Inferno! Dan Browns Bestseller als Reiseführer durch ausgewählte Stationen von Geschichte, Kunst und Literatur


Sammelband, 2016

163 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Studierende über Florenz, Dante und Dan Brown

Sektion Eins: Dan Brown
Samantha Happ: Ein Treffen mit Dan Brown
Stefan Krüger: Dan Browns Bezug zur Renaissance und zu Florenz in seinem Roman Inferno

Sektion Zwei: Die Geschichte von Florenz
Benedikt Liermann: Florenz – ein europäisches „Wunder“
Tobias Schmidt: Ein europäisches Denkmal der Kinderfürsorge: Das Ospedale degli Innocenti

Sektion Drei: Kunst
Giuliana Scotto: Palazzo della Signoria (Palazzo Vecchio)
Giuliana Scotto: Das Baptisterium von Florenz – Äußeres und Innenraum
Giuliana Scotto: Zwei Pforten des florentinischen Baptisteriums
1. „Die Erschaffung des Mannes“ – „Die Erschaffung der Frau“: zwei Tafeln von Andrea Pisano
2. „Das Paradies auf Erden“: Eine Tafel von Lorenzo Ghibertis Paradiespforte
Giuliana Scotto: Palazzo Pitti und Boboli-Gärten

Sektion Vier: Literatur
Grazia Dolores Folliero-Metz: Über Dan Brown, Dante und Michelangelo

Vorwort

Dieser Sammelband enthält Vertiefungen zu den studentischen Präsentationen meines Bachelorkurses “Eine Reise durch ausgewählte Stationen und Theorien der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft mithilfe von Dan Browns Bestseller” im Studiengang „Literatur, Kultur, Medien“ der Universität Siegen (WS 2013/14).

Anfängliches Ziel dieses Seminares war es, Dan Browns Bestseller, der schon bei erster Lektüre meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, als Schlüssel zu Dante und zur italienischen Renaissance zu nutzen. Der intensive Fokus von Dan Browns Thriller auf Florenz ist dabei eher von Vor- als von Nachteil gewesen. Der Kurs zeichnete sich durch ein reges Interesse der meisten Teilnehmer aus, die 104 Kapitelzusammenfassungen erstellten; diese wurden durch viele weitere thematisch-vertiefende Referate ergänzt. Im Zuge der Veranstaltung entstand dann die Idee, die vorliegende Sammlung von Beiträgen vorzubereiten.

Der Band ist wie folgt strukturiert: Als Einführung in das Thema dienen anonymisierte Mitteilungen der Studierenden über Florenz, Dante und die Renaissance. Sodann folgen Beiträge von Nachwuchs-wissenschaftlern/innen über ausgewählten Themen und Orte, Momente und Monumente der florentinischen Geschichte und Kunst. Im Schlusswort befasse ich mich mit dem “Inferno” sowie mit Dante und Michelangelo.

Zum Team dieses Sammelbandes gehörten im Anfangstadium Orazio Bruno, Carlos Fernandez da Silva und Kai Herrmann, die das erste rein studentische Manuskript korrigierten und mitgestalteten. In der zweiten Phase unserer Arbeit, als wir ein zweites und viel schmäleres Manuskript konzipierten, übernahm Benedikt Liermann viele wichtige Redaktionsaufgaben.

Dr. Richard Brütting, Assunta D’Aniello und Maria Ferraro übersetzten die Texte von Giuliana Scotto und mir aus dem Italienischen. Samantha Happ überprüfte insbesonders die Texte über die Kunst in Florenz, Dr. Susanne Gramatzki gab mir hilfreiche Redaktionstips; Dr. Brütting übernahm weitgehend die Lektoratsarbeit.

Stefan Metz hat in Zusammenarbeit mit Francesco Schapira Fotos in Florenz für uns aufgenommen; weiterhin haben Giuliana Scotto und Viktoria Ehrmann eigene Bilder zur Verfügung gestellt. Einige wenigen Bilder stammen von mir.

Allen Studierenden der o.g. Veranstaltung, dem ersten Redaktionsteam, den Autoren und den Fotografen, Dr. Gramatzki und Dr. Richard Brütting gebührt mein herzlicher Dank für die unentbehrliche Kooperation. Denn ohne sie, ohne ihren Enthusiasmus, ihre Arbeitsbereitschaft und Effizienz bei der Mitgestaltung wäre dieses Büchlein nicht enstanden.

Wir hoffen damit, weiteren Enthusiasmus für Florenz, Dante (und Dan Brown) zu entfachen. Denn „ poca favilla gran fiamma seconda “ (Par. I, 34).

Die Herausgeberin

Die Studierende über Florenz, Dante und Dan Brown

„Vor diesem Kurs habe ich mich bisher gar nicht mit Florenz, Dante und der italienischen Renaissance auseinandergesetzt. Ich hatte demnach keinerlei Hintergrundwissen.“

„Über die Stadt Florenz, muss ich gestehen, wusste ich gar nichts vor dem Kurs. Natürlich wusste ich, dass sie in Italien ist, jedoch war es das schon.“

„Vor dem Kurs wusste ich eigentlich nichts über Dante und die italienische Renaissance, was nicht in „Inferno“ zu finden war. Über Florenz wusste ich immerhin, dass es eine Stadt in Italien ist. Dan Browns Buch habe ich schon vor meiner Anmeldung für den Kurs gelesen, habe ich mich allerdings zuvor nicht großartig für die Geschichte von romanischen Ländern wie Italien interessiert. Namen von bedeutenden Künstlern wie etwa Michelangelo waren mir zwar schon geläufig, aber mir aus freien Stücken einfach nur wissenschaftliche Fakten anzueignen, war nicht meine Motivation.“

„Meine Vorkenntnisse im Bezug auf Dante Alighieri und seine Werke waren sehr gering. Ich hatte zwar den Namen schon ein paar Mal gehört und auch seine „Göttliche Komödie“ war mir ein Begriff, jedoch hatte ich dazu kein Hintergrundwissen. Über Florenz zu Renaissance-Zeiten wusste ich durch das Videospiel „Assassins Creed 2“ deutlich mehr.“

„Der Begriff ‚Dantes Inferno‘ ist mir schon lange bekannt, allerdings wusste ich nichts darüber. Es gibt einen Anime namens Dantes Inferno. Florenz ist Handelsmetropole und Hochkultur der Renaissance, zum Beispiel in der bildenden Kunst. Mit dem AC Florenz besitzt die Stadt einen renommierten Fußballverein, in dessen Reihen sich einer der besten Fußballer, Mario Gomez, befindet. Die Renaissance galt für mich als Epoche in der Menschheitsgeschichte, die einige bedeutende Wissenschaftler und Künstler hervorgebracht hat.“

„Ich würde den Thriller trotz aller Ansätze der trivialen Unterhaltungsliteratur zuordnen. Letztendlich hegt Brown meiner Meinung nach den Anspruch, seine Leser zu unterhalten und sie nicht zu belehren oder eine moralische Instanz darzustellen. Trotzdem gelingt es dem Autor, auf hohem Niveau eine spannende Geschichte zu stricken und dabei historisches Hintergrundwissen zu vermitteln.“

„Das Buch ist spannend, und man bekommt immer wieder kleine Anekdoten zu Bildern, Orte oder Ähnlichen zu lesen. Diese Punkte in eine Geschichte zu verpacken ist Dan Brown gelungen, aber an vielen Stellen ist sie zu glatt. Irgendein Zufall rettet die Helden immer wieder, sodass der Verlauf der Geschichte an manchen Stellen etwas unglaubwürdig ist.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Fotos: S. Metz)

Sektion Eins: Dan Brown

„Langdon moved toward daylight. In the distance the rising Tuscan sun was just beginning to kiss the high spires of the waking city –the campanile, the Badia, the Bargello. […] ‘Painter’s light’ they called it. At the heart of the skyline, a mountainous dome of red tiles rose up. Its zenith adorned with a gilt copper ball that glinted like a beacon. Il Duomo. […] ‘Why would I be in Florence?’” (Dan Brown, Inferno, 7)

Samantha Happ Ein Treffen mit Dan Brown

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Foto: S. Metz)

Der US-amerikanische Schriftsteller Dan Brown trat im Rahmen einer Lesereise durch Europa am 27.05.2013 in Köln auf, wo er vor einem Publikum von 1200 Personen im Hotel Maritim über seinen neuen Roman Inferno sprach.

