Die Skulpturengruppe "Raptus der Proserpina" von Gianlorenzo Bernini


Seminararbeit, 2010

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitendes

2. Der Mythos des Raubes der Proserpina

3. Berninis Figurengruppe „Raptus der Proserpina“
3.1 Der Entwurfsprozess
3.2 Beschreibung der Gruppe
3.3 Mögliche Inspirationsquellen
3.4 Zur Ansichtigkeit
3.5 Zur Themenwahl
3.6 Zur Aufstellung der Skulpturengruppe

4. Abschließende Betrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitendes

Mit dem Namen Gianlorenzo Bernini verbindet man allgemein eine herausragende Künstlerpersönlichkeit, welche die Kunst Roms im 17. Jahrhundert wesentlich geprägt hat. Der Einfluss Berninis auf die Kunst seiner Zeit „übertrifft den jedes anderen Künstlers zuvor bei weitem“.1

Gianlorenzo Bernini wurde am 7. Dezember 1598 in Neapel als Sohn eines florentinischen Vaters und einer neapolitanischen Mutter geboren. Vermutlich hat gerade diese Mischung aus toskanischer Präzision und neapolitanischem Temperament seinen Charakter und seine Persönlichkeit geprägt. So beschrieb ihn sein Sohn Domenico später als ernste Natur, ruhig und beständig in seiner Arbeit, sowie leidenschaftlich in seinem Zorn.2

Die Familie zog im Jahr 1605 von Neapel nach Rom, da sein Vater, der Bildhauer Pietro Bernini, einen Auftrag von Papst Paul V. erhalten hatte.3 Von Anfang an schien es, als ob Gianlorenzo für eine glänzende Laufbahn als Bildhauer auserkoren war. Er wuchs in der Werkstatt seines Vaters auf, umgeben vom Lärm der Steinsägen, vom Schleifen, Bohren und Polieren des Marmors4 und erhielt dort auch seine Ausbildung.

Sein kometenhafter Aufstieg begann mit dem Patronat des Kardinalnepoten Scipione Borghese, welcher ihn zuerst mit Restaurierungen von Antiken, mit Kleinplastiken und dann auch mit der Anfertigung von großen Skulpturen für seine Sammlung in seiner Villa beauftragte. Antike Skulpturen waren sehr gefragt, und da diese nicht zahlreich genug gefunden wurden, entstand eine rege Nachfrage an solch skulpturalem Werk. Zu den frühen Werken Berninis für die Villa Borghese zählen „Aeneas und Anchises“ (1618/19), „Pluto und Proserpina“ (1621/22), der „David“ (1623/24) sowie „Apoll und Daphne“ (1622-25).5 Diese zeigen die sukzessive Steigerung seiner Meisterschaft in der virtuosen Behandlung des Marmors. Bernini scheint es in nahezu revolutionärer Art darauf anzulegen, den Rohstoff Marmor in der Bearbeitung an die äußersten Grenzen zu führen und ihn so zu modellieren, als handele es sich eher um eine weiche, teigige Masse als um harten Stein.6

In der vorliegenden Arbeit wird nun speziell auf die überlebensgroße Gruppe des Raubes der Proserpina eingegangen. Sie entstand in den Jahren 1621-22 und wurde unter nicht gänzlich geklärten Umständen von Scipione Borghese an den Kardinalnepoten des Papstes Gregor XV., Ludovico Ludovisi, geschenkt und 1623 in der Villa Ludovisi aufgestellt. Seit dem Jahr 1908 befindet sie sich in der Villa Borghese, für die sie eigentlich bestimmt war.7

Nachfolgend bringt ein kurzer Exkurs zu den literarischen Vorlagen des Proserpina-Mythos das Thema der Gruppe näher. Weiters wird neben der allgemeinen Beschreibung der Skulpturengruppe sowie die Vorarbeiten dazu auch auf Fragen nach der Ansichtigkeit, möglichen Inspirationsquellen, Motivwahl und Aufstellung eingegangen.

