Der transnationale Charakter des alternativen Milieus 1968 - 1983


Essay, 2013

11 Seiten, Note: 1,0

Sven Böttger (Autor:in)


Leseprobe


Der transnationale Charakter des alternativen Milieus 1968-1983

Heterogenität war ein zentrales Merkmal des alternativen Milieus im Zeitraum von 1968 bis 1983 (vgl. Reichardt/Siegfried, 2010: S. 16, 68), in der inneren Struktur (vgl. ebd.: S.19 – 20, 68, 89) wie auch im äußeren Kontakt (vgl. ebd.: S.13, 19, 22), und damit einhergehend Offenheit und eine gewisse Neugier dem Fremden gegenüber. Im Folgenden soll diese Heterogenität in einem transnationalen Sinn aufgefasst werden (vgl. ebd.: S. 13). Dabei ist dieser „internationale Bezug […] Kernelement <<alternativer>> Identität“ (ebd.: S. 113), welcher das alternative Milieu von anderen Milieus unterschied und Distinktionsfunktion hatte. Im Inneren waren Migranten, ausländische Studierende wie auch afroamerikanische GIs Teil des alternativen Milieus, während im Äußeren Kontakte zu Genossen im Ausland geknüpft, andere Länder bereist, nach ausländischen Vorbildern für neue Aktionsformen und Lebensstile gesucht und der eigene Horizont erweitert wurde. Dabei gab es häufig Verknüpfungen mit anderen Bewegungen, die teils ebenfalls transnational ausgerichtet waren (vgl. ebd.: S.89, 69), wie der Reisebewegung, der Jugendbewegung, der Frauenbewegung, religiösen Bewegungen, revolutionären Bewegungen, Freiheitsbewegungen, der Umweltbewegung, internationalen Solidaritätsbewegungen und weiteren Bewegungen, die sich oft dem linken Spektrum zuordnen ließen (vgl. ebd.: S. 76, 82, 22). Reiseziele des alternativen Milieus waren vorwiegend „Zentren der europäischen Alternativkultur“ wie „London, Amsterdam und Kopenhagen“, „südeuropäische Länder wie Italien, Griechenland und Portugal“ sowie in begrenztem Umfang „außereuropäische Reiseziele wie Indien, Cuba und Nicaragua“ (ebd.: S. 19). Auch im Bereich Kultur oder in Stilfragen gab es gegenseitigen Austausch: Schwarze Musik erzeugte „Feeling“ (ebd.: S. 174, 177, 30), „Konsumpräferenzen“ wurden durch „amerikanische und fernöstliche Einflüsse“ geprägt (ebd.: S. 21) und Lebensstile erzeugt bzw. beeinflusst (vgl. ebd.: S. 30). Dieser heterogene Lebensstil wurde dabei zu jener Zeit als Verkörperung eines „neuen Lebensstils“ betrachtet (ebd.: S.74). Somit ist hier über Lebensstil, kulturelle Eigenheiten und auch „lockere Koordinationsformen und Umgangsweisen“, wie das Duzen unabhängig von Altersunterschieden, eine „Distanz zum Mainstream“ (ebd.: S.68) gegeben, welche Abgrenzungsfunktion hatte aber auch sicherlich zu einem einfacheren Erkennen der Mitglieder des alternativen Milieus untereinander beigetragen hat (vgl. ebd.: S. 16, 11, 27). Zentrales Bindeglied im alternativen Milieu war letztlich also eine gemeinsame Kultur (vgl. ebd.: S. 16), welche in gemeinsame Lebensstile und gemeinsame politische Ziele gegliedert werden kann (vgl. ebd.: S. 27). Hinsichtlich der gemeinsamen politischen Ziele kann noch gesagt werden, dass es wohl ganz allgemein um die Veränderung der „Gesellschaft als Ganzes“ (ebd.: S. 9) ging, wobei hier zwischen radikaleren und gemäßigten Vorstellungen unterschieden werden muss. Hatten die radikaleren Aktivisten eine revolutionäre Veränderung im Sinn, ging es den Gemäßigten um eine konsequente Veränderung des bestehenden Systems mit eher reformatorischem Charakter (vgl. ebd.: S. 94 - 95). Ein weiteres Bindeglied, welches in Bezug auf den transnationalen Hintergrund des alternativen Milieus eine Rolle spielt, ist sicherlich die Suche nach „Vorbildern >>authentischer<< Existenzformen“ (ebd.: S. 18), welche beim Reisen und Erleben anderer Kulturen einen hohen Stellenwert einnahm (vgl. ebd.: S. 22).

