Anorexia nervosa und Bulimia nervosa


Studienarbeit, 2004

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Anorexia nervosa
2.1. Historische Aspekte
2.2. Das Krankheitsbild
2.2.1 Diagnosekriterien
2.2.3 Komorbide Erkrankungen
2.2.4 Symptomatisches Verhalten
2.2.5 Somatische Begleiterscheinungen
2.2.6 Krankheitsverlauf
2.3. Suchtimmanente Aspekte
2.4. Ätiologie
2.4.1 Familiensituation
2.4.2 Individuelle Faktoren
2.4.3 Gesellschaftliche Faktoren
2.4.4 Biologische Faktoren
2.6. Therapieansätze
2.6.1 Psychoanalytischer Ansatz
2.6.2 Verhaltenstherapeutischer Ansatz
2.6.3 Familientherapeutischer Ansatz
2.6.4 Feministischer Ansatz

3. Bulimia nervosa
3.1. Das Krankheitsbild
3.1.1 Diagnosekriterien
3.1.2 Komorbide Erkrankungen
3.1.3 Symptomatisches Verhalten
3.1.4 Somatische Begleiterscheinungen
3.1.5 Krankheitsverlauf
3.2. Ätiologie
3.2.1 Familiäre Ursachen
3.2.2 Sexueller Missbrauch
3.2.3 Individuelle Faktoren
3.2.4 Gesellschaftliche Faktoren
3.2.5 Biologische Ursachen
3.3 Therapieansätze
3.3.1 Psychoanalytischer Ansatz
3.3.2 Verhaltenstherapeutischer Ansatz
3.3.3 Familientherapie

4. Hilfsangebote
4.1. Ambulante Behandlung
4.2. Stationäre Behandlung
4.3. Selbsthilfe

5. Schluss

Literatur

Anhang
Abbildung 1
Hinweis männliche/weibliche Schreibweise
Aufteilung der Beiträge

1. Einleitung

Unser Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Thematik der Essstörungen wurde durch verschiedene universitäre Veranstaltungen sowie die Teilnahme an dem in diesem Jahr stattgefunden Kongress „Traumkörper-Körpertraum(a)“ geweckt. Des weiteren absolviert Kathrin Häfke ihr erstes Praktikum bei Kabera e.V., einer Kasseler Beratungsstelle für Essstörungen.

Anorexia nervosa und Bulimia nervosa werden von uns wegen des häufigen Auftretens und den dramatischen Krankheitsverläufen als Thema gewählt. Es ist gleichermaßen faszinierend und erschreckend, dass in unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft, in der es kaum jemandem an materiellen Dingen mangelt, insbesondere junge Menschen zu Maßnahmen wie Hungern und Erbrechen greifen. Da diese Symptome von Großteilen der Bevölkerung noch immer zu pubertären, vorübergehenden Verhaltensweisen bagatellisiert werden, möchten wir mit dieser Studienarbeit vor allem informieren und Verständnis wecken. Laut einer Studie von Kabera haben bereits 46% der 11-13jährigen Mädchen und 17% der 11-13jährigen Jungen in Deutschland Diäterfahrung. Diese erschreckenden Zahlen verdeutlichen, dass das durch die Medien propagierte Schönheitsideal bis heute hauptsächlich die weibliche Bevölkerung beeinflusst. Nur ca. 5% aller Erkrankten sind männlich. Dies, und der begrenzte Rahmen einer Studienarbeit, begründen die ausschließliche Betrachtung der weiblichen Erkrankten. Frauke Koch beschäftigt sich mit der Anorexia nervosa, während Kathrin Häfke die Bulimia nervosa genauer betrachtet. Trotz dieser Aufteilung weisen wir darauf hin, dass bei vielen Patientinnen die Krankheitsbilder nicht immer klar voneinander abzugrenzen sind. Mögliche Hilfsangebote werden dann gemeinsam erläutert.

