Einleitungs- und Beendigungssequenzen von Erzählungen in Alltag und Institution


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Konversationelle Erzählung und Diskurseinheit
2.2 Inhaltliche und formale Beschränkungen

3. Die Organisation von narrativen Diskurseinheiten
3.1 Die „Jobs“
3.2 Das Prinzip des primären Sprechers
3.2.1 Das Zuständigkeitsprinzip
3.2.2 Das Prinzip der Verantwortung
3.2.3 Fazit

4. Erzählen im Alltag und im institutionellen Kontext

5. Einleitung und Beendigung von konversationellen Erzählungen - Die Analyse
5.1. Erzählungen im Alltag
5.1.1 Einleitung
5.1.2 Beendigung
5.2 Erzählungen in Institutionen
5.2.1 Einleitung
5.2.2 Beendigung

6. Schluss

7. Anhang

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Menschen erzählen gerne und ständig eigenerlebte Geschichten oder Geschichten anderer. Sie stehen so in Interaktion mit verschiedenen Zuhörern, die wiederum Geschichten erzählen. Erzählen ist also eine sprachliche und zugleich soziale Handlung, um Ereignisse und Erfahrungen auszutauschen (vgl. Ehlich 1980: 20). Jedoch erzählen wir keine trivialen Dinge, alltägliches wie: „heute morgen bin ich aufgestanden und habe mir zuerst die Zähne geputzt“, dürfte niemanden interessieren. Eine Erzählung die demnach die Reaktion „na und, was willst du mir damit sagen“ hervorruft, ist wohl zum Scheitern verurteilt und befriedigt den Zuhörer nicht im geringsten. Eine Geschichte muss also „erzählträchtig“ (Quasthoff 1980: 19) sein, d.h. sie sollte besondere, herausragende oder auch neue Inhalte hervorbringen, also die Funktion der Unterhaltung, Wissensübermittlung u.ä. erfüllen, inhaltsrelevant sein. Je nach Situation, ob im Alltag, wie z.B. bei Gesprächen mit Eltern und Freunden oder in Institutionen, wie im Krankenhaus, vor Gericht oder bei Behördengesprächen sind andere Inhalte relevant. Schon allein durch den Inhalt können demnach Alltagsgespräche von institutionellen Gesprächen abgesondert werden. Meine Hausarbeit soll nun zeigen, dass ebenso auf formaler Ebene Unterschiede bestehen. Es wird außerdem weniger um den turn-by-turn-talk gehen, als um die Diskurseinheit Erzählung, also das Erzählen von Geschichten innerhalb von Gesprächen. Wie diese eingeführt und beendet werden, immer vor dem Hintergrund des Vergleichs von Alltagserzählungen und Erzählungen in institutionellen Kontexten. Dazu werde ich Beispiele anführen, die sowohl aus Aufsätzen also auch aus Transkriptsammlungen stammen. Informationen zu den jeweiligen Beispielen, wie z.B. nähere Bestimmungen der Gesprächsteilnehmer oder der Grad der Öffentlichkeit, sind im Anhang aufgeführt.

Ich werde mit einer allgemeinen Einführung zu konversationellen Erzählungen beginnen und diese vor dem Hintergrund der Diskurseinheit erläutern. Des weiteren soll die Organisation narrativer Diskurseinheiten dargestellt werden, die verschiedene Jobs sowie das Prinzip des primären Sprechers beinhalten. In Abschnitt 4 wird es um den Unterschied von Alltagserzählungen und Erzählungen in Institutionen gehen, woraufhin sich der folgende Punkt mit der Analyse der Diskurseinheiten im Hinblick auf Einleitungs- und Beendigungs-sequenzen befasst. Im Schluss werde ich meine herausgearbeiteten Analysepunkte noch einmal zusammenfassend gegenüberstellen.

2. Konversationelle Erzählung und Diskurseinheit

Konversationelle Erzählungen oder auch Erzählungen (im folgenden auch Geschichte genannt) in Gesprächen sind mündlich konstruierte Diskurseinheiten, die bestimmten Regeln unterworfen sind. Diese Regeln bzw. Beschränkungen werden im weiteren Verlauf meiner Arbeit deutlich. Sie beinhalten den Prozess der wechselseitig aufeinander zugeschnittenen narrativen Aktivität von (mindestens) einem Erzähler und (mindestens) einem Zuhörer. Diese Rollen wechseln während einer Diskurseinheit nicht (vgl. Quasthoff 1999:131). Denn der Erzähler bleibt für die Dauer seiner Geschichte der primäre Sprecher. Dieses Phänomen werde ich in Abschnitt 3.2 näher erläutern, da es prägend für den Diskursverlauf ist.

Diskurseinheiten (Wald 1978) sind als „übersatzmäßige konversationelle Elemente, die deutlich von dem sie umgebenden turn-by-turn-talk unterschieden sind“ (Quasthoff 2001:1300) charakterisiert. Die Abgrenzung wird meist durch sog. discourse markers (Gliederungssignale) realisiert. Sie bestehen aus einer lexikalischen Einheit (ja aber, ja und dann, ich meine, nicht wahr) oder auch aus einem Wort (also, gut, aber, gell); diese trennen Diskurseinheiten von anderen Segmenten ab, wie anderen Diskurseinheiten oder auch dem turn-by-turn-talk (vgl. Wald 1978:134). Um dies deutlich zu machen werde ich nun Beispiele anführen.

