Handlungsstrategien von Schülerinnen zur Unterwanderung von Autorität


Examensarbeit, 2015

79 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Handlungsstrategien von Schülerinnen zur Unterwanderung von Autorität

Forschungsstand

Einleitung

1. Begriffsklärung
1.1 Handlungsstrategien von Schülerinnen
1.2 Zur Unterwanderung von Autorität

2. Die Studie
2.1 Die Fragestellung
2.2 Das Erhebungsinstrument
2.3 Das Forschungsdesign
2.5 Probleme bei der Vorgehensweise
2.6 Die Art der Datenaufbereitung
2.7 Undeutliche Interviews

3. Auswertung der Interviews durch Grounded Theory

4. Handlungsstrategien zur Unterwanderung von Autorität
4.1 ES – die Exklusionsstrategie
4.1.1 Die Exklusionsstrategie von Schülerinnen gegen Schülerinnen
4.2 Die Blockade der Unterlegenen
4.3 Die Blockade der Überlegenen
4.4 Grenzen
4.5 Pause

5. Diskussion und Ausblick

Fazit

Bibliographie

Anhang

Interview 2:

Interview 4:

Interview 5:

Interview 6:

Interview 9:

Interview 10:

Danksagung

Zunächst danke ich meinem Gutachter, Dr. Michael Dellwing, der eine Art kreativen Freiraums ermöglichte, ohne den dieses Thema nicht hätte bearbeitet werden können.

Ich danke außerdem den zwei außerordentlich guten Lehrern, welche mir einen Zugang zu ihren Schülern und ihrer Zeit ermöglichten. Aus Anonymisierungsgründen seien Ihre Namen hier nicht genannt. Sie können jedoch sicher sein, dass Sie gemeint sind, wenn Sie eine Kopie dieser Arbeit in den Händen halten.

Dann sei den wundervollen Korrektorinnen dieser Arbeit gedankt. Meiner Mama, Kerstin Wappke, danke ich, für ihre Liebe zur deutschen Orthographie, Rechtschreibung und Grammatik und ihre unaufhaltsame Mühe meine Gedanken dieser anzugleichen. Laura Weser danke ich dafür, dass sie nicht müde wurde, mich auf fehlende Kommata hinzuweisen und dafür, dass sie in der Lage war, mich aus diversen Fabulier-Tälern wieder auf den Weg des roten Fadens zu bringen. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass sämtliche sprachlichen und grammatikalischen Fehler, so es noch welche zu lesen gibt, allein mein Verschulden sind. Meiner dritten Korrektorin, Sabine Lange, danke ich genauso von Herzen dafür, dass sie mit einer besonderen Strenge und Liebe zum Detail meine Worte an den richtigen Stellen zu hinterfragen wusste.

Mein Dank gilt genauso Fabian Reitz, der mich unermüdlich wieder und wieder motivierte, mit frischen Gedanken an diese Arbeit zu gehen. Eine bessere Versorgung an Nervenkräften, Zuspruch und Kaffee hätte ich mir nicht wünschen können.

Forschungsstand

Die Forschung zum Thema Institution Schule ist weit ausgebaut und mannigfaltig. ForscherInnen der Pädagogik, Erziehungswissenschaften und der Soziologie beobachten in Klassenräumen, sammeln Daten und werten diese aus. Zu dem Thema dieser Arbeit könnten unzählige Werke herangezogen werden.

Texte, die sich mit der Unterwanderung von Autorität befassen, existieren bis auf diesen so nicht. Es war demnach ein Anliegen, diese Lücke zu füllen und schon vorhandene Studien, die an Schulen durchgeführt wurden, zu erweitern, in dem ein Close-up von SchülerInnen gewagt wurde. Die Sicht der SchülerInnen scheint in der Forschung bei Weitem zu kurz zu kommen, obwohl sie so essenziell ist. Lediglich die Monographie von Dickar, erwies sich als aufschlussreich. Thematisch hat sie ihren Schwerpunkt jedoch auch nicht in der Unterwanderung von Autorität im Unterricht, sondern in der Platzschaffung von SchülerInnen in den Fluren der Schule. Dennoch bietet sie Lösungen an, um mit der teilweise grenzüberschreitenden Machtausübung von SchülerInnen umzugehen.

Aus der Theorie der Soziologie ist Goffmans Wir alle spielen Theater der Fundus an Vokabular und Werkezeugen, um die Interviews zu kodieren. Genauso genossen wie Goffman wurden die Werke von Becker, Krappmann und Sofsky&Paris. Folgende Texte werden nicht in großem Stile zitiert werden, da eine bloße Zitierung von schon vorhandenen Gedanken wenig erbaulich ist. Jedoch bewiesen sich die Formulierungen dieser Herren als äußerst treffend und adäquat. In einzelnen Fällen werden sie daher zitiert. Darüber hinaus empfehlen sich die Werke Zinneckers (1975, 1982), welcher mit besonderem Interesse an SchülerInnen und ihre Sicht der Dinge forschte. Zinnecker sammelte in seiner Monographie Gedichte und Texte von SchülerInnen, die ihren Alltag beschreiben. Auch wenn dieses Werk nicht maßgeblich an der Theorienbildung dieser Arbeit beteiligt war, so gibt es LehrerInnen einen interessanten Einblick in das Feld ihrer Arbeit. Die weiteren Werke, die sich in der Bibliographie finden werden, sind trotz nicht-Zitierung aufgeführt, da sie Anregungen und Gedankenimpulse für diese Arbeit voran brachten.

