Erörterung des Taylorismus mit Luhmanns Konzept der Zweckrationalität


Seminararbeit, 2016

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Wohlstand durch Effizienz

2. Ideen des Taylorismus

3. Konzept der Zweckrationalität von Organisationen

4. Taylorismus im Lichte der Zweckrationalität

5. Kritische Würdigung der Zweckrationalität im Scientific Management

Literaturverzeichnis

1. Wohlstand durch Effizienz

“Damit alle so leben können wie wir, müssen wir weltweit sparsamer mit unseren Res- sourcen umgehen und mit weniger mehr erreichen”, diesen Appell richtete Bundesum- weltministerin Hendricks an führende Regierungschefs 2015 in Berlin (Bundesministe- rium für Naturschutz 2015). Im Rahmen des G7-Gipfels ernannte Deutschland den effi- zienteren Umgang mit natürlichen - damit endlichen - Ressourcen in der Produktion als ein zentrales Thema ihrer Präsidentschaft. Konkret möchte sie eine “Allianz der Effizi- enz” gründen. Die führenden Industrienationen müssten dies realisieren, damit weiter- hin ein gerechtes Zusammenleben auf der Welt ermöglicht und der Wohlstand der Na- tionen in Zukunft gesichert werden kann. Die G7-Staaten sprechen von Ressourceneffi- zienz und Deutschland geht mit der Gründung von Effizienzagenturen voran (vgl. Effi- zienz Agentur NRW1 ). Vor 100 Jahren hielt der amerikanische Präsident Theodore Roo- sevelt eine ähnliche Rede zu den Regierungschefs der nationalen Bundesstaaten: Er be- stimmte das Thema Effizienz zum bedeutendsten Faktor für den amerikanischen Wohl- stand und forderte deshalb in Zukunft effizienter mit den heimischen Ressourcen umzu- gehen. Damals waren aber noch nicht natürliche, sondern menschliche Ressourcen, sprich die Verschwendung von Arbeitskraft, gemeint (vgl. Taylor, 1911, S. 5). Federick Taylor (1856/1915), ein amerikanischer Ingenieur, nahm sich dem nationalen Effizienz- problem an und entwickelte hierfür ein rationales Managementmodell, das Scientific Management oder auch Taylorismus.

Wenn Effizienz eine wichtige Rolle für unser Gemeinwohl spielt, stellt sich die Frage, was mit dem Begriff gemeint ist: “Eine Handlung gilt als effizient, wenn das Verhältnis zwischen dem erforderlichen Mitteleinsatz [Mittel] und dem erzielten Handlungserfolg [Zweck] einen optimalen Wert erreicht” (Gloede, 2010, S. 4). Ob überhaupt eine solche “Ordnung von Zwecken und Mitteln” (Luhmann, 1999, S. 96) in Organisationen opti- mal, beispielsweise möglichst effizient in Hinblick auf Arbeitskraft, organisiert werden kann, damit beschäftigt sich der Soziologe Niklas Luhmann (1927/1998) in seiner kriti- schen Betrachtung der Zweck-Rationalität, also ob und wie “ein gegebene[r] Zweck mit möglichst geringen Mitteln erfüll[t]” werden kann (Luhmann, 1999, S. 109).

2. Ideen des Taylorismus

Das oberste Ziel des Scientific Managements - auch wissenschaftliche Betriebsführung - ist es maximal möglichen Wohlstand zu erlangen. Dies ist aber nur dann zu erreichen, wenn jeder einzelne Arbeiter im Betrieb mit größtmöglicher Effizienz arbeitet (vgl. Tay- lor, 1911, S. 12). Denn für Taylor sind menschliche Arbeitskräfte, nicht natürliche Roh- stoffe, die meist verschwendeten Ressourcen, besonders in der Industrie. Genau dort setzt er an, denn das klassische Konzept der Betriebsführung, von ihm “management of initiative and incentive” (ebd., S. 34) genannt, lässt jedem einzelnen Angestellten den Freiraum seine Arbeit nach seinem individuellem Erfahrungswissen zu verrichten. Der einfache Arbeiter aber kann gar nicht erkennen, wie seine Aufgabe am besten erledigt werden kann (vgl. ebd., S. 26). Zusätzlich arbeitet er durch diese Freiheiten nur mit mi- nimalem persönlichen Aufwand (‘soldiering’) und nicht mit der maximaler Effizienz, zu der er eigentlich in der Lage wäre (vgl. ebd., S. 14). Hiergegen müssen Manager mit ‘incentives’, also beispielsweise Bonuszahlungen oder Stücklohn, gegensteuern (vgl. ebd., S.32). Anstelle dieser klassischen Betriebsführung setzt Taylor nun sein neues Konzept der wissenschaftlichen Betriebsführung. Statt ‘initiatives’ gibt es Regeln und Gesetzte, an die sich jeder einzelne Arbeiter zu halten hat. Hierfür sind im Taylorismus vier fundamentale Prinzipien definiert: (1.) Entwickele für jeden Arbeitsschritt ein wis- senschaftliches Gesetz, (2.) Wähle Arbeiter nach wissenschaftlichen Methoden aus und trainiere sie, (3.) Lasse die Arbeit wissenschaftlich ausführen, (4.) Teile die Arbeit und Verantwortung zwischen Mitarbeitern und Managern.

