Sprachpolitik in Imperien. Germanisierung in Preußen und in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im 19. Jahrhundert


Hausarbeit, 2010

22 Seiten


Leseprobe


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Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ... 3
2.
Modernisierung... 3
2.1. Rationalisierung und Bürokratisierung ... 4
3.
Preußen und Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert ... 5
3.1. Sprachpolitik in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ... 8
3.2. Sprachpolitik in Preußen ... 13
4.
Zusammenfassung ... 16
5.
Anhang ... 18
6.
Bibliographie ... 20
6.1. Selbständige Veröffentlichungen ... 20
6.2. Unselbständige Veröffentlichungen ... 21

3
1.
Einleitung
Im 19. Jahrhundert ist die Welt gespickt von Imperien, laut Osterhammel
gekennzeichnet durch eine multiethnische, pluralistische Gesellschaft, in der es
,,
keine
gemeinsame imperiale Kultur
"
gibt (Osterhammel, 2009: 615-616) und in der
zentralistische Strukturen herrschen. Damit der Herrschaftsanspruch der Imperialmacht
bzw. des Zentrums dauerhaft und nachhaltig gefestigt ist, wird die Freiheit der
Menschen durch den Zwangsapparat eingeschränkt. Diese Einschränkung äußert sich
auch in einer Sprachpolitik, die die lokale Sprache unterdrückt und durch gesetzliche
Maßnahmen versucht, die Sprache der Zentralmacht zunächst in der öffentlichen und
dann in der privaten Sphäre durchzusetzen. Das Europa des 19. Jahrhundert ist jedoch
nicht nur für seine geopolitisch-imperialen Struktur bekannt; die Modernisierung hat
Europa erreicht, ein gesellschaftlicher Wandel,
,,
der seinen Ursprung in der englischen
industriellen Revolution von 1760-1830 und in der politischen Französischen
Revolution von 1789-1794 hat [...]" (Bendix, 1969: 506-510, zitiert nach Degele/Dries,
2005: 16). Gegenstand dieser Untersuchung ist der Vergleich zwischen
sprachpolitischen Maßnahmen in Preußen und in der Österreichisch-Ungarischen
Monarchie. Darüber hinaus wird ein Zusammenhang mit der Modernisierung
hergestellt: Sind Sprachgesetze und Sprachpolitik ein Mittel, um eine Gesellschaft
voranzubringen und zu modernisieren? In einem weiteren Schritt werden die
Maßnahmen untersucht, die in beiden Imperien zur Germanisierung der autochthonen
Gesellschaft ergriffen wurden. Erörtert werden die Faktoren, die zum Versagen der
österreichischen Sprachpolitik geführt haben, und diese Faktoren werden mit der
antipolnischen Sprachpolitik in Preußen verglichen.
2.
Modernisierung
,,Modernisierung [...] besteht im wirtschaftlichen und politischen Fortschritt einiger
Pioniergesellschaften und den darauf folgenden Wandlungsprozessen der Nachzügler
[...]" (Bendix, 1969: 506-510, zitiert nach Degele/Dries, 2005: 16)
.
Um einen
Zusammenhang zwischen Modernisierung und Sprache, genauer gesagt zwischen
Modernisierung und Kultur herzustellen, werden sich die folgenden Ausführungen auf
die Darlegungen von Hans van der Loo und Willem van Reijen beziehen (1997). Diese
teilen Modernisierung in ein Schema, bestehend aus den Perspektiven Struktur (Prozess

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der Differenzierung), Kultur (Prozess der Rationalisierung), Natur (Prozess der
Domestizierung) und Person (Prozess der Individualisierung) ein.
2.1.
Rationalisierung und Bürokratisierung
Für die vorliegende Arbeit werden die Perspektive Kultur und der Prozess der
Rationalisierung näher durchleuchtet. Unter Rationalisierung versteht man
,,
eine
Systematisierung zum Zweck der Prognostizier- und Beherrschbarkeit und damit
schrittweise den Prozess der Ablösung von zufälligen, planlosen und
traditionsgebundenen zugunsten arbeitsteiliger, normierter, standardisierter,
organisierter und bürokratisch verwalteter Lebensform
"
(Degele/Dries, 2005: 24). Ein
Mittel zur Rationalisierung ist die Bürokratisierung. Webers Bürokratisierungsthese
spielt im Kontext der vorliegenden Arbeit eine wichtig Rolle, da sowohl in der
Habsburgermonarchie, als auch in Preußen zentralistische Strukturen und ein hoher
Grad an Bürokratie herrschten. Die Bürokratisierungsthese besagt, dass Modernisierung
durch Bürokratisierung erfolgt, d.h. durch
,,
Abbau von Willkürherrschaft und deren
Ersetzung durch Gesetzesherrschaft
"
(Stark/Lahusen, 2002: 292), die zu einer
,,
Ausbildung der formal organisierten Handlungsbereiche" führt (Stark/Lahusen, 2002:
150). Bürokratisierung wird demnach als Medium der Macht genutzt, um eine
Gesellschaft zu steuern. Durch Bürokratisierung einer Gesellschaft werden ihr
(politisches) System und ihre Lebenswelt in Zusammenhang gebracht. Das heißt vor
allem, dass die öffentliche Sphäre signifikante Eingriffe in die private Sphäre vornimmt.
Auch soll durch Macht die Beziehung zwischen System und Einzelnem aufrechterhalten
werden. Laut Weber resultiert zwangsläufig aus der Bürokratisierung Freiheitsverlust.
Schluchter (2005: 129) resümiert, dass
,,
eine fortschreitende Bürokratisierung [...] nicht
nur das Selbstbestimmungsrecht von Bürgertum und Arbeiterschaft [beeinträchtigt],
sondern auch die Machtinteressen der Nation. Denn in der Tat erhofft sich der Staat
durch Bürokratisierung Ordnung, jedoch geschieht dies zum Nachteil der Bürger, die
sich in dem Machtgefüge nur äußerst schwer verwirklichen können. Für den Aspekt der
Sprache bedeutet dies folgendes: Auch Sprachpolitik hat die Modernisierung einer
Gesellschaft zum Ziel: Durch Sprachpolitik wird die soziale Entwicklung einer
Gesellschaft beherrschbar gemacht, und sie wird als ,,Mittel der Machterringung oder
Machterhaltung" (Stummer, 1975: 746) benutzt. Coulmas (1985: 260) definiert
Sprachpolitik folgenderweise:

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Sprachpolitik ist die zielgerichtete Intervention in die Entwicklung der Sprache(n) einer
Gesellschaft. Sie operiert oft unter Prämissen, die keine ideale Lösung, sondern allenfalls die
Minimierung negativer Entwicklungstendenzen erlauben, da sich gleichrangige oder als
gleichrangig befundene Ideale nicht miteinander vereinbaren lassen, wie z.B. die
Sprachenfreiheit als Menschenrecht im Interesse jeder einzelnen Sprachgemeinschaft und die
sprachliche Vereinheitlichung der Nation im Interesse des Staates. Spannungen, die sich daraus
ergeben, sind Minderheitenprobleme in den Ländern der westlichen Welt [...].
Voraussetzung für Sprachpolitik ist ein Sprachkonflikt. Dieser ist in mehrsprachigen
Gebieten vorherrschend, ,,bei der einer kleineren bzw. untergeordneten
Sprachgemeinschaft auf die Sprachlichkeit ausgerichtete Gewalt- und Machtstrukturen
einer ihr überlegenen stärkeren bzw. dominanten Sprachgemeinschaft als
administrative, politische und wirtschaftliche Autorität auferlegt werden" (Maitz, 2005:
2). Mit Sprachkonflikten geht auch eine Assimilation einher, da eine Asymmetrie im
Machtverhältnis zwischen dominanten und dominierenden Sprachgemeinschaften
vorliegt. Assimilation ist ein ,,komplizierter, gesellschaftlicher Prozess, in dessen
Verlauf sich einzelne Personen oder Gruppen einer Nation die Kultur einer anderen
Nation aneignen und sich entnationalisieren" (Molik, 1992: 2). Eine schwächer
ausgeprägte Form der Assimilation ist die Akkulturation, bei der nur wenige
Bestandteile einer dominanten Kultur durch die dominierende Gemeinschaft erworben
werden, die eigene nationale Identität dagegen beibehalten wird (Molik, 1992: 2). Die
Assimilation einer Gesellschaft erfordert einen hohen Grad an Bürokratisierung. In der
autochthonen Gesellschaft muss die überlegene Sprache bekannt und indoktriniert
werden. Dafür müssen Strukturen und Institutionen geschaffen werden sowie Leute
ausgebildet werden, die Assimilation und Akkulturation implementieren und
vorantreiben.
3.
Preußen und Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert
Thema der vorliegenden Arbeit ist die Sprachpolitik in Preußen und Österreich-Ungarn,
worauf ab Punkt 3.1. ausführlich eingegangen wird. Im Nachfolgenden werden die
geschichtlichen Ereignisse des 19. Jahrhundert in vereinfachter Form dargelegt, um die
Sprachpolitik in beiden Imperien besser nachvollziehen zu können. Nachdem Europa
sich vom Joch der napoleonischen Fremdherrschaft befreit hatte, wurde es, nach dem
Wiener Kongress im Jahre 1815, territorial neu geordnet. Ziel des Kongresses war es
,,eine Ordnung des Gleichgewichts [zu schaffen] und eine Ordnung [...], die nicht auf
Freiheit und Selbstbestimmung der Völker, sondern auf der Legitimität von Staaten und

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Dynastien [basierte]" (Nipperdey, 1994: 89). Um eine Balance innerhalb Europa zu
gewährleisten, wurden dynastisch legitimierte Monarchien wieder als politische Spitze
der europäischen Staaten eingesetzt. Monarchen und Politiker bemühten sich, die alte
Ständeordnung wiederherzustellen. Der Zeitraum zwischen dem Wiener Kongress und
der Julirevolution (1815-1829) wird aus diesem Grund 'Restauration' genannt. Die
Situation Österreichs im 19. Jahrhundert sah folgendermaßen aus: Das Habsburgerreich
war ein Kaiserreich, ein Vielvölkerstaat, in dem vor allem die Deutschen die politische
Elite bildeten (Nipperdey, 1994: 337). Dieses Nebeneinander der vielen Völker in der
Habsburgermonarchie (siehe Tabelle 1) stellte, laut Nipperdey (1994: 337), das
,,Jahrhundertproblem der Monarchie bis an ihren Untergang" dar (siehe Punkt 3.1).
Neben dem Problem der verschiedenen Nationalitäten, scheiterte eine Modernisierung
an bürokratisch-absolutistischen Herrschaftsstrukturen, die effektives Regieren, vor
allem unter der Regentschaft Franz I. zwischen 1804 und 1835 unmöglich machten
(Mayr-Harting, 1988: 70):
Es gab eine Vielzahl teils gesamtstaatlicher, teils territorialer Hofstellen mit sich
überschneidenden Kompetenzen, aber kein modernes bürokratisch organisiertes Ministerium mit
klarer Ressorteinteilung; die Koordination der Regierungsarbeit war kaum institutionalisiert,
eine ,,Ministerkonferenz" konnte dies nicht leisten. So gab es keine Regierung, die den Staat
führte (Nipperdey, 1994: 338).
Außerdem entwickelte sich die Donaumonarchie immer weiter zu einem Reich, in dem
das Volk von der Polizei überwacht wurde und die Presse- und Meinungsfreiheit immer
weiter eingeschränkt wurde (Mayr-Harting, 1988: 70-71). Nach dem Tod von Kaiser
Franz I. verschlimmerten sich die Probleme der Donaumonarchie, denn mit Kaiser
Ferdinand hatte die Donaumonarchie einen handlungsunfähigen Herrscher. Der Adel
spielte immer noch eine gewichtige Rolle in den hohen Funktionen, in denen sich
verschiedene Parteien blockierten und die Donaumonarchie in Bürokratie versank, so
dass jegliche politische Neuerung verhindert wurde. Im Großen und Ganzen steuerte die
Donaumonarchie in ihr eigenes Verderben (Nipperdey, 1994: 393-340).
Im Preußen des Vormärzes spielte das Beamtentum eine fundamentale Rolle: Es war
sehr mächtig und
fühlte sich [...] in einem ganz ausgeprägten Sinn als allgemeiner Stand, als Garant bürgerlicher
Freiheit und gesetzlicher Gleichheit, als Repräsentant der wahren Interessen der Nation und des
Staates zugleich (Nipperdey, 1994: 331).
Geprägt war der preußische Staat auch von Reformen, die die alte Ständeordnung
aufzulösen versuchten, wie zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft und der

