Carmen 2, 3, 5 und 7 von Catullus. Die sexuelle Deutung der "passer"- und Kuss-Gedichte


Hausarbeit, 2014

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Der passer als Phallussymbol

3.Die sexuelle Deutung der passer - und Kuss-Gedichte

4.Die passer - und Kussgedichte bei Martial

5. carmen 16 - eine zeitgenössische Reaktion auf die passer - und Kussgedichte

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Die Kuss-Gedichte carmen 5 und carmen 7 ("das Paar der berühmten Kußgedichte"[1] ) sowie die passer -Gedichte carmen 2 und carmen 3 ("No poems of Catullus were better known in the antiquity"[2] ) gehören wohl mit zu den bekanntesten Gedichten aus dem etwa zweitausend Verse umfassenden Werk des Gaius Valerius Catullus[3].

Catull, der gewöhnlich eher obszöne Worte gebraucht (beispielsweise pedicabo […] et irrumabo, carmen 16, Vers 1) und gerne ohne Umschweife den sexuellen Akt benennt (beispielsweise fututiones, carmen 32, Vers 9), scheint sich hier erstaunlich züchtig und beinahe romantisch zu geben.

Doch ob dieser Eindruck wirklich einfach so stehengelassen werden kann, soll im Folgenden behandelt werden.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit wird auf den passer -Gedichten liegen, die Kuss-Gedichte sollen jedoch in die Analyse mit einbezogen werden.

Letztere sollen hier als erstes vorgestellt werden.

carmen 5:[4]

Vivamus mea Lesbia, atque amemus,

rumoresque senum severiorum

omnes unius aestimemus assis!

soles occidere et redire possunt:

nobis cum semel occidit brevis lux,

nox est perpetua una dormienda.

da mi basia mille, deinde centum,

dein mille altera, dein secunda centum,

deinde usque altera mille, deinde centum.

dein, cum milia multa fecerimus,

conturbabimus illa, ne sciamus,

aut ne quis malus invidere possit,

cum tantum sciat esse basiorum.

carmen 7:[5]

Quaeris, quot mihi basiationes

tuae, Lesbia, sint satis superque.

quam magnus numerus Libyssae harenae

lasarpiciferis iacet Cyrenis

oraclum Iovis inter aestuosi

et Batti veteris sacrum sepulcrum;

aut quam sidera multa, cum tacet nox,

furtivos hominum vident amores:

tam te basia multa basiare

vesano satis et super Catullo est,

quae nec pernumerare curiosi

possint nec mala fascinare lingua.

Beide carmina können als sinnliche Beschreibung zweier Begegnungen zwischen Catull und Lesbia gelesen werden. Auch findet sich in keinem von beiden eine überraschende Wendung wie beispielsweise in dem bereits oben genannten carmen 32, welches ebenfalls romantisch beginnt, in Vers 8 jedoch überraschend mit novem continuas fututiones fortfährt und mit der bildlichen Beschreibung pertundo tunicamque palliumque endet.

Im Gegenteil, weder in carmen 5 noch carmen 7 findet sich ein Hinweis auf eine Handlung, die über Küssen hinausgeht. Laut Jan-Wilhelm Beck gebe es nichts "Catulls unersättliche Liebe besser Verdeutlichendes als die Beschreibung unzähliger Küsse!"[6].

Ähnlich verhält es sich mit carmen 2 und carmen 3. Diese wirken sogar noch unschuldiger, da Catull bzw. Catulls persona hier nicht einmal mit der geliebten puella agiert, sondern ausschließlich ihr Spiel mit dem passer beschreibt.

Auch wenn nicht geklärt ist, inwieweit die letzten drei Verse des Gedichtes zu carmen 2 gehören, und daher meist mit 2b betitelt werden, sollen sie hier mit zu carmen 2 gezählt werden. Auf diese Problematik soll in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden[7].

carmen 2 inklusive 2b:[8]

Passer, deliciae meae puellae,

quicum ludere, quem in sinu tenere,

cui primum digitum dare adpetenti

et acris solet incitare morsus,

cum desiderio meo nitenti

carum nescio quid libet iocari

et solaciolum sui doloris –

credo, ut tum gravis adquiescat ardor.

Tecum ludere sicut ipsa possem

et tristis animi levare curas!