Die Arbeit beginnt mit allgemeinen Informationen und einem historischen Überblick. Anschließend wird das jeweilige Krankheitsbild ausführlich dargestellt. Wir folgen hier den von der American Psychiatric Association und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgegebenen Klassifikationssystemen, dem Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen (DSM- IV) und der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD- 10).

Hiernach zeigen wir mögliche Ursachen auf. Insbesondere die familiäre und individuelle Situation sowie gesellschaftliche Ideale und biologische Faktoren werden genauer betrachtet. Ein sexueller Missbrauch wird im Zusammenhang mit der Bulimie thematisiert.

Im weiteren Verlauf wird auf häufig angewandte Therapieansätze eingegangen. Es folgt die Vorstellung verschiedener Hilfsangebote. Abschließend setzen wir uns mit den gewonnen Erkenntnissen kritisch auseinander.

2. Anorexia nervosa

Der Begriff „Anorexia“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt Appetitlosigkeit, fehlendes Verlangen. Der Zusatz „nervosa“ (nervlich) weist auf den psychischen Hintergrund der Krankheit hin. Jedoch ist die Übersetzung Appetitlosigkeit irreführend, da die Patientinnen nicht an einem Mangel an Appetit leiden, sondern unter der panikartigen Furcht vor der Gewichtszunahme Appetit und Hungergefühle unterdrücken. Sie verweigern willentlich die Nahrungsaufnahme. Als zutreffender wird der Begriff der „Selbstaushungerung“ empfohlen (vgl. Vandereycken/Meermann 2000, S. 17).

Circa 0,5 Prozent der Mädchen zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr erkranken an Anorexia nervosa. Das Entstehungsalter verschiebt sich derzeit stetig nach unten (vgl. Buchholz 2001, S. 11)

In der Literatur werden neben Anorexia nervosa die Begriffe Anorexie und Magersucht verwendet.

2.1. Historische Aspekte

Das Phänomen der hungernden Frauen war schon im Mittelalter bekannt. Die „Anorexia mirabilis“, das heißt die wundersame Appetitlosigkeit trat bei jungen Frauen auf, die aus religiösen Gründen fasteten. Die bekannteste von ihnen ist Heilige Katharina von Siena (siehe Abbildung Nr. 1).

Obgleich es viele Parallelen zu den heutigen Magersüchtigen gibt, existieren grundlegende Unterschiede. Die mittelalterliche Asketin strebte danach, durch Fasten die Schönheit der Seele zu vervollkommnen im Sinne eines religiösen Ideals.

Der Engländer Richard Morton (1637-1698) dokumentierte im Jahr 1691 in seinem Werk „Phthisiologia“ die Krankengeschichte eines 17-jährigen Mädchens, das nach über zweijährigem Krankheitsverlauf an Magersucht starb. Ihm ist somit die erste detaillierte Beschreibung der Anorexia nervosa zu verdanken. Für viele Autoren beginnt die Geschichte des Symptoms mit dem Werk Mortons.

Nach einer längeren Unterbrechung folgten nach Morton der englische Neurologe Whitt, der 1767 eine Abhandlung über Anorxia nervosa veröffentlichte, und der französische Arzt Naudeau, der 1789 eine ausführliche Beschreibung eines tödlichen Falls von Anorexia nervosa publizierte. (vgl. Palazzoli 1986, S. 18; Gerlinghoff/Backmund/Mai 1988, S. 138)

In Deutschland hat der Jugend-Psychiater Heinrich Hoffmann 1845 mit dem „Suppenkaspar“ (in Struwwelpeter) der Magersucht ein warnendes Denkmal gesetzt.

Parallel, aber unabhängig voneinander, publizierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts William Withey Gull (1816-1890), klinischer Chirurg in London, und Ernest-Charles Lasègue (1816-1883), Professor für klinische Medizin in Paris, eine wissenschaftliche Beschreibung der Magersucht. In den Beschreibungen beider Ärzte sind bereits wesentliche diagnostische Kriterien, die in den heutigen Klassifikationssystemen vorhanden sind, zu finden. Der Begriff „Anorexia nervosa“ ist auf Gull zurückzuführen.

