Der Bulle von Tölz. Kriminalserie oder Heimatfilm mit Todesfall?

Fernsehanalyse und -interpretation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Eine Sendung zwischen zwei Genres

2 Die Merkmale der Genres „ Kriminalserie“ und „ Heimatfilm“
2.1 Die Ästhetik der Kriminalserie
2.2 Die Ästhetik des Heimatfilms

3 Fernsehanalyse
3.1 Eckdaten zum „Bullen von Tölz“
3.2 „Bei Zuschlag Mord“: Eine Inhaltsangabe
3.3 Auswertung der Ergebnisse
3.3.1 Thematik
3.3.2 Narration und Komposition
3.3.3 Figuren
3.3.4 Handlungsort
3.3.5 Besonderheiten

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis
5.1 Sekundärliteratur
5.2 TV-Programm-Zeitschriften
5.3 Internet -Adressen

1 Eine Sendung zwischen zwei Genres

„Beim Bullen von Tölz handelt es sich um einen sehr guten Heimatfilm. Ein moderner, anständiger Heimatfilm“ so äußerte sich der Hauptdarsteller Ottfried Fischer am 26. Januar 2004 in der ARD-Talkshow „Beckmann“ auf die Frage nach dem Grund für den gewaltigen Publikumserfolg der Serie[1]. Dieses Statement wird viele der treuen Fans des „Bullen von Tölz“ zunächst überrascht haben, bezeichnen doch die meisten Zuschauer, diverse Programmzeitschriften[2] sowie Kommunikationswissenschaftler[3] die Sendung als Krimi. Dennoch muss wohl jeder, der die Serie regelmäßig konsumiert, zugeben, dass man der Aussage Ottfried Fischers nur sehr schwer widersprechen kann.

Zweifelsohne weist „Der Bulle von Tölz“ sowohl Merkmale einer Kriminalserie als auch eines Heimatfilms auf. Eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Gattung ist deshalb kaum möglich. Dieses Phänomen findet sich in der deutschen Fernsehlandschaft recht häufig. Gründe dafür sind zum Beispiel, dass sich zahlreiche Genres stetig weiterentwickeln oder auch miteinander verschmelzen können[4]. Der Rezipient beschäftigt sich beim Fernsehen nur sehr selten bewusst mit der Frage nach der Gattung der Sendung, die er gerade sieht[5]. Für TV-Produzenten jedoch sind Genres von weitaus größerer Bedeutung. Klassifikationen ermöglichen ihnen, sich „eine Vorstellung über die Erwartungen der Zuschauer an bestimmte Gattungen und Genres zu machen“[6]. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind schließlich Voraussetzung dafür, dass die Wünsche der Zuschauer an das TV-Programm befriedigt und ein effektives Medienangebot gestaltet werden können[7].

In dieser Arbeit wird die Serie „Der Bulle von Tölz“ auf Merkmale der Gattungen „Kriminalserie“ und „Heimatfilm“ hin analysiert. Das Ziel ist es jedoch nicht, die Sendung einem der beiden Genres zuzuordnen und von dem anderen abzugrenzen. Vielmehr wird untersucht, welche Elemente der beiden Gattungen jeweils von der Sendung übernommen und wie diese darin verarbeitet werden. Im ersten Abschnitt der Arbeit werden dafür zunächst typische Merkmale der beiden Genres benannt und erläutert. In der darauffolgenden Fernsehanalyse wird exemplarisch anhand der Folge „Bei Zuschlag Mord“ nach entsprechenden Gattungsmerkmalen gesucht. Am Ende der Untersuchung wird abschließend darüber diskutiert, ob und, wenn ja, wie es den TV- Produzenten gelungen ist, Wünsche ihrer Rezipienten im „Bullen von Tölz“ umzusetzen.

2 Die Merkmale der Genres „ Kriminalserie“ und „ Heimatfilm“

2.1 Die Ästhetik der Kriminalserie

Bis in die 70er Jahre stammten die im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Kriminalserien überwiegend aus US-amerikanischen und britischen Produktionen[8]. Vor allem der amerikanische Fernsehkrimi hat somit maßgebliche Normen für das Genre geschaffen, die später auch von deutschen Produktionen übernommen wurden[9]. Die ersten amerikanischen Kriminalserien, die Ende der 1940er Jahre entstanden, orientierten sich stark an Vorläuferformaten[10]. Als Vorbilder für Thematik und Komposition fungierten dabei Kriminalromane und –filme, die Serialität übernahm man von Radioserials[11].

