Communities of Practice. Potenziale des Lernens Erwachsener in professionellen Lerngemeinschaften


Masterarbeit, 2015

79 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung, Aufbau und Ziel der Arbeit
1.2 Relevanz und Einordnung in die EB/WB-Forschung

2 Theoretische Grundlagen zum Lernen in Communities
2.1 Begriffliche Verortung von „Communities“
2.2 Die Wurzel der Community-Konzepte: Situiertes Lernen
2.2.1 Lernen Erwachsener in professionellen Kontexten
2.2.2 Kernmerkmale des Situierten Lernens
2.2.3 Verortung im lehr-/lerntheoretischen Diskurs
2.3 Communities of Practice
2.3.1 Begriffsbestimmung
2.3.2 Abgrenzung zu anderen Gemeinschaftsformen
2.3.3 Zusammenfassung zentraler Merkmale von CoP
2.4 Kritische Kommentierung: Grenzen des Lernens in Communities
2.5 Empirische Studien zu Potenzialen der Zusammenarbeit in CoP

3 Methodologische Grundlagen und Forschungsdesign
3.1 Fallstudien als Verfahren der Community-Forschung
3.2 Fallbeschreibung und Feldzugang
3.3 Datenerhebung
3.4 Datenaufbereitung und -auswertung
3.5 Methodendiskussion und Probleme

4 Empirische Ergebnisse der Fallstudie
4.1 Einordnung des Fallbeispieles in die Community-Theorie
4.2 Potenziale der Zusammenarbeit in der CoP für die Teilnehmenden
4.2.1 Austausch von Erfahrungswissen
4.2.2 Sozialen Rückhalt finden
4.2.3 Synergieeffekte
4.2.4 Perspektivenwechsel
4.2.5 Exkurs: Persönlicher Wissenszuwachs?

5 Fazit
5.1 Zusammenfassung
5.2 Ausblick und mögliche Bedeutung

Literaturverzeichnis

Anhang

Hintergrund zum Fall

Teilnehmenden-Profile der Gruppen-Interviews

Verlauf und Leitfragen der Gruppen-Interviews

Kategoriensystem für die Fallanalyse aus MAXQDA

Abstract

Die Forschungsarbeit von Tina Basner (Erwachsenenpädagogin, M.A.) beschäftigt sich mit der Frage, welche Lernumgebungen hochqualifizierte Erwachsene ("ExpertInnen" in einem Fachgebiet) benötigen, um ihr vorhandenes Fachwissen innovativ weiter zu entwickeln, zu reflektieren und zu erneuern. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich die Autorin vor allem mit den Potenzialen der Zusammenarbeit von WissensträgerInnen in informell organisierten Lernumgebungen.

Im Theorieteil der Arbeit wird diesbezüglich insbesondere das Konzept der "Communities of Practice" (CoP) (Wenger 1998) vorgestellt und im aktuellen lehr-/lerntheoretischen Diskurs der Erwachsenenbildung/Weiterbildung eingebettet. Ziel der Arbeit ist es dabei, ein aktuelles, theoretisches Begriffsverständnis von CoP zu entwickeln. Die Arbeit schließt mit einer eigenen aktuellen Begriffsdefinition, sowie einem Analyseraster zur Identifiktation von CoP in der Forschungspraxis.

Das erarbeitete Analyseraster findet im empirischen Teil der Arbeit Anwendung. Dort wurden im Rahmen einer Einzelfallanalyse Gruppendiskussionen mit TeilnehmerInnen einer informellen Gruppe aus WissenschaftlerInnen (ExpertInnen aus dem Bildungsbereich) als potenzielle CoP durchgeführt und qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Fokus der Auswertung der Gruppendiskussionen lag auf der Herausarbeitung der individuellen Motive der Zusammenarbeit in diesen informellen und freiwilligen Zusammenkünften, oft auch außerhalb der Arbeitszeit. Es wurde der zentralen Frage nachgegangen: Welche Potenziale ziehen erwachsene Lernende in ihrer Rolle als ExpertInnen aus der Zusammenarbeit und dem gemeinsamen Lernen in informell organisierten Lernumgebungen, wie CoP?

Die vorliegende Forschungsarbeit identifiziert letztlich 5 zentrale Faktoren und Motive für die Zusammenarbeit in informell organisierten Lernumgebungen, als CoP. Vor allem in Abgrenzung zu den in der Erwachsenen-/Weiterbildung etablierten formalen Lernformaten und -umgebungen (z.B. das klassische Seminargeschehen) bietet das Lernen innerhalb einer informell organisierten CoP spezifische Vorteile. Die Ergebnisse der Arbeit resultieren in Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Initiierung und Moderation von CoP, als professionelle Lerngemeinschaften unter ExpertInnen.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: CoP in Abgrenzung zu anderen Gemeinschaftsformen (Ebert 2011, S.39)

Tabelle 2: Übersicht zu relevanten empirischen CoP-Studien zu Motivation und Nutzen für Teilnehmende

Tabelle 3: Profile der Teilnehmenden der Gruppen-Interviews

Tabelle 4: Verlauf und Leitfragen der Gruppen-Interviews

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklungskorridor einer Learning Community zu einer CoP (Eigene Darstellung in Anlehnung an Mandl et al. 2000, S.19)

Abbildung 2: Vom Novizen zum Experten (Mandl/Reinmann 2010, S.1062)

Abbildung 3: Stufen der Teilnahme an CoP (Wenger et al. 2002, S.57)

Abbildung 4: Der Lebenszyklus einer CoP (Wenger 1998b, o.S.)

Abbildung 5: Eigene Zusammenstellung von Merkmalen einer CoP.

Abbildung 6: Methodisches Vorgehen im Überblick.

Abbildung 7: Screenshot der zweiten Online-Gruppendiskussion in Adobe Connect.

