Grundlagen und Methoden der Systemischen Beratung in der Sozialen Arbeit


Hausarbeit, 2003

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung:

1) Systemische Grundlagen
1.1 System
1.1.1 Struktur des System
1.1.2 Soziales System
1.1.3 Psychische Systeme

2) Systemische Beratung
2.1 Inhalte
2.2 Systemtheoretisches Verständnis
2.3 Ziele und Rolle des Beraters
2.4 Handlungsleitende Prinzipien

3) Methoden und Techniken der systemischen Beratung
3.1 Joining
3.2 Genogramm
3.3 Refraiming (Umdeutung)
3.4 Skulpturen
3.5 Zirkuläres Fragen

4) Systemische Beratung in Abgrenzung zur Therapie

5) Stellungnahme

6) Literaturverzeichnis

1) Systemische Grundlagen

1.1 System

„Ein System ist ein Aggregat von Objekten zusammen mit den Beziehungen zwischen den Objekten und zwischen ihren Merkmalen. Zentral ist, dass es um die Betrachtung der Beziehungen zwischen und nicht der Natur von Phänomenen geht.“1

1.1.1 Struktur des System

„Systeme sind Ganzheiten“2, sie erfassen ganzheitliche Zusammenhänge. Ein System ist mehr als die Summe seiner Einzelteile, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Das Systemische Denken lehnt sich nicht mehr an die Ursache-Wirkungs Sichtweise, sondern an eine zirkuläre Sichtweise (dabei entstehen keine „Schuldfragen“ mehr). Alles ist in Wechselwirkung aufeinander bezogen. Jede Veränderung des einzelnen Teils bringt eine Veränderung im gesamten System mit sich. Dies bedeutet, dass Systeme nicht nur auf die Umwelt reagieren, sondern auch auf sich selbst. Dadurch befinden sich Systeme immer in einem Übergang bzw. einem Fluss. Die Entwicklung der Systeme vollzieht sich nach systemtheoretischer Sicht stufenförmig, nicht linear.

Systeme sind zerlegbar in Subsysteme, die auch als eigenständiges System betrachtet werden können. Diese sind hierarchisch gestaffelt, das bedeutet, dass ein übergeordnetes System die „kleineren“ umfaßt. Die gesamte Komplexität der Systeme ist nicht erfassbar. Jeder Mensch gehört verschiedenen Systemen an, in denen er unterschiedliche Positionen einnimmt.

Aus diesem Grund benötigen Systeme klare Grenzen, diese müssen so gut abgesteckt sein, „dass die Mitglieder des jeweiligen Subsystems ihre Funktion ohne unzulässige Einmischung von außen vollziehen können.“3 Durch die Grenzen wird auch der Sinn des Systems bestimmt. (Die Grenzen werden bei dem Punkt „Soziales System“ näher erläutert.) Von Triangulation wird gesprochen, wenn eine Person eine signifikante Funktion für Spannungen in einem anderen Subsystem erhält.4 Die Beziehung der Objekte in einem System werden durch Regeln bestimmt.

Nach der Systemtheorie sind alle Systeme offen, da sich die lebenden Systeme im Austausch mit ihrer Umgebung befinden. Demgegenüber stehen noch die geschlossenen Systeme, wie z. B. eine Maschine (kein Computer), die keinen Austausch mit ihrer Umwelt haben.5

1.1.2 Soziales System

Soziale Systeme basieren auf dem Operationsmodus der Kommunikation, bzw. Interaktion.

„Durch die Trennung von sozialen und psychischen Systemen kann eine soziale in sich geschlossene Dynamik der Operationsweise von Kommunikation und Beziehungen beschrieben werden, innerhalb derer sich die intrapsychischen Prozesse der Einzelnen bewegen und durch jene beeinflusst werden. Auf der anderen Seite kann bei einer Fokussierung auf psychische Systeme Zugang zu individualpsychologischen Phänomenen geschaffen werden, die ihrerseits das kommunikative Handeln des Einzelnen bestimmen und so Einfluss auf die interaktionale und damit soziale Ebene nehmen.“6

Systeme entstehen durch die Abgrenzung der Umwelt, aber sie sind strukturell an ihrer Umwelt orientiert. Die Grenzen des sozialen Systems treffen nach bestimmten Kriterien eine Auswahl, z. B. wer zu dem System gehört oder nicht. „Damit stehen die Grenzen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Sinn des Systems.“7 Jedes soziale System hat eine spezifische Sinnstruktur.

Ein System muss komplex sein, aber um so größer die Komplexität ist, ist das System gezwungen zu differenzieren. Die Umwelt ist aber immer vielschichtiger, als das System selbst. Zwischen Umweltursachen und Systemwirkungen bestehen keine engen Verknüpfungen, soziale Systeme reagieren auf äußere Einflüsse sehr gering. Die Verarbeitung und Anwendung verschiedener Umwelteinflüsse hängt stark vom Zustand des Systems ab. Die Systeme reagieren somit auf sich selbst. Aber ein System könnte auch nicht ohne irgendwelche Umweltreize bestehen, denn Systeme sind umweltoffen.

Systeme haben eine operationale Geschlossenheit. Das System hat aber dennoch die Fähigkeit sich anzuschließen, d. h. neue Komponenten / Relationen auszudifferenzieren. Durch den Prozess der Selbstreferenzialität hat das System die Möglichkeit, zu neuen Ergebnissen zu kommen. Wenn dies nicht so wäre, wäre für das System keine Entwicklung möglich, es würde erstarren. Dazu kommt noch die Selbsterhaltung und –erzeugung bei lebenden Systemen, diese stellen sich selbst her, sie sind also autopoietisch. Die Anregungen treffen durch die Umwelt auf das System, aber nur das System ist in der Lage, die Anregungen aufzunehmen und sich zu verändern.

Innerhalb des Systems gibt die Struktur den Rahmen an, in dem eine Veränderung möglich ist. Diese Struktur steht im Wechselverhältnis mit der Entwicklungsmöglichkeit. Wenn eines der beiden verändert oder erweitert wird, geschieht dies auch mit dem anderen. Auch bedingen sich Struktur und Wandel gegenseitig.

Jedes soziale System orientiert sich an einem „Sinn“. „Unter sinnhaft verstehbaren Symbolsystemen ist Kommunikation gemeint. Sinn wird im sozialen Systemen über Kommunikation prozessiert.“8 Die Grenzen zur Umwelt werden als Sinngrenzen verstanden, da auch die Umwelt einen bestimmten Sinn hat. Der Sinn ist ein Unterscheidungskriterium für soziale Systeme und er strukturiert die Systeme. Wenn man den Sinn eines Systems näher analysieren möchte, kann man die Sinnverarbeitung in drei Dimensionen bestimmen.

1. Sachdimension: Hier wird die Kommunikation in „dies“ und „anders“ unterschieden, hieran kann man feststellen an welchen Themen sich eine Gruppe orientiert.
2. Zeitdimension: Hier wird in „vorher“ und „nachher“ unterschieden; Zeit wird hier durch Kommunikation verarbeitet und differenziert, hieran kann man feststellen, was sich innerhalb einer Zeit in einem System geändert hat.
3. Sozialdimension: Hier wird unterschieden in „Ego“ und „Alter-Ego“, dadurch können im Kommunikationsprozess verschiedene Perspektiven der einzelnen Personen berücksichtigt werden, hieran kann man feststellen, wie die Umgang der einzelnen Gruppenmitgliedern miteinander ist.

Bei der Kommunikation in der systemischen Sichtweise kann man nicht von einer einfachen Übertragung von Informationen ausgehen, da das Gesendete und Empfangene nicht das Gleiche sein kann. Bei dieser Sichtweise werden die sozialen Systeme einzelnen betrachtet. Es entsteht ein zirkuläres Spiel von aneinander gereihten Kommunikationseinheiten. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikation, nicht aus Menschen. Systeme werden durch die Kommunikation aufrechterhalten, auch die Kommunikation hat einen Sinn. Kommunikation basiert auf Risiko, Akzeptanz und Folgen.

Die Informationsbildung wird als Eigenleistung eines Systems angesehen, da Informationen keinen dinghaften Charakter haben. Die Informationen sind innerhalb von den Strukturen eines Systems Ereignisse.

Die Struktur eines Systems umfaßt „die Bestandteile und Relationen“ [...] „die auf spezifische Art ein bestimmtes System konstituieren und aufrechterhalten.“9 Diese Struktur basiert auf einem permanenten dynamischen Prozess. „Wesentliche Komponenten dieser Struktur stellen die kommunikativen Muster, die Interdependenzen, die gegenseitigen Erwartungen, die verschiedenen Subsysteme und deren Art des Zusammenwirkens, die Kommunikationsmuster einzelner Mitglieder, Regeln und die Handhabung der Grenzen dar.“10

Einem Sozialsystem kann man folgende Merkmale zuschreiben:

1. Grenzen: Die Grenzen lassen sich in Umweltgrenze und interne Grenzen unterteilen. Die internen Grenzen lassen sich in klare, diffuse und starre Grenzen unterscheiden.
2. Regeln: Die Grundlage des Kommunikationsprozesses im System sind die Regeln. Diese machen das Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder in bestimmter Weise voraussagbar. „Damit wird die doppelte kontingente Unsicherheit kompensiert, Struktur, Sicherheit und Identität im Sozialen System ermöglicht.“11 Die Regeln werden unterteilt in offene und verdeckte Regeln. Die offenen Regeln sind bewußte, klar erkennbare Regeln. Die verdeckten Regeln sind unbewusst und nicht so leicht zu erkennen, und können deshalb nicht so schnell verändert werden.
3. Kommunikationsmuster: „Kommunikationsmuster in sozialen Einheiten ergeben sich durch die spezifische Handhabung der Grenzen des Systems, durch die Orientierung an Spielregeln, aber auch durch individuelle Erlebnisweisen und Wirklichkeitskonstrukten der Beteiligten, die dem kommunikativen Handeln zu Grunde liegen.“12 Hierbei kann in individuelle Kommunikationsmuster und Kommunikationsmuster der Gruppe unterschieden werden. Bei dem Kommunikationsmuster der Gruppe kann man als Berater erkennen, inwieweit verschiedene Einstellungen und Sichtweisen von Einzelnen in der Gruppe akzeptiert und integriert werden.