Im Mittelpunkt einer jeden Kriminalserie steht der Kampf zwischen Gut und Böse, wobei das Böse immer mit der Verletzung gesellschaftlicher Normen verbunden ist und das Gute sich darum bemüht, die verlorengegangene Ordnung wiederherzustellen[12]. Der Handlungsort dient dabei zum einen als Stimmungshintergrund, zum anderen gibt er die dort vorherrschenden Werte und Handlungsnormen vor[13]. In der Regel bevorzugt die Gattung den Mord als normverletzendes Element, da von allen Verbrechensarten diese die größte Dramatik verspricht[14]. Die Motive für die Tat sind meist Geldgier, Eifersucht, Rache oder die Vernichtung eines Informationsträgers. Tötung im Affekt spielt dagegen äußerst selten eine Rolle[15]. In der überwiegenden Mehrzahl der Sendungen lohnt sich der Mord jedoch nicht, weil der oder die Täter am Ende überführt und bestraft werden. Allerdings sind die Konsequenzen, die Bestrafung, immer zeitlich und räumlich von der Aufklärung des Falles getrennt. Der Zuschauer erlebt die Verurteilung des oder der Schuldigen nicht mit[16].

„Die Handlungsrollen der Figuren im Krimi bestimmten sich nach der Verbindung zum zentralen Verbrechen“[17]. Die Personen gruppieren sich also in Relation zur Gewalttat als Polizeipersonal, Täter oder Verdächtige, Zeugen oder Experten[18].

Der typische Aufklärer des britischen Kriminalromans wurde durch seine Intelligenz, seine gute Menschenkenntnis sowie Beobachtungs- und Kombinationsgabe zum epischen Helden hochstilisiert[19]. Heutige Fernsehermittler sind stärker an Vorbilder des Kriminalfilms angelehnt, die die Gesetze der Straße beherrschen und sich somit durch Souveränität gegenüber ihrer Umgebung ausweisen[20]. So beeinflusste vor allem die Figur des „Schimanski“ (ARD, Tatort) seit den 80er Jahren die Charakterzüge der Aufklärer in den westdeutschen Krimi-Produktionen. Der Kriminalbeamte Schimanski hatte sich im Vergleich zu seinen Vorgängern von althergebrachten Konventionen befreit. Nun stand eine Figur im Mittelpunkt des Geschehens, die sich durch Spontanität, lockere Umgangsformen, eine ungeschliffene Sprache und eigenwillige Dienstauffassungen auszeichnete[21]. Obwohl sich die Person des Ermittlers im Verlauf der letzten Jahrzehnte stark verändert hat, ist seine Funktion jedoch dieselbe geblieben: in der Regel übernimmt er die Rolle eines Detektivs oder Kommissars, der als ruhender, ordnender Pol in dem ihn umgebenden Chaos sämtliche Handlungsstränge zusammenführt[22].

Neben dem Aufklärer präsentiert eine Kriminalserie gewöhnlich pro Folge bis zu neun weitere Figuren[23]. Grundsätzlich gilt, dass die ermittelnde Person keinen gleichberechtigten Partner neben sich haben darf, da ansonsten ihr Status als epischer Held gefährdet ist[24]. Deswegen zeichnen sich Gehilfen häufig durch entgegengesetzte Persönlichkeitsmerkmale zum Hauptermittler aus[25]. Weitere Unterstützung wird dem Aufklärungspersonal durch Experten zuteil, die mit deutlich sichtbaren Attributen ihres Berufstandes ausgestattet werden und ihre Erkenntnisse (Pathologie, Spurensicherung) am Tatort oder aus dem Labor den Ermittlern und damit auch dem Zuschauer mitteilen. Zeugen sind oftmals neutrale und monofunktionale Figuren, die zwar Träger wichtiger Informationen darstellen und somit wesentlich zum Fortgang der Ermittlungen beitragen, jedoch mit den eigentlichen Geschehnissen – der Tat und ihren Hintergründen – nichts zu tun haben[26].

Ganz anders verhält sich das bei den Bösewichtern, die in der Regel vielschichtig dargestellt werden. Unterschieden wird dabei zwischen dem „bösen Boss“ und dem Täter. „Der typische böse Boss ist männlich, Mitte Vierzig oder älter, tritt als Gentleman auf und wird entweder offen als Dämon, als überzeugter Bösewicht gezeichnet, oder als gutaussehender Erfolgsmensch“[27]. Meist zeichnet er sich durch einen hohen sozialen Status aus, der ihm Einfluß auf Politik und Wirtschaft, Macht und finanzielle Mittel verleiht. Zudem steht er in Verbindung zu Kriminellen[28]. Der Täter dagegen ist um die Dreißig, in den meisten Fällen aber ebenfalls männlich[29].