Aus Leserbriefen und Diskussionsbeiträgen in medizinischer Literatur ist zu entnehmen, dass die Anorexia nervosa am Ende des 19. Jahrhunderts nicht selten war. Zu diesem Zeitpunkt brachten Ärzte Familie und Krankheitsgeschehen in Zusammenhang und trennten Kranke vorübergehend von ihren Angehörigen, indem sie sie in einem anderen Milieu unterbrachten. Die Anorexia nervosa und die so genannte Simmondssche Krankheit, eine Hypophysenschwäche, wurden gleichgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass Magersüchtige in Europa und

Amerika zwei bis drei Jahrzehnte mit Extrakten von Hypophyse (Hirnanhangdrüse), von Nebennieren, Schilddrüse oder Eierstöcken behandelt wurden. Zu den sonstigen therapeutischen Maßnahmen zählten zum Beispiel die Gabe von Vitaminen, die Elektrokrampftherapie und psychochirurgische Eingriffe. Ab Mitte der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts erhielt die Psychoanalyse Einzug in die Therapie der Magersucht. Die Einnahme von Psychopharmaka hat sich nicht bewährt. (vgl. Gerlinghoff/Backmund 2000, S.19 f; Palazzoli 1986, S. 19-23)

2.2. Das Krankheitsbild

2.2.1 Diagnosekriterien

Die Diagnosekriterien sind im DSM-IV für Anorexia nervosa wie folgt festgeschrieben:

„A. Weigerung, das Minimum des für das Alter und Körpergröße normalen Körpergewichts zu halten (z. B. der Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts; oder das Ausbleiben einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts).
B. Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, trotz bestehenden Untergewichts.
C. Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts, übertriebener Einflußdes Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung, oder Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.
D. Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe, d.h. das Ausbleiben von mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen (Amenorrhoe wird auch dann angenommen, wenn bei einer Frau die Periode nur nach Verabreichung von Hormonen, z.B.östrogen, eintritt)“ (DSM IV 1996, S. 619).

Zur genaueren Diagnose unterscheidet das DSM-IV in zwei Subtypen der Anorexie, dem restriktiven Typ und einen bulimischen Typ, dem so genannten „Binge-Eating/Purging“-Typ:

„Restriktiver Typus: Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die Person keine regelmäßigen Freßanfälle gehabt oder hat kein „Purging“-Verhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen oder Mißbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt. „Binge-Eating/Purging“-Typus: Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die Person regelmäßig Freßanfälle gehabt und hat Purgingverhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen oder Mißbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt" (DSM-IV 1996, S. 619 f.).

Neben dem DSM nennt das ICD, als ein weiteres wesentliches Klassifikationssystem, Diagnosekriterien für Anorexia nervosa:

„1. Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder Quetelets-Index (Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Meter zum Quadrat) von 17,5 oder weniger. Bei Patienten in der Vorpubertät kann die erwartete Gewichtszunahme während der Wachstumsperiode ausbleiben.

2. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:

a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen; sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen:
b. selbst induziertes Erbrechen;
c. selbst induziertes Abführen;
d. übertriebene körperliche Aktivitäten;
e. Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.

3. Körperschema-Störung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die Angst zu dick zu werden besteht als eine tiefverwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.

4. Eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen- Gonaden-Achse. Sie manifestiert sich bei Frauen als Amenorrhoe und bei Männern als Libido- und Potenzverlust. (Eine Ausnahme ist das Persistieren vaginaler Blutungen bei anorektischen Frauen mit einer Hormonsubstitutionsbehandlung zur Kontrazeption.) Erhöhte Wachstumshormon- und Kortisolspiegel, Änderungen des peripheren Metabolismus von Schilddrüsenhormonen und Störungen der Insulinsekretion können gleichfalls vorliegen.

5. Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt (Wachstumsstopp; fehlende Brustentwicklung und primäre Amenorrhoe beim Mädchen; bei Knaben bleiben die Genitalien kindlich). Nach Remission wird die Pubertätsentwicklung häufig normal abgeschlossen, die Menarche tritt aber verspätet ein“ (ICD-10 1993, S. 200 f.).

Die Spezifizierung gemäßICD erfolgt in Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc.), Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (unter Umständen in Verbindung mit Heißhungerattacken) und die Atypische Anorexia nervosa. Bei der atypischen Anorexia nervosa fehlen ein oder mehrere Kernmerkmale der Krankheit, zum Beispiel die Amenorrhoe oder der signifikante Gewichtsverlust.

Die Körperschemastörung als ein wichtiges Diagnosekriterium wird im folgenden genauer beschrieben.

2.2.2 Körperschemastörung

Das Körperbild Magersüchtiger ist verzerrt. Sie erkennen die extreme und lebensbedrohliche Abmagerung ihres Körpers nicht. Besonders einzelne Körperteile, wie Oberschenkel, Bauch oder Hüften stehen im Blickpunkt der Betroffenen. Ihr angestrebtes Gewicht liegt unterhalb der medizinischen Norm und wird mit zunehmender Gewichtsabnahme weiter heruntergesetzt. Die Patientinnen fühlen sich trotz des massiven Untergewichts zu dick und behaupten, keinen Hunger zu leiden. Hierzu merkt Buchholz (2001) kritisch an, dass zumindest enterozeptive Reize wie Hunger, Müdigkeit oder Frieren auftreten, diese bemerkt und durch die negative Besetzung bewusst nicht befriedigt werden. Des Weiteren stimmt Buchholz (2001) mit Palazzoli (1982) überein, dass die anorektische Patientin von ihrem ausgemergeltem Körper weiß. „Denn es ist ja gerade der dürre, kachektische Körper, der ein stabileres Identitätsgefühl gibt“ (Buchholz 2001, S. 32).

Bruch bezeichnet es als ein Rätsel, dass die Patientinnen einerseits nicht sehen wie mager sie sind, gleichzeitig aber besonders stolz darauf sind und es als große Leistung betrachten (vgl. Bruch 2000, S. 26).

2.2.3 Komorbide Erkrankungen

Neben depressiven Symptomen wurden bei Anorektikerinnen oftmals zwanghafte Züge bzw. Zwangssymtome beobachtet. Bei vielen sind sie bereits prämorbid vorhanden. (vgl. Reich/Cierpka 1997, S. 36) Die zwanghaften und perfektionistischen Verhaltensweisen beziehen sich zum Beispiel auf die Bereiche Sauberkeit, schulische Leistungen, Ernährung und sportliche Betätigung. Mit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf können sich diese verschlimmern. Eine Borderline- Persönlichkeitsstörung wurde bei ca. 10% der anorektischen Patientinnen diagnostiziert. Die Wahrscheinlichkeit dieser Persönlichkeitsstörung steigt bei der Anorexie mit bulimischen Zügen. (vgl. Reich/Cierpka 1997, S. 37)

Eine Anorexie kann in ihrem Verlauf in eine andere Essstörung, wie Bulimie oder in eine Binge-Eating-Störung, übergehen.

2.2.4 Symptomatisches Verhalten

Anorektikerinnen beschäftigen sich trotz der Nahrungsverweigerung exzessiv mit der Nahrung. Sie zählen ständig Kalorien, interessieren sich überdurchschnittlich für das Kochen und übernehmen häufig die Küchengeschäfte. (vgl. Bruch 2000, S. 96)

