Frühe Elternbildung im Spannungsfeld von Prävention und Intervention

Wie kann eine sichere Eltern-Kind-Bindung in diesem Spannungsfeld gestärkt werden?


Bachelorarbeit, 2016

73 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gründe für eine frühe Elternbildung aus soziologischer Perspektive unter dem Aspekt der frühkindlichen Bildungsforschung
2.1. Der „kompetente“ Säugling
2.2. Einfluss der Pluralisierung von Lebensformen auf die Elternschaft
2.3. Elternschaft zwischen Belastung und Ressource
2.4. Bildungsaspiration von belasteten Eltern

3. Elternbildung als politischer Bildungsauftrag
3.1. Der Ausgangspunkt: Bildungsungleichheit
3.2. (Institutionelle) Kriterien: Zwischen Fürsorglichkeit und Effizienz
3.3. Etablierung der frühen Elternbildung

4. Elternbildung im gesetzlichen Spannungsfeld zwischen Prävention und Intervention
4.1. Gesetzliche Verankerung im Sozialgesetzbuch VIII
4.2. Unterstützung mit Interventionscharakter
4.3. Das Präventionsdilemma

5. Die Eltern-Kind-Bindung als Grundlage der frühkindlichen Entwicklung
5.1. Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth
5.2. Empirische Bindungsforschung
5.3. Elterliche Feinfühligkeit
5.4. Die Eltern-Kind-Bindung als Schlüssel für Resilienz?
5.5. Aktueller fachlicher Diskussionsstand

6. Das Projekt „Opstapje“
6.1. Das Konzept des Projektes
6.2. Laien und ihre Modellfunktion
6.3. Interaktionen nach Leitfaden
6.4. Chancen und Grenzen des „Opstapje“-Programms
6.5. Qualitätssicherung

7. Zusammenfassung

8. Kritik und Ausblick

9. Literaturverzeichnis

10. Anhänge zu Kapitel 6

1. Einleitung

Für die gesellschaftliche Teilhabe wird Bildung als eine der wichtigsten Ressourcen der Zukunft angesehen. Internationale Studien wie IGLU 2006 oder PISA III zeigen jedoch gleichzeitig deutliche Schwächen des deutschen Bildungssystems sowie einen starken elterlichen Einfluss auf den schulischen Erfolg ihrer Kinder: Auch spielt nach wie vor der soziale Status eine entscheidende Rolle für die spätere Bildungskarriere eines Kindes.

Die frühe Elternbildung und ihre Notwendigkeit werden daher gesellschaftspolitisch stark diskutiert und weiterentwickelt, weil viele Eltern kaum oder gar nicht auf ihre soziale Rolle vorbereitet sind. Hinzu kommt der umfassende Wandel der heutigen Gesellschaft zu einer Allgemeinheit der Pluralität mit zunehmenden ökonomischen und arbeitspolitischen Problemen, sodass die daraus resultierenden Belastungen auf die Elternschaft steigen. Einige bereits isolierte Familien sind nur schwer zu erreichen und können von den für sie so wichtigen Fördermaßnahmen der frühen Elternbildung nicht profitieren. Dabei zeigen die Ergebnisse der Säuglingsforschung, dass speziell eine frühe Förderung und die Unterstützung im häuslichen Umfeld sowie spezifische Lebensbedingungen die kindlichen Entwicklungs- und Bildungsprozesse bzw. Verhaltensmuster in hohem Maße beeinflussen und prägen.

Die öffentlichen Träger der Elternbildung und der Jugendhilfe, die der gesetzlich verankerten Prävention in der Familie, aber auch dem Schutz des Kinderwohls nachgehen, stehen daher vor der großen Herausforderung, alle Familien bei der Erziehungswahrnehmung ihrer Kinder zu unterstützen und zu fördern. Um benachteiligte Erziehende zu erreichen, sind Fachkräfte der Elternbildung dazu aufgefordert, niedrigschwellige und zielgruppenorientierte Programme zu initiieren. Projekte wie STEEP oder „Opstapje“, deren theoretische Konzepte auf der Bindungstheorie aufgebaut sind, bieten Familien mit Säuglingen und Kleinkindern niedrigschwellige, aufsuchende Maßnahmen unter der Mitarbeit von Laienhelferinnen. Mit deren Anleitung erweitern zum einen die Erziehenden ihre elterlichen Kompetenzen und stärken ihre Ressourcen, zum anderen wird die Entwicklung der Kinder in einer feinfühligen Eltern-Kind-Interaktion und in Spielübungen gefördert.

Die vorliegende Arbeit versucht das Spannungsfeld, in dem sich die frühe Elternbildung befindet, nämlich zwischen Prävention und staatlicher Kontrolle, zu untersuchen. Im Kapitel 2 werden zunächst die zentralen Erkenntnisse der Säuglingsforschung, die das Neugeborene als ein autonomes und förderungswürdiges Individuum definieren, vorgestellt. Eine angemessene und altersgerechte Begleitung der frühkindlichen Entwicklung kann jedoch in einer sich wandelnden Gesellschaft unter schwierigen Bedingungen stattfinden. Aus diesem Grund werden die Belastungen, aber auch die elterlichen Ressourcen in einer pluralistischen Allgemeinheit, die immer höhere Bildungsaspirationen an ihre Kinder legt, angeführt.

