Rechtsmethodologische und rechtsphilosophische Überlegungen zur strafrechtlichen Beurteilung der Sitzblockade, dargestellt am Einzelfall


Hausarbeit, 2001

18 Seiten, Note: 14


Leseprobe


Gliederung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung in Thema und Aufgabenstellung

2. Die Denkweise des Strafjuristen nach dem „Subsumtionsmodell“

3. Die Denkweise des Juristen anhand der Anwendung des
Tatbestandsmerkmals der Gewalt auf den vorliegenden Fall der
Sitzdemonstration.
a) Darstellung des Meinungsstreites im Bezug auf den Gewaltbegriff
aa) herrschende Meinung in der Rechtssprechung
bb) Gegenansicht
b) Die Entwicklung des Gewaltbegriffes in der Rechtssprechung
c) Konkrete Anwendung auf die Sitzblockade des Friedrich v. Spee

4. Das Subsumtionsproblem und die Möglichkeiten seiner Lösung
durch Auslegung
a) Die grammatische Auslegungsmethode
b) Die systematische Auslegungsmethode
c) Die subjektiv-historische Auslegungsmethode
d) Die objektiv-teleologische Auslegungsmethode

5. Ist die extensive, tatbestandserweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs
im Fall der Sitzdemonstration noch mit Art. 103 II GG zu vereinbaren?
a) Art. 103 II GG und § 1 StGB – Das Gesetzlichkeitsprinzip
b) Einwände von Kritikern der BVerfGE 92,1 ff.

6. Rechtfertigungsmöglichkeiten der Sitzdemonstration

7. Persöhnliche Stellungnahme zum Fall des Friedrich von Spee

8. Der reale Problemhintergrund, der Friedrich von Spee zu seiner drastischen Protestdemonstration veranlasste.

9. Die rechtlichen Bedenken des Friedrich von Spee gegen die amtlich
erlaubte Rindermassenvernichtung aus rein wirtschaftlichen Gründen
a) Art. 20a GG
b) § 90a BGB
c) § 1 TierSchG
d) § 17 TierSchG

10. Abschließende Stellungnahme

Literaturverzeichnis

a) Lehrbücher:

- Baumann, Jürgen Einführung in die Rechtswissenschaft, 8. Auflage, München 1989.

- Haft, Fritjof, Strafrecht, allgemeiner Teil: eine Einführung für Anfangssemester, 8. Aufl., München 1998.

- Jescheck, Hans-Heinrich, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 3. Auflage,

Berlin 1978.

- Jescheck, Hans-Heinrich / Weigend, Thomas, Lehrbuch des Strafrechts – Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Berlin 1996.

- Kaufmann, Arthur / Hassemer, Winfried, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5. Aufl., Heidelberg 1989.

- Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, Berlin, Heidelberg, u.a., 1991.

- Maurach, Reinhart / Zipf, Heinz, Strafrecht – Allgemeiner Teil, Teilband 1, 8 Aufl., Heidelberg 1992.

- Otto, Harro, Grundkurs Strafrecht Allgemeine Strafrechtslehre, 4 Aufl., Berlin, New York 1992.

- Pawlowski, Hans-Martin, Methodenlehre für Juristen, Heidelberg, Karlsruhe 1981.

- Rengier, Rudolf, Strafrecht Besonderer Teil II – Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 2.Aufl., München 1999.

- Roxin, Claus, Strafrecht: Allgemeiner Teil - Grundlagen Aufbau der Verbrechenslehre, 3. Aufl., Band I, München 1997.

- Wessels, Johannes / Beulke, Werner, Strafrecht, Allgemeiner Teil – Die Straftat und ihr Aufbau, 30 Aufl., Heidelberg 2000.

b) Kommentare:

- Jarass, Hans D. / Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5.Aufl., München 2000.

- Leipziger Kommentar, hrsg. Von Hans-Heinrich Jescheck, Wolfgang Ruß, Günther Willms, Bd. 5 §§185 – 262, 10 Aufl., Berlin, New York 1988.

- Lorz, Albert, Tierschutzgesetz, 4. Aufl., München 1992 .

- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60 Aufl., Band 7, München 2001.