Im Folgenden möchte ich den transnationalen Charakter des alternativen Milieus näher betrachten, mit Schwerpunkt auf den äußeren Kontakt und weniger der inneren Struktur. Die bisherigen und die weiteren Ausführungen beziehen sich dabei auf das alternative Milieu im Zeitraum von 1968 bis 1983. Zwar wird der Höhepunkt des alternativen Milieus der Zeitspanne von 1978 bis 1982 zugeordnet (vgl. ebd.: S. 72 - 74), jedoch werden Beschreibungen auch auf Grund der Aussagen von Aktivisten gemacht, welche noch während des Krieges oder der Nachkriegszeit geboren wurden. Nach der Definition des alternativen Milieus von Dieter Rucht, welche ich auf Grund der speziellen Thematik in dieser Arbeit hier nicht vollständig ausführen werde, begann die Entwicklung des alternativen Milieus „ab den späten 1960er und frühen siebziger Jahren“ (ebd.: S. 68) und setzte sich im Wesentlichen aus „den Geburtsjahrgängen 1940 bis 1970“ (ebd.: S. 13) zusammen. Geprägt wurde es zentral von „der >>68er-Generation<<“ (ebd.: S. 13).

Die Gründe dieser Generation nach Vorbildern in der Ferne zu suchen, sollen im weiteren Verlauf untersucht werden (vgl. ebd.: S. 313 - 334). Außerdem wird der alternative Tourismus näher betrachtet (vgl. ebd.: S. 115 - 130). Schließlich soll die Beziehung des alternativen Milieus und Westdeutschlands zur dänischen Alternativkultur untersucht werden (vgl. ebd.: S. 89 - 114). Hauptquelle sind dabei für mich drei Kapitel, nachvollziehbar anhand obiger Seitenzahlen, aus dem Buch „Das Alternative Milieu – Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik Deutschland und Europa 1968 – 1983“ von Sven Reichardt und Detlef Siegfried.

Um zu verstehen, wie sich der transnationale Charakter des alternativen Milieus entwickeln konnte, ist es wichtig die Hintergründe zu kennen, welche für den Öffnungsvorgang, der in den jungen Jahren der späteren Aktivisten stattfand, gegenüber „neuen politischen Weltanschauungen“ (ebd.: S. 313) zentral waren.

Während des zweiten Weltkrieges oder in der Nachkriegszeit geboren, erlebten viele der späteren Aktivisten eine Kindheit in unsicheren Verhältnissen (vgl. ebd.: S. 315). Häufige Veränderungen, einhergehend mit einer außergewöhnlichen räumlichen und geistigen Mobilität, herrschten „gegen Ende des Krieges und in den Jahren danach“ (ebd.: S. 315). Umsiedlung und damit verbundene unfreiwillige Migration, Vertreibung, Flucht der Eltern vor Strafverfolgung aufgrund von Kollaboration mit den Nationalsozialisten, Arbeitsplatzsuche und neue Staatsgrenzen führten zu völlig neuen Verhältnissen. Durch die häufigen Veränderungen konnte eine „Erfahrung der Hilfslosigkeit“ entstehen, welche jedoch weniger zu Resignation, als vielmehr zu „freiem Willen“, „eigenem Antrieb“ und „ständiger Bewegung“ führte (ebd.: S. 314). In ständiger Bewegung kamen Kontakte mit Heimatvertriebenen, „Displaced Persons“, Besatzungssoldaten und später „Gastarbeitern“ zustande (vgl. ebd.: S.316 - 317). Für die späteren Aktivisten waren diese Kontakte in der heterogenen Nachbarschaft „eher interessant […] als abschreckend.“ (ebd.: S. 317), reagiert wurde mit Offenheit statt Ablehnung. Generell wurden Veränderungen häufig als aufregend empfunden, als anregend um seine Vorstellungen zu hinterfragen und als Möglichkeit sich selbst neu zu gestalten (vgl. ebd.: S. 314 - 315). Besonders positiv auf die genannten Veränderungen reagierten spätere Aktivisten, die besonders häufig Veränderungen hinnehmen mussten (vgl. ebd.: S. 317). Meist hingen positive Reaktionen auf die instabilen Lebensverhältnisse und ein späteres politisches Engagement eng zusammen (vgl. ebd.: S. 318).

Aber auch bei denen, die nach dem Krieg an Ort und Stelle blieben, kam es zu Veränderungen. So konnten sich traditionelle Geschlechterrollen verstärken oder relativieren, auch abhängig davon, ob der Vater wieder aus dem Krieg zurück kam oder nicht (vgl. ebd.: S. 316). Autoritäten wurden nicht mehr ohne weiteres hingenommen und im jugendlichen Alter konnte es zu Auseinandersetzungen mit der Elterngeneration oder anderen „Autoritätspersonen“ kommen, da unterschiedliche Einstellungen vorherrschten. Manche wollten angesichts der Auseinandersetzungen „nichts wie weg“ (ebd.: S. 317) und hatten trotz gewisser Einschränkungen „letztendlich zahlreiche Optionen der Lebensführung“ zur Verfügung (ebd.: S. 318). Neben der positiven Reaktion auf Veränderungen, Kontakte in der heterogenen Nachbarschaft, neuen (Macht-) Konstellationen in der Familie und verschiedenen Wahlmöglichkeiten sein Leben zu führen, gab es noch weitere Gründe, die zu einer Politisierung der späteren Aktivisten in jungen Jahren führten.

