Sampling als Kulturtechnik. (Re-)Produktionskonzepte im Hip-Hop


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Sampling als Kulturtechnik
2.1 Die Funktionsweise des Samplings
2.2 Die Entwicklung einer Subkultur durch Sampling

3. (Re-)Produktionskonzepte im Hip-Hop-Sampling
3.1 Intertextualität im Hip-Hop
3.2 Zitate und Sampling im Hip-Hop
3.3 Collagen und Sampling im Hip-Hop
3.4 Montage und Sampling im Hip-Hop

4. Original, Kopie, Autor und Aura-Verlust: Ein kurzer kritischer Gedanke

5. Fazit

Anhang:

Literaturverzeichnis

Musikverzeichnis

1. Einleitung

Bereits seit den 1940er Jahren findet das musikalische Audio-Sampling in der Musik- und Hörspielproduktion Anwendung. Aus einer anfänglichen Idee entwickelte sich in den Folgejahren eine beliebte Sound- und Bearbeitungstechnik, die in den 1980er Jahren durch die Digitalisierung der Vorgänge eine erfolgreiche Ära erfuhr, welche bis heute anhält. Gerade in der Hip-Hop-Kultur genießt die Sampling-Technik einen unentbehrlichen Stellenwert. Als Teil des DJ-Handwerks entstanden aus den ersten Soundfragmenten Instrumental-Beats, auf denen die Rapper ihre Texte im subkulturellen Rahmen präsentierten. Weitere Sampling-Techniken wurden in den Folgejahren von den Hip-Hoppern kreiert, um die musikalische Basis oder den textuellen Teil ihrer Songs zu verstärken.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema Sampling als Kulturtechnik: (Re-)Produktionskonzepte im Hip-Hop. Der Prozess des Samplings soll dabei weniger als eine technische Methode betrachtet werden, mehr als ein subkulturelles Praktizieren. Demzufolge rückt die technische Funktionsweise des Gegenstandes aus dem Fokus, während Sampling eher in einer Verbindung zum intertextuellen Charakter von Rapmusik analysiert werden soll. Ziel der Verschriftlichung ist es die Praktik des Musik-Samplings in seiner vorrangigen Verwendung zu untersuchen, die Unterscheidungen zu klären, welche durch diesen technischen Eingriff getätigt werden und die ästhetischen Kunstformen der Collage und der Montage sowie die Zitiertechnik im Hip-HopSampling zu erforschen. Diese Anwendungstechniken werden dabei als Reproduktionstechniken aufgefasst, die in verschiedenen Arbeitsschritten gleichartige oder aber differente Medienmaterialien transferieren.

Hip-Hop eignet sich besonders gut als Untersuchungsgegenstand, da einerseits Sampling zu seiner unmittelbaren historischen Entstehung beigetragen hat, andererseits weil er seine kulturellen Praktiken, zu denen die DJ-Culture zählt, für die Weitervermittlung von Identitätsmerkmalen benutzt und dadurch selbstreflektive und kollektive Gedankenstrukturen innerhalb der Szene herstellt.

Der Sprechgesang bietet durch performative und kommunikative Elemente die besten Möglichkeiten der Anwendung und Analyse von Sampling.

