Inter- und intragenerationelles Erinnern. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen

„Unscharfe Bilder“ von Ulla Hahn und „Himmelskörper“ von Tanja Dückers


Hausarbeit, 2016

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Neuere deutsche Familienromane
1.1 (Literatur-)Geschichtliche Perspektive und Entwicklung
1.2 Forschungsdiskurse in neueren deutschen Familienromanen

2. Inter- und intragenerationelles Erinnern
2.1 Kollektives, kulturelles und kommunikatives Gedächtnis
2.2 Zeitliche Einordnung der Generationen

3. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen
3.1 Unscharfe Bilder
3.2 Himmelskörper
3.3 Erste Generation
3.3.1 Forschungsstand
3.3.2 Vergleich mit Unscharfe Bilder und Himmelskörper
3.4 Zweite Generation
3.4.1 Forschungsstand
3.4.2 Vergleich mit Unscharfe Bilder und Himmelskörper
3.5 Dritte Generation
3.5.1 Forschungsstand
3.5.2 Vergleich mit Unscharfe Bilder und Himmelskörper

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Erinnerungsstrukturen und –prozessen, bezüglich der Geschehnisse des zweiten Weltkrieges, die in der Kriegs- und den zwei Nachkriegsgenerationen des 20ten Jahrhunderts zum tragen kommen. Dabei wird ein Vergleich mit verschiedenen Figuren aus den Familienromanen Unscharfe Bilder und Himmelskörper gezogen. Anhand dieser Romane können vor allem Parallelen, aber auch Unterschiede gegenüber der Theorie aufgezeigt werden. Teil eins der Arbeit erörtert dazu den Forschungsstand der literarischen Gattung Familienroman sowie den darin enthaltenen Erinnerungsdiskurs. Um eine Grundlage für die nachfolgende Analyse der Erinnerungsstrukturen zu schaffen, wird in Kapitel zwei anschließend eine knappe Betrachtung der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung sowie eine zeitliche Einordnung der Generationen gegeben, die für diese Arbeit relevant sind.

Auf eine kurze inhaltliche Zusammenfassung der zwei Romane in Kapitel 3.1 und 3.2 folgt, aufbauend auf die im Vorfeld erläuterte Theorie, eine Analyse des unterschiedlichen Umgangs der Generationen mit Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg. Dabei wird die Fragestellung Wie vollzieht sich Erinnerung in und zwischen den drei Generationen des 20ten Jahrhunderts in Familienromanen? in den Fokus der Untersuchung genommen.

1. Neuere deutsche Familienromane

Spricht diese Arbeit von neueren deutschen Familienromanen, sind damit Romane der Gegenwartsliteratur gemeint, die um den Begriff der Familie kreisen. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der Familie nicht nur im Rahmen der Kleinfamilie gebraucht[1], womit ein Ehepaar mit seinen Kindern als kleinste soziale Einheit einer Gesellschaft gemeint ist, sondern umfasst die „Einbindung der Kleinfamilie in ein Netzwerk familialer Beziehungen“[2]. In Familienromanen ist das generationale Verhältnis und damit die genealogische Kette[3] einer Mehrgenerationenfamilie[4], meist auf einer zeitlichen Dimension von knapp einem Jahrhundert angeordnet. Der Begriff des Familienromans kann im Vergleich zum Begriff der Familie nicht eindeutig definiert werden.

Es ist sowohl die Sprache von ‚Familienromanen‘, als auch von ‚Generationenromanen‘. Generell wird der Familienroman „stofflich im Problemkreis des bürgerlichen und adeligen Familienlebens“[5] verortet, jedoch geht es meist um umfassendere soziale und politische Fragen der Gesellschaft. Wann von einem Familienroman und wann von einem Generationenroman die Sprache ist, wird in der Forschung noch diskutiert[6]. Während die einen bei einer „synchronen Darstellung einer Gemeinschaft“[7] von Familienromanen sprechen und bei einer „Erzählung vom Aufstieg und Fall […] eines ganzen Geschlechts“[8] von Generationenromanen, bezeichnen Galli und Costagli Familienromane als „Texte mit Handlungsfokus innerhalb einer Familie“[9] und Generationenromane als „chronologisch mehrere Generationen umfassen(d)“[10].

