Literaturkritik im Exil - Widerstreit zwischen Politik und Ästhetik. Diskurse über die Ideologiebildung des "sozialistischen Realismus"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Aufgaben der Literaturkritik im Exil
2.1 Aufgabe der Verbindung von Politik mit Ästhetik
2.2 Aufgabe der politischen Zensur: Ausgrenzungskritiken

3. Exilzeitschriften
3.1 Exilzeitschrift Internationale Literatur/ Deutsche Blätter
3.1.2 Gründung und Geschichte der Zeitschrift IL
3.1.3 Literarische und kritische Beiträge der IL
3.2 IL im Vergleich mit „Das Wort“
3.3 Exilzeitschrift „Das Wort“:
3.3.1 Gründung und Geschichte der Zeitschrift „Das Wort“
3.3.2 „Das Wort“ in Zusammenarbeit mit der IL
3.3.3 Literarische und kritische Beiträge in „Das Wort“

4. Johannes R. Becher
4.1. Becher und die Literatur
4.2. Becher und die Literaturkritik
4.3. Becher und der Marxismus

5. Schriftstellerkongresse

6. Sozialistische Literatur

7. Sozialistischer Realismus

8. sozialistisch-kommunistische Literaturtheorie und Literaturkritik

9. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

Aufgabe der Literaturkritik war vor wie während des Exils die öffentliche Kommunikation über Literatur. Und immer schon trug Literaturkritik dabei zur Ideologiebildung bei. Die intellektuellen und institutionellen Grundlagen literarischer Kommunikation erfuhren allerdings nach 1933 tiefgreifende Veränderungen und bewirkten einen Wandel ihrer gesellschaftlichen Funktion.

Im Folgenden soll gezeigt werden, in welchem Maße sich die Maxime der Ideologie als literaturkritischer Wertmaßstab im Exil über andere Analyseaspekte legte, welche Diskurse über diesen Umstand stattfanden und wie insbesondere sie sozialistische Exilliteratur reagierte, in deren Schriftstellerkreisen Johannes R. Becher eine tragende Rolle spielte.

Die während des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte Literatur wurde ganz und gar vom Zeitgeschehen beherrscht. Zahlreiche Autoren wurden zur Emigration gezwungen, andere verstummten oder durften nicht mehr publizieren.

Doch auch die Literaturkritik vor 1933 reflektierte bereits innerhalb des ästhetischen Bereichs „jene fortschreitende politisch-ideologische Polarisierung des intellektuellen Kräftefeldes“, welche schon in der Weimarer Republik vorherrschte, und welche den Zerfall der demokratisch orientierten politischen Öffentlichkeit begleitete.[1]

Dementsprechend war der literaturkritische Diskurs nicht einheitlich, sondern spaltete sich in eine bürgerlich-konservative Literaturkritik, eine linksbürgerliche Kritik und in zunehmender Frontstellung zu beiden die sozialistisch - kommunistische Literaturkritik, welche sich für eine unmittelbar politisch-funktionale Literatur aussprach; und dann gab es letztlich noch eine völkisch - antisemitische Literaturkritik. Bereits in der Weimarer Republik bildete sich also durch die politische Entscheidungssituation eine Polarisierung der literarischen Intelligenz heraus. Doch der Machtantritt der Nationalsozialisten von 1933 brachte für die gesamte literarische Öffentlichkeit besonders einschneidende Veränderungen. Mit der offiziellen Verordnung „völkisch“ - nationalsozialistischer Kunst und der Repression alles „Artfremden“ spaltete sich die Literatur de facto in zwei ideologisch und bald auch geographisch getrennte Systeme. Die aus politischen oder konfessionellen Gründen in die Emigration getriebene literarische Intelligenz sammelte sich außerhalb des nationalsozialistischen Machtbereichs, wobei sich ihre politisch-weltanschauliche Gruppierung und Organisation in Strukturen des im Exil errichteten Produktions- und Distributionsapparats (Verlage, Druckereien, Buchhandlungen, Presse und Publizistik) sowie den Repräsentationsorganen des literarischen Lebens (kulturelle Organisationen) niederschlug.[2]