Tam gratum est mihi quam ferunt puellae
pernici aureolum fuisse malum,
quod zonam soluit diu ligatam.

carmen 3:[9]

Lugete, o Veneres Cupidinesque,

et quantum est hominum venustiorum:

passer mortuus est meae puellae,

passer, deliciae meae puellae,

quem plus illa oculis suis amabat.

nam mellitus erat suamque norat

ipsam tam bene quam puella matrem,

nec sese a gremio illius movebat,

sed circumsiliens modo huc modo illuc

ad solam dominam usque pipiabat.

qui nunc it per iter tenebricosum

illuc, unde negant redire quemquam.

at vobis male sit, malae tenebrae

Orci, quae omnia bella devoratis:

tam bellum mihi passerem abstulistis

o factum male! o miselle passer!

tua nunc opera meae puellae

flendo turgiduli rubent ocelli.

Wie bereits genannt, agiert Catulls persona hier also nicht selbst mit dem Mädchen, sondern beobachtet es lediglich beim Spiel mit dem Vogel.

Für Walter Kißel erweist sich carmen 3 "nicht anders als das vorausgehende c. 2, als wirkliches Liebesgedicht"[10], dadurch, dass Catull einem kleinen Vogel[11] ein ganzes Gedicht widmet, bloß da dieser Lesbia erfreut hat[12] und er somit auch für ihn selbst einen Wert hatte, da seine geliebte puella erfreut worden ist. Des Weiteren dadurch, dass Catull selbst intensiv mittrauert, nachdem der Vogel verstorben ist, da "er leidet, weil Lesbia leidet."[13]. Dies, so Kißel, sei "ein Beweis für die Größe und Unbedingtheit von Catulls Liebe"[14].

Einige Aspekte in den Gedichten scheinen dieser These jedoch zu widersprechen. So ist nicht nur die Tatsache auffällig, dass die "Beobachtung des Spiels von Spatz und geliebter Frau [...] eigenartigerweise nicht in dem Wunsch Catulls [resultiert], die Stelle des Vogels einnehmen und so mit der Geliebten zusammensein zu können"[15], was doch eigentlich vermutet werden könnte, wenn ein Mann die geliebte Frau beobachtet.

Im Gegenteil scheint das lyrische Ich in carmen 2 eher selbst mit dem Vogel spielen zu wollen. Und dieses Spiel soll ihm dann so gratum sein wie es Atlanta der goldene Apfel war?

Des Weiteres fällt auf, dass Catull den Weg des toten passer in die Unterwelt beschreibt; dass Tiere in die Unterwelt gelangten, entsprach jedoch nicht der damaligen Vorstellung[16].

Wie passt das durchaus als sexuell zu beschreibende carmen 6 ausgerechnet zwischen die so zärtlichen Kuss- carmina 5 und 7?

Und weshalb scheinen Catulls Zeitgenossen Aurelius und Furius den Dichter aufgrund seiner carmina als so unmännlich wahrgenommen zu haben, dass er ihnen auf die erniedrigendste Art und Weise seine vorhandene Männlichkeit beweisen will?[17]

Dies und Weiteres soll im Folgenden analysiert werden. Dazu soll zunächst die Rolle des passer im lateinischen Sprachgebrauch und im römischen Kulturkreis erläutert werden. Anschließend werden die Gedichtspaare auf sexuelle Aspekte hin untersucht, um zuletzt auch zwei Epigramme Martials sowie carmen 16 in die abschließende Analyse miteinzubeziehen.

[...]


[1] Holzberg (2002) 24.

[2] Fordyce (1971) 87.

[3] Stroh (2000).

[4] https://la.wikisource.org/wiki/Catullus_5

[5] https://la.wikisource.org/wiki/Carmina_(Catullus)/7

[6] zitiert nach Holzberg (2002) 24

[7] Ausführlich wird auf diese Problematik u.a. in Wirth (1986) 39 - 44 und Felgentreu (1993) 216 - 222 eingegangen.

[8] https://la.wikisource.org/wiki/Carmina_(Catullus)/2

[9] https://la.wikisource.org/wiki/Carmina_(Catullus)/3

[10] Kißel (1996) 46.

[11] Vgl. ebd. 45.

[12] Vgl. ebd. 45.

[13] Ebd. 46.

[14] Ebd. 46.

[15] Ebd. 36.

[16] Vgl. Kroll (1929) 6.

[17] Vgl. c armen 16.

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Details

Titel
Carmen 2, 3, 5 und 7 von Catullus. Die sexuelle Deutung der "passer"- und Kuss-Gedichte
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V335873
ISBN (eBook)
9783668273818
ISBN (Buch)
9783668273825
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
carmen, catullus, deutung, kuss-gedichte
Arbeit zitieren
Sarah Wenigmann (Autor:in), 2014, Carmen 2, 3, 5 und 7 von Catullus. Die sexuelle Deutung der "passer"- und Kuss-Gedichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335873

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