Die Theorie vom ´deutschen Sonderweg´


Referat (Ausarbeitung), 2001

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Geschichte der Sonderwegsthese

3 Zusammenfassung der möglichen Ursachen für den deutschen Sonderweg

4 Ideologisierung des deutschen Weges bis hin zur Katastrophe
4.1 Das Kaiserreich als Königsweg
4.2 Zusammenbruch des Kaiserreichs und dennoch kein Ende der Sonderwegsvorstellung
4.3 Auf dem Sonderweg in den zweiten Weltkrieg

5 Auflösung der Ideologie des deutschen Weges

6 Schlußbetrachtungen
6.1 Problematische Merkmale der Sonderwegsvorstellung
6.2 Kritik an der Sonderwegsthese

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Vorstellung einer besonderen deutschen Entwicklung hat eine lange Tradition[1]. Sie diente schon seit dem 19. Jahrhundert – mit wechselnden Inhalten – als Interpretationsschema deutscher Geschichte. In vorliegender Arbeit soll zunächst die Entwicklung der Sonderwegsvorstellung aufgezeigt werden. Der Schwerpunkt soll dabei auf der historischen Herausbildung und Wandlung dieses Deutungsschemas liegen. Konkrete historische Inhalte dieser These werden dabei eher am Rande betrachtet, da diese bereits umfassend in dem Buch von Helmuth Plessner[2] und dem diesbezüglichen Referat zur verspäteten Nation behandelt wurden. Ich möchte also weniger auf konkrete historische Gegebenheiten, sondern vielmehr auf ein bestimmtes Deutungsmuster deutscher Geschichte eingehen. In diesem Zusammenhang spielen vor allem Interpretationen bestimmter Ereignisse zur Herausbildung des deutschen Nationalbewußtseins eine große Rolle.

Ausgangspunkt für vorliegende Arbeit bildet die Grundthese, daß der deutsche Sonderweg zwar eine zentrale Kategorie der deutschen geschichtlichen Interpretation darstellt, aber keine historische Gegebenheit als solche bildet. Vielmehr ist er ein Deutungsmuster spezifisch deutscher Entwicklungen, vielleicht sogar das wichtigste und zentralste oder, um mit dem Historiker Michael Stürmer zu sprechen, die “vieldeutigste und etablierteste aller Thesen zur neueren deutschen Vergangenheit”[3].

2 Zur Geschichte der Sonderwegsthese

Im Geschichtsbewußtsein des vormärzlichen Bildungsbürgertums überwog zunächst noch eine Sichtweise, die den europäischen Zusammenhang hervorhob. Die vorherrschende Sicht der Historiker betonte, daß die unterschiedlichen Revolutionen untereinander verknüpft waren und eine Kette bildeten: Reformation, Englische Revolution, amerikanische Revolution und französische Revolution. Somit hatte die deutsche Nation, die ja eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch keine war, mittels der Reformation Teil an dieser Entwicklung. Dieser Prozeß wies nach verbreiteter Anschauung zwei Entwicklungslinien auf: eine germanisch-amerikanische und eine romanisch-französische Entwicklungslinie, wobei die deutsche Geschichte natürlich zu erster zählte.

Obwohl diese Lehrmeinung also Entwicklungszusammenhänge sah, traten etwa zeitgleich auch schon Historiker wie Leopold von Ranke hervor, die stärkeres Augenmerk auf Unterschiede legten. Ranke faßte Staaten und Nationen als Kollektivindividuen auf und hob die Bedeutung der nationalen Unterschiede hervor. Somit bekämpfte er beispielsweise den nach Allgemeingültigkeit strebenden französischen Liberalismus. Für Ranke lag die Aufgabe der Historiker hauptsächlich in der Erforschung und Darstellung der unterschiedlichen Entwicklungen der einzelnen Staaten. Somit wies er den Historikern die Aufgabe zu, die besondere deutsche Entwicklung hervorzuheben und zu begründen. Dieses Postulat ist deshalb so bedeutend, weil Ranke damit für die Geschichtsschreibung der Folgezeit ein Paradigma begründet, aus dem heraus die Sonderwegsidee geboren wurde.

Allerdings reichte der Wunsch nach einem Andersein allein natürlich nicht aus, um die These vom Besonderssein der Deutschen zu entwickeln, geschweige denn zu stützen und zu verbreiten. Von nun an begann eine regelrechte Suche nach Sonderbedingungen, die als Ursachen dienen konnten und in der deutschen Entwicklung wurde man in zahlreichen Beispielen fündig. Ich werde im Folgenden versuchen, abrißartig diese proklamierte Sonderentwicklung mit ihren zentralsten Bedingungen vereinfacht aufzeigen. Natürlich handelt es sich bei diesem Verlauf um einen sehr komplizierten historischen Komplex. Aber selbst bei der Proklamierung der deutschen Sonderstellungsthese selbst wurden Vorgänge oft sehr vereinfacht dargestellt und die Komplexität nicht selten außer Acht gelassen.

