Die Bedeutung der Asebie-Anklage des attischen Gerichts an Sokrates 399 v. Chr.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Asebie-Begriff im antiken Griechenland

3. Asebie-Anklage an Sokrates
3.1 Zwischen zweckmäßiger Anklage und rechtmäßigen Vorwürfen
3.2 Atheismus, Staatsreligion und neue Götter
3.3 Das Verderben der Jugend

4. Fazit

Anhang:

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„ Ich schätze und verehre euch, ihr Männer von Athen, doch gehorchen werde ich eher dem Gotte als euch [...] “ 1

- Sokrates, Verteidigungsrede vor dem athenischen Volksgericht -

Sokrates ist nicht nur der wohl bekannteste, sondern auch einer der ersten Philosophen, die das westliche Denken in der Antike bis hin zur postmodernen Zeit maßgeblich beeinflusst, mehr sogar geprägt haben. Seine Stellung ist in der Geschichte einmalig, seine Gedanken schwer fassbar. Von vielen Menschen ist es möglich wenig bis viel zu wissen - im Fall von Sokrates ist es allerdings unklar, ob wir wenig oder viel wissen, da Verschriftlichungen seiner Lehre bis heute nicht gefunden werden konnten.2 So haben seine zwei ehemaligen Schüler, Xenophon und Platon, über ihn geschrieben, aber schon zu dem Zeitpunkt völlig unterschiedliche Aussagen getätigt. Der Wahrheitsgehalt ist unmöglich zu prüfen, aber es ist dennoch möglich, die Quellen mit Vorsicht zu lesen, indem literarische Kunstgriffe der Autoren, wie Hyperbeln oder Euphemismen nicht als unbedingte Fakten aufgefasst werden. Der US-amerikanische Sokrates-Forscher Gregory Vlastos stellte dahingehend die These auf, in Platons Dialogen zwei streng voneinander unterscheidbare Sokrates-Figuren unterscheiden zu können: Den historischen Denker und den philosophischen Denker, zu welchem erst Platon seinen Lehrer gemacht hat.3

Aus den Quellen geht heraus, und das haben die Schriften gemeinsam, dass Sokrates unzweifelhaft ein athenischer Bürger aus einfachen Verhältnissen war, der öffentlich disputierte und die Kunst der Philosophie ausgewählten Schülern lehrte, jedoch im Vergleich zu seinen Kontrahenten, den Sophisten, unentgeltlich.3 399. v. Chr. wurde gegen ihn Anklage erhoben. Gegen den eindeutigen Vorwurf der ἀσέβεια (Asebia, lat. Asébie), welche allgemein als „Gottlosigkeit“ oder als „Frevel gegenüber den Göttern“ übersetzt wird, musste er sich vor fünfhundert per Los ausgewählten Geschworenen verteidigen. Doch selbst seine Schüler waren sich nicht einig, wie man diese Beschuldigung auffassen sollte und wie diese sich zu dem zweiten Vorwurf verhielt, wonach Sokrates die Jugend verdorben haben soll.4

Im Zentrum meiner Hausarbeit steht jene Anklage der Asebie an Sokrates. Steht dieses Wort nur für die einfache Übersetzung der Gotteslästerung und wie lassen sich die Taten Sokrates damit vereinbaren? Ist der Vorwurf am Philosophen aus Sicht der Polis berechtigt und wie wehrt sich dieser selbst dagegen?

Dazu werde ich zuerst die Bedeutung des Asebie-Begriffes im antiken Griechenland erläutern und wie sich dieser über die Jahre hinweg entwickelt hat. Danach steht die eigentliche Anklage an Sokrates im Mittelpunkt meiner Untersuchung. Wie steht diese zwischen rechtmäßigen und zweckmäßigen Vorwürfen? Was hat es außerdem mit dem Vorwurf an Sokrates auf sich, dass dieser neue Götter eingeführt haben soll? Abschließend werde ich zu diesem Punkt noch kurz das Verhältnis des Philosophen zur Jugend einbeziehen, da dieses nicht losgelöst von der Gesamtproblematik betrachtet werden kann. Relevant ist dabei die Anklage unter dem Sammelbegriff der Asebie. Das Fazit schließt meine thematische Verschriftlichung.