Einleitung

Die Schule als Institution der Gesellschaft ist die Schmiede von sozialer Interaktion, von Hierarchien innerhalb von Institutionen und Ausbildungen sozialer Rollen. Mit sozialen Rollen sind Rollen im goffman‘schen Sinne gemeint, welche jedes Individuum spielt, um gemeinsame Wahrheiten aufrecht zu erhalten. Gemeinsame Wahrheiten sind Hierarchien wie zum Beispiel in der Schule, in der die Lehrerin über der Schülerin steht. Im weiteren Sinne ist mit „über Jemandem stehen“ gemeint, dass eine Person über eine andere Person Autorität ausüben kann, ohne sich dafür rechtfertigen- oder ihre Rolle verteidigen zu müssen. Diese Autorität wird durch das Amt „Lehrerin“ impliziert. Diese Autorität wird zu einem gewissen Teil durch das Amt "Lehrerin" generiert, erfordert in ihrer Wirksamkeit jedoch zusätzlich und zum wesentlichen Teil die Verifikation von Seiten der Schülerinnen. Befinden Schülerinnen etwa eine Lehrerin als nicht autoritär, ist sie es auch nicht. Autorität muss der Lehrerin zugesprochen werden, eine Entscheidung, die lediglich die Schülerinnen treffen. Fällt die Entscheidung einmal, diese Autorität nicht anzuerkennen, ist es nahezu ausgeschlossen, dieses Urteil zu reversieren. Dem Amt der Lehrerin wohnt, wie oben erwähnt, jedoch auch Autorität inne. Diese Amtsautorität müssen Schülerinnen akzeptieren, damit eine gemeinsame Realität von Interaktion – auch Unterricht genannt – möglich ist. Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, ob und wie diese Autorität von Schülerinnen unterwandert wird. Die sehr subtile Unterwanderung könnte auch als stille Herausforderung von Autorität formuliert werden. Beide Formulierungen werden im Folgenden verwendet werden. Innerhalb der Unterwanderung von Autorität kann diese auch blockiert werden. Fälle und Beispiele von Blockaden werden im Folgenden aufgezeigt.

Die Idee zu dieser Arbeit kam durch das Bestreben, die Emotionalität und Moralität der Schule und derer, die in ihr arbeiten, zu entschärfen. Innerhalb des Hierarchiegefälles kommen Schülerinnen nicht ausreichend zu Wort. Damit ist nicht ihre mündliche Mitarbeit gemeint oder ihre Teilnahme an Schulkonferenzen. Eher zielt ihre Einbeziehung auf das soziologische Geschehen, „heimlichen Lehrplan“ ab. Die Befremdung der eigenen Realität und die Reflektion darüber, was Schülerinnen Lehrerinnen entgegen bringen, findet nicht in ausreichendem Umfang statt. Auch Zinnecker bemerkt treffend: „Über Schüler wird viel geschrieben und geredet. Von Schülern liest und hört man wenig.“ (Zinnecker 1982:7). In diesem Sinne ist es die Fragestellung dieser Studie herauszufinden, was Schülerinnen zum Thema Autorität zu sagen haben. Es ist in diesem Rahmen nicht relevant, wie Schülerinnen Lehrerinnen bewerten, auch wenn sie darüber gern und viel sprechen. Wichtiger sind die genauen Interaktionsprozesse des Unterrichtsstörens. Diese erfolgen zum Teil sehr subtil und können nur aus Schülerinnensicht erklärt werden, da eine Beobachtung und anschließende Reflektion zu bewertend und einseitig wäre. Folglich wurden Schülerinnen gebeten, von Situationen im Unterricht zu erzählen, in denen Lehrerinnen nicht wissen, was vor sich geht. Dabei soll von Situationen berichtet werden, in denen Schülerinnen den Lehrerinnen „auf der Nase herum tanzten“, sie „veräppelten“ oder sich bewusst nicht an Verbote (z.B. das beliebte Handyverbot) gehalten haben.

Es bleibt innerhalb dieser Einleitung zu erwähnen, dass diese Arbeit keinesfalls abgeschlossen ist. Die Handlungsstrategien, zur Unterwanderung von Autorität zu erheben und auszuwerten, ist eine Arbeit, die kein Ende kennt. Die vorliegende Arbeit bietet einen Einblick, eine erste Empirie zu alltäglichen Handlungen, die sich in ständigem Wandel befinden und somit auch ständig neu erforscht werden könnten. Ziel dieses Schreibens der Arbeit ist es, den LeserInnen einen neuen Zugang zum Thema LehrerInnen, SchülerInnen und Unterricht zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen LeserInnen Freude darin finden, die Interviews zu lesen und Aufschluss darüber zu erhalten, was sich Schülerinnen zum Thema denken.