(1.) Taylor ist der Ansicht, dass jeder Arbeitsschritt in ein wissenschaftliches Gesetz verwandelt werden kann, welches die Anleitung zur optimalen Strukturierung und Durchführung ist (vgl. ebd., S.64). Die Regeln für das Gesetz werden durch Experimen- te entdeckt. Dazu ist eine sogenannte ‘Zeit- und Bewegungsstudie’ durchzuführen, wel- che er sehr detailliert beschreibt: Zuerst werden fünfzehn tüchtige Arbeiter mit besonde- ren Fähigkeiten, meist starke und kräftige Menschen, ausgesucht. Diese führen den Ar- beitsschritt immer wieder aus. Dabei wird durch eine Bewegungsstudie jede einzelne Bewegung analysiert. Darauf folgt eine Zeitstudie mit Stoppuhren, um die schnellste Methode zu entdecken. Ist diese gefunden, werden alle unnötigen Bewegungen aus dem Ablauf gestrichen und die übrigen werden zu einem optimalen Prozess zusammenge- stellt. Taylor ist davon überzeugt, dass Dank der Studien stets ein Gesetz gefunden wird, welches den Arbeitsschritt mit größtmöglicher Effizienz beschreibt (vgl. ebd., S.117). So gelang es ihm die durchschnittliche Traglast einer Schaufel zu optimieren (vgl. ebd., S.69) und steigerte durch ein ‘wissenschaftliches Gesetz’ die Effizienz der Arbeiter bei der Herstellung von Fahrradklingeln um fast das Vierfache (vgl. ebd., S.95).

(2.) Nachdem der Arbeitsschritt definiert ist, werden für diesen Prozess Arbeiter wissen- schaftlich ausgewählt und trainiert. Eine Stellenbesetzung nach dem Ad-rem-Prinzip (vgl. Kühl, 2010, S. 4), den laut Taylor gibt es für jede Aufgabe den dazu geeignetsten Arbeiter. So solle man für die Verladung von Roheisen der Bethlehem Steel Company nur die körperlich kräftigsten Männer einstellen und alle Anderen entlassen. Nur dadurch ist gewährleistet, dass jeder Arbeiter in der Durchführung seiner Aufgabe erstklassig ist (vgl. Taylor, 1911, S. 64). Anschließend muss der neue Mitarbeiter in den ersten Tagen unterstützt und eingelernt werden. Dabei sei genau darauf zu achten, dass er die wissenschaftlichen Regeln befolgt und keine unnötigen Bewegungen, also solche die nicht definiert wurden, unternimmt (vgl. ebd., S. 101).

(3.) Ist der optimale Arbeitsschritt und ein dafür erstklassiger Arbeiter gefunden, muss sichergestellt werden, dass er den wissenschaftlich aufgestellten Arbeitsmethoden Folge leistet. Hierzu wird jedem Angestellten ein individuelles Tagespensum festgelegt bezie- hungsweise errechnet. Dieses wird dann zusammen mit seinen Aufgaben jeden Tag auf einer Anweisungskarte durch das sogenannte “Planungsbüro” vermerkt (vgl. ebd., S. 122). Der Mitarbeiter wird zum Ausführenden. Bei seiner Arbeit unterstützen bezie- hungsweise überwachen ihn acht “Funktionsmeister” (ebd., S.128), die auf Geschwin- digkeit, Qualität oder Disziplin der Mitarbeiter achten. Ist die tägliche Anforderung der Anweisungskarte erfüllt worden, wird ein Bonus von 60% des Tageslohnes ausgeschüt- tet, damit der Arbeiter motiviert bleibt. Hier ist aber laut Taylor von Seiten des Ma- nagements stets darauf zu achten, ein machbares und zugleich psychisch wie sozial ver- trägliches Pensum festzulegen, um den Bonus auch erreichen zu können (vgl. ebd., S. 74).