2. Asebie-Begriff im antiken Griechenland

Die Asebie galt als offizieller Strafbestand im antiken griechischen Recht. Genaue Gesetze sind nicht überliefert, dennoch verweist Plutarch 432. v. Chr. auf einen Gesetzesvorschlag, bei dem derjenige, der „nicht an die Götter glaubt und sich in wissenschaftlichen Vorträgen mit Himmelserscheinungen befasst“5, verurteilt werden muss. Polybios definiert den Begriff um 200 v. Chr. als ein „Beleidigen der Götter, Eltern und Toten“.6 Demnach muss der Angeklagte seine Handlung offensichtlich und bewusst gegen die Gottheiten richten, um unter diesen Vorwurf zu fallen. Der Phryne-Akt ist ein Beispiel der Asebie nach Definition von Polybios. Phryne entblößt sich in einer bestimmten Geste vor den Richtern, obwohl bekannt ist, dass dieser Ritus nur Aphrodite selbst obliegt.

Aristoteles geht noch einen Schritt weiter als Polybios und ordnet auch das „falsche Verhalten gegenüber dem Vaterland“ der Asebie zu.7 Doch wie lässt sich das mit dem eigentlich religiös behafteten Ursprung des Wortes verbinden?

In Platons staatstheoretischen Dialogen in der Νόμοι (Nomoi) macht er schon in den ersten Sätzen auf die theologische Fundierung der Gesetze aufmerksam. Und in der Tat:

Auch wenn im Großteil des Werkes keine religiösen Fragen diskutiert werden, ist es das Theologische, die Auffassungen der Götter, die in systematischer Hinsicht das Fundament dieser Verschriftlichung bilden.8 Auch wenn die Gesetze offensichtlich von Menschen niedergeschrieben und entwickelt werden, die erste Ausnahme bildet in der christlichen Glaubensschrift Mose, der von Gott die zehn Gebote auf dem Berg Sinai diktiert bekommt, legt Platon die Annahme nahe, dass die Gesetzgebung auf die Vernunft zurückgeführt werden soll, die als Gabe der Götter an die Menschen wiederum stellvertretend für die Schöpfer selbst steht. Desweiteren macht sich der theozentrische Staat in einer Aussage Platons im X. Buch der Nomoi bemerkbar: „Das Wichtigste aber […] ist dies: Über die Götter eine richtige Ansicht zu haben, und infolgedessen schön zu leben oder im anderen Fall nicht“9.

Ebenso wie die Nomoi von den Göttern bestimmt sind, war es auch das gesellschaftspolitische Leben im antiken Griechenland. Das polytheistische Weltbild kann als eine Art Staatsreligion aufgefasst werden, die nicht getrennt von der Polis betrachtet werden kann. So konnten die Athener zwar durchaus zwischen „Profanem“ und „Sakralem“ unterscheiden10, jedoch hingen beide Bereiche streng zusammen und auch das Delphische Orakel konstituierte: „wer nach dem Gesetz des Staates handele, der handele gottesfürchtig“.11

In genau dem Augenblick, indem sich die beiden Sphären miteinander vermischen, wird aus dem einfachen Verbrechen der Asebie ein maximales Verbrechen, da mit Frevel an den Göttern gleichzeitig eine Kritik am Staat einhergeht sowie umgekehrt. Daraus ergeht allerdings auch, dass die Anklage von ihrem Grundsatz nicht religiös behaftet sein muss. Dazu kommt, dass Menschen selbst die Anklage herstellen und sie das Richten über das Vergehen der Mitbürger nicht den Göttern überlassen.

Somit kann nun auch die Missachtung gesellschaftlicher Konventionen und Werte unter den Anklagepunkt der Asebie fallen. Alles, was sonst unter den Begriff νόμος geschrieben wurde, wird nun als göttlich sanktioniert gesehen.12 Aristoteles schreibt zudem, dass es für die Griechen keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen und religiösen Normen gab, da der Gottlose eher als ein schlechtes Mitglied der Gemeinschaft verstanden werden und sein moralisch verwerfliches Verhalten mit άσεβής, dem schlechten Charakter, übersetzt werden kann.13 Daneben bezog sich der Asebiebegriff auf Kultverstöße, wie „die Beschädigung von Gottesbildern“ oder „die Störung gottesdienstlicher Handlungen“, welche wiederum auf die religiöse Sphäre verweisen. Insgesamt lässt sich dennoch der Tatbestand der Asebie nicht nur auf die Frevel gegen die Götter beschränken. Will man die vielen Möglichkeiten dieser Anklage auf einen gemeinsamen Nenner bringen, so erreicht man dies am ehesten, wenn man auf den Ursprung des Wortes der Asebeia zurückgeht: το σέβας, die ehrfurchtsvolle staunende Scheu vor der Gottheit, aber ebenso vor den Eltern, sowie der Respekt, die Verehrung, die Bewunderung, also die nötige Achtung vor jedem Einzelnen, so auch der Staatsverfassung.14

