Die Geschichte des Bluegrass. Wie Bill Monroe sich in den Bergen von Kentucky langweilte und schließlich einen neuen Musikstil erfand


Essay, 2016

14 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Bluegrass: Von der Hausmusik ins Radio

Scott-Irish-Sounds in den blauen Bergen

Ein kleiner Junge und seine Mandoline

Landflucht und Vereinsamung

„It’s sad, it’s sad“

„When I put my music together“

Brother Duets

Erfolg mit den „Blue Grass Boys“

Quellen

Bluegrass: Von der Hausmusik ins Radio

Eigentlich dürfte es ihn gar nicht mehr geben: den Bluegrass, diesen Sound, der im ländlichen Herzen des Südwestens der Vereinigten Staaten entwickelt wurde, mitten in den Appalachians. Er ist das Produkt einer anderen Zeit, der 30er Jahre, einer Zeit, in der die Landflucht im Süden Amerikas begann. Einer Zeit, in der die Industrialisierung ihren Tribut forderte: urbane Ballungsräume im Norden, die Entvölkerung ganzer Landstriche im Süden!

Doch die Arbeiter aus dem Süden brachten nicht nur ihre Armut mit nach Detroit und Chicago, wo sie in den Automobilfirmen Arbeit fanden, sondern auch ihre Kultur. Sie waren es gewohnt Musik, zu machen. Als sie klein waren, hatten sie mit ihren Eltern vor der Haustür gesessen, es wurde mit Fiddle und Gitarre musiziert und gesungen. Später als Erwachsene waren sie abends in die Kneipe gegangen und hatten nach dieser Musik getanzt.

Was als Unterhaltung und Zeitvertreib in den abgeschiedenen Regionen gedient hatte, wurde nun kommerzialisiert. Plötzlich gab es eine ganze Bevölkerungsschicht, die sich nach Tanz und Musik sehnte. In Chicago entstanden die“ Barn Dances“, öffentliche Tanzveranstaltungen mit Musik. Diejenigen, die im Süden ein Musikinstrument gelernt hatten, spielten ganz selbstverständlich auf. Es waren Hunderte von Arbeitern, die sich hier allabendlich vergnügten. Schon bald entdeckte die Werbesparte den neuen Markt. Man begann, Plakate hinter den Musikern aufzustellen und ihre Musik in den Radioshows als Einspieler zu benutzen. Schließlich landeten die neuartigen Künstler in der damals beliebtesten Musikveranstaltung der Vereinigten Staaten – in der „Grand Ole Opry“ im Ryman Theatre in Nashville. Der Bluegrass machte Karriere!

Scott-Irish-Sounds in den blauen Bergen

Angefangen hatte alles einige Jahrzehnte vorher in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. In den ländlichen und abgeschiedenen Tälern der Appalachians lebten viele Siedler als einfache Farmer und Handwerker ohne viel Kontakt zur Außenwelt.

Bis zum Bau der Eisenbahn gab es hier keine nennenswerte Infrastruktur, Fremde kamen so gut wie gar nicht in diese Gegend. Lange Zeit waren fahrende Prediger und Händler die einzige Verbindung zu den Küstenorten und dem stärker industrialisierten Norden. Der Musiker Mac Wiseman erzählt gern die Geschichte von seiner ersten Gitarre, die mit einem Paket über den Versandhandel ihren Weg in seine Heimat, das Shenandoah Valley, fand. Doch schon beim Auspacken gab es ein großes Problem: Nirgends fand sich eine Information, wie das sechssaitige Instrument zu stimmen se. Tatsächlich musste der junge Mac ein ganzes Jahr lang warten, bis ihm schließlich ein vorbeiziehender Prediger die Gitarre stimmte.

Die Traditionen der ersten Amerikafahrer hielten sich so relativ unbeschadet. Man musizierte ganz ähnlich wie daheim in Irland, England oder Schottland auf den Fiddles – einfachen Geigen -, Gitarren und gelegentlich auch Zithern oder Mandolinen, die von den ersten Siedlern mitgebracht worden waren. „Scott-Irish-Sounds“ nannten die Einheimischen ihre Musik, später auch „Old Time“- oder „Hillbilly“-Musik. Das waren relativ simple Volkslieder, die von einer oder zwei Gitarren begleitet wurde. Ihr besonderes Kennzeichen: Sie wurde in close harmonies gesungen – ein wichtiger Bestandteil eigentlich aller amerikanischer vokaler Folklore. Die Hauptstimme wird durch eine oder mehrere Stimmen in einem fixen Abstand, in der Regel in Terz- und Quintintervallen begleitet.

Um eine solche Begleitstimme zu entwickeln und zu singen, braucht es kein besonderes Talent, nur ein wenig Übung. Und die hatten die Farmer aus den „Blue Grass Mountains“ – wie die Appalachians wegen ihres blauen Schimmers im Volksmund genannt werden.