1.1 (Literatur-)Geschichtliche Perspektive und Entwicklung

Die Anfänge des Familienromans finden sich im 18ten Jahrhundert in Richardsons Briefromanen, während die Anfänge für den qualitativen Familienroman im 19ten Jahrhundert, in Form von Eheromanen namhafter Autoren wie Tolstoi, Flaubert oder Fontane, liegen[11]. Darauf folgten Stammbaum- oder Geschlechterromane, welche Familiengegenüberstellungen, meist in Form von arm und reich, zum Inhalt hatten. Im 20ten Jahrhundert entstand der Gesellschaftsroman, der die historischen Veränderungen zwischen den Generationen reflektiert und meist einen Familienzerfall, wie in Thomas Mann´s Buddenbrooks, zum Inhalt hat. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Familienroman dann durch den Heldenroman, in welchem sich der Junggeselle von seiner Familie distanziert, abgelöst. In den 70er und 80er Jahren rücken die Väterromane in den Vordergrund des Genres. In ihnen geht es um den Konflikt zwischen der Kriegs- und der ersten Nachkriegsgeneration. Trotz aller Versuche einer öffentlichen Erinnerungspolitik fand das Thema ‚Zweiter Weltkrieg‘ in der Bundesrepublik jedoch wenig Aufmerksamkeit[12]. Erst nach den politischen Ereignissen des Jahres 1989 und mit dem endgültigen Abzug der Alliierten fand ein Wandel in der öffentlichen Erinnerungskultur statt. Der Täterdiskurs wurde um den Opferdiskurs erweitert[13].

Zudem heizte die Wehrmachtsausstellung Ende des 20ten Jahrhunderts die Diskussion um die Kriegserinnerungen an. Die „ganz normalen Männer“[14] der Wehrmacht, zeigten sich auf den Fotos auf einmal als Täter des Nationalsozialismus[15] und ließen die Frage aufkommen, welche Rolle die eigenen Väter und Großväter im zweiten Weltkrieg spielten. In den neueren deutschen Familienromanen wird durch die Nachkommen der Zeitzeugen private und kollektive Geschichte aufgearbeitet. Hier wird aufgezeigt, wie die Bewegung zwischen Erinnern und Vergessen[16] die Familienstruktur bestimmt und wie Familienidentitäten mit Hilfe des Erinnerungsdiskurses konstruiert werden.

1.2 Forschungsdiskurse in neueren deutschen Familienromanen

Einer der Forschungsdiskurse des Familienromans ist der bereits genannte Erinnerungsdiskurs. In ihm werden u. a. die nationalsozialistischen Geschehnisse des 20ten Jahrhunderts verarbeitet und die Probleme zwischen den Generationen, die in diesem Kontext entstanden sind, in den Blick genommen. Es geht um generationelle Formen der Erinnerung und den Bewegungen zwischen Tätern und Opfern, Vergessen und Verschweigen. Sowohl die Väter- als auch die Enkelliteratur zeigt, wie Erinnerungsarbeit von Statten geht. Sie wollen die unscharfen Bilder der Vergangenheit schärfen. In den literarischen Werken spielt das Motiv von Erinnerungsmedien, wie Bilder, Briefe und Postkarten eine wichtige Rolle, da sie zur Erinnerung anregen oder Erinnerungen erweitern. Familienromane behandeln in Verbindung mit dem Erinnerungsdiskurs auch aktuelle sowie historische, gesellschaftliche, soziale und politische Verhältnisse.

Diese beiden Forschungsperspektiven kreuzen sich mit dem Identitätsdiskurs, denn die Frage nach der Vergangenheit der Generationen trägt immer auch zu einer Identitätsbildung des Einzelnen, einer Familie oder sogar einer ganzen Gesellschaft bei. Die Forschung beschäftigt sich also auch mit der Frage, wie Identitätsarbeit in Familienromanen verläuft. Die Suche nach der Vergangenheit ist zugleich eine Suche nach Identität. Dabei spielen inter- und intragenerationelle Gespräche eine große Rolle.