Gerade die Philosophen gefährdeten mit ihrem neuen Denken das traditionelle Weltbild und hatten somit auch den Ruf „gottlos“ zu handeln. Nachdem die γραφή ἀσεβείας eingereicht wurde, eröffnete das Gericht den Prozess.13

3. Asebie-Anklage an Sokrates

„ Sokrates handelt rechtswidrig, indem er die Götter, die der Staat anerkennt, nicht anerkennt und andere neuartige göttliche (dämonische) Wesen einzuführen sucht [ … ], indem er die jungen Leute verdirbt. Strafantrag: der Tod “ 15

- Anklageschrift des Meletos gegen Sokrates -

Der öffentliche Asebie-Vorwurf am antiken Dichter besteht aus zweierlei Teilen: Zuerst wird Sokrates nicht nur die Verweigerung der Götter der Polis vorgeworfen, sondern auch der Versuch, neue Götter einzuführen. Wie die Ankläger dazu stehen, äußert sich nicht nur im griechischen Wort δαιμόνια, welches den teuflischen, stärker aus Bürgersicht gar atheistischen Charakter des Sokrates anprangert.

[...]


1 Platon: „Apologie des Sokrates“. hrsg. und übersetzt von Manfred Fuhrmann, Reclam, Stuttgart 1986, S. 49. Im folgenden: „Apologie des Sokrates“.

2 Russell, Bertrand: „Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung“. Europaverlag, 8. Auflage, Wien 1999, S. 104.

3 Figal, Günter: „Sokrates“. Verlag C.H. Beck, München 1995, S. 16. Im folgenden: „Sokrates (Figal)“.

4 Kniest, Christoph: „Sokrates“. Junius, Hamburg 2003, S. 156. Im folgenden: „Sokrates (Kniest)“.

5 Plutarch: „Leben Perikles“, 32.1. Auf: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=plut.+per.+32.1, 22.07.14, 23:10 Uhr.

6 Polybios: „XXXVI., 9.15“. In: W.R. Paton (Hrsg. und Übersetzung): „The Histories“. Loeb, Vol. I-VI, Oxford 1954.

7 Aristoteles: „Von Tugend und Lastern“, VII. 2. In: H. Rackham (Hrsg. und Übersetzung): „On virtues and vices“. Loeb, Oxford 1952.

8 Horn, Christoph (Hrsg.): „Platon. Gesetze. Nomoi“. Akademie Verlag, Deutschland 2013, S. 208. Im folgenden: „Nomoi“.

9 Aus dem X. Buch der Nomoi (888b3 f.). In: „Nomoi“. S. 216.

10 Dreßler, Jan: „Philosophie vs. Religion?“. Books on Demand, Berlin 2010. S. 12. Im folgenden: Philosophie vs. Religion?“.

11 Xenophon: „Memorabilien, 1.3.1“. In: „Philosophie vs. Religion?“, S. 12.

12 Ebd. S. 9.

13 Ebd. S. 10.

14 Plutarch: „Alkibiades, 22. 3“ In: In: Thietz-Bartram, Jochim: „Der Sokrates-Prozess: Ein Justizirrtum?“. In: Busse, Felix: „Anwaltsblatt“ 7/2002. Deutscher Anwalt Verlag, Dresden 2002, S. 440. Im folgenden: „Sokrates-Prozess: Ein Justizirrtum?“.

15 Taylor, C.C.W.: „Sokrates“. Herder / Spektrum Meisterdenker, Freiburg 1999, S. 21.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung der Asebie-Anklage des attischen Gerichts an Sokrates 399 v. Chr.
Hochschule
Bauhaus-Universität Weimar  (Fakultät Medien)
Veranstaltung
Medienrecht
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
15
Katalognummer
V334331
ISBN (eBook)
9783668239760
ISBN (Buch)
9783668239777
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anklage, Asebie, Sokrates, Antike, attisch, Gericht, Recht, Gott, Religion, Glauben, Gotteslästerung, Demokratie, Rechtssystem
Arbeit zitieren
Simon Dietze (Autor:in), 2014, Die Bedeutung der Asebie-Anklage des attischen Gerichts an Sokrates 399 v. Chr., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334331

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