Viele Bauern und Farmerinnen hatten diese close harmonies vollkommen verinnerlicht. Es war kein Problem, einen Song auf dieser Art und Weise zu begleiten bzw. stimmlich zu verstärken. Auch heute noch werden close harmonies verwendet, etwa beim sogenannten „Barber-Shop-Singen“.

Ein kleiner Junge und seine Mandoline

In der großen Farmerfamilie Monroe aus Rosine/Kentucky herrschte eine besondere Situation. Der Vater hatte sich als Stepptänzer einen Namen gemacht, und die Mutter beherrschte mehrere Instrumente. Außerdem gab es einen Onkel, Pendleton Vanderver, der mit seiner Fiddle in der ganzen Gegend bei Tanzveranstaltungen spielte. Dass es in seiner Verwandtschaft bekannte Musiker gegeben hatte, dürfte Bill, das achte Kind der Monroes, ermutigt haben, sich intensiver mit der Mandoline, dem Gesang und Musik überhaupt zu beschäftigten. Gleichzeitig muss bei dieser Beurteilung klar sein, dass sowohl „Uncle Pen“ als auch Bill Monroes Eltern musizierende Laien waren, die ausschließlich auf halböffentlichen Tanz- und Musikveranstaltungen spielten. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie als Farmer und Arbeiter.

Es bedurfte eines besonderen Talents in einer besonderen Situation, um aus dieser traditionellen Alltagsmusik einen neuen Stil zu generieren. Dieses besondere Talent hatte Bill Monroe. Als er in das musizierfähige Alter kam, waren alle gängigen Instrumente von seinen sieben älteren Geschwistern schon besetzt. Also gab Melissa Monroe ihrem kleinen Sohn eine Mandoline – nicht wissend, dass diese Entscheidung weitreichende Folgen haben sollte. Denn Bill begann nicht nur die gängigen Akkorde und simplen Melodien zu lernen. Er vertiefte sich vielmehr vollkommen in das Spiel des kleinen Saiteninstruments. Mit ein Grund für diese frühe Besessenheit war eine starke Sehbehinderung. Bill schielte und hatte in etwa nur 30% Sehfähigkeit – eine Behinderung, die damals nicht durch eine Brille ausgeglichen wurde. So war der Junge natürlich kaum in der Lage, Noten zu lesen oder die Griffschemata zu entziffern, die man ihm gab. Die Folge war, dass der junge Bill Monroe sämtliche Melodien und Griffe auswendig lernte. In kürzester Zeit entwickelte er sich zum Virtuose auf der Mandoline Es dauerte nicht lange und Bill war der Kopf der Monroeschen Hausmusiktruppe. Als virtuoser Musiker auf diesem ansonsten nur selten vertretenen Instrument war er in der Gegend schnell sehr gefragt. Eine der vielen Anekdoten, die über die Monroe-Brüder erzählt werden, besagt, dass Birch und Charlie - die älteren Brüder von Bill - sich darüber beschwerten, dass dieser auf seiner Mandoline so laut spielte. Sie zwangen ihn, die doppelsaitige Bespannung zu entfernen – so dass der kleine Mandolinist nur noch mit vier statt mit acht Saiten spielen durfte.

Landflucht und Vereinsamung

In dem Dokumentarfilm, den die New Yorker Künstlerin Rachel Liebling 1992 – und somit nur vier Jahre vor Monroes Tod - über den Blue Grass-Stil gemacht hat, sieht man immer wieder den gealterten Bill Monroe vor seinem ehemaligen Elternhaus stehen – einem typischen Farmhouse der Jahrhundertwende. Komplett aus Holz gebaut, im ganzen recht ärmlich. Es gab kein ausgedehntes deck, wie die umlaufenden Holzterrassen der Siedlerhäuser genannt wurden. Stattdessen saß man bei den Monroes auf der kleinen Holztreppe, die zur Eingangstür führte. Waren mehr Besucher da, zog man einfach auf den Rasen vor dem Gebäude um. Heute ist dieses Haus verlassen, es fehlen Fenster und Türen. Doch schon allein an der Lage des Hauses kann man verstehen, wie Bill Monroe zu seinem „High lonesome sound“ gekommen ist. Denn genauso betitelte der junge Musiker seine Gesänge – es war der „hohe und einsame Klang“, der seine Lieder auszeichnete.

Vom Haus der Monroes, das an einer erhabenen Stelle steht, blickt man mitten in die Silhouette der Blue Mountains hinein: Bäume, Wälder, Berge, die schließlich zu blau schimmernden Bergketten verschwimmen. Hier, in dieser Einsamkeit, die die Monroes nur mit einigen Nachbarfamilien teilten, blieb Bill zurück, als seine Brüder Birch und Charlie in den Norden aufbrachen. Sie zogen in die neu entstandenen Zentren der Industrialisierung, speziell der Autoherstellung, nach Detroit oder Chicago. Auch in den großen industriellen Spinnereien und in den Zigarettenfabriken wurden Arbeiter gesucht.

Melissa starb 1921, sechs Jahre später auch sein Vater. Der 16jährige Bill lebte von da an bei seinem Onkel Pen. Dieser förderte seinen begabten Neffen nach Kräften und vervollständigte seine musikalische Ausbildung, so gut er konnte. Er nahm den Jungen, der längst ausschließlich nach Gehör spielte, zu zahlreichen Auftritten mit, und verschaffte ihm so die musikalische Praxis, die einen Profi auszeichnet. Später widmete Bill seinem Mentor einen Song, „Uncle Pen“, der heute zu den bekanntesten Liedern der Bluegrass-Legende gehört.

Währenddessen führten Bills Brüder im Norden ein gutes Leben. Hier war ihnen eine Anstellung und damit ein Auskommen sicher. Hier oben war es möglich, Kontakte zu knüpfen, eine Familie zu gründen, ein gesellschaftliches Leben zu führen, das über die verstreuten Gemeinden in Kentucky hinausging. Und mehr noch – plötzlich wurde ihre Musik wieder gebraucht. Denn nach der Arbeit kam das Leben in den Städten natürlich nicht zum Erliegen, im Gegenteil. In Amerika ist die gemeinsame Vergnügung nach der Arbeit gesellschaftlich verbürgt. Plötzlich nahmen die Burschen aus den Blauen Bergen ihre Gitarren wieder zur Hand, spielten für kleine Tanzveranstaltungen oder zur Vergnügung, wenn abends gemeinsam getrunken wurde. Bevor sich die ehemaligen Farmer versahen, spielten sie in den rasch aufkommenden Barn Dances – den abendlichen Tanzveranstaltungen. Inmitten dieser rasanten Entwicklung wurde ihnen dann schon bald klar: Die Musik ihres kleinen Bruders hatte möglicherweise mehr Potential als sie bisher geglaubt hatten.

1929 kam Bill für eine zeitlang nach Indiana, und arbeitete gemeinsam mit seinen Brüdern in einer Ölraffinerie. Hier entstand auch die erste musikalische Gruppierung, die „Monroe Brothers“, verstärkt durch einen Freund der Brüder, Larry Moore. Doch schon bald gab es Streit, die Gruppe zerbrach und fortan traten Bill und Charlie gemeinsam auf. Zunächst sah es nicht so auf, als würden die „Monroe Brothers“ - wie sich die beiden nannten - aus dem Mainstream hervorstechen. Sie machten das Übliche, spielten in Clubs und Bars sowie bei Festivitäten. Doch dann schafften sie es ins Radio – ein wichtiger Schritt zur Professionalisierung. Das, was sie machten, schien zu gefallen, denn nun interessierten sich auch weitere broadcasting stations für die beiden Monroes. 1936 wurde ihnen von RCA Victor erstmals ein Vertrag angeboten. In den folgenden zwei Jahren nahmen sie über 60 Titel auf und landeten unter anderem den Gospelcover „What would you give in exchange for your soul?“, der lange die Charts anführte.

„It’s sad, it’s sad“

Auch wenn der junge Bill einsam gewesen sein mag, sich isoliert fühlte und abgeschnitten von einer Welt, die seine Brüder teilen konnten – er hatte ein Ventil für diese deprimierende Stimmung. Denn er machte das, was ein echter Künstler in einer solchen Situation machte: Er drückte sich in seiner Kunst aus: „Back in the days of my childhood“, so singt er in seinem Song „I’m on the way to the old home ... in the evening when everything was still. I used to sit and listen to the foxhounds with my dad in the old kentucky hills.“(„Damals in den Tagen meiner Kindheit, ich bin auf dem Weg zur alten Heimat …. an diesen Abenden, wenn alles ruhig war. Oft saß ich abends da und lauschte mit meinem Vater dem Heulen der Füchse in den alten Kentucky Hills.“ Übersetzung MS)

Allein ein solcher Text lässt dem Leser einen Schauer über den Rücken laufen. Bill Monroe hatte die Gabe, Texte zu verfassen, die simpel wie Volkslieder waren und dennoch auf eine poetische Art die Stimmung und die Atmosphäre dieses Ortes und die Lebenssituation einer ganzen Generation einfangen konnten.

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Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte des Bluegrass. Wie Bill Monroe sich in den Bergen von Kentucky langweilte und schließlich einen neuen Musikstil erfand
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V335167
ISBN (eBook)
9783668257801
ISBN (Buch)
9783668257818
Dateigröße
791 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Weltmusik, World, Bluegrass, Bill Monroe, Musikwissenschaft, Rachel Liebling, Earl Scruggs, Blue Grass Boys, Grand Ole Opry, High lonesome sound, Scott-Irish Sounds, Old Time, Hillbilly, Pendleton Vanderver, Rosine/Kentucky, Brother Duets, Americana, Folk, Folklore, Mandoline, Appalachians, Chops, Breakdown, Blues, Station Unit, Crooked Still
Arbeit zitieren
Dr. Mirjam Schadendorf (Autor:in), 2016, Die Geschichte des Bluegrass. Wie Bill Monroe sich in den Bergen von Kentucky langweilte und schließlich einen neuen Musikstil erfand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335167

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