Abbildung 8: Ablaufmodell einer qualitativen Inhaltsanalyse mit induktiver Kategoriengewinnung (Mayring 2002, S.116)

1 Einleitung

Die Erwartungen an Fachkräfte, Expertinnen und Experten, Lösungen zu spezifischen Problemen zu finden, sind groß. Schließlich wird immer nur die beste Performance angestrebt, um Ziele zu erreichen und konkurrenzfähig zu bleiben. In diesem Zusammenhang nehmen sowohl unternehmerischer als auch individueller Innovations- und Flexibilisierungsdruck zu. Schäffter (vgl. 1998, 2007) nennt in diesem Zusammenhang den Begriff der Transformationsgesellschaft, die nur noch die Veränderung als einzige Konstante in sich sieht. Damit nehmen auf individueller Ebene auch Unsicherheiten die eigene Professionalität betreffend zu: Bin ich gut genug? Bin ich flexibel genug? Hier gewinnt lebenslanges Lernen, insbesondere auch im Prozess der Arbeit, an Bedeutung für den Umgang mit diesen Rahmenbedingungen. Wie gestaltet sich dabei das Lernen im beruflichen Kontext? Die OECD (vgl. 1996) unterscheidet dazu drei Formen des Lernens:

- Formales Lernen: es ist stets organisiert und durch Lernziele strukturiert. Der Erwerb von Wissen steht im Vordergrund, so z.B. in klassischen Seminar-, Fort- und Weiterbildungsformaten.
- Informelles Lernen: passiert nicht-intentional und verläuft daher eher unstrukturiert und unorganisiert und ist ähnlich einer Erfahrung charakterisiert. Lernen findet meist ‚en passant‘ unbemerkt während der Arbeit statt.
- Nonformales Lernen: ist der Mittelweg aus formalem und informellem Lernen. Es kann auf Lernziele ausgerichtet stattfinden, wird aber oft von den Teilnehmenden selbst intern organisiert.

Den aktuellen Herausforderungen im Beruf zeitnah zu begegnen, kann nur gelingen, wenn sich formales und informelles Lernen ergänzen und somit von- und miteinander gelernt werden kann (vgl. „X“[1] ). Angesichts dieser Herausforderungen treten neuere Ansätze des gemeinsamen Lernens und Arbeitens in das Zentrum der Betrachtung:

"In modernen wissensbasierten Gesellschaften sind nicht nur Hierarchien und Märkte wichtig zur Steuerung, sondern zunehmend auch Netzwerke. Je expertenhafter unser Tun, desto eher werden wir uns über Netzwerke, Fachgesellschaften, Communities of Practice weiterentwickeln." (Pellert 2013, S.22)

Mandl/Winkler (vgl. 2003) sprechen im Zusammenhang mit Communities über die Notwendigkeit einer Neuorientierung in der Weiterbildungslandschaft: Neben traditionellen Konzepten in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung (im Folgenden: EB/WB) werden demnach Ansätze zentral, die den Erfahrungs- und Wissensaustausch untereinander, das selbst gesteuerte und kooperative sowie das anwendungsorientierte und arbeitsplatznahe Lernen betonen. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft werden zunehmend solche Lernumgebungen interessant, in denen nicht nur rein instruktiv selektiertes Wissen vermittelt wird. Gerade im Arbeitsumfeld müssen im Umgang mit den vielfältigen Wissensquellen Lernumgebungen als Rahmungen des selbstständigen Wissensaustausches und des an der Praxis orientierten Lernens initiiert und begleitet werden (vgl. Mandl/Winkler 2003, S.3). Eine der Hauptaufgaben der Lehr-/Lernforschung ist es, aufgrund von empirischen Ergebnissen Empfehlungen für die Gestaltung von geeigneten Lernarrangements zu geben. Im Kontext der EB/WB trifft dies in besonderem Maße auf die Gestaltung von Lernumgebungen in beruflichen und professionellen Kontexten zu (vgl. Schrader/Berzbach 2005, S.2).

Innerhalb des in dieser Arbeit bearbeiteten Fallbeispieles und Projektes (im Folgenden psyeudonymisiert: >Fallbeispiel<) wurde 2011 die Herausforderung an die wissenschaftliche Begleitung gestellt, eine solche Lernumgebung für die beteiligten ExpertInnen zu schaffen. Ziel des Projekt-Auftraggebers ist es, neuartige Studienprogramme für die spezielle Zielgruppe „X“[2] zu entwickeln. Wissenschaftliche MitarbeiterInnen, d.h. ExpertInnen auf diesem potenziell gemeinsamen Fachgebiet aus über 100 Hochschulen in Deutschland sollen innerhalb des >Fallbeispiel< die Möglichkeit finden, sich zu vernetzen, um gemeinsam ein neues Forschungs- und Handlungsfeld aufzubauen. Die wissenschaftliche Begleitung des Projektes >Fallbeispiel< sah vor allem den „Aufbau einer Kommunikationsplattform und eines Netzwerkes zum Aufbau und zur Verstetigung kooperativer und transparenter Strukturen (community of practice)“[3] als potenzielle Lösungsmöglichkeit, dieser Herausforderung in Form einer eher informell rahmenden Lern- und Arbeitsumgebung zu begegnen. Ziel der wissenschaftlichen Begleitung ist es dabei, vor allem die vorhandene wissenschaftliche Expertise gemeinsam mit den Projektpartnern auszubauen und weiterzuentwickeln (vgl. ebd.). Im Rahmen meiner Tätigkeit als studentische Mitarbeiterin an einer deutschen Universität, die die wissenschaftliche Begleitung von >Fallbeispiel< u.a. inne hat, bin ich seit 2013 in diese Arbeit involviert. Dabei durfte ich viele kleine Entwicklungsschritte hin zu dieser kollaborativen Form einer Lernumgebung, als potenzielle Community of Practice (im Folgenden: CoP) verfolgen. Währenddessen konnte ich insbesondere den Austausch und die Entwicklung einer kleinen Gruppe aus ExpertInnen über zwei Jahre hinweg begleiten, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden soll.

1.1 Fragestellung, Aufbau und Ziel der Arbeit

Mit der vorliegenden Masterthesis soll durch eine empirische Fallanalyse einer kleinen ExpertInnen-Gemeinschaft innerhalb des Wettbewerbes >Fallbeispiel< Folgendes herausgearbeitet werden:

1.) Wie lässt sich die Form der Zusammenarbeit und des Lernens beschreiben und konzeptuell in bestehende Theorie einordnen? Inwieweit hat sich eine CoP ausgebildet?
2.) Was hat die einzelnen Individuen im Fall zur Zusammenarbeit motiviert und welchen Nutzen haben sie daraus gezogen? Welche Potenziale ergeben sich daraus für diese Form des kollaborativen und sozialen Lernens in Gemeinschaft als potenzielle CoP?

Die lerntheoretische Orientierung an Konzepten, die diese Aspekte aufgreifen, ist noch nicht sehr alt. Community-Forschung ist ein vergleichsweise junges und bisher wenig bearbeitetes empirisches Feld (vgl. Mandl et al. 2004, S.72). Im Verlauf meiner Arbeit möchte ich daher zunächst eine lerntheoretische Verortung in sozialen Lehr-/Lerntheorien, insbesondere dem situierten Lernen (im Folgenden: SL) vornehmen. Nach dieser Grundlegung soll das damit verknüpfte Konzept der CoP vorgestellt werden. Ziel des Theorieteils ist die Erarbeitung eines besseren Begriffsverständnisses von CoP in Abgrenzung zu anderen Formen der Zusammenarbeit. Dazu entwickle ich eine eigene Merkmalsheuristik, die im empirischen Teil der Arbeit Anwendung findet. Dieser umfasst zum Ersten im Rahmen einer Einzelfallanalyse die Untersuchung und Einordnung der sich im Fall ausgebildeten Community-Form. Die wissenschaftliche Begleitung in >Fallbeispiel< geht davon aus, dass sich unter den „beteiligten Personen eine Community of Practice entwickelt hat“ (vgl. „X“[4] ). Diese Hypothese gilt es zunächst anhand der im Theorieteil erarbeiteten Heuristik am Fall zu prüfen und ggf. neu theoretisch zu verorten. Die Datenbasis liefern neben der Analyse von Dokumenten insbesondere zwei Gruppeninterviews mit sechs Teilnehmenden (im Folgenden: TN), die nach 1,5 und 2 Jahren der Zusammenarbeit durchgeführt worden sind. Darauf aufbauend können in einem zweiten Schritt die möglichen Potenziale der Zusammenarbeit innerhalb der >Fallbeispiel<-Gruppe, als potenzielle Form einer CoP, aus der Perspektive der sechs befragten Gruppenmitglieder erarbeitet werden. Die Auswertung der Daten steht vor der übergeordneten Frage: Welche Motive und welcher persönliche Nutzen ergaben sich für die befragten TN aus der Zusammenarbeit als CoP? Mögliche Potenziale für das Lernen Erwachsener in diesen Lernumgebungen werden im Ergebnisteil der Arbeit am Fall und im Abgleich mit bestehender Theorie und Empirie herausgearbeitet und diskutiert.

Ziel der Arbeit ist es, zu analysieren, welche speziellen Eigenschaften diese Ausprägung des eher informellen, sozialen Lernens innerhalb von CoP mit sich bringt, welche Form von Gemeinschaft sich im >Fallbeispiel< ausgebildet hat und wie nützlich und lernförderlich die einzelnen Personen diese Form der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Lernens für sich persönlich wahrnehmen. Am Ende können idealerweise Handlungsempfehlungen für die Gestaltung oder Initiierung von CoP in professionellen/beruflichen Kontexten des Lernens Erwachsener gegeben werden. Konkret sind die gewonnenen Ergebnisse auch für die Evaluation der Arbeit der wissenschaftlichen Begleitung als Moderatoren und Initiatoren der im Fall betrachteten Gruppe interessant. Sie dienen als Entscheidungshilfe, um in der nun folgenden zweiten Förderphase diese spezielle Form einer gemeinschaftlichen Lernumgebung erneut zu forcieren und ggf. zu optimieren.

1.2 Relevanz und Einordnung in die EB/WB-Forschung

Auf Grundlage des Forschungsmemorandums EB/WB (vgl. Arnold et al. 2000) thematisiert die Arbeit das erwachsenenpädagogische Forschungsfeld des ‚Lernens Erwachsener‘:

„Auch wenn das Wort Lernen heute inflationär für eine Vielzahl von Veränderungsphänomen, Sozialisationsprozessen, Strukturentwicklungen und intendierten Maßnahmen gebraucht wird, so umschreibt Lernen doch den Kern der Herausforderungen, denen sich eine moderne Erwachsenenbildung mit allen ihren formellen und informellen Ausfächerungen stellen muss. Die Erforschung des Lernens bildet daher das Herzstück einer Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung“ (ebd. S.6).

Die Forschungsarbeit ordnet sich speziell dem Forschungsunterpunkt „Lernen in unterschiedlichen Situationen der Interaktion und Transformation“ (ebd., S.7) zu. Mandl et al. (vgl. 2004) weisen darauf hin, dass gerade in der EB/WB-Forschung auf dem Gebiet der lehr-/lerntheoretischen Ansätze zum SL die empirische Forschung intensiviert werden muss: „Gerade in Anbetracht der positiven Wirkung auf den Erwerb von Kompetenzen müssen Communities stärker untersucht werden“ (ebd., S. 73). Lernforschung in der EB/WB fragt aber nicht nur nach Formen, Möglichkeiten und Wirkungen des Lernens erwachsener Menschen, sondern muss sich in diesem Zusammenhang auch mit den Kontexten, den Umgebungen und Strukturen, in denen Lernen stattfindet, auseinandersetzen (vgl. Arnold et al. 2000, S.10). Die vorliegende Arbeit unternimmt auf qualitativem Wege den Versuch, das Lernen in einer speziellen Situation der Interaktion, nämlich innerhalb einer professionellen Lerngemeinschaft (>Fallbeispiel<), zu untersuchen, konzeptionell einzuordnen und die wahrgenommenen Potenziale und Wirkungen aus Sicht der TN herauszuarbeiten.

