Ist Moral ein angeborener Instinkt? Die Entstehung des menschlichen Moralbewusstseins

Entwicklungsstufenmodell nach Piaget und Kohlberg


Hausarbeit, 2012

16 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zentrale Forschungsarbeiten zur moralischen Entwicklung aus der vergangenen Zeit

3. Jean Piagets Untersuchungen zur kognitiven Moralentwicklung
3.1 Die drei Stufen der moralischen Entwicklung nach Piaget
3.1.1 Erste Stufe: Der Moralische Realismus
3.1.2 Zweite Stufe: Der kooperative Gerechtigkeitssinn
3.1.3 Dritte Stufe: Das Bewusstsein autonomer Gerechtigkeit
3.2 Kritik an Piagets Modell

4. Die Forschungsergebnisse von Lawrence Kohlberg
4.1 Kohlbergs Forschungsgrundlage
4.2 Das Sechs-Stufen Modell

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Eine zentrale Frage, die man sich als angehender Lehrer stellt, wird treffend im folgenden Zitat thematisiert:

„Wie können wir den Kindern helfen, in ihren Beziehungen altruistisch und in ihrem Zugang zu moralischen Problemen rational zu werden?“1

Da die moralische Erziehung ein Thema ist, das in pädagogischen Fachkreisen mit steigendem Interesse verfolgt wird, möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit damit auseinandersetzen wie das menschliche Moralbewusstsein entsteht. Dieses Thema betrifft jeden, unabhängig von Geschlecht, Abstammung und sozialem Status. Jeder Mensch verfügt über eine Moral und dennoch ist sie von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt - einige handeln moralischer, als andere. Zu klären bleibt ob Moral lehr- bzw. lernbar ist, oder sie eine Art angeborener Instinkt ist. Um eine Antwort auf die offenen Fragen zu finden, werde ich mich auf verschiedene Psychologen beziehen, die sich mit der Entstehung des menschlichen Moralbewusstseins beschäftigt haben. Zunächst ziehe ich die Untersuchungen des Entwicklungspsychologen Jean Piaget heran, der mit seinen Forschungen einen wichtigen Grundstein legte und eine Stufenentwicklung des Moralbewusstseins konzipierte. Darauf aufbauend ziehe ich den Psychologen Lawrence Kohlberg heran, der das Modell von Piaget überarbeitet hat und als einer der wichtigsten Moralforscher der heutigen Zeit gilt.

Zum Thema hinführend gebe ich zunächst einen groben Überblick über alte Forschungsarbeiten der Moralforschung und befasse mich anschließend intensiv mit den zuvor genannten Psychologen.

2. Zentrale Forschungsarbeiten zur moralischen Entwicklung aus der vergangenen Zeit

Obwohl das Interesse für die moralische Entwicklung neuerdings ansteigt, ist der Umfang der empirisch belegbaren Forschungsinhalte relativ gering. Dieses neu entfachte Interesse führte in den Nachkriegsjahren dazu, dass nicht neue Inhalte erforscht wurden, sondern die bereits vorhandenen Unterlagen erneut analysiert und überarbeitet wurden. So gibt es eine überschaubare Menge an Standardwerken, die im Folgenden vorgestellt werden, da sie die Grundlage der Untersuchungen bilden, die auf diesem Gebiet durchgeführt wurden.

1925 haben die beiden englischen Forscher Macaulay und Watkins über 3000 Schulkinder jeder Altersgruppe untersucht. Die Untersuchungsergebnisse resultierten einerseits aus der Aufgabe der Kinder eine Liste der „allerbösesten Dinge, die man tun kann“2 zu erstellen. Des Weiteren wurde den Kindern aufgetragen eine Person zu wählen, die für sie eine Vorbildfunktion hat und ihre Wahl zu begründen. Mit Hilfe dieser Daten kamen Macaulay und Watkins zu einigen allgemeinen Erkenntnissen über die Moralität. Es zeigte sich, dass „Kinder ein Wertesystem aufbauen, indem sie soziale Konventionen übernehmen“3 und dass ihrem Wachstum ein bestimmtes Entwicklungsmuster zugrunde liegt.