Die frühe Elternbildung wird aktuell in vielfältigen Formen praktiziert, jedoch ist eine systematische Strategie bzw. Entwicklung nach wie vor nicht vorhanden. Im Kapitel 3 sollen deshalb die verschiedenen Zugänge zu Angeboten der frühen Elternbildung thematisiert werden. Es stellt sich die Frage, welche von ihnen die Effektivsten sind, wenn es sich um das Erreichen von benachteiligten Zielgruppen handelt, die von der Chancenungleichheit am stärksten betroffen sind.

Im Kapitel 4 erfolgt die Definition der Begriffe der Prävention und der Intervention im politischen Kontext. Dabei werden Beschlüsse aus dem Sozialgesetzbuch VIII und dem Bürgerlichen Gesetzbuch sowie Richtlinien des Grundgesetzes vorgestellt. Da der Schwerpunkt im Handeln der Träger öffentlicher Familienbildung sowie Kinder- und Jugendhilfe auf der Prävention liegt, soll zudem das Problem des Präventionsdilemmas, also die Schwierigkeit, benachteiligte Erziehende zu erreichen, diskutiert werden.

Wie wichtig die frühe Elternbildung ist, bestätigten erstmals die Erkenntnisse der Bindungsforschung von John Bowlby und Mary D. Ainsworth, die auf die Relevanz und der Notwendigkeit einer feinfühligen Eltern-Kind-Interaktion für die gesunde Entwicklung des Kleinkindes hingewiesen haben. Im Kapitel 5 wird demzufolge auf die theoretischen Ansätze und empirischen Beobachtungen der Bindungsforschung eingegangen. Die elterliche Feinfühligkeit spielt also in der Bindungsforschung eine zentrale Rolle. In Projekten wie STEEP erwiesen sich diese als nachhaltig, weshalb ein kleiner Einblick in dieses Programm gegeben wird. Zudem erfolgt in diesem Teil der Arbeit eine kurze Analyse des Resilienz- Begriffs, der sich auf die Widerstandsfähigkeit eines Individuums bezieht, der zwar von den Entwicklungspsychologen zunehmend kritisch bewertet wird, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit den Risikofaktoren steht.

Am Beispiel des Elternbildungsprogramms „Opstapje“, betreut vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) Wiesbaden e. V., soll im Kapitel 6 ein praktischer Ansatz zur Förderung der frühen Elternbildung diskutiert werden. Mit diesem niedrigschwelligen Programm, das mithilfe von Laienhelferinnen die Eltern- Kind-Bindung stärken soll, wird das Problem des Präventionsdilemmas und der staatlichen Kontrollfunktion angegangen und soll somit den Untertitel dieser Arbeit behandeln. Zu thematisieren ist ebenfalls die Rolle der Hausbesucherinnen, die mit ihrem Einsatz neue Perspektiven für die frühe Elternbildung öffnen kann, aber auch die Funktion der professionellen Projektkoordinatorinnen, die sich hier in einem Mehrfach-Mandat befinden und dadurch vor einer großen Herausforderung stehen.

Zum Abschluss der Arbeit werden die erarbeiteten Ergebnisse zusammengefasst und kritisch diskutiert.

2. Gründe für eine frühe Elternbildung aus soziologischer Perspektive unter dem Aspekt der frühkindlichen Bildungsforschung

Die moderne Bindungsforschung verweist auf zahlreiche Fähigkeiten des Säuglings, die so früh wie möglich unterstützt und gefördert werden sollten. Die heutige Elternschaft ist jedoch mit vielfältigen Belastungen verbunden und kann der Förderung der Kinder manchmal nur schwer nachkommen. Gleichzeitig sind steigende Bildungsaspirationen der Eltern in jeder sozialen Schicht zu beobachten. Das folgende Kapitel stellt Gründe für die Förderung präventiver Elternbildung aus der Perspektive der Säuglingsforschung und der Sozialwissenschaften dar.

2.1. Der „kompetente“ Säugling

Aufgrund einer Vielzahl von Direkt- und Videobeobachtungen konnte die moderne Säuglingsforschung neue und zum Teil völlig überraschende Erkenntnisse bereitstellen, die zur Etablierung des Begriffs des „kompetenten“ Säuglings führten. Unter dieser Bezeichnung wird ein aktives Individuum in einem Beziehungsaustausch mit mindestens einer Bindungsperson verstanden.

Beide üben gegenseitig Einfluss aufeinander aus. Bei Unstimmigkeiten in der Interaktion versuchen beide, diese zügig wieder zu regulieren.1 Der Säugling kann also in der präverbalen Entwicklung sein Umfeld beeinflussen und sich mit seinen kognitiven, perzeptuellen und affektiven Fähigkeiten diesem anpassen und in ihm zurechtfinden. Diese Fähigkeiten könnte man als „biologische Programme“ betrachten, die nach der Geburt aktiviert werden: Das Neugeborene muss seine Motorik an das Umfeld anpassen, eigenständig atmen, den Wärmehaushalt regulieren und Nahrung aufnehmen. Entgegen älteren Theorien (Margret Mahler) bildet das Baby keine Einheit mit seiner Mutter bzw. einer Bezugsperson, sondern agiert eigenständig und teilt mit ihr gemeinsame Erlebnisse.2