In der Forschungsliteratur ist musikalisches Sampling ein selten behandeltes Themenfeld, weswegen oftmals auf ein kleines Spektrum von Autoren verwiesen wird. Wissenschaftliche Grundlagen der vorliegenden Projektarbeit sind vorrangig Rolf Großmanns „Collage, Montage, Sampling“ und Jochen Bonz´ „Sampling: Eine postmoderne Kultur-Technik“. Großmann unternimmt bereits den Versuch Sampling mit den geklebten Papieren und der filmischen Montage in den Einklang zu bringen, schneidet dabei jedoch die Hip-Hop-Kultur äußerst kurz an. Bonz bezieht sich in vielen Ausführungen auf Großmann, ergänzt zudem das Sampling im Techno. Weitere Veröffentlichungen vom Kulturwissenschaftler und Poptheoretiker Diedrich Diederichsen sollen zudem hinzugezogen werden, da dieser sich in mehreren Texten intensiv, wenn auch spezialisiert auf die PopMusik, mit der Kulturtechnik Musik-Sampling auseinandergesetzt hat. Eine Problematik der bereits wissenschaftlich herausgegebenen Abhandlungen ist das Verwischen der Collage- und Montagebegriffe, die zum Teil im gleichen Kontext angewandt werden. Daher möchte ich den Versuch unternehmen das musikalische Zitat, die Collage und die Montage nach ihren Merkmalen zu differenzieren, eine eindeutige Trennung zwischen den Begriffen schaffen und dann erst gewisse Eigenarten der Rapmusik darin wiederentdecken. Die Basis für die Unterscheidung soll vorrangig über Materialdifferenzierungen geschehen. Nach der Einleitung wird zunächst die Funktionsweise des Samplings erläutert und welche Unterscheidungen dadurch hergestellt werden. Den musikhistorischen Kontext stellt danach die Die Entwicklung einer Subkultur durch Sampling her, wobei dort auf die Entstehung der Hip-Hop-Kultur eingegangen wird. Nachdem die Intertextualität und das kollektive Gedächtnis im Hip-Hop nachgewiesen werden, sollen darauf aufbauend einzeln die Zitathaftigkeit, collagenhafte Züge und Montageaspekte im Hip-Hop-Sampling überprüft werden. Der aus Platzgründen nicht vollständig bearbeitbare Originalitätsbegriff, den ich dennoch in diesem Konstrukt als erwähnenswert erachte, wird unter dem Plagiatsaspekt in einem abschließenden kritischen Gedanken Erwähnung finden. Im Fazit sollen die herausgearbeiteten Thesen aufgeführt und die Projektarbeit eingeschätzt werden.

2. Sampling als Kulturtechnik

2.1 Die Funktionsweise des Samplings

Um sich den später ausgeführten Reproduktionskonzepten in der Kulturtechnik des Samplings nähern zu können, ist es notwendig den Begriff „Sound-Sampling“ zu definieren, differenzieren und in seinen historischen Entstehungskontext einzuordnen.

Die im allgemeinen Wortgebrauch verwendeten englischsprachigen Begriffe „sampling“ und die dazugehörige Auskopplung „sample“ entstammen dem Lateinischen „exemplum“, das als Beispiel, Abbild oder Modell übersetzt wird. Demnach stellt ein „sound sample“ ein momentanes Abbild oder Muster aus einem kontinuierlichen Schallereignis dar.1 Jenes Schallereignis wird durch das Sampling in Einzelabschnitte unterteilt, die einen zeitlichen Anfangs- und Endpunkt festlegen und einen periodischen Ablauf ermöglichen.

Speziell im musikalischen Verfahren werden bestimmte akustische Fragmente aus einer auditiven Quelle herauskopiert.2 Jedes Einzelteil wird digitalisiert und gespeichert, kann in diesem Vorgang zudem bearbeitet werden, ehe es in seiner exportierten Konsistenz in einen neuen musikalischen Kontext eingebunden wird. Daher enthalten Sampler nicht nur einen reproduktiven Charakter, sondern können ebenso manipulativ als auch extrahierend wirken.3

Die Fragmentierung bestimmt die temporäre Komponente der klanglichen Datei und enthält zudem parallel auf der Zeitleiste Informationen über Tonhöhen und die Dynamik. Dabei ist es nicht nur möglich musikalische Abschnitte zu samplen, Wortbeiträge oder Geräusche können hierbei ebenso herausgeschnitten und bearbeitet werden.

Die Vorgänge sind in ihrer Umkehrung stark mit der Abfolge von Einzelbildern vergleichbar, die sich in der Filmmontage wiederfinden. Das Sampling von Schallereignissen zerlegt die zeitliche Abfolge bewegter Bilder in entsprechende „Einzelaufnahmen“, deren gemessene Werte in digitaler Form verwahrt und modifiziert werden.4 Die Parallelen zwischen den Sampling-Techniken und der filmischen Montage werden später intensiver beleuchtet.