Auch das aktuelle Forschungsthema der Wissensaneignung und des -austauschs (vgl. ebd., S.11) wird aufgegriffen. Im Rahmen dieser Arbeit soll allerdings der umfassendere Begriff des Lernens verwendet werden. Wenn der Begriff ‚Wissen‘ fällt, so ist er letztlich als Teilaspekt des Lernens zu verstehen. Der Begriff ‚Wissensmanagement‘ (im Folgenden: WM) ist in der betrachteten Literatur häufig in Zusammenhang mit dem Thema CoP zu finden. WM-Bezüge auf organisationaler Ebene werden in dieser Arbeit aus Kapazitäts- und Fokussierungsgründen allerdings nicht betrachtet, auch weil die Perspektive von CoP als WM-Tool eher betriebswirtschaftlich geprägt ist und bereits in vielen wissenschaftlichen Arbeiten (vgl. z.B. Ebert 2011; North et al. 2004; Zboralski 2007) ausführlich bearbeitet wurde. Da ich das Thema aus der Perspektive des individuellen Lernens der Subjekte bzw. Beteiligten an einer CoP untersuchen möchte, fokussiere ich mich auf die Lernenden in Communities und deren individuelle Perspektive auf ihren Lernprozess in und mit der Gemeinschaft. Weniger thematisiere ich damit die organisationale Ebene und Konzepte des organisationalen Lernens (vgl. dazu nur ansatzweise der kritische Exkurs in Kap. 2.4), auch wenn ich anstrebe, im Ausblick der Arbeit, Handlungsempfehlungen für die organisationale Ebene abzuleiten.

2 Theoretische Grundlagen zum Lernen in Communities

Im Hinblick auf die Fragestellung soll im Verlauf der Arbeit die Relevanz von Communities für das Lernen Erwachsener im Allgemeinen und insbesondere für die lernenden ExpertInnen im Fallbeispiel (Empirieteil) erarbeitet werden. Im Folgenden wird dazu die theoretische Rahmung gegeben. Nach einer allgemeinen Verortung des Community-Begriffes und einer überblickartigen Zusammenschau zum aktuellen Stand der Forschung zum Lernen Erwachsener wird die lerntheoretische Verwurzelung von CoP im SL erläutert und im Forschungsdiskurs der EB/WB diskutiert. Darauf aufbauend wird auf CoP als eigenständige Theorie eingegangen. Dazu entwickle ich in einem heuristischen Verfahren ein eigenes Begriffsverständnis von CoP durch die Zusammenstellung zentraler Merkmale. Anschließend werden in einem kleinen Exkurs kritische Stimmen zum Thema Lernen in Gruppen eingefangen und diskutiert. Abschließend gebe ich einen Überblick zu bereits bestehender empirischer Forschung zum Thema.

2.1 Begriffliche Verortung von „Communities“

Das lateinische Wort „communicare“ hat nicht nur die Bedeutung von „sich austauschen“, sondern auch von „gemeinsam machen“ und ist damit sehr nahe an den Begriff der Gemeinschaft geknüpft. Im Alltag wird zumeist ganz allgemein von „Communities“ oder „Netzwerken“ gesprochen. Mit einem tieferen Blick in das Feld ist häufig auch die Rede von „Communities of Practice“, “Praxisgemeinschaften”, „Knowledge Communities”, „Learning Communities“, „Communities of Interest“ oder auch „Expertennetzwerke“ und „Knowledge Networks“, ohne dass es allerdings eine eindeutig definierte Abgrenzung zwischen den Begrifflichkeiten gäbe (vgl. Winkler 2004, S.2). Ganz allgemein können Communities als „ein langfristiger, vornehmlich selbst organisierter Zusammenschluss von Personen definiert werden, der auf private oder wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet ist und realen oder virtuellen Charakter hat“ (Mandl et al. 2004, S.38).

Theorien und Konzepte rund um das Thema Lernen in Communities und deren lerntheoretische Verwurzelung in den Ansätzen des SL (vgl. Lave/Wenger 1991) fanden insbesondere seit den 1990er Jahren Eingang in den lehr-/lerntheoretischen Diskurs. Diese Form des Lernens in Gemeinschaften als soziale Lernumgebungen ist allerdings nicht neu. Es gibt sie schon von dem Moment an, zu dem realisiert wurde, dass durch den Austausch von Ideen, Wissen und Erfahrungen mit Personen mit denselben Interessen und Zielen jeder profitieren kann (vgl. Winkler 2004, S.46). Bereits in frühester Zeit gab es informelle Gemeinschaften von Jägern, die dem Erfahrungsaustausch dienten. In der Antike schlossen sich Ärzte oder Handwerker zusammen um neben dem sozialen Zweck auch wirtschaftliche Ziele wie Aus- und Weiterbildung und Verbreitung von neustem Wissen und Techniken anstrebten. Im Mittelalter übernahmen die Zünfte in Europa ähnliche Funktionen (vgl. Zboralski 2007, S.25).

Das Thema gewann späterhin, insbesondere im Zuge der WM-Debatte in den 1990er-2000er Jahren, auch im Forschungskontext an Relevanz. Explizite Konzepte und Theorien zum sozialen Lernen in Gruppen wurden ausgearbeitet. Die Ausdifferenzierung an Community-Konzepten ist heute vielfältig, da keine klare Abgrenzung und gemeingültige Definition existiert (vgl. Mandl/Winkler 2003, S.3). Die Ausprägungen reichen von Learning-Communities, in denen sich Menschen in Hinblick auf eine langfristige und intensive Beschäftigung mit einem gemeinsamen Thema zusammenschließen, bis hin zu CoP, die insbesondere auf die Erarbeitung neuartiger Konzepte und Lösungen für konkrete praktische Problemstellungen, oft im Arbeitsumfeld, ausgerichtet sind (vgl. Mandl et al. 2004, S.38). In der vorliegenden Arbeit soll durch ihren Bezug auf den professionellen Arbeitskontext, im Hinblick auf die Fallstudie, insbesondere das Konzept der CoP betrachtet werden.

2.2 Die Wurzel der Community-Konzepte: Situiertes Lernen

Im Folgenden soll in Vorbereitung auf den empirischen Teil der Arbeit zunächst das dem CoP-Konzept zugrundeliegende theoretisches Grundverständnis im SL erläutert und in den lehr-/lerntheoretischen Diskurs eingeordnet werden. Bevor auf die Theorie des SL näher eingegangen wird, soll zunächst ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, welches grundlegende Verständnis von Lernen im aktuellen Forschungsdiskurs der EB/WB von Relevanz ist. Dabei wird speziell auf die Besonderheiten im Lernen von Professionellen oder ExpertInnen im beruflichen Kontext eingegangen.

2.2.1 Lernen Erwachsener in professionellen Kontexten

Mandl et al. erläutern im Zusammenhang mit dem allgemeinen theoretischen Verständnis von Lernen und Lehren in der EB/WB, dass „[…] neuere theoretische Ansätze die Ideen des Konstruktivismus zunehmend aufgreifen und in ihren Kontext einzubetten versuchen“ (Mandl et. al. 2004, S.9). Sie fassen dazu sechs zentrale Prozessmerkmale des Lernens aus konstruktivistischer Perspektive[5] zusammen, die das Lehr-/Lernverständnis in der EB/WB aktuell weitgehend prägen (vgl. ebd., S.9-10).

Demnach ist Lernen ein:

- konstruktiver Prozess: Wissen kann nur auf Basis von bereits erworbenen Wissensstrukturen erlangt werden, auf dessen Grundlage neues Wissen interpretiert wird
- aktiver Prozess: Wissen kann nur durch selbstständige und eigenaktive Beteiligung des Lernenden erlangt werden
- emotionaler Prozess: Positive Gefühle in Verbindung mit Wissenserwerb sind zentral für den Lernerfolg
- selbstgesteuerter Prozess: Das umfasst die Kontrolle, Überwachung und Reflexion des eigenen Lernprozesses
- sozialer Prozess: Lernen geschieht in der Interaktion mit der sozialen Umwelt
- situativer Prozess: Der Erwerb von Wissen ist stets an eine spezifische Situation oder einen Kontext gebunden. Lernen findet somit immer in einer bestimmten Lernumgebung statt, die für den Erwerb zentraler Kompetenzen auschlaggebend ist

Um Lernende in ihren Lernprozessen optimal zu unterstützen, gilt es also, Lernumgebungen zu schaffen, die die oben genannten Aspekte berücksichtigen und fördern. Gerade im beruflichen Kontext ist es im Zuge der bereits in der Einleitung erwähnten gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse von besonderem Interesse, Lernprozesse Erwachsener zu optimieren und zu unterstützen. Empfehlungen für die Gestaltung von geeigneten Lernumgebungen für die Zielgruppe erwachsener Lernender auszusprechen, ist dabei eine der zentralen Herausforderungen der Lehr-/Lernforschung in der EB/WB (vgl. Schrader/Berzbach 2005, S.6).

Besonders interessant ist im Rahmen der betrachteten Zielgruppe dieser empirischen Arbeit die Frage nach dem Lernen bzw. der Gestaltung von geeigneten Lernumgebungen für ExpertInnen und Fachkräfte in beruflichen (professionellen) Kontexten. Damit sind erwachsene Lernende gemeint, die in ihren Berufskontexten bereits einen hohen Wissensstand aufweisen und trotzdem weiterhin ihre fachliche Expertise und ihr Wissen erweitern müssen, um u.U. auch neues Wissen innovativ zu entwickeln. In welchen Lernumgebungen erweitern z.B. wissenschaftliche MitarbeiterInnen (die betrachtete Zielgruppe im empirischen Teil der Arbeit) oder ProfessorInnen ihr Wissen oder werden zu innovativen Ideen angeregt? Die formalen Weiterbildungswege über eine akademische Ausbildung und zusätzliche Weiterbildungsseminare hat diese Zielgruppe meist schon ausgeschöpft. Daher gewinnen an dieser Stelle non-formale und informelle Lernumgebungen besonders an Bedeutung.

Benveniste beschreibt die Besonderheiten des Lernens dieser speziellen Zielgruppe Professioneller wie folgt:

“Professionals have learned to think independently. They are more likely to question orders rather than execute them with obedience. They draw on an extensive knowledge base which they update by reading, interacting with colleagues […] and participating in […] continuing education offerings. Professionals monitor their own collective practice … [and] sometimes must be independently certified or credentialed. Professionals want recognition by their peers more than the organization (Benveniste 1987, S.49).

‘Professionals‘ oder ExpertInnen sind also eine Zielgruppe erwachsener Lerner, die besondere Bedarfe für ihr Lernen und ihre Lernumgebung haben. Sie lernen vielfach eigenständig und individuell, sind aber in besonderer Weise auf den Austausch mit Gleichgesinnten („Peers“), also anderen ExpertInnen, angewiesen (vgl. Gephart et al. 2014). Vor diesem Hintergrund erweisen sich lerntheoretische Konzepte, die auf den sozialen und kollaborativen Aspekt des Lernens fokussieren, als passend: „Ein wichtiger theoretischer Ansatz zur Entwicklung, Implementierung und Evaluation konstruktivistischer Lernumgebungen ist die Theorie des situierten Lernens“ (Gerstenmair/Mandl 2010, S.172). Gerade im Hinblick auf die Frage nach der Gestaltung von Lernumgebungen für die betrachtete Zielgruppe mit den erwähnten besonderen Lernanforderungen bietet das SL die passende theoretische Perspektive, die im Folgenden näher vorgestellt werden soll und aus der sich das Konzept der späterhin fokussierten CoP entwickelt.

2.2.2 Kernmerkmale des Situierten Lernens

„That perspective meant that there is no activity that is not situated.“ (Lave/Wenger 1991, S.33)

Heute subsumieren sich unter der Bezeichnung ‚SL‘ verschiedene lehr-/lerntheoretische Ansätze, die Annahmen neuerer, konstruktivistisch geprägter Instruktionsansätze enthalten, die sowohl individuelle als auch soziale Anteile in Lernprozessen miteinander verbinden. Den Ansätzen des SL ist gemeinsam, dass sie soziale Interaktionen und Austauschprozesse von Wissen in den Vordergrund stellen (vgl. Mandl et al. 2000; vgl. Gerstenmaier/Mandl 2001). Jede Aktivität (damit auch Lernen) ist eingebettet in einen situierten Kontext, eine bestimmte Situation oder Kultur. So ist der reale oder zumindest mentale Bezug zur sozialen Umwelt in jedem individuellen Lernprozess präsent und beeinflusst unsere Handlungen. Das SL stellt den sozialen und kontextgebundenen Charakter des Lernens heraus und bietet damit eine andere analytische Sichtweise auf Lernprozesse (vgl. Lave/Wenger 1991, S.40) als es z.B. kognitivistische Lerntheorien anbieten (dazu ausführlicher in Kapitel 2.2.3).