Im Kriminalgenre ist generell ein Übergewicht an männlichen Figuren zu beobachten[30]. Dies gilt jedoch nicht nur für die Aggressoren, sondern auch für die Aufklärer[31]. Bemerkenswert ist außerdem die scheinbare Realitätsnähe der Protagonisten, in deren Privatleben der Zuschauer im Verlauf des Geschehens Einblick erhält und somit auch Schwächen und Vorlieben der Figuren kennenlernt[32].

Die Kriminalserie ist stark narrativ motiviert[33]. Sie orientiert sich dabei am Kriminalroman, bei dem im Vordergrund der Handlung das Rätsel steht, das beim Zuschauer Spannung erzeugt, weil er ständig versucht, es selbst – vor den Ermittlern – zu lösen[34]. Dabei übernimmt die Kamera die Funktion des auktorialen Erzählers, indem sie Indizien und Hinweise aufdeckt oder bewusst verdeckt[35]. Zum Beispiel wird der Täter während des Verbrechens nur in Teilaufnahmen gezeigt, um dessen Identität zu verbergen[36]. „Informationen zu Krimifall und Aufklärung bearbeitet und transportiert die Krimiserie im Dialog [zum Beispiel bei Besprechungen im Dienstzimmer], in der Interaktion zwischen ihren Figuren und beteiligt dabei den Zuschauer an der schrittweisen Lösung des Rätsels“[37]. Oftmals steigern Schießereien und Verfolgungsfahrten die Dramaturgie der Handlung[38]. Zwischen den einzelnen Spannungshöhepunkten lassen sich häufig humoristische Auflockerungen beobachten[39]. Zeitgeschichtliche Ereignisse und Haltungen „verschaffen dem Genre [zudem] die Ausstrahlung von Aktualität“[40].

Das herausragende Merkmal des Genres ist seine einzigartige Komposition, die es im Vergleich zu anderen Gattungen so unverwechselbar macht. Oberflächlich betrachtet kann man sagen, dass grundsätzlich jede Folge einer Kriminalserie mit der Darstellung eines Verbrechens oder dessen Folgen beginnt. Die darauf folgende Aufklärungsarbeit der Ermittler, die den Hauptteil der Handlung ausmacht[41], führt schlussendlich zur Überführung des Täters und somit zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung[42]. Untersucht man den Aufbau jedoch genauer, so lassen sich deutlich Parallelen zur Gliederung des klassischen Dramas ziehen, denn auch die Kriminalserie weist Exposition, Entwicklung, Krise, Höhepunkt und Schluss auf[43].

In der Exposition der Krimis werden dem Zuschauer die Vorgeschichte sowie die wesentlichen Figuren der Handlung präsentiert. Recherche und Fahndung sind der thematische Inhalt der Entwicklung. Dazu gehören die Entdeckung des Mordopfers und Untersuchungen am Fundort der Leiche, Zeugenbefragungen, das Einholen von Expertenwissen, die Suche nach Hinweisen sowie Nachforschungen im sozialen Umfeld des Opfers. Die Krise zeigt sich durch Komplikationen bei den Ermittlungsarbeiten. So stellen sich zum Beispiel Verdächtigungen der Aufklärer als falsch heraus oder Zeugen werden der Falschaussage überführt. In der Regel werden daraufhin sämtliche Ergebnisse, die die Polizeiarbeit bis zu diesem Zeitpunkt erbracht hat, nochmals überdacht und neu geordnet. Der Höhepunkt, eine handlungs- oder dialogbetonte Spannungsszene, ist „kein eigenständiger Teil der Erzählung“. Er ist entweder mit der Komplikation oder dem Schluss verbunden und zeigt beispielsweise eine Geiselnahme oder einen Fluchtversuch des Hauptverdächtigen. Am Schluss steht die Rekonstruktion der Tat und somit auch die Überführung des Täters. Nachdem durch die Aufklärung des Falles die Ordnung wiederhergestellt wurde, sorgen so genannte „Lach-Enden“ oftmals noch zusätzlich für einen versöhnlichen und heiteren Ausgang[44].

