Neue Wege der Elternbildung bei Migrantenkindern in der Grundschule. Konzeption einer webbasierten Lernumgebung zum Projekt "Rucksack in der Grundschule"


Bachelorarbeit, 2013

65 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Von der Ausländerpädagogik über Interkulturalität zur Transkulturalität
2.1 Ausländerpädagogik
2.2 Interkulturalität
2.3 Transkulturalität

3. Eltern und Schule
3.1 Theoretische Grundlagen
3.1.1 Modellernen
3.1.2 Kulturtheoretischer Erklärungsansatz von Bourdieu
3.2 Elternarbeit
3.2.1 Zum Begriff Elternarbeit
3.2.2 Gesetzliche Grundlagen
3.2.3 Aufgabenbereiche der Elternarbeit
3.2.4 Wissenschaftliche Befunde zur Elternarbeit
3.2.5 Elternbildung
3.2.6 Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
3.2.7 Besonderheiten der Elternarbeit bei Migrantenfamilien
3.2.7.1 Befundlage zur Elternarbeit mit Migranten
3.2.7.2 Handlungsmöglichkeiten
3.2.7.3 Bilingualität

4. Projekt „Rucksack in der Grundschule“
4.1 Entstehung des Projekts „Rucksack in der Grundschule“
4.2 Funktionsweise von Rucksack in der Grundschule
4.3 Bewertung des Projekts „Rucksack in der Grundschule“
4.3.1 Bewertung der Elternbildung im Bezug auf die Bedürfnisse der Migrantenfamilien
4.3.2 Bewertung der Elternbildung unter dem Aspekt der Transkulturalität

5. Internet
5.1 Voraussetzungen für die Internetnutzung
5.2 Verbreitung der Internetnutzung
5.2.1 Internetnutzung in Deutschland
5.2.2 Internetnutzung der Migranten
5.3 E-Learning

6. Konzeption einer webbasierten Lernumgebung für die Elternbildung im Projekt Rucksack in der Grundschule
6.1 Gestaltungsorientierte Mediendidaktik
6.2 Konzeption des „Online-Schulrucksacks“
6.2.1 Eckdaten
6.2.2 Marktanalyse
6.2.3 Akteure
6.2.4 Zielgruppe
6.2.5 Lehrinhalte und-ziele
6.2.6 Didaktische Methoden
6.2.7 Aufbau des Lernangebotes
6.2.8 Lernorganisisation

7. Diskussion, Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Erziehungs-und Bildungspartnerschaft als Netzwerkverhältnis vielfältiger Unterstützungssysteme (Stange, 2012, S.34)

Abbildung 2: Elternbildung bei „Rucksack in der Grundschule“

Abbildung 3: Netzwerk der Akteure im Online-Schulrucksack

Abbildung4: Lehrziel der Elternbildung im Online-Schulrucksack durch Kompetenzstärkung

Abbildung 5: Strukturübersicht des Online-Schulrucksacks

Abbildung 6: Layout-Vorschlag zur Homepage des Online-Schulrucksacks

Abbildung 7: Aufteilung der Lernaktivitäten (vgl. Kerres S. 399)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Resümee der Untersuchungen zu Migranten an bayerischen Schulen

Tabelle 2: Grobübersicht über didaktische Methoden im Online-Schulrucksack

Vorwort

Die Motivation zur Themenwahl entwickelte sich durch meine Tätigkeit im Rahmen eines Deutschkurses an einer Grundschule für Mütter mit Migrationshintergrund. Trotz vorhandenem Interesse zur Teilnahme an diesem Kurs, mussten einige Teilnehmer nach einiger Zeit den Kurs abbrechen, da ihnen aus zeitlichen Gründen aufgrund von Berufstätigkeit eine Teilnahme nicht mehr möglich war. Sie berichteten mir auch von Bekannten, die sich aus dem selben Grund erst gar nicht angemeldet hatten. Diese Erfahrung veranlasste zur Reflexion über Elternbildung von Eltern mit Migrationsgeschichte in der Grundschule und führte zur Themenfindung der vorliegenden Bacheolorarbeit.

1. Einleitung

Durch die nationalstaatliche Orientierung des Bildungswesens mit Deutsch als Unterrichtssprache, der Ausrichtung am demokratischen Leitbild und der sozialen Mitteleschicht, kommt esbei Schülern mit davon abweichenden Voraussetzungen zu Schwierigkeiten. So zeigen aktuelle Studien wie Pisa immer wieder die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der Herkunftsgeschichte der Schülerschaft. Kinder mit Migrationshintergrund oder auch aus sozial schlechter gestellten Familien (Arbeitslosigkeit, Sozialhilfeempfänger) belegen bei diesen Erhebungen die unteren Ränge (vgl. Deutsches PISA Konsortium 2001, S. 372 f). Gleichzeitig belegen diverse Studien auch eine geringere Bereitschaft zur Elternmitwirkung dieser Familien in der Schule (vgl. Sacher 2012a, S. 235). Dies hat unterschiedliche Ursachen, u. a. mangelnde Deutschkenntnisse oder abweichende Vorstellungen zwischen Elternhaus und Schule über Elternaufgaben, die mit dem Schulbesuch ihres Kindes zusammenhängen. Um diesen Ursachen entgegen zu steuern, gibt es diverse Konzepte im Bildungswesen, die bereits evaluiert sind und Erfolg versprechend wirken. Diese Konzepte erfordern eine Kooperation zwischen Eltern, Schülern, Schule und anderen lokalen Partnern, wie Institutionen und Verbänden. Es werden speziell die Mütter mit ins Boot genommen, da ihnen in traditioneller Sichtweise die Haupterziehungsarbeit zugesprochen wird und ihre Bedeutung für den Herkunftsspracherwerb ihrer Kinder immens ist und der Erwerb der Bilingualität eine wertvolle Ressource für die Gesellschaft darstellt. In Zeiten prekärer werdenden Arbeitsplatzsituationen tragen jedoch auch die Migrantinnen immer stärker durch eigene Arbeitsverhältnisse zum Familieneinkommen bei, was auch auf alleinerziehende Migranten zutrifft. Der Ausbau von Ganztagsschulen ist dabei sicherlich unterstützend und soll schließlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch der Migranten unterstützen. Gleichzeitig wird Zeit für die aktive Teilnahme an Kursen, wie sie das im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende Rucksackprojekt auch vorsieht, geringer oder macht sie sogar wegen Schichtarbeit unmöglich. Außerdem sind Väter bei diesem Konzept zwar nicht unerwünscht, aber nicht direkt zur Mitwirkung aufgefordert. Diese Projekte gehen von einer starren Vorstellung der entsprechenden Migrantenkultur aus. Diese Sichtweise übersieht die Pluralität der Lebensstile innerhalb dieser Gruppe. Der Ansatz der Transkulturalität sieht dagegen einen Kulturbegriff vor, der diese Veränderungen mitträgt. Aus diesem Blickwinkel soll in der vorliegenden Arbeit die Elternbildung im Konzept „Rucksack in der Grundschule“ untersucht, bewertet und nach neuen Wegen gesucht werden, die auch bisher nicht berücksichtige Eltern erreichen. Das Internet bietet dazu Möglichkeiten, die bisher bei Förderkonzepten zur Elternbildung von Migrantenfamilien nicht ausreichend beachtet wird. Denn Forschungsergebnisse zeigen, dass die Internetnutzung bei Migranten sich nur wenig von Nichtmigranten unterscheidet und in Teilbereichen von ihnen sogar noch stärker genutzt wird.

Die Arbeit gliedert sich wie folgend beschrieben auf:

1. Kapitel : Themeneinführung und Vorausschau

2. Kapitel: Ausländerpädagogik, Interkulturalität und Transkulturalität: Es erfolgt eine Definition der in der Arbeit verwendeten Begriffe „Migrantenkinder“ und „Migranteneltern“ sowie ein kurzer Überblick über den Paradigmenwandel in der Migrantenarbeit und die Vorstellung des Ansatzes der Transkulturalität von Wolfgang Welsch, der die aktuelle Situation der Migrantenfamilien durch die Pluralisierung ihrer Lebensstile beschreibt. Durch die Migration werden die Lebensweise und Einstellungen dieser Menschen verändert. Dabei vermischen sich die Erfahrungen der Herkunftskultur und die des Ziellandes.

3. Kapitel: Eltern und Schule. In diesem Kapitel wird die Bedeutung der Eltern für die Kindesentwicklung durch den verhaltenstheoretischen Ansatz von Bandura und den kulturtheoretischen Ansatz von Bourdieu erklärt.Es folgt eine Definition vonElternarbeit,deren verschiedene Formen unterschieden und gesetzliche Grundlagen kurz dargestelltwerden. Außerdem werden aktuelle wissenschaftliche Befunde zur Elternarbeit vorgestellt. Dabei wird auch die Bedeutung der Community Education für eine gelingende Elternmitwirkung hervorgehoben. Es erfolgt eine Fokussierung auf Migrantenfamilien. Dabei wird auf die Chance der Bilingualität der Kinder aber auch auf Schwierigkeiten der Elternmitwirkung hingewiesen und mit bereits praktizierten Lösungsvorschlägen der Elternbildung verbunden.

4. Kapitel : Projekt „Rucksack in der Grundschule“. Hier erfolgt die Vorstellung des Projektes mit Entstehung, Funktionsweise und Bewertung in Bezug auf die Elternmitwirkung und -bildung und der Perspektive der Transkulturalität.

5. Kapitel: Internetnutzung. Nach einem Überblick über die Entwicklung, Voraussetzungen, Verbreitung in der Bevölkerung und einer kurzen Vorstellung der Nutzungsmöglichkeiten wird auch auf Forschungsergebnisse zum Thema Internet und Migration eingegangen. Dies dient dann als Grundlage um im folgenden Kapitel eine Lösungsskizze zu erarbeiten.

6. Kapitel: Konzeption einer webbasierten Lernumgebung zur Elternbildung für Migrantenfamilien auf der Grundlage der gestaltungsorientierten Mediendidaktik von Michael Kerres. Dabei werden die Voraussetzungen für eine mögliche Umsetzung beschrieben. Die Konzeption der Lernumgebung ergänzt oder ersetzt dabei die Treffen der Migrantinnen mit der Elternbegleitung (früher: Stadtteilmutter) im Projekt Rucksack in der Grundschule.

7. Kapitel: In einer kurzen Diskussion mit Fazit werden die Vorteile aber auch mögliche Kritikpunkte an der erstellten Lösungsskizze erörtertund beurteilt sowie im Ausblick Anschlusspunkte für weiterführende mögliche Untersuchungen in diesem Bereich thematisiert.

Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit eine genderneutrale Bezeichnung oder die männliche Form benutzt, gemeint sind dann aber grundsätzlich auch weibliche Personen, es sei denn, es handelt sich um den Begriff „Vater“.

2. Von der Ausländerpädagogik über Interkulturalität zur Transkulturalität

Um die Notwendigkeit neuer Wege für die Elternmitwirkung von Migrantenkindern in der Grundschule erklären zu können, werden in diesem Kapitel theoretische Ansätze der letzten 50 Jahre zu diesem Themenbereich vorgestellt. Sie bilden Grundlage und auch Begründung für die bisherigen Wege aber auch Anhaltspunkte für Veränderungen in der Arbeit mit Migrantenkindern und damit auch mit deren Eltern. Hingewiesen werden muss jedoch darauf, dass diese Ansätze nicht komplett einer strengen Chronologie folgen. So gibt es auch heute immer noch durchaus neue Konzepte, die aufgrund einer starken Defizitorientierung der Ausländerpädagogik zuzuordnen sind. Wie eingangs erwähnt, ist das deutsche Schulsystem auf eine homogene deutschsprachige Schülerschaft aus der sozialen Mittelschicht eingestellt. Dies erklärt sich aus der ursprünglich nationalstaatlichen Ausrichtung der Schule mit der Unterstützungsfunktion zur Nationalstaatenbildung im 19. Jahrhundert. Heterogenität bzgl. Sprache oder Ethnie wurde je nach Machtverhältnissen, politischer oder gesellschaftlicher Notwendigkeit gefördert, beachtet oder ignoriert (vgl. Hansen, Wenning, 2005,S. 143). Schon die Begriffsverwendung für diese Kinder ist abhängig vom jeweiligen Ansatz.In Anlehnung an die Definition der Kultusministerkonferenz werden in dieser ArbeitGrundschülerals „Kinder mit Migrationshintergrund“ oder synonym „Migrantenkinder“ bezeichnet, wenn sie entweder keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, nicht in Deutschland geboren sind oder in der Familie die Verkehrssprache nicht Deutsch ist, auch wenn der Schüler die deutsche Sprache beherrscht(vgl. KMK 2012, S. 29).Die Familien dieser Kinder werden Migrantenfamilien genannt. Diese Zielgruppe ist in der interkulturellen Erziehungswissenschaftjedoch keineswegs schon immer in dieser Weise festgelegt worden und hat genauso wenig Anspruch auf eine ewige Gültigkeit. So hätte der Titel der vorliegenden Arbeit zu einer anderen Zeit oder aus einer anderen Perspektive den Begriff „Ausländer“ beinhaltet. Dieser ist in heutiger Sichtweise jedoch nur im rechtlichen Rahmen eindeutig (vgl. Krüger-Potratz, 2010, S. 180) und beschreibt den Personenkreis, der von § 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgeschlossen ist:

„ Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“

Im Ansatz der Ausländerpädagogik werden mit dem Begriff Ausländer im Bildungswesen defizitäre Vorstellungen verbunden.

2.1 Ausländerpädagogik

Durch die Ausweitung der Schulpflicht 1964 auf nicht deutsche Kinder stehen hier Konzepte im Vordergrund, die es ermöglichen, das Konstrukt einer sprachlich und kulturell homogenen Schülerschaft weiterhin aufrecht zu erhalten.Die Ansätze gewinnen vor dem Hintergrund des Zuzugs von Arbeitsmigranten aus Anwerbeländern (Spanien, Italien, ehemaliges Jugoslawien, Griechenland und Türkei), die dem deutschen Arbeitskräftemangel entgegenwirken, an Bedeutung. Es handelt sich dabei um defizitorientierte Ansätze. Im Rahmen einer maßstabsetzenden Normalitätsvorstellung von der altersgemäßen Beherrschung der deutschen Landes- undUnterrichtssprache und des Aufwachsens in einer einsprachig deutschsprachigen Familie wird die Nichtentsprechung dieser Vorstellung als zu behebender Mangel angesehen.Dies bezieht sich nicht nur auf die Sprache sondern auch auf die Lebensgewohnheiten in der Familie.Vorhandene Kompetenzen in der Herkunftssprache werden nicht als wertvolle Ressource betrachtet, sondern als hinderlich für den Erwerb der deutschen Sprache. Sprach- und Sozialisationsdifferenzen von der Normalitätsvorstellung werden als Defizite wahrgenommen (vgl. Krüger-Potratz, 2010, S. 121). Pädagogische Konzepte dienen dazu, diese Defizite zu kompensieren.Beispiele für ein solches Konzept sind die Einrichtung von Vorbereitungsklassen für Migrantenkinder, in denen die Kinder Deutsch lernen um später dem deutschsprachigen Unterricht in der Schule folgen zu können oder Hausaufgabenhilfen für diese Schüler. Förderkonzepte zummuttersprachlichen Unterricht folgen weniger Motiven der Wertschätzung der zusätzlichen Sprachkompetenz, sondern dienen der Vorstellung, die Rückkehrfähigkeit ins Heimatland „aus durchaus nicht nur humanitären Gründen zu erhalten“ (Nohl, 2010, S.25). Ausländerpädagogisch ausgerichtete Konzepte richten sich ausschließlich an die Migrantenkinder und deren Familien, die sich an deutsche Normalitätsvorstellungen anpassen sollen. Auf diese Weise wird die Frage, ob die Gesellschaft kulturell pluralisiert oder bereits plural ist, ausgeklammert (vgl. Nohl, 2010, S. 43). Ebenso geschieht es mit den Lebensformen der Mehrheitsgesellschaft und den Strukturen ihrer Institutionen (vgl. Krüger-Potratz, 2010, S. 131).Aus Kritik an dieser Perspektive, der schwindenden Rückkehrorientierung der Arbeitsmigranten, und, angeschoben durch europäische Initiativen (vgl.Nohl, 2010, S. 52),rückt Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre ein anderer Ansatz, der auch die homogene deutschsprachige Schülerschaft in den Blick nimmt, eher in den Vordergrund.

2.2 Interkulturalität

Um diesen Ansatz näher zu betrachten erfolgt zunächst die Definition des Begriffs „Kultur“: Der hier verwendete Kulturbegriff bezieht sich auf die Lebenswelt und bezeichnet „die Gesamtheit der Verhaltensmuster sozialer Einheiten“, die auf „gemeinsamen Grundannahmen, Normen und Werte“ basieren (Kutschker/ Schmid, 2008, S. 672). Diese werden „durch Institutionalisierung und Tradierung verbindlich, bis sie neuen Werten und Werken weichen müssen, die Antworten auf veränderte Umweltbedingungen darstellen“(Greverus, 1982, S. 24f).Kultur ist daher als dynamische Erscheinung zu verstehen (vgl. Wenning, 2010, S.20).Interkulturalität bedeutet wörtlich „zwischen den Kulturen“ und kann durch eine Reihe von Prozessendefiniert werden, wodurch sich Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen unter der Grundannahme von Gleichheit und gegenseitigem Respekt entwickeln (… „may defined as the „set of processes“ through which relations between different cultures are constructed“ nachLeclerq, 2003, S.9).DenAnsätzen ist gemeinsam, dass „in ihnen alle Kulturen prinzipiell gleichwertig erscheinen und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen gefördert werden soll.“ (Nohl, 2010, S.52) Anders als bei ausländerpädagogischen Ansätzen gehören hier alle Mitglieder der Gesellschaft zur Zielgruppe. Dies ist auch in folgendem Zitat aus einer Empfehlung des Comenius Instituts (2004, S. 3) zur Reform der sächsischen Lehrpläne erkennbar: „Mit interkulturell wird angezeigt, dass es um die Befähigung jedes Einzelnen zur Anerkennung und zur Teilhabe an der Gesellschaft geht, die ethnisch, kulturell, sprachlich, religiös und sozialheterogen ist“. Manche Ansätze zielen auch verstärkt auf Veränderung der Mehrheitsgesellschaft, indem sie „Toleranz lernen und ihren Ethnozentrismus und/oder ihren Rassismus erkennen und bekämpfen“ (vgl. Krüger-Potratz, 2010, S. 133).Ein existierendes Machtgefälle zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Gruppen der Minderheiten wird dabei nicht angesprochen und damit ausgeblendet. Als Beispiel dieses Ansatzes sei die Organisation von Nationenfesten erwähnt, bei denen sich unterschiedliche Kulturen anhand von Folklore oder typischen Speisen vorstellen. Sowohl die Ausländerpädagogik als auch die interkulturelle Erziehung „subjektivieren Kinder mit Hilfe des Rasters Fremde/Einheimische, tragen damit zur Normalisierung des jeweiligen Subjektstatus bei und koppeln diese an die Regierungsziele. Sie schränken und grenzen diskursiv die Selbstentwürfe und Selbstpositionierungen ein, was jedoch durch den Effekt der Normalisierung nicht kenntlich wird“(Yildiz, 2008, S. 154). Die Vielfalt der Kulturen wird im Rahmen der Interkulturalität zwar anerkannt und auch ihre Wandlungsfähigkeit durch die Wechselwirkung zwischen angeborenen Voraussetzungen und sozialen Einflüssen festgestellt. Es fehlt jedoch die Berücksichtigung der Vielfalt innerhalb der Kulturen,die in der praktischen Arbeit mit Migrantenfamilien nicht übersehen werden darf.

2.3 Transkulturalität

Wie im Abschnitt 2.2. zur Perspektive der Interkulturalität beschrieben, werden Migranten auf ihre Kulturzugehörigkeit und den damit verbundenen Vorstellungen ihrer Lebensweise von Seiten der Mehrheitsbevölkerung festgelegt. „Was immer sie tun, es wird im Zusammenhang des ihnen auferlegten Etiketts interpretiert“ (Hamburger, 2009, S.50)“. Aber, „indem die Sprechweisen der Migrant/innen in das binäre Kategoriensystemder „eigenen“ und „fremden“ Kultur eingeschlossen werden, schließt dieses binäre Schema in Diskursen bzw. Wissensstrukturen die differenten Äußerungsmodalitäten und Selbstrepräsentationen der Subjekte aus“ (Yildiz, 2008, S.189). Veränderungen von Lebens-/Denkweisen des einzelnen Migranten durch das Zusammenleben und den Kontakt mit anderen (Mehrheits-) Kulturen werden ausgeblendet. Er wird als Repräsentant seiner Kultur wahrgenommen. Dies hat zur Folge, dass manche Migranten Förderungsangebote ablehnen, weil sie den ihnen „angehefteten Stereotyp“ spüren (Hamburger, 2009, S.191). Hamburger (2009, S.108) versteht daher unter Kultur„ein in Bewegung befindliches, adaptionsfähiges System. Es ist nicht hierarchisch aufgebaut, sondern reflexiv, heterogen und besteht aus mehreren, lose miteinander verkoppelten Systemebenen“ ohne dass seine Grenzen genau festzumachen sind. Wolfgang Welsch entwirft daher seinen Ansatz zur Transkulturalität. Kulturen sind auch für ihn nicht klar gegeneinander abgegrenzt, sondern miteinander verflochten und durchdringen sich gegenseitig „und zwar deshalb, weil Kultur heute- so die Behauptung - de facto derart permeativ und nicht separatistisch verfasst ist“ (Welsch, 2009, S. 40). Er setzt sich mit diesem Kulturbegriff klar von der klassischen Kulturvorstellung eines Kugelmodells, wie von Herder (vgl. Herder 1967, S.44f, zitiert nach Welsch, 1994, S. 3) vorgeschlagen, ab. Kultur kann man nicht abgegrenzt wie eine Kugel betrachten, die sich bei Kontakt mit anderen Kugeln nur abstoßen, aber niemals in einander übergehen kann. Ein Homogenisierungsgebot innerhalb einer Kugel (Kultur) und Abgrenzungsgebot außerhalb dieses Systems ist nicht mehr aufrecht zu erhalten (vgl. Welsch, 2009, S. 41).Globalisierungstendenzen, Veränderungen der Verkehrs- und Kommunikationssysteme und kapitalistische Strömungen sind nicht wirkungslos für die Lebenswelt der Menschen. Häufig sind diese Neuerungen von den Menschen nicht „aus freien Stücken erfunden, sondern sind durch Macht, ökonomische Abhängigkeit, Ungleichverteilung und Migrationsprozesse aufgezwungen worden“ (Welsch, 2009 S.43) Die Auswirkungen dieser Veränderungen zeigen sich z.B. im individuellen Speiseplan, Mode,Popmusik und im Fußball (internationale Spielerbesetzungen in Nationalmannschaften). Auch bei technischen Innovationen sind nationale bzw. kulturelle Unterschiede schon lange irrelevant geworden (vgl. Welsch, 2009, S. 43f). Alle Bereichewerden durch verschiedene Kulturen beeinflusst. Es kommt zu einer Durchmischung. Welsch nennt diesen Sachverhalt auch „Hybridisierung der Einzelkulturen“ Es entstehen zunehmend transkulturelle Lebensformen, indem sich z. B. die Lebensformen eines Intellektuellen oder Arbeiters weltweit anpassen. So unterscheidet sich der Intellektuelle vom Arbeiter innerhalb einer Stadt evtl. stärker in seiner Lebensweise als vom Intellektuellen eines anderen Kontinents(vgl.Welsch 1994, S.11). Der relativ neue Ansatz der Transkulturalität mit seinem spezifischen Kulturbegriff gibt Anlass, bisherige Konzepte der Migrantenarbeit auf zu starres Festhalten am traditionellen Kulturbegriff zu überprüfen umdadurch evtl. neue Wege zu entdecken. Dies wird in der vorliegenden Arbeit anhand der Elternbildung im Projekt „Rucksack in der Grundschule“ geschehen.Darum rücken im folgenden Kapitel die Eltern aufgrund ihrer Bedeutung für die Bildung ihrer Kinder in den Fokus.

3. Eltern und Schule

Eltern stellen für ihre Kinder die wichtigste Erziehungs- und Bildungsinstanz dar, trotz steigender Nachfrage außerschulischer Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Die Bezeichnung „Eltern“ bezieht sich hier in Anlehnung an das Sozialgesetzbuches nicht nur auf die biologischen Mütter und Väter sondern auch auf alle sorgeberechtigten Personen, die aufgrund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur für einzelne Verrichtungen längerfristig Aufgaben der Personensorge wahrnehmen (vgl. § 7 Sozialgesetzbuch VIII). Dementsprechend ist auch der Begriff „Familie“ in dieser Arbeit weitergefasst und umfasst neben der klassischen Vorstellung (miteinander verheiratete,heterogene Eltern und mind. ein leiblichen Kind) auch Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien, Stieffamilien und Familien, die aus unverheirateten Eltern und ihren Kindern bestehen(vgl.Sacher 2012, S. 9). Die Feststellung der Abhängigkeit zwischen Schulerfolg und sozialem Status der Eltern im deutschen Bildungswesen (vgl. Deutsches PISA Konsortium 2001, S. 351-401) und die Ausführungen zur Transkulturalität im letzten Kapitel geben Anlass, die Verbindung zwischen Eltern, Kind und Schule genauer zu betrachten um Ansatzpunkte für neue Wege bei der Elternarbeit für Migrantenkinder zu finden. Daher wird anhand einiger theoretischer Grundlagen zunächst die Bedeutung der Eltern für die Sozialisation ihrer Kinder betrachtet, bevor die Elternarbeit in Bezug auf Definition, gesetzliche Grundlagen, Aufgabenbereiche, Forschungsstand und die Berücksichtigung von Besonderheiten, die sich bei Migrantenfamilien ergeben, vorgestellt wird.