Institutionelle Bindungen gewannen gerade in dem „geographisch zersplitterten und ökonomisch geschwächten Kommunikationsraum“ des Exils erhöhte Bedeutung für die Durchsetzung literaturkritischer Positionen.[3]

Für eine wirkungsträchtige literaturtheoretische Position war „die Einbindung in ein literaturtheoretisches Konzept“ und die Bindung an eine Zeitschrift Voraussetzung.[4]

Die exilspezifische Tendenz zur Auflösung berufsmäßigen Spezialistentums bewirkte einen Wandel des Kritikertypus, in dessen Folge der rezensierende Schriftsteller den literarischen Journalisten verdrängte. Ein weiterer zu erwähnender Aspekt ist die Internationalität, die in der Exilkritik eine große Rolle spielte. Da der reichsdeutsche Leser kaum mehr erreicht werden konnte, kam als Publikum und Leserschaft nur mehr Mit-Emigranten und Leser des deutschsprachigen Auslands in Betracht. Doch nicht nur die Konstituierung einer Leserschaft, sondern auch die der Literaten wie der Kritiker im Exil als Kollektiv, war aufgrund der Heterogenität der Emigranten äußerst schwierig. Hinzu kam die Diversität individueller Schreibhaltungen und die unterschiedliche Einschätzung des Nationalsozialismus sowie seiner historischen Ursachen. Die Exilschriftsteller wie deren Literatur waren keine homogene Masse an Flüchtlingen, sondern ein „gut besetztes Orchester mit sehr verschiedenartigen Instrumenten“[5]. Es wird auch von einer „Zerklüftung des Exils“ gesprochen.[6] Im Folgenden sollen verschiedene Aspekte des literarischen Exillebens dargestellt werden, wodurch die Heterogenität, Vielfalt und Problematik der Situation von 1933 bis 1945 deutlich werden sollte.

2. Aufgaben der Literaturkritik im Exil

2.1 Aufgabe der Verbindung von Politik mit Ästhetik

Die Hauptaufgaben der Literaturkritik im Exil drehten sich um die Herausbildung ästhetischer Wertmaßstäbe in der gleichzeitigen Abgrenzung zum nationalsozialistischen Literaturbetrieb. Die Diskussion um eine angemessene Ästhetik im Sinne des antifaschistischen Kampfes war stets präsent. Ästhetisch- literarische Fragestellungen waren immer auch politische. D.h. politische Inhalte und Tendenzen von Literatur wurden nicht mehr losgelöst von ästhetischen Kriterien diskutiert. Gleichzeitig bestand die Forderung an die Literaturkritik, nicht nur Reklame zu liefern, sondern inhaltsorientiert zu sein und ideologische Kriterien mit ästhetischen Kategorien zu verbinden.[7]

In der Literaturkritik wurde sich vorwiegend mit den Werken der emigrierten Schriftsteller beschäftigt und nur zum Teil mit den literarischen Werken und Institutionen des Dritten Reichs, wobei hier der Übergang zur politischen Publizistik fließend war, die sich in polemischen Glossen oder essayistischen Analysen gegen die staatlich-parteilich gelenkte Kunst äußerte.

Anna Sehgers äußerte sich in Bezug auf die Literaturkritik in einem Brief an Georg Lukács, in dem sie schreibt: „...Nur dann kann man in unsrer Kritik solche Fehlurteile vermeiden, die teils auf ein völlige Verschüttung jedes unmittelbaren künstlerischen Gefühls zurückzuführen sind, teils auf die Unfähigkeit, über einen unmittelbaren Eindruck hinauszukommen.“[8] Auch Johannes R. Becher bewertete 1938 den Stand der Literaturkritik kritisch:

„Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Fehlen einer führenden Kritik in unseren Zeitungen und Zeitschriften das realistische Wachstum unserer Literatur keineswegs fördert. Wir leisten zu geringen Widerstand jener oberflächlichen lobhudelnden Kritik, wie wir sie allerorts antreffen. (...) Gerade in der Literatur ist das Moment der Überzeugung das Ausschlaggebende, eine literarische Methode bewährt sich nach wie vor am besten im freien Wettkampf der Leistungen...So ist es mehr als misslich, wenn eine Kritik nur aus einer Inhaltsangabe und dem freundlichen Lächeln des Kritikers besteht und keinerlei mutigen prinzipiellen Standpunkt vertritt, der den Schriftsteller seiner Stellung zum Ganzen zeigt...“[9]

Die Qualifizierung der Literaturkritik war also eine Aufgabe der sich Schriftsteller und Kritiker bewusst stellten. Allerdings wurde meist die Kritik von belletristischen Werken berücksichtigt, und historische und politische Bücher eher ausgeklammert.

