept die Sicht des/der Coach/s auf gender-spezifische Probleme, wie z.B. spezielle Karrierebarrieren für Frauen, und damit die Konstruktion des Coachingprozesses beeinflusst, sowie dass auch im Coachingprozess “doing gender“ stattfindet, indem Geschlecht und Geschlechterrollen auf verschiedenen Ebenen reproduziert werden.

4. 2. Geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung

Mit dem “doing gender“-Konzept eng verbunden ist die geschlechtgeschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung. Um daraus Folgen für das Coaching ableiten zu können, sollen nun die geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung und ihre Folgen für die Lebens- und Arbeitsrollen von Frauen und Männern skizziert werden.

Die soziale Konstruktion von Geschlecht zieht sich durch das ganze Leben und damit durch die ganze Sozialisation eines Menschen. Sozialisation bezeichnet den Prozess, durch den ein Kleinkind durch die Aneignung von Normen und (Geschlechter-) Rollen zu einer Person wird (vgl. Giddens 1999, S. 27). Dieser Prozess kann in primäre Sozialisation, durch die Eltern bzw. die Familie, und sekundäre Sozialisation, z.B. durch LehrerInnen in der Schule, durch Freunde oder durch die Gesellschaft insgesamt, unterteilt werden. Da der Sozialisationsprozess bei weiblichen und männlichen Kleinkindern unterschiedlich abläuft, wird von geschlechtsspezifischer Sozialisation gesprochen. Unterschiede bei der Sozialisation gibt es besonders in der Interaktion und Kommunikation zwischen Eltern und weiblichem bzw. männlichem Kleinkind. Auch wenn Eltern glauben, weibliche und männliche Kleinkinder gleich zu erziehen, gehen sie oft unterschiedlich mit ihnen um, z.B. indem sie anders mit ihnen sprechen oder ihnen andere Spielsachen geben. Spielsachen oder Kinderbücher betonen zudem die Geschlechterdifferenz bzw. die Unterschiede zwischen „weiblichen“ und „männlichen“ Eigenschaften, ein Beispiel für “doing gender“ auf symbolischer Ebene (vgl. Kapitel 4.1). Weiters bekommen weibliche und männliche Kleinkinder von ihren Eltern und anderen Erwachsenen bestimmte Geschlechterrollen vorgelebt (vgl. Giddens 1999, S. 98). Es kann daher gesagt werden, Frauen und Männer sind nicht, Frauen und Männer werden (vgl. Hoffmann 1997, S. 17), und dieses einmal produzierte bzw. konstruierte Geschlecht wird in der Gesellschaft immer wieder reproduziert.

Zentrales Element der geschlechtsspezifischen Sozialisation ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Voraussetzung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist das Vorhandensein von zwei Geschlechtern (vgl. Hoffmann 1997, S. 24). Besonders dann, wenn man sich für eine Familie mit Kindern entscheidet, werden die in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung enthaltenen Geschlechterrollen in Kraft gesetzt und die Aufgaben geschlechtsspezifisch zugewiesen (vgl. Hoffmann 1997, S. 144). So wird nach wie vor die Hauptzuständigkeit für den Bereich Familien- und Hausarbeit Frauen zugewiesen. Diese Arbeit wird jedoch im Gegensatz zu Erwerbsarbeit weder anerkannt noch entlohnt (vgl. Balog/Cyba 1990, S. 11). Geschlecht und Geschlechterdifferenz wird somit in sozialen Situationen, in der Familie wie im Beruf, immer wieder reproduziert, indem auf Grund von Rollenerwartungen, die im Sozialisationsprozess vermittelt wurden, geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen erfolgen. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Form von “doing gender“ auch in der sozialen Situation bzw. Interaktion Coachingprozess stattfindet.

4. 3. Gender-spezifische Faktoren im Coaching

Welche Folgen haben nun die geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung, sowie verschiedenen Formen von “doing gender“ in Gesellschaft und Wirtschaft für das Coaching?

Geschlechtsspezifische Unterschiede bzw. Unterscheidungen spielen nicht nur im Kleinkindalter in der Familie, sondern auch in anderen sozialen Systemen, wie z.B. in Organisationen, das ganze Leben lang eine Rolle. Im Kontext von Organisationen wird durch die geschlechtsspezifische Sozialisation und “doing gender“ z.B. weiblichen Führungskräften tendenziell Beziehungsorientierung, männlichen Führungskräften hingegen tendenziell Aufgabenorientierung zugeschrieben. Weiters werden durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die daraus resultierende Doppelrolle bzw. Doppelbelastung der Frau berufstätige Mütter tendenziell mit anderen Problemen konfrontiert als berufstätige Väter. Es kann daher die begründete Annahme formuliert werden, dass es im Coachingprozess, der berufliche und damit verbundene private Themen beinhaltet, sowohl auf der Seite der Coachs als auch auf der Seite der KlientInnen Unterschiede zwischen Frauen und Männern geben kann, wie z.B. eine unterschiedliche Kommunikation oder unterschiedliche Themen, aber auch zwischen Frauen bzw. zwischen Männern, abhängig von Faktoren wie z.B. Alter oder Ausbildung. Das heißt das Geschlecht des/der Coach/s und des/der KlientIn, sowie die Sensibilisierung des/der Coach/s auf gender-spezifische Faktoren, können Einfluss auf die Beziehung zwischen den am Coaching beteiligten Personen, auf die Themen und Fragen im Coaching, und damit auf den gesamten Coachingprozess haben. Es kann daher weiters die Annahme formuliert werden, dass die Beschäftigung mit gender-spezifischen Faktoren (im Coaching) die Sicht auf gender-spezifische Probleme und damit die Konstruktion des Coachingprozesses positiv beeinflusst.

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Details

Titel
Systemisches Coaching und Gender - Eine Explorationsstudie zu gender-spezifischen Faktoren im Coachingprozess aus der Sicht weiblicher und männlicher Coachs
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien
Note
gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
97
Katalognummer
V34107
ISBN (eBook)
9783638344197
Dateigröße
804 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemisches, Coaching, Gender, Eine, Explorationsstudie, Faktoren, Coachingprozess, Sicht, Coachs, Thema Gender
Arbeit zitieren
Verena Aichholzer (Autor:in), 2004, Systemisches Coaching und Gender - Eine Explorationsstudie zu gender-spezifischen Faktoren im Coachingprozess aus der Sicht weiblicher und männlicher Coachs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34107

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