Medienpädagogische Kompetenz in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Qualitative Inhaltsanalyse der Aussagen von fünf Fachlehrkräften der ErzieherInnenausbildung


Masterarbeit, 2015

160 Seiten, Note: 1.4


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Theoretischer Bezugsrahmen und Forschungsstand
2.1 Medienbegriff
2.2 Kompetenzbegriff
2.3 Modellbegriff
2.4 Medienkompetenz
2.4.1 Medienpädagogik
2.4.2 Erwachsenenbildung
2.5 Medienpädagogische Kompetenz
2.6 Zur Relevanz von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz für das medienbezogene Handeln von (früh)pädagogischen Fachkräften
2.7 Vorgaben des Lehrplanes und des Bildungsplanes in Bayern
2.7.1 Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan
2.7.2 Lehrplan für die Fachakademie für Sozialpädagogik

3. Methodisches Design
3.1 Forschungsinteresse und Problemstellung
3.2 Methodenwahl
3.3 Forschungsfeld und Stichprobe
3.4 Leitfaden
3.5 Durchführung
3.6 Auswertung

4. Ergebnisse
4.1 Interview B1
4.1.1 Subjektive Modelle von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.1.2 Erarbeitung von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.2 Interview B2
4.2.1 Subjektive Modelle von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.2.2 Erarbeitung von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.3 Interview B3
4.3.1 Subjektive Modelle von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.3.2 Erarbeitung von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen
4.4 Interview B4
4.4.1 Subjektive Modelle von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.4.2 Erarbeitung von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.5 Interview B5
4.5.1 Subjektive Modelle von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.5.2 Erarbeitung von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz
4.6 Beantwortung der Forschungsfragen
4.6.1 Hypothese 1
4.6.2 Hypothese 2
4.6.3 Hypothese 3
4.6.4 Hypothese 4
4.6.5 Hypothese 5
4.6.6 Zusammenfassung

5. Diskussion
5.1 Medienkompetenz als mehrdeutige Basis- und Zielkompetenz
5.2 Modellierung medienpädagogischer Kompetenzen
5.3 Unterrichtsinhalte
5.4 Zusammenfassung
5.5 Grenzen der Erhebung

6. Fazit und Ausblick

7. Literatur

8. Anhang und Verzeichnisse
8.1 Tabellen
Kategorienschema
Auswertungstabellen
Zitate B1
Zitate B2
Zitate B3
Zitate B4
Zitate B5
8.2 Abbildungen

9. Abstracts

1. Einführung

Die Qualität der Ausbildung der ErzieherInnen1 in Deutschland wird in den letzten Jahren verstärkt diskutiert. Es wird, auch mit Blick auf die Situation in anderen europäischen Ländern, eine Akademisierung des Erzieherberufes angestrebt. Zudem wird die Notwendigkeit medienpädagogischer (Weiter-)qualifizierung des Personals in Bildungsinstitutionen, Kindertagesstätten und Einrichtungen der Jugendbetreuung von Wissenschaft und Politik gefordert (vgl. Röll, 2013). Da digitale Medien und mediale Kommunikation immer präsenter und bedeutender werden, sehen Experten die Förderung einer möglichst umfassenden Medienkompetenz für alle Altersgruppen als bedeutend an (vgl. z.B. Six & Gimmler, 2007; Zu einer umfassenden Darstellung von Kindern und Medien siehe Six, 2007). Dabei spielen die ErzieherInnen eine wichtige Rolle.

Ulrike Six & Roland Gimmler kommen in ihrer jüngsten Folge-Studie Die Förderung von Medienkompetenz im Kindergarten zu der Aussage, dass für die Praxis der Medienerziehung neben den institutionellen Rahmenbedingungen

„eine wesentliche Determinante [͙΁ die usbildung zur Medienerziehung im Kindergarten betrifft, insofern davon auszugehen ist, dass sie den Grundstein für das spätere medienerzieherische Verhalten und Handeln legt: Wer bereits in der Ausbildung medienpädagogisch relevante Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben hat und dabei auch erfahren hat, was Medienerziehung umfasst und weshalb sie notwendig ist, wird später mit anderen Voraussetzungen und vermutlich in entsprechend anderer Weise Medienerziehung praktizieren, als wenn solche Inhalte nicht oder kaum zur Ausbildung gehörten.“

(Six & Gimmler 2007:30; ebd.:276).

Angedeutet ist hier, dass erfolgreicher Lerntransfer nie allein in der Hand des Lehrenden liegen kann, sondern dass andere Einflussfaktoren wie der institutionelle Kontext und, wie in Theorien des Lehrens und Lernens (z.B. Rindermann, 2001) festgestellt, die Lernenden von zentraler Bedeutung sind. In aktuellen didaktischen Angebots-Nutzungs-Modellen wird die Situation im Unterricht konstruktivistisch verstanden. Dabei beeinflussen kulturelle, ökonomische und schulische Bedingungen, kognitive und soziale Merkmale der Klasse sowie Kompetenzen der Lehrkraft (Professionswissen, Überzeugungen, Motivation, Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen selbstbezogene Kognitionen) deren Handeln und die Qualität und Quantität der Lehrangebote (Lipowsky, 2006).

Tatsächlich stellen die Autoren Six & Gimmler fest, dass die Nutzung von Praxisbeispielen oder Weiterbildungsangeboten durch ErzieherInnen im Beruf neben dem institutionellen Kontext nicht allein durch die medienpädagogische Ausbildung sondern insbesondere durch individuelle Faktoren, und dabei nicht zuletzt durch die Einsicht der Notwendigkeit von Medienerziehung2 bestimmt wird (2007). Nichtsdestotrotz schreiben die Autoren in ihren Ergebnissen der Ausbildung einen wesentlichen Beitrag zur Sensibilisierung für Fragen um das Thema Medienerziehung im Kindergarten zu (ebd.). In der ErzieherInnenausbildung in NRW stellen die Autoren jedoch einen durchgängigen Mangel an relevanten Themen und eine fehlende Systematik fest, ein Konzept würde nicht vermittelt (ebd.).

Die Qualität der Ausbildung beeinflusst auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur weiteren Fortbildung im Berufsleben. Six & Gimmler konstatieren ein sinkendes privates Interesse auf ErzieherInnenseite an medienpädagogischen Themen und Fragestellungen, einhergehend mit einem steigenden Interesse an Themen, die nur den reinen Medieneinsatz in Kindertagesstätten betreffen (ebd.). Als Ursache dafür sehen die Autoren eine allgemeine Orientierungslosigkeit sowohl in Kindergärten als auch in Institutionen der ErzieherInnenausbildung. Sie haben bei ErzieherInnen und deren Lehrkräften eine Verunsicherung durch in den Medien veröffentlichte konträre Standpunkte zu Funktionen von Medien im Kindesalter festgestellt, die aufgrund fehlenden Beurteilungsvermögens durch Mangel an Hintergrundwissen zum Verlust des thematischen Interesses bei ErzieherInnen führte (ebd.). Auch Marci-Böhncke & Rath haben in Übereinstimmung dazu festgestellt, dass es den ErzieherInnen mit Bezug auf mediengestützte Bildungsarbeit „vor allem an Sicherheit und Zutrauen mangelt“ (2012:25).

Einstellungen gegenüber Medien werden häufig professionstheoretisch mit Bezug zu bereits tätigen oder bei angehenden Lehrkräften erforscht. Sigrid Blömeke hat die Bedeutung der Fachspezifität von Erfahrungen in Bezug zur Veränderung von Einstellungen zu „neuen Medien“3 bei Lehramtsstudierenden untersucht. Sie stellte empirische Ergebnisse vor, denen zufolge eine allgemeine positive Einstellung zu neuen Medien Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen Voraussetzung für den Medieneinsatz im Unterricht ist (2007). Zudem ergeben ihre Daten einen positiven fachspezifischen Zusammenhang von Medienerfahrung und späterem Medieneinsatz. Spezifische Erfahrungen mit Medien scheinen somit einflussreicher für die Auseinandersetzung mit Medien im späteren Berufsleben einer Lehrkraft (ebd.). Übertragen auf ErzieherInnen wäre zu erforschen, welche Erfahrungen mit Medien in der Ausbildung die spätere Bereitschaft zum Medieneinsatz positiv beeinflussen und welche Maßnahmen zur Beeinflussung der Einsicht in die Notwendigkeit von Medienerziehung innerhalb der Ausbildung möglich und nötig sind. Schneider et. al kommen, allgemein und nicht fach- oder medienspezifisch wie Blömeke, zu dem Ergebnis, dass eine hohe Selbsteinschätzung der eigenen Medienkompetenz sowie eine positive Einstellung zu Medien neben anderen Aspekten grundlegend für eine Motivation zu medienpädagogischem Handeln sind (ebd.). Die Fachspezifität von Medienerfahrungen ist mit Bezug zum Fach Medienpädagogik bisher jedoch nicht präsent in der Forschungsliteratur. Allerdings gibt es eine breite Diskussion um Bildungsstandards mit Bezug zur Lehrerausbildung (s. Tulodziecki, 2015).

Die vorliegende Studie befasst sich mit den medienpädagogischen Kompetenz-Konzepten der Lehrkräfte angehender ErzieherInnen im Fach Literatur- und Medienpädagogik (LMP) an bayerischen Fachakademien der Sozialpädagogik.4 Laut aktuellem Rahmenplan von 2013 ist die Vermittlung von Medienkompetenz als Querschnittsaufgabe der Ausbildung definiert. In Anlehnung an Dieter Baackes Modell der Medienkompetenz wird das angestrebte Ergebnis mit den Dimensionen Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung beschrieben.5 Dies soll mithilfe der Grundsätze der Ausbildung wie Kompetenzorientierung, Handlungsorientierung, Entwicklungsorientierung sowie Unterrichtsprinzipien des Konstruktivismus erreicht werden (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2013). Als Zielkategorie der Ausbildung ist ausschließlich von Medienkompetenz die Rede. Das seit ca. 2000 in Fachdiskussionen als Voraussetzung für erfolgreiche medienpädagogische Arbeit diskutierte Konzept der medienpädagogischen Kompetenz wird als Zielkategorie jedoch nicht explizit erwähnt.

Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen Im Fokus der Arbeit steht daher die Frage, wie tätige LMP-Lehrkräfte medienpädagogische Kompetenz verstehen. Ziel dieser Studie ist es, einen allgemeinen Beitrag zur Diskussion um die ErzieherInnenausbildung zu leisten. Insbesondere sollen für die Modellierung medienpädagogischer Kompetenz mit Bezug zur ErzieherInnenausbildung Anregungen erarbeitet werden. Hinsichtlich der Bedeutung von medienpädagogischen Kompetenzmodellen für den Lehrplan der Ausbildung sollen erste Schlüsse gezogen werden.