2. Inter- und intragenerationelles Erinnern

Gerade in inter- und intragenerationellen Gesprächen zeigt sich der divergente Umgang mit Erinnerungen. Intergenerationell meint dabei die Gespräche, die generationenübergreifend stattfinden, während intragenerationell die Gespräche umfasst, die innerhalb einer Generation stattfinden. Dabei kommen vor allem die drei in Kapitel 2.2 beschriebenen Generationen und Grundbegriffe der Gedächtnis- und Erinnerungsforschung, wie die des kollektiven, kulturellen und kommunikativen Gedächtnisses, zum tragen.

2.1 Kollektives, kulturelles und kommunikatives Gedächtnis

Die Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis begründet sich im Kontext der Erinnerungsstrukturen auf die Annahme des Soziologen Maurice Halbwachs, der das „Zusammenspiel von Kollektiverinnerungen und individuellen Erinnerungen, von Kollektivgedächtnis und individuellem Gedächtnis“[17] betrachtet. Er beschreibt den Vorgang des Erinnerns „als ein Produkt gesellschaftlicher Interaktion“[18]. Darauf aufbauend unterscheiden Jan und Aleida Assmann das kollektive, das kulturelle und das kommunikative Gedächtnis. Das kollektive Gedächtnis gliedert sich in das kulturelle und das kommunikative Gedächtnis. Das kulturelle Gedächtnis beinhaltet die Speicherung der Erinnerungen einer Gesellschaft und geht weit über die biologischen Grenzen einzelner Generationen hinaus. Es ist de facto im politischen Raum angesiedelt und hat eine hohe Relevanz für die Zukunft einer Gesellschaft, denn aus ihm werden Werte und Normen abgeleitet und wie die Autorin dieser Arbeit daraus schließt, folglich eine Landesidentität erstellt. Aleida Assmann nennt diesen Gedächtnistyp auch „Funktionengedächtnis“[19], da es durch gesellschaftliche Funktionäre aufgebaut und gepflegt werden muss. Die andere Seite des kollektiven Gedächtnisses bildet das kommunikative, auf der sozialen Ebene angesiedelte Gedächtnis, welches die Alltagskommunikation der Generationen beinhaltet[20]. Die Erinnerungen darin sind nicht alleine individuelle Erinnerungen[21], sondern bilden sich aus den inter- und intragenerationellen Gesprächen.

In der Forschung besteht eine gewisse Einigkeit darin, dass Erinnern ein Prozess ist, dessen Ergebnis die Erinnerungen sind und dass das Gedächtnis in veränderlichen Strukturen konzipierbar ist[22]. Erinnerungen sind folglich rein subjektive und selektive Konstruktionen, dessen Vergangenheitsversionen sich den gegenwärtigen Wünschen der Erinnernden anpassen und durch Erinnerungsmedien von Außen beeinflusst werden können[23]. Erinnerungen bleiben also nie gleich, sie entstehen von Zeit zu Zeit immer wieder neu[24] und werden im stetigen Prozess erweitert, präzisiert oder sogar verändert[25].

Es kann festgehalten werden, dass das was vom zweiten Weltkrieg und dem Holocaust erinnert wird stark von der Gegenwart der Erinnernden und der Art, wie es erinnert wird, abhängt.

