Marco Polos Bericht über Japan. Der historische Quellenwert des "Il Milione" am Beispiel Cipangus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

19 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Das Problem des Historikers mit Reiseberichten

2. Marco Polos Bericht über die Insel Cipangu
2.1. Erläuterungen zum Begriff „Cipangu“
2.2. Die Kapitel 160 bis 162 des „Il Milione“
2.3 Auswertung der Angaben Marco Polos über Cipangu
2.3.1. Übernahme von Legenden und Missverständnissen
2.3.2. Marco Polos Stellung am Hofe des Khans
2.3.3. Marco Polos Identifikation mit den Mongolen
2.3.4. Marco Polo als europäischer Autor

3. Der Quellenwert des „Il Milione“
3.1. Der Informationsgehalt des Werks für das Mittelalter
3.2. Der Quellenwert des „Il Milione“ heute

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis
5.1. Quellen
5.2. Sekundärliteratur

1. Das Problem des Historikers mit Reiseberichten

Der historische Roman „Die abenteuerlichen Reisen des Marco Polo“ von Rudolf Harms beginnt mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe, der über die Hauptfigur Folgendes geäußert hat: „Es lä[ss]t uns dieser Reisende überall von Menschengestalten und Sitten, von Landschaft, Bäumen, Pflanzen und Tieren so manche Besonderheit erkennen, die für die Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenngleich vieles märchenhaft erscheinen möchte“[1]. Auch wenn Goethe das, was Marco Polo (1254-1324)[2]in seinem Reisebericht, dem „Il Milione“, schreibt, aus vollster Überzeugung als „Wahrheit“ bezeichnet, so spricht der Dichter hier doch eine grundsätzliche Problematik der Rezeptionsgeschichte dieses Werks an: die Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit.

Marco Polo ist eine der bekanntesten Figuren des Mittelalters. Der Sohn einer angesehenen venezianischen Kaufmannsfamilie[3]begleitete den Vater Niccolo und seinen Onkel Maffeo von 1271 bis 1295 auf deren Handelsreise nach China[4]. 1274 erreichten die Polos den Hof des mongolischen Großkhans Khubilai (1214-1294)[5], in dessen Dienst der damals 20-jährige Marco trat. Dieser bezeichnet sich im „Il Milione“ selbst als hohen Würdenträger und Vertrauten des Khans[6], allerdings lassen sich die genauen Ämter und Aufgaben, die der junge Reisende am Hofe Khubilais übernahm, nicht mehr rekonstruieren[7]. Fest steht jedoch, dass er als Gesandter und Berichterstatter des Großkhans weite Teile Südostasiens bereiste[8]und dabei die vielen asiatischen Provinzen kennenlernte, von denen er in seinem Werk berichtet.

Das „Il Milione“ liest sich wie eine enzyklopädische Darstellung über asiatische Länder und die mongolische Geschichte[9]. Noch zu Lebzeiten Marco Polos erreichte das Buch einen hohen Bekanntheitsgrad[10]. Die Übersetzung „in fast alle süd-, westund mitteleuropäische Sprachen“[11], die noch vom Autor selbst in Auftrag gegeben wurde, ebnete dem Werk den Weg in die verschiedensten Sprachräume und Lesekulturen. „In den folgenden Jahrhunderten sollte es zu einem der am weitesten verbreiteten und meist gelesenen Reisebücher des Mittelalters und noch der frühen Neuzeit werden“[12].

Doch auch wenn sich das „Il Milione“ bei Marco Polos Zeitgenossen und den folgenden Generationen großer Beliebtheit erfreute, so wurde dessen Inhalt von seinen Lesern immer wieder in Frage gestellt. Heute ist bewiesen, dass viele dieser Zweifel berechtigt waren, da zahlreiche Angaben, Behauptungen und Erzählungen in Polos Bericht widerlegt werden konnten.

Bei Reisebeschreibungen handelt es sich in der Regel um autobiographische Texte[13], die subjektive Wahrnehmungen ihrer Autoren wiedergeben, deren Themen und Formulierungen an ein bestimmtes Lesepublikum angepasst wurden und deren Überlieferung beabsichtigt war. Historiker betrachten Reiseberichte daher eher misstrauisch, „da sie ganz offensichtlich subjektive Übertreibungen und vielfach sogar Lügen enthalten“[14]und daher ihr Wert als historische Quelle umstritten ist.

Diese Arbeit möchte deshalb der Frage nachgehen, in wie weit das „Il Milione“ trotz vieler Unwahrheiten im Mittelalter als historische Quelle dienen konnte und noch heute dienen kann. Dafür werden im Folgenden die drei Kapitel (160-162), die Marco Polo der Insel Cipangu (Japan) gewidmet hat, exemplarisch auf deren Informationsgehalt untersucht und ausgewertet.