2. Der Mythos des Raubes der Proserpina

„Frühling ist ewig im Hain. Als hier Proserpina weiland Spielete, sanfte Violen und silberne Lilien brechend;

Als sie mit kindlicher Lust sich die Körb’ und den Schoß des Gewandes Anfüllt’, und zu besiegen die Freundinnen eifert’ im Sammeln, Wurde zugleich sie gesehen und geliebt und geraubet von Pluto. Also durchstürmt ihn die Flamme! Sie rief, die erschrockene Göttin, Mutter und Freundinnen an, doch häufiger rief sie die Mutter, Bang’; und indem das Gewand zerriss am obersten Rande, Sanken aus gleitendem Rocke hinab die gesammelten Blumen: Und, so lauter noch war die junglich heitere Unschuld!“8

So schildert Ovid in seinen Metamorphosen den Raub der Proserpina in gedrängten Versen.9 Proserpina ist die Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, welche eines Tages beim Blumenpflücken mit ihren Freundinnen vom Unterweltsgott Pluto erblickt wurde. Dieser verliebte sich in Proserpina, raubte das überraschte Mädchen und entführte sie in sein düsteres Reich. Ceres zog tief betrübt über die Erde auf der Suche nach ihrer Tochter. In ihrer Trauer und Verzweiflung weigerte sie sich, Getreide und Früchte auf Erden wachsen zu lassen. Da die Menschen zu verhungern begannen, sah Jupiter sich gezwungen, einzugreifen. So wollte er Proserpina gestatten, zu ihrer Mutter zurückzukehren, sofern sie in der Unterwelt noch nichts gegessen hatte. Jedoch hatte Pluto sie bereits dazu überredet, Granatapfelsamen zu essen - ein Symbol der Heirat. Daher wurde ein Kompromiss geschlossen: Zwei Drittel des Jahres durfte Proserpina auf der Erde bei ihrer Mutter verbringen, während sie den Rest des Jahres in der Unterwelt an der Seite Plutos verharren musste. Während der Zeit, in der Proserpina in der Unterwelt verweilte, trauerte ihre Mutter auf der Erde, sodass die Früchte verschwanden und es Winter wurde.10 Somit bot dieses „geteilte Aufenthaltsrecht“ der Proserpina in der Antike eine plausible Erklärung für den Jahreszeitenwechsel.11

Ausführlicher wird die Geschichte des Raubes der Proserpina im Gedicht „De Raptu Proserpinae“ von Claudianus beschrieben. Er hebt darin besonders hervor, dass mit dem Eintritt Proserpinas in die Unterwelt ein hohes Fest des Schattenreiches ausbricht, mit dem auch auf der Erdoberfläche ein neuer Glückszustand für die Irdischen verbunden ist. So heißt es, dass niemand mehr stirbt auf der Erde, dass die Städte dadurch erstarken und ein Frieden „wie im Goldenen Zeitalter“ angebrochen zu sein scheint. Daraufhin beruft Jupiter eine Götterversammlung ein, um wieder „die Sorge und den Bedarf als Antriebe für praktisches Handeln und für den erfinderischen Eifer“ unter die Menschen zu bringen. Weiters verlange Allmutter Natur danach, „dass wieder ersprießliche Pflege einkehre und würdiges, das Geschöpf veredelndes Streben die Menschen beseele“.12

Bernini verewigte das dramatische Geschehen des Raubes der Proserpina auf der Grundlage dieser zwei literarischen Vorlagen in seiner Marmorskulptur für Scipione Borghese.