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Gewerbefreiheit, und die allesamt dazu führen sollten, eine freie Gesellschaft des
Wachstums zu etablieren, ergo die Gesellschaft zu modernisieren.
Von Frankreich her schwappte jedoch eine ,,bürgerlich-liberale und zunehmend national
orientierte Verfassungsbewegung" über, die den Konstitutionalismus, das Verlangen
nach einer Verfassung, in Deutschland und Zentraleuropa immer weiter vorantrieb.
Zugleich breiteten sich in Europa soziale Unruhen aus, entfacht durch
Bevölkerungswachstum und einer präindustriellen Massenarmut, die wiederum zu
Landflucht und Urbanisierung führte. Liberales Gedankengut machte sich in der
Gesellschaft breit und der Ruf nach nationaler Einheit wurde in der Bevölkerung immer
lauter (Fehrenbach, 1993: 24).
Doch eine Konstitutionalisierung scheiterte sowohl in Preußen als auch in Österreich.
Vor allem in Preußen ging der Staat rigoros gegen Burschenschaften vor und
unterdrückte die Pressefreiheit (Geisthövel, 2008: 24-31):
In den Kämpfen gegen Zensur und Bespitzelung, Polizeikontrollen und Polizeieinsätzen bildete
sich unter der studentischen Jugend jenes intellektuelle und politische Klima heraus, in dem sich
liberale und demokratische Ideen ausbreiteten (Scherr, 2009: 96).
Auch wurde jegliche Art von politischer Opposition durch den Staatsapparat im Keim
erstickt und Demagogen, die vor allem in den Reihen der Professoren und Studenten zu
finden waren, verfolgt (Nipperdey, 1994: 334). Kennzeichnend für die Epoche war auch
die Entwicklung des Staats ,,zu einem modernen autoritären Beamten- und
Obrigkeitsstaat" (von Polenz, 1993: 16), der die Bevölkerung nicht wirklich in die
politischen Prozesse integrierte (Nipperdey, 1994: 331-334). Hungersnöte in weiten
Teilen Europas und fehlerhaftes Krisenmanagement, wie das in Preußen 1846/1847,
führten zu weiteren Protesten und Bauernbewegungen, die in den Revolutionen von
1847 bis 1851 mündeten:
Organisierte und spontane Bauernbewegungen, sowohl gewaltsamer als auch friedlicher Art, gab
es unter den Leibeigenen der Habsburgermonarchie, den freien, aber mit feudalen Lasten noch
geplagten Bauern des rechtsrheinischen Deutschland, doch auch unter den in einer bereits
kapitalistischen Umwelt lebenden Bauern Frankreichs, Italiens und des linksrheinischen
Deutschlands. Zünftige Handwerker [...] unzünftige Handwerker in der Verlagsproduktion,
Fabrikarbeiter und arbeitslose Tagelöhner vertraten ihre Forderungen. Schutzzöllnerisch und
freihändlerisch gesinnte Unternehmer, Akademiker, Künstler, der Klerus sowie andere, von der
Forderung lange nicht berücksichtigte Gruppen wie Soldaten und Frauen versuchten, ihren
Einfluß geltend zu machen (Jansen/Mergel, 1998: 15).
Die Revolutionswelle Mitte des 19. Jahrhunderts breitete sich in den meisten
europäischen Ländern rasant aus, sei es, wie in der Habsburgermonarchie, die
absolutistisch regiert wurde, in konstitutionellen Monarchien wie Frankreich und den
süddeutschen Staaten, oder auch, wie bereits erwähnt, in Preußen, das politisch gesehen

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zwischen Absolutismus und Konstitutionalismus eingeordnet werden konnte
(Jansen/Megel, 1998: 15). Getrieben wurde diese Revolutionswelle von Liberalismus
und Nationalismus, den Jahrhundertbewegungen des 19. Jahrhunderts. Doch die
Revolutionen scheiterte in fast ganz Europa, was zum Fortbestand der alten Ordnung
führte (Fisch, 2002: 14-15). Verstärkt ab 1848 bildete sich der Nationalismus heraus,
der Rassismus, Antisemitismus und Hegemoniestreben hervorrief. Sprachpolitisch
wirkte sich diese Entwicklung zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20.
Jahrhundert ebenfalls negativ aus,
als zunehmende Intoleranz gegenüber Minderheitensprachen und Nachbarsprachen [...], als
Triebkraft zu immer rigideren, im Rahmen des kleindeutschen Nationalstaates reglementierten
Sprachnormen [...] und damit als Irritationen über die Koexistenz staatlicher/nationaler, regionaler
und sozialer Sprachvarietäten des Deutschen [...] (von Polenz, 1999: 3).
Im Jahre 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Dieses Ereignis stellt einen Bruch dar, die
den Beginn der europäischen Selbstzerstörung und das Ende der europäischen
Hegemonie in der Welt einläutet, aber auch das Ende der Ständeordnung in der
Gesellschaft und im Rechtssystem (Fisch, 2002: 14).
3.1.
Sprachpolitik in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie
Näher durchleuchtet wird die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20.
Jahrhunderts bis zum Untergang der Donaumonarchie nach dem Ersten Weltkrieg.
Laut Stachel (2001: 11) ist das Habsburgerreich ein ,,vielsprachiger Staat und damit ein
Staat vieler soziokultureller Räume" gewesen. Ausdrucksform dieser verschiedenen
ethnischen Gruppen waren die verschiedenen Sprachen und nicht eine nationale
Identifikation, da auch eine genaue Definition von Nationalität oder Volksstämmen
nicht existierte. Das einzige Kriterium, nach dem man die Bevölkerung einteilen
konnte, war die Sprache. Aus diesem Grund wird im Kontext der vorliegenden Arbeit
Nationalität mit Sprachgruppe gleichgesetzt (Fisch, 2002: 104-105). Das Aufkommen
des Nationalismus war in Zentral- und Osteuropa beeinflusst durch den Herderschen
Begriff der Sprachnation, der eine auf ,,gemeinsame Sprache und Literatur" gestützte
Nation propagiert (Angeli, 2004: 49-50).
Die Regierung in Wien gab, mit starrem Festhalten an der Sprachenpolitik des Alten Reiches
[...], dem Drängen nationaler Bewegungen nach einer konföderativen Lösung (etwa nach
schweizerischem Muster) nicht nach und beschränkte sich auf gelegentliches Schlichten im
Kampf aller gegen alle im seit 1848 meist nur noch als Völkerkerker empfundenen
Habsburgerstaat (von Polenz, 1999: 132).
Genährt wurden diese nationalistischen Bestrebungen der verschiedenen Sprachgruppen
auch hierdurch: Die Magyaren, Tschechen, Slowaken, Slowenen und Kroaten lebten nur