Eine andere Theorie entwickelten Hartshorne, May und Maller. 1928 führten sie ein fünfjähriges Projekt mit Kindern im Alter zwischen 10 und 13 Jahren durch. Aus den gewonnenen Daten schlossen sie, dass es weder möglich ist allgemeine Aussagen über das moralische Verhalten zu machen, noch ein allgemeines Entwicklungsmuster des moralischen Verhaltens zu definieren, da die Faktoren, die moralische Handlungen beeinflussen, viel zu komplex sind. Die Frage nach der Spezifität moralischen Verhaltens, moralischer Einstellungen und Motive konnten die drei Amerikaner eindeutig beantworten. Sie stellten fest, dass Moralität situationsspezifisch ist. Obwohl den Studienergebnissen eine große Bedeutung zukommt, wurde ihre Argumentation kritisiert. Ihnen wurde vorgeworfen, die beiden Begriffe Moralität und moralische Charaktereigenschaften zu verwechseln, da die Tests darauf konzipiert waren bestimmte Charaktereigenschaften zu untersuchen und nicht die Moralität.

Die Ergebnisse der vorgestellten Studien scheinen so stark zu differieren, dass man die Wahrheit irgendwo in der Mitte vermutet. Dies würde bedeuten, dass das moralische Verhalten weder als allgemein angesehen werden kann, wie es Macaulay und Watkins taten, noch spezifisch ist, wie Hartshorne und May behaupteten. Dennoch ist eine Verknüpfung der beiden Theorien möglich. Im Wachstum des Einzelnen wird nämlich deutlich, dass ein Entwurfsmuster bezüglich der moralischen Entwicklung entsteht. Dennoch werden die einzelnen Handlungen, die zu der moralischen Entwicklung führen, vom Individuum durch Faktoren beeinflusst, die situationsspezifisch sind. Somit ist keine Vorhersage einer menschlichen Reaktion in einer spezifischen Situation möglich.4

Der Mensch steuert also den Weg, den er einschlägt selbst und somit erweist sich Moral als nicht lehrbar.

Untersucht man das moralische Verhalten, so erhält man Resultate moralischer Einstellungen, welche unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Handlung motivieren. Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget beschäftigte sich mit ebendieser Entstehung von Einstellungen und der damit verbundenen Entstehung des moralischen Bewusstseins. Basierend auf seinen Studien entwickelte er ein Stufenmodell der moralischen Bewusstseinsentwicklung, das im nächsten Kapitel erläutert wird.

3. Jean Piagets Untersuchungen zur kognitiven Moralentwicklung

Piagets Untersuchungen wurden insbesondere durch die Ergebnisse der Arbeiten von Durkheim (1925), Fauconnet (1920), Bovet (1928) und Baldwin (1906) beeinflusst. Auf deren Arbeiten aufbauend sah er vor allem folgende Problemstellungen als zentral für seine theoretischen Analysen und empirischen Befragungen an:

1. Der Einfluss von Zwang durch die Erwachsenen auf das Kind
2. Die Auswirkung der sozialen Kooperation auf das moralische Urteil
3. Der Einfluss der intellektuellen Entwicklung auf die Prozesse des moralischen Denkens
4. Die Wechselwirkungen dieser drei Faktoren