3.1 Theoretische Grundlagen

Es gibt zahlreiche wissenschaftlich fundierte Theorien aus den Fachbereichen der Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaft, die die Bedeutung der Eltern für die Entwicklung ihrer Kinder im sozialen und kognitiven Bereich und für die Entstehung der sozialen Ungleichheit, bezogen auf den Schulerfolg, erklären. Das Modelllernen von Bandura und der kulturtheoretische Erklärungsansatz von Bourdieu werdenkurz dargestellt und stellen Zusammenhänge in der Eltern-Kind Beziehung beispielhaft vor.

3.1.1 Modellernen

Albert Bandura führte die Bezeichnung „Modelllernen“ für einen kognitiven Lernprozess ein. Durch die Beobachtung des Verhaltens eines Modells und der daraus entstehenden Konsequenzen eignet sich der Betrachter neue Verhaltensweisen an (modellierender Effekt), verändert bestehende Verhaltensmuster (enthemmender/hemmender Effekt abhängig von beobachteter Strafe oder Belohnung des Modellverhaltens)oder ein bereits bekanntes Verhalten wird in einer anderen Situation ausgelöst (auslösender Effekt). Mit einer Erweiterung dieses Ansatzes zur sozial-kognitiven Theorie erklärt Bandura auch die Übernahme evaluativer Standards, Gedanken und Gefühle durch Beobachtung der Modelle(vgl. Stangl, 2013).Eltern stellen durch ihre starke emotionale Beziehung zu ihren Kindern ein machtvolles Modell für ihre Kinder dar. Sie besitzen durch ihre Vorbildfunktion eine herausragende Stellung für die Entwicklung „leistungsbezogener Einstellungen (z. B. Fähigkeitsselbstkonzept) Erklärungsvorstellungen (z.B. Attribuierung guter und schlechter Schulleistungen),Strategien der Bewältigung von Misserfolgen und Leistungsängstlichkeitbis hin zu Arbeitshaltungen und Lernstrategien“. Auch der Spracherwerb geschieht durch Modelllernen (vgl. Helmke/ Weinert, 1997, S. 122).

3.1.2 Kulturtheoretischer Erklärungsansatz von Bourdieu

Pierre Bourdieu beschreibt die Differenzierung innerhalb einer Gesellschaft hinsichtlich Herkunft, Bildungsniveau und Kapitalbesitz mit sozialen Klassen und Milieus, die durch verschiedene Sorten von Kapital strukturiert sind (vgl. Popp/Tillmann/Winnerling, 2005, S. 50). Er nennt drei Kapitalformen:

1. Ökonomisches Kapital: zeigt sich in der Menge des Besitzes in Form von Geld und anderen Eigentumsrechten

2. Kulturelles Kapital: existiert in drei Formen:
a) in inkorporiertem Zustand (Bildung),
b) in objektiviertem Zustand (Bücher, Bilder, Instrumente und Maschinen),
c) in institutionalisiertem Zustand (Abschlüsse, Titel)

3. Soziales Kapital: zeigt sich in sozialen Verpflichtungen und Beziehungen

Die Ungleichheit der schulischen Leistungen von Kindern aus verschiedenen sozialen Klassen ist nach Bourdieu durch die unterschiedliche Verteilung des hauptsächlich kulturellen Kapitals zwischen den Klassen begründet (vgl. Bourdieu, 1983, S. 186).Das ökonomische Kapital ist in kulturelles Kapital umwandelbar, indem z.B. in Bücher oder Nachhilfe investiert wird und trägt somit indirekt zur differenzierten Ausstattung des kulturellen Kapitals bei. Die Grundausstattung mit Kapital erfolgt dabei hauptsächlich durch die Eltern, diedadurch einen Einfluss auf die Lebens-und Bildungschancen ihrer Kinder haben. Diesem können sich die Kinder durch eigene Anstrengung kaum entziehen. Die differenzierte Ausprägung der Kapitalsformen bei den Menschen unterschiedlicher sozialer Lagen und Klassen zeigt sich im Habitus, einer konkreten Form des Lebensstils. Dieser kann zur Ausgrenzung und Benachteiligung führen, wenn er von der Mehrheitsgesellschaft stark abweicht.

3.2 Elternarbeit

3.2.1 Zum Begriff Elternarbeit

Die Terminologie zum Verständnis „Elternarbeit“ wird keineswegs einheitlich in wissenschaftlichen Untersuchungen genutzt. Es gibt teilweise keine scharfen Trennungen zu Begrifflichkeiten, wie „Elternbeteiligung“ oder „Elternmitwirkung“.Unter Elternarbeit wird im Kern die Kooperation und Kommunikation der Bildungseinrichtungen mit den Eltern verstanden, die jedoch unterschiedliche Ausprägungen besitzen. In den letzten 50 Jahren hat sich die Sichtweise zur Elternarbeit von einem „Eltern belehrenden“ Charakter („Elternarbeit beinhaltet die Verbesserung des elterlichen Erziehungsverhaltens und eine Abstimmung der Erziehung in der Einrichtung und der Familie“) hin zu einem partnerschaftlichen Verständnis entwickelt („Elternarbeit als elementarer Bestandteil der pädagogischen Arbeitberuht auf einer partnerschaftlichen, dialogischen Kooperation zwischenden Eltern und der Einrichtung“) (vgl. Bernitzke/Schlegel, 2004, S.11).Es handelt sich um einen wechselseitigen Kommunikationsprozess, indem Informationen über das Kind und sein jeweiliges Umfeld ausgetauscht werden (vgl. Dusolt, 2001, S. 16).Der Begriff erfasst „alle Formen der organisierten Kommunikation und Kooperation zwischen pädagogischen Einrichtungen und Eltern - einschließlich aller Problemzonen aber auch Potentiale“ (Stange, 2012, S.13).Sacher (2008, S. 41) definiert die Kooperationspartner und -ebenen genauer, indem er schreibt: Elternarbeit „ist die Kultivierung aller zwei-und mehrpoligen schulischen Beziehungs-, Kommunikations- und Interaktionsformen innerhalb des Subsystems „Elternschaft“ sowie zwischen diesem und den Subsystemen „Lehrkräfte“ und „Schüler.“