2.2 Zeitliche Einordnung der Generationen

Als Generation wird eine gesellschaftliche Kohorte bezeichnet, die zum einen in der gleichen zeitlichen Periode geboren ist, und zum anderen prägende kollektive Ereignisse, wie den zweiten Weltkrieg, gemeinsam erlebt hat[26]. Jedoch kann eine Generation nicht starr an einem Geburtsjahr festgemacht werden, denn es sind vor allem die verschiedenen Muster von Normen und Werten sowie die Bildung von einer gemeinsamen Identität[27], die für die Differenzierung zwischen den Generationen bedeutend sind. Unter Berücksichtigung dieser Definition wird in der anschließenden Analyse besonders die „Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft“[28] der drei Generationen des 20ten Jahrhunderts in Augenschein genommen. „Innerhalb dieser 3 Generationen sind Erinnerungen durch mündliches Erzählen vermittelbar, danach reißt die Kette persönlicher Zeugenschaft ab“[29]. Die erste Generation bildet dabei die Kriegsgeneration. Sie umfasst die Personen, die aktiv im Kriegsdienst waren oder den Krieg bewusst miterlebt haben. Die zweite Generation umfasst die Personengruppe, die im Krieg oder unmittelbar nach dem Krieg geboren ist und den Krieg somit im Kindesalter teilweise miterlebt hat. In jedem Fall sind aber die Eltern Teil der Kriegsgeneration. Die dritte Generation und somit die zweite Nachkriegsgeneration wird auch Enkelgeneration genannt. Sie umfasst alle Personen, dessen Großeltern der Kriegsgeneration angehörig sind. Sie sind weit nach dem zweiten Weltkrieg geboren und haben somit keine persönlichen Kriegserinnerungen.

3. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen

Im Folgenden wird in beiden Romanen das Hauptaugenmerk auf die inter- und intragenerationellen Gespräche gelegt. Es soll dabei untersucht werden, woran sich die VertreterInnen der drei Generationen erinnern, wie sie sich erinnern, was besprochen und was verschwiegen wird. Zum besseren Verständnis bieten die Kapitel 3.1 und 3.2 zunächst einen inhaltlichen Überblick über die zwei ausgewählten Romane.

3.1 Unscharfe Bilder

In dem Roman Unscharfe Bilder aus dem Jahr 2003 von Ulla Hahn, welche im Jahr 1945 geboren ist, wird der typische Vater-Sohn Konflikt der Nachkriegszeit in Form eines Vater-Tochter Konfliktgespräches abgebildet. Eine Fotografie aus der Wehrmachtsaustellung, auf der die promovierte Studienrätin Katja Wild ihren mittlerweile pensionierten Vater Dr. Hans Musbach zu erkennen glaubt, führt zu der Frage ob ihr Vater an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt war, während er als Wehrmachtssoldat an der Ostfront kämpfte. Das intergenerationelle Gespräch zwischen Katja und ihrem Vater beginnt mit der anklagenden Frage Katjas, wo er auf diesen Bildern zu sehen sei. Diese Anklage der Tochter weckt in ihm subjektive Erinnerungen an die Vergangenheit, die fragmentiert nach und nach an die Oberfläche gelangen und zu einem zähen Erinnerungsprozess führen. Anfangs ist es Katja, die auf die Gespräche besteht und nach Antworten verlangt. Im Laufe der Zeit wendet sich jedoch das Blatt und es kommt zu einer Trauerarbeit, bis Katjas Vater am Ende seine Schuld offen darlegt. Der Roman beinhaltet weitere inter- und intragenerationelle Gespräche, die in der hier folgenden Analyse jedoch nur angerissen werden.

Die Autorin beginnt zwar mit einer typischen Anklage der zweiten Generation, wählt dabei aber ein Schreibmuster, „dass ontologisch gesehen charakteristisch für die dritte Generation ist“[30]. Unscharfe Bilder ist einerseits eine Fortsetzung des Schulddiskurses, zeigt aber andererseits, dass auch die sogenannte 68er Generation anfängt die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten[31].

3.2 Himmelskörper

Die Autorin Tanja Dückers, wurde 1968 geboren und gehört somit der Enkelgeneration an. In ihrem Roman Himmelskörper, ebenfalls aus dem Jahr 2003, erzählt sie auf zwei Ebenen aus der Sicht ihrer Protagonistin Freia Fragmente aus deren Leben sowie von der Suche nach einem Familiengeheimnis und damit der Suche nach ihrer Identität.