- Sachs, Michael, Grundgesetz, 2. Aufl., München 1999.

- Schönke, Adolf /Schröder, Horst, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., München 1997.

c) Aufsätze:

- Brohm, Winfried, Demonstrationsfreiheit und Sitzblockaden, in: JZ 1985, 501ff.

- Gusy, Christoph, Anmerkung zur BVerfGE 92,1 ff., in: JZ 1995, 782f.

- Herzberg, Rolf D., Strafbare Nötigung durch Versperren des Fahrwegs?, in: GA 1996, 557.

- Kloepfer, Michael, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Artikel 20a GG, in: DVBl 1996, 73ff.

- Krey, Volker, Gesetzestreue und Strafrecht, ZStW 1989, 838 ff.

- Murswiek, Dietrich, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), in: NVwZ 1996, 222ff.

- Scholz, Rupert, Sitzblockade und Verfassung – Zur neuen Entscheidung des BVerfG, in: NStZ 1995, 417ff.

- Schroeder, Friedrich-Christian, Sitzblockade keine Gewalt – BVerfG, NJW 1995, 1141, in: NJW 1995, 875ff.

d) Zusätzlich:

- BrockhausDie Enzyklopädie in 24. Bänden, 4. Band BRON – CRN, Leipzig, Mannheim 1997.

- Zeitungen der FAZ, Frankfurter Rundschau und dem Spiegel

Bearbeitung

1. Einleitung in Thema und Aufgabenstellung

Im Rahmen der Veranstaltung Rechtsphilosophie I bei Prof.Dr. Wolf Paul, behandelt diese Arbeit das Problem der Auslegung des Gewaltbegriffs im Straftatbestand der Nötigung bei Sitzblockaden.

Für die Untersuchung der möglichen Strafbarkeit des Friedrich von Spee wird die Ansicht der bisherigen Rechtssprechung zu Sitzdemonstrationen dargestellt und die sich gegen die Vergeistigung des Gewaltbegriffs richtende Gegenströmung erläutert. Des Weiteren wird die Frage aufgeworfen, ob die extensive, tatbestandserweiternde Auslegung des Gewaltbegriffes noch im Rahmen der erlaubten Auslegung bleibt oder über den Wortlaut des Gesetzes in die strafrechtlich verbotene Analogie abrutscht und somit gegen Art. 103 II GG verstößt. Abschließend befasst sich der Verfasser mit dem realen Problem- hintergrund der BSE-Krise und der Prüfung, ob die Massenvernichtung von ca. 2 Millionen Rindern zur Marktstabilisierung dem Gesetz zuwiderläuft.

2. Die Denkweise des Strafjuristen nach dem „Subsumtionsmodell“.

Unter juristischer Subsumtion ist jene Tätigkeit zu verstehen, mittels derer festgestellt wird, ob ein realer Sachverhalt unter die Voraussetzungen eines gesetzlichen Tatbestands fällt.[1]

Stimmen der Tatbestand (T) und der Sachverhalt (S) überein, so ergibt sich die spezifische, im Tatbestand angeordnete Rechtsfolge (R) aus einem Syllogismus.[2]

In der Rechtswissenschaft bedient man sich hierbei eines sogenannten deduktiven Syllogismus (Justizsyllogismus), bei dem von zwei Prämissen vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird.[3]

Im Obersatz, der praemissa maior, steht die erste, die allgemeine (normative) Prämisse. Sie sagt aus, welche Rechtsfolge (R) die gesetzliche Norm an die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes (T) knüpft. Im Untersatz, der praemissa minor, steht die besondere (empirische) Prämisse. Dort findet die Subsumtion statt, in der der gerichtlich festgestellte Sachverhalt (S) dem gesetzlichen Tatbestand (T) untergeordnet und mit diesem verglichen wird. Hierbei versucht der Jurist alle erheblichen Sachverhaltsbestandteile (Tatsachen) unter sämtliche Tatbestandsmerkmale der Norm zu subsumieren. Füllt der Sachverhalt (S) die gesetzlich normierten Voraussetzungen (T) eines Deliktes aus[4], löst er in der Schlussfolgerung oder conclusio die Rechtsfolge (R) aus.[5]