2. Marco Polos Bericht über die Insel Cipangu

2.1. Erläuterungen zum Begriff „Cipangu“

Marco Polos „Cipangu“ lehnt sich an die chinesische Bezeichnung für Japan „jih-pên (-kuo)“ (= „Sonnen-Ursprung(s-Land)“) an[15], die seit Mitte des 10. Jahrhunderts auf dem Festland üblich war. Bis dahin hatten die Chinesen, wenn sie Japan meinten, von „Wa-kuo“, dem „Land der Zwergwüchsigen“ gesprochen[16]. Auch die europäischen Bezeichnungen wie „Japan“, „Japao“, „Giappone“ oder „Japon“ gehen auf „jih-pên (-kuo)“ zurück. Die Bewohner Japans selbst nennen ihr Land seit dem 7. Jahrhundert „Nippon“ beziehungsweise „Nihon“[17]. Am 3. 11. 1946 erkannte die japanische Verfassung „Nippon“ als Landesbezeichnung offiziell an[18].

2.2. Die Kapitel 160 bis 162 des „Il Milione“

Marco Polo widmet Cipangu in seinem Buch drei Kapitel (160-162). Im ersten (160) gibt er zunächst allgemeine geographische und ethnographische Informationen über die Insel, um schließlich auf das Zeitgeschehen, den Eroberungszug der Mongolen gegen Cipangu, überzuleiten.

Nach den Angaben des Autors handelt es sich bei „Cipangu [um] eine sehr große Insel, [die] tausendfünfhundert Seemeilen vom Festland entfernt“[19]im Chinesischen Meer[20]liegt. „In völliger Unabhängigkeit regieren [die Bewohner Cipangus] nur sich selbst und üben keine Herrschaft über andere Völker aus“[21]. Polo unterstellt der Insel „über alle Maßen reich“[22]zu sein. Er berichtet davon, dass auf Cipangu „unendlich viele Perlen“[23], „eine Menge [...] Edelsteine“[24]und „unbeschreiblich[e]“ „Goldvorkommen“[25]vorzufinden seien.

Dieser Reichtum der Insel, so schreibt Marco Polo, habe das Interesse des mongolischen Großkhans Khubilai an Cipangu geweckt und sei letzten Endes der Grund für die Invasion der Mongolen gewesen[26]. Der Eroberungszug gegen Cipangu sei jedoch misslungen: „Keine Stadt und keine befestigte Siedlung [habe von dem mongolischen Heer] erobert“[27]werden können, wofür der Autor vor allem die beiden Generäle Abatan und Vonsanicin verantwortlich macht, von denen „sich [nie] einer für den anderen eingesetzt“[28]und zwischen denen „Neid und Mi[ss]gunst“[29]geherrscht habe. Die Invasion sei schließlich von einem „heftige[n] Nordwind“[30], der einen großen Teil der mongolischen Flotte zerstörte, beendet worden. Während die wenigen unbeschädigten Schiffe der Angreifer unverzüglich in Richtung Heimat gesegelt seien, sollen ungefähr dreißigtausend Mann, die sich vier Meilen vor der Küste Cipangus auf eine kleine Insel retten konnten, dort zurückgelassen worden sein[31].

Vom Schicksal dieser dreißigtausend Männer berichtet Marco Polo im Kapitel 161. Als die Bewohner Cipangus von den Zurückgelassenen erfuhren, seien sie zugleich zu dieser Insel gesegelt, „um der Flüchtlinge habhaft zu werden“[32]. Die Tataren – so erzählt Polo – konnten ihre Verfolger jedoch überlisten und deren Schiffe kapern. Anschließend sollen die Soldaten des Großkhans auf Cipangu an Land gegangen sein und eine Stadt eingenommen haben[33]. Marco Polo berichtet, dass der Herrscher von Cipangu daraufhin die Stadt belagern ließ. Die Mongolen sollen dieser Belagerung sieben Monate standgehalten haben, bevor sie schließlich einen Pakt mit den Insulanern aushandelten, der einerseits ihr Leben verschonen sollte, sie jedoch dazu verpflichtete, sich zu ergeben und für immer in dieser Stadt zu verbleiben[34].

Seine Ausführungen über die Invasion der Mongolen schließt der Autor mit dem „Schicksal von Abatan und Vonsanicin“[35]ab. Er teilt dem Leser mit, dass den Heerführern zwar die gesunde Rückkehr in die Heimat gelungen sei, beide aber für das Scheitern des Eroberungszuges vom Großkhan mit dem Tode bestraft wurden[36].