Beispiel 1:

(a) Anfangssignal

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

NUN wird vom Sprecher AH als Gliederungssignal verwendet, um seine Diskurseinheit wieder aufzunehmen, die durch die Paarsequenz (Frage von BW, Antwort von AH) unterbrochen wurde. NUN trennt die folgende Aussage von der eingeschobenen Paarsequenz ab und stellt den Bezug zur angefangenen Erzählung von AH in Zeile 1 wieder her.

Beispiel 2:

(b) Endmarkierung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Partikel ne stellt hier zum einen die Endmarkierung der Geschichte dar. S2 signalisiert, dass der turn-by-turn-talk durch S1 wieder aufgenommen werden kann und das Prinzip des primären Sprechers von jetzt an nicht mehr gilt. In Zeile 6 nimmt S1 das Angebot an und stellt eine Frage, die zwar die Geschichte betrifft, jedoch auf einen anderen Aspekt abzielt. Zum anderen benutzt S2 die Partikel, um eine Rückversicherung zu erhalten, die durch das Lachen von S1 in Zeile 3 und 4 gewährleistet ist.

2.2 Inhaltliche und formale Beschränkungen

Konversationelle Erzählungen unterliegen verschiedenen inhaltlichen und formalen Beschränkungen. Die inhaltlichen „Konstanten des Erzählens müssen in einem gewissen Mindestmaß an Vollständigkeit und Ordnung realisiert werden, damit eine sprachliche Aktivität als Erzählung qualifiziert werden kann“ (Quasthoff 1987:56). Dementsprechend muss der Sprecher das „texttypenspezifische“ (Quasthoff 1987:56) Schema beherrschen, um zum einen den Erzähldiskurs realisieren zu können und zum anderen dem Rezipienten seine Erzählabsicht darzulegen. Die inhaltlichen Beschränkungen möchte ich im Folgenden kurz anführen:

- Der Text referiert auf eine zeitlich zurückliegende Handlungs-/Ereignisfolge in der Realität.
- Die Geschichte des Erzähltextes ist ein singuläres Erlebnis, ist also zeitlich und lokal eindeutig identifizierbar.
- Die Geschichte erfüllt gewisse Minimalbedingungen an Ungewöhnlichkeit.
- Der Sprecher ist identisch mit einem der Aktanten, die in die Geschichte verwickelt sind.

Des weiteren nennt Quasthoff formale Beschränkungen, die auf das szenische Diskursmuster verweisen.

- Konversationelle Erzählungen werden eher szenisch vorgeführt als sachlich dargestellt.
- Folgende Ausdrucksmittel sind deshalb typisch:
- Evaluative expressive Sprachformen
- Direkte Rede, auch Nachahmung verschiedener Geräusche
- Hoher Detaillierungsgrad der Repräsentation der Geschichte
- Verwendung des szenischen Präsenz

Diese angegebenen Beschränkungen, die eine Erzählung charakterisieren, werden von jedem Sprecher einer Diskurseinheit eingehalten. Ansonsten wäre das Risiko hoch, dass die Rezepienten die Erzählung nicht als solche identifizieren können, demnach die Diskurseinheit nicht ratifizieren oder sie sogar unterbrechen.

3. Die Organisation von narrativen Diskurseinheiten

Das klassische Werk der Erzählanalyse geht auf Labov/Waletzky (1973) zurück. Hier werden Erzählungen auf ihre Globalstruktur hin analysiert. Diese gliedert sich in fünf Teile: Orientierung, Komplikation, Evaluation, Auflösung und Coda. Diese idealtypische Aufteilung muss jedoch nicht bei jeder Erzählung gegeben sein. Sie soll hier nun kurz erläutert werden.

Die Orientierung hat die Funktion den Hörer in Bezug auf Person, Ort, Zeit und Handlungssituation in die Erzählung einzuführen, dennoch müssen nicht zwingend alle Funktionen erfüllt werden. Zudem kann der Orientierungsteil völlig fehlen, was jedoch zur Folge hat, dass der Kontext ungeklärt bleibt und meist Nachfragen der Rezepienten folgen. Im zweiten Teil der Gesamtstruktur, der Komplikation, werden Ereignisse oder Ereignisfolgen dargestellt, die den Inhalt der Geschichte erläutern. Die Komplikation wird durch ein Resultat abgeschlossen. Bei Erzählungen, in denen es um persönliche Erfahrungen geht, schließt sich der Evaluation steil an. An dieser Stelle macht der Sprecher deutlich, welche Einstellung er gegenüber seiner Erzählung besitzt. Dem Evaluationsteil folgt die Auflösung. Labov/Waletzky stellen fest, dass die einfache Folge von Komplikation und Resultat dem Zuhörer nichts über die Bedeutsamkeit der Geschehnisse sagt (vgl. Labov/Waletzky 1973:115). Um deshalb eine Grenze zu markieren, lässt der Sprecher seiner Evaluation die Auflösung folgen. So hat er eine klare Gliederung von Komplikation und Auflösung hergestellt. Der fünfte und letzte Strukturteil ist die Coda. Sie muss nicht zwingend folgen, ist aber „ein funktionales Instrument, um die Sprecherperspektive wieder auf den Gegenwartszeitpunkt einzustellen“. Inhaltlich ist die Coda irrelevant, sie schließt die Geschichte jedoch formal ab. Auch dem Rezipienten wird somit das Ende der Erzählung eindeutig aufgezeigt.

