Gottfried Benn - Der Mensch zwischen Welt und Leere


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biographie und lyrische Entwicklung

3. These
3.1. Die Welt
3.2. Die Leere
3.3. Der Mensch
3.4. Die Kunst

4. Interpretationen
4.1. Gesänge (1.)
4.2. Nur zwei Dinge
4.3. Ein Wort

5. Zusammenfassung

6. Schlusswort

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zu den Werken moderner Literatur, die es geschafft haben, das Bewusstsein der Zeit auf prägnante und eindrucksvolle Weise zu artikulieren, gehört sicherlich das Gottfried Benns. Seine stilistische Feinsinnigkeit, die Auswahl der Themen und der anklingende philosophische Hintergrund verhalfen ihm zu einer bedeutenden Position innerhalb der expressionistischen Avantgarde- Bewegung. Aber auch aus heutiger Sicht hat seine Lyrik nicht an Faszination, Kraft und Aktualität verloren.

Im Rahmen dieser Arbeit soll nun zunächst der Versuch unternommen werden, Gottfried Benns lyrische Entwicklung zu gliedern und in den Kontext seiner Biographie zu setzen. Darauf aufbauend wird eine These entwickelt, die Ausschnitte aus Benns Werk in Bezug setzt zu den Begriffen Welt und Leere, sowie Mensch und Kunst. Im Anschluss an Erläuterungen zur Bedeutung der einzelnen Begriffe und ihren Zusammenhängen werden drei Einzelinterpretationen vorgenommen, um die These konkret belegen zu können.

Auf diese Weise hoffe ich, sowohl dem zeitgeschichtlichen Zusammenhang des Gesamtwerks als auch der Individualfigur Gottfried Benn gerecht zu werden.

2. Biographie und lyrische Entwicklung

Gottfried Benn beginnt seine dichterische Tätigkeit in einer Zeit, die von der Erschütterung aufklärerischer Ideale, dem Verlust transparenter Wirklichkeitsmodelle und der Subjektivitätskrise des modernen Menschen geprägt ist. Das Selbstverständnis als autonomes, weisungskompetentes Vernunftwesen gerät zusehends ins Wanken. Seit Nietzsche beginnen die idealisierten Wertordnungen zu verfallen, Positivismus und Materialismus werden als zu einseitig und ungenügend empfunden. Diese Problematik ist auch für Benn zentral und immer wieder Thema seiner Lyrik.

Bis 1912 experimentiert Gottfried Benn mit den Verfahrensweisen herkömmlicher Dichtung, die Ergebnisse bleiben aber zunächst unzufriedenstellend. Er sucht nach einer Form, die frei von subjektivem und historischem Ballast ist, die ohne emotionale Attribute und traditionellen Symbolgehalt auskommen kann. Kitsch und Klischee der gutbürgerlichen Erbauungslyrik erweisen sich als völlig ungeeignet für das, was er zum Ausdruck bringen will. Erlebnisse aus seinem Medizin- Studium sowie seiner Tätigkeit als Pathologe in Berlin hinterlassen zu dieser Zeit einen tiefen Eindruck bei Benn und bereiten seinen Durchbruch vor.

Dieser gelingt ihm dann 1912 mit der Morgue, die gleichzeitig den Beginn seiner avantgardistisch- expressionistischen Phase einleitet.

Benn selbst identifiziert rückblickend den Beginn seines Schaffens mit der Morgue. Er wendet sich damit radikal von der herkömmlichen Dichtung und ihren Traditionen ab, um endlich seinen ganz eigenen Stil zu finden, der ihm die so lange gesuchte Ausdruckskraft ermöglicht. Der dominierende Ton ist bestimmt vom Zynismus und Sarkasmus eines von Vergänglichkeit und Weltlichkeit geprägten Selbstverständnisses, das den Tod als finale Konsequenz der Fleischlichkeit des Seins versteht.

Neben dieser Zerschmetterung mystifizierender Todesvorstellungen klingen etwas später regressive Töne an. Das Gehirn als Ort des Bewusstseins und kognitiven Vermögens wird als Ursprung des menschlichen Leids angesehen, die Rückkehr in eine vorbewusste Existenzform idealisiert. Eine zunehmende Vergeistigung als Stufe der menschlichen Evolution erscheint als antinaturalistisch und existenzfeindlich.