In dem Friedensvertrag, der 1648 den dreißigjährigen Krieg beendete, wurde Deutschland in etwa 2000 souveräne Territorien zersplittert, und diese Zersplitterung wurde völkerrechtlich fixiert. Das war eine wichtige Ausgangskomponente dafür, daß kein einheitlicher Wirtschafts- und Handelsraum entstehen konnte und sich keine starke, selbstbewußte, auf Überwindung des Feudalismus drängende Klasse herausbildete. Die politischen und ökonomischen Verhältnisse blieben eher kleinkariert, ähnlich auch die Bewußtseinsstrukturen der Menschen, auf die diese Verhältnissen direkt wirkten. Die wenigen Intellektuellen, die sich dem Geist der Aufklärung anschlossen, fanden kein Fundament in der politischen und sozialen Realität ihres Landes. Natürlich blieb Deutschland nicht völlig fern von diesen Denkstrukturen, denn auch hier vollzog sich Ende des 18. Jahrhunderts etwas, das man als geistige Revolution bezeichnen kann, aber die Kräfte, die eine soziale Revolution hätten tragen können, blieben schwach. In Deutschland waren also (anders als beispielsweise in Frankreich) weder die bürgerlichen Kräfte so stark entwickelt, daß sie die Hegemonie hätten übernehmen können, noch gab es Verhältnisse, die eine Massenbasis hätten bilden können. Aus eigener Kraft war somit in Deutschland die Errichtung einer bürgerlichen Ordnung nicht möglich. Es waren die Armeen Napoleons, die die Hauptbarrieren schließlich aus dem Weg räumten. Somit trat die Freiheit jedoch in „Gestalt einer Besatzungsarmee“[4] auf, also in Verbindung mit materieller und physischer Unterdrückung. Diese Bedingungen verliehen den Kräften, die auf Beharrung drängten, eine neue ideologische Waffe: Liberalismus und Parlamentarismus wurden nun als dem deutschen Wesen fremd denunziert. Der entscheidendste Punkt für die Herrschenden war, daß der Staat selbst die Entwicklung unter Kontrolle behielt, daß die Feudalklassen ihre ökonomische und politische Macht behaupten konnten und daß keinesfalls die Volksmassen sich konstituierten. Somit können die Reformen von 1806/07 als Beginn jenes Weges gekennzeichnet werden, den Bismarck als Revolution von oben beendete. Doch die Begeisterung für die französischen Kämpfe flachte ohnehin bald ab, da die realen Kämpfe sich nicht in der edlen Form vollzogen, wie sich das die deutschen Intellektuellen vorstellten. Man fühlte sich besser und überlegen und proklamierte „das deutsche Wesen nun als präzise(n) Gegensatz zu allem..., was die Französische Revolution geistig und politisch repräsentierte“[5].

In der Folge der industriellen Revolution gewann das Bürgertum zwar auch in Deutschland an Gewicht und definierte zunächst auch seine politischen Ziele. Von dem herrschenden Staat verlangten die Bürger vorrangig nationale Einheit und politische Freiheit. Das Hambacher Fest 1832 zeigte auch, daß diese Ideen durchaus populär waren, aber diese Forderungen waren nicht von Dauer. „Die Einheit von nationaler und liberaler Idee zerfiel ... mit der Revolution von 1848/49 und deren Niederwerfung“[6]. Ausschlaggebend dafür war, daß sich das Bürgertum 1848 bereits in einer ganz anderen politischen Lage sah, als das von 1789 in Frankreich. Mittlerweile hatte die industrielle Revolution die Klasse der abhängig Arbeitenden erzeugt, die bereits eigene Forderungen artikulierten und damit die Grundlage der sozialen Stellung des Bürgertums bedrohten. Der Aufstand der schlesischen Weber 1844 und der Pariser Arbeiter 1849 hatte vor Augen geführt, welche Gefahr von unten ausging. Diese Gefahr der Interessenbedrohung von unten wurde nun vielerorts als größer empfunden, als die, die vom monarchischen Staat ausging. Somit wurde die Revolution nur halbherzig geführt, da die tragenden Kräfte nun befürchteten, daß Volksmassen zuviel Einfluß nehmen könnten. Das Ziel des Bürgertums, nationale Einheit in Verbindung mit politischer Freiheit, löste sich auf. Man hielt lediglich an dem Wunsch nach Einheit fest, weil diese für die ökonomische Entfaltung als wichtig erkannt wurde. Außerdem stellte der Staat einen Schutzwall gegen die Forderungen der Massen dar. Das monarchisch-konstitutionelle System wurde „von großen Teilen des Bürgertums als Preis für die Herstellung nationaler Einheit akzeptiert“[7].