Diese Problemfelder nimmt Piaget in seine Untersuchungen auf und untersucht sie indem er ca. 100 Schweizer Kinder im Vorschulalter einzeln interviewt. Piaget schreibt Kindern eine gewisse Lernfähigkeit - also kognitive Struktur- zu, die es ihm ermöglicht moralisches Verhalten zu beurteilen. Die von außen auf das Kind einwirkenden sozialen Zusammenhänge erachtet er nur als sekundär prägend. In Piagets Forschung steht die Frage im Fokus, nach welchen Gesetzmäßigkeiten und in welcher Abfolge das Erlernen moralischer Vorstellungen des Kindes erfolgt. Piaget gesteht ein, dass eine Verinnerlichung gesellschaftlich gesetzter moralischer Standards stattfindet, jedoch sieht er sich durch seine Forschung darin bestätigt, dass dieser Prozess erst in einem späteren Stadium im Einklang mit der kognitiven Entwicklung des Kindes stattfindet. Es zeigt sich, dass die Wurzeln des moralischen Denkens bereits im Kindesalter in uns verankert sind, sie jedoch durch gesellschaftliche Einflüsse und die kognitive Entwicklung des Denkens erst reifen müssen. Im nachfolgenden Schritt werden die Untersuchungen erläutert, die Piaget nutzte, um daraus resultierend sein drei Stufen Modell zu konstruieren.5

Zunächst untersucht Piaget die Einstellung und das Verhalten gegenüber Regeln von Kindern beim Murmelspiel hinsichtlich Ursprungs, Änderbarkeit und Anerkennung dieser Regeln.6

Was aber haben die Regeln des Murmelspiels mit Moral zu tun?

Piaget fasst die Moral als ein System von Regeln auf, und das Wesen der Sittlichkeit besteht für ihn in der Achtung, welche das Individuum für diese Regeln empfindet. Die Schwierigkeit in der Analyse der kindlichen Moral sieht er hauptsächlich darin, dass das Kind sozusagen mit den „fertigen“ Regeln einer Erwachsenenmoral konfrontiert wird, die jedoch die Bedürfnisse und den Entwicklungsstand des Kindes außer Acht lassen. Es entsteht die Problematik, dass nicht mehr feststellbar ist, ob das Kind die Regeln „an sich“ berücksichtigt, oder sich nur der Autorität der Eltern beugt. Piaget beginnt seine Untersuchungen bei dem Murmelspiel, weil es über ein von den Kindern selbst erstelltes Regelsystem verfügt. Außerdem stellt er fest, dass die Regeln des Murmelspiels ein vorzüglicher Bereich zur Untersuchung der kindlichen Moral sind, da hier der Einfluss Erwachsener denkbar gering ist.7 Als zweites wurden die moralischen Urteile von Kindern ausgewertet, denen Geschichten erzählt wurden, in denen objektiv gegen moralische Standards verstoßen wurde.8 Die Gründe für die Verstöße waren in diesen Geschichten jedoch unterschiedlich. Die Auswertung der Ergebnisse ermöglichte es Piaget, die Verhaltensmuster der Kinder drei altersabhängigen Stufen zuzuordnen.

3.1 Die drei Stufen der moralischen Entwicklung nach Piaget

Für Piaget ist das moralische Bewusstsein eine Einheit von Denken und Handeln.

[...]


1 Vgl. Kay, W.: Die moralische Entwicklung des Kindes. Düsseldorf: Schwann 1975, S. 9.

2 Vgl. ebd., S. 29f.

3 Vgl. ebd., S. 30.

4 Vgl. ebd., S. 29ff.

5 Vgl. ebd., S. 34ff.

6 Vgl. Piaget, J.: Das moralische Urteil beim Kinde, 2. veränderte Auflage, Zürich, Klett Cotta Verlag 1983, S. 23.

7 Vgl. ebd., S. 7ff.

8 Vgl. Kay (1975), a.a.O., S. 133ff.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Ist Moral ein angeborener Instinkt? Die Entstehung des menschlichen Moralbewusstseins
Untertitel
Entwicklungsstufenmodell nach Piaget und Kohlberg
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Veranstaltung
Pädagogische Psychologie
Note
1,5
Autor
Jahr
2012
Seiten
16
Katalognummer
V336875
ISBN (eBook)
9783668265950
ISBN (Buch)
9783668265967
Dateigröße
645 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
moral, instinkt, entstehung, moralbewusstseins, entwicklungsstufenmodell, piaget, kohlberg
Arbeit zitieren
Lucie Groh (Autor:in), 2012, Ist Moral ein angeborener Instinkt? Die Entstehung des menschlichen Moralbewusstseins, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336875

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