Nach weiteren Veröffentlichungen, u.a. des Gedichtzyklus „Söhne“ (1913) und der Lyriksammlung „Fleisch“ (1917), gerät Benn in eine schwere Schaffenskrise. Er stößt an die Grenzen des mit der Morgue gefundenen Stils und kämpft mit Ausdruck, Stil und Form, um sich vor leeren Widerholungen bereits erprobter Themen und Ausdrucksformen zu schützen. In den Jahren 1921/22 ist dann der Höhepunkt der Krise erreicht. Benn schreibt rückblickend:

„Wenn ich an die Jahre 1918 – 23 denke, die letzten „Expressionistischen Jahre“, - mein Gott, was habe ich mich gepresst u. massakriert u. erniedrigt u. gepeitscht, um Kunst zu machen, um zum letzten erfüllbaren Ausdruck zu kommen.“[1]

Er erkennt, dass sein Weg nur über strengere Form und Beschränkung führen kann. Im Zyklus „Schutt“ findet er dann endlich die Form, die ihn aus seiner expressionistischen Dichtung herausführt, nämlich die achtzeilige, kreuzweise gereimte Strophe, der er sich in den folgenden Jahren fast ausschließlich bedient. Es erscheinen u. a. die Bände „Schutt“, „Betäubung“ und „Spaltung“. Die Themen der Lyrik dieser Phase vermischen die Beschreibungen von Tod und Fleischlichkeit, die die frühen Gedichte noch ausschließlich dominieren, bereits mit einer außerweltlichen Sehnsucht und dem Begriff der Leere (s.u.). Besonders die Verlorenheit des metaphysisch heimatlos gewordenen Ichs im Zusammenhang mit dem Wirklichkeit dekonstruierenden Nihilismus wird hier thematisiert.

In den Jahren zwischen 1928 und 1933 bringt Benn sein lyrisches Schaffen zu einem vorläufigen Abschluss und widmet sich hauptsächlich theoretischen Arbeiten, u. a. auch zu den Themen Nihilismus und Irrationalismus sowie dem Expressionismus. Lyrisch herausragend in dieser Phase ist fast ausschließlich das umfangreiche Oratorium „Das Unaufhörliche“, dessen Musik von Paul Hindemith stammt.

Um 1933 geht Benn langsam wieder zu neuem lyrischen Schaffen über. Die strenge Form der kreuzweise gereimten achtzeiligen Strophe tritt nun zugunsten der Vierzeiler- Strophe immer mehr in den Hintergrund. Einer dadurch drohenden Monotonie greift er durch Variation der Verslänge zwischen zwei und fünf Hebungen vor.

Die schwierigen Zeiten des aufstrebenden Nationalsozialismus erschweren die künstlerische Tätigkeit Benns im Folgenden stark. Zunächst jedoch sieht Benn einen hoffnungsvollen Wechsel in dem neuen Regime, von dem er sich politischen und gesellschaftlichen Aufbruch sowie kulturelle Rückbesinnung auf alte Werte erhofft. Sein anfänglich noch positives Interesse wandelt sich nach verstärkten Angriffen auf seine Dichtung und Person jedoch in bittere Resignation. Behindert durch das Schreibverbot von 1938 und weiteren Repressionen schränkt sich Benns Schaffen in dieser Zeit sehr ein. Benn schreibt noch vor dem offiziellen Schreibverbot an eine Freundin:

„Ich betrachte ausnahmslos alles, was ich irgendwo aus deutschem Gehirn gedruckt sehe von vornherein für allerletzten Dreck. Was heute die Lizenz der Schriftsteller u. Lektoren passiert, muß Dreck sein. Anderes wird nicht durchgelassen.“[2]

An Veröffentlichungen ist zu dieser Zeit also nicht mehr zu denken. Daher beginnt Benn, seine Gedichte in der Hoffnung auf eine später mögliche Publikation zu sammeln. Innerhalb dieser Phase entstehen zunächst die „biographischen Gedichte“, die erstmals fast ausschließlich die Kunst selbst und ihr Verhältnis zur Realität thematisieren. In Gedichten wie „ Ein Wort“ erscheint die Kunst selbst als der letzte Sinnträger und – vermittler, der die zentrale Position im Ringen um das Außerweltliche einnimmt. Der Titel des Gedichtszyklus bezieht sich dabei auf die politische Unterdrückung der Kunst zu dieser Zeit und der daraus resultierenden persönlichen Zwangslage. Die Bedeutung der Kunst für Benns Leben ist eine so wesendliche geworden, dass alle weiteren persönlichen Probleme der Zeit kaum Platz in dieser explizit als biographisch bezeichneten Lyrik finden. Stilistisch entwickelt sich die streng einheitliche Form in Benns Gedichten nun immer mehr zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Formen, in denen Metrum und Reim nicht mehr zwingend sind. Benn schreibt über seine eigene dichterisch formale Entwicklung:

„Ich wog ab, was mit der 8zeiligen Strophe, die mir einmal soviel bedeutete u. die soviel Nachahmer fand, heute noch anzufangen sei. Nun, nicht viel! Stumpfsinn u. eine Tristesse, die heute nicht mehr viel wiegt.“[3]

Den Halt und die Sicherheit, die Benn beginnend mit dem Zyklus „Schutt“ in der achtzeiligen kreuzweise gereimten Strophe gefunden hatte, schränken ihn jetzt in seiner Weiterentwicklung ein. Eine gewisse Asymmetrie, die durch die Kombination verschiedener stilistischer Mittel und Formen entsteht, gibt ihm dagegen die Möglichkeit, seine Gedichte individueller und komplexer zu gestalten.

Thematisch zeichnet sich ebenfalls ein Umschwung ab. Benn kehrt der Darstellung von „Stimmung u. Sentiments zu Gegenständen“[4] endgültig den Rücken, um nur noch die Dinge selbst zu beschreiben und dabei alles Emotionale wegzulassen. Das trotzdem noch vorhandene subjektive Gefühl überträgt sich damit auf die Gegenstände selbst und findet seinen Ausdruck in der scheinbar objektiven Beschreibung ihrer Attribute. Dadurch wird eine weitgehende Losgelöstheit vom Ich des Dichters erreicht – eine Technik mit der Benn neue Themen in die „fade deutsche Lyrik“[5] bringen will.

Die Gedichtsammlung „Statische Gedichte“ ist bereits 1945 abgeschlossen, kann jedoch aufgrund des Schreibverbots nicht veröffentlicht werden. Sie stellt eine neue Phase und gleichzeitig eine in sich abgeschlossene Einheit dar. Der Begriff der „Statik“ wirkt als Bezeichnung für eine Gedichtsammlung zunächst relativ ungewöhnlich, da er eigentlich aus der Mechanik stammt. Die korrelative Bindung an den Begriff „Dynamik“ weist jedoch auf Bewegungslosigkeit, Ruhe oder bloße Zuständlichkeit hin. Damit richtet sich Benn auch gegen die substanzlose Dynamik seiner Zeit:

„Überall imaginäre Größen, überall dynamische Phantome, selbst die konkretesten Mächte wie Staat und Gesellschaft substanziell gar nicht mehr zu fassen, immer nur der Prozeß an sich, immer nur die Dynamik als solche.“[6]

Das Gegenteil, die Statik, ist eine künstlerische Eigenart der insgesamt 46 Gedichte, die sie bei aller Verschiedenheit untereinander verbindet.

In den folgenden Jahren erscheinen noch die Gedichtbände „Trunkene Flut“ (1949), „Fragmente“ (1951) und „Destillationen“ (1953), die alle im Stil der statischen Gedichte gehalten sind.

Am 07.07.1956 verstirbt Gottfried Benn an einem Krebsleiden.

[...]


[1] Brief an Ellinor Büller-Klinkowström vom 22. Februar 1936,

BENN 1966: Den Traum alleine tragen, Neue Texte, Briefe, Dokumente S. 180.

[2] Brief an Ellinor Büller-Klinkowström

BENN 1966: Den Traum alleine tragen, Neue Texte, Briefe, Dokumente S. 198.

[3] Brief an Oetze vom 21.11.1944

BENN 1966: Den Traum alleine tragen, Neue Texte, Briefe, Dokumente S. 188.

[4] Brief an Oetze vom 18.01.1945

BENN 1966: Den Traum alleine tragen, Neue Texte, Briefe, Dokumente S. 213.

[5] Brief an Oetze vom 18.01.1945

BENN 1966: Den Traum alleine tragen, Neue Texte, Briefe, Dokumente S. 213.

[6] Akademie-Rede 1932,

BENN 1960: Gottfried Benn – Das Hauptwerk, Band 2 – Essays Reden Vorträge, S. 279

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Gottfried Benn - Der Mensch zwischen Welt und Leere
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Veranstaltung
Proseminar: Lyrik des 20. Jahrhunderts
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V34011
ISBN (eBook)
9783638343411
ISBN (Buch)
9783640888740
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gottfried, Benn, Mensch, Welt, Leere, Proseminar, Lyrik, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Christian Stein (Autor:in), 2004, Gottfried Benn - Der Mensch zwischen Welt und Leere, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34011

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