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im Großreich, während Deutsche, Italiener, Polen, Ruthenen (Ostslawen), Rumänen und
Serben Völkern angehörten, deren politische und kulturelle Zentren sich nicht im
Habsburgerreich, sondern in den Anrainerstaaten befanden. Einigen Gruppen
(Slowaken, Slowenen, Rumänen und Ruthenen) mangelte es an einer politischen
Führungsschicht, während andere Sprachgruppen sich auf staatliche Traditionen berufen
konnten (Fisch, 2002: 108-109 & Vocelka, 2007: 93).
Das Konzept der Sprachnation machte eine einheitliche kulturelle und nationale
Identitätsstiftung in der Habsburgermonarchie zunichte (von Polenz, 1993: 132),
darüber hinaus stellten die verschiedenen Minderheiten Grenzansprüche: Entweder die
Grenzen der historisch-politischen Gebiete oder ihre jeweilige Sprachgrenze. Schon
allein aus diesen Gründen gestaltete sich das Miteinander als sehr schwierig und
kompliziert.
Nach der Revolution von 1848/49 hatte die Monarchie ihre Stellung gefestigt, doch
weder eine Zentralisierung noch eine Föderalisierung wurde angegangen: Eine
Föderalisierung hätte die Machtstellung der Monarchie geschwächt, eine
Zentralisierung Ansprüche der verschiedenen Nationalitäten geschürt. Stattdessen
wurde die Germanisierung in der Verwaltung intensiviert, was Synergieeffekte in der
Wirtschaft schuf und somit einen Beitrag zur Modernisierung der Gesellschaft leistete
(Fisch, 2002: 108). Doch eine Modernisierung durch Bürokratisierung allein löste nicht
alle Probleme, vor allem nicht den Nationalitätenkonflikt: Nachdem einige
Reformversuche gescheitert waren, wurde nach den außenpolitischen Niederlagen und
den Gebietsverlusten von 1859 (Lombardei) und 1866 (Preußen verbündete sich mit
Italien gegen Österreich, auch wurde der Deutsche Bund) die Donaumonarchie zu einer
anderen Lösung gezwungen.
Im März 1867 kam es zum österreichisch-ungarischen Ausgleich. Dadurch wurde die
Nationalitätenfrage nicht gelöst, sondern ­ nach Erstarken Preußens im Norddeutschen
Bund ­ ein Bündnis zwischen den beiden stärksten Nationalitäten der Donaumonarchie
geschlossen: Außenpolitik, Zollwesen, Militär und Finanzen wurden gemeinsam
geregelt. Auch eine Personalunion wurde hergestellt, in der der Kaiser von Österreich
gleichzeitig König von Ungarn war (Philippoff, 2001: 93-94). Durch den Ausgleich war
das Reich in zwei Teile aufgeteilt, einerseits das Königreich Ungarn und Zisleithanien
oder Österreich andererseits (Vocelka, 2007: 91-92). Im Jahr 1849 geht der
Gleichberechtigungsgrundsatz in die oktroyierte Märzverfassung ein, welcher im Jahre
1867 als Artikel 19 in die zisleithanische Verfassung eingeht. Dieser besagt folgendes:

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(1) Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein
unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. (2) Die
Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird
vom Staate anerkannt (Hoke/Reiter, 1993: 441).
Doch die Realität sah anders aus und in der Praxis wurde dieses Gesetz nicht wirklich
eingehalten: Vor allem in Böhmen und Wien wurden Bedienstete und Arbeiter
gezwungen die Sprache ihrer Arbeitgeber zu sprechen. Germanisierungsprozesse
wurden in Verwaltung, Heer und im Bildungswesen vorangetrieben. Viele der
Minderheitensprachen wurden nicht als Sprache angesehen, sondern zu anderen
Sprachen hinzugezählt (Ladinisch und Friaulisch wurden zum Italienischen gezählt).
(von Polenz, 1999: 133). Darüber hinaus steuerte der aufkommende Nationalismus
einer gegensätzlichen Entwicklung zu: Eine Nation geht seit dem 18. Jahrhundert nur
mit einer Normierung und Harmonisierung der Sprache in der Verwaltung einher. Nur
damit kann eine Teilhabe am politischen Geschehen gewährleistet werden und eine
Gesellschaft verwaltungstechnisch modernisiert werden. Voraussetzung dafür ist eine
verwaltungstechnische Modernisierung, eine ,,kulturelle Normierung" innerhalb der
Gesellschaft. Doch dazu war es in Österreich-Ungarn nie gekommen.
Erstens gab jede Gebietskörperschaft ihrer eigenen Sprache mehr Gewicht, was dazu
führte, dass sich diesbezüglich immer mehr Konflikte anbahnten. Außerdem trieb der
Ausgleich die anderen Minderheiten dazu an, den gleichen ,,privilegierten" Status der
Magyaren zu erreichen (Fisch, 2002: 111). Auf individueller Ebene wurde die Sprache
durch den Gleichberechtigungsgrundsatz zwar gesichert, d.h. jeder hatte das Recht seine
eigene Sprache in der privaten Sphäre zu bewahren, jedoch drifteten die verschiedenen
Sprachgruppen dadurch nur noch mehr auseinander.
Im Königreich Ungarn lagen die inneren Angelegenheiten in der alleinigen Macht
Ungarns und im Jahr 1868 wurde dort Ungarisch alleinige Amtssprache. Folge dieser
Entwicklung, die zum Ziel eine ,,unteilbare, einheitliche ungarische Nation" (Fischer,
1999: 142) hatte, war eine Magyarisierung, die bereits im Kindergarten stattfand. In
Folge dessen wurden kulturelle Organisationen der anderen Minderheiten unterdrückt
(Fischer, 1999: 142-144). Komplizierter wurde alles zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als
die Wahlberechtigten auf Basis ihrer Sprachzugehörigkeit eingeordnet wurden. Die
linguistische Pluralität wurde nicht wirklich gefördert, was die Fronten weiterhin
verhärtete.
Österreich-Ungarn versagte darin, eine einheitliche Identitätsstiftung voranzutreiben.
Grund hierfür war vor allem, dass die sprachliche Individualität der privaten Sphäre der