1. Begriffsklärung

1.1 Handlungsstrategien von Schülerinnen

Zunächst einmal muss der Begriff Handlungsstrategien erklärt werden. Zerlegt in Handlung und Strategie, wirft er zwei Dimensionen auf, die genauer Differenzierung bedürfen. Was ist eine Handlung? Eine Handlung ist eine Tat. Meistens mit einer Verkettung von Ereignissen zusammenhängend (Duden:502), verfolgt eine Handlung bzw. die Person, die handelt, eine Absicht. Im Alltag können dies Taten sein, wie das Aufschließen der Autotür mit der Absicht sich in das Auto zu setzen oder die Tat bzw. Handlung, nicht an das klingelnde Haustelefon zu gehen, mit der Absicht, mit niemandem reden zu wollen. In der Schule existieren neben alltäglichen Handlungen auch soziologische Handlungen. Soziologisch meint in diesem Zusammenhang nicht die Soziologie als Disziplin, sondern die Sozialisierung der Schülerinnen durch die Lehrerinnen, die Sozialisierung der Lehrerinnen durch andere Lehrerinnen, sowie eine Sozialisierung zwischen Schülerinnen. Diese soziologischen Handlungen sind weitaus subtiler als die alltäglichen- oder gar erzieherischen Handlungen. Sie sind auch abstrakter und weitaus schwerer zu beobachten und zu erfassen, als eine herkömmliche Tat. Zinnecker (1975) nennt dies den „Heimlichen Lehrplan“, eine äußerst treffende Beschreibung für die Sozialisierungsprozesse, welche in der Schule nebenbei (d.h. neben dem Unterricht) Teil der Realität sind. Es ist dieser abstrakte Teil von soziologischen Handlungen in der Schule als Institution, der das zweite Substantiv Strategie verlangt. Nur das zusammengesetzte Nomen Handlungsstrategien kann umfassen, was in dieser Arbeit erforscht werden wollte. Eine Strategie ist eine Handlung, aber eine überlegte, die nicht nur eine Absicht verfolgt, sondern auch einen Zweck. Hierbei könnte das Wort Zweck auch als Euphemismus verstanden werden, denn laut dem umfassenden Standardwerk der deutschen Sprache ist eine Strategie die „Kriegskunst; genau geplantes Vorgehen“ (Duden:1026). Diese Kriegskunst dient in der Schule mehreren Zwecken. Es ist zum einen möglich, sie als Sabotage zu verstehen. Ob diese Sabotage den Lehrerinnen oder dem Unterricht gilt, liest sich später. Außerdem könnte diese Kriegskunst der eigenen Identitätsfindung dienen – ein Thema, welches nicht minder interessant wäre, allerdings hiermit seine letzte Erwähnung findet, da von einer psychologischen oder pädagogischen Linse zur Betrachtung der Innenwelten der Schülerinnen abgesehen wird. Eher dient die Kriegskunst oder Strategiekompetenz einem Ausfechten von Mikrokämpfen zwischen diversen „Ensembles“ (Goffman 2010:73), die unter dem Dach der Institution Schule aufeinandertreffen. Interessanterweise verzeichnen diese Mikrokämpfe kein Ableben. Mikrokämpfe werden in der Schule und hierbei nicht nur im Unterricht, sondern auch auf den Fluren, Höfen und Lehrerzimmern immer wieder ad absurdum geführt. Eine ständige Wiederholung von Machtauslotung und Autoritätszuschreibungen führt dazu, dass Strategien internalisiert werden. Schülerinnen können zwar ihre Strategien en détail beschreiben, allerdings keineswegs analysieren, warum sie diese angewandt haben. Ihnen fällt es auch sichtlich schwer zu beschreiben, wie sie diese ausgeführt haben, sie können aber sehr genau fassen, was sie als Strategie vorgenommen haben. Eine „Befremdung der eigenen Realität“, so bezeichnet Dellwing die „Kernaufgabe der Soziologie“ (Dellwing:2), gelingt nicht allen. Daher könnte Mensch auch von Handlungsrhythmen sprechen bzw. Strategien so verstehen, dass es zwar Strategien zu Handlungszwecken sind, diese jedoch „blind“, im Eifer des soziologischen Gefechts übernommen wurden und nicht reflektiert und mit dem strategischen Ziel Krieg zu führen angewendet werden. Im schulischen Kontext von Krieg oder Kriegskunst zu sprechen, wäre im soziologischen (diesmal Soziologie als Disziplin) Sinne auch fragwürdig, da alle Beteiligten ein gleiches Ziel verfolgen: das Aufrechterhalten der gemeinsamen Realität.

Wenn in dieser Arbeit mit dem Begriff Schülerinnen geschrieben wird, so schließt dieser weibliche und männliche Schüler ein, die mindestens die fünfte Klasse besuchen. Er meint nicht den Plural von weiblicher Schülerin. Um diesen Irrtum zu vermeiden, sollte im Titel dieser Arbeit eigentlich SchülerInnen stehen, jedoch wurde durch die administrative Prozedur diese Feinheit übersehen und aus einem „I“ ein „i“. Dennoch wird Schülerinnen, Lehrerinnen und Studentinnen verwendet mit dem erneuten Hinweis darauf, dass diese Begriffe alle Personen jeden Geschlechts einbeziehen. Der Begriff klammert Konzepte wie lebenslanges Lernen aus und meint Schülerinnen im klassischen Sinne als Personen, die eine staatliche Schule besuchen, um einen Abschluss (welcher Art auch immer) zu erwerben. Nähere Kriterien für die Schülerinnen, als Grundlage der Studie, folgen. Um den Lesefluss zu erleichtern, wird im Zweifelsfall die weibliche Form gewählt.

1.2 Zur Unterwanderung von Autorität

Auch der Begriff Unterwanderung steht dem Kriegsgedanken entgegen. Unterwanderung impliziert ein subtiles Vorgehen, welches nicht in jedem Fall Aufsehen zu erregen versucht, sondern eher der Platzschaffung dient. Wenn nämlich zwei Rollen koexistieren, sich eine Vorderbühne teilen müssen, kann es zu Spannungen kommen, da eine Rolle die Realität der anderen bedroht. Eine Bedrohung findet dann statt, wenn „Misstöne eine festgelegte Situation [nicht] aufrecht erhalten“ (Goffman 2010:81). Im Allgemeinen ist es Schülerinnen in der Schule nicht möglich, den Realitätseindruck, dass Lehrerin gleich Autorität bedeutet, zu zerstören. Schülerinnen haben keine Macht, sich gegen Lehrer zu behaupten, da diese, so sagt Mensch „am längeren Hebel sitzen“. Diese allgemeine Aussage ist falsch, denn Schülerinnen schaffen sich als eingeschworenes Ensemble Platz zu Behauptung. Im Ensemble handeln sie „als eine Gruppe von Individuen, die eng zusammenarbeiten muss, wenn eine gegebene Situationsbestimmung aufrechterhalten werden soll“ (ebd.:96). Auch Schülerinnen ist daran gelegen, die Realität von Lehrerin gleich Autorität aufrechtzuerhalten, da diese zugleich ihre eigene Rolle markiert und schützt. Aus diesem Grund muss Autorität in der Schule unterwandert und nicht angegriffen oder gar zerstört werden. Zum Platz schaffen bedarf es subtiler, vielleicht sogar perfider Handlungsstrategien, die es möglich machen, im Rahmen der gemeinsamen Realität von Lehrerin gleich Autorität, diese zu umgehen, aber niemals auf der Vorderbühne zu ruinieren.