(4.) Damit sich der Angestellte allein auf die effiziente Ausführung seiner festgelegten Aufgabe konzentrieren kann, ist es notwendig die Zuständigkeiten im Betrieb zwischen Management und Arbeitern aufzuteilen. Da Taylor die Verantwortlichkeit für die Pla- nung der Arbeitsschritte vom einzelnen Arbeiter hin zu den Managern verschoben hat (vgl. ebd., S. 103), handelt es sich vor allem um eine Trennung von Hand- und Kopfar- beit. Die Hauptarbeit des Managements findet im Planungsbüro statt: Dort werden wis- senschaftliche Gesetze entdeckt, Arbeitsschritte definiert und die individuellen Aufga- ben der Arbeiter festgelegt.

Diese vier Grundpfeiler definieren Taylors Scientific Management. Besonders wichtig für ihn ist der Mechanismus der Aufgabe: “scientific management has come to be known as ‘task management’” (ebd., S. 120). Die Aufgabe ist der zentrale Begriff im Taylorismus. Erst durch deren klare Definition und Aufteilung ist es möglich jeden Ar- beiter hin zu seiner größtmöglichen Effizienz zu trainieren. Der Aufgabenbereich zwi- schen Management und der einfachen Belegschaft sollte ebenso klar abgegrenzt sein, damit sich beide Parteien auf ihre Rolle konzentrieren und diese optimieren können. In- nerhalb jeder Gruppe wird dann die Aufgabe, beispielsweise die Produktion eines Gu- tes, in Teilaufgaben zerlegt und einzelnen Arbeitern zugewiesen, welche exakt diesen Arbeitsschritt ausführen. Damit hat Taylor die Aufgabenzerlegung, sprich die Arbeitstei- lung als Organisationsprinzip in vielen industriellen Unternehmen etabliert. Diese ex- treme rationalisierende Arbeitsweise bildete das Fundament der Industriellen Produkti- on im 20. Jahrhundert und wird in ihren Prinzipien auch heute noch in einigen Unter- nehmen angewandt (vgl. Hodgetts, 1995, S. 222). “Weber hat den Prozeß der Rationali- sierung beschrieben, den Taylor im Bereich der Arbeitsorganisation vorangetrieben hat” (Kieser, 2006, S. 80). Durch die Rationalisierung der Arbeitsorganisation, genauer durch Zweckrationalität in der Arbeitsorganisation, schafft der Taylorismus Effizienz. Was genau damit gemeint ist und welche Formen der Zweckrationalität im Scientific Management konkret angewandt werden, soll im Folgenden betrachtet werden.

3. Konzept der Zweckrationalität von Organisationen

Nach der klassischen Organisationslehre gründen sich Organisationen beziehungsweise Systeme auf einen Zweck. Diesen Zweck zu erfüllen ist der Grund, wieso Organisatio- nen existieren. In der klassischen Betriebswirtschaft wäre beispielsweise die Generie- rung von Gewinnen der klassische Zweck von Unternehmen. So führt der Soziologe Niklas Luhmann aus: “Organisationen wurden und werden auch heute zumeist noch als Systeme aufgefaßt, die auf die Erfüllung bestimmter Zwecke ausgerichtet sind” (Luh- mann, 1996, S. 55) und weiter gilt, dass ein “ein organisiertes System rational ist, wenn es seine Zwecke erfüllt” (ebd., S. 56), also wenn ein betriebliches Unternehmen Gewinn erwirtschaftet. Organisationen handeln rational, wenn sie zweckrational handeln. Im Zentrum von Organisationen steht folglich der zu erreichende Zweck und daher müssen sie “dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden” (Kieser, 2003, S. 6). Die Organisationsstruktur und die Aktivitäten der Mitarbeiter sind folglich Mittel damit Organisationszwecke erfüllt werden. Um dies praktisch zu ermöglichen muss eine Zweckzerlegung stattfinden: Der Oberzweck, beispielsweise Gewinn zu erwirtschaften, wird in verschiedene Unterzwecke zerlegt, welche von Teilbereichen der Organisation wiederum weiter zerlegt und bearbeitet werden. “Nach dem Zweck/Mittel-Schema sind also die Teilbereiche die Mittel zur Erfüllung des Organisationszweckes“ (Luhmann, 1999, S. 57): das Handeln wird in Mittel und Zwecke aufgeteilt. Dadurch ist es nun möglich beide Aspekte einzeln zu betrachten, aber zeitgleich auch komplexe Zweck- Mittel-Ketten zu bilden. In einer solchen Kette ist der eine Zweck nur ein Mittel, um einen höheren oder weiter weg liegenden Zweck zu erfüllen, welcher wiederum ein Glied in der Kette weiterer Zwecke ist. So kann die Produktion von Stecknadeln in 18 verschiedene Arbeitsgänge aufgeteilt werden und jeder Arbeiter ist nun für eine der neuen 18 Zweck-Mittel-Beziehungen zuständig. Zusammen gibt dies eine große Zweck- Mittel-Kette der Stecknadelherstellung. Während ein einzelner Arbeiter, der alle 18 Produktionsschritte selbst durchläuft, eine bis zwei Nadel pro Tag fertigt, schafft es eine Mannschaft aus 10 bis 20, durch Spezialisierung jedes Mitarbeiters auf je eine Zweck- Mittel-Beziehung, zusammen mehr als 48.000 Stecknadeln pro Tag herzustellen (vgl. Smith, 2009, S. 9). Dank Zweckzerlegung und komplexen Zweck-Mittel-Ketten entsteht betriebswirtschaftliche Arbeitsteilung. Oder abstrakter: Organisation. Folglich ist Ar- beitsteilung zweckrational.