Das beeindruckende Ambiente des Kölner Maritim-Hotels bildet eine außergewöhnliche Kulisse für die einzige Lesung Dan Browns in Deutschland. Bereits der große Saal des Luxus-Hotels, den die Veranstalter für diesen Anlass angemietet haben, führt das bunt gemischte Publikum in eine Welt fernab des Alltags.[1] Die prunkvollen Verzierungen, die indirekte Beleuchtung und der imposante Kristallkronleuchter, der bedrohlich über den Köpfen des Publikums schwebt, bilden die perfekte Kulisse, um gemeinsam mit dem Symbolforscher Robert Langdon in ein neues Abenteuer einzutauchen.

Begleitet von tosendem Applaus, tritt Dan Brown schließlich, in einem blauen Anzug vor das Publikum und nimmt in einem der zwei schwarzen Ledersessel Platz, die neben einem kleinen Tischchen gut sichtbar auf der Bühne arrangiert wurden. Etwas abseits sitzt der Schauspieler und Sänger Gerd Köster an einem Tisch, auf dem, neben einem Glas Wasser und einer Leselampe, auch Dan Browns neuer Roman Inferno liegt. Die Veranstalter haben ihn engagiert, um an diesem Abend drei ausgewählte Passagen des Buchs auf Deutsch vorzulesen, damit das Publikum folgen kann. Um jedoch nicht zu viel von der Handlung des Romans zu verraten, führt die NDR-Moderatorin Margarete von Schwarzkopf bevorzugt mit Fragen zu Recherchemethoden und der Biografie des Autors durch den Abend.

Dan Brown wurde 1964 als Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenorganistin in New Hampshire geboren und wuchs damit in einem Umfeld auf, in dem Wissenschaft und Religion keine Gegensätze darstellen. Diese Thematik griff er auch später in seinen Romanen auf. Nachdem er Englisch und Spanisch am Amherst College studierte hatte, verfolgte er zunächst das Ziel, Popsänger zu werden, wie er völlig gelassen mit Blick ins Publikum gerichtet verrät und gleichzeitig gesteht, sogar eine Schallplatte aufgenommen zu haben. Selbstironisch erklärt er: „ Ich habe ganze zwölf Exemplare verkauft. Zehn davon an meine Mutter".[2]

Erfolgreicher ist der Thriller-Autor heute mit seinen Romanen Diabolus, Illuminati, Sakrileg, Das verlorene Symbol, Meteor und seinem neuesten, am 14. Mai 2013 erschienenen Werk Inferno. In mehr als 44 verschiedenen Sprachen übersetzt und über 200 Millionen Mal verkauft, wurden die Werke um Robert Langdon, Illuminati und Sakrileg schließlich von Sony Pictures verfilmt und spielten, mit Tom Hanks in der Hauptrolle, weltweit Millionen in die Kinokassen ein. Trotz dieses Erfolgs lebt der Autor mit seiner Frau Blythe Newlon, einer zwölf Jahre älteren Kunsthistorikerin, eher zurückgezogen und abgeschieden von der Öffentlichkeit.

Auf die Frage von Frau von Schwarzkopf, wie er für seine Romane recherchiere, antwortet er, dass er selbst immer wieder an die verschiedenen Orte fahre, um interessante Schauplätze für seine Werke zu suchen und mit Museumsdirektoren und Wissenschaftlern zu sprechen. Die besten Quellen seien die, die ihm etwas erzählen können, gibt er preis und erzählt dem Publikum von einer schwangeren Reiseführerin in Florenz, die ihm anvertraute, dass sie sich mit ihrem Mann nicht auf einen Namen für ihr ungeborenes Kind einigen könne. Während sich in der Realität der Namenswunsch des Vaters durchsetzte, greift der Autor, davon inspiriert, die Figur der schwangeren Reiseleiterin auf und gibt dem Neugeborenen in seinem Roman den Wunschnamen der Mutter. Eine beeindruckende und gleichzeitig rührende Geste, von der zumindest das weibliche Publikum im Lesungssaal sichtlich beeindruckt zu sein scheint.

Völlig gelassen und entspannt gibt sich Dan Brown an diesem Abend gegenüber seinen Fans und den Fragen der Moderation, auf die er offen und humorvoll antwortet. Auch auf die Nachfrage, ob sein neuer Roman verfilmt werde, antwortet er:

Das darf ich eigentlich nicht beantworten. Ich habe zugestimmt, eine entsprechende Ankündigung gegebenenfalls der Firma Sony Pictures zu überlassen. Aber sagen wir es so: Wenn Sony Pictures eine entsprechende Ankündigung macht – sollten Sie nicht allzu überrascht sein.[3]

Eine Neuigkeit, die anlässlich seines Besuchs in Köln alle in Entzücken versetzt, ist an diesem Abend sein Hinweis, dass er aktuell an einem neuen Roman arbeite. Auf das Nachhaken von Frau von Schwarzkopf, ob dieser vielleicht in Köln spiele, antwortet er: „Alles ist möglich. Im Moment plane ich kein Köln-Buch. Aber vielleicht ändert sich das ja nach der Domführung “.[4] Damit fiebern von nun an, wohl vor allem die deutschen Dan Brown Fans, dem Erscheinen seines neuen Romans in ganz besonderem Maße entgegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Foto: G. D. F-M)

Stefan Krüger Dan Browns Bezug zur Renaissance und zu Florenz in seinem Roman Inferno

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Foto: G.D. F-M)

Dan Browns Werk Inferno ist ein Weltbestseller. Ein Thriller, der sich der Renaissance bedient, um eine originelle Geschichte zu erzählen. Die Frage ist, ob es Dan Brown gelungen ist, die Leserschaft nicht nur für die Geschichte seiner Protagonisten zu begeistern, sondern gleichfalls ein Interesse an den im Buch genannten Schauplätzen und Kunstwerken zu generieren.

In diesem Beitrag sollen einige Schlüsselszenen, die in Bezug zu herausragenden Kunstwerken der Renaissance stehen, analysiert und auf ihre Realitätsnähe überprüft werden. Außerdem möchte ich den Stellenwert von Dan Browns Inferno in der modernen Popkultur herausarbeiten, um zu erläutern, welche Bedeutung eine der wichtigsten Epochen der Menschheitsgeschichte heute noch hat und welchen Einfluss ein Roman der Populärliteratur auf selbige nehmen kann. Kommerzieller Erfolg ist den Werken Dan Browns kaum abzusprechen. Ob dabei lediglich die Produktion eines Weltuntergangsthrillers intendiert war, oder ob doch ein einfallsreich geschriebener Text mit komplexen, realitätsnahen Zügen entstanden ist, wird sich in der Analyse zeigen.

1. Dan Browns Renaissance

Die Renaissance zählt vor allem in der Kunst zu einer der wichtigsten Epochen der Menschheitsgeschichte. In ihr entstand ein enormes Spektrum an Kunstwerken in Malerei, Skulptur und Literatur, das die westliche Welt bis in die Gegenwart stark beeinflusst hat. Zeitlich verortet im 15. und 16. Jahrhundert zog die Renaissance zwar einen Großteil ihrer Inspiration aus der christlich-katholischen Religion und der Antike, sie war jedoch die erste kulturhistorische Epoche, in der Kunst nicht ausschließlich von der Kirche, sondern auch von sehr reichen Privatpersonen, wie etwa den Medici, gefördert und finanziert wurde. Es gelingt Dan Brown aus dem Symbolreichtum der Kunstwerke einen Handlungsfaden für seinen Roman Inferno zuspinnen.

Zu Beginn des Romans lässt Dan Brown seinen Protagonisten in einem Krankenhaus erwachen. Professor Dr. Robert Langdon leidet an einer Kopfverletzung und an einer daraus resultierenden Amnesie. Nach einem (wie sich später herausstellt, vorgetäuschten) Attentat im Krankenhaus, das ihm zu gelten scheint, kann er mit der Ärztin Sienna Brooks, in deren Wohnung zu fliehen. Dort kommt es zur ersten Schlüsselszene, in der ein Kunstwerk auftaucht, das in seiner Symbolik die ersten Hinweise für Robert Langdon liefert.