3.2.2 Gesetzliche Grundlagen

Die Elternarbeit in Deutschland begründet sich durch die Gesetzgebung. Die scheinbare Unvereinbarkeit zwischen den Grundgesetzartikeln 6, 2 („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“) und Artikel 7, 1: („Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“) wurde durch das Förderstufenurteil vom 06.12.1972 aufgehoben und sieht daher eine gemeinsame gleichberechtige Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule vor, welche die Persönlichkeitsbildung des Kindes als Ziel hat. Dies ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen (BVerfG, 34, 165: „Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziele hat, verlangt ein sinnvolles Zusammenwirken der beiden Erziehungsträger“) Im Schulgesetz NRW (Schulministerium NRW, 2013) findet sich dieser Aspekt in §2,3 wieder: „Die Schule achtet das Erziehungsrecht der Eltern. Schule und Eltern wirken bei der Verwirklichung der Bildungs-und Erziehungsziele partnerschaftlich zusammen“. Wie dies zu verwirklichen ist, ist gesetzlich nicht genau umrissen und ist abhängig von der Bereitschaft der Eltern und vielmehr noch vom Wohlwollen der Schulleitung.Elternarbeit hat jedoch nicht nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, die dem Demokratieverständnis entsprechen, eine Daseinsberechtigung. Die folgende Darstellung der Aufgabenbereiche der Elternarbeit zeigt die weiten Wirkungsmöglichkeiten. Diverse Forschungsergebnisse belegen die positiven Auswirkungen der Elternarbeit für den Lernerfolg der Kinderund werden daher ebenfallsvorgestellt.

3.2.3 Aufgabenbereiche der Elternarbeit

Die Elternarbeit hat zum Ziel, „letztendlich bei den Schülerinnen und Schülern anzukommen und sich für sie auszuzahlen – in besseren Lernerfolgen und in derEntwicklung positiven Verhaltens.“ (Sacher, 2009, S. 10). Dies kann in verschiedener Weise geschehen. Epstein (2009) nimmt folgende Typisierungen der Aufgabenbereiche innerhalb der Elternarbeit vor, die in die National Standards for familiy-school Parentships der Parent Teacher Assocciation aufgenommen wurden und zur Orientierung zahlreicher Programme, die die Zusammenarbeit Schule/Eltern sowohl in der USA als auch international fördern, dienen.

1. Parenting: Elternbildung um die Eltern in ihrer Elternrolle zu stärken und ein lernförderliches Klima in der Familie zu schaffen
2. Communicating: Beidseitiger Austausch über wichtige Informationenzwischen Schule und Familie.
3. Volunteering: Freiwillige Hilfeleistungen der Eltern.
4. Learning at Home: Unterstützung der Lernprozesse der Kinder.
5. Decision Making: Einbeziehung der Eltern als Partner bei Entscheidungen, die Familie und das Kind betreffen.
6. Collaborating with Community: Nutzung lokaler Ressourcen zur Stärkung der Schulen und Familien und zur Verbesserung des Lernens der Schüler. (vgl. Sacher, 2008, S. 43)

Diese Aufgaben können nur auf der Basis intensiver Kontakte und einer guten Atmosphäre gelingen (vgl. Sacher, 2011, S.258). Dies resultiert aus verschiedenen Forschungen, deren Ergebnisse im nächsten Abschnitt kurz vorgestellt werden.

3.2.4 Wissenschaftliche Befunde zur Elternarbeit

PISA Begleituntersuchungen belegen, dass der Einfluss der Familien sich besonders stark auf den Schulerfolg der Kinder auswirkt (Deutsches Pisa Konsortium, 2001, 351-401). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Effekt des Familieneinflusses gleichbedeutend mit einer gutfunktionierenden Elternarbeit ist. Bezugnehmend auf Meta-Analysen von Jeynes (2010) sowie Befunde von Sacher (2004), (2005), Cotton & Wikelund, (2000)und dem Gutachten von Schwaiger/Neumann (2010, S. 61-76) lassen sich die Effekte der Kooperation zwischen Schule und Elternhaus differenzierter betrachten. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Elternarbeit, die im unmittelbaren Zusammenhang zum Lernen der Kinder steht, zu schulischerLeistungsverbesserung ihrer Kinder führt. Es zeigt sich dabei auch, dass heimbasiertes Engagement sich besonders effektvoll auf den Lernerfolg auswirkt. Damit ist die „häusliche Unterstützung des Lernens durch unmittelbare Hilfen der Eltern, durch eine allgemeine schulunterstützende Einstellung und durch Bereitstellen einer lernförderlichen Umgebung in den Familien“gemeint. Hausaufgabenüberwachung ist dabei jedoch in seiner Wirkung nicht so effektiv.Förderlich ist es auch, wenn Eltern „eigens für die Unterstützung ihrer Kinder trainiert werden“. Die positive Auswirkung dieser Arten der Elternarbeit auf den Bildungserfolg des Kindes zeigt sich in allen Bevölkerungsschichten unabhängig von sozialem oder kulturellem Status (vgl. Sacher, 2012a, 233/234).Auch Werf u.a. (2001, S.460-466) stellten diesen Zusammenhang zwischen Schulleistungen und elterlicher Unterstützung fest. Diese Art der Elternarbeitfällt in die Aufgabenbereiche des „Parenting“/Elternbildung und „learning at home“ (siehe Kap.3.2.3).Grundlage für die häusliche Unterstützung ist die Haltung der Eltern, die über ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten diesbezüglich informiert sein müssen. Dies geschieht durch intensive Kontakte und eine gute Atmosphäre zwischen Schule und Familie.Neuenschwander u.a.(2004, S. 155) und Sacher (2004, S.3f) heben in ihren Forschungsergebnissen dazu u. a.die Bedeutung der gegenseitigen Achtung, des gegenseitigen Vertrauensund beidseitige Kooperationsbereitschaft zwischen Eltern und Lehrern hervor. Eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe ist dazu Voraussetzung (vgl. Sacher, 2011, S.260).In den Forschungserarbeiten gibt es noch weitere Ergebnisse über die Auswirkung der Elternarbeit auf die unterschiedlichen Akteure im Bildungswesen, doch da in dieser Arbeit konkret die Elternbildung mit Fokus heimbasierte Lernförderungim Mittelpunkt steht, wird sich hier auf diese Aussagen beschränkt und im folgenden Abschnitt näher beschrieben.