Im letzten Kapitel, das von Cipangu handelt (162), beschreibt Marco Polo „die heidnischen Sitten und Gebräuche“[37]seiner Bewohner. Er bezeichnet die Insulaner als „Heiden“[38]und bemerkt, dass sie ihre „Götzen“[39]mehrarmig mit Tierköpfen darstellen[40]. Zudem seien „die Taten dieser Götter [...] so mannigfaltig, ihre Werke derart teuflisch, da[ss] [er in seinem] Buche gar nicht darauf eingehen will, die Abscheulichkeiten würden Christenohren beleidigen“[41].

Trotzdem schildert Polo zwei dieser heidnischen Bräuche. Bereits im Kapitel 160 erwähnt er einen Bestattungsritus, bei dem „jedem Menschen, der beerdigt wird, [...] eine dieser [bereits angesprochenen] Perlen in den Mund“[42]gesteckt werde. Wohl als Exempel für die von ihm angesprochenen „Abscheulichkeiten“[43]unterstellt Marco Polo den Insulanern Kannibalismus. Wenn die Bewohner Cipangus „einen Fremden in ihrer Gewalt haben, der kein Lösegeld bezahlen kann“[44], sei es Sitte, den Gefangenen zu töten, um ihn bei einem Festmahl mit geladenen Gästen zu verspeisen[45].

[...]


[1]Harms, Rudolf: Die abenteuerlichen Reisen des Marco Polo, Berlin 1961, S. 6.

[2]Vgl. Reichert, Folker E.: Zipangu – Japans Entdeckung im Mittelalter, in: Doris Croissant (Hrsg.): Japan und Europa 1543 – 1929, Berlin 1993, S. 25.

[3]Vgl. Übleis, Franz: Marco Polo in Südasien (1293/94), in: Archiv für Kulturgeschichte 60

(1978), S. 270.

[4]Vgl. Münkler, Marina: Marco Polo. Leben und Legende, München 1998, S. 7.

[5]Vgl. Kapitza, Peter (Hrsg.): Japan in Europa, Bd. 1, München 1990, S. 45.

[6]Vgl. Wunderli, Peter (Hrsg.): Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur im Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1993, S. 127.

[7]Vgl. Übleis, S. 270.

[8]Vgl. Münkler: Marco Polo, S. 7.

[9]Vgl. Reichert: Zipangu, S. 25.

[10]Vgl. Reichert, Folker E.: Marco Polos Buch. Lesarten des Fremden, in: Dietrich Harth (Hrsg.): Fiktion des Fremden, Frankfurt am Main 1994, S. 183.

[11]Reichert: Zipangu, S. 28.

[12]Reichert: Marco Polo, S. 183f.

[13]Reichert, Folker E: Erfahrung der Welt, Stuttgart 2001, S. 17.

[14]Harbsmeier, Michael: Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen. Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen, in: Hans J. Teuteberg: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte, Wolfenbüttel 1987, S. 1.

[15]Vgl. Dettmer, Hans A.: Einführung in das Studium der japanischen Geschichte, Darmstadt

1987, S. 57.

[16]Vgl. Kluge, Inge-Lore: „Landesbezeichnung“ in: Horst Hammitzsch (Hrsg.): Japan-Handbuch, 3. Auflage, Stuttgart 1990, Sp. 447.

[17]Vgl. Reichert: Zipangu, S. 25.

[18]Vgl. Kluge, Sp. 446.

[19]Polo, Marco: Die Wunder der Welt. Il Milione / Übers. aus altfranz. und lat. Quellen und Nachwort von Elise Guignard, Frankfurt am Main 2003, S. 247.

[20]Vgl. ebd., S. 253.

[21]Ebd., S. 247.

[22]Ebd., S. 248.

[23]Polo, S. 247.

[24]Ebd., S. 248.

[25]Ebd., S. 247.

[26]Vgl. ebd., S. 248.

[27]Ebd.

[28]Ebd.

[29]Ebd.

[30]Ebd.

[31]Vgl. ebd.

[32]Ebd., S. 250.

[33]Vgl. ebd.

[34]Vgl. Polo, S. 251.

[35]Ebd., S. 251.

[36]Vgl. ebd., S. 252.

[37]Ebd.

[38]Ebd., S. 247.

[39]Ebd., S. 252.

[40]Vgl., S. 252.

[41]Ebd., S. 253.

[42]Ebd., S. 247.

[43]Ebd., S. 253.

[44]Ebd.

[45]Vgl., ebd.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Marco Polos Bericht über Japan. Der historische Quellenwert des "Il Milione" am Beispiel Cipangus
Hochschule
Universität Stuttgart  (Historisches Institut)
Note
2,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V340049
ISBN (eBook)
9783668296145
ISBN (Buch)
9783668296152
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marco Polo, Reisebericht, Japan, Mittelalter, Il Milione, Quellenwert, Quellenanalyse
Arbeit zitieren
Tabea Roth (Autor:in), 2005, Marco Polos Bericht über Japan. Der historische Quellenwert des "Il Milione" am Beispiel Cipangus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340049

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