Bei dem Kunstwerk handelt es sich um La Mappa dell’Inferno von Sandro BotticelliIm Deutschen wird es aufgrund der dargestellten Form der neun Höllenkreise auch DerHöllentrichter genannt.[5] Die Mappa dell’Inferno stellt in Dan Browns Roman ein Schlüsselmotiv dar. Sie ist die Verbindung zwischen der Renaissancekunst und Dante Alighieris Göttlicher Komödie und nicht zuletzt der entscheidende Hinweis, der Robert Langdon und seine Begleiterin zum Ziel führen soll. Brown verwendet manchmal die Kunstwerke in modifizierter Form, um ein Rätsel zu transportieren. In diesem Fall wurde die Mappa dell’Inferno von Langdons Gegenspieler verändert. Die Höllenkreise wurden mit Buchstaben versehen und in ihrer Reihenfolge verändert, um die Wörter Cerca Trova zu verbergen. Suche, und du wirst finden.[6]

Das Kunstwerk als Ausgangspunkt eines Rätsels ist typisch für Dan Brown. Es verbindet die Hauptthematik der Verfolgung Langdons mit dem kunstanalytischen Blickwinkel des Harvardprofessors. (Der sprichwörtliche rote Faden zieht sich so von Dantes Göttlicher Komödie aus dem 14. Jahrhundert über Botticellis Verarbeitung von Dantes literarischem Werk im 15. Jahrhundert bis hin zur Modifikation der Mappa dell’Inferno durch Bertrand Zobrist in der Gegenwart.) Dan Browns Prinzip ist es, die Geschichte bis zu einem bestimmten Punkt unverfälscht zu lassen.

Dies zeigt sich an einer weiteren Szene, in der Brown mit der Modifikation eines Kunstwerks arbeitet, das sich auf ein anderes Leitsymbol der Handlung bezieht: die Totenmaske Dante Alighieris. Die Maske existiert tatsächlich, sie befindet sich jedoch im Buch, anders als in der Realität, im Besitz des charismatischen Wissenschaftlers Bertrand Zobrist. Wie schon bei der Mappa dell’Inferno ist es auch in diesem Fall wieder er, der einen Hinweis auf einem Kunstwerk hinterlässt, das in enger Verbindung zu Dantes Werk steht.

Robert Langdon und seine Begleiterin Sienna Brooks entdecken auf der Innenseite der Totenmaske die von Zobrist geschriebenen Zeilen:

Ihr, die von gesundem Geist besessen, bemerkt die Lehre, die vom Schlei’r umzogen in sich verbirgt dies seltsam Gedicht. Suchet den verräterischen Dogen von Venedig, der Rössern den Kopf abschlug und die Knochen der Blinden raubte. Kniet nieder im vergoldeten Mouseion der heiligen Weisheit, dann leget das Ohr auf den Boden und folgt dem Klang tropfenden Wassers, folgt ihm tief in den versunk’nen Palast, denn hier im Dunkel lauert das chthonische Monster in den blutroten Wassern der Lagune, in der sich nie spiegeln die Sterne.[7]

Diese Inschrift ist aus vielerlei Blickwinkeln von großer Bedeutung für die Handlung und die unterschiedlichen Symbolebenen in ihr. Zum einen ist der Text spiralförmig im Kreis geschrieben. Die Spirale besitzt neun Windungen, was wiederum eine Anspielung auf die neun Höllenkreise in der Göttlichen Komödie, beziehungsweise auf Botticellis Mappa dell’Inferno ist. Des Weiteren entspricht der Text in seinem Duktus der Schreibweise Dante Alighieris und endet auch mit dem Wort Sterne, wie es auch jeder der drei Teile der Göttlichen Komödie tut. Es ist dieser letzte Hinweis auf der Innenseite der Maske, der zum Versteck des Pathogens führen soll.

Beides sind Hinweise, die nur ein kunsthistorisch gebildeter Mensch entschlüsseln kann. Und so benutzt Dan Brown immer wieder die Kunstwerke in ihrem Bezug auf Dantes Göttliche Komödie, um die Handlung des Thrillers mit dem Charakter des Symbologen Robert Langdon in Verbindung zu stellen.

Browns Werk ist von Anekdoten durchzogen, die sich auf die Renaissance beziehen. So geht er natürlich auch auf die in der Geschichte von Florenz wichtigste und vor allem für die Kunstförderung der Renaissance relevanteste Familie Italiens ein: die Medici. Die Medici bestimmten auf ihrem Zenit nicht nur den Handel und die Politik der Stadt Florenz, sie unterstützten und förderten auch das Schaffen der talentiertesten Künstler dieser Zeit mit enormen finanziellen Mitteln.[8]

Und so werden die Medici auch im Buch gemäß ihres damaligen Einflusses erwähnt. Beispielsweise ihre Unterstützung Michelangelos, den sie bei sich aufgenommen haben, damit er seinen Tätigkeiten als Künstler nachgehen konnte. Michelangelo wird als das größte Geschenk bezeichnet, das die Medici der Menschheit gemacht haben.[9]

Eine weitere Anekdote bildet die mit der Stadtarchitektur verbundene Geschichte der Familie. Langdon identifiziert Florenz anhand des Palazzo Vecchio, den er aus dem Krankenhaus heraus erblickt.[10] Obwohl der sogenannte Alte Palast nicht von den Medici erbaut worden ist, zogen diese um das Jahr 1537 in das Gebäude ein und beauftragten sowohl Michelangelo als auch Leonardo, Gemälde für die Innenräume anzufertigen.[11]

Auf ihrer Flucht vor der Polizei verstecken sich Langdon und Brooks im Boboli- Garten und danach im Palazzo Pitti.[12] Der Palazzo Pitti wurde ebenso wie der Palazzo Vecchio nicht von den Medici erbaut, aber von der Gattin Cosimos I. de’ Medici gekauft und fertiggestellt, nachdem er fast einhundert Jahre lang unvollendet geblieben war. Auch der überaus prächtige Boboli -Garten wurde erst durch die Medici an den Palast angefügt. Weiterhin beherbergt der Palazzo Pitti bis in die Gegenwart hinein die Galleria Palatina, die Gemäldesammlung der Medici. Dan Brown verwendet sein kulturhistorisches Wissen, um die Bezüge zur Renaissance zielgenau um die Handlung zu verdichten und glaubwürdig zu gestalten.

2. Infernoals Phänomen der Populärkultur

Dan Browns Roman Inferno ist ein Weltbestseller geworden. Auf der amazon.de-Jahresbestsellerliste in der Sparte Krimis und Thriller stand Inferno im Jahr 2013 auf Platz 1.[13] Mehrere Wochen stand das Buch auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.[14]

Es ist der nunmehr vierte Roman von Dan Brown, in dem der Symbologe Professor Dr. Robert Langdon die Hauptrolle spielt. Das Bild des Harvard-Professors ist in den Köpfen der Leser fest verankert und fast schon ein Erfolgsgarant. Aus diesem Grund gibt es auch Contra aus dem Feuilleton. So kritisiert „Die Welt“, dass Dan Brown wieder auf seine bewährten Methoden aus den Romanen Illuminati und Sakrileg zurückgreife.[15] Genauer: „Die Helden erreichen eine Sehenswürdigkeit, werden kurze Zeit später von ihren Verfolgern eingeholt, entkommen auf spektakuläre Weise und ziehen zum nächsten Point of Interest. Wie bei einer Europe-in-one-week-Tour.“[16]

Das Zeit-Online-Magazin schrieb über den Thriller Gutes, nicht jedoch, ohne auf zwei Schwächen in der Handlung hinzuweisen. Zum einen werde der Leser durch den Erzähler im Buch hinters Licht geführt, weil dieser die inneren Monologe der Figuren nur selektiv wiedergebe und so die wahren Absichten der Charaktere für den Leser unzugänglich mache. Zum anderen wird kritisiert, dass Bertrand Zobrist mit den von ihm selbst verstreuten Hinweisen auf seine Tat eine Schnitzeljagd initiiere, die für einen Überzeugungstäter wie ihn unlogisch beziehungsweise unüblich scheint.[17] „Und doch bleibt der Leser mit Genuss am Ball. Die Figuren sind glaubwürdig gezeichnet, die Schönheitssehnsucht von Robert Langdon ist ansteckend. Inferno ist charmante Unterhaltungsliteratur mit einem kühnen Schluss.“[18]

So ist das Presseecho für Inferno zwar gespalten, aber trotzdem aufsehenerregend und für den Erfolg des Buches hilfreich. Der Name Dan Brown hat sich seine Popularität über all die davor erschienenen Bestseller hart erkämpft, und so lag die Gesamtauflage seiner Werke noch vor dem Erscheinen von Inferno bei weltweit 16,5 Millionen Exemplaren. Inferno hatte 2013 zum Erscheinungstag eine Auflage von 700.000 Exemplaren von denen allein 600.000 am selben Tag ausgeliefert worden sind.[19]

Sein Schema ist klar erkennbar. Robert Langdon gerät über unterschiedliche Umstände in eine Verschwörung und wird um Hilfe gebeten, um ein Problem zu lösen. Die Handlung spielt immer an einem Ort bzw. in einer Stadt, die sowohl kulturell als auch historisch von großem Interesse ist. (So waren es im Jahr 2003 im Thriller Illuminati Rom und der Vatikan, im Jahr 2004 in Sakrileg die Stadt Paris und fünf Jahre später in Das verlorene Symbol Washington D.C.).