Sie bekochen ihre Familien und drängen ihnen die meist hochkalorischen Speisen auf. Sie dagegen nehmen kaum etwas zu sich, sie zögern Mahlzeiten hinaus, lassen sie ganz aus oder täuschen essen vor. Sie essen nicht vor anderen, was unter Umständen zu einem sozialen Rückzug führen kann. Es werden nur bestimmte Portionen am Tag (zum Beispiel einen Apfel und ein Knäckebrot) gegessen. Viele zelebrieren ihre oftmals einzige Mahlzeit am Tag, indem sie exakt geplant wird, die Nahrungsmittel sehr klein geschnitten und extrem langsam verzehrt werden. Einige kauen und spucken aus anstatt die Lebensmittel zu schlucken. Durch die übermäßige Aufnahme an Flüssigkeit, meist mehreren Litern Wasser am Tag, versuchen die Anorektikerinnen den Hunger „wegzutrinken“. Des weiteren soll der Einsatz von Abführmitteln und Appetitzüglern der Gewichtsabnahme dienen. Bei einigen von ihnen, dem bulimischen Typus der Anorexia nervosa, wird jedoch das Hungergefühl so unbändig, und es folgen, trotz ihres dringenden Wunsches, dünn zu bleiben, gewaltige Fressorgien mit anschließendem Erbrechen.

Das Ziel der Gewichtsreduktion wird auch durch übermäßige Aktivität, zum Beispiel durch zwanghafte sportliche Betätigung (tägliches Joggen und Radfahren), ständiges Muskelanspannen oder absichtliches Frieren, herbeigeführt. Nach dem Essen steigt der Bewegungsdrang und es schließen sich beispielsweise lange Spaziergänge und Gymnastikübungen an.

Die Körperwaage kristallisiert sich durch das mehrmals tägliche Wiegen als Stimmungsbarometer heraus. Nach dem Ritual des Wiegens folgt die Kontrolle des Spiegelbildes, das Abtasten der Beckenknochen und die Abmessung des Körpers.

Da Hungern, Fasten und Sport immer mehr Platz im Alltag der Patientinnen einnehmen und alles andere unwichtig wird, können im fortgeschrittenem Krankheitsverlauf sozialer Rückzug, Isolation und die Vernachlässigung von sozialen Pflichten auftreten. (vgl. Buchholz 2001, S. 54)

2.2.5 Somatische Begleiterscheinungen

Medizinische, das heißt somatische Symptome und Befunde bei Anorexia nervosa sind ausschließlich Folgen der Essstörung, sie stehen nicht unmittelbar mit der Krankheitsursache in Zusammenhang. Das Auftreten organischer Komplikationen ist abhängig davon, ob eine Patientin an einer reinen Anorexia nervosa erkrankt ist oder bulimische Phasen hinzukommen. Des weiteren wird Art und Ausmaßder organischen Komplikationen durch den unterschiedlichen Missbrauch von Diuretika (Wassertabletten) und Laxantien (Abführmittel) und dem Maßan exzessiver sportlicher Betätigung beeinflusst.

Bei allen Patientinnen mit Anorexia nervosa besteht eine Amenorrhö, das heißt ein Aussetzen der Monatsblutungen. Bei Beginn der Magersucht vor der Pubertät setzt die Monatsblutung nicht ein. Die fehlende Monatsblutung ist einer der häufigsten Gründe, warum magersüchtige Mädchen erstmals ärztlichen Rat aufsuchen. (vgl. Gerlinghoff/Backmund 2000, S. 29)

Fernere Krankheitszeichen der Magersucht, die jedoch nicht zwingend auftreten, sind Verlangsamung des Herzschlags auf weniger als 60 Herzschläge pro Minute, Erniedrigung des Blutdrucks und Erniedrigung des Schilddrüsenhormons als Reaktion des Organismus auf die reduzierte Nahrungszufuhr.

Im Bereich des Magen-Darm-Traktes treten häufig nach der Nahrungsaufnahme die Symptome Verstopfung, Blähungen und Völlegefühl auf. Das Verschlingen exzessiver Nahrungsmengen kann bei Magersüchtigen mit bulimischen Phasen eine Magenerweiterung hervorrufen.

Das Erbrechen und der Diuretikamissbrauch führen wie bei Bulimikerinnen zu einer Störung des Elektrolythaushaltes und somit zum Abfall des Kaliumspiegels im Blut der Patientinnen, dessen Folge in erster Linie Nierenschäden sind.