Bereits in den ersten Lebenswochen eines Säuglings lassen sich mehrere angeborene Reflexe im Bereich der Motorik differenzieren. Eine überlebenssichernde Funktion hat in erster Linie der Saugreflex, der dann ausgelöst wird, wenn das Neugeborene die Brust oder die Flasche berührt. Werden die inneren Handflächen des Kindes berührt, reagiert es mit einem starken Greifreflex. Der Schreit- bzw. Schwimmreflex wird beim Berühren einer Fläche oder des Wassers aktiviert. Mit schnellen, rhythmischen Bewegungen (Moro- oder Schreckreflex) zeigt das Baby seine Beunruhigung als Reaktion z.B. auf laute akustische Signale. Einige der Reflexe, wie der Mororeflex, verschwinden nach einigen Monaten, während andere, wie der Rückziehreflex (Reaktion bei schmerzhafter Berührung) oder die Blinzelreaktion (Schließen der Augen bei starken Lichtquellen) erhalten bleiben. Komplexere motorische Abläufe, wie das Stehen mit Hilfe, treten nach ca. sechs bis acht Monaten ein. Zwischen dem achten und zehnten Monat krabbeln die Säuglinge, nach 14 Monaten können sie bereits selbstständig stehen und nach 15 Monaten allein gehen. Etwa ab dem 18. Monat versuchen sie Treppen zu steigen.3 Die Entwicklung der Motorik lässt sich insgesamt als eine Wechselbeziehung von Reifung und Lernen charakterisieren, daher benötigt das Kind Lernerfahrung, die seine Entwicklung unterstützt.

Auch im Bereich der Wahrnehmung kann der Säugling bereits nach der Geburt die Stimme seiner Mutter von anderen Stimmen unterscheiden. Mithilfe des Geruch- und Geschmacksinns erkennt er die Milch seiner Mutter. Die noch nicht völlig ausgebildeten visuellen Fähigkeiten (ein Säugling kann nur in einer Entfernung von 20 bis 25 cm gut sehen) werden dadurch kompensiert, dass sich die Mutter/Bezugsperson intuitiv in dieser Entfernung zum Kind neigt, um mit ihm zu kommunizieren und zu interagieren. Das Baby erkennt deutliche Muster bzw. Konturen und reagiert mit Interesse auf Reize, die es mit Augen und Kopf verfolgt, wobei Gesichter, die dem Geschlecht der Bezugsperson entsprechen, bevorzugt werden.4 Dadurch, dass der Affektausdruck noch nicht sozialisiert ist und weder unterdrückt noch verfälscht werden kann, geben Gefühlsäußerungen, Körpermotorik und andere Verhaltensmuster eine präzise und zuverlässige Auskunft über das Wohlbefinden des Kindes.5

Werden diese physiologischen Wissensbestände im pädagogischen, therapeutischen oder sozialwissenschaftlichen Kontext angewendet, sollten zwei Strategien bedacht werden:

(1) Ein Problem (z. B. die Prävention einer Fehlentwicklung) bildet den Ausgangspunkt für einen Suchprozess, der auf profunde Erkenntnisse und Methoden zur Problembewältigung, gerichtet ist (konvergente Strategie).

(2) Das vorhandene Wissen wird auf potenzielle Anwendungsfelder hin ausgewertet (divergente Strategie).6 Der Psychologe Leo Montada hat 1979 zudem sechs zentrale Aufgaben der angewandten Entwicklungspsychologie genannt, deren Ziel die Erstellung einer theoretischen Grundlage für die praktische Unterstützung der Entwicklung und Vermeidung von Fehl- entwicklungen ist:

1. Sollen Ansätze für die Lösung eines Problems gefunden werden, sind Kenntnisse über die Ordnung von (statistischen) alterstypischen Entwicklungsnormen notwendig. Auf dieser Grundlage kann die Selbstständigkeit des Kindes beurteilt und können eventuelle Abweichungen festgestellt werden (Orientierung über den Lebenslauf). Ist z. B. eine Unterentwicklung des Säuglings zu beobachten, besteht dann die Möglichkeit, eine dem Alter angemessene Unterstützung anzubieten.
2. Das entwicklungspsychologische Wissen erlaubt also, potenzielle Fehlentwicklungen zu verhindern (Prävention). Auf dieser Grundlage können angemessene Interventionen festgelegt und Entwicklungsverläufe optimiert werden. Die Anpassung zwischen den Entwicklungsbedingungen und dem Entwicklungsstand, anders ausgedrückt, zwischen den Interventionsmaßnahmen und den personalen Merkmalen eines Individuums kann eine wichtige Bedingung für positive Effekte sein (Ermittlung von Entwicklungs- und Veränderungsbedingungen).
3. Ist nun das Wissen über Personenmerkmale, die Interaktion mit den Bezugspersonen und spezifische Ereignisse oder Störungen vorhanden, kann eine Prognose der Weiterentwicklung gemacht werden. So wird etwa nach der Scheidung das Sorgerecht der Mutter erteilt, da dies für die künftige Entwicklung des Säuglings/Kindes am günstigsten ist (Prognose der Stabilität und Veränderung von Personenmerkmalen). Allerdings ist die Treffsicherheit solcher Prognosen nicht sehr hoch, wenn man Faktoren wie die Plastizität der Entwicklung und die stete Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt beachtet.
4. Das entwicklungspsychologische (wertneutrale) Wissen kann Ziele in der Weiterentwicklung des Kindes aufzeigen. Sollte sich etwa herausstellen, dass das Lesen lernen bereits bis zu zwei Jahre vor der Einschulung möglich ist, kann dies unter Umständen ein relevantes Entwicklungsziel werden (Begründung von Entwicklungs- und Interventionszielen). Entwicklungspsychologische Informationen bieten also Orientierungshilfen. Sie zeigen auf, was umsetzbar und nicht umsetzbar ist. Sie verweisen auf Folgen und Nebenwirkungen von potenziellen Entwicklungen.
5. Werden anvisierte Entwicklungsziele nicht erreicht oder sind ungünstige Entwicklungsverläufe zu erwarten, sollte ein Interventionsplan erstellt werden (Planung von Interventionsmaßnahmen). Die geplanten Interventionsmaßnahmen haben zum Ziel, Fehlentwicklungen zu verhindern (Prävention), fehlgelaufene Entwicklungen zu verbessern (Korrektur) sowie Weiterentwicklung zu fördern (Optimierung). Es muss festgestellt werden, wann Eingriffe vorgenommen werden sollten, um die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Darüber hinaus muss erfasst werden, welche Verfahren zum Einsatz kommen (Information, Vermittlung von Fertigkeiten, Änderung der Einstellungen sowie Umweltbedingungen).
6. Anschließend soll die Effektivität der Interventionen in Bezug auf langfristige Folgen (Nebenwirkungen, Spätfolgen) empirisch untersucht und bewertet werden, um die differenzielle Wirksamkeit (z. B. alters- oder kontextspezifisch) eines Programms zu bewerten (Evaluation von Entwicklungsinterventionen).7 Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlagen können präventive und intervenierende Schritte ausgearbeitet werden, die in der Sozialen Arbeit und gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten umgesetzt werden, damit die präverbale Entwicklung und die späteren Prozesse der Enkulturation (das Hereinwachsen in die Kultur eigener Umwelt) im Idealfall optimal verlaufen.

2.2. Einfluss der Pluralisierung von Lebensformen auf die Elternschaft

Eines der deutlichsten Merkmale der heutigen Gesellschaft ist die wachsende Autonomie der Individuen gegenüber den Vorgaben von Institutionen und traditionellen Werten. Der Sozialwissenschaftler Ulrich Beck führte diesbezüglich den Begriff der Individualisierungstheorie ein, die drei Dimensionen umfasst: (1) das Individuum löst sich aus vorgegebenen sozialen Lebensformen und Bindungen (Freisetzungsdimension); (2) das Individuum verliert traditionelle Sicherheiten bezüglich des Glaubens, der Normen und der bis dahin geltenden Handlungsmuster (Entzauberungsdimension); (3) das Individuum wird auf neue Art in die Institutionen eingebunden (Kontroll- und Reintegrationsdimension).8 Einerseits besteht die Möglichkeit, individuelle Fähigkeiten zu entwickeln, die als notwendige biografische Entscheidungen betrachtet werden, gleichzeitig jedoch können sich die Individualisierungsprozesse als Falle erweisen, wenn etwa beim Eintritt in die Arbeitslosigkeit „Außenursachen in Eigenschuld, (…) in persönliches Versagen“ verwandelt werden.9

Die Tendenz zur Autonomie des Individuums bewirkt das Entstehen von neuen Formen des Zusammenlebens. Das traditionelle Familienmodell dominiert zwar nach wie vor, unter den Sozialwissenschaftlern herrscht jedoch der allgemeine Konsens, dass sich die klassische Familie im Wandel befindet. Die Zahl von Lebensgemeinschaften mit unehelichen Kindern, Patchwork-Familien, erweiterten oder homosexuellen Familien steigt kontinuierlich. Der Prozess der Pluralisierung familiärer Lebensformen lässt sich auch an der Entstehung von neuen Arten des Zusammenwohnens, wie das Bilden von Wohngemeinschaften, Wochenendfamilien bis hin zum getrennten Wohnen beobachten.10

Das Vorherrschen individueller Lebensentwürfe trägt nicht zuletzt dazu bei, dass die Scheidungszahlen bei gleichzeitigem Rückgang der Eheschließungen steigen. Dies führt dazu, dass Kinder immer häufiger von Alleinerziehenden versorgt werden. Für sie gestaltet sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch schwieriger als für Paare, da Alleinerziehende stärker auf öffentliche Betreuungsplätze angewiesen sind.

Es ist der Wunsch, aber auch der (finanzielle) Zwang, dem viele Eltern ausgesetzt sind, den gesellschaftlichen Anforderungen der Flexibilität und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu entsprechen. Der Arbeitsmarkt bietet zwar zunehmend Arbeitsplätze, die diese Vereinbarkeit erleichtern, sie können jedoch auch unter Umständen finanzielle Einbußen mit sich bringen. Zu bedenken ist ebenfalls, dass berufliche Flexibilität nicht nur freie Gestaltungsräume in der Familie bedeutet, sondern auch eine „Abrufbarkeit“ dem Arbeitgeber gegenüber.

Ob bei traditionellen oder alternativen Formen des familiären Zusammenlebens, die aktuellen ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen bringen mit sich eine Verschlechterung der finanziellen Situation und damit Abstiegsängste, während gleichzeitig Medien und Werbung Wünsche wecken. Konsumwerbung und Freizeitkultur haben dazu beigetragen, dass Kinder und Jugendliche bestimmte materielle Güter als unabdingbare Statussymbole betrachten. Wie einige Studien belegen, erweist sich dieser Anspruch zum Teil bei benachteiligten Kindern sogar dringender als bei Gleichaltrigen aus einkommensstarken Familien. Diese Umstände setzen Eltern unter sozialen Druck, denn viele von ihnen wollen den Ansprüchen ihrer Kinder gerecht werden. Die Spannung zwischen steigenden Konsumwünschen und der voranschreitenden Verschlechterung der finanziellen Lage endet oft in Resignation und Aggression.11

Mit anderen (oder weiteren) Arten von Belastungen werden Familien mit Migrationshintergrund konfrontiert. Das Gelingen von Integration in einem neuen kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld hängt nicht zuletzt davon ab, wie rechtliche, sprachliche oder arbeitsmarktspezifische Hürden überwunden werden. Traditionelle Erziehungsstile aus dem Herkunftsland können mit jenen des Ziellandes kollidieren und sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken.

2.3. Elternschaft zwischen Belastung und Ressource

Die oben skizzierte gesellschaftliche Situation zeichnet eine große Wahlfreiheit, in Bezug auf familiäre Lebensformen oder individuelle Lebensentwürfe, aus. Vielen Lebenschancen stehen viele Gefahren, wie bspw. der geringen Fremdkontrolle eine große Selbstverantwortung und der Handlungsunsicherheit der Entscheidungsdruck gegenüber.12 In der heutigen Schnelllebigkeit bedeutet die Elternschaft eine besonders relevante und langfristige Verantwortung, so dass die Erwartungen an die Kinder und die Eltern selbst sehr stark geworden sind. Auch familienpolitische Agenden wie „Humankapital“ oder „Bildungsnotstand“ verstärken den Erziehungsdruck auf die Elternschaft.

Die Studie „Eltern unter Druck“ von Merkle und Wippermann aus dem Jahr 2008 untersucht die mehrfache Belastung der Erziehenden. Zu den schwierigsten Faktoren zählen der zeitliche und organisatorische Druck, hohe Anforderungen im Berufsleben sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.13 Der Eintritt in die Elternschaft bedeutet die Veränderung des bisherigen Lebensstils. Auch die Partnerschaft und die eigene Identität (als Mutter oder Vater) müssen neu definiert werden. Dabei werden beide Elternteile in ihren neuen Funktionen als Mutter oder Vater mit neuen Rollenbildern konfrontiert: Von den Vätern wird erwartet, dass sie nicht nur als materielle Versorger agieren, sondern auch im Haushalt unterstützen und die Erziehung ihrer Kinder mit wahrnehmen während die Mütter, immer seltener auf ihre Reproduktionsfunktion reduziert, selbst ihre Mutterschaft bestimmen, aber auch gleichzeitig mit der Doppelbelastung von Familie und Beruf konfrontiert werden. Die Elternschaft wird einerseits als eine persönliche Ressource verstanden, die für Verantwortung und Reifung steht - Väter und Mütter fühlen sich in der Regel durch die Geburt ihres Kindes gestärkt und selbstbewusst -, andererseits können durch mehrfache Belastung Gefühle der Isolation und Benachteiligung entstehen (Deprivation). Die Gefahr einer Deprivation ist umso stärker, je kumulativer negative Faktoren die Erziehenden belasten: frühe Elternschaft, schwierige sozioökonomische Lage, insbesondere bei Alleinerziehenden oder kinderreichen Familien oder ein Migrationshintergrund. Gerade bei letztgenannter Gruppe besteht die große Gefahr, wie zuvor erwähnt, einer mehrfachen Belastung: Handelt es sich um bildungsferne, einkommensschwache und kinderreiche Familien, ist neben geringen finanziellen Ressourcen die Stigmatisierung als Großfamilie zu prognostizieren. In Folge der wachsenden Anforderungen und Erwartungen, die an die Eltern gestellt werden, lässt sich ein erhöhter Bedarf seitens der Betroffenen an Elternbildung und -beratung beobachten. Laut der von Saßmann und Klann 2002 durchgeführten Studie besonders relevant für die Erziehenden sind die Inhalte über psychische und körperliche Entwicklung bzw. Fehlentwicklungen. An zweiter Stelle liegt der Erwerb von Kompetenzen für Aufbau und Festigung eines Freundes- und Bekanntenkreises. Die Erhebungen der qualitativen Befragung von Tschöpe-Scheffler aus dem Jahr 2005 bestätigen diese Ergebnisse. Erziehende wünschen sich: mehr Handlungskompetenzen, um die alltäglichen Probleme sowie Konfliktsituationen besser bewältigen zu können; mehr Raum zur Selbsterfahrung und -reflexion, um Ursachen von Problemen und Konflikten verstehen zu können; mehr Wissen über einzelne Entwicklungsphasen des Kindes, und mehr Austausch mit anderen Eltern, um soziale Netzwerke etablieren zu können. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei den Befragten (350 Mütter und Väter) um Personen handelt, die aus eigener Initiative an Elternbildungsmaßnahmen teilnehmen und die benachteiligten Familien nicht repräsentieren (das Problem des Präventionsdilemmas wird in Kapitel 4.3. behandelt).14

2.4. Bildungsaspiration von belasteten Eltern

Mit der Zunahme der Anzahl von prekären Beschäftigungsverhältnissen und demzufolge von armen Familien seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die sozialwissenschaftliche Forschung intensiv mit der Frage der Ungleichheit im deutschen Bildungssektor.15 Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen ihre Kinder nur selten in höhere Schulen schicken. Für diese Kinder ist der Übergang ins Berufsleben besonders schwierig und die Aufstiegschancen (in meist unsicheren Beschäftigungsverhältnissen) besonders gering. Schon ein sorgenreiches Familienklima erzeugt eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind in der Hauptschule verbleibt und nicht auf das Gymnasium geht (um 23 Prozent, wenn die Sorgen von Müttern geäußert werden).16 Die Untersuchungen zeigen zudem eine weitere Benachteiligung: Verfügt der Vater über keine Berufsausbildung, sinken die Chancen des Kindes, auch mit guten Schulleistungen aufs Gymnasium aufgenommen zu werden, um 45 Prozent.17 Die von Pierre Bourdieu aufgestellte These der Bildungsökonomie wird hier bestätigt: Das Bildungssystem reproduziert lediglich die vorhandene Sozialstruktur. Die Leistung bzw. die Bildung fungiert nur als Legitimationsfaktor für die herrschende Klasse: Der soziale Stand der Eltern wird von ihren Kindern reproduziert.18

Einschlägige Studien beweisen jedoch gleichzeitig, dass Bildungsaspirationen von Eltern seit den 1960er Jahren kontinuierlich steigen, und dass in allen sozialen Schichten, wobei exakte Studien zu Bildungsverhalten von belasteten Kindern kaum vorhanden sind. Die Erwartungen von Eltern aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie jenen, zu den Migranten zählen, sind in dieser Hinsicht besonders hoch. Die Aussichten, dass sie realisiert werden, ist jedoch relativ gering.19 Die idealistischen Bildungsaspirationen drücken den Wunsch der Eltern nach einem höheren Bildungsabschluss für die eigenen Kinder, was jedoch dabei meist nicht berücksichtigt wird, sind sowohl die tatsächlichen Schulleistungen als auch der Kostenaufwand, mit dem während der Ausbildungszeit der Kinder zu rechnen ist.20 Die ambivalente Sicht der Eltern auf die Bildungskarriere ihrer Kinder bestätigen zudem Erhebungen, wonach bestimmte Personengruppen mit Migrationshintergrund den Kindergartenbesuch ihrer Kinder nicht für relevant halten und somit der frühkindlichen Bildung kritisch gegenüber stehen sowie deren Vorteile nicht wahrnehmen. Neben den normativen Vorstellungen werden aber auch Hürden im Zugang zur Krippe oder familiäre Ressourcen als attraktive Alternative zum Betreuungsplatz genannt. Eltern türkischer Herkunft legen z.B. mehr Wert auf den Aufbau einer engen Beziehung zu ihrem Kind als auf eine frühkindliche Bildung. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer ändern sich allerdings die Erziehungsvorstellungen der Eltern, wodurch die Selbständigkeit des Kindes stärker gefördert wird.21

Welchen Verlauf eine Bildungskarriere nimmt, hängt nach wie vor im höchsten Maße von den Entscheidungen der Erziehenden ab. Es wurde bereits festgestellt, dass zwischen der Bildungskarriere des Kindes und der sozialen Herkunft des Elternhauses ein enger Zusammenhang besteht. Aufgrund der sozialen Herkunft entstehen nach Boudon Kompetenzunterschiede (primärer Herkunftseffekt), denn die sozialen Schichten unterscheiden sich in der Vermittlung von Sprache, Lern- und Bildungsmotivation. Die frühkindliche Bildung wird unterschiedlich gestaltet, wodurch bereits zu Beginn der Schulkarriere herkunftsbedingte Ungleichheiten entstehen. Die sekundären Herkunftseffekte werden hingegen insbesondere bei diversen Bildungsübergängen deutlich, wenn Entscheidungen über den weiteren Bildungsweg gemacht werden. Auch diese Entscheidungen werden aufgrund der sozialen Herkunft der Eltern getroffen. Entscheidend dabei sind die Bildungsaspirationen der Erziehenden und die familiären Bildungstraditionen. Abhängig von ihrem sozialen Status wählen die Eltern den vorteilhaftesten Bildungsweg für ihren Nachwuchs. Je höher die soziale Herkunft der Eltern ist, desto höher ist der Bildungsabschluss ihrer Kinder.22

Kinder aus Familien mit hohem sozialem Status erfahren bereits während ihrer Sozialisation im Elternhaus kognitive, sprachliche und soziale Förderung. Erziehungswissen, -mittel und -fähigkeiten können nicht zuletzt deswegen vergrößert werden, weil in dieser Gruppe das Bewusstsein der Förderungsmöglichkeiten meistens höher ist. Je niedriger die soziale Herkunft der Eltern hingegen ist, desto begrenzter sind die kulturellen Kompetenzen ihrer Kinder. Auch die Abfederung z.B. von finanziellen oder gesundheitlichen Risiken ist hier schon allein, aber nicht ausschließlich, aufgrund geringer finanzieller Möglichkeit schwieriger.

In der Regel verfügen die Eltern über bemerkenswerte, intuitive Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, die Bedürfnisse und Signale des Babys zu erkennen.

Einige Eltern verstehen jedoch unter dem Begriff der Erziehung ein „reines“ Wissen, dabei werden unter Erziehungskompetenzen mehrere Faktoren verstanden. Zu ihnen gehören neben den selbstbezogenen Kompetenzen (z.B. dem Wissen über die kindliche Entwicklung) kindbezogene Kompetenzen (z.B. Ausdruck der Zuneigung), kontextbezogene Kompetenzen (das Schaffen positiver Entwicklungsfaktoren) und handlungsbezogene Kompetenz (konkrete Erziehungssituationen).23 Belastete Eltern haben aus diversen Gründen kaum Gelegenheit, auf die individuellen Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen oder das eigene Handeln zu reflektieren, so dass sich auch aufgrund der Begriffsdefinition Unterschiede in der frühkindlichen Bildung ergeben.

3. Elternbildung als politischer Bildungsauftrag

Die Tradition der Familienbildung in Deutschland reicht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurden die sog. Mütterschulen institutionalisiert, jedoch fokussierte man zunehmend die Familie als Ganzes.24 Heute widmen sich der Eltern- und Familienbildung selbsthilfeorientierte Vereine und Einrichtungen. Im folgenden Kapitel soll die Elternbildung aus politischer Perspektive dargestellt und Kriterien für deren Etablierung skizziert werden.

3.1. Der Ausgangspunkt: Bildungsungleichheit

In nahezu jedem Staat besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen. Wie jedoch diverse durchgeführte OECD- Studien seit 2001 belegen, ist diese Relation in Deutschland besonders verfestigt. Kinder aus benachteiligten Familien der unteren Schichten erfahren hierzulande eine mehrfache Benachteiligung. So werden Schüler aus bildungsfernen Familien z.B. seltener zu Hause unterstützt. Die IGLU-Studie von 2006 zeigt etwa, dass die Lesesozialisation innerhalb der Familien in Deutschland im internationalen Vergleich unter ungünstigen Bedingungen verläuft. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit für ein Kind aus der oberen Einkommensklasse fünf Mal höher, eine Gymnasialempfehlung in der Grundschule zu erhalten, als für das Kind eines un- bzw. angelernten Arbeiters. Laut der IGLU-Studie von 2006 hat sich dieses Verhältnis gegenüber 2001 sogar verschlechtert. Besonders deutlich, so das Fazit der PISA-Studien seit 2001, ist die soziale Segregation von Heranwachsenden, die aufgrund der frühen schulischen Ausleseprozesse erfolgt. In Schulen mit einem hohen Anteil an benachteiligten Kindern sind deren Leistungen deutlich schwächer, als man dies aufgrund ihrer Lernvoraussetzungen annehmen könnte.25 Vor dem Hintergrund einer so deutlich belegten Ungleichheit von Bildungschancen spielt die frühe Elternbildung in der Erziehung von Kleinkindern eine gravierende Rolle. Denn die Förderung kindlicher Entwicklung kann zur Steigerung des künftigen Schulerfolgs, der Chancen auf eine Berufsausbildung und damit zur Armutsprävention wesentlich beitragen. In diesem Sinne gilt in Deutschland seit 1996 der Rechtsanspruch im Elementarbereich auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schulalter. Wie diese Bestimmung ausgeführt wird, bestimmen die Länder. Seit 2013 hat außerdem jedes Kleinkind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz und damit auf frühkindliche Förderung.26 Zudem wurde die Elternbildung als präventive Unterstützung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bildungspolitisch aufgewertet, seitdem sie im § 16 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) gesetzlich verankert ist. Es sei in familien- und bildungspolitischem Interesse, Bildungsprozesse bei Kleinkindern möglichst früh zu initiieren, damit durch individuelle Förderung mehr Chancengleichheit möglich wird. In politischen Debatten wird daher nach Unterstützungs- und Förderungsmaßnahmen verlangt, die die Steigerung der Leistungsfähigkeit in der Familie erhöhen können. Werden die Potenziale der Kinder früh erkannt und gefördert, werden diese als künftige Leistungsträger bei der Verminderung gesellschaftlicher Folgekosten helfen ab.27

Elternbildung wird heute als ein Teil der Erwachsenenbildung verstanden. Unter diesem Begriff sollen alle Weiterbildungsaktivitäten und Angebote subsumiert werden, die den Müttern und Vätern bei der Erziehung ihrer Kinder helfen. Damit sind Kenntnisse, Fähigkeiten und weitere Prozesse gemeint, die die Erziehenden dabei unterstützen, ihre Erziehungsaufgaben gemäß den politischen und sozialen Rahmenbedingungen wahrzunehmen. Die Elternbildung zeigt Wege auf, wie innerhalb der Familiengemeinschaft Erwachsene und Kinder mit ihren eigenen Ressourcen umgehen und diese stärken können. Somit ist die Elternbildung ein Teil der Gesundheitsförderung und zielt auf eine herkunftsunabhängige Chancengleichheit.28 Die Elternbildung ist nicht zuletzt unter dem Aspekt der Wertevermittlung bedeutsam. Diese erfolgt vor allem im Familienalltag. Je besser die Eltern-Kind- Beziehung ist, desto besser kann die Wertebildung in der Familie gelingen. Kinder orientieren sich an ihrer Familie und an Erwachsenen, die ihre Werteorientierung sowie spätere Lebenseinstellung beeinflussen. Das Vorleben eines prosozialen Miteinanders in der Familie kann also auch eine gesellschaftliche Funktion erfüllen.29

Einschlägige Studien machen allerdings darauf aufmerksam, dass fördernde Maßnahmen der Eltern- und Familienbildung ihrem universellem Anspruch nicht gerecht werden. Im Gegenteil wirken sie sozial selektiv und werden größtenteils von Mitgliedern der Mittelschicht in Anspruch genommen. So ergab z.B. die Untersuchung von Bauer und Bittlingmeyer aus dem Jahr 2005, die sich mit der Nutzung eines Elternratgebers beschäftigte, dass Erziehende mit Hauptschulabschluss diesen seltener lasen und häufiger negativ bewerteten. Gleichzeitig berichteten sie, dass sie ihre Verhaltensweise modifiziert haben.30 Somit können solche Angebote zwar als Chance wahrgenommen werden, da sie jedoch von Gruppen in Anspruch genommen werden, die sie nicht unbedingt benötigen, steht die Elternbildung vor einem Präventionsdilemma: Benachteiligte Schichten können nur schwer erreicht werden.

Für die Bildungspolitik ergeben sich noch weitere Handlungsschwierigkeiten. Das Elternhaus stellt zwar die erste Sozialisationsinstanz dar, jedoch ist die Politik auf die Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes eingeschränkt, d.h. sie kann nur auf Grundlage der Evaluierungen der Kinder- und Jugendhilfe aktiv werden.

3.2. (Institutionelle) Kriterien: Zwischen Fürsorglichkeit und Effizienz

Damit die Elternbildung als niederschwelliges Angebot stattfinden kann, sind mehrere Qualitätsmerkmale zu beachten.

[...]


1 Vgl. Dornes, M. (2004), S. 22.

2 Vgl. Dornes, M. (2009), S. 16.

3 Vgl. Lohaus, A./Vierhaus, M. (2015), S. 92ff..

4 Ebd., S. 98.

5 Vgl. Dornes, M. (2009), S. 26.

6 Vgl. Trautner, H.-M. (1992), S. 52f..

7 Ebd., S. 53ff..

8 Vgl. Beck, U. (1986), S. 206.

9 Ebd., S. 146ff.

10 Vgl. Maihofer, A. u.a. (2001), S. 39.

11 Vgl. Weidacher, A. (1995), S. 178.

12 Vgl. Hartung, S. u.a. (2009), S. 15.

13 Ebd., S. 16.

14 Ebd., S. 18f..

15 Vgl. Lauterbach, W. / Lange, A.(1998), S. 106f..

16 Ebd., S. 125ff..

17 Ebd., S. 127.

18 Vgl. Bourdieu, P. (1983), S. 183ff..

19 Vgl. Hartung, S. (2009), S. 16.

20 Vgl. Stocké, V. (2010), S. 257ff..

21 Vgl. Lokhande, M. (2013), S. 6.

22 Vgl, Boudon, R. (1974), S. 29f..

23 Vgl. Rupp, M. (2010), S. 29f..

24 Ein ausführlicher historischer Überblick bei Frank, S. (2010), S. 34ff..

25 Vgl. Valtin, R. (2008), S. 12ff..

26 Vgl. § 24, SGB VIII (2015) unter URL: http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/1.html [Letzter Zugriff:10.05.2016].

27 Vgl. 14. Kinder- und Jugendbericht (2013), S. 298.

28 Vgl. Frank, S. (2010), S. 31ff., 95f.

29 Vgl. 14. Kinder- und Jugendbericht (2013), S. 56.

30 Ebd.., S. 298f.

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Frühe Elternbildung im Spannungsfeld von Prävention und Intervention
Untertitel
Wie kann eine sichere Eltern-Kind-Bindung in diesem Spannungsfeld gestärkt werden?
Hochschule
Hochschule RheinMain
Note
1,3
Jahr
2016
Seiten
73
Katalognummer
V339255
ISBN (eBook)
9783668288393
ISBN (Buch)
9783668288409
Dateigröße
1135 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elternbildung, Frühförderung, Soziale Arbeit, Resilienz, Bindungstheorie, Frühe Elternbildung, Ainsworth, Frühkindliche Bildungsforschung, Präventionsdilemma, Bowlby, Sichere Bindung
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Frühe Elternbildung im Spannungsfeld von Prävention und Intervention, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339255

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Titel: Frühe Elternbildung im Spannungsfeld von Prävention und Intervention



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