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verschiedenen soziokulturellen Räume zum wichtigsten Identifikationsfaktor erhoben
wurde, d.h. ein deutschsprachiger Ungar wurde als Deutscher angesehen, obwohl er
auch über gute Kenntnisse der ungarischen Sprache verfügte und sich auch als Ungar
sah. Oder anders ausgedrückt:
Die Muttersprache ­ nicht zufällig wurde ein derart emotionell geladener Begriff gewählt ­
wurde weniger als erworbene kulturelle Fertigkeit erachtet, sondern zur gleichsam
naturgegebenen Eigenschaft eines Individuums (v)erklärt (Stachel, 2001: 20).
Dies stellte in mehrsprachigen Gebieten ein großes Problem dar, weil jede
Sprachgruppe gleichen Anspruch auf den Sprachgebrauch in der Verwaltung stellte:
Über Jahre wurde zum Beispiel in Görz/Gorizia debattiert, in welcher Sprache die
Aufschrift am Bahnhof angebracht werden sollte, oder ob in Cilli/Celje eine
slowenische Schulklasse am dortigen Gymnasium für die slowenischsprachige Mehrheit
eingeführt werden sollte (Stachel, 2001: 23). Demnach stand diese Entwicklung einer
kollektiven Modernisierung der politischen Verwaltung im Wege. 1871 verlangten die
Tschechen in Zisleithanien einen Ausgleich vergleichbar mit dem Ausgleich zwischen
Österreich-Ungarn. Dies führte zu einem Aufstand der Magyaren, da sie darin eine
Gefahr des Verlusts ihrer privilegierten Stellung sahen. Auch die von Ministerpräsident
Badeni vorgeschlagene Sprachverordnung in Böhmen und Mähren wurde von den
Deutschen strikt abgelehnt und führte nicht nur zum Sturz Badenis, sondern auch zu
einem größer werdenden Wunsch der Tschechen nach einem eigenen Staat (Vocelka,
2007: 92). Die vorgeschlagene Sprachverordnung besagte, dass die Beamten in Böhmen
und Mähren sowohl Tschechisch als auch Deutsch beherrschten sollten.
Hinsichtlich der Modernisierung lässt sich ebenfalls feststellen, dass manche
Nationalitäten mehr Vorteile aus dem Wirtschaftswachstum zogen (siehe Tabelle 2 und
3), was einer einheitlichen Modernisierung im Wege stand und den Nationalitätenstreit
nur noch mehr verschärfte. Wie man aus Tabelle 2 folgern kann, arbeiteten fast 90
Prozent der ruthenischen und rumänischen Minderheit in Ungarn in der Landwirtschaft,
während vergleichsweise mehr Deutsche (37% : 49,7%) und Ungarn (30,4% : 55,0 %)
im Gewerbe, Handel oder Verkehr tätig waren. Auch in Zisleithanien arbeiteten im
gleichen Jahr etwa neun von zehn Ruthenen im primären Sektor, während mehr als
doppelt so viele Deutsche im Wirtschaftssektor tätig waren (Tabelle 3). Dies zeigt, dass
manche Nationalitäten einen besseren Zugang zu Bildung und zu Erwerbstätigkeiten
hatten als andere. Somit war die Wirtschaftsstruktur in Österreich-Ungarn sehr
asymmetrisch, infolge ungleicher Einkommensstruktur, Infrastruktur, demographischer

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Entwicklung, die durch die ungleiche Behandlung der verschiedenen
Bevölkerungsgruppen verursacht wurde und eine Modernisierung bremste (Fischer,
1999: 146-147).
Wie weiter oben von Coulmas zitiert, ergaben sich aus Sprachpolitik und Versuchen
sprachlicher Vereinheitlichung Spannungen, die zu Minderheitenproblemen führen.
Dies war in der Donaumonarchie der Fall: Von einer planmäßigen Germanisierung kann
man in Österreich-Ungarn nicht sprechen, da zum Beispiel in Zisleithanien die
Bevölkerung der Deutschsprachigen zwischen 1880 und 1910 sank. Doch beschleunigte
der Dualismus, also die Gleichberechtigung der deutschen und ungarischen
Bevölkerungsgruppe den Nationalitätenkonflikt bis zum Ersten Weltkrieg und führte
schließlich zum Zerfall der Monarchie. Sie scheiterte unter anderem an einer wirklichen
Umsetzung des Nationalitätengesetzes und an der Legitimation der anderen
Nationalitäten als gleichberechtigte Nationen, was eine Modernisierung hemmte. Die
Monarchie vertraute zu sehr auf ihre bürokratischen Mittel, wie bei der Einteilung der
Menschen nach deren Muttersprache. Dadurch wollte man Kontrolle über die
Bevölkerung haben, doch die Minderheitensprachen wurden unterdrückt und viele
sehnten sich, angetrieben durch den Nationalismus, nach einem Nationalstaat. Die
zentralistischen Strukturen wurden in der Habsburgermonarchie nicht reformiert, im
Gegenteil: Bürokratie und Heer versuchten sich aus den Nationalitätenzwisten
herauszuhalten (Vocelka, 2007: 76). Reformen hätten den Streit schlichten können,
doch auf diese wurde vergeblich gewartet und eine Modernisierung gebremst.
Die Minderheiten konnten sich unter diesen Umständen nicht verwirklichen, zum
Beispiel wurde nach 1868 in Ungarn der Gebrauch der Minderheitensprachen nur auf
unterster Verwaltungsebene erlaubt, Politiker der Minderheiten wurden verfolgt und vor
allem in der Schule wurde eine rigorose Magyarisierungspolitik betrieben, die die
Schließung von Nationalitätenschulen und Kulturorganisationen zur Folge hatte. Auch
die politische Partizipation gestaltete sich für die übrigen Nationalitäten schwieriger als
für die Deutschen oder Ungarn (Fischer, 1999: 142-143).
Erst gegen Ende des 19. Jahrhundert und Beginn des 20. Jahrhundert erlangten die
Minderheiten mehr Gewicht in Politik und schlossen sich weiterhin nationalistischen
Bewegungen an, die Ende des 1. Weltkrieges zum Zerfall der Monarchie führten, da
eine föderative Ordnung der Monarchie gegen Ende nicht mehr als realistisch galt und
durch nationalen Bewegungen der Konnationalen außerhalb der Monarchie (Fischer,
1999: 144-146). Letztlich hat die Bürokratisierung ihr Ziel, Kontrolle über die