Oftmals tritt bei Magersüchtigen feine Körper- und Gesichtsbehaarung, die so genannte Lanugobehaarung auf. Die Haut der Betroffenen ist trocken und schuppig.

Magersüchtige Patientinnen sind der Gefahr einer Osteoporose und in deren Folge Knochenbrüchen ausgesetzt. Ein Beginn der Anorexie nervosa vor der Pubertät kann zu verzögertem und unvollständigen Knochenwachstum führen.

(vgl. Gerlinghoff/Backmund 2000, S. 28- 32; Gerlinghoff/Backmund/ Mai 1988, S. 127-131)

2.2.6 Krankheitsverlauf

Bei den meisten Patientinnen beginnt die Krankheit vor, während oder kurz nach der Pubertät. Auslöser, jedoch nicht Ursache für den Beginn der Essstörung, ist oftmals ein belastendes Ereignis, zum Beispiel Konflikte in der Familie, Scheidung der Eltern, Wohnortwechsel, Studienbeginn oder andere einschneidende Veränderungen in der gewohnten Umgebung. (vgl. Bruch 2000, S. 78 f.)

Der weitere Verlauf der Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein. Bei einer Katamnesedauer von 5 bis 10 Jahren werden etwa 50 % der Erkrankten geheilt, ein Drittel kann deutliche Besserung vermerken und ein geringer Teil von 20% entwickelt eine chronische Anorexie. Die Mortalitätsrate liegt bei 5%. Bei zunehmender Katamnesedauer steigt die Mortalitätsrate. Nach 20 Jahren steigt sie auf 15% und nach 33 Jahren auf 18%. Circa die Hälfte der Todesfälle sind auf Suizid zurückzuführen, die weiteren sind Folge der Abmagerung. (vgl. Reich/Cierpka 1997, S. 38; Vandereycken/Meermann 2000, S. 38)

2.3. Suchtimmanente Aspekte

Die deutsche Bezeichnung Magersucht legt die Zuordnung einer Suchterkrankung nahe. Die Anorexia nervosa enthält folgende suchttypische Elemente:

- Kontrollverlust: Aus eigenen Antrieb können die Anorektikerinnen nicht aufhören zu hungern oder Sport zu treiben. Ein zentrales Merkmal der Magersucht ist der Drang weiter zu hungern und das Gewicht immer weiter zu reduzieren.
- Entzugserscheinungen: Indem Nahrung aufgezwungen oder
körperliche Aktivität versagt wird, wird den Magersüchtigen das Suchtmittel genommen. Als Folgen wird körperliches Unwohlsein, wie starke Unruhe, Nervosität, Leib- und Magenkrämpfe und depressive Verstimmungen beschrieben.
- Wiederholungszwang: Die Patientinnen empfinden einen
unbezwingbaren Wunsch weiterzuhungern, immer mehr abzunehmen und weiter Sport zu treiben.
- Toleranzentwicklung und Dosissteigerung: Das Fasten und der Sport.

[...]

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Hochschule
Universität Kassel  (Fachbereich 4)
Veranstaltung
Psychopathologie
Note
1,7
Autoren
Jahr
2004
Seiten
44
Katalognummer
V32826
ISBN (eBook)
9783638334495
ISBN (Buch)
9783656246541
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Die Kandidatinnen Kathrin Häfke und Frauke Koch haben in ihrer Studienarbeit das Thema (...) anhand relevanter Literatur in allem richtig und differenziert bearbeitet. Die Abwechslung von Text und Aufzählung wichtiger Punkte ist ausgeglichen. Die Darstellung ist logisch gegliedert und in klarer Sprache verfasst.(...)" Prof. Ewald Rumpf in seinem Gutachten am 10.10.2004
Schlagworte
Anorexia, Bulimia, Psychopathologie
Arbeit zitieren
Kathrin Häfke (Autor:in)Frauke Koch (Autor:in), 2004, Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32826

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