Dorothee M. Meister et. al. analysieren in ihrer Studie Chancen und Potenziale digitaler Medien zur Umsetzung des Bildungsauftrags in Kindertageseinrichtungen in NRW die Bildungs- und Erziehungspläne dreier Bundesländer, NRW, Bayern und Sachsen-Anhalt. Mit Bezug zum bayerischen Konzept halten die Autoren fest, dass es sich „um ein gelungenes, theoretisch fundiertes und praktisch eingebettetes Konzept“ handele, das „explizit die Frühförderung von unter Dreijährigen in den Blick nehme“ (2012:9).

Neben dem Lehrplan der ErzieherInnenausbildung stellt dieser Bildungsplan eine weitere konzeptionelle und pädagogische Handlungsanweisung für die Zielgruppe der medienpädagogischen AusbilderInnen dar. Inwieweit die Konzeptionen mit Bezug auf das Verständnis von medienpädagogischer Kompetenz Relevanz haben, wird zu klären sein. Festzuhalten ist, dass die Bedeutung dieser Forschungsarbeit u.a. darin liegt, dass Bayern eines der wenigen Bundesländer ist, in dem innerhalb der ErzieherInnenausbildung Medienerziehung konzeptuell gefördert wird und als eigenes (zentral geprüftes) Prüfungsfach Literatur- und Medienpädagogik (LMP) etabliert ist.6

Zum Forschungsfeld dieser Studie, dem literatur- und medienpädagogischen Unterricht an bayerischen Fachakademien der Sozialpädagogik liegen bisher keine Publikationen vor. Zu anderen Bundesländern liegen empirische Arbeiten vor, die jedoch zumeist den Fokus auf die ErzieherInnen im Berufsleben und auf Medienbildung in Kindertagesstätten legen (Six & Gimmler, 1998, 2007; Marci-Boehncke & Rath, 2007, 2011; Schneider et. al., 2010; Friedrichs, 2013). In diesen vorliegenden Studien lassen sich jedoch wichtige Aspekte für diese Forschungsarbeit erkennen.

Henrike Friedrichs befragte von 2011-2012 in NRW ErzieherausbilderInnen aus dem Bereich Medienpädagogik zu ihren Unterrichtsschwerpunkten (Friedrichs, 2013). Gemeinsam ist Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen ihren InformantInnen das Vorgehen, mit einer Medienbiografie der angehenden ErzieherInnen zu beginnen. Darin reflektieren die Auszubildenden ihre eigene Kindheit und eigene Mediennutzung und vergleichen ihre eigene Kindheit mit der heutigen, stärker mediatisierten Kindheit. Als Unterrichtsziel gaben die medienpädagogischen Lehrkräfte Friedrichs gegenüber zu einem großen Teil an, dass sie den angehenden ErzieherInnen „die Relevanz von Medienerziehung in der Kita verdeutlichen wollen“ (Friedrichs & Meister 2015:288). Unterschiedliche Foki stellten sich hinsichtlich der Förderung von kritischer Medienreflexion heraus: Einige medienpädagogische Lehrkräfte legten mehr Gewicht auf eine allgemeine Medienkritikfähigkeit der angehenden ErzieherInnen, beispielweise in Bezug auf Auswirkungen der Kommerzialisierung oder Verletzung der Privatsphäre, andere auf die Analyse von Medieninhalten für Kinder in Bezug auf pädagogische Anforderungen (ebd.).

Mit Bezug zu handlungsorientierter Medienarbeit teilten sich die Informantinnen von Friedrichs in zwei Lager. Die eine Hälfte lässt die angehenden ErzieherInnen im Unterricht Medienprojekte mit den anderen Auszubildenden selbst durchführen und Produkte erstellen, die andere Hälfte der FachlehrerInnen lässt die angehenden ErzieherInnen im Unterricht Medienprojekte für die Kita konzeptionieren (ebd.). Six & Gimmler erhielten in Telefoninterviews mit medienpädagogischen FachlehrerInnen in NRW vier hauptsächliche Schwerpunkte des Unterrichts: Vermittlung von Wissen zu Medienarten und Medienangeboten (u.a. Kenntnis des Medienmarktes für Kinder) Beurteilung von Medienangeboten (Wirkungen und Angemessenheit), Medienwirkung auf Kinder und Praxis der Medienarbeit im Kindergarten (2007).

Aus der Kritik an der gegebenen Situation der Medienerziehung in Kitas ergeben sich aus den vorliegenden Studien konkrete Anregungen und Forderungen mit Bezug auf die Inhalte der Ausbildung: Friedrichs & Meister und Six & Gimmler stellen übereinstimmend fest, dass mehr medienpädagogische Praxiserfahrungen mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Ausbildung nötig seien (Friedrichs & Meister, 2015). Dabei gehe es auch um Anregungen für die alltägliche Medienarbeit und nicht um einzelne besondere Projekte.

Friedrichs hält zudem mit Bezug auf die Fach-Systematik fest, dass eine Verknüpfung von elektronischen und Printmedien sinnvoll wäre, da bei ihren InformantInnen die elektronischen Medien nachrangig behandelt wurden (ebd.). Beate Schneider et. al. kritisieren als Ergebnis ihrer Studie Medienpädagogische Kompetenz in Kinderschuhen in Niedersachsen eine „beharrliche Bevorzugung von Printmedien“ durch ErzieherInnen und

Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen fordern als Gegenmittel allgemein, wie auch Six & Gimmler, dass medienpädagogische Elemente systematisch in die Ausbildung der ErzieherInnen integriert werden (2010:109ff).

Im Lehrplan bayerischer Fachakademien für Sozialpädagogik ist eine übergreifende Integration medienpädagogischer Inhalte zwar allgemein vorgesehen und Literatur- und Medienpädagogik als Prüfungsfach etabliert. Dennoch sollen hier die Konzepte der Fach- Lehrkräfte speziell mit Bezug auf das Verständnis medienpädagogischer Kompetenz hinterfragt werden, um einen Beitrag zu einer induktiv ausgerichteten Modellierung medienpädagogischer Kompetenz für die ErzieherInnenausbildung zu leisten.

Persönliche Gründe für die Auswahl dieses Themas liegen neben beruflichen Vorerfahrungen im Bereich der Medienpädagogik im Dasein als Mutter, woraus auch ein Interesse an der Qualität der Medienerziehung in Institutionen der Kinder- und Jugendbetreuung erwächst. Zudem hat sich aus einem Forschungsprojekt des JFF, an dem ich beteiligt war, das Forschungsfeld der beruflichen Bildung herausgestellt, das im Anschluss dann in Richtung des Faches LMP an Fachakademien der Sozialpädagogik konkretisiert wurde.

2. Theoretischer Bezugsrahmen und Forschungsstand

Den theoretischen Rahmen für die vorliegende Studie bilden Theorien zur Medienkompetenz und zu medienpädagogischer Kompetenz. Dazu werden vor allem medienpädagogische Texte und Modelle aus der Lehrerbildung, dem Schul- und Hochschulkontext herangezogen sowie die bildungspolitische Diskussion reflektiert.

2.1 Medienbegriff

Bevor einzelne Autoren und ihre Konzepte von Medienkompetenz und medienpädagogischer Kompetenz vorgestellt werden, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die Autoren (auch die medienpädagogischer Werke) in Bezug auf ihr Verständnis des Begriffs „Medien“ häufig unterscheiden.

André Gysbers beklagt, dass die Publikationswissenschaften es bislang versäumt haben, den Medienbegriff theoretisch zu definieren (2008). Eine Ursache der fehlenden Klarheit ist nach Sigrid Blömeke in den rasanten technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu sehen. Die Mediendefinition könne, da sie sich auf die aktuellen technischen Entwicklungen beziehen muss, „keine dauerhafte - statische - Beschreibung“ sein (2000:68).

Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen Dieter Spanhel kritisiert diesen Punkt des benötigten Neubezuges bei technischen Entwicklungen mit der Begründung, dass die „funktionalen Aspekte in Bezug auf Kommunikation“ häufig nicht genau genug „erläutert und in Bezug auf mögliche Konsequenzen für pädagogische Prozesse untersucht“ würden (2011: 69). Daraus resultiere, „dass die jeweils neu auftretenden Medien in ihren spezifischen Merkmalen und Leistungen aus pädagogischer Sicht immer wieder neu analysiert und beurteilt werden müssen“ (ebd.).

Unterschiede im Verständnis des Medienbegriffs bestehen u.a. in Untergliederungen oder Spezifikationen in Bezug auf technische Funktionsweisen, jedoch insbesondere in Bezug auf den Einbezug oder Ausschluss von personalen oder primären7 Medien wie Mimik, Gestik und Sprache (vgl. u.a. Blömeke, 2000; Spanhel, 2011). Einige Autoren unterscheiden Medien zudem nach materiellen Gesichtspunkten in Druckmedien und technische Medien oder mit Bezug auf die angesprochenen Sinne nach auditiven, visuellen, audiovisuellen und haptischen Medien (vgl. Gysbers, 2008). Tulodziecki et. al. unterscheiden Medien nach den Formen der Erfahrung (abbildhafte, symbolische) sowie der Sinnesmodalität (visuelle, auditive) mit jeweiligen Unterteilungen (2010). Edwin Hübner weist darauf hin, dass bei der Betrachtung von Medien drei Schichten unterschieden werden müssen:

1. Medieninhalt (was der Mensch inhaltlich wahrnehmen kann)
2. Medienform (das Verfahren, wie etwas vermittelt oder präsentiert wird)
3. Medienträger (die materielle Grundlage, auf oder innerhalb derer sich das Verfahren vollzieht) (2015).

In Bezug auf das medienpädagogische Handeln mit Zielgruppen verschiedener Altersstufen ist in der deutschsprachigen medienpädagogischen Literatur ein Verständnis von Medien als technische (analoge und digitale) Beteiligte an Kommunikationsprozessen verbreitet, wobei zwischen Individual- und Massenkommunikation nicht getrennt wird (vgl. Groeben, 2002). Blömeke versteht Medien als Teil eines „Kommunikationsprozesses mit Bezug zu Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe, Vervielfältigung, Übertragung und Verteilung, sowie Verarbeitung von Informationen“ (2000:67). Die Kommunikation finde indirekt statt, da zwischen den Kommunikationspartnern „räumliche, zeitliche oder räumlich-zeitliche Distanz“ herrscht (ebd.). Der Medienbegriff bezieht sich bei Blömeke „zum einen auf die Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen grundsätzliche Funktion der Medien als Teil eines Kommunikationsprozesses und zum anderen auf einen generellen Technikbegriff“, der technische Neuentwicklungen einbeziehen kann (ebd.:68). Groeben möchte unter Medien technologische Kommunikationsmittel bzw. -instrumente verstanden wissen, „ohne aber zu vernachlässigen, dass damit auch Sozialisationsinstanzen vorliegen, die das Selbst- und Weltbild der Individuen beeinflussen“ (2002:160).