Immer ist es Robert Langdon, der weltberühmte Symbologe, der als Einziger in der Lage scheint, mit seinem Wissen die Welt retten zu können, und immer wird ihm auf seiner Jagd nach dem Bösen eine attraktive weibliche Begleitung zur Seite gestellt. Man kann Dan Brown sicher vorwerfen, sich nicht weiterzuentwickeln, aber warum das Konzept verändern, wenn es gut läuft?

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Erfolges von Dan Browns Werken ist das Thema, das jeweils die Handlung bestimmt. So ging es in Illuminati um die Differenz zwischen Wissenschaft und Religion und schlussendlich um die drohende Vernichtung des Vatikans. In Das verlorene Symbol ging es um die sagenumwobenen Geheimbünde in der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und in Sakrileg um den heiligen Graal und die Theorie eines Sohnes von Jesus Christus und Maria Magdalena. All die Themen haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Zum einen lassen sie sich bis ins Mittelalter oder sogar weiter zurückverfolgen und zum anderen sind sie wie geschaffen, von einem Symbologen untersucht zu werden. Was aber der wichtigste Punkt unter den Gemeinsamkeiten der Themen für den Erfolg der Bücher zu sein scheint ist, dass sie alle polarisieren.

Und so ist es auch in Inferno. Es geht um die Überbevölkerung der Menschheit und die daraus folgende Ressourcenknappheit, die den Untergang für die Menschheit mit sich bringen soll. Brown führt zu dieser Thematik die tatsächlich existierende Tabelle zur Statistik des weltweiten Bevölkerungswachstums an, um die explosionsartigen Ausmaße in den letzten 30 Jahren zu veranschaulichen und Bertrand Zobrist ein Motiv für seine Tat zu liefern.[20] Zobrist sieht sich als Erretter der Menschheit und bedient sich des Verweises auf die Pest und die darauffolgende Renaissance: Erst muss man durch die Hölle gehen, um danach in den Himmel zu kommen. Er sieht den einzigen Weg zum Erfolg in seinen Forschungen zum Transhumanismus, also der genetischen Weiterentwicklung des eigenen Menschseins. Polarisierend ist letztlich, dass dem Transhumanismus in der Handlung nur verhältnismäßig wenig Kritik entgegengebracht wird. Im Buch wird kein real umsetzbarer Vorschlag genannt, den man den Handlungen Zobrists entgegensetzen könnte, denn dass es zur einer katastrophalen Überbevölkerung kommen wird, steht für alle Parteien im Buch fest. Wichtig scheint, dass man überhaupt etwas tut, und so heißt es schon vor Beginn der eigentlichen Handlung: „ Die heißesten Orte der Hölle sind reserviert für jene, die in Zeiten moralischer Krisen nicht Partei ergreifen.[21]

Jürgen Priester schreibt auf der Website Krimi-Couch.de zur Thematik des Bevölkerungswachstums: „Zu verkürzt, zu einseitig und gefährlich naiv wird die Problematik abgehandelt. Der – wenn auch überzogene – transhumanistische Lösungsansatz, der hier propagiert wird, löst zwar allgemeines Entsetzen aus, erfährt aber so gut wie keine Widerrede.“[22]

Die „Süddeutsche“ wirft Brown des Weiteren vor, die Figur der Ärztin Sienna Brooks von anderen Figuren in Erfolgsthrillern, wie Stieg Larssons Lisbeth Salander, abgekupfert zu haben: eine junge, hochintelligente Frau, die in ihrer Kindheit ein traumatisches Erlebnis durchgemacht hat und in der Handlung eine Schlüsselrolle einnimmt.[23]

Auch die Tatsache, dass es sich bei Langdons Begleiterinnen, die ihm in jedem Buch zur Seite gestellt werden, immer um attraktive junge Frauen handelt, ist ein Aspekt, der den Roman so massentauglich macht. Hinzu kommt die einfache, für jeden verständliche Sprache, in der Dan Brown erzählt, und die in jedem seiner Bücher äußerst kurz gehaltenen und intensiv geschriebenen Kapitel, in denen die Handlung vorangetrieben wird.

So sind sich die Kritikerstimmen des Feuilletons einig, wenn in fast allen Buchbesprechungen betont wird: Die Ästhetik eines Dan Brown-Romans sei für jedermann zugänglich ohne die Erfordernis von Grundkenntnissen zu der jeweiligen Thematik. Weder muss man Dante-Kenner noch mit der Renaissance vertraut sein, um Inferno verstehen zu können. Jedes im Buch vorkommende Kunstwerk wird zu Beginn seines Auftretens en détail vorgestellt, und seine Geschichte erläutert.[24] Der Einfluss von Dantes Göttlicher Komödie wird besonders hervorgehoben. So haben sich unter anderem die „größten kreativen Persönlichkeiten der Geschichte“ wie „Longfellow, Chaucer, Marx, Milton, Balzac, Borges und sogar mehrere Päpste“[25] mit Dantes Texten befasst.

So bezeichnet Lothar Müller den Kulturthriller Inferno auf sueddeutsche.de durchgehend als Geschäftsmodell[26] mit dem Willen, ein Weltbestseller zu werden, um vor allem die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben. Neben Dan Brown hat auch der Verlag den breiten kommerziellen Erfolg der Werke unterstützt. Zum einen trägt die Umschlaggestaltung zum Wieder-erkennungswert bei, zum anderen gab es einige marketingtechnische Entscheidungen, die vor der Veröffentlichung des Romans getroffen wurden, um das neue Werk mit einem Mysterium zu umgeben.

So wurde ein erheblicher Aufwand betrieben, um das Manuskript unter Verschluss zu halten. Keine Information durfte an die Öffentlichkeit gelangen, damit die Spannung um die Handlung bis zum 14.05.2013 aufgebaut werden konnte. Die PDF-Manuskripte wurden pünktlich um 00.00 Uhr an die Presse geschickt.[27] Nichts wurde dem Zufall überlassen, und so erschließt sich ein zusammenhängendes Bild der verschiedenen Aspekte, die zum Erfolg von Inferno geführt haben.

Die Frage, die sich daher stellt, ist, ob Dan Brown es geschafft hat, sein breites Publikum nicht nur für einen Thriller zu begeistern, sondern auch für kultur- und kunsthistorische Themen. Es handelt sich bei den Werken Dan Browns um Trivial- oder Unterhaltungsliteratur, die nicht den Anspruch hegt, für mehr als für ein kurzweiliges Lesevergnügen zu sorgen. Das zumindest ist die Ansicht, die sich nach dem Lesen der ersten drei Robert Langdon-Romane vertreten lässt. Inferno allerdings thematisiert im Gegensatz zu seinen Vorgängen erstens ein Problem, das gegenwärtig real existiert, und zweitens die These, dass es nicht moralisch vertretbar sei, auf keiner Seite zu stehen. Der Leser wird also gezwungen, sich eine Meinung zu bilden.