Im Mittelpunkt der Rezensionspraxis standen insbesondere diejenigen Prosaformen, die die Wirklichkeit des Nationalsozialismus und des Exils direkt thematisierten. Die Literaturkritik trug so zur Herausbildung neuer Formen des Zeitromans wie dem Deutschland - und Exilroman bei. Die Rezeptionen waren fast durchgängig orientiert an den Kriterien Aktualität und Authentizität, so wurden auch nichtfiktionale und pragmatische Texte in der Literaturkritik berücksichtigt. Die Literaturkritik des Exils war orientiert an einer ideologischen, engagierten, eingreifenden Literatur, mit dem Ziel, linksbürgerliche und sozialistisch-kommunistische Literaturkritiker – und Produzenten einander an zu nähern.[10]

2.2 Aufgabe der politischen Zensur: Ausgrenzungskritiken

Die Literaturkritik des Exils hatte insgesamt eine hohe politische Verantwortung, gerade dadurch, dass sie den untrennbaren Zusammenhang von politischer und literarischer Kritik offensichtlich machte. Ein Problem lag zum Teil in der ungenügenden Berücksichtigung der faschistischen Literaturverhältnisse. Und wenn sie besprochen wurden, erfuhren die nichtemigrierte Autoren meist harte Ausgrenzungsdiskurse. Dabei handelte es sich oftmals nicht nur um sachliche, sondern auch persönliche Auseinandersetzungen unter den Schriftstellerkollegen, wobei diejenige, dann auch von der Kritik „attackierte Person, mit der künstlerischen Problematik ihres Werkes verschmolz“. Ausgrenzungspolitik wurde mit Blick „auf die Selbstdefinition und Stabilisierung der Exil-Öffentlichkeit“ betrieben. Von den Kritikern des Exils wurde zunehmend erwartet, dass sie auch „Formen des beredten Schweigens“ erkannten und Verschlüsselungen von literarischen Aussageintentionen bedachten.[11] Doch da sich der NS-Alltag den exilliierten Kritikern entzog, blieben sie hinter diesem Anspruch allzu oft zurück. Der sekundäre Verweischarakter innerhalb bestimmter Werke auf das faschistische Deutschland wurde oft nur ungenügend entziffert und der entsprechende Autor dann gegebenenfalls zu unrecht ausgeschlossen. Zum Beispiel Hans Fallada, der sich mit dem Nationalsozialismus künstlerisch zu arrangieren versuchte, wurde von Kurt Kersten analysiert und scharf verurteilt. Dabei bezog Kersten die mögliche Funktion dieser teilweisen Anpassung Falladas nicht in seine Kritiken mit ein. Johannes R. Becher hingegen bemühte sich Schriftsteller wie Fallada zu schützen, in dem er ihn trotz politischer Unklarheiten als wichtigen und guten Schriftsteller empfahl.[12]

Die Debatten um Ausdrucksformen antifaschistischen Schreibens im Exil bildeten eine Hauptkomponente der Exil-Kritik. Und Tatsache war, dass in der Regel mit den Schwächen eines Werkes die Kritik zugleich auch die Schwächen der Person des Autors kenntlich machen wollte. Es wurden teilweise zu enge Verbindungen vom literarischen Werk und der Biografie des jeweiligen Autors gezogen.[13]

Von größerem Gewicht für die Bewusstseinsbildung der Exilöffentlichkeit waren jene Literaturkritiken, die konkret auf die Herausforderungen der historischen Situation reagierten, und einer simplifizierten Sicht Hitler-Deutschlands sowie eine Dämonisierung[14] des faschistischen Alltags entgegenwirkten. Detail – und Mikroanalysen der faschistischen Kulturpolitik waren einflussreich und von großer Bedeutung.