Der in der deutschsprachigen medienpädagogischen Diskussion verbreitete allgemeine Medienbegriff ist auch bei Spanhel zu finden. Für den Aufgabenbereich der Medienerziehung definiert er Medien mit Wragge-Lange8 als

„[…]alle symbolischen und/oder ikonisch gefassten

Repräsentationen von Sinn, die in einer technischen Fixierung veröffentlicht wurden und damit diskutierbar sind“. (Spanhel 2011:69 nach Wragge-Lange, 1996).

Durchgesetzt hat sich in der Medienpädagogik ein funktionales Verständnis von Kommunikation, das von einer aktiven Rolle und Beteiligung des Menschen an Kommunikationsprozessen ausgeht (Hoffmann, 2013). Diese Beteiligung ist jedoch nach Ansicht verschiedener Autoren nicht äquivalent. Die Autoren des Bildungsplanes Bayern beispielsweise unterteilen diese Funktionen und sehen je nach der „Rolle des Menschen bei der Weiterverarbeitung der vom technischen System erzeugten Signale“ eine Schwerpunktsetzung auf informativen oder kommunikativen Aspekten (2006:219). Hübner unterscheidet, wie oben angedeutet, zwischen Präsentation und Vermittlung (2015).

Spanhel unterzieht die Funktionen von Medien in Kommunikationsprozessen mithilfe des Kommunikationsforschers Klaus Boeckmann und des Systemtheoretikers Niklas Luhmann einer Strukturanalyse. Zum einen geht es ihm dabei um die Verständigung über die Außenwelt (Erschaffung von Wirklichkeit), zum zweiten um die Aufnahme und Ausgestaltung einer Beziehung zwischen Sender und Empfänger und zuletzt um das Erleben von persönlichen Gefühlen durch Kommunikation (2011). Insbesondere dem letzten Aspekt weist Spanhel eine hohe Relevanz für pädagogisches Handeln zu (ebd.).

Im angloamerikanischen Raum wird mithilfe des Technologiebegriffes zwischen neuerer Technologie und einem allgemeinen Medienbegriff unterschieden (vgl. u.a. Siller, 2007). Häufig genutzt im deutschsprachigen Raum ist dagegen das Konstrukt „neue Medien“, wie auch von Sigrid Blömeke in der Einleitung dieser Arbeit verwendet. Dazu hat Harald Gapski Medienpädagogische Kompetenz aus Sicht von medienpädagogischen FachlehrerInnen in seiner Dissertation sechs medientechnische Leitkategorien benannt: „Digitalität, Virtualität, Multimedialität, Interaktivität, Konnektivität sowie Globalität /Glokalität“ (2001:37ff.) Diese eher technischen Aspekte dienen Gapski zur Veranschaulichung der aktuellen Linie der Konvergenz innerhalb der Medienentwicklungen (ebd.). Norbert Bolz dagegen fasste unter „neu“ auch soziale Aspekte: „Multimedialität, Medienverbund, Mobilität, Interaktivität, Virtualität und Mediengenerationen“ (Gapski 2001:41 nach Bolz, 1999).

Der dem Unterricht der Literatur- und Medienpädagogik an bayerischen Fachakademien für Sozialpädagogik zugrundeliegende Lehrplan fasst den Begriff der Medien als „traditionelle Medien wie Bilderbücher“ [Fernsehen, Film, Radio, Anm. der Autorin] und „neue Medien wie Internet und Handy“ (2013:8). „Neue Medien“ bezeichneten zur Jahrtausendwende Internet und Multimedia, in dieser Arbeit sind insbesondere mobile Technologien, im Speziellen Smartphones und Tablets und diesbezügliche Inhalte und Anwendungen, mitzudenken. Es ist deutlich, dass die Bezeichnung „neue Medien“, die in den 1990er Jahren aufkam und sich hält, unscharf ist. Aufgrund der häufigen Verwendung im Diskursfeld muss sie hier jedoch erwähnt werden.

Der Rahmen des Medienbegriffes in der vorliegenden Arbeit ist, vergleichbar mit der Definition Wragge-Langes allgemein. Er umfasst also sowohl ältere als auch neuere Technologien, die der Kommunikation und Information dienen, sowie dazugehörige technisch hergestellte, analoge und digitale Produkte. Die Diskussion um Medienkompetenz umfasst dementsprechend auch die Lesekompetenz von Printmedien, die Entwicklung der Sprechfähigkeit fällt jedoch nicht darunter. Trotz im Detail teils unterschiedlicher Ansichten der medienpädagogischen Autoren können die zu diskutierenden Modelle medienpädagogischer Kompetenz und der Medienkompetenz auf dieser Basis interpretiert werden. Im Falle eines abweichenden Verständnisses wird dies kenntlich gemacht.

2.2 Kompetenzbegriff

Grundsätzlich bezieht sich der Begriff der Kompetenz im deutschen Sprachraum auf Aspekte der Fähigkeit, der Zuständigkeit und der Befugnis für ein bestimmtes Handeln (Gapski 2001). Diese Bezüge sind abgeleitet vom lateinischen competere, das in seiner klassischen Bedeutung mit „zu etwas fähig sein“, „für etwas ausreichen“, „zusammenfallen“, „zusammentreffen“ übersetzt wird.9

Das wissenschaftliche Diskursfeld zum Kompetenzbegriff ist sehr umfangreich und kann hier daher nur ausschnittsweise wiedergegeben werden. Der Kompetenzbegriff taucht in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen auf. Sutter und Charlton teilen die Entfaltung von Kompetenztheorien in drei Phasen, wobei jedoch zu beachten ist, dass sich die Bedeutung des Kompetenzbegriffes in den drei genannten Phasen verschob.

„a) sprachwissenschaftliche Bestimmung des Kompetenzbegriffs
b) Übernahme in unterschiedliche Entwicklungs- und Sozialisationstheorien im Zuge der linguistischen Wende in den Sozialwissenschaften
c) Verwendung in Analysen von Sozialisation und Gesellschaft“ (2002:130).

a) In der Sprachwissenschaft geht der Begriff zurück auf die Sprach- und Grammatiktheorie des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky (1968). Unter Sprachkompetenz verstand Chomsky intuitives, angeborenes Wissen über die Regeln der Sprache, das in konkreten Situationen als Performanz zum Ausdruck kommt. Die Kompetenz ist bei Chomsky den Menschen gleichermaßen und vollständig angeboren (als intuitive, generative Grammatik), die Verwendung der Sprache (Performanz) unterliegt dagegen beeinflussenden Faktoren. Kritik an Chomskys Annahme von Universalität und Nativität findet sich zahlreich. Fundamental für das wissenschaftliche Begriffsverständnis der Kompetenz ist Chomskys Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz, als ein Verständnis von Kompetenz als ideale Basis, jedoch nicht als die sowohl stärker externen Faktoren unterworfene als auch empirisch beobachtbare Handlung selbst. Weiterhin einflussreich war Chomskys anthropologische Grundaussage vom Menschen als kompetentem Lebewesen (vgl. Baacke, 1973). Auch die anschließenden Kompetenztheorien verfolgen das Interesse an „strukturellen Universalien“, Uneinigkeit besteht jedoch insbesondere in Bezug auf deren Herkunft (Sutter & Charlton, 2002).

b) In unmittelbarem Anschluss an Chomsky gab es Definitionsbestrebungen des Kompetenzbegriffes in den Sozialwissenschaften. Sutter & Charlton (ebd.) heben Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung als Orientierungstheorie hervor, „dem die Vorstellung eines Wechselverhältnisses aus aktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt einerseits gleichwie einer fixen Abfolge einzelner Entwicklungsstufen andererseits zugrunde liegt“ (Siller 2007:11). Piagets und anschließende Theorien versuchen, auf der Grundlage des Konstruktivismus in Abgrenzung zu Chomskys Nativismus den konstruktiven Erwerb universeller Kompetenzen zu zeigen (Sutter & Charlton, 2002). Piaget und andere Wissenschaftler wie Kohlberg unterschieden in ihren Kompetenzdefinitionen der operativen (Piaget) und moralischen (Kohlberg) Kompetenz zwischen verschiedenen Ebenen: „Der prinzipiellen Kompetenz (Kompetenz-Kompetenz), der idealtypischen Kompetenzstruktur der Menschheit und der individuellen, partiellen Kompetenzen des Subjekts“. (Blömeke 2000:72f. nach Piaget, 1967)10. Hier wird erneut erkennbar, dass „der Kompetenzansatz grundsätzlich von einem kompetenten Individuum ausgeht, das mitunter nicht alle Potenziale bzw. Kompetenzen ausschöpft“ (Süss et.al. 2013:123). Methodisch stellen sich Chomsky, Piaget und Kohlberg einem unlösbaren Problem der Erfassung nicht beobachtbarer Kompetenzen über die beobachtbare Performanz (Blömeke, 2000).

c) Im Zuge der pragmatischen Wende wurde in der Philosophie der Begriff der Kompetenz von Jürgen Habermas (1971) in Anschluss an Chomsky, Piaget und Kohlberg geprägt. Habermas versuchte zu zeigen, dass sich die Strukturen der kognitiven, sozialen und moralischen Entwicklung aus allgemeinen Stufen der kommunikativen Kompetenz ableiten lassen (1983, in Sutter & Charlton, 2002). Die Entwicklung von Kompetenz bezog sich bei Habermas auch auf den Bedeutungsaspekt der Zuständigkeit, indem er sowohl eine „gesellschaftliche als auch eine individuelle Verantwortung für die Entwicklung einer immanenten menschlichen Eigenschaft“ feststellte (Blömeke 2000:76).

Habermas ging zwar ähnlich wie Chomsky von universalem implizitem Strukturwissen aus, dessen Abrufbarkeit ist jedoch durch das Vorhandensein und die Ausprägung der individuellen Kompetenzen bestimmt. Diese Kompetenzen können durch Reifungs- und Entwicklungsprozesse in Interaktionsprozessen mit den eigenen Voraussetzungen, vor allem jedoch mit dem sozialen Kontext, erlangt werden. In Analogie zu Piaget verlaufen diese Prozesse stufenweise, komplexer werdend, wobei die niedrigen Stufen in den höheren aufgehen (Blömeke, 2000). Im Anschluss an die universelle Pragmatik postulierte Habermas, unabhängig von Strategien und Interessen der Sprecher, das Ideal einer rationalen Verständigung mit dem Ziel der Übereinstimmung auf der höchsten Stufe der kommunikativen Kompetenz (vgl. Siller, 2007; Blömeke, 2000).11

Fundamental waren Habermas Thesen, dass Kompetenzerwerb die Teilnahme an Kommunikationsprozessen erfordere, sowie, dass kommunikative Kompetenz die Grundvoraussetzung für die Partizipation am Aushandeln von Welt und Diskursen ist, für den Medienpädagogen Dieter Baacke. Dieser führte den Kompetenzbegriff Anfang der 1970er Jahre durch seine Habilitationsschrift Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und der Medien (1973) in die medienpädagogische Diskussion ein (s. Kap. 2.4; vgl. u.a. Blömeke, 2000). Gerhard Tulodziecki verweist mit Bezug zu Baacke auf die zeitgleiche Diskussion des Kompetenzbegriffs in den Erziehungswissenschaften um Heinrich Roth (2015). Dieser hatte „Mündigkeit als Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit verstanden und als bedeutsame Zielstellung für Erziehung und Bildung herausgestellt“ (Tulodziecki 2015:194). Baacke versteht 1973 kommunikative Kompetenz wie Habermas sowohl als vorauszusetzendes Vermögen des Menschen als auch als anzustrebende Fähigkeit (Baacke, 1973). Mit kommunikativer Kompetenz bezieht sich Baacke jedoch auf die „Fähigkeit des Menschen, variable Verhaltensschemata zu produzieren“ (Tulodziecki 2015:283) und folgert daraus das pädagogische Ziel, „dem Menschen zu verhelfen, seine Kommunikationskompetenz für die Entscheidung zu vernünftigen Konfliktlösungen mit dem Ziel einer Aufhebung ungerechtfertigter und unfrei machender Herrschaft einzusetzen“ (ebd.:287). Tulodziecki weist darauf hin, dass dieses Ziel auch für Medienkompetenz zutrifft, wenn man Medienkompetenz als eine auf Medien bezogene Ausdifferenzierung von kommunikativer Kompetenz verstehe (ebd.).12

Die um die Jahrtausendwende in der Bildungspolitik gefassten Kompetenzdefinitionen unterscheiden sich sowohl in der Fragestellung als auch in der Zielsetzung von den eben vorgestellten sprach- und sozialwissenschaftlichen Konzepten. Im bildungspolitischen Diskussionskontext werden keine universellen Fragen aufgeworfen, sondern der Versuch unternommen, Bildungsprozesse mit Bezug zum Output zu optimieren, Bildungsstandards zu definieren, Kompetenzanforderungen zu formulieren und diese möglichst messbar zu machen (vgl. Siller, 2007). Tulodziecki weist diesen in seinen Worten „funktional- pragmatischen“13 Konzepten von Kompetenz eine hohe Bedeutung für die Entwicklung von Medienkompetenz-Modellen zu. Diesen Ansätzen liege das Verständnis zugrunde, „dass Inhalte so gelehrt und gelernt werden, dass sie für den Lernenden Gebrauchswert in Lebenswelt und Beruf haben“ (Tulodziecki 2015:202 nach Messner, 2003). Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang eine „kompetenzorientierte Leistungsmessung von kontextspezifischen, erlernbaren Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“ (Tulodziecki 2015:202 nach Klieme & Hartig, 2007). Hier kann auch von einer forschungsstrategischen kognitiven Verengung des Kompetenzbegriffes gesprochen werden (Martens & Asbrand, 2009).

Für medienpädagogische Ansätze zur Medienkompetenz besonders bedeutend sind nach Tulodziecki (2015) die „handlungstheoretisch-pädagogischen“ Ansätze, die sich bereits mit Heinrich Roth andeuteten. Bekannt ist die Kompetenz-Definition von Franz E. Weinert (2001):

„Die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (Weinert 2001:27).

Hier verdeutlicht sich ein Verständnis von Kompetenz als bereichsspezifische kognitive Fähig- und Fertigkeiten auf der einen, jedoch auch als umfassende Disposition zur Handlung auf der anderen Seite. Weinert unterteilt weiterhin Kompetenz in Hinblick auf schulische Lernergebnisse in „Fachkompetenzen [͙΁, fachübergreifende Kompetenzen (z.B. Problemlösen, Teamfähigkeit) und Handlungskompetenzen, die neben kognitiven auch motivationale, volitionale und oft moralische Kompetenzen enthalten“ (2001:28; vgl. Tulodziecki, 2015). Roth sprach von drei grundlegenden Kompetenzen, die jeder Mensch im Wege seiner Bildung und Erziehung auszubilden habe: „Selbstkompetenz, Sachkompetenz und Sozialkompetenz“ (1971).

Sowohl Weinerts als auch Roths Ansatz sind für die berufspädagogischen Diskussionen um Handlungskompetenz von Bedeutung (vgl. Gysbers, 2008; Siller, 2007). Darin wird häufig auch von vier Kompetenzen gesprochen, je nachdem, ob Methodenkompetenz in den ersten Bereich der Sach- oder Fachkompetenz integriert oder extra aufgeführt wird: Sach- oder Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Selbst- oder Humankompetenz (s. Lehmann & Nieke, 2000). In einigen Handlungskompetenz-Modellen wird das Element der Handlungsbereitschaft neben der Handlungsfähigkeit als konstitutiv für eine individuelle Handlungskompetenz genannt. Zusätzlich wird der Bedeutungsaspekt der Zuständigkeit als berufspraktische Handlungserlaubnis einbezogen (vgl. Staudt & Kriegesmann, 1999). In Anlehnung an Staudt & Kriegesmann versteht zum Beispiel Gysbers medienpädagogische Handlungskompetenz von ErzieherInnen als abhängig von den Faktoren der Handlungsfähigkeit, von der Handlungsmotivation, der persönlichen Zuständigkeit und der institutionellen Rahmenbedingungen (Gysbers, 2008).

Entgegen einer Verengung des Kompetenzbegriffes auf kognitive Aspekte wird von einigen Autoren eine allgemeine Abgrenzung zwischen subjektbezogenen Kompetenzen und fachbezogenen Qualifikationen vorgenommen, wobei das oben beschriebene, bereits dem sprachwissenschaftlichen Kompetenzbegriff innewohnende Dilemma der Kompetenz als nicht beobachtbares, nicht messbares Konstrukt, weiter besteht. Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München beispielweise titelt ein Informationsblatt zum Thema Kompetenz von Schülern mit „Kompetenz ͙ mehr als nur Wissen“ (2006:1). Ein Anliegen der Autoren ist es, den Begriff der Kompetenz von dem „häufig synonym verwendeten“ Begriff der Qualifikation abzugrenzen (ebd.). Kompetenz beschreibe individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten, während Qualifikation eine konkrete, personenunabhängige Befähigung bzw. Eignung beschreibe, „eine Tätigkeit regelmäßig auf einem bestimmten Niveau ausführen zu können“ (ebd.).

John Erpenbeck & Lutz von Rosenstiel halten fest, dass es sich bei Kompetenz immer um eine Form der Zuschreibung (Attribution) durch den Betrachter handele: „Wir schreiben dem psychisch und geistig selbstorganisiert Handelnden auf Grund bestimmter, beobachtbarer Verhaltensweisen bestimmte Dispositionen als Kompetenzen zu.“ (2003:XI). Kompetenzen seien also in erster Linie als Selbstorganisationsdispositionen zu verstehen. Darin liege ein entscheidender Unterschied zu Qualifikationen, die sich in vom Handeln abgetrennten Prüfungssituationen messen ließen. Erpenbeck & von Rosenstiel fassen Kompetenzen als selbstorganisierte, kreative Handlungsfähigkeit und damit in erster Linie als subjektzentriert, wohingegen Qualifikationen sachverhaltszentriert und anforderungsorientiert seien. Kompetenzen seien nicht direkt prüfbar, sondern nur „aus der Realisierung von Dispositionen erschließbar und evaluierbar“ (ebd.). Qualifikationen spiegeln dagegen „das aktuelle Wissen, die gegenwärtig vorhandenen Fertigkeiten wieder“ (ebd.:XII).

Der für diese Studie unmittelbar relevante bayerische Lehrplan für die Erzieherinnenausbildung von 2013 wird von seinen Autoren als ein „kompetenzorientiertes Qualifikationsprofil“ bezeichnet. Mit Bezug zum Deutschen Qualitätsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR)14 wird das Anforderungsniveau der Ausbildung definiert (Stufe 6 von acht) und die für eine kompetente Berufsausübung nötigen beruflichen Handlungskompetenzen der Fachkräfte werden formuliert. Das zugrundeliegende Verständnis von Kompetenz ist dem DQR angelehnt:

„Kompetenz bezeichnet [͙΁ die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, Kenntnisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu nutzen und sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Kompetenz wird in diesem Sinne als umfassende Handlungskompetenz verstanden und als Fachkompetenz - unterteilt in Wissen und Fertigkeiten - und personale Kompetenz - unterteilt in Sozialkompetenz und Selbständigkeit - beschrieben. Methodenkompetenz ist dabei integraler Bestandteil dieser Dimensionen.“ [Hervorhebungen sic.](2013:10).

Deutlich werden hier vor allem der Subjektbezug des Kompetenzverständnisses sowie ein allgemeiner Dispositionsbezug mit umfassender Gültigkeit für private, gesellschaftliche und berufliche Kontexte. Hier kann von einem funktional-pragmatischen Verständnis im Sinne Tulodzieckis gesprochen werden. Handlungskompetenzen werden im Lehrplan unterteilt in messbare Fachkompetenzen und nicht messbare personale Kompetenzen, wobei Methodenkompetenz in beiden Dimensionen enthalten ist. Selbständigkeit, auch verstehbar als Element von Selbstkompetenz, ist der personalen Kompetenz zugeordnet. Die personale Kompetenz wiederum ist die Voraussetzung für eine angestrebte professionelle Haltung. (ebd.) Der Kompetenzbegriff selbst wird an anderer Stelle des Lehrplans definiert als die Verbindung von „Wissen und Fertigkeiten, die das Handeln in einer konkreten Situation erfordern, mit professioneller Haltung und Bereitschaft zum Handeln. Situationsbezug, fachliche Expertise, Persönlichkeit und Performanz als tatsächlich erbrachte Leistung [͙΁“. (ebd.:10).

Der Blick ist hier übergreifend darauf gerichtet, was die angehenden ErzieherInnen am Ende des Ausbildungsprozesses innerhalb ihrer fachlichen Domäne vorweisen können sollen. Mit dieser Formulierung grundlegender Zieldimensionen ist der Rahmen der Ausbildung abgesteckt. Deutlich ist, dass es nicht um ein Erlernen des reinen fachspezifischen Wissensbestandes gehen soll, sondern eine Verknüpfung von grundlegenden Konzepten, Fertigkeiten und prozessorientierten Fähigkeiten angestrebt wird. Anliegen ist, dass „die zu entwickelnde erweiterte berufliche Handlungskompetenz als Einheit von Wissen und Können in einem handlungs- und entwicklungsorientierten Lernprozess in Verbindung mit reflektierten berufspraktischen Erfahrungen erworben wird“ (ebd.:9). Zugrunde liegt die Absicht, dass die Lernenden „einmal erworbene Wissensstrukturen“ selbständig und selbstorganisiert für andere Situationen nutzbar machen (vgl. Klieme et.al. 2003:65).

Wichtig war diese ausführliche Erörterung des Kompetenzbegriffes hier vor allen Dingen aus den folgenden Aspekten: Zum einen sollen der Lehrplan der ErzieherInnenausbildung und die im Folgenden zu diskutierenden Modelle durch eine begriffliche Einordnung zugänglich gemacht werden. Zum anderen sollte die Vielschichtigkeit der Begriffsverwendung sichtbar gemacht werden: Der Kompetenzbegriff bezeichnet generell eine Zielvorstellung von Lernprozessen und oft gleichzeitig individuelle Voraussetzungen bzw. Dispositionen zur Handlung. Der Kompetenzbegriff kann in Abhängigkeit vom Diskursfeld fachspezifische sowie fachübergreifende kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnen und Persönlichkeitsdimensionen umfassen, neben einem Bezug zur professionellen Handlung insbesondere mit Bezug zu einer Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen. Zudem sollte hier deutlich werden, „dass Kompetenztheorien zwar auf einen Erwerbs- bzw. Lernkontext zielen, jedoch wenig über die konstitutiven Zusammenhänge innerhalb des subjektiven Erwerbs von Kompetenzen aussagen“ (Sutter & Charlton 2002:137).

2.3 Modellbegriff

Da die Fragestellung der vorliegenden Arbeit auf Modelle zielt, soll an dieser Stelle kurz auf den Modellbegriff eingegangen werden. Dieser wird in der Didaktik vor allem mit Bezug zu den Naturwissenschaften diskutiert. Modelle werden vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Pragmatik verstanden als „Abbildungen oder Repräsentationen von Originalen“, die wiederum selbst Modelle sein können (Meisert 2008:246 nach Stachowiak, 1980). Bis in die 1970er Jahre wurden Modelle zumeist als nachrangig zu Theorien betrachtet. Mit konstruktivistischen Perspektiven wurde der Ansatz des model-based view in den Wissenschaftsdiskussionen populär, der Modelle ins Zentrum der Diskussion brachte (Meisert, 2008; Giere, 1999).

Modelle werden hier verstanden als grundlegendes Strukturelement von Theorien und Vermittler zwischen Theorie und Realität. Wissenschaft überprüft im Sinn des model-based view die Gültigkeit von Gesetzen anhand von Modellen. Ronald Giere weist darauf hin, dass es jedoch nicht das Modell selbst sei, das eine Verweisfunktion auf eine Realität erfülle, sondern der Modellierer sowie der Modellbetrachter ihm diese zuweisen. Das Verhältnis zwischen Original und Modell ergebe sich dementsprechend nicht aus deren Eigenschaften, sondern sei das Ergebnis eines aktiven Interpretationsprozesses, der von der Perspektive des Betrachters abhänge (Giere, 1999).

Nach Harrison & Treagust (2000) werden Modelle allgemein vor allem zwei Kategorien zugeordnet:

- persönliche, modellhafte Vorstellungen von der Realität, von Theorien und von Prozessen 20
- wissenschaftliche Modelle

Die erste Kategorie, der auch der Begriff des mentalen Modells zugeordnet werden kann, ist fundamental für die Entwicklung der zweiten Kategorie der wissenschaftlichen Modelle (Meisert, 2008). Nach Giere (1999) werden mentale Modelle in Denkprozessen konstruiert.

In dieser Arbeit soll in Experteninterviews die erste Kategorie der persönlichen, modellhaften Vorstellungen von medienpädagogischer Kompetenz bei ErzieherausbilderInnen der Fachrichtung Literatur- und Medienpädagogik erfragt werden. Im Anschluss sollen diese modellhaften Vorstellungen ausgewählten wissenschaftlichen Modellen gegenübergestellt werden. Ziel ist es nicht, ein neues wissenschaftliches Modell oder gar eine Definition zu entwickeln, sondern einen Überblick über Elemente mentaler Modelle darzustellen und im Fall der Gegebenheit Bezüge zu theoretischen Modellen sichtbar zu machen. Indirekt wird dabei das Modellwissen sowie andere Bereiche der Modellkompetenz15 der Befragten untersucht, dies ist jedoch nicht die Zielstellung dieser Arbeit.

Harrison & Treagust stellen heraus, dass Modelle sehr unterschiedliche Formen und Funktionen haben und dementsprechend anderen Anforderungen unterliegen können (2000). Die Robert Bosch-Stiftung unterscheidet bei Kompetenzmodellen Struktur-, Stufen- und Prozessmodelle (2011). Bei Strukturmodellen geht es um eine inhaltliche Differenzierung des Kompetenzbegriffs, wie es beispielsweise der Lehrplan der Erzieherausbildung mit der Unterteilung in Fachkompetenzen und personale Kompetenzen versucht; bei Stufenmodellen ist das Ziel die Zuordnung von Aufgabenbereichen und Niveaustufen. So fordern beispielweise Klieme et. al.: „Idealtypisch geben Kompetenzmodelle Orientierungshilfen bei der Gestaltung kompetenzunterstützender Maßnahmen.“ (2003:16). Die Autoren formulieren einen Anspruch, dass Kompetenzmodelle im schulischen Rahmen Aussagen darüber machen sollten, in welchen Kontexten, bei welchen Altersstufen und unter welchen Einflüssen sich die einzelnen Kompetenzbereiche entwickeln. Es gibt, u.a. mit dem Paderborner und dem Züricher Modell, verschiedene Arten der Strukturierung von Stufenmodellen der Medienkompetenz (vgl. Tulodziecki, 2015). Prozessmodelle orientieren sich dagegen am „Prozesscharakter professionellen Handelns (Wissen und Verstehen; Analyse und Einschätzung; Recherche und Forschung; Planung und Konzeption; Organisation und Durchführung; Evaluation)“ (Robert-Bosch-Stiftung 2011:40).

Modelle können jedoch auch der allgemeinen Darstellung von Abhängigkeitsbeziehungen dienen wie z.B. das Technology Acceptance Model nach Viswanath Venkatesh und Fred Davis. Darüber hinaus können Modelle z.B. einen definitorischen oder summierenden Charakter haben, der sie für die Theoriediskussion einsetzbar oder für Forschungszwecke operationalisierbar macht. Auch innerhalb der medienpädagogischen Diskussion werden verschiedene Modellfunktionen und -formen vermischt.

2.4 Medienkompetenz

Der Begriff der Medienkompetenz durchzieht seit den 1990er Jahren eine Fülle von Diskursen (Sutter & Charlton, 2002). Medienkompetenz wurde zum Leitbegriff der deutschsprachigen Medienpädagogik (u.a. Tulodziecki, 2015). Zentral für medienpädagogische Diskussionen der Medienkompetenz sind vor allem die in Kap. 2.2 vorgestellten Konzepte des Kompetenzbegriffes aus der Sozialisationstheorie, Philosophie und Soziologie. Gapski erfasste in seiner Dissertationsschrift zudem weitere Diskursfelder, die für die Diskussion des Medienkompetenz-Begriffes und in Hinblick auf seine Modellierung fruchtbar sein könnten, insbesondere stellte er dies mit Bezug zu Ansätzen der Erwachsenenbildung fest (2001). In die medienpädagogischen Diskussionen sind auch Modelle der Informationskompetenz eingeflossen, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht extra diskutiert werden können.

Es gibt in der deutschsprachigen Medienpädagogik sowohl zahlreiche Definitionen des Begriffes bzw. Konstruktes der Medienkompetenz, diverse theoretische Zugänge als auch verschiedene Ausdifferenzierungen in Modellen (s. u.a. Luca & Aufenanger, 2007). Auch ist festzustellen, dass die Überlegungen zur Medienkompetenz innerhalb der Medienpädagogik nicht abgeschlossen sind. Die Autoren Tulodziecki, Herzig & Grafe stellen 2010 grundsätzliche Fragen: „Wie kann bzw. sollte der Begriff der Medienkompetenz als Ziel medienpädagogischer Aktivitäten beschrieben werden? Welche Aufgabenbereiche ergeben sich daraus?“ (2010:173).

Medienkompetenz ist Bestandteil eines nicht endgültig geklärten Dreiecksverhältnisses zwischen Medienkompetenz, Handlungskompetenz und kommunikativer Kompetenz.

Einige Autoren kritisieren das Theorem, weil es eine Einheit suggeriere und fordern, auch in Hinblick auf die anglo-amerikanische Diskussion der literacies, eine Diversifizierung der medienbezogenen Kompetenzen (Pietraß, 2010). Zudem wird in der deutschsprachigen 22 Medienpädagogik seit längerem eine Ablösung des Begriffes der Medienkompetenz durch den Begriff der Medienbildung diskutiert (vgl. Tulodziecki, 2015). Dieser Diskurs kann hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Es sei jedoch festgehalten, dass die Begriffsdiskussionen der Medienkompetenz und der Medienbildung ähnliche Probleme in Bezug auf die Frage nach der Ausrichtung auf Ziele oder Prozesse von Bildung haben (ebd.). Tulodziecki et. al. verwenden Medienbildung „als zusammenfassenden Begriff für alle bildungsrelevanten Prozesse mit Medienbezug“ (2010:178). Medienbildung wird als Begriff auch gegenüber dem Begriff der Medienerziehung bevorzugt, weil er die aktive Beteiligung der Zielgruppe in den Blick nimmt (s. Kap. 1; Marci-Boehncke & Rath, 2010).

Medienkompetenz hat im deutschsprachigen Diskurs zusammengefasst eine bildende Bedeutung, sie ist „konstitutiver Bestandteil in der Entwicklung von Weltsichten, sozialen Beziehungen und der Entwicklung von Persönlichkeit“ (Herzig & Grafe 2010:119). Sie ist zudem „ausgerichtet auf ein sachgerechtes, selbst bestimmtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln in einer von Medien geprägten Welt und damit wichtiger Bestandteil handelnder Lebensbewältigung“ (ebd.). Medienkompetenz bezeichnet „die Verfügung über ein mental verankertes Regel- und Wertesystem zur Nutzung und Gestaltung von Medienangeboten, das in der Auseinandersetzung mit verschiedenen (medienbezogenen) Inhalts- und Aufgabenbereichen erworben werden kann“ (ebd.).

Im anglo-amerikanischen Raum wird zumeist der Begriff der media literacy verwendet, der „zunächst die Lesekompetenz bezeichnete, jedoch in Bezug auf Medien umfassend erweitert wurde“ (Rath & Köberer 2014:241). Für die amerikanische Diskussion des Begriffes durch den Kommunikationswissenschaftler Henry Jenkins sei hier auf Silke Grafes diesbezügliche Untersuchungen verwiesen (2011; Herzig & Grafe, 2010). Bildungspolitisch gilt in den USA die folgende Definition von media literacy: „The ability to access, analyze, evaluate and communicate messages in a wide variety of forms.” (Tulodziecki et. al. 2010:176 nach Hobbs, 2008). Häufig wird auch der Begriff der digital literacy oder digital literacies mit Bezug zu den digitalen Medien verwendet. Die amerikanische pädagogische Ausrichtung ist jedoch von deutschen Ansätzen zu unterscheiden (Tulodziecki et. al., 2010; s. K. 2.5).

Auf Webseiten der Europäischen Union wird media literacy etwas abweichend von der amerikanischen Definition als „the ability of people to access, understand, create and critically evaluate different types of media” gefasst.16 Demnach geht es bei europäischen Ansätzen um Fähigkeiten, „sich Medienbotschaften zugänglich zu machen, sowie Medienbotschaften angemessen zu verstehen, kritisch zu analysieren und zu bewerten sowie selbst zu gestalten“ (Tulodziecki et. al 2010:176). Politische Ziele der „Digitalen Europäischen Agenda 2020“ betonen das kritische Denken und die Fähigkeit der Interaktion über Medien. Dies ermögliche die Partizipation in den ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereichen der Gesellschaft und eine aktive Rolle innerhalb von Demokratisierungsprozessen.17

Um der hohen Bedeutung des Kompetenz - später des Medienkompetenzbegriffes - für deutschsprachige medienpädagogische Forschungsansätze näherzukommen, ist deren Entwicklung grob nachzuvollziehen. Die Autoren Süss, Lampert & Wijnen unterscheiden fünf grundlegende, normative Ansätze von Medienpädagogik resp. medienpädagogischem Handeln, die sie in der Reihenfolge des Auftretens nennen. Sie weisen jedoch darauf hin, dass alle bis heute Gültigkeit haben und in neueren Ansätzen kombiniert werden, um möglichst eine breite Wirkung zu erzielen (2013): Bewahrpädagogische Ansätze (seit Beginn des 20. Jahrhunderts), reparierpädagogische Konzepte, aufklärende Konzepte (nach 1945), alltagsorientierte, reflexive Konzepte (1970er und 1980er Jahre) sowie handlungsorientierte, partizipatorische Konzepte (seit Ende des 20. Jahrhunderts).18

Bewahrpädagogische Konzepte dienen den Autoren zufolge vor allem dem Schutz der Zielgruppe und der Bewerbung von Medienverzicht; reparierpädagogische Ansätze gehen von unvermeidbarem langfristig schädlichem Medieneinfluss aus, für den sie Verarbeitungshilfen mit Erziehungspersonen anbieten; aufklärende Konzepte versuchen, den Einfluss der Medien abzuschwächen resp. in positive Bahnen zu lenken, indem möglichst viel Wissen über die Funktionsweisen der Medien vermittelt wird; alltagsorientierte, reflexive Konzepte setzen bei der tatsächlichen Mediennutzung der Zielgruppe an und versuchen, mit deren reflexiver Mitarbeit den Medienkonsum bewusster zu gestalten; handlungsorientierte, partizipatorische Konzepte legen Gewicht auf das eigene Produzieren von Medienbotschaften durch die Zielgruppe, die dadurch in die Rolle des Prosumenten schlüpft und Chancen und Grenzen der Zeichensysteme von Medien erfährt (ebd.:96).

Süss, Lampert & Wijnen ordnen diese fünf medienpädagogischen Ansätze zudem auf einer kommunikationstheoretischen Achse an. Dabei ist eine Hinwendung des medienpädagogischen Ansatzes nicht nur zur Nutzung der Medien, sondern auch zum Moment der Kommunikation festzustellen. Während bewahrpädagogische und aufklärerische Ansätze den Bereich der Präkommunikation fixieren, setzen reparierpädagogische Ansätze in der Postkommunikation an. Die beiden neueren Ansätze, der alltagsorientiert-reflexive, insbesondere jedoch der handlungsorientierte Ansatz, finden sich im Bereich der Kommunikation selbst (ebd.). Mit Bezug zu den medienpädagogischen Anliegen dieser Ansätze stellte Norbert Groeben eine Dominanz von kognitiv-kritischen Analysefähigkeiten fest (2002). Die genannten fünf medienpädagogischen Perspektiven sind zunächst bei den Modellen der Medienkompetenz und der medienpädagogischen Kompetenz auf der präskriptiven Ebene, sowie bei der Auswertung und Diskussion der Interviews im 4. und 5. Kapitel dieser Arbeit mitzudenken.

2.4.1 Medienpädagogik

Im Folgenden sollen beispielhaft häufig zitierte Modelle der Medienkompetenz aus der Medienpädagogik vorgestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass der dabei häufig genutzte Begriff der Dimension unterschiedlich verwendet wird. Im Rahmenplan der ErzieherInnenausbildung in Bayern wird implizit auf das Medienkompetenzmodell von Dieter Baacke abgehoben. Daher wird hier zunächst die medienpädagogische Diskussion mit Baackes Modell und anderen viel zitierten Ansätzen skizziert und im Anschluss mit einem Ansatz der Erwachsenenbildung ergänzt.

Dieter Baacke definierte in Auseinandersetzung mit dem Modell des kommunikativen Handelns von Habermas Medienkompetenz als „Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen“ (Tulodziecki et.al. 2010:173 nach Baacke, 1996). Medienkompetenz ist hier eine Komponente kommunikativer Kompetenz, sowohl als vorauszusetzendes Vermögen des Menschen als auch als auszubildende Fähigkeit gemeint, deren Entwicklung durch Lernen gefördert werden muss (ebd.). Baacke versteht Medienkompetenz folglich als Lernaufgabe, deren Bewältigung der Emanzipation des Individuums dient.

Das Modell ist in vier Dimensionen gegliedert, die ersten beiden sind auf einer Ebene der Vermittlung und die letzten beiden auf einer Ebene der „Zielorientierung“, die im Handeln des Menschen liegt, zu verstehen (vgl. Baacke 1997:99). In früheren Publikationen erscheint Medienkritik als erste Dimension vor Medienkunde (vgl. u.a. Baacke, 1996).

- „Medienkunde als Wissen über Medien im Sinne der Informiertheit über das Mediensystem wie auch im Rahmen einer instrumentell-qualifikatorischen Fähigkeit, die entsprechenden Geräte bedienen zu können.
- Medienkritik, indem man fähig ist, sich analytisch, ethisch und reflexiv auf Medien zu beziehen.
- Mediennutzung, sowohl rezeptiv-anwendend wie auch interaktiv-anbietend ● Mediengestaltung als innovative und kreative Aktivitäten.“

Im Bereich der Vermittlung, zu verstehen als Bereich des Erwerbs von Kenntnissen, sieht Baacke also zunächst Kenntnisse über Medien und Medienangebote, sowie Fertigkeiten zur technischen Bedienung als zentral an. Mit letzterer instrumentell-qualifikatorischen Dimension ist der Zugang zu Medien garantiert. Baackes Modell wird vor allem in Bezug auf eine Anpassung an neue Medien kritisiert, dies erfordere eine Änderung des instrumentellqualifikatorischen Aspekts der Medienkunde (vgl. Moser, 2010).

Als zweiten Aspekt des Vermittlungsbereichs nennt Baacke Medienkritik mit drei Elementen:

„a) Analytisch sollten problematische, gesellschaftliche Prozesse (z.B. Konzentrationsbewegungen) angemessen erfasst werden können;
b) reflexiv sollte jeder Mensch in der Lage sein, das analytische Wissen auf sich selbst und sein Handeln anwenden zu können;
c) ethisch ist die Dimension, die analytisches Denken und reflexiven Rückbezug als sozialverantwortet abstimmt und definiert.“ [Kursivsetzungen sic.] (1997:98).

Zu analytischer Medienkritik gehört nach Baacke auch das Einschätzen-Können von der Reichweite und der Bedeutung unterschiedlicher Medien (1996:12). Das Element enthält demnach die Fähigkeit, Medien und Medienangebote klassifizieren zu können.

Im Bereich der Handlung mit den Teilbereichen der Mediennutzung und Mediengestaltung sollen die erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten aktiv angewendet werden. In Bezug auf Mediennutzung bezeichnet Baacke die rezeptiv-anwendende Ebene als „Programmnutzungs-Kompetenz“ (1997:99). Mediengestaltung versteht er als innovativ, „wenn sie Veränderungen und Weiterentwicklungen des Mediensystems innerhalb der angelegten Logik“ leiste (ebd.). Kreativ zielt auf eine ästhetische Nutzung der Möglichkeiten des Mediums (ebd.). Festgehalten werden soll hier, dass Baackes Modell sowohl auf empirische Operationalisierung angelegt ist als auch Offenheit für folgende Diskussionen bieten sollte (Herzig, 2004). In Bezug auf medienpädagogische Kompetenz als Aufgabe in der Lehrerbildung hat Baacke dieses Modell noch ergänzt (s. Kap.2.5).

Stefan Aufenanger (1997:19) benennt fünf Dimensionen. Die Reihenfolge seiner Dimensionen ist fest und bewusst gewählt, eine medienbezogene Handlungsdimension ist dabei, analog zu Baackes Modell, das letzte Prozess-Element:

- „Kognitive Dimension: Wissen, Verstehen und Analysieren im Zusammenhang mit Medien. Kenntnisse über Medien und Mediensysteme, enthaltene Symbole und Codierungen verstehen und entschlüsseln, analytisches Betrachten von Medien und Medieninhalten
- Moralische Dimension: Setzt die kognitive Dimension voraus und ergänzt sie um eine auf allgemein geteilten Konventionen beruhende Perspektive, ethische Bewertung nicht nur von Medieninhalten sondern auch von Produktionsaspekten und Auswirkungen
- Soziale Dimension: Umsetzung der kognitiven und moralischen Dimension im Raum des sozialen und politischen Handelns
- Ästhetische Dimension: Spezifische Fähigkeiten für die Gestaltung von Medieninhalten
- Handlungsdimension: Mit Medien gestalten, sich ausdrücken, informieren oder auch nur experimentieren bestimmt die Handlungsdimension. Fähigkeiten, Medien selbst aktiv zu gestalten und handhaben zu können.“

Aufenanger fasst Medienkompetenz als Kombination von Fähigkeiten und Wissen, die sich, wie bei Baacke, in Tätigkeiten zeigen. Auch Aufenanger hat einen Ansatz zu medienpädagogischer Kompetenz entwickelt, der im Unterkapitel 2.5 vorgestellt werden soll.

Gerhard Tulodziecki (1997) wählt ebenso wie Baacke das Modell des kommunikativen Handelns von Habermas als Ausgangspunkt. Der Bezug seines Modells der Medienkompetenz richtet sich insbesondere auf die Schulpädagogik und den Umgang mit Medien von Kindern und Jugendlichen. Medienkompetenz ist hier das Ziel von Medienerziehung im schulischen Rahmen. In einem „sachgerechten, selbstbestimmten, kreativen und sozialverantwortlichen Handeln im Zusammenhang mit Medien“ sieht Tulodziecki das Ziel von Medienerziehung (1997:120).

Basierend auf der Unterscheidung von zwei Handlungszusammenhängen, der „Nutzung vorhandener Medienangebote“ und „der eigenen Gestaltung von medialen Beiträgen“ trennt er drei inhaltliche Bereiche, in denen „sowohl Kenntnisse und Verstehen als auch Analyse- und Urteilsfähigkeit“ nötig sind (ebd.).: Möglichkeiten bei der Gestaltung von Medien, Voraussetzungen und Wirkungen der Mediennutzung, Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung.

Auf dieser Basis hat Tulodziecki die folgenden Aufgabenbereiche der Medienerziehung formuliert und, im Unterschied zu den zuvor genannten Autoren, auch schematisch dargestellt:

- „Auswählen und Nutzen von Medienangeboten
- Eigenes Gestalten und Verbreiten von Medienbeiträgen
- Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen
- Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen
- Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung“ (ebd.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Strukturierung zum Konzept der Medienkompetenz (Tulodziecki et. al. 2010:181).

Die Fähigkeiten der Analyse, Beurteilung und ggf. der Einflussnahme benennen verbunden mit Kenntnissen unterschiedliche Niveaus von Medienkompetenz (Tulodziecki et. al. 2010:181). Tulodziecki verfolgt einen handlungsorientierten Ansatz, der die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen als Mediennutzer in den Mittelpunkt stellt. Medienkompetenz kann in seinem Ansatz sowohl normative Zielvorgabe als auch komplexe Fähigkeit zu medienbezogenem Handeln sein (vgl. Blömeke, 2000). Auch Tulodziecki hat einen Ansatz zu medienpädagogischer Kompetenz entwickelt, der in Unterkapitel 2.5 vorgestellt werden soll.

Bernd Schorb und Ulrike Wagner formulieren 2013 in Anlehnung an Schorb (2005) ihr allgemein ausgerichtetes Modell von Medienkompetenz als Konstrukt mit pädagogischen Zielen in den folgenden, aufeinander aufbauenden, Dimensionen:

- „Wissensdimension: Wissen um Strukturen und Funktionen sowie instrumentelle Fertigkeiten
- Bewertungsdimension: Fähigkeiten zur Analyse und Beurteilung der Strukturen und Angebote sowie des eigenen Handelns nach ästhetischen und ethisch-sozialen Kriterien
- Handlungsdimension: Aktive Beteiligung an und Mitgestaltung des sozialen und politischen Lebens, Realisierung von Wissen und Bewerten als selbstbestimmtes, zielgerichtetes Medienhandeln“ (2013:18).

Die ersten beiden Dimensionen, Wissen und Bewerten, bilden gemeinsam die Grundlage der Orientierungsfähigkeit innerhalb des komplexen medialen Angebotes (ebd.). Schorb und Wagner verstehen wie die anderen Autoren Medienkompetenz als integrierten Bestandteil von Kommunikativer Kompetenz und Handlungskompetenz (ebd.). Medienkompetenz ist hier als Zielvorstellung definiert, deren Entwicklung nicht dem Individuum und seinem Umfeld überlassen werden, sondern durch pädagogische Fachkräfte und gesellschaftliche Diskussionen zur Bedeutung der Medien unterstützt werden sollte (ebd.). Angaben zu medienpädagogischen Methoden enthält das Modell jedoch nicht. Es dient hier vor allem als ein aktueller Bezug zur theoretischen Diskussion.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Überblick der vorgestellten Modelle der Medienkompetenz

Trotz unterschiedlicher Bezugsrahmen ist den genannten medienpädagogischen Modellen gemeinsam ein Anliegen der medienbezogenen Handlungskompetenz, die in keinem Fall auf technische Anwendungskompetenz reduziert werden möchte (Gapski, 2001; Schorb & Wagner, 2013). Die vorgestellten Modelle der Medienkompetenz formulieren allgemeine ideale Ergebnisse und Zielvorstellungen von Lernprozessen, ohne auf bestimmte Medien, Alters- oder Berufsgruppen explizit einzugehen. Medien sind, trotz der durchgängigen Verwendung des Begriffs in Baackes Dimensionen, nicht der Ausgangpunkt, sondern das gesellschaftliche Individuum, bei Tulodziecki spezifisch der oder die SchülerIn.

Deutlich sind in den medienpädagogischen Modellen vor Medien schützende kognitiv- kritischen Analysefähigkeiten, deren Ziel eine den Bedürfnissen und ethisch-moralischen Kriterien folgende Selektionsfähigkeit gegenüber Medien ist. Dies entspricht den medienpädagogischen Ansätzen, die zu Beginn des Kapitels genannt wurden. Eine allgemeine Disposition zum Medienhandeln, als Disposition zu selbständigem Urteilen und souveränem Handeln des Subjekts verstanden, wird von den Autoren vorausgesetzt (vgl. Tulodziecki et. al., 2010). Damit gehen die Modelle von einem grundsätzlich kompetenten Menschen aus und enthalten einen normativen, emanzipatorischen Anspruch.

Die hier vorgestellten Ansätze fassen Medienkompetenz als eine individuelle Fähigkeit auf, die erlernbar und damit grundsätzlich pädagogischen Maßnahmen zugänglich ist. Als Grundlage für medienkompetentes Handeln muss Medienwissen vorhanden sein, sowohl über die „technische Handhabung von Medien als auch über das Mediensystem samt seiner Produktionsbedingungen und Wirkungspotenziale“ (Gysbers 2008:39). Mithilfe dieses Wissens können Handlungsmuster ausgebildet werden, die sich auf der Performanzebene in einer bedürfnisgerechten, souveränen und kritischen Nutzung und Gestaltung von Medien und Medienangeboten zeigen (ebd.).

Gemein ist den Autoren der Modelle, dass sie meist auf schematische Darstellungen verzichten. Konstitutive Bezüge zwischen den Kompetenzbereichen oder -elementen sowie die Erwerbsprozesse werden somit graphisch nicht verdeutlicht.

2.4.2 Erwachsenenbildung

Innerhalb der Erwachsenenbildung ist mit Bezug zu Medienkompetenz insbesondere das Modell von Dewe & Sander (1996) mit der Strukturierung des Begriffs in die Bereiche der Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz bekannt. Die Ausdifferenzierung haben sie aus der Debatte um Schlüsselqualifikationen übernommen, die vor allem die Befähigung zur Problembewältigung fokussiere (ebd.). In diesem Modell wird ein Bezug auf die in Kap. 2.2 30 vorgestellte funktionale Ausdeutung des Kompetenzbegriffs (vgl. Klieme et. al., 2003) erkennbar, wie sie auch im Lehrplan der ErzieherInnenausbildung sichtbar wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Medienkompetenz-Modell aus der Erwachsenenbildung (Dewe & Sander 1996:137).

Mit Sachkompetenz rekurrieren die Autoren auf eine Erschließungskompetenz von Wissen und Fähigkeiten, das Nachvollziehen übergeordneter struktureller Gemeinsamkeiten und eine darauf aufbauende Übertragungsfähigkeit auf andere Medien ist hier der Fokus. Selbst- und Sozialkompetenz verstehen sich vor allem in Anlehnung an Tietgens (1989) als sich-selbst-Befähigung zum lebenslangen Lernen, aber auch zum kreativen, theoretisch distanzierten Umgang mit Medien. Inhaltliche Fachkenntnisse müssen in der Erwachsenenbildung nach den Autoren vor allem begleitet werden „durch eine ausgebildete Identität (Ich-Stärke, Reflexivität, Kritikfähigkeit) sowie durch soziale Kompetenzen (Kooperationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Deutungsfähigkeit sozialer Situationen)“ (Dewe & Sander 1996:133).

Im Unterschied zu den beschriebenen medienpädagogischen Modellen der Medienkompetenz wird hier bereits eine Unterscheidung in messbare Qualifikationen und nicht messbare Fähigkeiten vorgenommen. Bei ersteren wird von Grundfähigkeiten ausgegangen, die auf andere Medien übertragbar sein sollten. Als persönlichkeitsbezogene Grundfähigkeiten werden die Bereitschaft zur selbständigen Beschäftigung mit den „neuen Medien“ sowie die reflexive Rezeption von Medienangeboten hervorgehoben. Sozialkompetenz baut auf einer reflektierten Persönlichkeit auf und beschreibt die Kompetenzen, die zur Analyse von Medieninhalten sowie zur Kommunikation in den Medien nötig sind.

Insgesamt zeigt sich dieses Modell von 1996 für die aktuelle technische Entwicklung mit einem hohen Kommunikationsanteil in der Mediennutzung nützlich. Zudem ist es an die oben diskutierte Kompetenzdefinition im Lehrplan der ErzieherInnenausbildung in Bayern mit den Dimensionen der Fachkompetenz und der personalen Kompetenz (Sozialkompetenz und Selbständigkeit) anschlussfähig (s. Kap. 2.2). Verglichen mit Baackes Modell ist hier keine Dimension des aktiven kreativen, innovativen Gestaltens von Medien enthalten und zudem wenig von Medienkritik, die lediglich mit Bezug zur Differenzierbarkeit zwischen Medienrealität und Realität und in Bezug auf die gesellschaftliche Rolle von Medien auftaucht. Die Anforderungen an das Subjekt liegen in diesem Modell stattdessen vor allem im Bereich der Medienkunde im Sinne des Zugangswissens, der Dekodierfähigkeit, der Fähigkeit zur Reziprozität der Perspektiven zwischen Rezipient und Medienfigur und einem medialem Grundwissen. Hinzu kommen die rezeptiv-anwendende Mediennutzung im Sinne einer reflexiven Mediennutzung und zuletzt die interaktiv-darbietende Mediennutzung mit Bezug auf Kommunikation und Kooperation.

2.5 Medienpädagogische Kompetenz

Seit der Jahrtausendwende werden Konzepte der medienpädagogischen Kompetenz im deutschsprachigen Raum vermehrt diskutiert. Diese Diskussion findet hauptsächlich im medienpädagogischen Theoriediskurs statt. Der Begriff wurde „offensichtlich in Analogie zum Begriff der Medienkompetenz gebildet“ (Blömeke 2000:81) und verdeutlicht eine Fokussierung der Diskussion auf die pädagogische Beteiligung an der Förderung von Medienkompetenz.

Medienpädagogische Kompetenz stellt in den Worten Stefan Aufenangers „eine unabdingbare Ergänzung zur Medienkompetenz dar, denn ohne sie lassen sich die meisten Ziele nicht erreichen“ (1999:95). Medienkompetenzförderung ist als zentrale Aufgabe des medienpädagogischen Handelns definiert. Welche Voraussetzungen dafür nötig sind, wird seither, zumeist mit Bezug zum Schulkontext und der Lehrerbildung, in Konzeptionen von medienpädagogischer Kompetenz festgehalten. Die im Folgenden diskutierten Modelle fassen dementsprechend die pädagogische Interpretation des Medienkompetenzbegriffes und damit einhergehende Qualifikationsbestrebungen für medienpädagogisches Handeln.