Im Verlauf des Subsumtionsvorganges bedient sich der Jurist also eines geeigneten Rechtssatzes, unterstellt den konkreten, aus dem Leben gegriffenen Sachverhalt dessen Tatbestand und versucht, aus dem Tatsachenstoff des Falls alle juristisch relevanten Faktoren herauszuarbeiten[6]. Wenn sämtliche Rechtsvoraussetzungen der Norm durch Tatsachen erfüllt sind, wird die abstrakt formulierte Rechtsfolge auf den konkreten Sachverhalt übertragen.[7]

Ziel der Subsumtion ist es, unter anderem, juristische Schritte zu leiten, nachvollziehbar zu machen[8] und durch eine einheitliche rechtswissenschaftliche Arbeit gerechte Ergebnisse zu gewährleisten.

3. Die Denkweise des Juristen anhand der Anwendung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt auf den vorliegenden Fall der Stitzdemonstration.

§ 240 I StGB setzt voraus, dass ein Mensch rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt wurde.

Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter das Opfer zu einem nicht gewollten Verhalten veranlasst und ihm seinen Willen aufzwingt. Dem Genötigten wird somit die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung genommen.[9]

Indem Friedrich von Spee ein totes Rind auf die Straße entlud und sich an einer Sitzblockade, die er selbst geplant hatte, beteiligte, um Autofahrer an der Durchfahrt einer öffentlichen Straße zu hindern, könnte er sich wegen vorsätzlicher Nötigung mit Gewalt gemäß § 240 I StGB strafbar gemacht haben.

Dafür müsste er zunächst das Nötigungsmittel der Gewalt oder der Drohung mit einem empfindlichen Übel verwirklicht haben.

Versucht man nun den Sachverhalt (2. Prämisse: Friedrich von Spee entlud ein Rind auf der Fahrbahn und blockierte mit seinen Kommilitonen die Weiterfahrt mehrerer Autofahrer) unter den Tatbestand (1. Prämisse: Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung nötigt (T), wird mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft (R)) zu subsumieren, wird deutlich, dass sich keine eindeutige Übereinstimmung erkennen lässt. Im Sachverhalt wird ein wichtiges Tatbestandsmerkmal des § 240 I StGB, das Nötigungsmittel der Gewalt, nicht erwähnt. Demzufolge ist es zunächst notwendig, den Begriff der Gewalt zu definieren, um deutlich zu machen, ob das Entladen des Rindes und das Blockieren der Straße Gewalt im Sinne des § 240 I StGB sind.

a) Darstellung des Meinungsstreites im Bezug auf den Gewaltbegriff.

Die Anwendung des Straftatbestandes der Nötigung mit Gewalt auf die Sitzblockade ist in Rechtssprechung und Lehre größtenteils sehr umstritten.

aa) die herrschende Meinung in der Rechtssprechung, zumindest der Oberlandesgerichte, sieht das Tatbestandsmerkmal der Gewalt auch bei einer passiven Sitzdemonstration für gegeben an, da die Phase der Bildung einer lebenden Barriere und des Sitzens auf der Straße zunächst einmal das aktive, mit körperlicher Kraftentfaltung verbundene „Sich-hinsetzen“ erfordert.[10] Des Weiteren setzt die menschliche Blockade bei dem Blockierten einen psychisch determinierenden Prozess in Gang, der es ihm unmöglich macht, seinen Willen durchzusetzen.

Diese extensive Auslegung der Gewalt ist das Ergebnis einer Entwicklung, in der immer mehr die Bedeutung der physischen Kraftentwicklung auf Seiten des Täters abnahm und durch das Merkmal der Zwangseinwirkung auf das Opfer ersetzt wurde.[11]

bb) Die Gegenansicht spricht von dieser Entwicklung als eine „Vergeistigung“ oder „Entmaterialisierung“[12] des Begriffes der Gewalt, dessen Auslegung in der Rechtssprechung immer mehr den Wortlaut des Gesetzes überschreite und somit gegen das Analogieverbot des Art. 103 II GG verstoße. Gewalt im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen wird von den Vertretern dieser Ansicht ausgeschlossen, da es dem Normadressaten durch die Unbestimmtheit des Begriffes der Gewalt nicht mehr möglich ist, vorhersehen zu können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.[13] Das passive Verhalten der Sitzdemonstranten kann nicht als Gewalt angesehen werden, da es sich lediglich um eine psychische Einwirkung auf das Opfer handelt, die physische Kraftanwendung, die die Gewalt erfordert, jedoch nicht gegeben ist.

b) Die Entwicklung des Gewaltbegriffes in der Rechtssprechung.