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Bevölkerung auszuüben, nicht erreicht, sondern Kräfte mobilisiert, die zum Zerfall der
Monarchie führten.
3.2.
Sprachpolitik in Preußen
Preußen kann auch als ,,Staat zwischen den Nationen" (Zernack, 1991 zit. nach
Leuschner, 2000: 1) angesehen werden. In ihm lebten viele Minderheiten, allen voran
die polnische Minderheit, die Anfang des 20. Jahrhunderts ca. 10 Prozent der
Bevölkerung, nämlich 3,7 Millionen, ausmachte und vornehmlich in den Provinzen
Westpreußen, Posen und Schlesien wohnte. Andere Gruppen waren Dänen, Wallonen,
Sorben, Friesen, Litauer und Juden (Leuschner, 2000: 1). Um 1871 gab es 2,4 Millionen
Polen in Preußen, vornehmlich in den Provinzen Westpreußen, Posen und Schlesien
(Neugebauer, 2000: 42). Volkszählungen auf Basis der Sprache wurden in Preußen
regelmäßig durch die Regierung durchgeführt (Labbé, 2007: 289). In den amtlichen
Statistiken befanden sich viele Fehlerquellen, was darauf zurückführen ist, dass es
schwer war, Menschen anhand ihrer Sprache einzuordnen. Zum Beispiel wurden
zweisprachige Menschen nicht in den Statistiken berücksichtigt und im Zuge der
Germanisierung kam es leicht vor, dass Menschen aus Angst nicht zu ihrer Sprache
standen (Belzyt, 1999: 157-158).
In diesem Abschnitt soll näher auf die Zurückdrängung der polnischen Sprache in den
polnischen Gebieten eingegangen werden. Weitere Analysen, wie die Germanisierung
in den dänischen Gebieten, würden den Rahmen der Arbeit sprengen.
Die preußische Herrschaft über Teile Polens dauerte länger als ein Jahrhundert an,
nämlich zwischen der dritten polnischen Teilung 1795 bis zum Ende des 1. Weltkriegs.
Nach dem Wiener Kongress 1815 bekam Preußen die Provinz Posen zugesprochen. In
diesen Gebieten lebten Deutsche und Polen miteinander. Zwar versicherte der
preußische König Friedrich Wilhelm III., dass ,,Religionsfreiheit, Rechts- und
Eigentumssicherung, Gebrauch der polnischen Sprache im amtlichen Verkehr und vor
Gericht" zugelassen werde; dies beschränkte sich jedoch nur auf den polnischen Adel
und auf reiche Großgrundbesitzer, die ihre Zweisprachigkeit weiterhin pflegen konnten.
Die Mehrheit der Bevölkerung wurde davon ausgeschlossen, da die ärmliche
Bevölkerung nicht am öffentlichen Dialog teilnahm (von Polenz, 1999: 127-128). 1823
heißt es in einem Sprachenerlass:
Der Besitz zweier Sprachen ist so wenig für einen Nachteil zu erachten, daß er vielmehr als ein
Vorzug betrachtet werden darf, da er in der Regel mit größerer Beweglichkeit der

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Verstandeskräfte und einer leichteren Auffassungsgabe verbunden zu sein pflegt [...] Religion
und Sprache sind die höchsten Heiligtümer einer Nation, in denen ihre ganze Gesinnungs- und
Begriffswelt gegründet ist. Eine Obrigkeit, die diese anerkennt, achtet und schätzt, darf sicher
sein, die Herzen der Untertanen zu gewinnen, welche sich aber gleichgültig dagegen bezeigt
oder gar Angriffe dagegen erlaubt, die erbittert oder entwürdigt die Nation und schafft sich
ungetreue oder schlechte Untertanen. Wer aber etwa glauben wollte, daß es zur Bildung der
polnischen Nation wesentlich beitragen würde, wenn sie wenigstens der Sprache nach
germanisiert würde, der möchte sich in einem großen Irrtum befinden. Die Bildung eines
Individuums und einer Nation kann nur vermittels der Muttersprache bewerkstelligt werden [...]
Will man für die Bildung der polnischen Nation wirklich erfolgreich sorgen, so wird dies immer
am sichersten vermittels ihrer eigenen Sprache geschehen (von Klattenhoff, 2000: 64).
Nach 1815 wurde Preußen immer stärker durch die Nationalstaatsbildung in
Deutschland beeinflusst. Logische Folge war die Germanisierung der polnischen
Bevölkerung (Klattenhoff, 1999: 61), die von der harten französischen Sprachpolitik im
Zuge der Französischen Revolution angeregt wurde. In Preußen wurde eine
unerbittlichere Germanisierung betrieben als in der Donaumonarchie, die in den 1830er
Jahren begann und auch später die Unterschichten nicht verschonen sollte. Die
Deutschen wollten durch aktive Germanisierungsprozesse verhindern, dass es unter der
polnischen Bevölkerung zu separatistischen Bewegungen kam, und somit großpolnische
nationalistische Bewegungen im Keim ersticken. Dies sollte durch eine friedliche
Assimilation der Polen geschehen unter Berücksichtigung ihrer kulturellen, sozialen
und wirtschaftlichen Autonomie: Dadurch wurde sich an die untersten
Bevölkerungsschichten gewandt. Eine große Gefahr sah der preußische
Ministerpräsident Bismarck im Adel und im Klerus, aber auch vor allem in der
polnischen Intelligenz, bestehend aus Ärzten, Rechtsanwälten und Lehrern
(Büsch/Neugebauer, 2000: 43).
Doch auch die andere Alternative, nämlich ein friedliches Nebeneinander zwischen
Polen und Deutschen, war schon zum Scheitern verurteilt: Der Nationalismus ging nur
mit der Vorstellung einer ethnischen und sprachlichen Homogenität einher. Sprache
sollte als Werkzeug für Integration und Assimilation der Polen fungieren: Wieder wurde
Sprache benutzt um, Lebensformen zu bürokratisieren und Macht auszuüben
(Nipperdey, 1995: 267-268). Im Jahre 1871 wurde Preußen Teil des Deutschen
Kaiserreichs: ,,Die alte etatistisch-bürokratische Unterdrückung aller nationalpolnischen
Regungen und der Zwang zur Sprachintegration waren gekoppelt mit der neuen
nationalistischen Unterstützung der deutschen Nationalität [...]" (Nipperdey, 1995: 273).
Auch waren Volkszählungen und die Arbeit statistischer Ämter im Sinne eines ,,nation-
state bulding":

15
In the German states as in the other parts of Central and Eastern Europe, the cultivation of
government statistics was closely associated with the building of the nation-state and of
multinational empires (Labbé, 2007:289).
Infolgedessen intensivierten Germanisierungsprozesse im öffentlichen Leben, allem
voran im Bildungswesen sichtbar. Bereits in den 1830er Jahren begann eine
schleichende Germanisierung in der Provinz Posen, und einsprachige Polen wurden aus
Beamtenstellen verdrängt. 1842 wurde der Deutschunterricht für polnische Schulkinder
obligatorisch und erreichte somit auch die unteren Schichten. Ab 1871 wurden in der
Oberstufe des Gymnasiums alle Fächer, außer Religion und Polnisch, auf Deutsch
unterrichtet. Die polnische Geschichte wurde aus den Geschichtslehrplänen verbannt
und polnische Lehrer vom Dienst suspendiert (Molik, 1992: 85). Ziel war es, hierdurch
die Polen zu assimilieren und zu integrieren. Der katholische Klerus spielte eine große
Rolle in den Schulen, da der Schulunterricht in den unteren Klassenstufen unter
Aufsicht der Abteilungen für Kirchen- und Schulwesen bei den Bezirksregierungen lag.
Damit gewährleistet wurde, dass man wirklich auf Deutsch unterrichtete, musste die
katholische Geistlichkeit vom Schuldienst abgekoppelt werden. 1872 wurde das
Schulaufsichtsgesetz verabschiedet (Rimmele, 1996: 84-88): Das Polnische wurde als
Unterrichtssprache fast vollkommen durch das Deutsche abgelöst. Schulstreiks von
Seiten der Polen wurden niedergeschlagen, jedoch wurden illegale polnische
Schülerverbände immer populärer, in denen geheimer Unterricht in polnischer
Geschichte, Literatur und Geographie auf Polnisch abgehalten wurde, der jedoch nicht
sehr ausführlich war und nicht mit dem Schulunterricht verglichen werden konnte. Man
versuchte auch die polnische Sprache in der Kirche zu verdrängen und durch Predigten
auf Deutsch zu ersetzen sowie die Zahl der deutschen Priester zum Nachteil der
polnischsprachigen Priester zu erhöhen (Molik, 1992: 85). Doch diese gegen die
katholische Kirche gerichtete Politik mobilisierte den Klerus. 1876 wurde darüber
hinaus das Geschäftssprachengesetz verabschiedet, das besagte, das Deutsch als Amts-
und Gerichtssprache festlegte und nicht-deutsche Sprachen aus der öffentlichen Sphäre
verbannte (Nipperdey, 1995: 271). Ende des 19. Jahrhunderts wehrten sich Eltern und
Lehrerschaft und streikten gegen diese Maßnahmen. Doch erst ab 1908 wurden weitere
Maßnahmen unterlassen. Germanisiert wurde in allen öffentlichen Bereichen:
Der öffentliche Dienst ­ auch bei Post und Eisenbahn ­ wurde bis nach unten hin möglichst
,,deutsch" besetzt, die polnischen Volksschullehrer wurden zurückgedrängt. Alle Beamten waren
verpflichtet, die nationaldeutschen Ziele zu verfolgen. Polnische Aktivitäten wurden
bürokratisch eingeengt (Nipperdey, 1995: 274).