Sind durch diese Zwecksetzung einzelne Zweck-Mittel-Beziehungen gebildet worden, können diese anschließend getrennt betrachtet werden. Zweckrational zu handeln be- deutet, den gegebenen Zweck mit dem bestmöglichen Mittel zu erreichen. Man opti- miert die Zweck-Mittel-Beziehung, man sucht nach der Optimallösung: “Jene Handlung sei die beste und damit die einzig richtige, deren Folgen in einer optimalen Wertbezie- hung zu den Folgen aller ihrer Alternativen stehen” (Luhmann, 1999, S. 109). Diese Wertbeziehungen müssen, damit sie verglichen werden können, zuerst quantifiziert werden. Nur so ist ein wirtschaftlicher Vergleich als Entscheidungshilfe zwischen Hand- lungsoptionen möglich. Für Luhmann ist die Entscheidungshilfe in der Betriebswirt- schaftslehre die klassische Wirtschaftlichkeitsrechnung in Form der einfachen Geld- rechnung (vgl. ebd., S. 110). Schon nach Max Weber ist formale Rationalität eine zah- lenmäßige Rechnung (vgl. Weber, 1992, S. 240). Durch diese Zweckformel erscheint im zweckrationalen Handeln immer eine Option aus einer Vielzahl an Alternativen, Luh- mann spricht von einer “Unendlichkeit an Möglichkeiten” (Luhmann, 1999, S. 35), als optimale. Diese gilt es durch quantitativen Vergleich zu entdecken und anzuwenden.

Einhergehend mit der Analyse des Unternehmens durch Zweck-Mittel-Relationen ent- steht nicht nur eine Ablauforganisation. Das Unternehmen benötigt zur Zweckdurchset- zung auch eine hierarchische Struktur, eine Aufbauorganisation: “Die oberste Instanz muß den Systemzweck darstellen und als ihren Zweck verfolgen. Die nächstuntere lie- fert ihr die Mittel zu diesem Zweck, die für sie als Unterzweck fixiert werden […] bis der Boden der Hierarchie erreicht ist. Auf diese Weise wird das bekannte Prinzip der Abteilungsbildung durch Zweckzerlegung gewonnen” (ebd., S. 77f.). Die hierarchische Organisation ist eine “Ordnung von Zwecken und Mitteln” (ebd., S.72). Die Führung des Unternehmens formuliert Mittel, um den Systemzweck zu erfüllen welche als Un- terzwecke an die nächst untere Abteilung gehen, solange bis der “Boden” erreicht ist. Durch eine solche Zweckzerlegung sind allerdings nur die Motive der Inhaber des Un- ternehmens berücksichtigt, alle Anderen sind nur Instrumente (Input) zur Zweckerfül- lung. Es entsteht ein Herrschaftssystem im Unternehmen zwischen den zweckinteres- sierten, mächtigeren Eigentümern und “unpersönlich motivierten Arbeitern” (ebd., S. 71). Für deren Motivation muss ein Ersatz gefunden werden: monetärer Arbeitslohn. Mit Anwendung der Zweckrationalität auf die Struktur der Organisation entsteht die klassische betriebswirtschaftliche Aufbau- und Machtstruktur eines Unternehmens.