Wie genau lässt sich nun diese Autorität beschreiben? Zunächst ist diese Autorität eine soziale Rolle, keine Charaktereigenschaft. Demnach ist sie auch nicht positiv oder negativ zu bewerten. Andere Rollen im sozialen Gefüge können sie jedoch einem Rollenträger anerkennen und aberkennen. Sofsky und Paris beschreiben diese Rollen als „Figurationen sozialer Macht“ (Titel der Monographie) und führen ein (treffender kann Mensch es nicht formulieren):

Niemand hat Macht für sich allein. Macht entsteht, wenn Menschen aufeinander treffen und zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen. Die sicherste Methode, Macht zu verhindern, ist die Auflösung der Gesellschaft. Denn Macht ist stets ein soziales Verhältnis. Der Wille des einen ist das Tun des anderen. Jemand hat Macht, weil er Macht über andere hat, weil er ihnen seinen Willen aufzwingen kann. Die einzige Bedingung, die für die Entstehung von Macht unerläßlich [sic] ist, ist die Existenz eines sozialen Zusammenhangs. (9)

In der Koexistenz von Lehrerinnen und Schülerinnen kommt es also zur Genese und Ausübung von Macht. In der Schule bedeutet diese Macht, dass Lehrerinnen ihren Schülerinnen Beurteilungen, oft in der Form von Noten, geben und sich darüber hinaus den Machtverhältnissen der Familie bedienen dürfen, indem sie im Zweifelsfall die Eltern informieren. Welche Möglichkeiten der Machtausübungen den Schülerinnen gegenüber den Lehrerinnen bleiben, wird zu einem späteren Zeitpunkt interessant, jedoch sei an dieser Stelle bereits vermerkt, dass die wohl einfachste Form die Verweigerung der Teilnahme am Unterrichtsgeschehen ist. Wobei diese Verweigerung aus „freien“ Stücken seitens der Schülerinnen erfolgen muss, werden Schülerinnen im Flur platziert und vom Unterricht ausgeschlossen, ist die Wirkung eine andere. Die Verweigerung aus freien Stücken muss während des Unterrichts geschehen und von den anderen Darstellern im Ensemble bemerkt werden.

Wenn bis jetzt von Macht die Rede war, wird fortlaufend der Begriff Autorität verwendet. Autorität ist eine Form oder Figuration von Macht. Autorität ist, wie schon angedeutet, keine Charaktereigenschaft, sondern eine „Zuschreibung“ anderer (Sofsky/Paris:21). Es sei hier kurz auf die Definition des Begriffs Autorität eingegangen, da diese nicht empirisch in der folgenden Studie festgehalten wird und somit eine Eingrenzung erforderlich macht. Wenn also in dieser Arbeit von Autorität die Rede ist, meint dies die Autorität von Lehrerinnen gegenüber Schülerinnen. Sollte eine andere Autoritätszuschreibung gemeint sein, wurde dies kenntlich gemacht. Denjenigen, denen Autorität zugeschrieben wird, wird gleichzeitig ein Schutz vor unmittelbarer Zerstörung der autoritären Realität gewährt. Damit geht einher, dass eine Ausübung von Macht, welcher Form auch immer, erst einmal durch den Status autoritär legitimiert sei (Sofsky/Paris:22). Des Weiteren ist ein Autoritärer ein Repräsentant einer bestimmten Gruppenmoral und kein Gegenspieler zu Gruppe. Dadurch können Autoritäre auf die „Freiwilligkeit des Gehorsams“(ebd.:23) der anderen Gruppenmitglieder zählen, da diese letztlich eigens die Autorität wählten. Die Autorität, die Lehrerinnen anerkannt wird, ist mannigfaltig. Ihrer inhärent sind die Amtsautorität und in den besten Fällen genauso die Sach- und Organisationsautorität. Ist bei Lehrerinnen eine Organisationsautorität gegeben, d.h. innerhalb ihrer Rolle eine „persönliche Integration fachlicher und interpersoneller Führungsqualitäten“ (ebd.:53), so kann davon ausgegangen werden, dass Schülerinnen diese Art von Autorität nicht aberkennen oder blockieren oder zu zerstören versuchen werden. Was dieser Organisationsautorität aus Sicht der Schülerinnen innewohnt, wird in Passagen der geführten Interviews vorkommen und praktisch beschrieben werden.

2. Die Studie

2.1 Die Fragestellung

Die Fragestellung oder das Forschungsinteresse liegt bei dieser Studie innerhalb der Institution Schule. Im Rahmen eines Lehramtsstudiums wird einiges zur Lehrerperson und Lehrerposition und des Lehrercharakters gelehrt. Gerade an der Universität Kassel hat die praktische Unterrichtserfahrung von Studentinnen einen hohen Stellenwert. Das in der Theorie Gelernte darf an Schülerinnen praktisch erprobt werden. Die Theorie dieses Studiums ist eher einseitig in Hinblick auf die Repräsentation des Lehrens an Schulen. Ihr Standpunkt ist ein pädagogischer und damit einhergehend ein stark moralistisch geprägter. Moralistisch geprägt meint hier, dass Studentinnen lernen, was eine gute Lehrerin ausmacht, was eine gute Schülerin ist und wie Mensch ihr das Gegenteil attestiert; welches Benehmen von Schülerinnen erwartet wird und welche Leistungen Mensch wie bewertet. Ein Forschungsziel ist unter anderem von diesem moralischen Schwerpunkt Abstand zu nehmen und die Schule als soziologisches Gefüge zu betrachten, welches ich aus Schülersicht erkläre. Würden die Soziologie und Goffmans Erklärungen von Selbstdarstellung im Alltag im theoretischen Diskurs präsenter sein, würde Lehramtsstudenten klarer, dass sie eine soziale Rolle spielen und nicht Charakter- oder gar Moraleigenschaften präsentieren müssen, um sich als „gute“ Lehrerinnen zu qualifizieren. Diese These wird durch die folgende Studie gestützt und versucht einen Diskurs aufzuzeigen, der einer Pädagogik, die dazu neigt, „schlechten“ Schülern mit moralischen Zwängen und damit einhergehend einer Pathologisierung ihrer Rollen als Lösung gegen deviantes Verhalten zu begegnen, entgegen wirkt.