16
Doch der Sprachenkampf verstärkte sich auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bis 1912
wurden in der Provinz Posen fast alle Ortsnamen germanisiert. Insgesamt kann
festgehalten werden, dass die Germanisierungspolitik nicht von Erfolg gekrönt war:
,,Nach der offiziellen preußischen Nationalitätenstatistik hat im Gegenteil der
Prozentsatz der nichtdeutschen Bevölkerung zwischen 1858 und 1910 zugenommen, am
stärksten in Ostpreußen und Posen" (von Polenz, 1999: 130).
Zusammenfassend war das Ziel der Germanisierung die Assimilierung der Bevölkerung
durch administrative Maßnahmen sowie das Zurückhalten einer nationalistischen,
polnischen Opposition. Nach 1871 wurde der Sprachenkonflikt zu einem
zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Polen und Preußen, der daran scheiterte, dass
sich Polen nicht in einem neuen Staat unter preußischer Hegemonie integrieren wollten
und es zu unüberwindbaren Differenzen kam, in dem die Deutschen nicht
kompromissbereit waren und die Polen nicht gleichberechtigt wurden (Lawaty, 1986:
41-45). Zwar hob der polnische Historiker Franciszek Ryszka die Reformzeit im
Preußen des 19. Jahrhunderts hervor sowie die daraus resultierende
große Effizienz der Verwaltung, die Fähigkeit, Eliten zu rekrutieren (was eine gewisse Mobilität
voraussetzte), die vorzüglich ausgebaute wirtschaftliche Infrastruktur (Industrie, Kommunikation,
Handel), schließlich die Tolerant in Preußen, die [...] größer gewesen sei als in andren europäischen
Staaten (Lawaty, 1986: 251).
Viele Anhänger der polnischen Intelligenz, die verstärkt Deutsch in der Schule hatten
und sogar an deutschen Universitäten studierten, hatten Merkmale der deutschen
Mentalität verinnerlicht (Molik, 1992: 93). Doch letztendlich war die Sprachpolitik
nicht erfolgreich. Der Staat wurde durch Bürokratie nicht wirklich modernisiert, im
Gegenteil: Es wurden Ängste und Konflikte geschürt, weil es keine Gleichberechtigung
der Minderheiten gab. Die Unterdrückung führte letztendlich dazu, dass die polnische
Intelligenz sich zusammenschloss und aktiv die Nationalbildung schmiedete (Molik,
1992: 87).
4.
Zusammenfassung
Thema der vorliegenden Arbeit war die Sprachpolitik in Imperien am Beispiel der
Germanisierungsmaßnahmen in Preußen und in Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert;
zweitens sollte ein Zusammenhang zwischen Sprachgesetzen und Modernisierung
hergestellt werden.
Eine Germanisierung wurde rigoros in Preußen durchgeführt, wo im 19. Jahrhundert,
vor allem nach Gründung des Deutschen Reiches, Gesetze (Schulaufsichtsgesetz,

17
Geschäftssprachengesetz, Vereinsgesetz etc.) verabschiedet wurden, die das Ziel hatten,
die polnische Bevölkerung zu assimilieren. In der Donaumonarchie sah die
Germanisierung anders aus. Der Nationalitätenkampf machte die Lage in der
Donaumonarchie sehr intransparent: Zwar wurden auch Gesetze verabschiedet, doch
anders als in Preußen wurden die Nationalitäten nicht so hart verfolgt, sondern einfach
nicht berücksichtigt, und es wurde ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, ihrer Sprache
Gewicht zu verleihen. Bürokratische Mittel wurden in beiden Imperien benutzt, um die
Gesellschaft in eine Richtung zu lenken, um Kontrolle und Macht auf unterster Ebene
auszuüben. Vernachlässigt wurde, dass Europa sich in einem Strudel von Nationalismus
befand und dieses dazu führte, dass Sprachminderheiten sich von der imperialen
Herrschaft befreien wollten und die Bildung von ethnisch und sprachlich homogenen
Nationalstaaten anstrebten. Daraus lässt sich schließen, dass auch eine Bürokratisierung,
die Sprachpolitik betrifft, nicht von Erfolg gekrönt sein kann. Um Menschen, mit
verschiedenen Muttersprachen in einem Imperium zu integrieren, hätte ein anderer Weg
eingeschlagen werden müssen. Die verschiedenen Sprachen in den Vielvölkerstaaten
hätten gleichberechtigt werden müssen und föderative Strukturen hätten geschaffen
werden müssen. Doch das Beharren darauf, dass die eigene Sprache mehr wert ist, als
andere, schürte nur den Nationalitätenkampf und bewirkte alles andere als eine
Modernisierung, denn Sprache kann nicht gewaltsam ausgemerzt oder unterdrückt
werden. Sie stiftet nämlich kulturelle und nationale Identität, die ein Mensch braucht,
um sich in einer Gesellschaft eingliedern zu können, und sie muss aus diesem Grund
Teil des gesellschaftlichen Lebens sein, um auf friedliche Art und Weise eine
Gesellschaft wirtschaftlich und politisch voranzubringen. Erst dann kann eine
einheitliche Modernisierung erfolgen, von der jeder profitieren kann.

18
5.
Anhang
Tabelle 1:
Quelle: Fisch, 2002: 105.
Tabelle 2:
Nationalitäten und deren Tätigkeit in Ungarn im Jahre 1910
0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
80,00%
90,00%
100,00%
Ruthenen
Rumänen
Deutsche
Ungarn
Bevö
lker
un
gsan
tei
l
Landwirtschaft
Gewerbe/Handel/Verkehr
Quelle: Fisch, 2002: 119.

19
Tabelle 3:
Nationalitäten und deren Tätigkeit in Cisleithanien im Jahre 1910
0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
80,00%
90,00%
100,00%
Ruthenen
Deutsche
Bevö
lker
un
gsan
tei
l
Landwirtschaft
Gewerbe/Handel/Verkehr

20
6.
Bibliographie
1
6.1.
Selbständige Veröffentlichungen
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Das Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit wurde gemäß dem Leitfaden zur Anfertigung von
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6.2.
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Klattenhof, Klaus, Unterrichtssprache als Herrschaftsinstrument. Zur Geschichte der
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(Hg.): Bildung und Gesellschaft im Wandel. Bilanz und Perspektiven der
Erziehungswissenschaft. Friedrich W. Busch und Jost von Maydell zum 60. Geburtstag.
Oldenburg 1999, S. 61-79
Labbé, Morgane, Institutionalizing the Statistics of Nationality in Prussia in the 19
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Leszek, Belzyt, Die Zahl der Sorben in der amtlichen Sprachenstatistik vor dem Ersten
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170.
Molik, Witold, Assimilation der polnischen Intelligenz im preußischen Teilungsgebiet
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22
Stachel, Peter, Ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrunde ging. Die
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(Hgg.), Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analysen zur Geschichte und
Identität Österreichs in der Moderne. Innsbruck 2001, S. 11-45.
Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Sprachpolitik in Imperien. Germanisierung in Preußen und in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im 19. Jahrhundert
Hochschule
Université du Luxembourg
Autor
Jahr
2010
Seiten
22
Katalognummer
V339249
ISBN (eBook)
9783668287402
ISBN (Buch)
9783668287419
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachpolitik, imperien, germanisierung, preußen, österreichisch-ungarischen, monarchie, jahrhundert
Arbeit zitieren
Christian Sorce (Autor:in), 2010, Sprachpolitik in Imperien. Germanisierung in Preußen und in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339249

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