3. Exilzeitschriften

Die ideologiekritische Analyse der NS-Literatur, die auch eine Analyse der literarischen Form einschloss, war ein konzeptioneller Bestandteil der Exilzeitschriften, doch die kritische Analyse der im Exil entstehenden Literatur und die literaturkritische Diskussion um eine den Erfordernissen des antifaschistischen Kampfes angemessene Ästhetik war ihre wohl mit Abstand umfangreichere und wichtigere Komponente.[15]

Die literarische Problematik schloss eine politische ein. Literatur wurde zunehmend für eine antifaschistische Bewusstseinsbildung operrationalisiert. Doch andererseits wurden politische Inhalte und Tendenzen von Literatur auch nicht mehr losgelöst von ästhetischen Kriterien diskutiert. Dies gilt auch für die marxistische Realismusdiskussion, die sich seit dem 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller im Jahre 1934 entwickelte. Gesellschaftstheorie und ästhetische Theorie gingen mehr und mehr eine Synthese ein. (Siehe Kapitel zu Johannes R. Becher, der in seiner Rede „Aus der Welt des Gedichts“ Kritik an der sehr inhaltlichen Literaturkritik übte.)[16]

3.1 Exilzeitschrift Internationale Literatur/ Deutsche Blätter

Ein Beispiel für die Schwerpunktsetzung auf kommunistisch-sozialistische Themen in der Literaturkritik war die Exilzeitschrift Internationale Literatur/ Deutsche Blätter (in der Folge kurz IL genannt).

Die IL war das Zentralorgan der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller. Vorsitzender derselben und Herausgeber der IL war Johannes R. Becher. In der Redaktion der Zeitschrift gingen alle in Moskau ansässigen deutschen Schriftsteller ein und aus. Johannes R. Becher war der Kontakt mit den Autoren sehr wichtig und er nahm ihn sehr ernst. Seine Briefe bedeuteten den Schriftstellern viel:

...“Das Wissen um ein neues werdendes Zentrum deutscher Freiheitlichkeit und sozialistischer, fest gegründeter Neuordnung kam aus diesen kargen Botschaften wie aus den Heften der Internationalen Literatur und jenes vortrefflichen Worts, das von Bredel in Moskau, von Brecht in Dänemark und von Feuchtwanger in Südfrankreich herausgegeben wurde.[17]

[...]


[1] Krohn: Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. 1998. S.1010.

[2] Ebenda. S.1011f.

[3] Ebenda.

[4] Hohendahl: Geschichte der deutschen Literaturkritik. 1985. S.287.

[5] Kantorowicz: Politik und Literatur im Exil. 1978, S.26.

[6] Ebenda. S.28.

[7] Becher: Aus der Welt des Gedichts. S.45 .

[8] Jarmatz; Barck; Diezel: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945. 1979, S.214.

[9] Ebenda.

[10] Krohn: Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. 1998. S.1010f.

[11] Hohendahl: Geschichte der deutschen Literaturkritik. 1985. S.294.

[12] Ebenda. S.295.

[13] Ebenda. S.291.

[14] Ebenda. S.289 u. S.295.

[15] Hohendahl: Geschichte der deutschen Literaturkritik. 1985. S.287.

[16] Ebenda.

[17] Seidel; Riedel: Internationale Literatur. 1985. S.8.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Literaturkritik im Exil - Widerstreit zwischen Politik und Ästhetik. Diskurse über die Ideologiebildung des "sozialistischen Realismus"
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (NdL und Medien)
Veranstaltung
Literaturkritik im Exil
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V33275
ISBN (eBook)
9783638337946
ISBN (Buch)
9783638901895
Dateigröße
589 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturkritik, Exil, Widerstreit, Politik, Diskurse, Ideologiebildung, Realismus, Literaturkritik, Exil
Arbeit zitieren
Ann-Katrin Kutzner (Autor:in), 2004, Literaturkritik im Exil - Widerstreit zwischen Politik und Ästhetik. Diskurse über die Ideologiebildung des "sozialistischen Realismus", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33275

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Literaturkritik im Exil - Widerstreit zwischen Politik und Ästhetik. Diskurse über die Ideologiebildung des "sozialistischen Realismus"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden