Sozialpädagogik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Ghana


Diplomarbeit, 2002

102 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entwicklungszusammenarbeit
2.1 Die Entwicklungsstrategien
2.1.1 Nationale Entwicklungsprogramme
2.1.2 Der Beitrag der internationalen Entwicklungszusammenarbeit
2.2 Die Entwicklungstheorien
2.2.1 Die Wachstumstheorie
2.2.2 Die Modernisierungstheorie
2.2.3 Die Grundbedürfnisstrategie
2.2.4 Die neue Weltwirtschaftsordnung als Gegenmodell der südlichen Länder
2.2.5 Das Konzept der angepassten Entwicklung
2.2.6 Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung
2.3 Merkmale und Probleme südlicher Länder
2.3.1 Die Rahmenbedingungen
2.3.2 Gesellschaftliche Strukturen in südlichen Ländern
2.3.3 Ausgewählte Problemfelder in südlichen Ländern

3 Sozialpädagogik in der Entwicklungszusammenarbeit
3.1 Westliche Sozialarbeit und südliche Länder
3.1.1 Die Entstehung der Sozialarbeit
3.1.2 Die Sozialarbeit im Süden
3.1.2.1 Traditionelle Bewältigungssysteme
3.1.2.2 Die Auswirkungen der Kolonialisierung auf traditionelle Sicherheitssysteme
3.1.2.3 Die Übertragung der Sozialarbeit auf den Süden
3.1.2.4 Die Professionalisierung der sozialen Arbeit im Süden
3.1.3 Konzeptionelle Überlegungen der südlichen Länder
3.2 Sozialarbeit im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
3.2.1 Sozialarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit
3.2.2 Sozialarbeiter in den Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit

4 Sozialarbeitsrelevante Konzepte und Strategien
4.1 Das Konzept zur Armutsbekämpfung
4.2 Methodische Einteilung des Aktionsprogrammes
4.3 Exemplarische Ansätze und Methoden
4.3.1 Partizipation
4.3.2 Gender im Partizipationsansatz
4.3.3 Empowerment
4.3.4 Community Development
4.3.5 Community Entry

5 Projektarbeit am Beispiel des "Sacred Heart Girls Club" in Ghana
5.1 Kurzbeschreibung Ghana
5.2 Die Methode der Datenerfassung
5.3 Partizipation der Zielgruppe am Projekt

6 Interkulturelle Kompetenzen

7 Entwicklungszusammenarbeit als Interventionsfeld von Sozialarbeit

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Diplomarbeit versucht Sozialpädagogik und Entwicklungszusammen-arbeit in einer gemeinsamen Betrachtung zu verbinden, also zwei Tätigkeitsbereiche, die trotz gestiegener gegenseitiger Wahrnehmung immer noch durch eine erhebliche Distanz gekennzeichnet sind. Die Frage nach gemeinsamen Grundlagen für eine stärkere gegenseitige Berücksichtigung ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Einerseits tendiert die Zahl der Sozialpädagogen, die sich für einen Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit bewerben, seit Jahren auf konstant hohem Niveau. Ausbildungsinhalte und Theoriebildung schenken diesem Sachverhalt jedoch kaum Beachtung. Andererseits sind Sozialpädagogik und Entwicklungszusammenarbeit durch ein übereinstimmendes Ziel geleitet, nämlich Menschen bei der Verbesserung ihrer Lebenssituation zu unterstützen.

Die Arbeit baut sich aus vier thematischen Schwerpunkten auf. Im ersten Kapitel wird auf den theoretischen Hintergrund der vergangenen sowie der gegenwärtigen Entwicklungszusammenarbeit eingegangen. Vor dem Hintergrund des Themas "Sozialpädagogik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit" bildet dies die Grundlagenuntersuchung. Weiterhin wird auf die Umwelt, in welche sich Sozialpädagogik in den Ländern des Südens eingliedern muss, eingegangen. Da Sozialpädagogik sich aus ihrer Umwelt definiert, stellt auch dies eine Grundlagenuntersuchung dar.

Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der Verbindung von Sozialpädagogik und Entwicklungszusammenarbeit. Dabei wird zunächst die im Süden bestehende Sozialpädagogik und daran anschließend die im Rahmen der Entwicklungszusammen-arbeit mögliche Sozialpädagogik betrachtet.

Daraus resultierend wird sich der dritte Teil unter dem Aspekt der Relevanz für die Sozialpädagogik, mit Konzepten der Entwicklungszusammenarbeit auseinander setzen. Grundlegende Strategien und Ansätze, die eine Schnittstelle der Entwicklungs-zusammenarbeit und der Sozialpädagogik darstellen, werden aufgeführt. Der Schwerpunkt wird dabei auf den direkten Praxisbezug gelegt.

Im vierten Teil der Arbeit sollen Praxiserfahrungen aus einem Projekt in Ghana mit Schwerpunkten der derzeitigen Entwicklungsdekade verknüpft werden. Hierbei wird die eminente Relevanz der interkulturellen Kompetenzen deutlich, die anschließend kurz vorgestellt werden.

Vorweg noch ein Hinweis zur Verwendung einiger Begriffe.

Die Bezeichnungen "Dritte Welt", "Entwicklungsländer", "rückständige Länder" u.ä. werden im Kontext dieser Arbeit bewußt vermieden, da die Verwendung eine für mich unzulässige Rangzuweisung enthält.

Die von mir verwendeten Begriffe "südliche bzw. westliche Länder" schienen mir die wertfreiesten zu sein. Ganz trifft dies jedoch nicht zu, da die Kategorie des Westens zu einem feststehenden Begriff geworden ist. Sie hat sich dabei von ihrer ursprünglichen, geographischen und politischen Bedeutung gelöst. Heute bezeichnet sie nicht nur die Länder mit freier bzw. sozialer Marktwirtschaft, hohem Lebensstandard und parlamentarischer Demokratie, sondern ebenso die diesen zugrundeliegenden Wertvorstellungen: rationale Weitsicht, individualistische und materialistische Einstellungen, bestimmte kulturelle Prägungen - eben den western way of life...

Und genau wie dieser Westen nicht immer im Westen liegt, liegen die hier als südliche Länder bezeichneten Länder nicht immer im Süden. Im folgendem soll vielmehr in dem gleichen Doppelsinn von geo-politischer und sozio-ökonomischer Bedeutung gesprochen werden.

Des Weiteren werden die Begriffe Sozialpädagogik und Sozialarbeit, sowie soziale Arbeit in dieser Arbeit als Synonyme verwendet, da es eine Angleichung der Bereiche in der Praxis gibt und im Studium diese ebenfalls gleichgestellt werden. Die jeweilige Wahl der Begriffe ist dementsprechend eher dem Lesefluss des Textes entsprechend gewählt und beinhaltet keine Wertung oder Ausgrenzung.

2 Entwicklungszusammenarbeit

Seit vierzig Jahren begleitet die Entwicklungszusammenarbeit, die bis in die achtziger Jahre offiziell noch Entwicklungshilfe genannt wurde, nun das Weltgeschehen. Ihre Formen und Zielsetzungen haben sich aufgrund veränderter Bedingungen und Vorgaben anpassen müssen. Dabei ist Entwicklungszusammenarbeit untrennbar mit Ent-wicklungspolitik verbunden. Entwicklungszusammenarbeit ist das Instrument ihrer Durchführung.

Bevor im Folgenden die wichtigsten Entwicklungsstrategien vorgestellt werden, soll zunächst mit einer Begriffsbestimmung eingeleitet werden. Denn bei der Beschäftigung mit der Entwicklungszusammenarbeit muss hinterfragt werden, was das Wort Entwicklung letztlich bedeutet. Dieser Begriff hat nicht nur einen historischen Wandel durchlaufen, er ist je nach politischer Option (z.B. kapitalistisch oder sozialistisch) anders auszulegen und unterliegt einer Abhängigkeit der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin, in der er gebraucht wird. NOHLEN (2000) schreibt: "Was unter Entwicklung zu verstehen ist, macht einen guten Teil der Entwicklungsproblematik selbst aus. Der Begriff ist weder vorgegeben, noch allgemeingültig definierbar, noch wertneutral, sondern abhängig von Raum und Zeit sowie insbesondere von individuellen und kollektiven Wertvorstellungen. Entwicklung ist folglich ein normativer Begriff, in dem Vorstellungen über die gewünschte Richtung gesellschaftlicher Veränderungen, Theorien über die Ursache von Unterentwicklung, Aussagen über die sozialen Trägergruppen und Ablaufmuster sozioökonomischer Transformationen, Entschei-dungen über das Instrumentarium ihrer Ingangsetzung und Aufrechterhaltung etc. einfließen" (a.a.O., S. 216).

An den drei folgenden Definitionen kann eben dieses gesehen werden.

Die Süd-Kommission[1] beispielsweise beschreibt Entwicklung als einen "Prozess, der es Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entfalten, Selbstvertrauen zu gewinnen und ein erfülltes und menschenwürdiges Leben zu führen. Entwicklung ist ein Prozess, der die Menschen von der Angst vor Armut und Ausbeutung befreit.

Sie ist der Ausweg aus politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unterdrückung... Eine wahre Entwicklung muss menschenzentriert sein. Das Volk handelt im eigenen Interesse mit dem selbst definierten Ziel, dessen Prozess es selbst kontrolliert" (a.a.O. nach Engelhard 2000, S. 19). Diese Definition enthält den Vorwurf der Ausbeutung und Unterdrückung, gleichzeitig zeigt sie aber auch das von den Mitgliedern der Süd-Kommission bevorzugte Instrumentarium zur Gestaltung von Entwicklung. Denn durch die Betonung der menschenzentrieten Entwicklung wird der Empowerment-Ansatz deutlich.

Eine weitere Begriffsbestimmung, in diesem Fall auf die vielfältige Dimensionen von Entwicklung ausgerichtet, liefert die Agenda für Entwicklung der Vereinten Nationen vom 11. November 1994: "Entwicklung [ist] in ihren vielfältigen Dimensionen zu sehen: Frieden, Wirtschaft, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Demokratie... Im Grunde muss es bei Entwicklung um Folgendes gehen: Verbesserung des menschlichen Daseins, Beseitigung von Hunger, Krankheit und Unwissenheit und Schaffung produktiver Arbeitsplätze für alle. Erstes Ziel muss es sein, der Armut ein Ende zu setzen und die vorrangigen Bedürfnisse aller Menschen auf eine Weise zu decken, dass dies auch von künftigen Generationen produktiv fortgeführt werden kann" (a.a.O. nach Engelhard 2000, S. 20). Hier wird vor allem der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt. Es werden die Ziele von Entwicklung aufgezählt, jedoch keine Methodenvorschläge zu deren Umsetzung gemacht.

Die Weltbank legt in ihrer Definition von Entwicklung besonderen Wert auf Wissen: "Wissen ist entscheidend für Entwicklung, weil alles, was wir tun, von Wissen abhängt. Um leben zu können, müssen wir aus den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, Dinge herstellen, die wir brauchen - und das setzt Wissen voraus. Und wenn wir morgen besser leben wollen als heute, wenn wir unseren Lebensstandard erhöhen wollen, müssen wir [...] die knappen Ressourcen in der Weise nutzen, dass unsere Bemühungen zu einer immer ertragsreicheren Nutzung führen. Auch das setzt Wissen voraus" (Weltbank 1998/99, S. 16). Auch in dieser Definition ist der Ansatz der nachhaltigen Entwicklung enthalten, die Definition ist aber weniger direkt auf die südlichen Länder bezogen. Festzumachen ist dies an dem Bezug auf Wissen (um verantwortungsvolle Ressourcennutzung) und nicht auf Armut, wie in den vorherigen Definitionen. Es spiegelt wieder, dass die Weltbank den für die westlichen Länder entscheidenden Schwerpunkt der nachhaltigen Entwicklung (vgl. Kapitel 2.2.6) in den Vordergrund rückt.

Eine eigene Definition von Entwicklung möchte ich nicht aufstellen, aber deutlich machen, was meiner Meinung nach von Relevanz ist. Die Grundsätze der Partizipation und des Empowerments sowie die Prinzipien zur Schaffung von nachhaltiger Entwicklung sollten wie selbstverständlich in alle Prozesse, die Entwicklung initiieren können, einfließen. Dabei sollten die (Grund-) Bedürfnisse der Ärmsten die überwiegende Priorität haben.

2.1 Die Entwicklungsstrategien

In diesem Kapitel sollen grundsätzliche Informationen zur Entwicklungszusammen-arbeit gegeben werden. Da es sich bei der Entwicklungszusammenarbeit um ein sehr komplexes, die ganze Welt betreffendes Phänomen handelt, kann dies im Rahmen dieser Arbeit nur auszugsweise geschehen.

2.1.1 Nationale Entwicklungsprogramme

Entwicklungshilfe findet im Gegensatz zur allgemeinen Meinung weniger durch westliche Länder als durch südliche Länder selbst statt (vgl. Koslowski 1995, S. 61). Meistens geschieht dies in Form von nationalen Entwicklungsprogrammen oder durch Süd-Süd-Beziehungen, etwa zwischen den OPEC-Ländern und den nordafrikanischen Staaten. Indische Entwicklungsprojekte werden zu etwa 80% aus eigenen Mitteln finanziert und fast 25% der Entwicklungszusammenarbeit weltweit wird von nicht westlichen Ländern geleistet (vgl. Kaiser/Wagner 1986, S. 253). Erst wenn die enormen Einkommensunterschiede zwischen westlichen und südlichen Ländern berücksichtigt werden, erhalten solche Zahlen das richtige Gewicht. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ableiten. Zum einen, dass die Verantwortung für Entwicklung sowohl bei den westlichen, als auch bei den südlichen Ländern liegt (vgl. Sing 1987, S. 62), zum anderen, dass westliche Entwicklungszusammenarbeit nicht überbewertet werden darf. (vgl. Koslowski 1995, S. 62).

Die Eigeninitiativen der südlichen Länder beruhen auf dem Konzept der self-reliance bzw. der collective self-reliance, d.h. des Versuches, Solidarität zwischen den südlichen Ländern zu üben, um die Abhängigkeit von den westlichen Ländern zu verringern (vgl. Richter 1984, S. 73). Zu einem der umfassensten nationalen Entwicklungsprogrammen zählt die von MAHATMA GANDHI in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in Indien und Sri Lanka gegründete Bewegung des Sarvodaya ("die Wohlfahrt aller")[2]. Weitere, bekannt gewordene, Initiativen stellen das von JOMO KENYATTAS, dem ersten kenianischen Präsidenten, entworfene Harambee ("lasst uns zusammenarbeiten")[3] und die vom ehemaligen tansanischen Präsidenten JULIUS NYERERE verkündete Politik des Ujamaa ("wie eine Familie leben")[4] dar (vgl. Schneider 1987, S. 59 und Kaiser/Wagner 1986, S. 72).

2.1.2 Der Beitrag der internationalen Entwicklungszusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit wird durch private und staatliche Entwicklungs-organisationen der bilateralen Zusammenarbeit sowie multilateralen Trägern geleistet.[5] Die geleistete Hilfe gliedert sich in Kapitalhilfe (Kredite und Zuschüsse), Technische Hilfe in Form von Warenhilfen und in Form von personeller Zusammenarbeit (Immaterielle Hilfe). Den größten Teil der Kredite vergibt die Weltbank. Kredite können zu verschiedenen Konditionen gewährt werden, wobei ihr Wert als Hilfe von ihrem grant equivalent, d.h. dem Anteil der enthaltenen Schenkung, abhängig ist. Ebenso wie diese werden auch alle anderen Formen der Entwicklungszusammenarbeit meist an Bedingungen geknüpft, die darin bestehen können, dass Waren im Geberland zu beziehen sind oder Fachpersonal aus den Geberländern zu relativ hohen Kosten beschäftigt werden muss. "Aid, therefore, can be seen as good business. It has been estimated, for example, that 93% of AID funds from the United States are spent directly in the US, and in Britain a former Minister of Overseas Development stated that probably about two thirds of his goverment's aid is spent on purchasing goods from Britain" (Hardyman/Midgley 1982, S. 265). Bei der multilateralen Zusammenarbeit sind finanzielle Auflagen, sowie eine genaue Kontrolle des Projektablaufs weniger ausgeprägt. Daher fordern die Länder des Südens verstärkt ihren Einsatz. Nach wie vor stellt aber die bilaterale Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ländern den größten Anteil dar, wobei sie zu fast 90% den jeweiligen ehemaligen Kolonialgebieten der westlichen Länder zukommt (vgl. ebd., S. 267).

2.2 Die Entwicklungstheorien

Seit den fünfziger Jahren wird in den westlichen Ländern auf (eher) theoretisch-wissenschaftlicher, in den südlichen Ländern auf (eher) praktisch-politischer Ebene nach einer Lösung für die gravierende Lage der südlichen Länder gesucht. Da dies jedoch mit Eingriffen in komplexe und interdependente gesellschaftliche Systeme verbunden ist, die in ihrer Wirkung kaum berechenbar sind, hatten die bisherigen Versuche nur wenig Erfolg. Dies führte dazu, dass immer neue Theorien und Strategien entwickelt worden sind. Die entscheidendsten sollen kurz vorgestellt werden.

2.2.1 Die Wachstumstheorie

Das Problem der Entwicklung der südlichen Länder wurde in den fünfziger und sechziger Jahren, als viele Staaten die Unabhängigkeit erlangten, evident. Zu dieser Zeit standen im wesentlichen drei ökonomische Theorien zur Verfügung, auf die die Formulierung einer Entwicklungspolitik zurückgreifen konnte:

Die ökonomisch-historische Theorie nach ROSTOW, die Außenhandelstheorie nach SMITH, RICARDO und HECKSCHER-OHLIN und die Wachstumstheorie nach HARROD-DOMAR (vgl. Engelhard 2000, S. 22). Bei allen Theorien wurde Entwicklung gleichgesetzt mit Wachstum. An dieser Stelle soll exemplarisch die Theorie nach ROSTOW vorgestellt werden. Er geht von fünf Entwicklungsphasen aus, die von allen Ländern durchlaufen werden, dabei handelt es sich um: die traditionelle Gesellschaft, die Übergangsgesellschaft, die Startgesellschaft, die reife Industrie-gesellschaft und die Massenkonsumgesellschaft. Nach der Kategorisierung von ROSTOW zeigt die historische Entwicklung, dass sich die westlichen Länder in der vierten und fünften Phase befinden, während das zentrale Problem der südlichen Länder in der dritten Phase liegt, in der es um den Ausbruch aus dem Teufelskreis der Armut[6] und um den Einstieg in einen sich selbst tragenden Wachstumsprozess geht (vgl. Engelhard 2000, S. 25). Nach dieser Theorie ist der Mangel an Kapital das entscheidende Wachstums-Hemmnis, welches durch einen big push überbrückt werden sollte. Als Vorbild galt dabei der MARSHALL-Plan, bei dem durch massive Wiederaufbauhilfe das "Wirtschaftswunder" im Nachkriegseuropa bewirkt wurde (vgl. Koslowski 1995, S. 54). Die Steigerung des Faktors Kapital wurde als notwendige und zugleich ausreichende Bedingung für die Entstehung eines Entwicklungsprozesses gesehen. Das Konzept findet sich in einem UN-Beriche von 1951, der als Beginn der internationalen Entwicklungspolitik gesehen werden kann (vgl. ebd., S. 55).

Die Wachstumstheorie erbrachte in der Praxis nicht den erwarteten Erfolg, da sie grundlegende Mängel aufwies. Über die Ursachen von (damals noch so genannter) Unterentwicklung und den Entwicklungsprozess an sich, wurden nur Aussagen ideologischer Natur gemacht. Selbst in Ländern mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens zeigte sich, dass der Zuwachs nur einer kleinen Elite zufloss. Erwartet wurde aber, dass das Bruttosozialprodukt je Einwohner rasch gesteigert werden könne und der Einkommenszuwachs auch die ärmsten Schichten erreichen, also sozusagen nach unten durchsickern würde (vgl. Menzel 1993, S. 135). Dieser trickle-down Effekt (das allmähliche Durchsickern) blieb aus (vgl. Passon 1999, S. 18). Unter anderem ist ein grundlegender Kritikpunkt an der Wachstumstheorie, dass der entscheidende Unterschied zwischen Wiederaufbau in Europa und Erstaufbau in den südlichen Ländern außer Acht gelassen wurde (vgl. Nohlen 2000, S. 801 f.).

Die Modernisierungstheorie

Die Besonderheiten der Modernisierungstheorie liegen darin, dass zum ersten Mal kulturelle und sozial-psychologische Faktoren als Komponenten für die Entwicklung benannt werden. Allerdings nicht als zu berücksichtigende Faktoren bei der Projekt-planung, sondern als Störfaktoren oder Ursachen der Unterentwicklung (vgl. Forster 1996, S. 111). Aus der Wachstumstheorie abgeleitet, geht auch die Moderni-sierungstheorie immer noch von einem Prozess der Nachahmung und Angleichung unterentwickelter Gesellschaften an die entwickelten Gesellschaften der westlichen Länder, als Vorbild und Ziel des Entwicklungsprozesses, aus. Anders ausgedrückt, Unterentwicklung ist ein frühes Stadium gesellschaftlicher Entwicklung und entspricht einem Übergangsstadium von der Tradition zur Moderne. Es sind also an Stelle der fünf Phasen, die südliche Länder durchlaufen müssen, hier als Ausgangs- und Endpunkte des Weges, Tradition und Moderne getreten. Im Laufe eines von außen in Gang gesetzten Prozesses sollen die traditionellen Werte, Denk- und Verhaltensweisen, sowie gesellschaftliche Strukturen dynamisiert und modernisiert werden (vgl. Nohlen 2000, S. 522). Interveniert wird dementsprechend durch einen Kulturwandel, (konkreter ausgedrückt durch die Veränderung des Bewußtseins, des Wertesystems, der Denk- und Verhaltensweisen) durch politische und administrative Modernisierung, (d.h. durch eine Steigerung der Effektivität) und schließlich durch eine gerechtere Verteilung (umgesetzt als Agrarreform und Einkommensverteilung) (vgl. Koslowski 1995, S. 56). Noch immer wurde erwartet, dass durch interne wirtschaftliche Anstrengungen und Umverteilungsprozesse (insbesondere durch eine Agrarreform) sowie durch Entwicklungszusammenarbeit mit den westlichen Ländern das Bruttosozialprodukt je Einwohner rasch gesteigert werden könne (trickle-down Effekt).

Kritisiert werden an der Modernisierungstheorie im wesentlichen die Fixiertheit des Modernitätsleitbildes auf die westlichen Länder, die analytisch fehlgreifende Definition von Tradition[7], die Konzentration der Problemperspektive auf interne Strukturen und die endogenen entwicklungshemmenden Faktoren.

Darüber hinaus die Tendenz zu monokausalen Erklärungsmustern und die realitätsfremde Integration in den Weltmarkt ohne Berücksichtigung der asymmetrischen Struktur der Wirtschaftsbeziehungen zwischen südlichen und westlichen Ländern (vgl. Nohlen 2000, S. 524).

2.2.2 Die Grundbedürfnisstrategie

Nachdem es in vielen südlichen Ländern nicht gelungen war, die Armut zu verringern, entstand die Grundbedürfnisstrategie. Diese Strategie versteht unter dem Begriff Entwicklung eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsmasse, mit dem Ziel der Selbstverwirklichung des Menschen. In den Mittelpunkt rückte daher die Bekämpfung der Armut, d.h. eine möglichst schnelle und umfassende Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und die Bereitstellung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen.

Zwei Kategorien von Grundbedürfnissen werden allgemein unterschieden (vgl. Engelhard 2000, S. 28):

- Materielle Grundbedürfnisse, auch basic needs genannt, wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitsversorgung, Trinkwasserversorgung und -entsorgung als notwendige Voraussetzungen für das Überleben
- Immaterielle Grundbedürfnisse, die basic human needs, wie Bildung, Unabhängig-keit, Rechtssicherheit, Selbstbestimmung der eigenen Lebensverhältnisse, Mitbetei-ligung an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen als Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben

Bei der Umsetzung der Grundbedürfnisstrategien waren Einsätze wie die Lebensmittelhilfe wieder möglich, obwohl diese bereits verworfen worden waren, da sie nicht die Selbständigkeit, sondern die Abhängigkeit förderten. Viele Regierungen südlicher Länder kritisierten aus diesem Grund die Strategie und nannten sie einen Versuch, von der von ihnen geforderten neuen Weltwirtschaftsordnung abzulenken und ihre Industrialisierung zu behindern.

2.2.3 Die neue Weltwirtschaftsordnung als Gegenmodell der südlichen Länder

Durch die 1973/74 von den OPEC Ländern drastisch erhöhten Rohölpreise waren besonders die südlichen Länder betroffen. Zum einen waren diese auf die Ölimporte angewiesen und zum anderen wurde die Nachfrage der westlichen Länder nach Rohstoffen, die zu den Hauptexportgütern der südlichen Länder zählen, durch die wirtschaftliche Rezession in den westlichen Ländern reduziert. Den südlichen Ländern blieb nur die Aufnahme weiterer Kredite, um ihre Erdölimporte zahlen zu können, wodurch ihre Schulden enorm anstiegen. Das gab den Anlass für sie eine neue Weltwirtschaftsordnung zu formulieren (vgl. Engelhard 2000, S. 32).

Mit dem Begriff neue Weltwirtschaftsordnung selbst ist im wesentlichen gemeint, dass die bisherigen internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen südlichen und west-lichen Ländern, von denen die westlichen Länder begünstigt sind, durch Reformen so verändert werden, dass die südlichen Länder stärker am Nutzen der Weltwirtschaft teilhaben. Begründet wurde die Forderung hauptsächlich durch zwei Argumente. Zum einen, dass die westlichen Länder zu einem Ausgleich der Schäden bereit sein müssen, die durch sie während der Kolonialzeit und auch danach durch den Neokolonialismus (z.B. durch ungerechte Handelsbeziehungen) angerichtet wurden. Zum anderen setzt die Partnerschaft zwischen den Ländern des Westens und den Ländern des Südens eine Gleichberechtigung voraus, die ausschließt, dass die südlichen Länder durch Handelshemmnisse benachteiligt werden. Deswegen sollen die westlichen Länder den südlichen Ländern in ihrer Entwicklung durch Ressourcentransfer helfen, bzw. zur Übertragung von Kapital, Technologie etc. verpflichtet werden (vgl. Nohlen 2000, S. 553).

Auf der 6. Sondergeneralversammlung von 1974 legten die südlichen Länder einen umfangreichen Forderungskatalog vor. Die Abbildung soll einen vereinfachten und zusammenfassenden Überblick ermöglichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die neue Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen erschien den Machteliten der südlichen Länder nicht nur erfolgversprechender, sondern auch einfacher, als die Umsetzung des Grundbedürfniskonzeptes (vgl. Engelhard 2000, S. 32).

Die wachsenden strukturellen Unterschiede der Länder des Südens führten jedoch dazu, dass ihre jeweiligen Interessen immer mehr voneinander abwichen. Durchgesetzt werden konnte letztendlich nur die Einrichtung eines gemeinsamen Rohstofffonds, der aber erst 1989, also 15 Jahre später, in Kraft treten konnte. Seine vollständige Funktion hat dieser Fonds nie erlangt, da sich die einzelnen zu vereinbarenden Rohstoff-abkommen sehr schwierig gestalteten und die Zahl der ehemals 104 beigetretenen Staaten ständig abnahm (vgl. ebd., S. 32).

Erst in den neunziger Jahren, durch die weltwirtschaftliche Entwicklung (Preisverfall von Rohstoffen, verstärkter Protektionismus, Strukturanpassungsprobleme und vor allem das Scheitern der Planwirtschaft) und durch politische Veränderungen (Ende des Ost-West-Konflikts, Rivalität zwischen den südlichen Ländern und den Ländern Osteuropas um die Finanzmittel aus Industrieländern) haben viele südliche Länder erkannt, dass ihre akuten Probleme nicht durch diese neue Weltwirtschaftsordnung zu lösen sind (vgl. Engelhard 2000, S. 32).

2.2.4 Das Konzept der angepassten Entwicklung

Das Scheitern aller vorangegangener Theorien hat zur Erkenntnis der Komplexität der Entwicklungsproblematik beigetragen. Eine Folge daraus war der Stillstand der Theorieproduktion. "Aus einer Reihe von Gründen schätzt man inzwischen die Erklärungskraft und Prognosefähigkeit der Groß- und Metatheorien ziemlich skeptisch ein, was angesichts der früheren Gewißheit, mit der man zentrale Fragen der Entwicklungstheorie beantwortet hat, allgemein als »Theoriekrise« empfunden wird" (Boeckh 1993, S. 110). Die Klarheit und Eindeutigkeit der Theorien ging verloren aber es wurden Konzepte zur Anlehnung erstellt. Bei dem Konzept der angepassten Entwicklung wird die einzige Möglichkeit, die Massenarmut zu überwinden darin gesehen, dass die südlichen Länder Bedingungen schaffen, durch welche die Betroffenen motiviert und befähigt werden, ihre eigene Entwicklung in die Hand zu nehmen, somit wirtschaftlich produktiv werden können und sich selbst helfen (Hilfe zur Selbsthilfe). Da die Voraussetzungen dazu von Land zu Land verschieden sind, gibt es keine allgemein gültigen Entwicklungskonzepte mehr. Angepasste Entwicklung bedeutet vielmehr, Orientierung an den jeweiligen unmittelbar "vor Ort" vorfindbaren Gegebenheiten. "Angepasst" lässt sich daher nicht generell definieren, sondern nur im konkreten Einzelfall. "Man lässt sich heute viel eher als früher auf multikausale oder wenigstens auf die Vielzahl relevanter Faktoren berücksichtigende Erklärungsansätze ein, selbst wenn die Stringenz der Theorie und die Reinheit des Modells darunter leiden sollten. Eklektizismus ist heute eher eine Tugend denn eine wissenschaftliche Sünde" (Boeckh 1993, S. 125).

2.2.5 Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung

"Das Ende des Ost-West-Gegensatzes hat die internationalen Beziehungen von ideologischem Ballast befreit" (Engelhard 2000, S. 39). Gleichzeitig wurde dadurch die globale Dimension von Entwicklung in den Mittelpunkt der entwicklungspolitischen Debatte gerückt. Heute konzentriert sich diese auf die weltweiten Kernaufgaben Armutsbekämpfung, Bildung, Gesundheit, Friedenssicherung, Abbau der internationalen Verschuldung, Organisation der Weltwirtschaft sowie Umwelt- und Ressourcenschonung (vgl. Nohlen 2000, S. 710). Die Grenzen der Belastbarkeit des Ökosystems Erde schränken die Möglichkeiten wirtschaftlichen Wachstums nach heutigen Bedingungen auf dem Globus nicht nur empfindlich ein, ihre Missachtung könnte auch die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzten (vgl. Engelhard 2000, S. 39).

Heute heisst Entwicklung deswegen: Die Herstellung menschenwürdiger Lebensgrundlagen für alle und die Sicherung dieser Lebensgrundlagen für künftige Generationen. Entwicklung ist nur dann realisierbar, wenn die sie tragenden Prozesse sozial und ökologisch verantwortbar sind (vgl. ebd., S. 39).

Durch die anerkannten Belastbarkeitsgrenzen des globalen Ökosystems hat sich das Verhältnis zwischen den westlichen und südlichen Ländern grundlegend geändert. Die westlichen Länder können in ihrer Lebensweise nicht mehr Vorbild sein, sondern sie selbst sind zu sozial und ökologisch verantwortlichem wirtschaftlichen Handeln herausgefordert.

Nachhaltige Entwicklung kennzeichnet sich also dadurch, dass neben der Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstums und sozialer Verantwortung für die Armen, jetzt die Dimension der ökologischen Verantwortung getreten ist.

Damit ist nachhaltige Entwicklung eine Aufgabe, die sich der gesamten Menschheit stellt, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

- Im Westen steht eine drastische Reduzierung der Umweltbelastungen und des Resssourcenverbrauchs an erster Stelle
- Im Süden ist es die Bekämpfung der Armut. Diese und ihre Folgen sind Auslöser zunehmender Umweltzerstörung und Umweltbelastung

Daraus ergibt sich eine neue "Verpflichtung" der westlichen Länder gegenüber den Ländern des Südens. Wenn schon nicht aus Solidarität, sollten sie aus zukunftssicherndem Eigeninteresse tatkräftige Unterstützung leisten. Entwicklungs-politik hat durch die Ergänzung um die globale Umweltpolitik einen neuen Stellenwert bekommen, sie beschränkt sich nicht mehr nur auf die südlichen Länder, sondern umfasst auch die westlichen Länder und ist zu einer Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche geworden (vgl. Engelhard 2000, S. 41). Ökologisch verträgliches Wirtschaften, mehr Gerechtigkeit bei der Nutzung knapper Ressourcen (z.B. im Welthandel) und sozial gerechtere Lebensbedingungen sind unabdingbare Prinzipien für eine zukunftsfähige Entwicklung.

Auf dem Weltsozialgipfel von 1995 in Kopenhagen und auf der Nachfolgekonferenz in Genf 2000 wurde die Gleichwertigkeit sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung anerkannt. Dies stellt die Grundvoraussetzung nachhaltiger Armutsbekämpfung dar. Auf dieser Grundlage haben sich die Staats- und Regierungschefs dem Ziel verpflichtet bis zum Jahre 2015 den Anteil der extrem armen Menschen in der Welt zu halbieren vgl. BMZ 2002 S. 63). Deutschland hat zur Umsetzung dieses Ziels das Aktions-programm 2015 entwickelt. Da es die Richtlinie für Community Development Projekte ist, wird es im Kapitel 4.1 dieser Arbeit näher vorgestellt.

2.3 Merkmale und Probleme südlicher Länder

Von den derzeit bestehenden 146 südlichen Ländern, hat Deutschland in den vergangenen Jahren 118 durch bilaterale öffentliche Entwicklungszusammenarbeit gefördert (vgl. BMZ 2002, S. 166).

Die Unterschiede, die zwischen südlichen Ländern bestehen, sind ebenso vielfältig wie ihre Gemeinsamkeiten, sowohl untereinander als auch mit den westlichen Ländern.

BOECKH vermutet sogar, "dass die Dritte Welt nicht nur aufgehört hat zu existieren; es hat sie vermutlich nie gegeben in dem Sinne, daß man ihr gemeinsame Struktur-merkmale, Entwicklungsvoraussetzungen und eine ähnliche Entwicklungsdynamik je hätte unterstellen können. Wahrscheinlich ist sie von Anfang an das Produkt unserer grobschlächtigen analytischen Kriterien gewesen, welche eine Vielfalt von gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungspotentialen zu der Dritten Welt zusammengeklumpt haben" (a.a.O. 1993, S. 111).

So gibt es südliche Länder, deren Pro-Kopf-Einkommen das einiger westlicher Länder übersteigt. Die "vier kleinen Tiger"[8] erzielen seit den sechziger Jahren Wachstumsraten, die jene der westlichen Länder bei weitem übersteigen. Die Industrialisierung ist in Argentinien, Brasilien und Mexiko weiter vorangeschritten als in England, Australien oder Kanada, und die Urbanisierung ist im Libanon und in Venezuela höher als in Italien oder Belgien. (vgl. Midgley, 1981 S. 12)

In Folge dessen kann es kein einheitliches Umfeld geben, dennoch gibt es gemeinsame gesellschaftliche Strukturen und gemeinsame soziale Problemfelder, deren Kenntnis für die Einschätzung des sozialen Umfeldes unerlässlich ist. Auf dieser Basis soll das Umfeld, in das soziale Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit eingebettet ist, kurz vorgestellt werden.

Dabei ist zu beachten, dass die verschiedenen Problemfelder miteinander verknüpft sind und nicht voneinander losgelöst bearbeitet werden können.

2.2.6 Die Rahmenbedingungen

In vielen südlichen Ländern liegt ein wesentlicher Grund der Probleme in den unzulänglichen Rahmenbedingungen. Die Religion oder die koloniale Vergangenheit können zu einer Einschränkung der schöpferischen Kraft der Menschen führen. Exemplarisch soll ein Einblick in die zu beachtende Thematik gegeben werden.

Religion und Mentalität

Religiöse Überzeugungen können ein entscheidender Faktor bei mangelnder Entwicklungsmotivation sein: Wenn die bestehende Situation als von Gott gegeben angesehen wird, geglaubt wird, dass Gott schon alles richten wird[9] oder die Sinnerfüllung in der fast völligen Abkehr von der Welt gefunden werden soll, besteht wenig Antrieb zu einer Veränderung bzw. Verbesserung der Situation (vgl. Koslowski 1995, S. 39). Besonders in Schwarzafrika scheint der dort herrschende Animismus[10] ein ernstes Hindernis für Fortschritt in Bildung und industrieller Entwicklung zu sein (vgl. ebd., S. 39).

Koloniale Vergangenheit

Eine weitere für die soziale Arbeit relevante Rahmenbedingung ist die koloniale Vergangenheit. Nur wenige der südlichen Länder standen nie in direkter Abhängigkeit zu einer Kolonialmacht. Die Inbesitznahme weiter Teile Afrikas, Asiens und Südamerikas brachte Ausbeutung, Mord und Versklavung mit sich. Der größte Teil der Kolonialherren beschränkte seine Präsenz auf die ausschließliche und planmäßige Ausbeutung von Rohstoffen und Bodenschätzen oder auf den Handel mit Sklaven wie in Westafrika (vgl. Koslowski 1995, S. 40). In diesen Ländern bestehen noch heute schwerwiegende Beeinträchtigungen der Agrarstruktur durch die kolonialen Monokulturen, die zudem noch ausschließlich auf Fremdbedürfnisse ausgerichtet waren und immer noch sind.

Nicht messbar ist der mentale Schaden, den diese Länder erlitten haben und der bei der Arbeit mit der Bevölkerung berücksichtigt werden muss. Folgen, wie die willkürliche Grenzziehung, die rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze, die einseitige Ausrichtung der Länder auf bestimmte Exportprodukte und der für die Bevölkerung lange bewußt versperrt gehaltene Zugang zur Bildung, sowie die Zusammenarbeit mit korrupten Führern sind noch immer spürbar. Wesentlich ist dabei, dass erkannt wird, mit welchen unterschiedlichen Auswirkungen der Kolonialzeit die südlichen Länder heute zu kämpfen haben, welche Behinderungen ihrer Bewegungsfreiheiten berücksichtigt werden müssen, wenn ihr wirtschaftliches, kulturpolitisches und außenpolitisches Handeln verstanden werden soll[11] (vgl. Bliss u.a. 1985, S. 24).

Geprägt von den Strukturen, die von den Kolonialherren eingeführt wurden, sind größtenteils die Staatssprache, das politische System, - so fern es sich um eine Demokratie handelt - und das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem übernommen worden. Besonders in Schwarzafrika hat eine fast vollständige Imitation stattgefunden (vgl. Koslowski 1995, S. 35). Nur wenige Länder können aus ihrer Kolonialzeit wenigstens die Schaffung eines einheitlichen Rechts- und Verwaltungssystems oder die Bildung eines gemeinsamen Nationalbewußtseins herleiten.

2.2.7 Gesellschaftliche Strukturen in südlichen Ländern

Den vielfältigen Unterschieden der südlichen Länder stehen bedeutsame Gemeinsamkeiten gegenüber. Ein geringes Pro-Kopf-Einkommen, eine niedrige Industrialisierungs-, Urbanisierungs- und Alphabetisierungsrate, hohes Bevölkerungs-wachstum, hohe Kindersterblichkeit und eine geringe Lebenserwartung, sowie niedrige Indikatoren für Gesundheit und Lebensstandard sind Charakteristika, durch welche die südlichen Länder von den westlichen unterschieden werden. Nur wenige südliche Länder lassen sich in diesem Sinne schwer einordnen und bilden somit eine Ausnahme. Auch hier kann die Darstellung durch die Komplexität nur exemplarisch und zusammenfassend erfolgen.

ungleiche Verteilung

"Eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Struktur ist die der ungleichen Verteilung" (Kaiser/Wagner, 1986, S. 16). Durch diese werden die Gesellschaften vieler südlicher Länder geprägt.

Viele südliche Länder sind keineswegs arm, dieser Eindruck entsteht nur durch die ungleiche Verteilung (vgl. Koslowski 1995, S. 41). Denn während es eine verarmte Landbevölkerung, ein städtisches Proletariat, das sich in den Slumgebieten rings um Metropolen sammelt, sowie eine - dünne, aber wachsende - Mittelschicht aus Beamten, Militärs, Kaufleuten und wenigen gelernten Arbeitern gibt, hält eine dünne Oberschicht von politischen Führern, reichen Geschäftsleuten und Großgrundbesitzern einen Großteil des Geldes in ihrem Besitz. In vielen Ländern haben die Ungleichheiten seit Anfang der achtziger Jahre zugenommen (vgl. BMZ 2001, S. 5). Dies führt zu sozialen Spannungen und zu wirtschaftlichen Einbußen, da das Kapital unproduktiv genutzt wird, beispielsweise zum übermäßigen Konsum von Luxusgütern, einer Ausbildung im Westen oder dadurch, dass das Kapital wird im Ausland gelagert und investiert wird. Nach einem gängigen Indikator haben die einkommensschwächsten 40% der Bevölkerung in vielen südlichen Ländern nur einen Anteil von 10-15% am Nationaleinkommen (vgl. Koslowski 1995, S. 41). Am stärksten ausgeprägt ist diese Ungleichheit in den lateinamerikanischen Ländern, wodurch erklärt wird, warum sie trotz eines hohen Pro-Kopf-Einkommens zu den südlichen Ländern gezählt werden (vgl. ebd., S. 41). Besonders die Entwicklung in Brasilien widerlegt den sogenannten trickle-down Effekt

Politisches System

Dem kolonialen Vorbild folgend haben alle südlichen Länder[12] ihre traditionellen Formen der Regierung und Verwaltung aufgegeben, sich formell als Staaten konstituiert und als Träger der politischen Gewalt Parteien gebildet (vgl. Goetze 1976, S. 164). Allerdings scheinen diese übernommenen Systeme den Gegebenheiten und Bedürf-nissen nicht zu entsprechen. Oft werden Instrumente parlamentarischer Demokratie im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Intention eingesetzt. Dies äußert sich zum Beispiel in Einparteiensystemen (ebd., S. 164). Diese Parteien sind oft aus einer Befreiungs-bewegung hervorgegangen und haben sich nach dem Erreichen ihrer Ziele politischen Fragen zugewandt. Sie betonen stark den Gedanken nationalistischer Einheit und haben meist eine zentrale Struktur (vgl. Goetze 1976, S. 164). Von besonderer Bedeutung ist dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich viele Staaten durch unterschiedliche ethnische Minoritäten auszeichnen. Des weiteren wird eine Oppositionspartei im Rahmen des Mehrparteiensystems "zumindest insofern als negatives Phänomen gewertet, als sie menschliche und intellektuelle Kapazitäten abzieht. Eine Gesellschaft, die auf schnelle und tiefgreifende Entwicklung angewiesen ist, kann es sich nicht leisten, zur Lösung spezifischer Fragen personelle Alternativen zu bieten" (Goetze 1976, S. 164).

Das Programm spielt bei einer solchen Partei weniger eine Rolle als eine charismatische Führungsgestalt, um die auch ein gewisser Personenkult getrieben wird (vgl. ebd., S. 164). Diesen Führungspersönlichkeiten haftet meist ein populistischer Charakter an, sie versuchen durch ihre Maßnahmen Zustimmung beim Volk zu gewinnen und orientieren sich politisch an den mittleren und unteren sozialen Schichten. Eine solche straff organisierte Einheitspartei darf jedoch nicht mit einer Kaderpartei europäischer Prägung verwechselt werden (vgl. Goetze 1976, S. 164).

[...]


[1] In diesem Zusammenhang ist es von Relevanz zu wissen, dass alle Mitglieder der Süd-Kommission aus südlichen Ländern stammen.

[2] Für nähere Informationen siehe Mehta: Social Work Education between Professionalism and Indigenisation, 1-3 und S. 345-365.

[3] Für nähere Informationen siehe Schneider: Harambee.

[4] Für weitere Informationen siehe Kaiser/Wagner: Entwicklungspolitik ab S. 72

[5] Unter anderem die UNO, durch ihre Sonderorganisationen UNDP, UNESCO, WHO, UNICEF und UNHCR, die für allgemeine Entwicklungsprojekte bzw. Bildungs-, Gesundheits-, Jugend-, und Flüchtlingsprojekte zuständig sind; des weiteren die Weltbank und die von ihr gegründete IDA, der IWF, der EDF der Europäischen Gemeinschaft und das DAC.

[6] Der Teufelskreis der Armut sagt aus, dass in einem Zustand der Armut nur geringe Ersparnisse möglich sind, die ihrerseits nur geringe Investitionen ermöglichen, welches nur eine niedrige Produktions-steigerung zuläßt. Daraus folgt wiederum nur geringes Einkommen, was den Zustand der Artmut permanent werden lässt.

[7] Die Definition von Tradition wird in doppelter Hinsicht kritisiert. Zum einen galt Tradition als Sammelbegriff für alles Nicht-Moderne was beinhaltet, dass höchst unterschiedliche soziopolitische Verhältnisse und soziale Verhaltensweisen unter einen Begriff eingeordnet wurden und zum anderen wurde die Nichtberücksichtigung kolonialer Deformation der Gesellschaften südlicher Länder kritisiert.

[8] Hongkong, Taiwan, Singapur und Südkorea

[9] "no condition is permanent" (ständig gebrauchtes Sprichwort in Ghana), was sinngemäß bedeutet: es wird schon alles wieder gut, vertraue auf Gott.

[10] Von lat. animus: Geist. Es ist der Glaube, dass Menschen, Tiere und Gegenstände von guten oder bösen Geistern besessen sind. Der Geisterglaube führt dazu, dass umfangreiche Beschwörungsformeln und Schutzmaßnahmen durchgeführt werden müssen, um die Dämonen wohl zu stimmen und Gefahren abzuwenden - das heißt das Verhalten wird nicht von rationalen, sondern von magischen Gesichtspunkten bestimmt (vgl.Koslowski 1995, S. 38).

[11] In Kapitel 6 werden die Kompetenzen, die zur Erwerbung dieser Fähigkeit nötig ist, beschrieben.

[12] Ausgenommen natürlich die Staaten, die auch zu den südlichen Ländern zählen, aber nie unter Kolonialherrschaft standen.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Sozialpädagogik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Ghana
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
102
Katalognummer
V33272
ISBN (eBook)
9783638337915
ISBN (Buch)
9783638733007
Dateigröße
873 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialpädagogik, Rahmen, Entwicklungszusammenarbeit, Beispiel, Ghana
Arbeit zitieren
Rabea Philippen (Autor:in), 2002, Sozialpädagogik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Ghana, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33272

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