Für die Beschreibung der Kernmerkmale des SL als integratives Konzept eignet sich die Strukturierung nach Stein (vgl. 1998, S.3-4) nach „content“, „context“ und „community“:

- „Content“

Wissensinhalte sind im Verständnis des SL nicht festgeschrieben, sondern werden immer sozial ausgehandelt. Daher geht es beim SL inhaltlich weniger darum Wissensinhalte (Faktenwissen) mental abzuspeichern, als sie stattdessen praktisch anzuwenden und dadurch auch „Denkprozesse höherer Ordnung einzuüben“ (Reinmann 2009, S.2). Daher ist nicht jede Art von Wissen (z.B. faktische Aneignung von Wissensinhalten) als Ziel für SL geeignet. Insbesondere Erfahrungswissen aus dem alltäglichen Handeln der Lernenden wird beim SL miteinbezogen und als Ausgangspunkt für Reflexion in und mit der Theorie betrachtet.

- „Context“

SL zeichnet sich dadurch aus, dass die Situation und der soziale Kontext, in dem Lernen stattfindet, Berücksichtigung findet. Die Lernenden interagieren mit ihrer sozialen wie materiellen Umwelt, d.h. der Situation, die sie umgibt mit den jeweils vorherrschenden Normen, Werten und Ressourcen. Das konkrete Erleben, der eigene praktische Zugang sowie das aktive Engagement im Lernprozess rücken beim SL in den Mittelpunkt des Interesses.

- „Community“

Essentiell für die Theorie des SL ist schließlich, dass Lernen untrennbar mit der Teilhabe („participation“) an einer sozialen Gemeinschaft, an deren Denken und Handeln man als Lernende/r teilhat, verbunden ist. Durch die Gruppe kann nicht nur anwendungsnahes Wissen vermittelt werden, sondern auch schwer artikulierbare Erfahrungen weitergegeben und Bedeutungen ausgehandelt werden.

2.2.3 Verortung im lehr-/lerntheoretischen Diskurs

Die Auffassung vom SL ist nicht gänzlich neu: Bereits frühe VertreterInnen des sozialen Konstruktivismus (vgl. z.B. Vygotsky 1978) fassten Lernen als sozialen Konstruktionsprozess auf. Auch Dewey (vgl. 1902) beschäftigte sich im Rahmen des amerikanischen Pragmatismus mit dem Lernen in Gemeinschaften, in denen der Lernende Wissen und Können durch die Teilhabe an sozialer Praxis erlangt. Das SL entwickelte sich als eigenständige „learning theory“ (vgl. Wenger-Trayner 2015, S.4) in der Erforschung von Lernprozessen in Gruppen im Rahmen des Konzepts Ausbildung (apprenticeship) mit den Arbeiten von Jean Lave (vgl. 1988) und Etienne Wenger (vgl. Lave/Wenger 1991). Das Interessante an den Forschungsergebnissen war, dass die Auszubildenden nicht, wie ursprünglich angenommen, hauptsächlich von Ihren Meistern lernten, sondern in einem Netzwerk aus komplexeren sozialen Beziehungen. Dabei vor allem auch im Austausch mit anderen Auszubildenden aus demselben oder übergeordneten Jahrgängen (vgl. Lave/Wenger 1991, S.56ff.; Wenger-Trayner 2015, S.4). Das im SL erklärte Verständnis von Lernen löste „eine Kontroverse um kognitivistische vs. situierte Theorien des Lernens“ (Faulstich 2015, S.22) innerhalb der Lernforschung aus. Die Kernidee des SL wurde damit zunächst „als Gegenströmung zum Kognitivismus“ (Mandl et. al 2004, S.9) aufgefasst, denn sie war in der Tradition der in der Lernforschung bisher vorherrschenden kognitivistischen Auffassung von Lernen und Lehren „zumindest ungewohnt“ (Reinmann 2009, S.2).

In den klassischen Lerntheorien des Kognitivismus wird Lernen über Internalisierung definiert. Damit ist eine einfache Aneignung und Verinnerlichung von Wissen gemeint. Der Mensch wird als abgeschlossenes, informationsverarbeitendes System verstanden, das Informationen kodieren, speichern, transformieren und wieder abrufen kann. „Lehr-Lern-Prozesse werden allein auf dem Schwerpunkt einer kognitiven Analyse betrachtet“ (vgl. Mandl et al. 2004, S.23). Dies setzt einerseits voraus, dass Wissen von jeder Person objektiv gleich erkannt wird und dass es andererseits von einem Individuum zum anderen transferiert werden kann. Der kognitivistischen Auffassung zufolge kann durch bewährte Lehrmethoden damit Wissen unabhängig von Zeit, Personenmerkmalen oder Kontext vermittelt werden. Problematisch ist dabei, dass der Lernende eine weitgehend passive Haltung einnimmt, die einen Mangel an Eigenaktivität und –verantwortung und intrinsischer Motivation bedingt. Außerdem wird kritisiert, dass das so vermittelte Wissen häufig wenig Praxisbezug hat, was zu schlechterer Transferwirksamkeit führt (vgl. Mandl et al. 2004, S.23).

Im Gegensatz dazu betont das SL die Situation und den Kontext, in denen Lernen stattfindet. Die zentrale Erkenntnis daraus ist, dass Wissen nicht direkt von einer Lehrperson auf den Lernenden übertragen werden kann, sondern aktiv und selbstständig in einem Handlungskontext erworben werden muss (Mandl et al. 2004, S.9). Lave/Wenger (vgl. 1991, S.49) betonen insbesondere den Stellenwert sozialer Interaktion. Dabei greifen sie u.a. auf Bourdieus Theorie sozialer Praxis (vgl. Bourdieu 1976) zurück. Soziale Praxis bedeutet die relationale Interdependenz von Personen mit ihrer Welt. Das heißt, dass Identität und soziales Umfeld sich gegenseitig konstituieren. Daraus folgt, dass Wissen sozial immer wieder neu verhandelt wird, daher keine objektive Tatsache, sondern subjektiv geformt ist. Lernen ist damit immer im Wechselspiel zwischen Personen, Praxis und Kultur. Im Mittelpunkt der Theorie steht somit auch nicht das Wissen selbst, sondern es wird versucht, zu verstehen, wie es ausgehandelt, weitergegeben und angenommen wird (vgl. Lave/Wenger 1991).