“Durch die Art der Kombination der Mittel, nämlich die Organisation, käme dann etwas zustande, was mehr ist als die Summe der Teile, nämlich Erfüllung des Zweckes” (ebd., S. 57). Erst durch Organisation der Ressourcen (Inputs), konkret durch Aufbau- und Ab- lauforganisation, ist das Unternehmen in der Lage einen Mehrwert zu generieren (Out- put), also zweckrational zu handeln um den Unternehmenszweck zu erfüllen. Mit der klaren Trennung von Struktur und Prozess wird ermöglicht beide separat zu rationalisie- ren (vgl. ebd., S.64) und stets Optimallösungen zu errechnen. Dabei bleibt durch Zweckzerlegung trotzdem die “Kongruenz des hierarchischen Aufbaus und der Zweck- struktur des Handelns” (ebd., S. 85). Oder kurz: Organisation ist zweckrational.

Nachdem die Grundzüge des Taylorismus erklärt und die Konzeption der Zweckrationalität umrissen ist, soll nun beleuchtet werden, inwiefern das Scientific Management die Arbeitsorganisation tatsächlich zweckrationalisiert hat.

4. Taylorismus im Lichte der Zweckrationalität

“Scientific management, or 'task management'” (Taylor, 1999, S. 30): der Dreh- und Angelpunkt ist das Aufgabenmanagement. Das tayloristische Planungsbüro der Bethle- hem Steel Company übersetzte den Zweck Stahlproduktion, als Output, in eine komple- xe Zweck-Mittel-Kette und delegierte die einzelnen Zweck-Mittel-Beziehungen bis auf den Boden der Hierarchie. So gab es bei Bethlehem beispielsweise einen eigenen Ar- beitsplatz exklusiv für die Verladung von Roheisen (vgl. ebd., S. 44). Der Zweck ist der Transport von Roheisen von Punkt A zu Punkt B. Die Mittel sind das Transportmittel, die menschliche Arbeitskraft und die Durchführung des Transportes. Rohstoffe, Ma- schinen oder die angesprochene Arbeitskraft sind Inputfaktoren für den Prozess (vgl. Kühl, 2010, S. 3). Das Roheisen in Punkt B ist dann wiederum eine Voraussetzung, ein Mittel, für die nächste Zweck-Mittel-Beziehung, beispielsweise die Bearbeitung des Roheisens im Hochofen. Laut Taylorismus und Zweckrationalität sind beide Schritte zwar voneinander abhängig, aber als zwei getrennt zu betrachtende Prozesse in der großen Zweck-Mittel-Kette zu sehen. Das gleiche Prinzip lässt sich auf heutige Fast-Food- Firmen übertragen: die Zubereitung eines Happy-Meals erfolgt nach dem FließbandPrinzip, bei dem jeder Zubereitungsschritt genau definiert und standardisiert ist. Sogar die Zubereitung eines einzelnen Burgers ist in mehrere Aufgaben, Zweck-Mittel-Bezie- hungen, unterteilt (vgl. Ritzer, 1996, S. 293). Mit Prinzip (1.) des Scientific Managements, jede Aufgabe klar zu definieren und anschließend zu rationalisieren, wird folglich eine zweckrationale Arbeitsteilung im Unternehmen etabliert.

Nachdem das Planungsbüro die Zweckzerlegung vorgenommen hat, ist es nun möglich jeden einzelnen Prozess auf der Ebene der Handlung nach dem Zweck-Mittel-Schema zu rationalisieren. Dank Wirtschaftlichkeitsrechnung kann das Mittel gefunden werden, welches nach Luhmann die optimale “Wertbeziehungen zu den Folgen” besitzt (Luh- mann, 1999, S. 109). Laut Taylor bedeutet dies eine weitere Anwendung von Prinzip (1.): mit Hilfe einer ‘Zeit- und Bewegungsstudie’ ein ‘wissenschaftliches Gesetz’ zu finden. Während frühere Manager Faustregeln aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz benutzten, sucht Taylor den optimal effizientesten Weg (vgl. Locke, 1982, S. 15). In den Untersuchungen wird jede Bewegung auf seine Notwendigkeit beziehungsweise Funk- tion hin untersucht und anschließend mit Hilfe der Stoppuhr quantifiziert. So ist es mög- lich im Sinne der formalen Rationalität jede Handlung auf seine (optimale) Zeit, und damit seine (minimalen) Kosten, festzulegen. Zusammen mit seinem Kollegen Frank Gilbreth (1923/1970) studierte Taylor die Arbeit von Maurern: nach langer Beobachtung und Messung jeder einzelnen Schritte waren sie in der Lage, die Anzahl der Bewegun- gen pro Stein von 18 auf 5 zu reduzieren (vgl. Taylor, 1919, S. 77ff.). Sie hatten ein System der rationalen Maurerarbeit definiert. Insgesamt bleibt am Ende für jeden Pro- zess ein quantifiziertes Ergebnis, die wissenschaftliche Betriebsführung nennt es ‘wis- senschaftliches Gesetz’, wie der effiziente Arbeitsschritt auszusehen hat. Mit den Be- wegungs- und Zeitstudien operationalisiert Taylor die Suche nach dem rationalen Mittel für eine Zweck-Mittel-Beziehung.