Verglichen mit der Fülle von Veröffentlichungen zu Medienkompetenz liegen im deutschsprachigen Raum wenige Veröffentlichungen zu Rahmenkonzeptionen medienpädagogischer Kompetenz vor. Die Diskussion um medienpädagogische Kompetenz ist jedoch, ebenso wie die zur Medienkompetenz, nicht abgeschlossen. Tulodziecki et. al. fragen grundsätzlich: „Welcher Stellenwert kommt der eigenen Medienkompetenz der Lehrkräfte zu? Über welche medienpädagogischen Kompetenzen sollte eine Lehrperson - über die eigene Medienkompetenz hinaus - für medienpädagogische Aktivitäten verfügen?“ (2010:358).

Dieter Baacke erweiterte in den 1990er Jahren seinen Ansatz der Medienkompetenz im Zuge des MekoLA-Projektes (Medienkompetenz in der Lehrerbildung). Ziel des Projektes war es insgesamt

„[…] den Lehrer zu befähigen, nicht nur zur richtigen [sic] Mediennutzung anzuleiten (Medienerziehung), sondern ihn auch fähig zu machen, kompetent Medien-Sprache wahrzunehmen und entziffern zu können (Bildungsdimension) sowie diese Fähigkeiten auf sein eigenes Leben in der Familie, im Beruf und in sozialen Bezügen anzuwenden (Handlungsdimension)“ (1995:4f.).

Baacke versteht Medienkompetenz als Grundbestandteil medienpädagogischer Kompetenz. Für sein Modell medienpädagogischer Kompetenz wurden drei Dimensionen von Medienkompetenz ausgesucht, die für die medienpädagogische Ausbildung im Lehramtsstudium wesentlich sind, und ergänzt. Es ergeben sich folgende Dimensionen, wobei die Ebenen der Vermittlung und der Handlung bzw. Zielorientierung aus seinem Modell der Medienkompetenz erhalten bleiben:

- Medienkompetenz (Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung, Mediengestaltung)
- Medienkunde
- Einübung in die Medienrezeption
- Handlungsorientierte Mediennutzung

Mit Bezug zur Medienkunde ergänzt Baacke gegenüber seinem Modell der Medienkompetenz hier Mediensozialisationskenntnisse (z.B. die Bedeutung von Werbung dafür), die Kenntnis medienpädagogischer Konzepte und Modelle, Wissen über das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen und Kenntnis von Medienumgebungen und -orten von Kindern und Jugendlichen (vgl. Hugger 1995:50). Hugger verweist diesbezüglich auf die wachsende Bedeutung alltäglicher Verwendungsformen für medienpädagogisches Handeln (ebd.). Kenntnisse von Medienorganisationsformen und Organisationsformen der Medienöffentlichkeit sind ebenso enthalten, stammen jedoch aus dem Modell der Medienkompetenz.

Die Einübung in die Medienrezeption konzentriert sich bei Baacke auf Wahrnehmungsbildung. Dabei geht es darum, dass die Pädagogen selbst ein Medienangebot „angemessen inhaltlich erfassen und in seinen Facetten auf das eigene Leben beziehen“ können (ebd.:50). Ziel ist, eine „ hnung von der Faszination von Medien bei Kindern“ zu erreichen (ebd.). Auch geht es um die Schulung visueller Wahrnehmung mit dem Ziel, eine Fähigkeit zu erwerben, das Wahrnehmungsmaterial zu sortieren und dabei Wichtiges von Unwichtigem und „Inszenierung vom tatsächlichen Ereignis zu unterscheiden“ (1992:41). Hier geht es um ästhetische Regelsysteme visueller Medieninhalte und eine diesbezügliche Dekodier- und Selektionskompetenz.

Während die beiden ersten Dimensionen sich inhaltlich stark überschneiden (Hugger, 1995), dient die dritte Dimension der handlungsorientierten Mediennutzung dem Erstellen eigener Medienprodukte. Sie erweitert das Spektrum von der Anleitung zur richtigen Mediennutzung um eine praktische Dimension des bewussten und selbstreflektierten Ausdrucks über die Medien. Zusammengefasst sind die Schwerpunkte medienpädagogischer Kompetenz bei Baacke Medienkunde als das Wissen über Medien und ihre Funktionen, Einübung in die Medienrezeption als medienkritische Herangehensweise mit dem Ziel der begründeten Bewertung und des begründeten Auswählens. Hinzu kommt die handlungsorientierte Mediennutzung als praktische Erfahrungen mit dem Ziel, sich aktiv über die Medien ausdrücken zu können (ebd.).

Stefan Aufenanger (1999) sieht für die Anleitung medienpädagogischer Projekte über die eigene Medienkompetenz des Medienpädagogen hinausgehend Kenntnisse allgemeiner Didaktik und Kenntnisse medienpädagogischer Konzepte, sowie, je nach Einsatzfeld, auch hochschuldidaktische Kenntnisse als entscheidend an. Mit Bezug zu Professionalisierungstheorien, „nach denen das Wissen und das Können zentrale Bedingungen des professionalisierten Handelns darstellen“, fasst er sein Modell in fünf Dimensionen (1999:95).

- Eigene Medienkompetenz. Aufenanger fordert, dass ein „gewisses Maß“ an Medienkompetenz vorhanden sein müsse (ebd.).
- Wissen um pädagogische/didaktische Konzepte. Wissen meint hier anerkannte Konzepte kennen und anwenden können.
- Wissen um die Medienwelten von Kindern und Jugendlichen. Dieses Wissen hilft für einen Zugang zur Medienwelt und ist Grundvoraussetzung, um die Perspektive der Zielgruppe einzunehmen.

[...]


1 Aufgrund eines hohen Frauenanteils sowohl bei (angehenden) ErzieherInnen als auch bei den FachlehrerInnen, wurde hier diese Form gewählt. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde jedoch z.B. bei ErzieherausbilderInnen auf die doppelte Nennung der weiblichen Form verzichtet. Zu keinem Fall soll diese Form so verstanden werden, dass ich von einer Dichotomie und nicht von einer Vielfalt der Geschlechter ausgehe.

2 Six & Gimmler nutzen den Begriff der Medienerziehung für medienpädagogisches Handeln mit Kindern und Jugendlichen (2007). Andere Autoren, z.B. Marci-Boehncke & Rath geben zu bedenken, dass der Begriff die aktive Beteiligung der Kinder und Jugendlichen ausschließt und bevorzugen Medienbildung (2012, s. auch Kap.2.4 dieser Arbeit). Medienerziehung kann auch als Teilbereich von Medienbildung verstanden werden (Tulodziecki et. al., 2010).

3 Zum Medienbegriff s. Kap. 2.1.

4 Das Fach LMP wird an bayerischen Fachakademien seit 1997 unterrichtet.

5 Die Definitionen des Rahmenplans: „Mit Medienkunde ist das Wissen über die heutigen Mediensysteme gemeint. Medienkritik bedeutet ihre analytische Erfassung, kritische Reflexion und ethische Bewertung. Mediennutzung meint ihre rezeptive und interaktive Nutzung, Mediengestaltung ihre innovative Veränderung und kreative Gestaltung.“ (BsfUK 2013:8).

6 Allerdings ist diese Prüfung nicht obligatorisch. Der Lehrplan bietet den angehenden ErzieherInnen am Prüfungstag selbst die Wahlmöglichkeit zwischen einer dreistündigen Prüfung in Theologie oder LMP.

7 „Nach Pross (1987) sind primäre Medien an den menschlichen Körper gebundene Elementarformen (Sprache, Mimik, Gestik), die ohne zusätzliche Geräte zu gebrauchen sind. Sekundäre Medien benötigen auf der Seite des Produzenten ein Gerät, nicht aber auf der Seite des Rezipienten (z.B. Schreib- und Druckmedien, Plakat, Flaggensignale). Tertiäre Medien setzen sowohl beim Produzenten als auch beim Rezipienten ein Gerät voraus (z.B. Schallplatte, Telefon, Film, Fernsehen, Radio).“ (Gysbers 2008:30).

8 Spanhel unterscheidet mit Wragge-Lange zwischen einem allgemeinen Medienbegriff (der auch Sprache enthält) und einem eng gefassten Medienbegriff für die Medienerziehung (2011:69).

9 PONS Online-Wörterbuch: http://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/competere [Stand: 12.07.2015]

10 Zur Kritik an Piagets Modell siehe u.a. Sutherland, 1992.

11 Kritik an Habermas findet sich u.a. bei Baacke, 1973. 15

12 Zu Baackes späterem Modell der Medienkompetenz siehe Kap. 2.4.

13 Tulodziecki bezieht sich auf theoretische Wurzeln im Pragmatismus, worin der Fokus auf dem Handeln und den Folgen für die Gesellschaft liege. Dazu und zur exemplarischen Verwendung des Begriffes Literacy siehe Tulodziecki, 2015.

14 Online: http://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen. pdf [Stand: 01.08.2015]

15 Diese kann verstanden werden als Kombination von Modellwissen, Modellarbeit (Anwenden des Inhaltes und Fähigkeit zur eigenen Weiterentwicklung von Modellen) und einem übergeordneten Modellverständnis (vgl. Meisert, 2008 nach Henze et. al., 2007).

16 http://ec.europa.eu/culture/policy/audiovisual-policies/literacy_en.htm [Stand: 01.08.2015] 23

17 https://ec.europa.eu/digital-agenda/en/media-literacy [Stand: 01.08.2015]

18 Tulodziecki rekonstruiert die Konzepte der Medienpädagogik als behütend-pflegend, ästhetischkulturorientiert, funktional-systemorientiert, kritisch-materialistisch, handlungs- und interaktionsorientiert (1997).

Ende der Leseprobe aus 160 Seiten

Details

Titel
Medienpädagogische Kompetenz in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Qualitative Inhaltsanalyse der Aussagen von fünf Fachlehrkräften der ErzieherInnenausbildung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1.4
Autor
Jahr
2015
Seiten
160
Katalognummer
V337555
ISBN (eBook)
9783668290198
ISBN (Buch)
9783668290204
Dateigröße
2658 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
This master thesis is written in German and contains an English abstract.
Schlagworte
medienpädagogische, kompetenz, ausbildung, fachkräfte, qualitative, inhaltsanalyse, aussagen, fachlehrkräften, erzieherinnenausbildung
Arbeit zitieren
Karoline Morales (Autor:in), 2015, Medienpädagogische Kompetenz in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Qualitative Inhaltsanalyse der Aussagen von fünf Fachlehrkräften der ErzieherInnenausbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337555

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