Französische Wortbildungslehre. Der bewusstseinsorientierte Wortbildungsansatz Hans-Martin Gaugers


Hausarbeit, 1993

12 Seiten, Note: 2-

Angelika Felser (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definition des durchsichtigen Wortes
2.1 Merkmale des durchsichtigen Wortes
2.2 Die formale Konstitution
2.3 Einheit und Gliederung
2.4 Programm und Norm

3 Die Leistungen des durchsichtigen Wortes
3.1 Ausgriff
3.2 Verschiebung
3.3 Variation
3.4 Die Abgrenzung der drei inhaltlichen Leistungen

4 Schlussbemerkung

LITERATURVERZEICHNIS

1 Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem bewusstseinsorientierten Wortbildungsansatz Hans-Martin Gaugers.

Gauger möchte in seinem Ansatz nicht die Bildung neuer Wörter in den Mittelpunkt stellen, „sondern die Tatsache, dass sich unter den Wörtern einer Sprache eine qualitativ und quantitativ höchst bedeutsame Gruppe von Wörtern findet, die sich von den übrigen klar unterscheiden.“[1] Mit dieser Gruppe von Wörtern meint er die der durchsichtigen Wörter, die man von dem „Standpunkt des naiven, sprachwissenschaftlich nicht gebildeten oder verbildeten Sprachbewußtseins“[2] betrachten soll. So gewähren z.B. Wörter vom Typ „le pommier“ den Sprechenden Durchsicht auf das Wort (oder auf die Wörter), von dem (von denen) sie abhängen (→ la pomme). Dem Pfeil, der zwischen den durchsichtigen Wörtern und ihrem Grundwort (ihren Grundwörtern) steht, spricht Gauger die Bedeutung „lehnt sich bewußtseinsmäßig an“ oder „verweist im Bewußtsein auf“ zu.[3]

Es folgen Gaugers Definition des durchsichtigen Wortes, seine wichtigsten Merkmale, die formale Konstitution solcher Wörter und die Erklärung der Begriffe „Einheit“ und „Gliederung“. Anschließend erfolgt die Verdeutlichung ihres Programms und der Norm, die Nennung der Leistungen (Ausgriff, Verschiebung und Variation), die Abgrenzung voneinander und die Zusammenfassung aller Typen des durchsichtigen Wortes.

2 Definition des durchsichtigen Wortes

„Durchsichtigkeit ist die durch die Sprechenden selbst- in einer zur Sprache konstitutiv gehörenden Reflexion auf die Sprache- ergriffene, formal und inhaltlich bestimmte („derivationelle“) Abhängigkeit eines Wortes – als Wort von einem oder von mehreren anderen Wörtern.“[4]

2.1 Merkmale des durchsichtigen Wortes

Die folgenden Merkmale[5] grenzen die durchsichtigen Wörter eindeutig von den undurchsichtigen (Typ: la lune → ?) ab:

a) durchsichtige Wörter gewähren den Sprechenden Durchsicht auf das Wort bzw. die Wörter, von dem (von denen) sie abhängen und an dem (an denen) sie im Bewusstsein festgemacht werden
b) ihre formal-inhaltliche Beschaffenheit erlaubt es also, durch sie hindurchzusehen und sie zu erklären
c) sie enthalten in sich selbst die Konstituenten, durch die sie bedingt sind
d) es sind abhängige Wörter, d.h. sie existieren nicht kraft ihrer selbst
e) sie haben einen von sich selbst wegweisenden Charakter (siehe 2.3)
f) es sind sprechende Wörter; sie sagen etwas über sich selbst: „Ich komme von dem Wort her, das in mir selbst enthalten ist“ und sie sagen etwas über das Ding, das sie bezeichnen: „Das Ding, das ich meine, hängt mit demjenigen Ding so und so zusammen, welches das in mir enthaltene Wort bezeichnet“
g) da es sprechende Wörter sind, können sie auch „lügen“
h) sie können als Wissen über die eigene Sprache verstanden werden (würde man einem Franzosen erklären „dans le mot „pommier“ il y a le mot „pomme““, so würde man ihm nichts Neues sagen)

2.2 Die formale Konstitution

„Die Durchsichtigkeit eines Wortes besteht darin, daß in ihm selbst-formal und inhaltlich- dasjenige Wort enthalten ist, von dem es abhängte: innerhalb der Einheit, die das durchsichtige Wort […] bildet, wird vom Bewußtsein, das sich auf es richtet, das Grundwort herausgehoben.“[6]

Man unterscheidet –nach Gauger- 3 Typen der formalen Beschaffenheit durchsichtiger Wörter:[7]

1) Komposita
2) Affixzusammensetzungen
3) Substraktivbildungen

Unter 1), den Komposita, versteht man die Zusammensetzung eines durchsichtigen Wortes aus zwei oder mehreren Wörtern. Obwohl Gauger diese Erscheinung „Zusammensetzung“ nennt, kann nicht gesagt werden, dass der Inhalt eines Kompositums einfach aus den Inhalten der in ihm lebendigen Wörtern zusammengesetzt ist (siehe 2.3): la cigarette-filtre