Der einfache Arbeiter gilt dabei als bloßer Inputfaktor: Er wird reduziert auf seine Ar- beitskraft, indem er die Rolle des Ausführenden einnimmt und ist so ein Mittel unter anderen. Genauso, wie es die optimale Schaufel (vgl. ebd., S. 66) für Eisenerz gibt, so gibt es auch den geeignetsten Arbeiter für den Transport von Roheisen bei Bethlehem Steel. Dank der klaren Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, Prinzip (4.), werden für einen Arbeitsschritt aber keine mentalen, sondern nur noch körperliche Fähigkeiten benötigt. Folglich stellt Taylor nach Grundsatz (2.) für diese Arbeit nur die körperlich stärksten Arbeiter ein. Sie sollten weder Fragen stellen, noch bei ihrer Arbeit denken, sondern einfach nur die vom Planungsbüro vorgegebenen Arbeitsschritte durchführen. Für diese rein “unpersönlich motivierten Arbeiter” (Luhmann, 1996, S. 71) kann es deswegen nach Taylor nur einen Motivationsersatz geben: der 60% Gehaltsbonus bei Erfüllung des täglichen Pensums. Tatsächlich wurde durch diesen Umgang mit den Ar- beitern die durchschnittliche Transportmenge von 12,5t auf 47t Roheisen pro Tag erhöht (vgl. Taylor, 1919, S. 46). Scientific Management reduziert den Arbeiter auf einen rei- nen Inputfaktor innerhalb der Zweck-Mittel-Beziehung und optimiert daraufhin das Mittel, seine Arbeitskraft. Der Mensch wird auf eine quantifizierbare Größe gestaucht, wodurch sein Verhalten und seine Aufgaben maschinenähnlich werden. Taylor spricht selbst davon, dass wenn eine Maschine oder ein Tier (er stellt sich einen trainierten Go- rilla vor) Roheisen effizienter verladen könnte, dieser den menschlichen Arbeiter ersetz- ten würde (vgl. ebd., S.40). Luhmann nennt eine solche Reduktion des Menschlichen “Maschinenmodell” (Luhmann, 1999, S. 77) und ebenso bezeichnet der Taylorkritiker Alfred Marshall (1842/1924) die Zusammenarbeit in den tayloristischen Fabriken als “multiplication of semi-automatic machines” (Caldari, 2007, S. 66). Mit der Maschinen- Metaphorik besitzt der Taylorismus eine weitere Parallele zu anderen (zweck-)rationa- len Konzepten, wie dem Bürokratieprinzip nach Max Weber: die Bürokratie verhalte sich “wie eine Maschine zu den nicht mechanischen Arten der Gütererzeugung. Präzisi- on, Einheitlichkeit, Schnelligkeit [, etc.]” sei “auf das Optimum gesteigert” (Weber, 1992, S. 1774f.). Die Auswahl der Arbeiter und ihrer Funktion, entspricht somit passen- derweise einem zweckrationalen Verständnis.