Innerhalb des sehr hierarchisch geprägten Gebäudes Schule ist eine Kooperation auf Augenhöhe zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen zwar erwünscht, aber eher selten an der Tagesordnung. Im hektischen Schulalltag entscheiden die Lehrerinnen über die Unterrichtsinhalte und deren methodische Umsetzung, über Noten und Betragen der Schülerinnen. Nicht im Rahmen ihrer Kontrolle ist jedoch die Anerkennung durch die Schülerinnen. Diese entscheiden über die Zuschreibung von Autorität oder nicht. Schreiben sie der Betreffenden keine Organisationsautorität, sondern vielleicht nur eine Amtsautorität zu, so kann es schwierig werden, den Unterricht nach Vorstellungen der Lehrkraft zu führen. Warum? Weil die Schülerinnen die Lehrkraft nicht ernst nehmen und diese keine Respektperson sein kann (Respektperson nicht im militärischen Sinne, sondern eher als freundlicher aber bestimmter Supervisor), sondern lediglich ein Dienstleister ist. Über den Lehrerberuf als Dienstleister oder als Professur und seine Bedeutung in der Gesellschaft könnte viel geschrieben werden, jedoch sei hier lediglich vermerkt, dass Lehrer, die sich als Dienstleister und bloße Wissensvermittler verstehen, erhebliche Probleme haben werden, Schülerinnen für ihr Fach zu begeistern und nachhaltiges Wissen zu vermitteln.

2.2 Das Erhebungsinstrument

Die Handlungsstrategien von Schülerinnen zur Unterwanderung von Autorität werden, wie im Folgenden sichtbar wird, qualitativ erforscht. Als Gegenstand qualitativer Forschung werden durch die Interviews „ Sinn [sic] oder subjektive Sichtweisen“ (Helfferich:19) rekonstruiert. Offensichtlich ist es nicht Sinn der Forschung herauszufinden, wie viele Schülerinnen Autorität unterwandern oder in welchen Schulzweigen mehr oder weniger Unterwanderung stattfindet. Ungeachtet dieser Aspekte stehen die Erzählungen einzelner im Vordergrund. Anhand der Erzählungen werden Sinnstrukturen und Interaktionsmuster zwischen den verschiedenen Ensemblezusammensetzungen, die im Unterricht aufeinander treffen, sichtbar. Aus diesen Mustern entstehen Kategorien, welche Autoritätstypen beschreiben. Außerdem gehören zu diesen Typen auch die Requisiten, welcher sie sich bedienen, um die Fassade der gemeinsamen Realität von Lehrerinnen und Schülerinnen aufrechtzuerhalten, während sie eigentlich das Gegenteil vornehmen.

Das Erhebungsinstrument wird das Narrative Interview sein. In ihrer sehr anschaulichen und zu empfehlenden, Monographie „Narrative Interviews“, erklärt Ivonne Küsters genau, wie, warum und wann Narrative Interviews in der qualitativen Sozialforschung zum Einsatz kommen. Zunächst ist diese Form der Interviewführung optimal, da sie nicht führend ist. Schülerinnen sollen während der Interviews die Zeit bekommen, ihre Erzählungen frei, das heißt, offen und von subjektiver Natur vornehmen. Es wird davon abgesehen, ihre Antworten bzw. ihr Erzähltes mit Fragebögen oder ähnlichen suggestiven Interviewmethoden zu leiten. Dieses hat den Vorteil, dass die Schülerinnen möglicherweise mehr erzählen, als lediglich kurzsilbig auf Fragen zu antworten. Damit einhergehend spüren Schülerinnen bei einer derart offenen „Frage“-Stellung, dass sie nicht geprüft und nicht bewertet werden. Auch wenn dies vorher ausdrücklich gesagt wird, zeigt die Erfahrung als unterrichtende Person, dass Schülerinnen dazu neigen, Bewertung auch dann zu fürchten, wenn diese eigentlich nicht zu befürchten ist. Dieses Vertrauen von befragter Person und Interviewer wird nicht etwa durch das Auftreten der Interviewten geschaffen, sondern durch die neutrale Rolle, die ihr innewohnt. Die neutrale Rolle der „Zuhörerin“ und nicht der Lehrerin wird durch die Form des Narrativen Interviews gestützt, da die Schülerinnen im Idealfall ohne Unterbrechung sprechen und somit das Interview komplett steuern und die Interviewerin ihre Forschungsergebnisse nach dem ausrichtet, was gesagt wurde und nicht nach dem, was gefragt wurde. Indem der Fokus auf den Aussagen der Schülerinnen liegt, wird erhofft Strukturen und Zusammenhänge auszumachen, die bislang unerkannt blieben. Aus diesem Grunde wurde sich gegen eine Beobachtung entschieden. Generell hätte eine Beobachtung das Forschungsziel verfehlt, da sie die Reflexion und Sichtweise einer Person einnimmt, die nicht Darstellerin des zu untersuchenden Ensembles ist. Da nun aber genau kategorisiert werden will, wie sich die Darsteller des Ensembles Schülerinnen inszenieren, um Autorität zu unterwandern, liegt nichts näher als diese zu fragen. Dazu meinen auch Behnken&Jaumann (Hrsg.): „Derartige Forschungen sind selten, die Beobachtung von Lehrern bereitet große Zugangsprobleme, die Beobachtung von Kindern ist aufwendig, langwierig und in Bezug auf den Ertrag riskant.“ (40). Dennoch existieren unzählige beobachtende Studien und ethnographische Untersuchungen an Schulen, jedoch eher wenig Material, welches Schülerinnen zu Wort kommen lässt. Narrative Interviews werden häufig in der Biographieforschung eingesetzt. Nun liegt es nicht im Forschungsinteresse, die Unterwanderung von Autorität in der Schule in Zusammenhang mit Biographien zu setzen. Dennoch stellt die Unterwanderung einen komplexen Prozess dar. Diese Prozesshaftigkeit oder Komplexität verlangt nach einem Erhebungsinstrument, welches Raum (ja im übertragenen Sinne) und Zeit schafft, diesen Prozess, der von Schülerin zu Schülerin unterschiedlich sein wird, vollständig zu erfassen. In einem Leitfragen gestützten Interview würde leicht spürbar, welche Fragen auf die eigentliche Forschungsfrage abzielten und somit ein möglicherweise natürlicher (im Sinne von ununterbrochenem) Sprachfluss der Interviewten gehemmt. Dies wäre nicht hilfreich, da diese eine handelnde Person im Prozess darstellt und das Bewusstmachen der Handlungen durch Leitfragen hemmend beeinflusst werden könnte.