Die Kriminalserie ist das am weitesten verbreitete Genre unter den Fernsehserien und gilt sowohl in den USA als auch in Deutschland als die wichtigste Programmform, da sie – wie regelmäßig hohe Einschaltquoten beweisen – eine hohe Zuschauerwirksamkeit besitzt[45]. Die Gründe für den Erfolg der Gattung sind zum einen die Kontinuität seiner thematischen und narrativen Komposition, zum anderen seine Serialität, die sich durch ein festes Ensemble von Schauspielern und gleichartige Verläufe zeigt[46]. Das fängt bei der Vor- und Abspannmusik an, die als Erkennungsmelodie fungiert, geht über immer wiederkehrende Innenräume und Außenaufnahmen und endet bei den Fahrzeugen und der Kleidung der Figuren[47]. Somit können sich beim Rezipienten konkrete Erwartungen an die Sendung entwickeln[48], was zur Folge hat, dass ihm bereits bekannte Strukturen eine rasche Orientierung ermöglichen. Die Kriminalserie ist daher durch eine gewisse Trivialität charakterisiert. „Trivialität im Fernsehen bedeutet [...] die Reduktion der menschlichen Komplexität auf eine allgemeine Verständnis- und Nachempfindungsebene“[49]. Der hohe Wiedererkennungswert der Genres[50] ermöglicht dem Zuschauer die Bequemlichkeit, sein Vorwissen nicht immer wieder aus Neue aktualisieren zu müssen[51].

2.2 Die Ästhetik des Heimatfilms

Wie die Kriminalserie bezieht sich auch der Heimatfilm vor allem auf literarische Vorbilder wie zum Beispiel Heimatromane und –gedichte. Weitere Einflüsse lassen sich in die Bereiche Malerei, Volksmusik und Volkstheater zurückverfolgen[52]. Der Heimatfilm gilt als rein bundesdeutsches und österreichisches Genre[53], das nur einige wenige Parallelen mit dem US-amerikanischen Western aufweist.

Die Anfänge der Gattung liegen in den 1920er Jahren[54]. Verfolgt man die Entwicklung von damals bis heute, können innerhalb des Genres verschiedene Traditionen und Perioden ausgemacht werden, die jeweils entsprechende Motiv- und Paradigmenwechsel zur Folge hatten[55]. Eine genaue Definition der Heimatfilm-Ästhetik ist aufgrund dieser vielfältigen Variationen nicht möglich. Die in diesem Kapitel aufgeführten Merkmale beziehen sich deshalb hauptsächlich auf den Heimatfilm der 50er Jahre, in denen die Gattung ihre bisherige Blütezeit erlebte[56] und somit die Erwartungshaltung der Rezipienten gegenüber dem Genre nachhaltig geprägt hat.

Der klassische Heimatfilm handelt vom dörflichen Leben auf dem Land[57], das meist in den Alpen, dem Schwarzwald oder der Heide situiert ist. Die ländliche Umgebung der Handlung wird mittels „Aufnahmen von Flora und Fauna, Bergpanoramen oder [...] friedliche[n] Täler[n]“[58] zur Idylle hochstilisiert[59], die sich gegen eine stetig wachsende moderne, stark technisierte städtische Außenwelt zu verteidigen hat[60]. Der Handlungsort mit seinen typischen Mentalitäten, Trachten, Bräuchen und der Küche fungiert als feste Kulisse[61], deren regionale Gebundenheit durch einen bestimmten Stamm einheimischer Schauspieler, die des entsprechenden Dialekts mächtig sind, unterstrichen wird[62]. Die Landschaft dient allerdings lediglich der Dekoration. Auf die spezifischen Eigenschaften der Region wird in der Handlung nicht eingegangen[63].

Im Mittelpunkt des Geschehens steht das Leben der „kleinen“ Leute[64], die unbeirrbar an festen Normen und traditionellen Werten wie zum Beispiel Familie, Religion und Altershierarchie festhalten, da dies die Basis ihres gesellschaftlichen Wohls ausmacht[65]. Der Heimatfilm verzichtet in der Regel „auf eine differenzierte Darstellung der menschlichen Charaktere“[66]. Einheimische erkennt der Zuschauer meist an deren Bodenständigkeit, der engen Verbundenheit mit der Natur und der distanzierten Haltung gegenüber Fremden[67].