Bei den individuellen Kommunikationsmustern wird deutlich, das die Kommunikation auch in einem Zusammenhang mit dem Selbstwert der Person steht, da Interaktionen mit der Relation der Innenwelt in Verbindung stehen. Um mit Problemen umzugehen reagieren manche Menschen mit Beschwichtigen, Beschuldigen, Rationalisieren oder durch Ablenken. Die Probleme werden damit aber nicht gelöst, sondern nur verdrängt. Ziel sollte es sein, eine ganzheitliches, kongruentes Verhalten der Kommunikation herbeizuführen.

4. Beziehungsmuster: Durch diese beschriebenen Zusammenhänge lassen sich jetzt „in Anlehnung an die strukturelle Familientherapie Beziehungsmuster in sozialen Systemen aufzeigen. Es handelt sich gewissermaßen um eine mit dem Kommunikationsprozess einhergehende Beziehungsgestaltung der Beteiligten, die sich zu beschreibbaren Strukturen verdichtet.“13 Um die Systemstruktur genauer zu erfassen, ist es möglich sich von den „Betroffenen“ Beziehungslandkarten aufzeichnen zu lassen. Die „Systemhypothese enthält meist Annahmen über die Rolle und Macht jedes Familienmitgliedes innerhalb der Familie, über die Grenzen der Subsysteme, über Konflikte und deren Umleitung sowie über Koalitionen.“14 Die Beziehungslandkarte kann eine Orientierungsfunktion für den Berater bieten, sie hat aber auch eine Interventionsfunktion, die zu neuen Sichtweise der Systemmitgliedern führen kann.

Mit diesen Grundlagen ist es möglich den Begriff „Soziales System“ näher zu definieren: „Ein soziales System läßt sich als eine Einheit definieren, die sich von ihrer Umwelt abgrenzt. Sie konstituiert sich auf der Basis der doppelten Kontingenz durch selektive Kommunikationsprozesse und bildet eine Struktur aus, die Umfeldabgrenzungen ermöglicht. Letztelement ist Kommunikation, die als Handlung begriffen, eine Auswahl aus kontingenten Möglichkeiten trifft. Auf der Grundlage einzelner Kommunikationshandlungen, die sich an einem spezifischen „Systemsinn“ orientieren, kann sich der selbstreferenzielle/autopoietische Prozess der Selbsterhaltung sozialer Systeme entfalten.“15 16

1.1.3 Psychische Systeme

Einige Grundlagen, die für das soziale System gelten, gelten auch für die psychischen Systeme, wie z. B. dass sie operational geschlossen und autopoietisch sind. Außerdem verarbeiten sie auch auf spezifische Weise Sinn.

Bei einem bewußten Selbstbezug entsteht ein psychisches System. Eine Beziehung muss zu sich selbst aufgebaut werden, so dass Bewußtsein entstehen kann. „Ein psychisches System entsteht durch einen Unterschied: Eine personale Einheit unterscheidet sich von sich selbst, um mit Hilfe eines Subsystems (Selbstbeobachtung) eine Beziehung aufzubauen zu sich selbst und der eigenen Umweltkontaktgestaltung. Das psychische System kann also verstanden werden als eine Beziehung zum Selbst und zur eigenen Umweltbeziehung. Es ist die Einheit der Differenz von „Selbst“ und „Selbstbeochtung“17

[...]


1 Schlippe 1995 S. 22

2 Schlippe 1995 S. 22

3 Schlippe 1995 S. 51

4 Vgl. Schlippe 1995 S. 52 ff

5 Vgl. Schlippe 1995 S. 20-29

6 Barthelmeß 1999 S. 16

7 Barthelmeß 1999 S. 18

8 Barthelmeß 1999 S. 29

9 Barthelmeß 1999 S. 37

10 Barthelmeß 1999 S. 37

11 Barthelmeß 1999 S. 39

12 Barthelmeß 1999 S. 40

13 Barthelmeß 1999 S. 42

14 Schlippe 1995 S. 56

15 Barthelmeß 1999 S. 45

16 Vlg. Barthelmeß 1999 S. 17-45

17 Barthelmeß 1999 S. 46

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Grundlagen und Methoden der Systemischen Beratung in der Sozialen Arbeit
Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V33803
ISBN (eBook)
9783638341905
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemische, Beratung
Arbeit zitieren
Nadine Reiner (Autor:in), 2003, Grundlagen und Methoden der Systemischen Beratung in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33803

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