Die Ebene, die das Erhebungsinstrument Narratives Interview ansteuert, ist eine sehr persönliche, da gebeten wird, die eigene Wahrnehmung zu schildern. Das kann je nach Interview zu mehr Informationen als nötig führen und somit auch zu umfassenderen Transkriptionen.

Küsters schreibt in ihrer Monographie über den Einsatz, die Grenzen und die Kritik am Narrativen Interview und sagt in diesem Zusammenhang: „Biographien werden durch das biographische Erzählen überhaupt erst erzeugt […]“ (30). Eine bloße Beobachtung wäre reine Interpretation und kein Ergebnis. Indem jedoch die Interviewten schildern, wie sie Autorität unterwandert haben, werden ihre Aktionen in der Bedeutung erst zur Autoritätsunterwanderung.

2.3 Das Forschungsdesign

Das Forschungsdesign ist von einem Faktor abhängig. Für die Interviews werden selbstverständlich Schülerinnen benötigt, welche Schulen besuchen. Diese etwas umständliche Formulierung meint, dass nicht Privatpersonen, die zufällig Schülerinnen sind, interviewt werden, sondern Schülerinnen im schulischen Kontext. Dieser Kontext beinhaltet auch, dass die Interviews in dem Schulgebäude zur Schulzeit stattfinden werden. Außerdem beruhen die Interviews auf freiwilliger Teilnahme. Somit wird auch nicht im Vorfeld mit Belohnungen für Teilnahme und Registrierungen hantiert, weswegen unklar ist wie viele Schülerinnen schlussendlich teilnehmen. Angestrebt wird ein Rahmen von acht Interviews. Je nach Auslese des Gesagten ist auch denkbar, dass sieben Interviews ausreichen oder bis zu zehn benötigt werden. Von den 13 angeschriebenen Schulen antworten zwei. Das kann durchaus ausreichen, eine klare Festlegung der Schülerinnenanzahl ist trotzdem noch nicht möglich.

A priori ist festgelegt, dass die Schülerinnen bereits die Grundschule verlassen haben müssen. Da die Schülerinnen mindestens die fünfte Klasse besuchen, kann vorausgesetzt werden, dass sie in der Lage sind in zusammenhängenden Sätzen zu sprechen und sich klar und deutlich auszudrücken. Des Weiteren kann in etwa ab der fünften Klasse erwartet werden, dass die Schülerinnen Autorität bewusster unterwandern, als in der Grundschule und diese Aktivität auch besser bzw. überhaupt reflektieren können. Das Geschlecht der Schülerinnen ist nicht von Relevanz. Ebenso wenig die schulische Laufbahn, die sie einschlagen bzw. die ihre Rolle in der Gesellschaft vorsieht. Es wird davon ausgegangen, dass Autorität da unterwandert wird, wo sie existiert und ihre Existenz vom Schultyp unabhängig ist.

2.4 Die Vorgehensweise

Bevor die Schülerinnen das Interview führten, wurden „Elternzettel“ eingesammelt, die sie im Vorfeld von ihren Erziehungsberechtigten unterschreiben lassen mussten. Diese Zettel liegen dieser Arbeit auf Grund von Anonymisierung nicht bei. Dennoch dienten sie der Absicherung der Forscherin und der betreuenden Lehrerinnen, die Eltern einbezogen und wohlwollend zu wissen. Diese Erklärung der Anonymisierung verpflichtet das Schweigen über jeden Namen der Interviewten, der Lehrerinnen und der Schulen an welchen die Interviews durchgeführt wurden.

Das Interview wurde zwölf Mal geführt. Diese zwölf Interviews waren Einzelinterviews und fanden in Besprechungsräumen von Schulen statt. Zur Zeit des Interviews waren nur die Interviewerin und die_der Interviewte anwesend. Diese beiden saßen schräg gegenüber am Ende eines Tisches, auf dem Papier zum eventuellen Notieren bereitgehalten wurde, sowie ein dickes Buch, auf dem das Diktiergerät lag, um Schreibgeräusche, die auf dem Tisch entstehen, nicht als Hintergrundgeräusche auf dem Tonband zu integrieren.

An mit den Lehrerinnen ausgemachten Tagen und während die anderen Mitschülerinnen weiter am Unterricht teilnahmen, wurden die Interviews geführt. Wochen zuvor wurde die Studie im Unterricht von der Forscherin vorgestellt und um freiwillige Teilnahme geboten. Ohne das genaue Forschungsinteresse zu verraten, wurden die Schülerinnen darauf eingestellt, dass es sich um eine Studie handle, die das Alltägliche in der Schule untersucht. In einer zweiten Schule wurde die Studie von einer Lehrperson vorgestellt, die vorher das Exposé dieser Arbeit erhielt.