Die Handlung selbst zeichnet sich in den meisten Fällen durch den Kampf Gut gegen Böse aus. Dabei wird das Gute von den heimatverbundenen Menschen verkörpert, die sich darauf verstehen, die Werte und Normen ihrer Gemeinschaft zu bewahren[68]. „Die Ursache des Bösen ist die Entfremdung von der Tradition“[69], was immer zur Folge hat, dass die Heimatwelt gestört und somit die Idylle bedroht wird[70]. Dieser Kampf vollzieht sich häufig in einer einheimischen Person, die sich im Zwiespalt zwischen Konservatismus und Fortschritt befindet[71]. Ursache für diese Unentschlossenheit sind zum Beispiel Konflikte zwischen der Eltern- und Kindergeneration oder die Konfrontation der ländlichen Bevölkerung mit der Stadt[72], gegen deren Einfluss sich die Heimat abzuschotten versucht, da Modernisierung aus Sicht der Einheimischen mit Werteverlust verbunden ist[73]. In der Regel lässt sich diese Person vom schönen Schein der Stadt kurzzeitig verführen und kehrt ihrer Heimat und damit auch deren traditionellen Werten den Rücken. Allerdings macht sie in der Fremde vornehmlich schlechte Erfahrungen[74], weshalb sie bald darauf geläutert nach Hause zurückkehrt[75]. Letzten Endes setzt sich die Tradition, das Gute, gegen das Böse, den Drang nach Modernisierung, durch.

Eine wichtige Nebenrolle spielen im Heimatfilm darüber hinaus die Liebesgeschichten, die – um den ländlichen Normen gerecht zu werden - grundsätzlich immer im Hafen der Ehe landen. Obwohl sie oftmals Dreh- und Angelpunkt der Handlung ausmachen, werden sie dem Rezipienten nur äußerst zurückhaltend präsentiert[76].

Der Heimatfilm ist im Gegensatz zur Kriminalserie stark motivisch geprägt[77]. Seine Geschichten, Figuren und Stoffe wecken bei den Zuschauern „die Sehnsucht nach mehr Romantik, Gefühl, nach dem Guten und Schönen“[78]. Ein weiteres entscheidendes Element für den Erfolg des Heimatfilms liegt – wie dies auch bei der Kriminalserie der Fall ist - in seiner Trivialität. Neben schönen Landschaftsbildern und romantischen Gefühlen bietet dieses Genre seinen Konsumenten mit dem propagierten Wertekonservatismus auch emotionale Versicherung[79] und sorgt zudem durch seine simple Darstellungsweise für deren „geistige Entlastung“.

3 Fernsehanalyse

3.1 Eckdaten zum „Bullen von Tölz“

Die Sendung „Der Bulle von Tölz“ stammt aus einer deutschen Produktion, die 1996 ihren Anfang nahm und seither in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Folgen hervorbringt. Die Sendedauer beträgt ohne Werbung ungefähr 90, mit dieser circa 120 Minuten[80]. Die Serie, die jede Woche mehr als 6 Millionen Zuschauer verfolgen[81], hat ihren festen Sendeplatz mittwochs von 21.15 bis 23.15 Uhr bei dem privaten Fernsehsender Sat.1[82]. Die Folge, die in dieser Arbeit analysiert wird, trägt den Titel „Bei Zuschlag Mord“ und wurde am Mittwoch, dem 15. Juni 2005 als Wiederholung ausgestrahlt.

3.2 „Bei Zuschlag Mord“: Eine Inhaltsangabe

Die Folge „Bei Zuschlag Mord“ handelt vom Mordfall Franz Landig. Das Opfer, das Merkmale massiver Misshandlungen und eine tödliche Kopfverletzung aufweist, ist zwar gelernter Restaurateur gewesen, hat sich seinen Lebensunterhalt jedoch als Fälscher von Ikonen und als Antiquitätenhändler verdient. Dabei hat er vor allem ältere Leute über den Tisch gezogen und ist selbst vor Einbruch nicht zurückschreckt.