Auch Brown et al. (vgl. 1989) kritisierten bereits, dass sich aus der dekontextualisierten Sichtweise des Kognitivismus auf das Lernen eine Trennung zwischen Lernen und Handeln ergibt. Lave/Wenger argumentieren daraufhin, dass „practice of learning“ die Aufmerksamkeit auf die „’social world of activity’ in relational terms” (1991, S.5) lenkt. Diese Sichtweise auf das Lernen wurde im Diskurs zunächst als Widerspruch zum Kognitivismus aufgefasst, späterhin dann aber weniger als Gegensatz, sondern als komplementäre Ergänzung der beiden Perspektiven miteinander, verstanden. Mandl et al. (vgl. 2004, S.23-26) diskutieren dahingehend auch Schwächen und Grenzen der Theorie und kommen zu dem Schluss, dass „sowohl die individuelle wie die soziale Perspektive auf den Lernprozess für wichtig erachtet [wird, T.B.], da beide unterschiedliche, aber gleichsam zentrale Aspekte fokussieren“ (Mandl et al. 2004, S.26). Arnold et al. fassen das heutige Verständnis von Lernen in der EB/WB damit so zusammen: „Lernen ist auch als individuelle Aneignung ein interaktiver Vorgang“ (2000, S.7). SL wird damit heute als Konzept aufgefasst, das „soziale und kognitive Aspekte von Wissen und Lernen integriert“ (Reinmann 2009, S.2; Hervorh. im Original).

Für Lave/Wenger ist SL etwas, dass im alltäglichen Handeln in einer Gemeinschaft praktisch tätiger Menschen stattfindet. Wissenserwerb, d.h. Lernen, findet demnach nicht nur statt, wenn bestimmte Wissenssegmente erworben werden, sondern insbesondere auch im beständigen sozialen Austausch. Gerade die kooperative Weiterverarbeitung und –verbreitung von Wissen durch die Lernenden selbst wird daher als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen beschrieben (vgl. Lave/Wenger 1991). Die Autoren verorten den Prozess dieses kooperativen, sozialen Lernens in Gemeinschaften, sogenannten CoP (vgl. ebd.; Wenger 1998a). Jedes Lernen findet demzufolge in einer Community statt. „Die daraus abgeleitete Implikation für das Lernen und Lehren stellt die Kooperation der Lernenden in dieser Community of Practice in den Mittelpunkt der Betrachtung“ (Mandl et al. 2004, S.12).

2.3 Communities of Practice

Lave/Wenger (vgl. 1991) entwickelten die Bezeichnung ‚CoP‘ während der bereits erwähnten Forschungsarbeiten im Rahmen des Konzepts Ausbildung. Sie betitelten damit die entstandenen unterschiedlichen sozialen Gemeinschaften, bestehend aus anderen erfahreneren Auszubildenden und Meistern als eine Gemeinschaft aus Praktikern mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, die vor allem ihr Erfahrungs- und Handlungswissen (ihre ‚Practice‘) miteinander teilt und im vornehmlich informellen Austausch weiterentwickelt. Die CoP waren dabei als Konzept zunächst (vgl. Lave/Wenger 1991) praktisch/methodischer Teilaspekt der SL-Theorie. Die Initiierung dieser Gemeinschaften galt als praktisches Handlungsziel der Theorie. Im Zuge der WM-Debatte in den 1990er Jahren wurden CoP insbesondere als WM-Tool im Organisationskontext interessant. Im Zuge dieser praktischen Relevanz des Konzeptes entwickelte Wenger mit seinem gleichnamigen Werk (vgl. 1998a) eine eigene umfassende Theorie der CoP, die in den darauffolgenden Jahren gerade im Kontext der Organisationsentwicklung große Beachtung fand und die Grundidee des SL damit auch über den erziehungswissenschaftlichen Kontext hinaus sehr bekannt machte (vgl. Reinmann 2009).

Wenger-Trayner (im Interview In: Omidvar/Kislov 2013) fasst die Theorie der CoP mit deren Verortung im SL wie folgt zusammen:

„The theory of communities of practice is a socially situated, practice-based approach to learning […]. [They; Anm. T.B.] are the primary loci of learning which is seen as a collective, relational and social process. According to this approach, it is the relational network […] that is key to understanding learning; people learn through co-participation in the shared practices of the ‘lived-in’ world; knowledge production is inseparable from the situated, contextual, social engagement with these practices” (Wenger-Trayner im Interview In: Omidvar/Kislov 2013, S.2)

Nach der lerntheoretischen Verortung im SL, soll im Folgenden heuristisch erarbeitet werden, worum es sich bei CoP als spezifische Form sozialer Gemeinschaft handelt. Über verschiedene Definitionen und Abgrenzungen zu anderen Konzepten soll ein besseres Begriffsverständnis erarbeitet und schließlich in einer eigenen Heuristik zentrale Merkmale von CoP herausgearbeitet werden.

2.3.1 Begriffsbestimmung

Es existiert eine Vielzahl an Definitionen und Beschreibungen von CoP (für eine mehrseitige Zusammenschau an Definitionen vgl. Zboralski 2007, S.27-29). Außerdem gibt es weitere Konzepte, die sich inhaltlich an CoP orientieren, aber unter unterschiedlichen deutschen Übersetzungen geführt werden, z.B. „Praxisgemeinschaften“ (Markowitsch 2001, S.53; Lindenthal et al. 2001, S.38) oder „Wissensgemeinschaften“ (North et al. 2004, S.54). Die begriffliche Eingrenzung ist daher nicht zuletzt durch die Sprachbarriere erschwert. Die Definitionen differieren je nach Schwerpunkt und Zielsetzung der jeweiligen Autoren. Im klassischen Begriffsverständnis verortet Wenger als Begriffsbegründer CoP in Lern- und Interessengemeinschaften aller Art: „Communities are everywhere. We all belong to a number of them – at work, at school, at home, in our hobbies“ (Wenger 1998a, S.2). CoP werden dementsprechend von Wenger/Snyder breiter definiert als: “groups of people informally bound together by shared expertise and passion for a joint enterprise” (2000, S.139). Die Mehrheit der existierenden Definitionen und Beschreibungen insbesondere aus den Anfangsjahren der Theorieentwicklung ist sehr allgemein und diffus gehalten (vgl. Zboralski 2007). Der dennoch oft zitierte Begriff der CoP ist insofern nicht ganz unproblematisch in der praktischen Verwendung: Romhardt kritisiert, dass „alles und nichts“ (2002, S.36) zu einer CoP wird.