Ob sich all die Fans im Nachhinein mehr für Kunst interessieren und in Dan Browns Werken den Anreiz entdeckt haben, die beschriebenen Details und Rätsel auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wird sich nur schwer feststellen lassen. Wenn aber zu Themen wie der Überbevölkerung und dem Transhumanismus echte Daten verwendet werden, die die Problematik in ihrer Aktualität zeigen, dann ist das ein Unterschied zu vielen Thrillern anderer Autoren. In diesem Bereich grenzt sich Inferno von der reinen Trivialliteratur ab

Wenn Browns weitgefasstes Publikum sich nun auch nicht zu kunstinteressierten Kennern der Renaissancekultur weiterentwickelt, so lassen die hohen Verkaufszahlen immerhin darauf schließen, dass Dan Brown es geschafft hat, die Wichtigkeit und die Erhaltenswürdigkeit alter Kulturen zu verdeutlichen. Es ist ihm gelungen, die Welt der Kunstgeschichte zu einer lebhaften Szenerie umzufunktionieren und damit auch der Renaissance einen neuen Stellenwert in der Popkultur der Gegenwart zu verschaffen

Es besteht die Möglichkeit, in Florenz eine Führung auf den Spuren der Handlung von Inferno durchzuführen. So sollen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten wie der Turm der Badia, der Palazzo Vecchio sowie Dantes Kirche und auch das Baptisterium bis hin zum Florentiner Dom in der Führung in Bezug auf die Handlung von Inferno erläutert werden. Man will versuchen ein literaturgetreues Gefühl zu reproduzieren.[28]

Führungen dieser Art wurden nicht erst nach Erscheinen des Romans Inferno angeboten, sondern bereits nach Illuminati durch Rom[29] und nach Sakrileg durch Paris.[30] Das Interesse an solcherlei Führungen ist ein klares Indiz dafür, dass ein großes Interesse daran besteht, die Kunst und ihre Symbolik im Lichte des Romans kennenzulernen.

3. Der Popstar Robert Langdon

Neben der Verbindung mit der Kultur- und Kunstgeschichte eines Landes ist es vor allem der Harvard-Professor Dr. Robert Langdon, der in seinem sympathischen Auftreten einen großen Anteil am Erfolg der Reihe trägt. Es sind die wiederkehrenden Merkmale in einem jeden Robert Langdon-Thriller, die ihn zu einer einprägsamen Persönlichkeit formen, die sich über vier Romane hinweg nicht wirklich verändert hat. So trägt er in jedem Roman die Mickey-Maus-Uhr, die in seinem Auftreten eine Auffälligkeit, einen Kontextbruch darstellt. Sie springt aus dem Bild des Tweed-Jackett tragenden Mannes heraus, macht ihn deswegen sympathisch und menschlich.

Weiterhin ist er in der Lage, eine Reihe von Abenteuern zu überstehen, ohne größere und vor allem bleibende körperliche Schäden davon zu tragen, und er besitzt ein eidetisches Gedächtnis.[31] Er ist also in der Lage, Bilder und Eindrücke so in seinem Gedächtnis zu verwahren, dass er die Erinnerung daran auch auf lange Sicht noch detailgetreu abrufen kann.[32]

Eine weitere wichtige Eigenschaft Langdons ist seine Vergangenheit als Leistungsschwimmer und Turmspringer. Diese Fähigkeiten sorgen dafür, dass er, auch wenn er diese Sportarten schon seit etlichen Jahren nicht mehr betreibt, beispielsweise eine enorme Ausdauer hat. Auch dass zwischen ihm und seinen attraktiven Gefährtinnen in jedem Roman mindestens eine erotische Spannung zu vernehmen ist, spricht dafür, dass Robert Langdon eine anziehende Persönlichkeit besitzt. Außerdem stellt er eine renommierte Person in den Kreisen der Kunst, Kultur und Symbolwissenschaften dar. Er ist ein Held, mit dem man sich einerseits identifizieren kann und sich andererseits wünscht, man könnte ein wenig mehr sein wie er, ein bisschen mehr dieses abenteuerliche Leben führen, wie es Robert Langdon tut.

Dan Brown verbindet in Robert Langdon die scheinbar trockene Welt der Wissenschaft (Symbologie, Literatur, Kunst und Kulturwissenschaften) mit den Abenteuern, die er erlebt, wenn er wieder wegen der Aufklärung einer Verschwörung oder Ähnlichem um Hilfe gebeten wird. Was aber, vor allem in Bezug auf Inferno, die wichtigste Eigenschaft ist, die Robert Langdon auszeichnet, ist sein Kunstinteresse, das er bereits seit seiner Teenagerzeit hat. Florenz war, so steht es im Buch, stets eines seiner liebsten Reiseziele in Europa.

Es ist vor allem die Sprache und die Leidenschaft, die Hingabe an das Wissen über die Kunst, die Dan Brown in den Held der Geschichte zu legen vermag, die diesen so speziell und gleichzeitig so normal wirken lassen. Er ist eine mögliche Identifikationsfigur für jedermann, über den die Beschreibungen und Eindrücke erst zum Leser geleitet werden können. Es ist fragwürdig, ob ein Dan Brown-Roman ohne Langdon den gleichen kommerziellen Erfolg mit sich bringen würde.

4. Fazit

Inferno ist der Roman, den man hätte erwarten können, wenn man sich in der Robert Langdon-Reihe auskennt . Ob Dan Brown nur schreibt, um den größtmöglichen kommerziellen und somit auch finanziellen Gewinn zu generieren, wird sich mit Sicherheit nie sagen lassen. Den so unglaublich erfolgreich gewordenen Romanen des Dan Brown lässt sich so Einiges vorwerfen, und es ist immer leicht, das Massentaugliche und Erfolgreiche zu kritisieren. Inferno ist keine anspruchsvolle Literatur und führt dennoch in eine lebendige und detailreiche Welt aus Kunst, Kultur und Symbolen, der sich Manche ohne diesen Roman eventuell nie zu nähern gewagt hätten. Dan Brown trägt auf diese Art dazu bei, bei vielen Menschen eine gewisse Ehrerbietung und ein Grundverständnis für die Zusammenhänge der kulturellen Geschichte einer Stadt mit der Religion und der damit zusammenhängenden Komplexität an Zeichen und Symbolen hervorzurufen.

Schwierig ist, dass der Roman sich der Lösung des Problems der Überbevölkerung auf eine einseitige Art und Weise nähert, die am Ende kaum mehr als einen einzigen Schluss zulässt.

Dan Brown verlässt sich in Inferno auf altbewährte Mittel und bringt die Geschichte zu einem abgerundeten Ende. Er schafft es, die komplexe, verworrene und detektivische Verfolgungsjagd durch Florenz unter den Deckmantel der Kulturgeschichte zu legen und somit jedem Leser einen handfesten Unterhaltungsroman zu bieten. Aus Sicht der gehobenen Literatur ist Inferno anspruchslos und bestenfalls spannend erzähltes Sightseeing, aus der Sicht der Trivialliteratur ist es ein gut durchdachter Thriller mit überraschendem Ende, den es Spaß macht zu lesen. Dan Brown ist fest in der Populärkultur verankert und wird es wahrscheinlich auch noch mit einem oder zwei weiteren Robert Langdon-Romanen schaffen, seinen Platz an der Spitze des Kulturthriller-Genres verteidigen zu können.

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(Fotos: S. Metz)

Literaturverzeichnis & Internetquellen

Brown, Dan: Inferno, Köln 2013

Conti, Flavio: Wie erkenne ich Renaissancekunst?, Stuttgart 1979

Edmund, Jacoby (Hg.): Die visuelle Geschichte der Neuzeit, Hildesheim 2003

Körner, Hans: Botticelli, Köln 2006

Stützer, Herbert Alexander: Die italienische Renaissance, Köln 1977

Wilkins, David G. / Zaczek, Iain: Das große Buch der Kunst, München 2008

http://www.amazon.de/b/ref=amb_link_177155387_8?ie=UTF8&node=2107159031&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-left-2&pf_rd_r=18PY08NTX5QSGPW15WR6&pf_rd_t=101&pf_rd_p=464497767&pf_rd_i=2104666031 (vom 25.03.2014)

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http://www.florence-museum.com/de/Die_Inferno_Dan_Browns_Private_Fuhrung.php (vom 27.03.2014)

http://www.krimi-couch.de/krimis/dan-brown-inferno.html (vom 26.03.2014)

https://www.paris-tours-guides.com/gb/fr_da-vinci-code-paris.htm (vom 27.03.2014)

http://www.psychology48.com/deu/d/eidetik/eidetik.htm (vom 27.03.2014)

http://www.romaculta.it/illuminati-tour.html (vom 27.03.2014)

http://www.sueddeutsche.de/kultur/inferno-von-dan-brown-fiasko-der-lauernden-botschaften-1.1673647-2 (vom 26.03.2014)

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Sektion Zwei: Die Geschichte von Florenz

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(Fotos: S. Metz)

Benedikt Liermann Florenz – ein europäisches „Wunder“

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(Foto: V. Ehrmann)

Im Jahr 1982 wurde das historische Stadtzentrum von Florenz durch die UNESCO zum „Weltkulturerbe“ erklärt. Im Katalog zur Florenz-Ausstellung, die 2013/2014 in Bonn zu sehen war, heißt es dazu:

Die Dichte der Baudenkmäler und Kunstschätze höchster Güte, wie sie im historischen Zentrum von Florenz versammelt sind, sucht ihres gleichen. […] Im Begründungsschreiben des Internationalen Rates für Denkmalpflege ICOMOS findet sich dazu die wohl einmalige Vorbemerkung, es gebe viele gute Gründe warum Florenz mit seinem kulturellen Erbe schon längst auf der List des Weltkulturerbes verzeichnet sein sollte – dies zu rechtfertigen sei ebenso unangemessen wie überflüssig.[33]

Weiterhin bezeichnete ICOMOS das Stadtgefüge von Florenz als „absolutes Meisterwerk, die Frucht eines mehr als sechs Jahrhunderte währenden Schaffensprozesses“[34]. Diese Bewertung der toskanischen Hauptstadt ergibt sich aus heutiger Sicht dank der epochenübergreifenden Baukunst florentinischer Architekten. In der Stadt trifft der Besucher sowohl auf mittelalterliche Architektur als auch auf Prachtbauten der Renaissance und des Barock sowie auf romantische und gotische Architektur. Es ist aber nicht nur die Quantität und Qualität der verschiedenen Sakralbauten – angefangen von der Kathedrale Santa Maria del Fiore über die Franziskanerkirche Santa Croce bis hin zur Dominikanerbasilika Santa Maria Novella – oder der verschiedenen repräsentativen Palazzi, die die Aufnahme Florenz in die Liste der Weltkulturstätten begründet hätte.

Ein zweites Motiv, die toskanische Hauptstadt in die Welterbeliste zu integrieren, ist ihr Beitrag zur Kultur Europas in der Renaissance. Beigetragen haben dazu unter anderem Künstler, Humanisten, Naturwissenschaftler und Staatsphilosophen. Diese standen häufig unter Schutzherrschaft einzelner Herrscherpersönlichkeiten oder gar ganzer Florentiner Bankhäuser.

Der Reichtum an erhaltenen Kunstwerken ist vor allem auf die Familie der Medici zurückzuführen. Sie förderten Künstler und zogen sie und ihre Werke nach Florenz. Michelangelos David oder Botticellis Geburt der Venus – als zwei der wichtigsten Werke – gehen auf ihren Einfluss zurück. Mit Cosimo de Medici (1389-1464) – dem Begründer der Medici-Dynastie – setzte die Kunst- und Kulturförderung ein, die bis zum Erlöschen der Dynastie 1737 andauerte. Anna Maria Luisa de Medici veranlasste mit dem „Patto di famiglia“ 1737, dass die Medici-Sammlungen auch nach dem Übergang des Großherzogtums an die Lothringer an ihrem angestammten Ort erhalten blieben. Somit ist es ihr zu verdanken, dass Florenz als eines der Zentren der Renaissance - jener „von Jacob Burckhardt (1818-1898) mit poetischer Kraft konstruierten [...] Epoche“[35] - im 19. Jahrhundert solch eine Beachtung fand. Die Beschäftigung mit der Renaissance, die in der Florenz unbestreitbar ihre Hochphase erlebte, wirft große Fragen auf: Wie kam es zu dieser einmaligen Blüte in Florenz? Wie kam es, dass gerade auch durch Florenz Italien zum Stammland der Kultur des Abendlandes wurde?

Antworten auf diese Fragen sind äußerst vielschichtig und umstritten[36]. Die Beschäftigung mit Florenz bietet, so scheint mir, Erkenntnisse, die sich auf Italien und möglicherweise auch auf Europa als Kulturraum insgesamt anwenden lassen. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung für die Renaissance war die politische Vielfalt, in die sich Europa aufspaltete. Italien war mit seiner vielgestaltigen Staatenwelt Mikrokosmos des „kaleidoskopischen Kontinents und Laboratorium des Politischen“.[37] Diese Zersplitterung in verschiedene Herrschaftsgebilde bot Künstlern und Literaten die Möglichkeit, sich an anderem Höfe abzusetzen, um dort andere Mäzene zu finden. Zwei der berühmtesten Beispiele hängen mit Florenz zusammen: Als einer der drei Florentiner „Kronen“ wurde Dante Alighieri (1265-1321) aus seiner Heimatstadt Florenz 1302 verbannt. Seine Göttliche Komödie entstand im Exil. Der aus Pisa stammende Galileo Galilei (1564-1641) hingegen wurde in Florenz durch die Familie der Medici gefördert und erhielt dort die Freiheit, sich komplett der Forschung zu widmen. Ihre Macht reichte allerdings nicht soweit, ihn vor dem durch die Inquisition eingeforderten Hausarrest zu schützen.

Benedetto Dei (1418-1492), der sowohl Europa als auch Afrika und Asien bereiste, schrieb die Überlegenheit seiner Heimatstadt Florenz sieben Faktoren zu:

[…] der politischen Freiheit, der wohlhabenden und zahlreichen Bevölkerung, dem Fluss mit seinen Wassermühlen innerhalb der Stadtmauern, der Herrschaft der Florentiner über das Umland, dem Unterricht in den humanistischen und mathematischen Disziplinen, den «arti» (womit zum einen die Zünfte, ganz allgemein aber auch die Kunstfertigkeit auf jedem Gebiet gemeint ist) und schließlich dem florierenden Bankwesen mit seinen Niederlassungen im Ausland.[38]

Um diese immer noch gültige Aussage in ihrer Komplexität erfassen zu können, muss man sich die historische Entwicklung der Arnostadt vor Augen führen, die sich im Jahr 1138 zur Kommune erklärte. Formell war sie noch dem Heiligen Römischen Reich zugehörig, de facto aber bereits unabhängig. In nationalem Vergleich relativ spät konstituierte sich Florenz 1138 zur Stadtrepublik. Mit vier gewählten Konsuln als Oberhäupter der Kommune war das selbstgesteckte Programm auch klar: „Florenz sollte sich als ein neues, besseres Rom in republikanischen Formen selbst regieren“.[39] Diese „Konsulararistokratie“ musste sich zwei Problemen stellen. Zum einen bildeten die inneren Konflikte ein schwerwiegendes Problem bei der Konstituierung der Regierung; zum anderen waren die italienischen Stadtstaaten auf Expansion ausgerichtet, weswegen Florenz versuchen musste, den Expansionsbestrebungen anderer Städte zuvorzukommen und das eigene Umland zu beherrschen.

Bis 1200 war Florenz auf etwa 25.000 Einwohner angewachsen. Im europäischen Vergleich war das viel, doch es war weniger als das knapp 100 Kilometer entfernte Pisa, das als Hafen- und Großhandelsstadt ökonomisch Florenz voraus war. Florentinische Kaufleute hatten zwar bereits ihren Radius über Italien hinaus ausgedehnt, doch sie handelten vor allem mit lokalen Produkten, mit denen sie keine außergewöhnlichen Gewinne erzielen konnten. Hinzu kam, dass im Jahre 1200 durch Urbanisierung und Bevölkerungswachstum so viele Familien zur politikfähigen Schicht zählten, dass mehr als 1.000 Bürger dem „Parlamentum“ angehörten. Daher trat nun an die Stelle des Konsulats der Podestà: Er stand den Behörden vor, war oberster Richter, Befehlshaber des Heeres und am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Damit sich der Podestà nicht zum Diktator aufschwingen könne, wurde er auf die Statuten der Kommune vereidigt und konnte nur ein Jahr regieren. Eine weitere „Verfassungsgarantie“ bestand darin, dass der Podestà stets ein „Fremder“ von außerhalb der Stadt war und nach seiner Amtszeit Florenz wieder verlassen musste. Durch eben die fehlende Bindung an die Kommune blieb sein Einfluss gezügelt – und zwar so sehr, dass er faktisch nicht mehr war als Schiedsrichter zwischen den Parteien. 1282 gestaltete der „ Popolo grasso “ – die zu Reichtum gekommene Schicht, die nach Beteiligung an der politischen Macht strebte – die florentinische Politik und führte die „Zunftherrschaft“ ein. Von jetzt an musste, wer in der Politik aktiv sein wollte, Mitglied einer gehobenen Berufsgenossenschaft sein. Aber nicht alle Genossenschaften stellten die Mitglieder der politischen Klasse. Sie blieb nur eine elitäre Auswahl – unter anderem Großkaufleute, Textilproduzenten, Seidenproduzenten, Bankiers, Richter und Notare, Ärzte und Apotheker sowie Kürschner und Gerber. Um Mitglied einer dieser Zünfte zu werden, war es allerdings nicht vonnöten, diesen Beruf auszuüben. Dante Alighieri beispielsweise war Mitglied der Zunft der Ärzte und Apotheker. Die bei Benedetto Dei angesprochenen „arti“ zählten seitdem zu den prägenden Elementen des sozialen und politischen Lebens in Florenz.