Die Probandinnen wurden in das Besprechungszimmer gebeten und dort wurde kurz der Verlauf des Interviews erklärt. Der genaue Wortlaut des Erzählimpulses wurde erst mit Einschalten des Diktiergerätes genannt, aber dennoch vorab darauf hingewiesen, alltägliche Situationen im Schulalltag, vornehmlich im Unterricht so gewissenhaft wie möglich zu schildern. Außerdem gab es den Hinweis, sich so viel Zeit wie nötig zu nehmen und nicht zu erwarten unterbrochen zu werden. Das Notieren der Forscherin wurde mit der Annahme sich nicht alles Gesagte merken zu können, begründet. Würde diese später auf Aussagen eingehen wollen, so müssten Notizen angefertigt werden. Besondere Betonung galt erneut dem Fakt, dass die Forschung nicht dazu diene, in konventionelle pädagogische und moralische Muster wie gut und schlecht einzuteilen, sondern lediglich dazu, Interaktionen und Situationen, in denen eine Lehrkraft nicht wusste, was geschieht en détail zu schildern. Vor jedem Anfang eines Interviews wurde sich vergewissert, ob Fragen bestünden und wenn dies nicht der Fall war, begonnen. Allerdings mit dem Hinweis, dass Fragen jederzeit gestellt werden dürften. Mit folgendem Erzählimpuls begann jedes Interview:

Stelle dir Situationen im Unterricht vor, in denen der Lehrer oder die Lehrerin nicht weiß was vor sich geht. Stell dir Situationen vor in denen der Lehrer an der Nase herumgeführt wird, in denen der Lehrer oder die Lehrerin ein bisschen veräppelt wird und in denen die Schüler dem Lehrer seine oder ihre Autorität nicht zu gestehen. Erzähl mir von so Situationen.

Dieser Erzählimpuls wurde bei allen Interviews syntaktisch und Längen gleich repetiert. Was jedoch variierte war die Lexik (nicht die Semantik). Da sich Schülerinnen und Interviewerin in einem von den Rollen her neutralen und vom Gesprächsinhalt her offenen Rahmen befanden, verzichtete die Forschende in Einzelfällen auf die Fassade der wissenschaftlichen Lexik und sprach mit den Schülerinnen so, als wäre sie Darstellerin im gleichen Ensemble bzw. als befänden sie sich auf der gleichen Hinterbühne. Dies geschah unbewusst, soweit Mensch bei Darstellungen auf Bühnen von unbewusst sprechen kann, und wurde nicht beabsichtigt, um eine künstliche Nähe der Rollen aufzubauen. Das heißt, im Klartext, dass die Sprache sich ihren Sprechern anpasste und teils sehr umgangssprachlich ist. Dies schmälert aber keinesfalls die Analyse des Materials, da von einer textlinguistischen oder soziolinguistischen Analyse abgesehen wird.

Nachdem die zwischen sechs und 20 Minuten dauernden Interviews geführt wurden, kehrten die Schülerinnen in ihre Klassen zurück.

2.5 Probleme bei der Vorgehensweise

Bei der praktischen Umsetzung der vorher sorgsam ausgewählten Interviewart traten Probleme auf. Sie ließen sich nicht in die Form des Narrativen Interviews pressen. Es ergab sich eine Mischform, die im Folgenden erklärt wird.

Nach dem gegebenen Erzählimpuls erzählten die Schülerinnen meistens um die zwei Minuten ohne Unterbrechung. Danach gerieten sie ins Stocken (bis auf B10) und wurden nervös. Diese Reaktion hat drei Gründe. Erstens hätte der Erzählimpuls genauer formuliert werden sollen. Es wäre auch ratsam gewesen, den Erzählimpuls an anderen Personen, also nicht Probandinnen, auszuprobieren. Damit wäre ausgeschlossen, dass er Unklarheiten übrig lässt. Zweitens werden Narrative Interviews vornehmlich in der Biographieforschung eingesetzt. Eine Biographie hat eine Chronologie, an der sich Erzählende orientieren können. Die Unterwanderung von Autorität hat eine solche Chronologie nicht. Die Befragung hätte daher Leitfaden gestützter sein sollen. Drittens sind Schülerinnen nicht daran gewöhnt, offen und frei zu sprechen. Ihre Möglichkeiten zur Eigenreflexion schienen eingeschränkt, sodass es mitunter schwierig war, sich an Situationen, in denen der Lehrer nicht wusste, was vor sich ging, überhaupt zu erinnern. Das Schaffen einer Situation, in der sie aus dem Stehgreif erzählen mussten, hat 12 von 12 Probandinnen überfordert. Es soll hier unmissverständlich betont sein, dass dies nicht an einem fehlenden Horizont der Probandinnen lag, sondern an einer fehlenden Förderung des entgleitenden Denkens im Schulbetrieb.

Das Resultat der Interviews ist eine Mischung aus einem Leitfaden-Interview und einem ethnografischem Interview. Ein Leitfaden-Interview ist es nur zum Teil, da keine Leitfäden vorbereitet wurden, sondern diese an das Gesagte der Probandinnen anknüpften, um das Interview erzählerzentriert zu lassen und nicht sukzessive in eine Ergebnisrichtung zu lenken. Diese freie, dialogische Erzählstruktur findet sich in ethnografischen Interviews. Aber auch dieser Begriff trifft nur partiell zu, da keine Feldforschung stattfand. Dennoch sind die Daten verwendbar und aufschlussreich. Das Hauptziel dieser Studie ist es, Schülerinnen erzählen zu lassen und das gelang. Die Auswertung der erhobenen Daten allerdings könnte sehr mühselig sein. Aufgrund dessen bleibt festzuhalten, dass bei einer erneuten Studie nicht en passant die Methode dem Interview angeglichen werden sollte, sondern vice versa.

2.6 Die Art der Datenaufbereitung

Die Daten der Tonspuren wurden mit f4, einem gängigen Transkriptionsprogramm transkribiert. Die genaue Funktionsweise von f4 ist für diese Arbeit nicht weiter relevant, weswegen von einer detaillierten Beschreibung der Datenaufbereitung abgesehen wird. Es sei lediglich gesagt, dass im transkribierten Text allen Namen von Personen und Schulen durch das Item (Name) ersetzt wurden und alle Dialekte, sowie Soziolekte durch geschriebenes Standarddeutsch ersetzt wurden.

2.7 Undeutliche Interviews

Fünf der 12 Interviews wurden nicht transkribiert. Zwei dieser fünf aufgrund dessen, das die Probandinnen nicht wussten, was sie sagen sollten und derart aufgeregt schienen, dass sie keine Worte fanden. Diese Interviews wurden nach zwei Minuten abgebrochen. Die anderen drei Interviews waren sprachlich und damit auch akustisch derart unverständlich, dass von einer Transkription abgesehen wurde. Entweder waren nur Schlagwörter eindeutig oder die Struktur der Erzählung derart wirr, dass nur das mentale Lexikon Zusammenhänge hätte schaffen können. Das Aufstocken fehlender sprachlicher Kompetenz mir eigener Sinnesstruktur hätte das Ergebnis veruntreut und ist daher nicht zur Ergebnissicherung ausgewählt worden. Dennoch hätten Erzählhemmungen von der Interviewerin genauer diagnostiziert und behoben werden müssen. Außerdem hätte der Erzählimpuls genauer bearbeitetet werden müssen. Die teilweise sprachlich ungenauen Einleitungen des Themas könnten für Erzählhemmungen der Informantinnen ursächlich sein. Daher werden die misslungenen Interviews nicht in die Auswertung integriert.

Generell war festzustellen, dass der Bearbeitungszeitraum, der dieser Arbeit zugestanden wird, nicht ausreicht, um eine empirische Studie zu perfektionieren. Eine deutlichere Sprache und eine sicherere bzw. korrektere Durchführung der Interviews wären in einer weiteren Studie notwendig. In diesem Pionierprojekt war diese Art von Fehlern nicht zu vermeiden.

3. Auswertung der Interviews durch Grounded Theory

Die Grounded Theory (folglich GT) ist die wahrscheinlich momentan populärste Methode zur Auswertung von sozialwissenschaftlicher Forschung. Ihre Vorteile liegen in der Möglichkeit zur Kreativität, da die GT keine festgeschriebenen Termini oder methodischen Gegenstände aufweist. In dieser Offenheit kann gleichzeitig auch ihr Nachteil liegen, wenn eine Masse an erhobenem Material vorliegt und dessen Einordnung eher die Zuordnung zu bereits vorhandenen Konstrukten benötigt.

Da diese Forschung das erhobene Material in Konstrukte einordnen wird, die sonst in anderen Bereichen der Soziologie heimisch sind, scheint die GT optimal, um die Transkriptionen zu strukturieren und gleichzeitig kreativ zu interpretieren. Zufälligerweise sind die sechs Schritte zur Aufbereitung eines Narrativen Interviews nach Schütze (1983) den sechs Schritten der GT (1987) (Glaser&Strauss, später Strauss&Corbin waren trotzdem zuerst da) sehr ähnlich. Schütze erweist sich jedoch in seiner Arbeit am Textkorpus als etwas feiner und arbeitet formaler und struktureller. Auch wenn die sechs Schritte der GT als Auswertungsinstrument benutzt werden, war das Studium Schützes eine große Hilfe beim Verstehen von Methoden der Auswertung.

Strauss unterteilte die Grundpfeiler der GT folgendermaßen: „Art des Kodierens“, „theoretische[s] Sampling“ und „Vergleiche“ (Breuer:41). Seien diese drei Schritte nicht bei der Auswertung erkennbar, so sei es keine GT. Diese Schritte werden im Folgenden kurz erläutert.

Zunächst zum Kodieren. Beim Kodieren des Materials werden Indikatoren für Konstrukte herausgearbeitet. Ein Beispiel: In den nachfolgenden Interviews wird zu lesen sein, dass eine befragte Person oft die Toilette aufsucht, um noch schnell vergessene Hausaufgaben zu erledigen. Der Indikator Toilette weist auf das Konstrukt Hinterbühne hin. Aus der Verbindung von verschiedenen Indikatoren wird nach einem ersten offenen Kodieren ein „Sortieren 1. Ordnung“ (Breuer:76), um die Daten zu ordnen. In einer zweiten Sortierung werden die Indikatoren so verdichtet, dass sich eine (Grounded) Theorie herausbilden lässt. Die Leistung dieser Studie wird es sein, unreflektierte Indikatoren zu entdecken, diese in Verbindung zu Goffman zu bringen, wobei sein Vokabular aus „Wir alle spielen Theater“ die Konstrukte bietet, um dann daraus verschiedene Autoritätstypen bzw. Theorien über verschiedene Autoritätstypen unter Schülerinnen abzulesen.

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Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Handlungsstrategien von Schülerinnen zur Unterwanderung von Autorität
Hochschule
Universität Kassel
Veranstaltung
Examensarbeit zur Autoritätsforschung
Note
1.3
Autor
Jahr
2015
Seiten
79
Katalognummer
V337111
ISBN (eBook)
9783656989493
ISBN (Buch)
9783656989509
Dateigröße
788 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
handlungsstrategien, schülerinnen, unterwanderung, autorität
Arbeit zitieren
Sophie Wappke (Autor:in), 2015, Handlungsstrategien von Schülerinnen zur Unterwanderung von Autorität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337111

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