So konnten es auch die Eltern oder Lehrer sein, welche die jungen Menschen politisierten. Gäste aus anderen Ländern, der gemeinsame Besuch von Demonstrationen oder Diskussionen zu Hause trugen zur Erweiterung des eigenen Horizonts durch die Eltern bei (vgl. ebd.: S. 319). Auch junge Lehrer, teils radikaldemokratisch eingestellt, die häufig im Kontrast zu den älteren Lehrern, zum Teil Kriegsversehrte, standen, regten ihre Schüler, vielleicht sogar ungewollt, dazu an, sich kritisch mit verschiedenen Meinungen auseinander zu setzen (vgl. ebd.: S. 322 - 323).

Ab einem gewissen Punkt spielte die Unabhängigkeit von den Eltern, besonders hinsichtlich unterschiedlicher Wertevorstellungen, im Leben der späteren Aktivisten eine zentrale Rolle und damit einhergehend ein „Drang nach Unabhängigkeit“ (ebd.: S. 320). Dieser bewirkte, dass der eigene Bekanntenkreis erweitert wurde (vgl. ebd.: S. 320), Reisen alleine oder in Gruppen unternommen wurden (vgl. ebd.: S. 324), höhere Bildung als Möglichkeit gesehen wurde, den Verhältnissen und „>>beengten<< Zuständen“ (vgl. ebd.: S. 322) zu entfliehen (vgl. ebd.: S. 321), in eine andere Stadt zu ziehen und eventuell eine Wohngemeinschaft mit Gleichgesinnten zu gründen, um gemeinsam politisch zu wirken (vgl. ebd.: S. 326 - 327).

Das Reisen spielte dabei eine zentrale Rolle, auch um sich der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten bewusst zu werden. Neue Fortbewegungsmöglichkeiten ermöglichten gegen Mitte der fünfziger Jahre Zugfahrten (vgl. ebd.: S. 319), Fahrten per Anhalter wurden zunehmend zur Normalität und ermöglichten Trips ins Ausland (vgl. ebd.: S. 324) und Jugendverbände, kirchliche Einrichtungen wie auch Schulen ermöglichten „Bildungsreisen“ (vgl. ebd.: S. 323 - 325). Diesem „Bildungstourismus“ stand der „Freizeittourismus“ gegenüber, welcher vielleicht teilweise weniger Lerncharakter hatte, dafür aber mehr Freiheiten bot, seinen Horizont zu erweitern (vgl. ebd.: S. 326). Generell spielte auch die individuelle Schwerpunktsetzung der einzelnen Personen eine Rolle: Ob eine Reise der hedonistischen „Bespaßung“ oder der politischen Weiterbildung diente, hing letztendlich wohl auch von den eigenen Vorlieben ab.

Höhere Bildung konnte den Umzug in eine andere Stadt ermöglichen. Besonders „in großen Städten und an Universitäten“ (ebd.: S. 326) kam es zu Kontakten und Zusammenschlüssen. In Wohngemeinschaften konnte diskutiert und sich gegenseitig bestärkt werden. Kontakt zu ausländischen Studierenden gab es auf Demonstrationen und in Studentenwohnheimen bzw. Wohnhäusern mit vornehmlich ausländischen Studenten (vgl. ebd.: S. 328 - 329). Dabei kam es zu persönlichen Beziehungen, neuen Anregungen für das eigene politische Wirken und gegenseitiger Beeinflussung auf verschiedensten Ebenen (vgl. ebd.: S. 329). Ausländern kam teilweise eine Funktion als Vorbild zu (vgl. ebd.: S. 329 - 330). Einhergehend mit der „Faszination für andere Ethnien“ herrschte zum Teil eine „Ablehnung deutscher Kultur“ (ebd.: S. 328). Andere wiederum sahen in der Faszination eine „Form von Exotismus“ (ebd.: S. 328).

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Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Der transnationale Charakter des alternativen Milieus 1968 - 1983
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
11
Katalognummer
V335030
ISBN (eBook)
9783668248267
ISBN (Buch)
9783668248274
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
charakter, milieus
Arbeit zitieren
Sven Böttger (Autor:in), 2013, Der transnationale Charakter des alternativen Milieus 1968 - 1983, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335030

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