Mit 2), der Affixzusammensetzung, bezeichnet Gauger die Verknüpfung eines Grundwortes mit einem Affix, wobei es keine Rolle spielt, ob das Affix vor oder hinter dem Grundwort erscheint: le pomm-ier, re-voir

Unter 3), der Substraktivbildung, versteht Gauger die Substraktion eines Verbalsuffixes von einem Grundwort. Die regressive Ableitung (der „Substraktive“) steht den anderen beiden Typen (der „Kompositive“) gegenüber. Die Substraktivbildung impliziert stets einen Wortklassenwechsel vom Verb zum Substantiv. Ihr gehören somit nur Substantive an, und diese können sich nur an Verben lehren, bei denen lediglich das Infinitivmorphem gestrichen wurde: la marche (→ marcher).

Entscheidend für die Durchsichtigkeit ist bei jedem dieser Verfahren, dass im abgeleiteten Wort das Grundwort für das Bewusstsein lebendig ist.

2.3 Einheit und Gliederung

Obwohl das durchsichtige Wort als Einheit empfunden wird, ist eine durchschaubare Gliederung möglich.[8] Das Wort „cigarette-filtre“ z.B. darf nicht lediglich als Addition der Konstituenten „cigarette“ und „filtre“ aufgefasst werden (z = x + y), sondern als eine Einheit, aus der etwas unabhängiges Drittes hervorgeht: z → la cigarette, → le filtre

Ein gutes Beispiel liefert hier das deutsche Wort „Schafshirt“: Zunächst haben wird den Inhalt x (Hirt), zu dem ein zweiter Inhalt y (Schaf) hinzugefügt wird. Dieser zweite Inhalt schränkt nun x ein und bestimmt ihn – der Schafshirt ist nicht mehr ein Hirt schlechthin. Der Hirt wird bestimmt, spezifiziert, eingeschränkt (es ist kein Schweine- oder Gänsehirt).

Solch eine Beziehung zwischen Gliedern nennt man Determination; etwas, was schon gegeben ist (x = Determinatum) wird etwas anderes hinzugefügt (y = Determinans), das x einschränkt, es aber ganz es selber bleiben lässt: x (← y) = z. Im Französischen steht zumeist das Determinatum vor dem Determinans, während es im Deutschen genau anders herum der Fall ist.

Anhand eines Affixbeispiels lässt sich die doppelte Bewusstseinsverankerung erläutern, auf der die Gliederung des durchsichtigen Wortes beruht: Das Wort „pommier“ ist 1.) in seinem Grundwort (la pomme) und 2.) der Reihe (seinem „Programm“ siehe 2.4) verankert. Die Reihe des „-ier-Fruchtgewächsprogramms“ könnte folgenderweise weitergeführt werden: abricot-ier, ceris-ier, poir-ier, usw.

Nur anhand einer solchen Reihe wird der Inhalt eines Affixes, dem eine eigene Dingbezogenheit fehlt, lebendig, d.h. es wird ihm eine eigene Dingbezogenheit zugesprochen (hier: un arbre, une plante qui produit des x“). Auf diese Art wird ein Affix im Bewusstsein lebendig.

[...]


[1] Gauger, Hans-Martin, Sprachbewußtsein und Sprachwissenschaft, München 1976, S. 141 (künftig zitiert: Gauger, Sprachbewußtsein und Sprachwissenschaft, S. )

[2] Gauger, Sprachbewußtsein und Sprachwissenschaft, S. 141f.

[3] Gauger, Sprachbewußtsein und Sprachwissenschaft, S. 142

[4] Gauger, Hans-Martin, Durchsichtige Wörter. Zur Theorie der Wortbildung, Heidelberg 1971, S. 14 (künftig zitiert: Gauger, Durchsichtige Wörter, S. )

[5] Gauger, Durchsichtige Wörter, S. 8-25

[6] Gauger, Durchsichtige Wörter, S. 18

[7] Gauger, Durchsichtige Wörter, S. 18-22

[8] Gauger, Durchsichtige Wörter, S. 23-44

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Französische Wortbildungslehre. Der bewusstseinsorientierte Wortbildungsansatz Hans-Martin Gaugers
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Französische Wortbildungslehre
Note
2-
Autor
Jahr
1993
Seiten
12
Katalognummer
V335911
ISBN (eBook)
9783668255937
ISBN (Buch)
9783668255944
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde 2016 leicht verändert und gekürzt
Schlagworte
französische, wortbildungslehre, wortbildungsansatz, hans-martin, gaugers
Arbeit zitieren
Angelika Felser (Autor:in), 1993, Französische Wortbildungslehre. Der bewusstseinsorientierte Wortbildungsansatz Hans-Martin Gaugers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335911

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