Freia´s Suche beginnt als die junge Meteorologin schwanger ist und sich fragt, in welche Familie sie eine neue Generation einbringt. Sie ist zeitgleich beruflich auf der Suche nach einer durchsichtigen, aber nicht durchscheinenden Wolkenformation. Diese Suche steht metaphorisch für die Suche nach der Familiengeschichte. Sie erzählt in nicht chronologischen Rückblenden von Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend am Stadtrand von West-Berlin und den damit verbundenen Erinnerungen an ihren Zwillingsbruder Paul, ihre Eltern Renate und Peter, ihre Großeltern Johanna und Maximilian und ihre erste Liebe Wieland. Eingebettet in diese Erinnerungen an ihr eigenes Leben geht es um ihre Suche nach ihrer Familiengeschichte. Zum Ende des Romans lüftet Freia das Familiengeheimnis. Sie erfährt, dass die Familie nur aufgrund des demonstrativen Bekunden ihrer nationalsozialistischen Gesinnung und weil die damals fünfjährige Renate eine Nachbarsfamilie denunziert hat auf das Minensuchboot ‚Theodor‘ gelangte und somit dem Tod auf der, kurze Zeit später gesunkenen, ‚Wilhelm Gustloff‘ entging. Nach dem Tod der Großeltern findet sie, mithilfe von bis dato versteckten Erinnerungsstücken, raus, dass ihre Großeltern noch mehr in den Nationalsozialismus verstrickt waren als sie bisher aufdecken konnte. In dem Moment, in dem sie das Geheimnis lüftet, findet sie ebenfalls die gesuchte Wolkenformation.

Im Fokus des Romans steht nicht die Flucht 1945, sondern die Erkundung der Geschichte von individueller und kollektiver Schuld der Zeitzeugen des zweiten Weltkrieges, die Suche nach Identität und Zugehörigkeit sowie der Prozess von Erinnerungen. Dieser wird anhand der im Folgenden analysierten Generationen dargestellt.

3.3 Erste Generation

3.3.1 Forschungsstand

Die erste Generation umfasst die Zeitzeugen des zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus. Diese ‚Erlebnisgeneration‘ wurde, grob eingeordnet, zwischen 1910 und 1930 geboren. Aufgrund der traumatisierenden Geschehnisse dieser Zeit, haben sie ihre Erinnerungen auf vielerlei Arten verdrängt, verändert oder auch verschwiegen.

So nennt Norbert Otto Eke diese Genration auch die „Schweigegeneration“[32]. Angefangen bei der „Taubheit gegenüber Unrechtsempfinden und Schuldgefühlen“[33], über Mechanismen der Verdrängung aller negativ konnotierten Erinnerungen, bis hin zum Leugnen eigener Verstrickungen, vergrub die Kriegsgeneration diese negative Zeitepoche in ihrem Gedächtnis und richtete ihren Blick auf die Gegenwart. Nach dem Ergebnis einer Repräsentativumfrage im Jahr 2002, war nur 1% aller Deutschen an Kriegsverbrechen beteiligt und nur 3% war Antisemitisch[34]. Hierdurch wird deutlich, dass Verdrängung und Leugnung die weitverbreitetsten Erinnerungsmechanismen der Nachkriegszeit waren. Anschuldigungen der zweiten Genration, konterte die Kriegsgeneration mit Abwehr und Leugnung eigener Mitschuld sowie Rechtfertigungen, die zwischen einem lapidaren „Es war halt Krieg“[35], wodurch die Taten vom Verbrechen freigesprochen wurden, und „Hinweisen darauf, schließlich auf Befehl gehandelt zu haben“[36] schwankten. Die Verweigerung von Gesprächen war eine gängige Reaktion und wurde damit begründet, dass die zweite Generation als damals „unmündige Kinder“[37] nichts von den Geschehnissen verstanden hätten. Es wurde zwar über die Kriegszeit gesprochen, aber die Erinnerungen wurden lediglich selektiv weitergegeben[38]. Dabei gehörten die Fragen über Schuld „nicht zum Interesse der Gruppenerinnerung“[39], da sie die Identitäten der Gegenwart gefährdeten. Nur die stereotyp geschönten Erinnerungen[40] kamen in diesen Gesprächen zum Vorschein und machten eine Trauerarbeit unmöglich.