Im Laufe des 13. Jahrhunderts überflügelte Florenz Pisa wirtschaftlich und avancierte zu einem maßgeblichen Wirtschaftszentrum Europas. Die Textilindustrie florierte und das daraus gewonnene Geld wurde in ganz Europa angelegt. Bald schon nahmen Könige, Päpste, Ritterorden und geistliche Gemeinschaften bei florentinischen Banken Kredite auf. Die Rückzahlungen erfolgten nicht nur in monetärer oder materieller Form. Bankiers erhielten hohe Positionen bei Hofe oder wertvolle Monopole – wie den Einzug von Steuern. Die florentinischen Großfirmen hatten Filialen in ganz Europa – und Florenz erlebte einen erneuten Zuwachs, sodass um 1320 fast 100.000 Einwohner dort lebten.

Der Reichtum dieser Familien zeigte sich aber auch in monumentalen Bauten – sowohl in sakralen als auch in politischen Monumenten. Beispielhaft sei hier der Palazzo Vecchio von 1302 erwähnt, der als Wahrzeichen der Republik für die Vorherrschaft in der Region stand.

Mit dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts häuften sich Missernten in ganz Italien, was zu Versorgungsengpässen führte. Die schwerste Katastrophe aber war der Zusammenbruch der großen Handelskompanien Anfang der 1340er Jahre, da sowohl Philipp IV. (Der Schöne) aus Frankreich um 1310 als auch Edward III. aus England die Rückzahlung der Kredite an die florentinischen Bankhäuser verweigerten, die ihnen für die jahrelange Kriegführung bereitgestellt wurden.

Zu den wirtschaftlichen Turbulenzen gesellten sich politische Unruhen. 1301 spaltete sich die politische Klasse Florenz in die „Weißen“ und die „Schwarzen“. Bereits mehr als ein Jahrhundert zuvor hatten sich Parteiungen gebildet, die die Geschichte der Stadt Florenz und Italiens für Jahrhunderte begleiten sollten: Die sprichwörtlich gewordenen Auseinandersetzungen zwischen den „Guelfen“ (die ursprünglich tendenziell dem Papst nahestanden) und den „Ghibellinen“ (die anfangs eher als Parteigänger des Kaisers galten) haben die italienische Politik geprägt. Auch als sich die ursprüngliche politische Orientierung abgeschwächt hatte, blieben die Machtkämpfe rivalisierender Familien und ihren Gefolgschaften virulent. Aufgrund der wichtigen Rolle von Florenz griffen Papst Bonifaz VIII. und Karl II. von Anjou in den Konflikt ein. Mit der Unterstützung dieser beiden Herrscherpersönlichkeiten gewannen die „Schwarzen“ die Oberhand und gingen hart gegen ihre Gegner vor. Diese Fehde war der Grund, weshalb Dante, der die „Weißen“ aktiv unterstützte, ins Exil geschickt wurde – und sich von dort kritisch mit seiner Verbannung und seiner Heimatstadt auseinandersetzte.

Mit dem Jahre 1347 wurde die europäische Gesellschaft von der Pest heimgesucht, die etwa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte – so auch in Florenz – und in einem Rhythmus von ungefähr zehn Jahren bis 1400 immer wieder auftrat. Die Seuche wirbelte mehr als alle politischen Umstürze die Zusammensetzung der Führungsschicht durcheinander. Die chronische Zerstrittenheit in dieser Schicht wurde durch die Pest nicht gemindert. Die hierdurch entstandenen Risse nutzten die Ciompi – Handwerker in der Textilindustrie – 1378 und begannen einen Aufstand, den sie sechs Wochen lang aufrechterhalten konnten. Sie forderten Teilhabe an der Regierung. Auf die der Niederschlagung folgten repressive Maßnahmen. Macht und Einfluss verengten sich auf einen relativ kleinen Kreis von vier Familien und anderen Gründern der „Zunftrepublik“ unter der informellen Führung der Albizzi. Ein sehr wichtiger Trend für die spätere Geschichte lässt sich ab dieser Verengung der Macht auf wenige Zweige erkennen. Mit der Zeit wurden die Bündnismöglichkeiten wie Zunft, Sippenverband oder Stadtviertel zurückgedrängt, und an ihre Stelle traten Kernfamilien und deren Klientel. Folglich bildeten sich Netzwerke, Interessenvereinigungen heraus, die die Politik im Zeitalter der Renaissance bestimmten. Solche vielgliedrigen Netzwerke mit mehreren gleichrangigen Knotenpunkten und mannigfachen Abstufungen lebten von Machtbalance. Eine zu starke Machtkonzentration bedeutete Zerfall. In diesem komplexen Beziehungsgeflecht nimmt Propaganda – die Werbung in der eigenen Sache – eine immer größere Rolle ein. Durch die Medici wurde sie – vor allem aufgrund der Subtilität und Vielfalt – zur Perfektion getrieben. Die Medici ließen sich durch die berühmten Künstler, die sie an ihren Hof riefen, in strahlendem Licht präsentieren. Tatsächlich war die „Verwandlung“, die diese Familie erlebte, spektakulär: Im 14. Jahrhundert hatten sie noch „geradezu als ein Synonym für Unfriedfertigkeit und Gewalttätigkeit“ gegolten.[40] Sie gehörten zum Popolo grasso, zunächst ohne besonders herauszuragen. Salvestro de Medici (1331-1388) war am Ciompi -Aufstand beteiligt gewesen und war daraufhin verbannt worden. Aber wie gelang ihnen der sagenhafte Aufstieg? Den Grundstein für die Dynastie legte Giovanni di Bicci de Medici (1368-1429), der 1390 in der Bank von Vieri di Cambio de Medici (1323-1395) als Juniorchef aufgenommen wurde und bis 1420 zum Firmenchef avancierte und somit einer der führenden Bankiers Europa wurde. Während er internationale Beziehungen knüpfte, machte er sich auch bei der florentinischen Mittelschicht beliebt, indem er ihr ein gerechteres Steuersystem versprach. Seinen Söhnen Cosimo (1389-1464) und Lorenzo (1395-1440) übertrug er die Leitung seines Unternehmens, um im Hintergrund weiterhin Beziehungen zu knüpfen. Die Filialleiter der Medici-Bank, die Niederlassungen in Venedig, Neapel, Genf, Ancona, Brügge, Pisa, London, Avignon und Mailand hatte, kamen vorzugsweise aus der Verwandtschaft und wurden auf ihre Tauglichkeit und Loyalität geprüft. Die Strategie der Medici, sich an der florentinischen Politik zu beteiligen und diese zu regieren, lässt sich als „Klientelismus“ bezeichnen.[41] Neue Kredite, günstige Heiratsverbindungen und einflussreiche Ämter „tauschten“ die Medici gegen Beweise des Wohlverhaltens; auf diese Weise sicherten sie sich auch zahlreiche Anhänger in den Zünften. Der augenfällige Unterschied zwischen dem Netzwerk der Medici und ihrer konkurrierenden Partei, der Albizzi, war die vertikale, straffe Organisation, während die Albizzipartei horizontal und locker organisiert war und somit sehr viel träger ihre Entscheidungen traf. 1434 besetzten die Medici die meisten der in der Signoria zu vergebenen Sitze und wurden damit zur mächtigsten Partei. Ihre politischen Gegner wurden verbannt oder aus der Politik ausgeschlossen. Cosimo konnte mit der Unterstützung von 21 einflussreichen Familien rechnen – er hatte das politische Monopol inne. Die Szenarien der Machtsicherung dienten dem Ziel, Florenz als Medici-Prinzipat umzugestalten und in dynastische Herrschaft zu lenken. Dafür mussten allerdings auch neue Werte und Ideologien verbreitet werden. Somit bestand die Kunst der Machtsicherung nicht zuletzt in der Machtverschleierung (wie sie dann von Nicolò Machiavelli theoretisch ausgearbeitet wurde). Das heißt, nach außen hin beschwor man die Werte der formell weiter bestehenden Republik, hinter den Kulissen aber hielt ein oligarchischer kleiner Kreis die Fäden der Macht in den Händen und ließ sich mittels kostspieliger Bauten und propagandistischer Bilderzyklen als die von der Vorsehung erwählten Retter von Florenz feiern und verklären. Die Medici profitierten hierbei als führende Familie vor allem von dem von enthusiastischen Kulturhistorikern des 19. Jahrhunderts so bezeichneten „Geniequotienten“. Damit ist die Fülle an grandiosen Künstlern gemeint, die in Florenz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebten und wirkten. Die kontinuierliche Politik der Medici (bis zu ihrer ersten Vertreibung 1492) bot den führenden Familien inneren Frieden und erhöhtes Sozialprestige, was von glorifizierenden Inszenierungen in der Rhetorik und Dichtung und in der bildenden Kunst begleitet wurde. Gleichzeitig bot sie Künstlern wie Cimabue, Giotto di Bondone, Filippo Brunelleschi, Sandro Botticelli, Michelangelo Buonarroti und Giorgio Vasari die einzigartige Chance, zu Wohlstand und einem gewissen sozialen Aufstieg unter der Protektion der Mächtigen zu gelangen. Auch die Traktatliteratur zu Themen der guten Regierung und Gesellschaftsverfassung wurde gepflegt. Mit Niccolò Machiavelli wurde Florenz zum Geburtsort der modernen politischen Theorie.