Im zeitlichen Verlauf der Weiterentwicklung des Konzeptes und dessen praktischer Relevanz sowie Entdeckung für das WM im Unternehmenskontext gewannen CoP in späteren Definitionen an Kontur, indem sie auf das kollaborative Lernen im Arbeitsumfeld bezogen wurden: “[CoP are; Anm. T.B.] informal groups of individuals who have similar work-related activities and interests [Herv., T.B.]” (Lesser/Everest 2001, S.38). Zboralskis Definition von CoP (als ausgewähltes Beispiel unter vielen weiteren Autoren) bezieht sich demnach stärker auf deren Funktion innerhalb von Organisationsstrukturen und ihrer potenziellen Nützlichkeit für das WM im Unternehmenskontext:

„Eine Community of Practice ist eine Gemeinschaft von Personen, die aufgrund eines gemeinsamen Interesses oder Aufgabengebietes über formale Organisationsgrenzen hinweg miteinander interagieren (virtuell und/oder face-to-face) mit dem Ziel, Wissen in einem für das Unternehmen relevanten Themengebiet gemeinsam zu entwickeln, zu (ver-)teilen, anzuwenden und zu bewahren“ (Zboralski 2007, S.30).

Die ursprüngliche Definition von Lave/Wenger wird damit auf den Unternehmenskontext zugespitzt. Der Forschungsdiskurs zu CoP und SL spaltete sich damit seit Ende der 1990er Jahre in zwei Hauptstränge auf (vgl. Ebert 2011, S.33): Der erste Forschungsstrang konzentriert sich dabei auf die Nutzbarmachung von CoP als WM-Tool im unternehmerischen Kontext (z.B.: vgl. Zboralski 2007, North et al. 2004, Ebert 2011 etc.). Der zweite Forschungsstrang beschäftigt sich weiterhin mit Lernen als soziales Phänomen im Sinne der von Lave/Wenger (vgl. 1991; Wenger 1998a) ursprünglich vorgestellten Theorie, die das soziale Lernen in Gruppen auch außerhalb der Wirtschaft vor allem in schulischen Learning Communities in den Fokus nimmt (vgl. Mandl et al. 2000).

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich weniger das Potenzial und den Nutzen von CoP als WM-Tool auf organisationaler Ebene untersuchen. Stattdessen interessieren mich die individuellen TN-Motive und der Nutzen für den einzelnen Lernenden in der zu betrachtenden potenziellen CoP im >Fallbeispiel<. Daher lege ich meiner Arbeit ein Verständnis und eine Definition von CoP zu Grunde, die ich in der Zusammenschau aus der Menge an Definitionen als angemessen (vor allem in Bezug auf die später empirisch untersuchte Gruppe) erachte und die sich gleichzeitig auf das ursprüngliche Verständnis von CoP bei Wenger bezieht, ohne sich dabei zu eng am unternehmerischen Kontext aufzuhängen:

„Eine Community of Practice ist definiert als eine informelle Personengruppe (im Sinne eines Netzwerks), die als Kristallisationspunkt des Austausches von Wissen und Erfahrungen von Experten verstanden werden kann, ‚bottom up‘ entsteht und weitgehend auf Selbstorganisation und Eigenverantwortung baut. Auch in einer Community of Practice findet Lernen in der Gruppe statt, allerdings vorrangig unter Experten, die sich über einen längeren Zeitraum zusammenschließen. Hier zeichnen sich auch Bezüge zum Konzept des lebenslangen Lernens, das Lave und Wenger (1991) im Rahmen ihres Ansatzes besonders fokussieren“ (Mandl et al. 2000, S.18).

2.3.2 Abgrenzung zu anderen Gemeinschaftsformen

Das besondere Verständnis von CoP verdeutlicht auch der direkte Vergleich zu Merkmalen anderer Gruppenformen, wie die folgende Tabelle 1 zeigt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: CoP in Abgrenzung zu anderen Gemeinschaftsformen (Ebert 2011, S.39)

Die Tabelle zeigt vor allem die Abgrenzung von CoP zu anderen Formen des Arbeitens im organisationalen Kontext. Funktionale Organisationseinheiten oder Projektteams unterscheiden sich in fast allen Merkmalen deutlich von denen einer CoP. Diese Abgrenzung wird im späteren Verlauf der Arbeit noch interessant, wenn es darum geht, das betrachtete Fallbeispiel als Gruppenform einzuordnen.

[...]


[1] Aus Gründen des Datenschutzes für die Veröffentlichung anonymisiert.

[2] Aus Gründen des Datenschutzes für die Veröffentlichung anonymisiert.

[3] Wissenschaftliche Begleitung zu OH (o.J.): Zielsetzung. Online verfügbar unter: (anonymisiert) [01.11.2015].

[4] Aus Gründen des Datenschutzes für die Veröffentlichung anonymisiert.

[5] Weiterführende Literatur zu konstruktivistisch geprägter EB/WB und Emotionen vgl. z.B. Siebert 1997; Arnold 2003; Gieseke 2007.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Communities of Practice. Potenziale des Lernens Erwachsener in professionellen Lerngemeinschaften
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Erwachsenenpädagogik/Lebenslanges Lernen)
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
79
Katalognummer
V340392
ISBN (eBook)
9783668399884
ISBN (Buch)
9783668399891
Dateigröße
1383 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vollständige Transkripte der Experteninterviews nicht enthalten.
Schlagworte
Erwachsenenbildung, Hochschulentwicklung, Communities of Practice, Professional Learning, Informelles Lernen, Lernen in Teams, Weiterbildung, Hochschulbildung, Aktionsforschung, Gruppendiskussion, Fallanalyse, qualitative Sozialforschung, Lernen in Gruppen, Lebenslanges Lernen, Hochschule, Lernumgebung, Digitales Lernen, virtuelle Lernumgebung, Community of Practice, Forschergemeinschaft, Netzwerke, Fallstudie
Arbeit zitieren
M.A. Tina Basner (Autor:in), 2015, Communities of Practice. Potenziale des Lernens Erwachsener in professionellen Lerngemeinschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340392

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