Der Arbeitsvorgang ist immer an die technischen Gegebenheiten gebunden, doch die Verfahrensweisen der Kulturtechnik des Samplings können allgemein in folgende drei Schritte unterteilt werden: Das Herausnehmen, die Phase der Bearbeitung und das Zusammensetzen. Eine digitale Aufnahme von selektierten Klängen erfolgt im Sound-Sampler, der vor Jahren noch als eigenständiges Gerät Anwendung fand, inzwischen jedoch in den DJ- und Musik-Softwares integriert ist, sodass eine Benutzung eines externen Gerätes nicht mehr notwendig ist. Das verwendete Material umfasst einen Klangschnipsel, dessen Autorschaft sowohl bei fremden Künstlern liegen, aber auch aus eigenen Werken des SamplingAnwenders ausgewählt werden kann. Selektion geschieht dabei autonom, nach individuellem Empfinden und vollzieht sich mit der technischen Maßnahme, die nach dem Herausschneiden im zweiten Arbeitsvorgang wesentliche Einflüsse auf das Produkt hat.

Die Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung des Samples scheinen unzählig. Die Tonhöhen des Audiosignals können mittels pitch shifting transponiert werden5, die Dynamik des Fragments ist einheitlich oder vereinzelt normalisiert sowie akzentuiert veränderbar. Ebenso sind die Tempi der ausgewählten Klänge modifizierbar, sodass am Ende ein neuer Teil einer musikalischen Auskopplung generiert wird, der die Herkunft des gesampelten Materials nicht sofort erkennen lässt. So vertritt beispielsweise Sounddesigner Felix Höfler die Ansicht, dass „das Sample als Materialvorgabe […] absolut austauschbar ist – jedenfalls prägt die Bearbeitung das Endergebnis viel mehr als das Ausgangssample“ 6.

Finalisiert wird der Prozess im Zusammensetzen eigener musikalischer Elemente mit dem modifizierten Sample. Hier bestimmt dessen Materialität die Präsenz und das Verhältnis der Bausteine im Gesamtwerk. Geräusche und Wortbeiträge werden meist einmalig eingesetzt, um Atmosphäre herzustellen oder textuelle Bestandteile zu unterstützen. Klangkonstruktionen können zum Gerüst des Instrumentalbeats werden, zu dem verschiedenartige musikalische Tonspuren hinzugefügt werden. Dabei wird das akustische Sample in unbestimmter Wiederkehr abgespielt, die in der DJ-Technik als Loop (engl. Schleife) bezeichnet wird.

Sampling ist einerseits ein künstlerisches Verfahren, dass in der Musik bei der Entstehung neuer oder für die Ausschmückung bereits vorhandener Kompositionen angewendet wird. Andererseits verbirgt sich dahinter ebenso ein technischer Prozess, der den Gebrauch von Sampling-Geräten oder entsprechenden Softwareprogrammen voraussetzt. Es selektiert in seiner Applizierung, überträgt („alte) Inhalte in einen neuen Kontext und kombiniert grundsätzlich verschiedenartige Inhalte miteinander. Dadurch schafft Sampling eine Differenzierung der Bestandteile, die jedoch in dem Endprodukt in einem bestimmten Punkt wieder zusammengetragen werden.

Das Handwerk des Samplings kann gewisse Fragestellungen beantworten, aber ebenso neue Diskussionsthematiken herstellen. Es unterscheidet in der Praxis die akustischen Ebenen, indem die auditive Materialität geklärt und ihrer Klassifizierung entsprechend eingesetzt wird. Sprache, musikalische Parts und Geräusche werden hierbei voneinander differenziert. Andere Fragen nach Unterscheidungen drängen sich unweigerlich auf: Was ist hierbei neu, was ist alt? Entspricht das Sample in seiner Anwendung einem gebrauchten Gegenstand oder ist es etwas gänzlich Frisches, da es nur erneuert wurde? Und wer ist dabei eigentlich der Autor? Ein rein technisches Herausschneiden dürfte nicht reichen, um als neuer Interpret des Audioschnipsels zu gelten. Die Bearbeitung dessen könnte in einem gewissen Maß allerdings dem Anwender zugeschrieben werden und der Plagiats-Vorwurf in die Ferne rücken. Zweifellos ist ein Sample jedoch für den Anwender eines: Der Bestandteil einer neuen musikalischen Idee.

2.2 Die Entwicklung einer Subkultur durch Sampling

Sampling gilt inzwischen als eine populäre Praxis, die als Teil der DJ-Culture7 in diversen Musik-Genres eingesetzt wird. Hauptaugenmerk dieser Abhandlung soll auf dem hochgradig textuellen und performativen Rap (Sprechgesang) liegen, der als Bestandteil der Hip-Hop-Kultur in permanenter Beziehung zur behandelten Soundtechnik steht. Daher soll kurz auf die historische Entwicklung von Sampling und Hip-Hop eingegangen werden, da beide als Untersuchungsgegenstände der folgenden Analyse dienen.