Der Ausgang der 48er Revolution führte zu einer Wende im bürgerlichen Bewußtsein: die Unterschiedlichkeit der verschiedenen nationalen Entwicklungen wurde fortan stark betont. Die Vorstellung eines universalen Zusammenhanges der unterschiedlichen Revolutionen wurde von den meinungsführenden Historikern nun kritisiert. Die Geschichtswissenschaftler sahen die Reformation nicht mehr als den Beginn des neuzeitlichen Emanzipationsprozesses. An die Stelle dieser Vorstellung trat nun eine Sichtweise, nach der einzelne Reformationen die nationalen Charaktere und individuellen nationalen Entwicklungen bestimmt hatten.

Die Reformation Luthers rückte in eine nationale Entwicklungslinie und wurde zum Ereignis, das die deutsche nationale Identität dauerhaft geprägt hatte. Auf dem Boden des Protestantismus hatten sich demnach sowohl der preußische Staat, als auch eine spezifische deutsch-protestantische Bildung entwickelt, die in einem eindeutigen Gegensatz zur französisch-rationalistischen stand. Im liberalen Bürgertum und somit auch in der Historiographie hielt eine realpolitisch-nationaletaistische Orientierung Einzug. Die Betonung lag nun auf dem Recht und der Pflicht jeder Nation, sich nach der ihr eigentümlichen Anlage zu selbständigem, anderen Völkern gleichberechtigtem Leben heraufzuarbeiten. Das implizierte, daß das Ziel der Einheit nun deutlich vor das Ziel der Freiheit gestellt wurde. Das monarchisch-konstitutionelle System wurde von großen Teilen der Bevölkerung als Preis für die Herstellung der nationalen Einheit akzeptiert.

Die deutschen Historiker tendierten nach 1871 dazu, den Weg zur Reichsgründung zu kanonisieren und das preußisch-deutsche Reich als die allein mögliche und der deutschen Geschichte gemäße Lösung zu rechtfertigen. Spätestens ab diesem Moment wurde das Abweichen der deutschen Entwicklung von der westeuropäischen offensichtlich: die Rolle, die das Bürgertum in Westeuropa spielte, füllte augenscheinlich in Deutschland der preußische Staat und die ihn tragenden Kräfte aus. Für den Wandel des bürgerlichen Geschichtsbewußtseins war bezeichnend, daß die Historiker nun begannen, die Spezifika dieser Entwicklung ins positive Licht zu rücken. Als Beispiel sei hier nur Heinrich von Treitschke genannt, der das Ausbleiben einer bürgerlichen Revolution in Deutschland als Zeichen für ein gesittetes Volk deutete, als er 1870 verkündete: „...die Deutschen bleiben ihrem Charakter treu, sie unternehmen ihre entscheidenden Schläge durch kriegerische Kräfte unter der Krone Preußens...“.

[...]


[1] vgl. Vierhaus, Rudolf: „Die Ideologie eines deutschen Weges der politischen und sozialen Entwicklung“, In: Rudolf von Thadden (Hrsg.): Die Krise des Liberalismus zwischen den Weltkriegen, Göttingen: 1978, S. 96-114.

[2] Plessner, Helmuth: Die verspätete Nation: über die politische Verfügbarkeit bürgerlichen Geistes, Frankfurt am Main: 1992.

[3] Stürmer, Michael: „Wie es eigentlich nicht gewesen ist. Angelsächsische Revisionsversuche an der These vom deutschen Sonderweg“, in: Die Zeit, Nr. 9 vom 20.2.1981, S. 13.

[4] Kühnl, Reinhard: Deutschland seit der Französischen Revolution. Untersuchungen zum deutschen Sonderweg, Heilbronn: 1996, S. 16.

[5] Ebd. S. 22.

[6] Ebd. S. 25.

[7] Faulenbach, Bernd: „Deutscher Sonderweg“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33/81, S. 16.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Theorie vom ´deutschen Sonderweg´
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Demokratie - Staat - Sozialordnung
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V3403
ISBN (eBook)
9783638120852
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Sonderweg´, Seminar, Demokratie, Staat, Sozialordnung
Arbeit zitieren
Jana Lippmann (Autor:in), 2001, Die Theorie vom ´deutschen Sonderweg´, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3403

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