In der Rechtssprechung des RG wurde Gewalt zunächst als physische Einwirkung des Täters auf das Opfer bezeichnet, um einen tatsächlich

geleisteten oder bestimmt zu erwartenden Widerstand zu unterdrücken.[14] Mit dieser Definition werden die Fälle der vis absoluta erfasst, bei denen der Täter dem Opfer jede eigene Willensbildung oder Realisierung des Willens absolut unmöglich macht.[15]

1885 wurde auch das Verschließen der Tür eines Zimmers, wobei keine Gewalt an der Person ausgeübt wurde, vom RG als Gewalt im Sinne des § 240 StGB angesehen.[16] Diese Fälle werden als Fälle der vis compulsiva bezeichnet, bei denen nicht die Kraftentfaltung des Täters, sondern die körperliche Zwangswirkung beim Opfer als entscheidend angesehen werden.[17] Durch die Einwirkung auf den Körper des Opfers erzeugt der Täter einen psychischen Druck, der den Tatbestand der Nötigung mit Gewalt ebenfalls erfüllt.[18]

[...]


[1] Baumann, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 103.

[2] Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 271.

[3] Larenz aaO, S. 255 ff.

[4] Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 14.

[5] Larenz aaO. S. 255 ff, 271.

[6] Jeschek/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 17 1, S. 152.

[7] Pawlowski, Methodenlehre für Juristen , § 5 Rn.60.

[8] Pawlowski, aaO.

[9] BverfGE 92,1 ff., Beschluss vom 10.01.1995 = JZ 1995, 778.

[10] Brohm, JZ 1995, 504 ; auch BVerfGE 73, 243.

[11] Brohm, aaO.

[12] Scholz NStZ 1995, S. 419.

[13] BverfGE 92,1 ff, vom 10.01.1995 = JZ 1995, 778.

[14] RGSt 56, 88 ; Scholz, NStZ 1995 S.417.

[15] Rengier, Strafrecht BT II, § 240 Rn.3 ,S.106.

[16] Scholz, NStZ 1995, S.419.

[17] Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch , § 240, Rn7.

[18] Rengier, aaO

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Rechtsmethodologische und rechtsphilosophische Überlegungen zur strafrechtlichen Beurteilung der Sitzblockade, dargestellt am Einzelfall
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Juristische Fakultät)
Veranstaltung
Rechtsphilosophie I
Note
14
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V3342
ISBN (eBook)
9783638120456
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dicht - einzeiliger Zeilenabstand. Kommentar des Korrektors: Der Verfasser legt eine in formeller Hinsicht annähernd fehlerfreie Arbeit vor. Die Ausführung zum methodologischen Teil der Arbeit und zur Anwendung der theoretischen Kenntnisse sind sehr ! ordentlich. Die Darstellung des Problemhintergrundes gelingt gut. Dies gilt ebenfalls für die Auseinandersetzung mit den rechtlichen Bedenken des von Spee. Im Ergebnis eine sehr gelungene Arbeit im guten Bereich. 363 KB
Schlagworte
Nötigung gem. § 240 StGB, Sitzblockade, BSE, Subsumtion, Syllogismus, Auslegung, Art. 103 II GG, Gesetzlichkeitsprinzip, Massenvernichtung, Tierschutzgesetz, § 20a GG, § 90a BGB, § 1 Tier
Arbeit zitieren
Matthias Scieranski (Autor:in), 2001, Rechtsmethodologische und rechtsphilosophische Überlegungen zur strafrechtlichen Beurteilung der Sitzblockade, dargestellt am Einzelfall, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3342

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