In der vordigitalen Zeit beginnt das Sampling in den 1940er Jahren nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Frankreich. Pierre Schaeffer, bedeutendster Vertreter der musique concrète, nahm dort Naturklänge auf und presste diese auf Schallplatten mit Endlosrillen.8 1963 kam mit dem Mellotron, ein elektromechanisches Tasteninstrument, die analoge Urform eines Samplers auf den Markt, bei dem bei der Betätigung der jeweiligen Taste der dazugehörige Tonbandstreifen abgespielt wird. Der Beginn der digitalen Sampling-Ära ist auf 1979 datiert, da in diesem Jahr mit Fairlight CMI und Synclavier integrierte digitale Synthese-, Aufzeichnungs- und letztendlich Samplingsysteme erhältlich wurden.9 Einerseits konnten diese Sampler eigene Geräuschkulissen, Stimmen oder Musik aufnehmen, andererseits den Klang ausgewählter Instrumente im Studio oder auf der Bühne simulieren.

Rolf Großmann, der in seiner Verschriftlichung „Collage, Montage, Sampling“ auf Medienmaterialien und demzufolge auf die digitale Materialität eingeht, spricht von einem „Wechsel in eine neue Welt der Gestaltung“, der durch den Sprung von der phonographischen Klangschrift zum digitalen maschinenlesbaren Code erreicht wird.10

[...]


1 Stange-Elbe, Joachim: Computer und Musik. Grundlagen, Technologien und Produktionsumgebungen der digitalen Musik. Walter de Gruyter Studium Verlag, Berlin 2015, S.80 Im Folgenden: Computer und Musik.

2 Getmann, Alex: Mediale Musik und technische Aura. Der Einfluss neuer Medien auf Musik. Diplomica Verlag, Hamburg 2012, S. 61.

3 Vgl. Porcello, Thomas: The ethics of digital audio-sampling: engineers discourse. In: Popular Music. Volume 10/1, Cambridge University Press, Cambridge 1991. In: http://www.jstor.org/pss/853010, S. 69, zugegriffen am 02.02.2016.

4 Computer und Musik. S. 80.

5 Röllin, Wolfgang und Thaler, Adrian: Synthi Midi Sampling. Voggenreiter Verlag, Bonn-Bad Godesberg 1988, S. 14.

6 Sander, Klaus und Werner, Jan St.: Vorgemischte Welt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, S. 31.

7 DJ-Culture steht für eine etikettierte eigenständige Praxis, die alle Verfahrensweisen technischer Prozesse in und um soundproduzierende Werkzeuge des disc jockeys enthält. Großmann, Rolf: Collage, Montage, Sampling. Ein Streifzug durch (medien-)materialbezogene ästhetische Strategien. In: Segeberg, Harro und Schätzlein, Frank (Hg.): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien. Schüren-Verlag, Marburg 2005, S. 324. Im Folgenden: Collage, Montage, Sampling.

8 Essl, Karlheinz: Sample. Ein verwaschener Begriff. In: ORF: Apropos Musik: Musiklexikon. Wien 2008. In: http://www.essl.at/bibliogr/musiklexikon-sample.html, zugegriffen am 06.02.2016.

9 Collage, Montage, Sampling. S. 321.

10 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Sampling als Kulturtechnik. (Re-)Produktionskonzepte im Hip-Hop
Hochschule
Bauhaus-Universität Weimar  (Fakultät Medien)
Veranstaltung
Reproduktion und Musik
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
33
Katalognummer
V334335
ISBN (eBook)
9783668239746
ISBN (Buch)
9783668239753
Dateigröße
766 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sound-Sampling, Sampling, Musik, Kulturtechnik, Reproduktion, Produktion, Computer, Sound, Producing, Hip-Hop, Rap, Subkultur, Walter Benjamin, Aura, Hier und Jetzt, Kunsttheorie
Arbeit zitieren
Simon Dietze (Autor:in), 2016, Sampling als Kulturtechnik. (Re-)Produktionskonzepte im Hip-Hop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334335

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