3. Berninis Figurengruppe „Raptus der Proserpina“

3.1 Der Entwurfsprozess

Die Entwicklung der Skulpturengruppe des Raubes der Proserpina kann anhand einer Rötelskizze in Leipzig, welche als früheste datierbare Zeichnung13 aus der Hand Berninis gilt, verfolgt werden. Jedoch liegt der hier dargestellten Gruppe, die noch sehr antiken Darstellungen verwandt zu sein scheint, ein anderes Haltungsmotiv zugrunde.14 Es wird nicht der Vorgang des Raubes dargestellt, sondern es geht um die Visualisierung eines Kampfes zweier muskelkräftiger Gestalten. Denn in dieser Skizze ist auch Proserpina in ähnlich muskulöser Weise dargestellt wie Pluto, was an den kraftvollen Konturkurven zu erkennen ist.15

Pluto ist in weitem Ausfallschritt dargestellt, wobei das Moment des Stehens über dem des Laufens überwiegt. Er hat Proserpina emporgehoben und hält sie in festem Griff umklammert diagonal vor seinem Oberkörper. Proserpina wehrt sich heftig und versucht mit dem linken gestreckten Arm den Kopf Plutos und mit dem rechten Arm die linke Hand ihres Gegners wegzudrücken. Ihr Oberkörper ist weit zurückgebogen und ihr Kopf so weit wie möglich von Pluto abgewendet. In der Kraftanstrengung des Kampfes hat sie widersprüchlicher Weise das linke Bein um Pluto geschlungen, als hätte sie Angst, abzurutschen.16 Bernini dienten möglicherweise Holzschnitte in einschlägigen Ovid-Ausgaben der Metamorphosen, wie beispielsweise der venezianische Erstdruck von 1497, als Anregung für diese Darstellungsweise.17 Weiters erinnert dieser dramatische Kampf an die Bronzegruppe „Herkules und Antäus“ von Pietro Tacca. Ähnlichkeiten sind in Stand und Griff des Herkules im Vergleich mit dem Pluto aus der Zeichnung zu sehen, sowie bei Antäus, der sich mit beiden Armen wegstoßt und den Kopf abgewendet hat.18

[...]


1 Uwe Geese, Skulptur des Barock in Italien und Zentraleuropa, in: Die Kunst des Barock. Architektur, Skulptur, Malerei; hrsg. von Rolf Toman; Tandem Verlag GmbH 2007, S. 278

2 Rudolf Wittkower, Gian Lorenzo Bernini. The sculptor of the roman baroque. London 1955, S. 2

3 Geese, 2007, S. 278

4 Charles Avery, Bernini, München 2007, S. 19

5 Hildegard Kretschmer, Skulptur des 17. Jahrhunderts in Italien und Deutschland, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter KAb4, 2005, S.36

6 Howard Hibbard, Bernini, Harmondsworth, 1965, S. 45

7 Dorthe Nebendahl, Der Raub der Proserpina von Gian Lorenzo Bernini, Kap. 5; in: Die schönsten Antiken Roms: Studien zur Rezeption antiker Bildhauerwerke im römischen Seicento; Worms, 1990, S. 102

8 http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1985&kapitel=26&cHash=8a4515a593meta053#gb_found, 19. 3. 2010

9 Hans Kauffmann, Giovanni Lorenzo Bernini. Die figürlichen Kompositionen; Berlin 1970, S. 50

10 Arthur Cotterell (Hrsg.), Mythologie. Götter, Helden, Mythen; Parragon Books Ltd, 2008, S. 62

11 Kauffmann, 1970, S. 50

12 Kauffmann, 1970, S. 50

13 Avery, München, 2007, S. 49

14 Nebendahl, 1990, S. 105

15 Rudolf Kuhn, Ars Faciendi. Beiträge und Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 5; Gian Lorenzo Bernini. Gesammelte Beiträge zur Auslegung seiner Skulpturen; Frankfurt am Main, 1993, S. 79

16 Nebendahl, 1990, S. 105f.

17 Kauffmann, 1970, S. 43

18 Avery, München, 2007, S. 49

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Skulpturengruppe "Raptus der Proserpina" von Gianlorenzo Bernini
Veranstaltung
Seminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
22
Katalognummer
V333971
ISBN (eBook)
9783668236448
ISBN (Buch)
9783668236455
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gianlorenzo Bernini, Proserpina, Kunstgeschichte, Skulpturen
Arbeit zitieren
MA Angelika Wöss (Autor:in), 2010, Die Skulpturengruppe "Raptus der Proserpina" von Gianlorenzo Bernini, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/333971

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