[...]


[1] Ich selbst war bei Dan Browns Lesung in Köln im Publikum und kann daher aus eigener Erfahrung berichten. Markante Zitate habe ich jedoch aus Gründen der Vermeidung von Plagiatsvorwürfen mit Quellen versehen, die leicht abweichende oder nahezu identische Zitate anführen.

[2] http://www.focus.de/kultur/vermischtes/inferno-von-bestseller-autor-dan-brown-ich-hoffe-das-lesen-macht-mehr-spass-als-das-schreiben_aid_1000000.html (vom 03.06.2013).

[3] http://www.welt.de/kultur/article116574960/Dan-Brown-deutet-Verfilmung-von-Inferno-an.html.

[4] http://www.welt.de/print/welt_kompakt/kultur/article116606155/Wenn-der-Plot-zu-Sex-fuehrt-wird-es-Sex-geben.html.

[5] Hans Körner betont, dass Sandro Botticelli in seinen Dante Alighieri betreffenden Werken nicht nur einzelne Szenen illustrieren wollte, sondern ganze Handlungsstränge darzustellen versuchte. Er schreibt: „Wie in den Fresken der Sixtinischen Kapelle ist die von Wickhoff so genannte kontinuierliche Erzählung die Technik, die es Botticelli ermöglichte, die Darstellungen so weit zeitlich zu entgrenzen, dass sie sich dem Erzählbogen der Dichtung Dantes anpassen.“ Körner, Hans: Botticelli, Köln, 2006, S. 332.

[6] Brown, Dan: Inferno, Köln, 2013, S. 396.

[7] Ebd., S. 375.

[8] Vgl. Edmund, Jacoby (Hg.): Die visuelle Weltgeschichte der Neuzeit, Hildesheim, 2003, S. 72.

[9] Vgl. Brown: Inferno, 2013, S. 142

[10] Ebd., S. 23.

[11] Vgl. Edmund: Die visuelle Weltgeschichte der Neuzeit, 2003, S. 76.

[12] Brown: Inferno, 2013, S. 142.

[13] Vgl. : http://www.amazon.de/b/ref=amb_link_177155387_8?ie=UTF8&node=2107159031&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-left-2&pf_rd_r=18PY08NTX5QSGPW15WR6&pf_rd_t=101&pf_rd_p=464497767&pf_rd_i=2104666031.

[14] Vgl. : http://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2013/05/21/bestseller-fuer-die-bastei.htm?no_cache=1&cHash=593ac4349229dd9b669c361774f0b30d.

[15] Vgl. : http://www.buchreport.de/nachrichten/buecher_autoren/buecher_autoren_nachricht/datum/2013/05/14/eine-teuflisch-kluge-persiflage.htm?no_cache=1&cHash=8fa3e669c181308b16238bbe71452181.

[16] Ebd.

[17] Vgl. http://www.zeit.de/2013/22/dan-brown-roman-inferno/seite-2.

[18] Ebd.

[19] Vgl. : http://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2013/05/21/bestseller-fuer-die-bastei.htm?no_cache=1&cHash=593ac4349229dd9b669c361774f0b30d.

[20] Vgl. Brown: Inferno, 2013, S. 205. [Das Thema der Überbevölkerung ist immer noch Gegenstand von Studien und Diskussionen. Vgl. Guido Mingels, Der lange Bremsweg, in: Der Spiegel 21/2016, S. 48: "Als im Jahr 1968 Paul Ehrlichs phänomenal einflussreiches Werk 'Die Bevölkerungsbombe' erschien, eine Art Katechismus für Apokalyptiker, hatte die Wachstumsrate der Weltbevölkerung ironischerweise ihren historischen Höhepunkt bereits überschritten." Anmerkung Hg.]

[21] Ebd., S. 7.

[22] Vgl. http://www.krimi-couch.de/krimis/dan-brown-inferno.html.

[23] Vgl. http://www.sueddeutsche.de/kultur/inferno-von-dan-brown-fiasko-der-lauernden-botschaften-1.1673647-2. Weiter heißt es, Inferno sei ein Kulturthriller von der Stange, von dem man natürlich nicht erwarten könne, sich mit der Sprache Dante Alighieris messen zu können. Ebd.

[24] Botticellis Mappa dell’Inferno wird beispielsweise vorgestellt als „riesiger trichterförmiger Abgrund aus Leid und Folter […], der tief in die Erde führte, eine elende subterrane Landschaft aus Feuer, Schwefel, Exkrementen und Monstern, an deren unterem Ende Satan persönlich wartete.“ Brown: Inferno, 2013, S. 96.

[25] Ebd.

[26] Vgl. : http://www.sueddeutsche.de/kultur/inferno-von-dan-brown-fiasko-der-lauernden-botschaften-1.1673647.

[27] Bei dem Veröffentlichungsdatum handelt es sich um ein numerisches Anagramm der Kreiszahl Pi. Vgl. : http://www.sueddeutsche.de/kultur/neuer-roman-inferno-von-dan-brown-von-suendigen-leibern-1.1671372.

[28] http://www.florence-museum.com/de/Die_Inferno_Dan_Browns_Private_Fuhrung.php.

[29] Vgl. http://www.romaculta.it/illuminati-tour.html.

[30] Vgl. https://www.paris-tours-guides.com/gb/fr_da-vinci-code-paris.htm.

[31] Vgl. Brown: Inferno, 2013, S. 66.

[32] Vgl. http://www.psychology48.com/deu/d/eidetik/eidetik.htm.

[33] Acidini, Christina: Einleitung. Welche Schönheit, welch eine Geschichte. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (Hg.): Florenz!, München, 2013, S. 16.

[34] Ebd., S.16.

[35] Roeck, Bernd: Weltkultur am Arno. Renaissance, Renaissancen und Florenz, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (Hg.) Florenz!, München, 2013, S. 93.

[36] Vgl. Hierzu: Ebd. S. 93-95.

[37] Ebd., S. 95.

[38] Acidini: Welche Schönheit, in: Florenz!, 2013, S. 18.

[39] Reinhardt, Volker: Geschichte von Florenz, München, 2013, S. 24.

[40] Ebd., S. 55.

[41] Vgl. Ebd., S. 59.

Ende der Leseprobe aus 163 Seiten

Details

Titel
Inferno! Dan Browns Bestseller als Reiseführer durch ausgewählte Stationen von Geschichte, Kunst und Literatur
Hochschule
Universität Siegen  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
“Eine Reise durch ausgewählte Stationen und Theorien der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft mithilfe von Dan Browns Bestseller”
Autoren
Jahr
2016
Seiten
163
Katalognummer
V337492
ISBN (eBook)
9783668318250
ISBN (Buch)
9783668318267
Dateigröße
4821 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dante, Dan Brown, Florenz, Inferno, Renaissance
Arbeit zitieren
Grazia Dolores Folliero-Metz (Herausgeber:in)Benedikt Liermann (mit)Samantha Happ (Mit Beiträgen von)Stefan Krüger (Mit Beiträgen von)Tobias Schmidt (Mit Beiträgen von)Giuliana Scotto (Mit Beiträgen von), 2016, Inferno! Dan Browns Bestseller als Reiseführer durch ausgewählte Stationen von Geschichte, Kunst und Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337492

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