Direkt daran ist allerdings ein Problem gebunden: Maschinenartige Arbeiter und Aus- wahl des rationalen Mittels, für die zunächst alle Alternativen betrachtet werden müss- ten, widersprechen sich direkt. “Die vorbehaltlose Bereitschaft zur Ausführung von Weisungen verträgt sich typisch nicht mit neugierig-erfindungsreichem Interesse an Al- ternativen, wie es […] die Zweckorientierung im Grunde stimulieren w[i]ll”. Deswegen gilt: “Neuerungen werden, wenn überhaupt, von oben durch Anordnung eingeführt; ihre Entdeckung bleibt speziell dafür eingesetzten Forschungs- und Planungsabteilungen überlassen” (Luhmann, 1999, S.80), so entstehe “Koordinierungszwang”. Das Dilem- ma, welches durch die Trennung von Hand- und Kopfarbeit, entsteht kann aufgelöst werden, indem eine vorrangige Forschungsabteilung eingesetzt wird: das Planungsbüro. Es ist dafür zuständig, die ‘wissenschaftlichen Gesetze’ auszuarbeiten, Arbeitsschritte exakt zu definieren und tagtäglich Arbeitskarten für jeden Arbeiter zu erstellen. Die Ab- teilung versucht also den entstandenen Bedarf an Koordinierung zu befriedigen. Damit bestimmt das Planungsbüro zugleich die Zweckorientierung des Unternehmens und definiert daraufhin dessen Herrschaftssystem.

Das es überhaupt zu einem solchen Problem kommt, welches durch eine zentralisierte Planungsabteilung gelöst werden muss, zeigt Luhmann, dass durchaus Schwierigkeiten mit dem zweckrationalen Konzept entstehen. Daher soll abschließend der Taylorismus im Lichte der Zweckrationalität kritisch gewürdigt werden.

5. Kritische Würdigung der Zweckrationalität im Scientific Management

Der Bedarf an Koordinierung entsteht laut der klassischen Organisationslehre durch Ar- beitsteilung. Der extrem hohe Koordinierungsbedarf im Scientific Management folgt aus dessen maximal rationalisierter Arbeitsorganisation. In den einzelnen Arbeitsschrit- ten wird die Komplexität dank der standardisierten Suche nach dem rationalen Mittel reduziert. Durch Vereinfachungen, beispielsweise zukünftige Entwicklungen außer Acht zu lassen und Quantifizierung, werden Probleme auf eine einzig richtige Handlung re- duziert. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass es durchaus “mehrere richtige Lö- sungen eines Problems geben kann” (ebd., S. 119). Aufgrund der strengen Arbeitstei- lung wird daher auch verkannt, dass das “Optimalprinzip und Arbeitsteilung sich direkt widersprechen und [eine] Entscheidungsleistung […] nur an einer Stelle, also ungeteilt, erfolgen kann” (ebd., S. 121). Die Komplexität wird also nicht wirklich reduziert, son- dern nur auf das Planungsbüro verschoben. Da eine solche zentrale Stelle aber nicht in der Lage ist, Umweltveränderungen wie die Marktsituation oder technologische Innova- tionen angemessen zu erkennen und darauf zu reagieren, bleiben tayloristische Unter- nehmen starr und unflexibel (vgl. Caldari, 2007, S. 68).

Besonders anschaulich wird dieses Problem bei Taylors maschinenartigem Menschen- bild. Er reduziert den Arbeiter auf den bloßen Output seiner Handlungen und schaut da- bei nicht auf dessen Kapazitäten. So gab es wohl Intelligenztests, um nicht die schlaus- ten, sondern die Arbeiter mit der geringsten Intelligenz einzustellen, weil diese am zu- friedensten mit den stupiden Aufgaben wären (vgl. Kühl, 2010, S. 4). Dadurch wird aber jedes Potential der Mitarbeiter zur persönlichen Entwicklung vernachlässigt. Henry Ford, ein berühmter Bewunderer des Scientific Managements, und Frederick Taylor starteten dabei selbst als einfache Angestellte und qualifizierten sich erst im Laufe ihrer Karrieren (vgl. Caldari, 2010, S. 67). So werden potentielle Ressourcen verschwendet, was Taylor aber eigentlich unbedingt verhindern wollte. Es ist fraglich, ob dort mit dem richtigen Zweck rationalisiert wird. An dieser Stelle tritt eine größere Frage, nämlich die nach der Zwecksetzung auf: “Wenn sich Organisationen auf einen Zweck gründen, stellt sich die Frage ‘Wessen Zweck’?” (Luhmann, 1999, S. 59). Warum spielt für Taylor Ef- fizienz und rationale Arbeitsorganisation eine derart wichtige Rolle? Falls zur Gewinn- maximierung, gäbe es auch andere oder zusätzliche Wege dieses Ziel zu erreichen? Eine solche Frage lässt sich mit dem Zweck-Mittel-Schema nicht beantworten. Hierfür braucht es andere Erklärungsmodelle. Es wird durch eine “strukturelle Unterscheidung” (ebd., S. 72) reagiert: man trennt zwischen Eigentümern, Unterneh- men, Managern, Arbeitern. Dadurch entsteht die klassische Aufbauorganisation, wobei eine weitere Unterscheidung zwischen Motivation und Handlung vernachlässigt wird. Nur dadurch ist es überhaupt möglich, Ablauf und Aufbau getrennt voneinander zu ra- tionaliseren. Luhmann kritisiert genau diese Trennung, denn für ihn sind Struktur und Prozess keineswegs zueinander komplett indifferente Bereiche (vgl. ebd., S. 66). Durch diese Überlegungen kritisiert er allerdings nicht nur das zweckrationale Denken des Taylorismus, sondern die gesamte klassische Organisationslehre.