Die Ermittlungsarbeit wird dem zuständigen Kriminalkommissar Benno Berghammer und seiner Kollegin Sabrina Lorenz übertragen. Der Tote ist dem Beamten bereits als Pensionsgast seiner Mutter Resi Berghammer bekannt. Wie sich noch herausstellen wird, ist auch sie ein Opfer des Verstorbenen, der ihr eine Uhr, die über 40.000 DM wert ist, für nur 3000 DM abgeschwatzt hat. Während ihrer Recherche treffen die Kommissare auf den Auktionator Berghoff, einen Schulfreund Bennos, und den Trödler Georg Erbacher, mit denen das Mordopfer Geschäftsbeziehungen unterhielt. Im weiteren Verlauf der Ereignisse werden Benno und Sabrina zunehmend in das Familiendrama der Posches verwickelt. Die alte Frau Posche, deren verstorbener Mann Franz Landig zum Restaurateur ausgebildet hat, vertraut den geerbten Familienbetrieb, einen Kunst- und Antiquitätenhandel, ihrem zwielichtigen Anwalt Rennmann an, der auch schon den Ermordeten wegen diversen Gesetzesverstößen vor Gericht verteidigt hat. Die Nichte von Frau Posche, Nicole, lebt mit ihrer Tante unter einem Dach und hat eine Liebesbeziehung mit Thomas Landig, dem Halbbruder des Mordopfers. Die beiden verheimlichen ihre nächtlichen Zusammenkünfte vor der alten Frau Posche. Diese ist nicht gut auf Thomas zu sprechen, weil dessen Bruder noch während seiner Ausbildung im Namen der Familie Posche Fälschungen verkauft hat. Die Liebenden befürchten, dass der Anwalt Rennmann sich an der Tante bereichern möchte und den Betrieb ruinieren wird. Dieser Eindruck bestätigt sich, als Rennmann die Bischofskrumme der Familie Posche dem Prälaten Hinter zu einem Spottpreis und gegen eine enorm hohe Provisionszahlung für sich selbst zum Verkauf anbietet. Nicole zeigt dem Anwalt deswegen bei jeder Gelegenheit ihren Widerwillen und versucht ihre Tante seinem Einfluss zu entziehen.

Die Kriminalbeamten finden schließlich heraus, dass Franz Landig sowohl den Auktionator Berghoff als auch den Trödler Erbacher und den Anwalt Rennmann erpresst hat. Sie können beweisen, dass zum einen Berghoff und Erbacher gemeinsam im Auftrag Rennmanns Schläger engagiert haben, um den Erpresser einzuschüchtern, und dass zum anderen Rennmann selbst, nachdem die Schläger den bewusstlosen Landig zurückgelassen hatten, diesen mit einem goldenen Kreuz, das dieser zuvor aus dem Tresor der Posches gestohlen hatte, den Schädel eingeschlagen hat.

3.3 Auswertung der Ergebnisse

3.3.1 Thematik

Thematisch übernimmt der „Bulle von Tölz“ sowohl Elemente aus dem Genre der Kriminalserie als auch dem des Heimatfilms. Entsprechend der Kriminalserie – wie auch des Heimatsfilms - steht der Kampf Gut gegen Böse im Mittelpunkt. Das Verbrechen, der Mord an Franz Landig durch seinen Anwalt Rennmann, stellt dabei die Verletzung der gesellschaftlichen Norm dar und entspricht mit seinem Motiv, der Vernichtung eines Informationsträgers, dem Bösen. Die Kriminalkommissare Benno Berghammer und Sabrina Lorenz verkörpern dagegen das Gute. Ihnen gelingt es durch die Überführung und Verhaftung des Mörders die gestörte Ordnung wieder herzustellen.

Merkmale des Heimatfilms sind eher in den Handlungssträngen zu finden, die parallel zum eigentlichen Kriminalfall verlaufen. Ein solcher Nebenstrang stellt das Drama um die Familie Posche dar. Auch hier findet sich ein Kampf des Guten gegen das Böse. Auf der guten Seite stehen die alte Frau Posche, ihre Nichte Nicole und Thomas Landig, die gleichsam im Sinne traditioneller Werte handeln. So möchte Tante Posche unbedingt an dem verschuldeten Kunst- und Antiquitätenhandel festhalten, der schon seit Generationen in Familienbesitz ist. Ihre Nichte Nicole richtet sich, was ihre Liebesbeziehung zu Thomas und den Familienbetrieb angeht, nach den Wünschen ihrer Tante und orientiert sich somit voll und ganz an der Altershierarchie. Thomas hält, obwohl er nicht gut auf seinen verstorbenen Halbbruder zu sprechen gewesen ist, trotzdem im Sinne der Familienbande fest zu ihm: „Er is´ trotzdem noch mei´ Bruader!“. Das Böse wird hingegen von Franz Landig und dem Anwalt Rennmann verkörpert, die sich beide an den Posches bereichert und somit die Institution Familie mit Füßen getreten haben.