Quasthoff (1999) beschreibt eine Erzählung „im interaktionstheoretischen Sinne als eine Form der verbalen Aktivität, die mindestens zwei Teilnehmer gemeinsam und aufeinander zugeschnitten kontextualisierend betreiben, indem sie sich wechselseitig deutlich die Rollen Erzähler und Zuhörer installieren“ (Quasthoff 1999:131). Hier soll deutlich gemacht werden, dass narrative Strukturen der interaktiven Organisation unterliegen, d.h. sie besitzen sequentiell geordnete dynamische Strukturen, die von Erzähler und Rezipient gemeinsam „Zug um Zug“ (Quasthoff 1999:131) aufgebaut werden.

3.1 Die „Jobs“

Abb. 1 (Quasthoff 2001:1302) zeigt das Sequenzmodell, in welchem die strukturelle Unter-scheidung von turn-by-turn-talk und Diskurseinheit dargestellt ist. Man erkennt, dass verschiedene Jobs erledigt werden müssen, wenn eine Diskurseinheit erfolgreich durchgeführt werden soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1.: Gesprächsorganisatorische Jobs einer narrativen Diskurseinheit (Quasthoff 2001:1302)

Im Folgenden sollen die einzelnen Jobs näher erläutert werden.

Um aus dem turn-by-turn-talk in eine narrative Diskurseinheit zu gelangen, muss der Sprecher, dabei ist gleich wer diesen Job übernimmt, die Inhaltsrelevanz darstellen. Er muss also „inhaltlichen Boden für die narrative Einheit“ (Quasthoff 1999:138) schaffen. Eine Erzählung muss an die Stelle passen, an der sie realisiert werden soll, damit sie eine Chance hat zu gelingen. Um Erzählungen einzuführen hat der Sprecher zwei Möglichkeiten. Erstens kann er die Geschichte „triggern“ (Jefferson 1978:220). Hierbei kann der Sprecher einen Begriff, der während des turn-by-turn-talks gesagt wird, aufgreifen und ihn als Anhaltspunkt für seine Geschichte verwenden. Diese muss nicht unbedingt zum Thema des Gesprächs passen, ist aber aus diesem entstanden. Die zweite Möglichkeit besteht in der methodischen Einführung einer Geschichte. Im Gegensatz zu den ge triggerten Geschichten besteht hier eine direkte Beziehung zum vorhergehenden turn-by-turn-talk.

Beispiel 3:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein Element des turn-by-turn-talks, Mulholland in Zeile 2, wird hier durch den Sprecher 1 (Roger) in Zeile 5 aufgegriffen (embedded repetition, Jefferson 1978, 221), um eine Geschichte zu erzählen. Methodisch eingeführt wird diese durch die Interjektion Oh in Zeile 4. Jefferson (1978:221) nennt Interjektionen dieser Art auch disjunct marker.

Der zweite Job, der erfüllt werden muss, ist die Thematisierung, zusammen mit dem Job Abschließen, den ich später noch erläutern werde, wird die Diskurseinheit ein- und ausleitend begrenzt.

Innerhalb der Thematisierung gibt es die Methode des story preface (Sacks 1971:310/ Sacks 1992: 10, 226), um sich das Rederecht für eine Diskurseinheit zu sichern, welche auch gleichsam die Aufmerksamkeit der Zuhörer mit einschließt. Denn mir als Sprecher wird kaum jemand zuhören, wenn ich sage: „Ich möchte jetzt mehr als einen Satz sagen, also unterbrecht mich nicht“. Diese Methode scheint deutlich zu machen, dass der turn-by-turn-talk für die Länge der Diskurseinheit außer Kraft gesetzt ist und das Rederecht nicht nach jedem Satz ausgefochten oder bestimmt werden muss. Durch die Technik des story preface kann der Sprecher demnach eine Geschichte ankündigen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Einleitungs- und Beendigungssequenzen von Erzählungen in Alltag und Institution
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Erzählen im Alltag
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
30
Katalognummer
V33207
ISBN (eBook)
9783638337427
ISBN (Buch)
9783638649773
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einleitungs-, Beendigungssequenzen, Erzählungen, Alltag, Institution, Erzählen, Alltag
Arbeit zitieren
Ellen Becker (Autor:in), 2004, Einleitungs- und Beendigungssequenzen von Erzählungen in Alltag und Institution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33207

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