3.2.5 Elternbildung

Die Elternbildung als Aufgabenbereich der Elternarbeit hat eine positive Auswirkung auf den Schul-und Lernerfolg der Kinder, wie die dargestellten Forschungsergebnisse belegen. Siehat zum Ziel, die Familie als Erziehungsinstanz zu stärken. Dies gelingt durch die Unterstützung der Eltern bei der Schaffung eines entwicklungsförderlichen Sozialisationsumfeldes für deren Kinder (vgl. Textor, 2007, S. 369). Es können drei Formen unterschieden werden:

- Institutionelle Elternbildung bezeichnet Angebote, die innerhalb von Institutionen (Volkhochschulen, Kindergärten, Familienbildungsstätten u.ä.) stattfinden.
- Informelle Elternbildung zeichnet sich durch niedrigschwellige Angebote ohne professionelle Anleitung aus, wie sie bei Eltern-Kinder-Treffs oder Selbstinitiativen organisiert wird oder in der Schule bei Elternsprechterminen stattfinden kann.
- Mediale Elternbildung umfasst Bildungsangebot, dass Wissen durch Medien (Fernsehen, Internet, Bücher, u.ä.) vermittelt.

Da bei Elternbildung Erwachsene die Zielgruppe sind, muss dies bei der Gestaltung der Bildungsmaßnahme beachtet werden, indem die didaktischen Methoden darauf abgestimmt werden. Die Eltern entscheiden sich freiwillig aufgrund bestimmter Anlässe, Interessen und Bedürfnisse für ein Angebot. Sie haben bereits eine Lerngeschichte hinter sich und bringen einen „entwickelten Erfahrungshaushalt ein, woraus in der Regel eine sehr große Heterogenität der Voraussetzungen in einer Teilnehmergruppe resultiert“. „Gleichzeitig wirken die während der Schulzeit erworbenen Wahrnehmungs- und Aneignungsmuster weiter“(Terhart, 2008, S. 33). Die Motivation zur Wahrnehmung von Angeboten der Erwachsenenbildung steigt mit der für den Lerner empfundenen Verwertbarkeit und Relevanz der Lerninhalte für das tägliche Leben (vgl. Siebert/Dahms/Karl, 1982, S. 183).

3.2.6 Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Die gesetzlich geforderte partnerschaftliche Zusammenarbeit und die vorgestellten Forschungsergebnisse setzen die gegenseitige Anerkennung und den respektvollen Umgang zwischen Familien und Schule voraus. Diese Forderung lässt daher „klassische asymmetrische Muster in der Beziehung zwischen Eltern und Schule“ hinter sich (Stange, 2012, S.15), wie sie unter dem „belehrenden Verständnis der Elternarbeit“(vgl. Kap. 3.2.1) aus Sicht einer Schule in einer überlegenden Position charakteristisch war und teilweise auch noch ist. Durch dieAnerkennung der Eltern als Erziehungs- und Bildungspartner kann die Wirksamkeit der Elternarbeit erweitert werden. Eltern werden dabei von der Schule als Experte ihres Kindes wahrgenommen und die Lehrer seitens der Eltern als Experte für den Unterricht. Ergebnisse der Resilienzforschung (Wustmann, 2007, S. 162ff) belegen, dass über die Eltern, Familie und Schule hinaus auch weitere Einrichtungen, Kommunen und andere Personen eine hohe Bedeutung für die Sozialraumgestaltung haben, die sich auf das Lernverhalten eines Kindes auswirkt.Durch die Vernetzung der Eltern, der Bildungseinrichtungen, weiteren Institutionen, Organisationen und Personeninnerhalb des Sozialraums der Kinder istein solches Netzwerk in der Lage, auf vielen verschiedenenEbenen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Dadurch können auch Familien erreicht werden, die sich bei asymmetrischen Beziehungsverhältnissen bevormundet fühlen und der Zusammenarbeit daher ablehnend gegenüber stehen (vgl. Sacher, 2008, S. 29). Außerdem können in einem solchen Netzwerk die Angebote für die Elternarbeit besser koordiniert werden und dadurch Überschneidungen verhindern, was insgesamt auch zu einer Kostenersparnis führt. Besonders für den Bereich der institutionellen Elternbildung ist eine Netzwerkarbeit förderlich, da die Schule in diesem Bereich z.B. beim Personal nicht über ausreichende Ressourcen verfügt.Das Bewusstsein über die Vorteile dieses Beziehungswandels ist noch nicht in allen Schulen vorhanden (vgl. Fischer 2009, S. 143).Als Beispiel für eine funktionierende Erziehungs-und Bildungspartnerschaft gilt die Community Education, die vor 100 Jahren im angelsächsischen Raum entstand.Sie hat das Ziel, Kinder, Jugendliche und Erwachsene so zu fördern, dass sie dadurch ihr Leben und das der Community, womit ihr räumliches Umfeld gemeint ist, aktiv und bewusst gestalten. So werden soziale Defizite und Missstände innerhalb ihres Lebensumfeldes überwunden(vgl. Schwaiger/Neumann, 2010, S. 161). Dazu wird nach folgenden Prinzipien verfahren:

- Ganzheitlichkeit und Gemeinwesensorientierung
- Lebenslanges Lernen
- Beteiligung der Betroffenen an Planungs- und Entscheidungsprozessen
- Vernetzung verschiedener Lebens- und Lernbereiche, Lernorte und Ressourcen
- Interdisziplinäre und sektorenübergreifende Kooperation und Partnerschaft.

(vgl. Institut für Community Education)

Das Projekt Rucksack in der Grundschule arbeitet ebenfalls auf der Grundlage einer als Netzwerk arbeitenden Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Der Fokus liegt in dieser Arbeit auf Elternbildung der Migrantenkinder, wobei schulexterne Einrichtungen in der Umgebung der Schule mit einbezogen sind. Daher erfolgt im folgenden Kapitel zunächst die Betrachtung der Elternarbeit bei Migrantenkindern unter Beachtung ihrer besonderen Bedürfnisse bezogen u. a. auf die Förderung der Herkunftssprache und Transkulturalität.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Erziehungs-und Bildungspartnerschaft als Netzwerkverhältnis vielfältiger Unterstützungssysteme (Stange, 2012, S.34)

3.2.7 Besonderheiten der Elternarbeit bei Migrantenfamilien

Das Ziel jeder Elternarbeit ist die Förderung des Lernerfolgs sowie die Entwicklung der Kinder. Bei der Elternarbeit mit Migrantenfamilien ist eine Balance zu halten zwischen der Gleichsetzung mit allen Eltern und der damit verbundenen Ignoranz besonderer Bedürfnisse und einer Sonderbehandlung, die die Migranten als „anders“ oder „defizitär“ abstempelt (Hillesheim, 2009,S.57). Unter dem Aspekt der Transkulturalität ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Migranten um eine heterogene Gruppe handelt. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Sprachkompetenzen, ihrer Verweildauer und Verweilabsicht in Deutschland, erlebter Diskrimination, Erwartungshaltung gegenüber Schule, sozialem Status und Werteorientierung untereinander(vgl. Textor, 2006). Dennoch dürfen die Besonderheiten in den Sprachkompetenzen und auch die Erfahrungen mit Schule, die im Herkunftsland gesammelt wurden und an die die Erwartungshaltung an das deutsche Schulsystem anknüpft, nicht aus dem Blick geraten. Elternarbeit muss daher in diesem Kontext auf diesen speziellen Hintergrund eingehen und ressourcenorientiert handeln (vgl. Deniz, 2012, S. 326). Auf dieser Grundlage werden im Folgenden einige Befunde zur Elternarbeit mit Migranten vorgestellt. Sie bilden eine Ausgangsbasis, von der sich Handlungsmöglichkeiten für eine erfolgreiche Elternarbeit ableiten lassen.

3.2.7.1 Befundlage zur Elternarbeit mit Migranten

Hawighorst (2009, S.67) bemerkt, dass die Eltern der Migrantenkinder „selbst über unterschiedliche Sozialisationshintergründe und Bildungserfahrungen verfügen und somit auch unterschiedliche Werteinstellungen und Haltungen vertreten“. Familiäre Unterstützung, die einen großen Effekt auf den Lernerfolg der Kinder ausübt (Kap.3.2.4) unterliegt sprachlich-kulturellen und sozio-ökonomischen Bedingungen. Migrantenfamilien fühlen sich bei der Hausaufgabenunterstützung überfordert und haben keine Erfahrung mit den aktuellen Lernmethoden in der Grundschule (vgl. Hawighorst, 2009, S.56). Die Anforderungen des deutschen Schulsystems überfordern sie häufig (vgl. Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, 2000,S.185). Die finanziell knappen Ressourcen spielen dabei zusätzlich eine Rolle, da die Möglichkeiten, in Nachhilfe oder zusätzliche Lernmaterialien zu investieren, geringer sind. Sacher (2007) fasst auf Grundlage seiner Untersuchungen zu Migranten in bayerischen Schulen folgende Ergebnisse zusammen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Resümee der Untersuchungen zu Migranten an bayerischen Schulen (vgl. Sacher 2007)

3.2.7.2 Handlungsmöglichkeiten

Um sprachliche Barrieren abzubauen sollten Elterninformationen in verschiedenen Sprachen angeboten werden. Deren Gestaltung ist an den Kommunikationsgewohnheiten der Migrantenfamilien anzuknüpfen (vgl.Reich/Yakut,, 1986, 343 ff.) und sollte daher verschiedene Wege und Möglichkeiten anbieten, die auch z.B. einen Dolmetscher für Informationsveranstaltungen einschließt. Das U.S. Department for Education schlägt zur Verbesserung der Lehrer-Eltern Kommunikation wöchentliche Newsletter vor, in denen laufende Unterrichtsaktivitäten und Tipps zur familiären Unterstützung der aktuellen Lernprozesse enthalten sind. („I sent a weekly newsletter home explaining our week's worth of activities, and in it, I gave ideas for working with the children. Conferences and phone calls also served as wonderful opportunities for me to get parents involved. Periodically, I sent papers explaining developmental stages of reading and writing so that parents might gauge their child's progress and look forward to the next step.”)Ähnliche Informationen verbreitet das Toronto District Schoolboard über ein Online Informationssystem in unterschiedlichen Sprachen. Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen wie Schule kann durch häufige persönliche Kontakte zwischen Eltern und Schule abgebaut werden, wenn diese nicht ausschließlich problemveranlasst sind und der Informationsfluss in beide Richtungen läuft.Schwaiger und Neumann (2010, S. 129) bezeichnen daher auch Elternarbeit in Form von Mithilfe bei Schulfesten und Sportveranstaltungen als förderlich auch wenn sie nicht unmittelbaren Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler ausüben. Sie dienen dann als „Türöffner“ und beeinflussen das Eltern-Schule-Verhältnis positiv. Sie berufen sich dabei auf Befunde von Neuenschwander/Lanfranchi/Ermert (2008, S. 68-79). Beim Lehrer-Eltern Kontakt gilt auch bei Migranten die Akzeptanz einer gleichwertigen Partnerschaft, bei der die Kompetenzen der Eltern gestärkt werden und gleichzeitig Defizite kompensiert werden. Die Lehrer müssen sich gezielter Zeit für die Eltern nehmen, ohne sie aber gleich mit zu betreuen (vgl. Deniz, 2012, S. 327).

Kooperations- und Kommunikationshindernisse können auch durch den Einsatz von professionellen (Kultur-)Vermittlern überwunden werden. Sie besitzen die gleiche Herkunftsgeschichte wie die Migrantenfamilien und sprechen ihre Sprache und auch die des Einwanderungslandes. Sie sind mit den soziokulturellen Unterschieden zwischen Herkunfts-und Einwanderungsland vertraut. Sie werden im Rahmen von längerfristiger Honorartätigkeit entlohnt und für individuelle Elterngespräche oder zu Gruppenveranstaltungen sowohl der Elternschaft als auch der Schule hinzugezogen (vgl. Schwaiger/Neumann, 2010, S. 135-139).

[...]

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Neue Wege der Elternbildung bei Migrantenkindern in der Grundschule. Konzeption einer webbasierten Lernumgebung zum Projekt "Rucksack in der Grundschule"
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
65
Katalognummer
V337336
ISBN (eBook)
9783656988465
ISBN (Buch)
9783656988472
Dateigröße
1483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elternbildung, Elternarbeit, Sprachförderung, Migration, Rucksack, Transkulturalität, Welsch, Internetnutzung, Bilingualität, Grundschule, gestaltungsorientierte Mediendidaktik, Kerres, Interkulturalität, Online-Schulrucksack, E-Learning, Deutsch als Zweitsprache, Erziehungspartnerschaft, Community Education
Arbeit zitieren
BA Ursula Klein (Autor:in), 2013, Neue Wege der Elternbildung bei Migrantenkindern in der Grundschule. Konzeption einer webbasierten Lernumgebung zum Projekt "Rucksack in der Grundschule", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337336

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