Die Beziehung zwischen Nicole Posche und Thomas Landig ist geradezu beispielhaft für eine Heimatfilm-Liebesgeschichte. Die Liebe zwischen den beiden wird zunächst von der alten Frau Posche nicht akzeptiert und muss sich schweren Prüfungen, wie zum Beispiel die Geiselnahme Nicoles, stellen. Doch nachdem alles überstanden ist, fallen sich die Liebenden in die Arme. Das gute Ende für Nicole und Thomas ist bei der Verhaftung Rennmanns perfekt. Beide versprechen der Tante, sich in Zukunft zusammen um den Familienbetrieb der Posches zu kümmern. Somit wird dem Zuschauer zum einen angedeutet, dass die Beziehung wohl auf lange Sicht im Hafen der Ehe landen wird, zum anderen aber auch, dass die alte Frau Posche Thomas und dessen Liebe zu ihrer Nichte endlich respektiert.

Ein für den Heimatfilm typischer Generationenkonflikt zeigt sich in der Mutter-Sohn-Beziehung von Resi und Benno Berghammer. Allerdings haben ihre Auseinandersetzungen niemals wirklich ernste Auswirkungen. Vielmehr begleiten die bissigen wie liebevollen Zankereien zwischen dem Kommissar, der mit über 40 Jahren noch zu Hause wohnt, und seiner Übermutter, einer resoluten Pensionswirtin, die Handlung auf humorvolle Art und Weise. Deutlich wird dies zum Beispiel in der Szene, in der Benno und Sabrina das Zimmer Franz Landigs in der Pension Berghammer aufsuchen. Nachdem Benno seine Mutter, die sich sehr über die Todesnachricht aufregt, aus dem Zimmer gedrängt hat, kommentiert er ihr Verhalten gegenüber seiner Kollegin: „Manchmal spinnt´s wirklich mei´ Muader“. Wenige Minuten später ruft der Kommissar Resi wieder zurück, um sie als Zeugin zu vernehmen. Der Schnitt vor die Zimmertür zeigt, wie Resi mit verschränkten Armen wartend davor steht und schließlich mit einem zufriedenen Nicken und den Worten „Jetzt braucht er mi´ wieder“ eintritt. Im folgenden Verhör redet Resi in ihrer Erregung auf Benno und Sabrina wie ein Wasserfall ein. Beide bemerken schnell, dass von Bennos Mutter keine weiteren hilfreichen Informationen zu erwarten sind und verlassen ohne Gruß und ohne Resi weiter Beachtung zu schenken das Haus. „Er war ein hervorragender Handwerker. Ja, en Abfluss hot er mor repariert. Was moinst, warum bei uns der Abfluss plötzlich so gut geht? Du kümmerst dich ja nie um woas, du duast ja nix!“ Dieser Wortschwall begleitet die Kommissare aus der Pension. Sabrina weist Benno vor der Haustür genervt auf dessen fehlende Autorität gegenüber seiner Mutter hin. Doch anstatt durchzugreifen, entzieht er sich mit der Bemerkung „Der schick´ i jetzt die Uniformierten“ einer weiteren Auseinandersetzung und übergibt die Verantwortung einer höheren Macht, der Staatsgewalt.

[...]


[1] Vgl. http://www.daserste.de/beckmann/sendung.asp?uid=ke3tzfexspo1pg866kjmz3hn&cm.asp vom 21. 05. 2005.

[2] Vgl. TV 14, Bd. 12 (11. – 24. Juni) 2005, S. 83–85.

[3] Vgl. Hoffmann, Jella: Verbrechensbezogene TV-Genres aus der Sicht der Zuschauer, München 2003, S. 115.

[4] Vgl. Süss, Daniel: Der Fernsehkrimi, sein Autor und die jugendlichen Zuschauer, Göttingen 1993, S. 60.

[5] Vgl. Hoffmann, S. 10.

[6] Ebd., S. 29.

[7] Vgl. Hoffmann, S. 29.

[8] Vgl. Brandt, Ulrich: Krimistandards. Motive, narrative Strategien und Standardsituationen der amerikanischen Freitagabend-Krimiserien in der ARD von 1962 bis 1978, Heidelberg 1995, S. 11.

[9] Vgl. ebd., S. 10.

[10] Vgl. ebd., S. 15

[11] Vgl. ebd., S. 470.

[12] Vgl. Brück, Ingrid: Der deutsche Fernsehkrimi, Stuttgart 2003, S. 9.

[13] Vgl. Brandt, S. 22.

[14] Vgl. Groebel, Jo: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms, Opladen 1993, S. 111.

[15] Vgl. Brandt, S. 18.

[16] Vgl. Groebel, S. 113.

[17] Brandt, S. 364.

[18] Vgl. ebd., S. 365.

[19] Vgl. ebd., S. 18.

[20] Vgl. ebd., S. 10.

[21] Vgl. Brück, S. 189ff.

[22] Vgl. Brandt, S. 38f.

[23] Vgl. ebd., S. 362.

[24] Vgl. ebd., S. 373.

[25] Vgl. Süss, S. 60.

[26] Vgl. Brandt, S. 373.

[27] Ebd., S. 366.

[28] Vgl. ebd., S. 373.

[29] Vgl. ebd., S. 366.

[30] Vgl. ebd., S. 364.

[31] Vgl. ebd., S. 373.

[32] Vgl. Groebel, S. 156.

[33] Vgl. Gerhardt, Ulf-Dietmar: Der Kriminalfilm im Fernsehen, Stettin 1971, S. 58.

[34] Vgl. Brandt, S. 10.

[35] Vgl. ebd., S. 59.

[36] Vgl. ebd., S. 360.

[37] Ebd., S. 383.

[38] Vgl. ebd., S. 24.

[39] Vgl. Süss, S. 61.

[40] Brandt, S. 20.

[41] Vgl. ebd., S. 35.

[42] Vgl. ebd., S. 93.

[43] Vgl. Brandt., S. 73f.

[44] Vgl. ebd., S. 24.

[45] Vgl. ebd., S. 50.

[46] Vgl. ebd., S. 27.

[47] Vgl. ebd., S. 45.

[48] Vgl. Brandt, S. 11.

[49] Alois Schardt, Journalist und Programmdirektor des ZDF 1982-1988, zitiert in: Joan Kristin Bleicher (Hrsg.): Fernseh-Programme in Deutschland. Konseptionen, Diskussionen, Kritik, Opladen 1996, S. 171.

[50] Vgl. Brandt, S. 13.

[51] Vgl. ebd., S. 27.

[52] Vgl. Kaschuba, Wolfgang: Der deutsche Heimatfilm. Bildwelten und Weltbilder, Tübingen 1989, S. 9.

[53] Vgl. Sannwald, Daniela: „Heimatfilm“, S. 145-148, in: Rainer Rother (Hrsg.): Sachlexikon Film, S. 145.

[54] Vgl. Kaschuba, S. 7.

[55] Vgl. Ebd., S. 9

[56] Vgl. Sannwald, S. 145.

[57] Vgl. Kaschuba, S. 11.

[58] Sannwald, S. 146.

[59] Vgl. Kaschuba, S. 28.

[60] Vgl. Borstnar, Nils: Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, Konstanz 2002, S. 54.

[61] Vgl. Kaschuba, S. 11.

[62] Vgl. ebd., S. 221.

[63] Vgl. Sannwald, S. 148.

[64] Vgl. Kaschuba, S. 11.

[65] Vgl. Borstnar, S. 54.

[66] Kaschuba, S. 28.

[67] Vgl. Ebd., S. 25.

[68] Vgl. Ebd., S. 21.

[69] Ebd., S. 28

[70] Vgl. Borstnar, S. 55.

[71] Vgl. Kaschuba, S. 11.

[72] Vgl. Sannwald, S. 146.

[73] Vgl. Bostnar, S. 57.

[74] Vgl. ebd., S. 55.

[75] Vgl. Kaschuba, S. 30.

[76] Vgl. ebd., S. 231f.

[77] Vgl. Borstnar, S. 58.

[78] Bleicher, S. 171.

[79] Vgl. Kaschuba, S. 11.

[80] Vgl. TV 14, S. 83.

[81] Vgl. http://www.sat1.de/serien/bullevontoelz/derbulle vom 21. 05. 2005.

[82] Vgl. TV 14, S. 85.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Bulle von Tölz. Kriminalserie oder Heimatfilm mit Todesfall?
Untertitel
Fernsehanalyse und -interpretation
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Fernsehanalyse
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V340931
ISBN (eBook)
9783668303690
ISBN (Buch)
9783668303706
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fernsehen, Fernsehanalyse, Fernsehinterpretation, Der Bulle von Tölz, Krimiserie, Heimatfilm
Arbeit zitieren
Tabea Roth (Autor:in), 2005, Der Bulle von Tölz. Kriminalserie oder Heimatfilm mit Todesfall?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340931

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