“Zwecksetzung ist ein unentbehrliches Reduktionsmittel […]. Niemand kann alles mit allem vergleichen; Struktur muß sein” (ebd., S. 110). Das Zweck-Mittel-Schema ist für Luhmann eines der wichtigsten Konzepte für Handlungen in Systemen: Es reduziert Komplexität und ermöglicht so Entscheidungen zu treffen. Durch diese Technik schaffte es die wissenschaftliche Betriebsführung, sich als erstes ganzheitliches Management- modell zu etablieren und war damit bahnbrechend. Noch heute werden Elemente des Scientific Managements angewandt (vgl. Hodgetts, 1995, S. 218). Was Luhmann aber an Taylors “Effizienz-Fieber” (Kieser, 2006, S. 87) kritisiert, ist die Simplifizierung der Zwecksetzung und die Annahme der ‘wissenschaftlichen Gesetze’. So kommt er zu ei- ner abschließenden Bemerkung über den Taylorismus: “Die Frage nach Optimallösun- gen trieb hier zur Regulierung und Standardisierung bis ins Letzte, weil man für alle Probleme die einzig-richtige Lösung suchte” (ebd., S. 121).

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2015). Deutschland macht Ressourceneffizienz zu einem Schwerpunkt seiner G7-Präsident- schaft. Letzte Aktualisierung: 27.01.2016. URL: http://www.bmub.bund.de/presse/pres- semitteilungen/pm/artikel/deutschland-macht-ressourceneffizienz-zu-einem-schwer- punkt-seiner-g7-praesidentschaft/.

Caldari, Katia (2007). Alfred Marshall's critical analysis of scientific management. The European Journal of the History of Economic Thought, 14, 55-78.

Gloede, Dieter (2010). Betriebliche Gesundheitsförderung und wirtschaftliche Effizienz. Berlin: Beuth Hochschule Berlin.

Hodgetts, Richard; Greenwood, Ronald (1995). Frederick Taylor: Alive and well and ready for the 21st Century. Academy of Management Review, 55, 218-222.

Kieser, Alfred; Peter Walgenbach (2003). Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Kieser, Alfred; Ebers, Mark (2006). Organisationstheorien. Stuttgart: W. Kohlhammer. Kühl, Stefan (2010). Zweckrationalität. Letzte Aktualisierung: 27.01.2016. URL: http:// www.uni-bielefeld.de/soz/forschung/orgsoz/Stefan_Kuehl/pdf/Zweckrationalitat- Working-Paper-150610.pdf.

Locke, Edwin (1982). The Ideas of Frederick W. Taylor: An Evaluation. Academy of Management Review, 7, 14-24.

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Ritzer, George (1996). The McDonaldization Thesis: Is expansion inevitable?. International Sociology, 11, 291-308.

Smith, Adam (2009). Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. München: dtv.

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Weber, Max (1992). Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr Siebeck.

[...]


1 http://www.effizienzpreis-nrw.de/ (Aufgerufen: 27.01.2016) und http://www.ressourceneffizienz.de/effizienz-agentur-nrw.html (Aufgerufen: 27.01.2016)

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Details

Titel
Erörterung des Taylorismus mit Luhmanns Konzept der Zweckrationalität
Hochschule
Zeppelin University Friedrichshafen  (Corporate Management & Economics)
Veranstaltung
Organisation und Management
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
13
Katalognummer
V335146
ISBN (eBook)
9783668251380
ISBN (Buch)
9783668251397
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
System Theorie, Taylor, Rationalität, Systeme, Effizienz
Arbeit zitieren
Sven Giegerich (Autor:in), 2016, Erörterung des Taylorismus mit Luhmanns Konzept der Zweckrationalität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335146

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