Die perfektiven Verbalperiphrasen in literarischen Texten der modernen portugiesischen Prosa und ihre Wiedergabe im Deutschen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2016

20 Seiten


Leseprobe


Karin Weise ( Universität Rostock)

Die perfektiven Verbalperiphrasen in literarischen Texten der modernen portugiesischen Prosa und ihre Wiedergabe im Deutschen

Einführung

Der Vergleich von Texten (Prosatexten) in portugiesischer Sprache mit ihren deutschsprachigen Übersetzungen führt meines Erachtens unweigerlich zu der Frage nach den Wiedergabemöglichkeiten des perfektiven und imperfektiven Aspekts im Deutschen, Einem solchen Vergleich auf der Textebene sollte eine Erläuterung des Verbalaspekts im Portugiesischen vorausgehen.

„zevedo do Campo schreibt zur funktional-semantischen Kategorie des Aspekts:

„Die funktional-semantische Kategorie der Aspektualität umfasst im Inhaltsplan und Ausdrucksplan alle paradigmatischen und syntagmatischen Mittel, die sich in ihrer invarianten semantischen Funktion um das universelle sprachliche Merkmal der Begrenztheit / Nichtbegrenztheit im Bereich der Verbalhandlung gruppieren. Diese sprachlichen Mittel verteilen sich im Rahmen der Aspektualität auf vier Ebenen oder Abstraktionsstufen. Bei paradigmatischer Betrachtung der Verballexeme lassen sich diese folgenderweise darstellen:

1. Lexikalische Ebene - individuelle Verballexeme
2, Lexikalisch-semantische Ebene-Aktionsarten
3, Grammatisch-semantische Ebene-Terminativitit / Aterminativität
4. Grammatische Ebene - Aspekt. (Azevedo do Campo 1998:17)

Mit anderen Worten ausgedrückt ist die „funktional-semantische Kategorie der Aspektualität die Gesamtheit von Sprachmitteln verschiedener Ebenen, die zum Zwecke der Erzielung folgender Funktion zusammenwirken: semantische Präzisierung der aspektuell differenzierten Handlungsabläufe im Sinne des Perfektiven oder Imperfektiven. Die Strukturierung dieser Sprachmittel lässt sich in Form eines Feldes beschreiben. Der Kern dieser funktional-semantischen Kategorie ist die morphologische Kategorie des Verbalaspekts, der irn Portugiesischen m.E. nur im präteritalen Bereich des Verbalsystems morphologisiert (grammatikalisiert) ist. „Dieser Kern des funktional-semantischen Feldes ist als ein System korrelativer Formen" {PPS: Imperfeito) aufgebaut; ( Gabka 1988: 87).

Der Ausdruck der Aspektdifferenzierung durch die Bildung von Korrelationen hängt davon ab, ob durch die jeweilige präteritale Verbalform abgeschlossene, abgegrenzte Handlungen, Prozesse und Zustände bezeichnet werden (PPS), oder ob sie unabgeschlossene, nichtabgegrenzte Handlungen, Prozesse und Zustände in der Vergangenheit ausdrücken (Imperfeito). Zur Veranschaulichung stellen wir die Aspekt-Korrelation folgendermaßen dar:

Grammatische Allgemeinbedeutung im Kontext

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Grundbedeutung und Funktion des PPS

Im Ergebnis einer Analyse von linguistischen Publikationen und Lehrwerden ist die Grundbedeutung und Funktion des PPS folgendermaßen zu beschreiben:

1. Das PPS realisiert den perfektiven Aspekt: Es bezeichnet zum Sprechmoment völlig abgeschlossene Handlungen, Prozesse und Zustände, die sowohl in der entfernten als auch in der näheren Vergangenheit stattfanden. (Es kann ebenfalls iterative bzw. habituelle Prozesse und Handlungen bezeichnen, wenn diese innerhalb eines abgegrenzten Zeitraumes stattgefunden haben und durch das Kriterium des Abgeschlossen-Seins zum Sprechmoment gekennzeichnet sind)

2. Es bezeichnet gleichfalls Handlungen, Prozesse und Zustände, die in der Vergangenheit einsetzten und deren Resultat für die Sprechzeit relevant ist

Für die Zwecke eines Tempus - Kommentars zum Gebrauch des PPS in einem Text und dessen Wiedergabe in einer deutschsprachigen Übersetzung wird ein Zitat aus dem Roman Historia do Cerco de Lisboa von Saramago ausgewählt:

Raimundo Silva pousou a esferográfica, esfregou os olhos cansados, depois releu as últimas linhas, as suas. Näo Ihe pareceram mal. Levantou-se, levou as mãos aos rins inclinou-se para trás, suspirando de alìvio. (Saramago, Historia do Cerco de Lisboa, 318)

Der Handlungsablauf wird durch die PPS-Formen repräsentiert, zu denen sich die Gerúndio- Form im Verhältnis der Gleichzeitigkeit befindet Das PPS bezeichnet in der Vergangenheit abgeschlossene, abgegrenzte Handlungen. Die deutschsprachige Übersetzung des oben zitierten Textes gibt die PPS-Formen sowie die Gerundial-Konstruktion durch das Präteritum wieder, das in diesem Text als Bedeutungs-und Funktionsäquivalent des Perfekts mit Vergangenheitsbezug(Aktz vor Sprz, -Mod, ±Adv) auftritt. Der Verbalaspekt des PPS (Aktz vor Sprz, -Mod, + peif. Asp) wird im Deutschen nicht ausgedrückt, da er in dieser Sprache nicht morphologisiert ist:

Raimundo Silva legte den Kugelschreiber aus der Hand, er rieb sich die ermüdeten Augen, dann überflog er die letzten Zeilen nochmals, seine(…). Er erhob sich, stemmte die Hände in die Hüften, beugte sich zurück atmete er leichtert auf. (Saramago, Geschichte der Belagerung von Lissabon, 389)

Da das portugiesische PPS in seiner temporalen Grundbedeutung und Funktion zwei Komponenten ausdrückt, nämlich das Perfectum zur Bezeichnung eines vergangenen Geschehens (Vergangenheitsbezug) und Perfectum zur Bezeichnung eines vergangenen Geschehens mit resultativen Charakter (Gegenwartsbezug) enthält, tritt es innerhalb von Kontexten auch als Resultatsperfekt auf und wird in der deutschsprachigen Übersetzung auch als ein Perfekt mit Gegenwartsbezug realisiert:

[...] Recebi ontem uma carta da minha mulher a participar-me que a criada se despediu, foi-se embora, pirou-se (..]. (Lobo Antunes, Os cus de Judas, 95).

[...] Gestern habe ich einen Brief von meiner Frau bekommen, die mir mitteilt, dass das Dienstmädchen gegangen ist [...], hat sich aus dem Staub gemacht [...]. (Lobo Antunes, Der Judaskuss, 98-99).

Das PPS des portugiesischen Ausgangstextes und das Perfekt des deutschen Zieltextes drücken in dieser Bedeutung und Funktion vergangene Sachverhalte aus, „die einen für die Sprechzeit relevanten Zustand implizieren, der für die Kommunikation wesentlicher ist als die in der Vergangenheit liegende Aktzeit". (Helbig/ Buscha 1986:151-152)

Ein Modalfaktor ist nicht enthalten; eine Temporalangabe kann fakultativ (ontem/ gestern) hinzugefügt werden. Die portugiesischen und die o.g. deutschsprachigen Perfektum-Formen unterscheiden sich lediglich dadurch, dass im Deutschen der perfektive Aspekt nicht ausgedrückt wird; (Portugiesisch: Aktz vor Sprz, -Mod, ±Adv, +Asp./ Gegenwartsbezug) / (Deutsch: Aktz. vor Sprz, - Mod, ±Adv, -Asp./ Gegenwartsbezug).

Die Verbalperiphrasen im PPS

Die PPS-und Imperfeito-Formen stellen vor allem „die lexikalisch-grammatische Basis für die Aspektdifferenzierung dar. Die Peripherie der Kategorie des Verbalaspekts (dieses Feldes) erfasst Sprachmittel, die aufgrund ihrer Semantik in spezifischer Beziehung zu den Bedeutungen der Kernmittel" (präteritale Verbalformen) „stehen, aber nicht zu den Kernmitteln gerechnet werden können." (Gabka 1988:87) Zu diesen peripheren Sprachmitteln rechnen wir die Verbalperiphrasen im Portugiesischen im PPS. Sie treten im Sinne von Aktionsarten auf, die als zusätzliche Mittel grammatisch-semantisch dem verstärkten Ausdruck der Abgeschlossenheit/Abgegrenztheit der durch sie bezeichneten Sachverhalte dienen.

Das folgende Textbeispiel enthält die Verbalperiphrase acabar de + Infinitivo im PPS; Estäo sentados à sombra duma árvore, acabaram de comer, e säo como nómadas nos modos e no trajar, em tão pouco tempo tanta transformação, é o resultado da falta de comodidades, roupa amarrotada e suja, os homens com barba de dias, não os recriminemos, nem a elas, que nos lábios já só usam a cor natural agora pálida por causa dos cuidados, talvez nas últimas horas se pintem e preparem para receber dignamente a morte, a vida, a acabar-se, não merece tanto. (Saramago, A Jangada de Pedra, 241)

Die PPS-Form acabaram de comer drückt gegenüber den im Presente Actual auftretenden Verbalformen eine unmittelbare Vorzeitigkeit aus. Die durch diese Verbalperiphrase bezeichnete Handlung wird nicht unter dem Gesichtspunkt ihres prozessualen Verlaufs, sondern unter dem des für die Sprechzeit relevanten Folgezustandes betrachtet. Durch den Gebrauch der periphrastischen Konstruktion im PPS wird die vom lateinischen Perfectum übernommene (auch im portugiesischen einfachen Perfeito enthaltene) grammatische Bedeutung (Vergangenheitsbezug) in Richtung Perfektbedeutung (Gegenwartsbezug)[1] modifiziert, da diese verbale Umschreibung eine unmittelbare Vorzeitigkeit gegenüber den präsentischen Verbalformen bezeichnet. Die aspektuelle (perfektive) Komponente der PPS- Form acabaram de comer, die - wie in der o.g. einfachen Form - durch die Charakteristika Abgeschlossenheit/Abgegrenztheit der bezeichneten Handlung bestimmt ist, wird durch den

Gebrauch der periphrastischen Konstruktion verstärkt und präzisiert, weil in der lexikalischen Bedeutung des als Hilfsverb fungierenden acabar das Merkmal der Abgeschlossenheit explizit enthalten ist. Acabaram de comer wirkt im Sinne einer Aktionsart, weil die lexikalische und grammatische (d.h. aspektuelle sowie partiell die temporale Bedeutung und Funktion, die die PPS-Form comeram impliziert), in der Verbalperiphrase erhalten bleiben und durch eine zusätzliche Bedeutungskomponente modifiziert werden, die sich auf die Begrenzung der Handlung in der Zeiterstreckung bezieht.

[...]


[1] ThierofF(1992:164) beschreibt die Entwicklung des Perfectum aus dem Proto-Indoeuropäischen, in dem es bereits eine Perfektform und eine Aoristform gegeben hat, die im lateinischen Perfectum verschmelzen, das beide Bedeutungen übernommen hat, die wiederum im porugiesischen Pretérito Perfeito Simples enthalten sind.

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Details

Titel
Die perfektiven Verbalperiphrasen in literarischen Texten der modernen portugiesischen Prosa und ihre Wiedergabe im Deutschen
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V339560
ISBN (eBook)
9783668310070
ISBN (Buch)
9783668310087
Dateigröße
739 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verbalperiphrasen, texten, prosa, wiedergabe, deutschen
Arbeit zitieren
Dr. Karin Weise (Autor:in), 2016, Die perfektiven Verbalperiphrasen in literarischen Texten der modernen portugiesischen Prosa und ihre Wiedergabe im Deutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339560

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