Der stärkste Mechanismus der Veränderung von Erinnerungsstrukturen ist allerdings die „charakteristische Stilisierung zum Opfer des Regimes“[41]. In der Erinnerung und Darstellung der Kriegsgeneration waren sie die Opfer des Bombenkriegs, der Flucht- und Vertreibung[42] sowie der durchlebten Schrecken des Krieges. Vor allem als die Enkel mit ihren Fragen über den Krieg anfingen häuften sich die Erzählungen und Erinnerungen des eigenen Leides[43].

[...]


[1] Vgl. Mühling/Rupp: Familie, S.77.

[2] Ebd.

[3] Vgl. Jahn: Familienkonstruktionen, S. 582.

[4] Vgl. Mühling/Rupp: Familie, S.77.

[5] von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, S. 259.

[6] Im Folgenden der vorliegenden Arbeit wird ausschließlich der Begriff Familienroman verwendet.

[7] Nagy/Windersteiner: Immer wieder Familie, S. 9.

[8] Ebd.

[9] Costagli: Deutsche Familienromane, S. 8f.

[10] Ebd.

[11] Vgl. Nagy/Windersteiner: Immer wieder Familie, S.10.

[12] Vgl. Stüben: Erfragte Erinnerung, entsorgte Familiengeschichte, S. 170.

[13] Vgl. Beßlich: Wende des Erinnerns?, S. 7.

[14] Eichenberg: Familie - Ich - Nation, S. 12.

[15] Vgl. Ebd. S. 49.

[16] Vgl. Nagy/Windersteiner: Immer wieder Familie, S. 13.

[17] Fischer-Kania: Reden und Schweigen zwischen den Generationen, S. 73.

[18] Ebd.

[19] Till: Kontroversen im Familiengedächtnis, S. 40.

[20] Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 27.

[21] Vgl. Till: Kontroversen im Familiengedächtnis, S. 37.

[22] Vgl. Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 7.

[23] Vgl. Neuhaus: Identität durch Erinnerung, S. 60.

[24] Vgl. Fischer-Kania: Reden und Schweigen zwischen den Generationen, S. 90.

[25] Vgl. Stephan/Ta>

[26] Vgl. Klaffke: Generationen-Management, S. 9.

[27] Vgl. Jureit: Generationenforschung, S. 10.

[28] Assmann/ Frevert: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit, S. 37.

[29] Till: Kontroversen im Familiengedächtnis, S. 38.

[30] Eichenberg: Familie - Ich - Nation, S. 115.

[31] Vgl. Cohen-Pfister: Kriegstrauma und die deutsche Familie, S. 255.

[32] Eke: Ausschau halten nach den Toten, S. 146.

[33] Mösken: Die Täter im Blickpunkt, S. 245.

[34] Vgl. Cambi: Gedächtnis und Identität, S. 208.

[35] Mösken: Die Täter im Blickpunkt, S. 245.

[36] Ebd.

[37] Giesler: Krieg und Nationalsozialismus als Familientabu, S. 291.

[38] Vgl. Fischer-Kania: Reden und Schweigen zwischen den Generationen, S. 92f.

[39] Ebd. S. 100.

[40] Vgl. Stüben: Erfragte Erinnerung, entsorgte Familiengeschichte, S. 176.

[41] Till: Kontroversen im Familiengedächtnis, S. 50.

[42] Vgl. Mösken: Die Täter im Blickpunkt, S. 245.

[43] Vgl. Giesler: Krieg und Nationalsozialismus als Familientabu, S. 291.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Inter- und intragenerationelles Erinnern. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen
Untertitel
„Unscharfe Bilder“ von Ulla Hahn und „Himmelskörper“ von Tanja Dückers
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur II)
Veranstaltung
Familienromane
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
21
Katalognummer
V339737
ISBN (eBook)
9783668295605
ISBN (Buch)
9783668295612
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inter-, erinnern, erinnerungsstrukturen, kriegs-, nachkriegsgenerationen, familienromanen, unscharfe, bilder, ulla, hahn, himmelskörper, tanja, dückers
Arbeit zitieren
Jana Völlmecke (Autor:in), 2016, Inter- und intragenerationelles Erinnern. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339737

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Inter- und intragenerationelles Erinnern. Erinnerungsstrukturen der Kriegs- und der ersten zwei Nachkriegsgenerationen in neueren deutschen Familienromanen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden