Der Begriff der Autorität unter dem Aspekt des sozialen Wandels


Studienarbeit, 2004

43 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1.) Einleitung

2.) Sozialer Wandel
2.1) Eindimensionale Theorien des sozialen Wandels
2.1.1) Mikrosoziologische Theorien
2.1.1.1) Die Handlungstheorie
2.1.1.2) Die Lerntheorie
2.1.2) Makrosoziologische Theorien
2.1.2.1) Die struktur-funktionale Theorie
2.1.2.2) Die Konflikttheorie
2.2) Mehrdimensionale Theorien des sozialen Wandels
2.2.1) Das Mikro-Makro-Modell
2.2.2) Das Modernisierungsmodell

3.) Das Autoritätskonzept
3.1) Der autoritäre Charakter
3.2) Formen der Autorität
3.2.1) Die Herrschaftsautorität
3.2.2) Die Auftragsautorität
3.2.3) Die funktionale Autorität
3.3) Der Autoritätsbegriff in der modernen Gesellschaft

4.) Autorität und sozialer Wandel
4.1) Veränderung des Autoritätsbegriffs im Zuge des sozialen Wandels
4.2) Der Einfluss von Autorität auf sozialen Wandel

5.) Zusammenfassung

1.) Einleitung

Häufig wird in Bezug auf Autorität die Frage gestellt, wie bestimmte Formen in einer Gesellschaft zustande kommen und existieren können. In Deutschland wurde diese Frage häufig in Verbindung mit dem dritten Reich gestellt. Wie konnte es dazu kommen und warum haben sich die Menschen in dieser Zeit voller Enthusiasmus der Autorität Hitlers untergeordnet? Was kennzeichnet diese Zeit, das Regime oder die Menschen, dass sich ein so grausamer Autoritätsträger halten konnte? Vielen Studien die zum Thema Autorität durchgeführt wurden lagen diese Leitfragen zu Grunde. Zu nennen wären hier beispielsweise das Milgram -Experiment oder auch Adornos „Studies in Prejudice“, welche in Kapitel 3.1 noch näher erläutert werden.

Leider kommt es auch heute noch in vielen Gesellschaften zu solch nach dem Menschenverstand nicht zu erklärenden Autoritätsanerkennungen, die eine genauere Betrachtung benötigen, um sie vielleicht verstehen zu können. Aber auch in alltäglichen Situationen werden Individuen häufig mit dem Begriff der Autorität konfrontiert. So sind beispielsweise Teilgebiete wie Erziehung, Schule, Berufsleben, Justiz, Politik und viele andere soziale Beziehungen eines Akteurs durch die Unterordnung und Akzeptanz einer Autorität gegenüber beeinflusst.

In dieser Arbeit soll versucht werden zu erläutern welche Autoritätsformen es gibt, wie diese möglicherweise entstehen, wodurch sie beeinflusst werden können und warum sie sich verändern. Diese Betrachtung soll unter dem Aspekt des sozialen Wandels einer Gesellschaft erfolgen. Es werden in diesem Zusammenhang die Fragen gestellt, ob der sozialen Wandel auf Autorität Einfluss nehmen kann und ob Autorität in der Lage die Veränderung, also den sozialen Wandel, einer Gesellschaft zu beeinflussen. Es wird also versucht den Zusammenhang zwischen Autorität und sozialem Wandel darzustellen.

Das Verständnis für beide Themengebiete wird auch in Zukunft von großer Wichtigkeit sein, da so u.U. der Verlauf von sozialem Wandel und/oder Autorität beeinflusst werden kann. Somit könnten Entwicklungen, die für eine Gesellschaft von Nachteil wäre eventuell verhindert oder zumindest gemäßigt werden. Zu denken ist hier beispielsweise an die Entwicklung der politischen Gesinnung in Ostdeutschland und den damit verbundenen erschreckend hohen Anteil an Wählern der rechten Parteien. Ist man in der Lage den Wandel hin zu einer solchen Entwicklung rechtzeitig zu erkenne, könnte man versuchen dagegen zu steuern. Bei dem hier aufgeführten Beispiel der gewählten Parteien ist auch immer die Frage der jeweils anerkannten Autoritätsform und deren Veränderung von Wichtigkeit.

Autorität soll in dieser Arbeit nicht als statischer, sondern als sich in ständiger Veränderung befindender, dynamischer Begriff verstanden werden. Diese Veränderung von Autorität soll durch den, in der Soziologie häufig in Bezug auf die verschiedensten Phänomene betrachteten, sozialen Wandel erklärt werden. Sozialer Wandel versucht sich verändernde Strukturen in Gesellschaften aufzuzeigen und zu erläutern.

Um die mögliche Wirkung bzw. Beeinflussung des sozialen Wandels und der Autorität darzustellen, werden in dieser Arbeit erst die theoretischen Grundlagen dieser beiden Phänomene dargestellt.

In Kapitel 2 wird hierzu das Konzept des sozialen Wandels erläutert. Es soll versucht werden den Wandel in einer Gesellschaft an verschiedenen exemplarischen Theorien darzustellen. Erst werden die eindimensionalen Modelle, welche wiederum in mikro- und makrosoziologische Modelle unterschieden werden, erläutert. Als Beispiel für die Mikrosoziologie dienen die Handlungs- und die Lerntheorie, für die Makrosoziologie die struktur-funktionale- und die Konflikttheorie. Im darauffolgenden Kapitel sollen die mehrdimensionalen und aktuelleren Theorien zur Erklärung des sozialen Wandels exemplarisch am Mikro-Makro- und dem Modernisierungsmodell dargestellt werden. Bis auf eine explizit erwähnte Ausnahme im Modernisierungsmodell sollen hierbei die Begriffe der Theorie und des Modells synonym verwendet werden.

Im Darauffolgenden Kapitel 3 wird das Konzept der Autorität erläutert. Zum besseren Verständnis von Autorität und um aufzuzeigen, warum diese oftmals ohne offensichtlichen Grund anerkannt wird, erfolgt erst die Darstellung des „autoritären Charakters“. Dieser hat auch, wie noch zu sehen sein wird, für die Forschung Adornos zum oben erwähnten Phänomen des Dritten Reichs, große Relevanz. Das anschließende Kapitel stellt die in der Soziologie gängige Unterscheidung der Formen von Autorität die der Herrschafts-, Auftrags- und funktionalen Autorität dar. Daran schießt sich die Darstellung des Begriffs in der Sichtweise der modernen Gesellschaft an.

In Kapitel 4 soll versucht werden, die Frage nach dem Zusammenhang von Autorität und sozialen Wandel zu beleuchten. Als erstes wird betrachtet, ob sozialer Wandel auf die Autoritätsformen Einfluss nehmen kann. Wandelt sich das Verständnis einer Gesellschaft über Autorität mit dem sozialen Wandel? Im darauffolgenden Kapitel soll die Frage erörtert werden, ob Autorität auch sozialen Wandel beeinflussen kann. Der ersten Fragestellung nach der Beeinflussung des sozialen Wandels auf Autorität soll mehr Bedeutung beigemessen werden, da davon ausgegangen wird, dass dieser Umstand häufiger in Gesellschaften zu finden ist.

Dieser Einleitung folgt nun die Darstellung der in der Soziologie gängigen Erklärungsversuche des sozialen Wandels.

2.) Sozialer Wandel

Für die Soziologie, welche sich vorwiegend mit grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen und deren Folgen beschäftigt, ist der „soziale Wandel“ ein Grundbegriff. Das soziale Leben besitzt eine Art von Eigengesetzlichkeit, welche von Menschen beeinflusst werden kann. Eine durch transzendente Macht geschaffene und gottgegebene soziale Ordnung ist lange überholt. Aus dem Umstand der Veränderbarkeit von Gesellschaft ergibt sich die Notwendigkeit alle sozialen Erscheinungen mit ihrem geschichtlichen Hintergrund und ihrer zukünftigen Veränderbarkeit zu betrachten (Jäger & Meyer, 2003, S. 16). Das Einbeziehen der Geschichte einer Gesellschaft bei der Betrachtung des sozialen Wandels ist wichtig, da nur so erklärt werden kann, warum die Zusammenhänge zwischen Institutionen so sein müssen wie sie sind (Homas, 1979 in Zapf, 1979, S. 102-103). Der soziale Wandel bezeichnet die „Veränderbarkeit der quantitativen und qualitativen Verhältnisse und Beziehungen zwischen den materiellen und normativ-geistigen Zuständen, Elementen und Kräften in einer Sozialstruktur“ (Hillmann, 1994, S. 919).

Grau (1973) definiert den sozialen Wandel als :

„Insgesamt von Veränderungen einer Gesellschaft in Hinblick auf: ihre

Struktur, ihre Umwelt, das Gefüge von Positionen, Rollen und Status,

das Interaktionsnetz der Mitglieder, die Rangskala der herrschenden

Werte, etc. Den Veränderungen einzelner Phänomene und Teilbereiche

steht der Wandel eines sozialen Systems als Ganzes gegenüber“ (Grau,

1973, S. 48, zitiert in Jäger & Meyer, 2003, S. 17).

Eine solche Definition impliziert, dass sich in einem System sowohl die strukturellen Elemente, als auch die kulturellen Werte und Normen verändern können. Ebenso wird berücksichtigt, dass die verschiedenen Wandlungseinheiten auch verschiedene Strukturverständnisse beinhalten (Jäger & Meyer, 2003, S. 17).

In der modernen Gesellschaft, welche durch Individualisierung, Globalisierung und Virtualisierung geprägt wird, unterliegt der soziale Wandel einer großen Anzahl von Einflussfaktoren (Schäfers & Zapf, 2001, S.643).

Eingeführt wurde der Begriff des sozialen Wandels von Ogburn (1922), welcher Begriffe wie „Fortschritt“ oder „Evolution“ damit ersetzen wollte (Ogburn, 1922 zitiert in Wiswede & Kutsch, 1978, S. 1). Auch König hält diesen Schritt für richtig, da für ihn Begriffe wie „Fortschritt“ und „Entwicklung“ immer mit Werten besetzt sind und damit die Richtung des Wandels bereits vorgeben. Der Begriff des sozialen Wandels ist hingegen wert und damit richtungsfrei (König, 1967, S. 291). Von sozialen Wandel wird seither in der Soziologie gesprochen, wenn „sich relevante Elemente eines Sozialsystems signifikant verändern. Diese Veränderungen werden wahlweise im Sinne einer “Modernisierung“, „Entwicklung“, „Transformation“, oder „Evolution“ konzipiert“ (Schelkle et all, 2000, zitiert in Jäger & Meyer, 2003, S. 16). Wobei die Soziologie zumeist den Wandel eines Systems und nicht den Wandel in einem System als sozialen Wandel bezeichnet (Wiswede & Kutsch, 1978, S.3).

Fragen, die man sich nach Wiswede und Kutsch (1978) im Zuge der inhaltlichen Bestimmung des sozialen Wandels zu stellen hat, sind die danach, was oder wer sich wandelt und gemessen woran? In welche Richtung und in welchem Umfang bzw. mit welcher Reichweite verläuft er? Was sind die Ursachen und die Folgen des Wandels? Wie ist die Qualität des Wandels zu beurteilen? Als Bereiche des sozialen Wandels legen sie die kulturelle, soziale, ökonomische und personale Struktur fest.

Des Weiteren sind verschiedene Formen des sozialen Wandels zu analysieren. Hierbei wird zum einen in aller Regel zwischen partiellem und totalem Wandel unterschieden. Der partielle Wandel bezieht sich auf einzelne soziale Systeme, der totale Wandel meint den Wandel aller Systeme. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass der Wandel von einzelnen Teilsystemen immer auch die Veränderung anderer Teilsysteme zur Folge hat. Zum anderen wird die Unterscheidung in geringe oder größere Reichweite eines Wandels vorgenommen. Gemeint sind damit die Auswirkungen, welche ein Wandel nach sich zieht. Als dritte Form des Wandels ist die Differenzierung in geplante und ungeplante Veränderung zu sehen. Ein geplanter sozialer Wandel geht davon aus, dass gesellschaftliche Systeme steuerbar sind. Als von größerem Erfolg werden doch mit großer Wahrscheinlichkeit ungeplante

und sich aus sich selbst heraus entwickelnde Wandlungsprozesse bewertet. Auch die Geschwindigkeit mit der sich ein Wandel vollzieht, ist wichtig. Hierbei wird zwischen evolutionärer und revolutionärer Wandlungserscheinung unterschieden. Die revolutionäre und mit Gewalt schnell vollzogene Wandlung kann jedoch auf evolutionären Prozessen beruhen (Wiswede & Kutsch, 1978, S.2-14).

Um sich Phänomene erklären zu können, entwickeln die Menschen Modelle. Diese sollen helfen, sich über komplexe Zusammenhänge oder das Ganze einen Überblick verschaffen. Unter einem Modell ist hier eine „vereinfachende und stilisierende Verdeutlichung ... eine komplexreduzierte Hilfskonstruktion“ (Jäger & Meyer, 2003, S. 20) zu verstehen. Hierbei wird wie häufig in der Soziologie, keine Unterscheidung zwischen einer Theorie und einem Modell gemacht (Hillmann, 1994, S. 568). Ein Modell kann immer nur einzelne Teilaspekte aus dem Ganzen berücksichtigen. Elemente der Wirklichkeit, welche für das zu erklärende Phänomen als weniger relevant gelten, müssen vernachlässigt werden. Kein Modell ist daher in der Lage, die gesamte Realität zu erklären (Hillmann, 1994, S. 869).

Die große Anzahl der in der Soziologie gängigen Theorien können grob in vier „Paradigma – Stränge“ eingeteilt werden. Die „strukturell – funktionalen Theorien bzw. Systeme“, die „konflikttheoretischen Ansätze“, die „Verhaltens- bzw. Entscheidungstheorien“ und die „Handlungs- bzw. Interaktionstheorien“.

Auch um sich den Prozess des sozialen Wandels erklären zu können wurde eine Vielzahl von Theorien entwickelt. Ob jedoch das komplexe Phänomen des sozialen Wandels erklärt werden kann und muss, kann letztlich keine Theorie eindeutig beantworten. Die erklärende Soziologie geht jedoch davon aus, dass der gesellschaftliche Strukturwandel bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die es zu finden gilt (Jäger & Meyer, 2003, S.20-26). Schmid (1982) meint, „dass es auch und gerade für das Problem des sozialen Wandels eine einheitliche Theorie gibt, die die Einzelprozesse grundsätzlich als eine jeweils spezifische Ausprägung, als ein Exemplar oder als einen Anwendungsfall des zentralen Prozesses ansieht“ (Schmid, 1982, S.17).

Einigkeit besteht in der Soziologie einzig über den Umstand, dass der Begriff als „Veränderung sozialer Strukturen“ zu begreifen ist. Einige Soziologen haben sich jedoch die Suche nach einem Modell, das die Veränderungen einer Gesellschaft erklärt, zur Aufgabe gemacht (Jäger & Meyer, 2003, S.204).

Im nun Folgenden sollen einige der Theorien, welche versuchen den sozialen Wandel zu erklären, aufgezeigt werden. Zu berücksichtigten ist jedoch bei dem theoretischen Erklärungsversuch, dass für einen Wandel auch immer die Vergangenheit berücksichtigt werden muss und somit die Bestimmung der Gegenwart auch eine Deutung der Vergangenheit darstellt. Außerdem lassen sich die Faktoren, welche Tendenz oder Richtung einer Veränderung bestimmen und die Determinationen des Geschehens nicht immer klar in der Realität erkennen (Jäger & Meyer, 2003, S. 19).

2.1) Eindimensionale Theorien des sozialen Wandels

Unter „eindimensional“ soll hier verstanden werden, dass diese Theorien entweder auf den Aspekt der Mikro- oder der Makrosoziologie bezogen sind. Was unter Mikro- und Makrosoziologie zu verstehen ist, soll in den nun Folgenden Kapiteln dargestellt werden.

2.1.1) Mikrosoziologische Theorien

Mikrosoziologische Theorien stellen einen Teilbereich der soziologischen Theorien dar. Sie versuchen soziale Sachverhalte und Vorgänge durch die Wechselbeziehung einiger weniger in direkter Verbindung stehender Individuen zu erklären. Diese Individuen sind von den sie umgebenden sozialen Strukturen abhängig. Das besondere Interesse liegt hierbei auf den Einstellungen, Gefühlen, Werten, Motivationen und Verhaltensweisen der Beteiligten, wenn diese sich aus der jeweiligen Struktur der Gruppe ergeben oder für das Herausbilden der Strukturen des Handelns verantwortlich sind. Zu den mikrosoziologischen Theorien zählen beispielsweise die Handlungstheorie, die Lerntheorie, die Verhaltenstheorie, die Kleingruppenforschung und der Symbolische Interaktionismus (Hillmann, 1994, S. 553).

Anhand der nun Folgenden, exemplarisch dargestellten mikrosoziologischen Theorien, die der Handlungs- und der Lerntheorie wird aufgezeigt, wie diese den Begriff des sozialen Wandels zu erklären versuchen.

2.1.1.1) Die Handlungstheorie

Bei der Handlungstheorie wird angenommen, dass die soziale Wirklichkeit wesentlich aus regulationsbedürftigen und interpretationsfähigen Verhaltenssituationen besteht. Diese Verhaltenssituationen eignen sich Akteure in Interaktionen an, außerdem werden sie in den Interaktionen eingespielt, bestätigt und verändert (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 179).

Dadurch dass die Akteure ihre Handlungen gegenseitig interpretieren und orientieren entsteht die soziale Wirklichkeit (Jäger & Meyer, 2003, S.50). Weber (1921) versteht soziales Handeln als „sinnhaft auf das Verhalten anderer Personen bezogenes Handeln“ (Weber, 1921, S. 1 ff). Er sieht im gegenseitigen sozialen Handeln die Minimumanforderung für soziale Beziehungen, welche für ihn die grundlegende Sozialform darstellt (Weber, 1921, S.1 ff). Für diese sozialen Beziehungen ist das gegenseitige Verstehen eine Voraussetzung. Dieses Verstehen ergibt sich daraus, dass die Träger einer sozialen Beziehung sich wechselseitig auf ihre jeweiligen Handlungen beziehen (Jäger & Meyer, 2003, S. 52).

Die Handlungstheorie geht davon aus, dass Handeln nicht als zufällig oder als zufälliges Ergebnis psychosomatischer Kräfte zu bewerten ist. Handeln wird als „Äußerung, Objektivation vergesellschafteter Menschen betrachtet, d.h. determiniert durch die sozialen Verhältnisse, durch die Elemente der sozialen Ordnung ... mit denen und in denen der Mensch zu leben hat und durch die der Mensch überhaupt zum Menschen geworden ist“ (Hillmann, 1994, S. 319).

Durch Brauch, Sitte, Interesse oder Recht und Konvention ist relativ gesichert, dass soziale Handlungen sich verfestigen und wiederkehren. Das interpretative Paradigma geht im Vergleich dazu davon aus, dass Handeln als Produkt jeweiliger Situationen zu bewerten ist und eine Interpretationsleistung der Akteure darstellt ( Jäger & Meyer, 2003, S. 52).

Als eine der wichtigsten handlungstheoretischen Ansätze kann der des „symbolischen Interaktionismus“ gesehen werden (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 179). Bei diesem Ansatz steht im Vordergrund, dass der Mensch nicht nur in einer natürlichen, sondern auch in einer symbolisch vermittelten Welt lebt. Diese Symbole werden von den in einem Kulturkreis lebenden Menschen geteilt und ermöglichen ihnen die Definition von Situationen und ein wechselseitiges Orientieren der sozialen Handlungen (Hillmann, 1994, S. 855).

Hierbei wird der Mensch eher als Produzent, wie als Produkt der Gesellschaft gesehen (Jäger & Meyer, 2003, S. 53). Nach Wiswede (1978) sind die folgenden drei Kennzeichen typisch für diesen Theorieansatz. Zum ersten wird die durch Kommunikation vermittelte soziale Beziehung zwischen den Akteuren als Interaktion verstanden. Die daraus resultierende Wechselwirkung beeinflusst deren Einstellung, Handlungen und Erwartungen. Des Weiteren werden diese Interaktionen durch Alltagswissen, welches man dem Interaktionspartner vermittelt, geleitet. Das letzte Kennzeichen betrifft die soziale Wirklichkeit. Diese wird nicht als grundsätzlich Vorgegebenes, sondern als sich aus den konkreten Interaktionsbezügen bildendes Element gesehen (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 180; vgl. auch Jäger & Meyer, 2003, S. 54).

Die sich immer wiederholenden Muster der Interaktion bilden in der Handlungstheorie eine Art „Netzwerk von Handlungen“. Dieses Netzwerk ist jedoch immer auf die Aktivitäten und Interpretationen der Akteure angewiesen ohne die kann es nicht existieren kann (Jäger & Meyer, 2003, S. 54).

Auch Schütz (1987) hat sich bei seiner These vom „sinnhaften Aufbau der sozialen Welt“ mit der Handlungstheorie beschäftigt. Er geht davon aus, dass die Menschen sich in einer unreflektierten und nicht hinterfragten Lebenswelt bewegen, die sich so lange durch Routine bestätigt, wie sie unproblematisch ist. Die Struktur dieser Lebenswelt beruht nach Schütz „auf der Idealisierung der Vertauschbarkeit der Standpunkte und zum anderen auf der Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme“ (Jäger & Meyer, 2003, S.55). Die Handlungs- und Verstehensfähigkeit wird durch Wissensvorräte, welche zur Bewältigung und Definition von Situationen vorliegt, sowie durch das Vertrauen in die Beständigkeit der Erfahrungen und durch Typisierung der Erfahrungen, Handlungen, Motiven, Situationen und Personen in bezug auf die jeweiligen Sinnzusammenhänge hergestellt. Das Handeln eines Akteurs ist immer motiviert und dient einem bestimmten Ziel. Dieses Handeln beschränkt sich nicht auf die alltägliche Welt, sondern betrifft beispielsweise auch Religion, Wissenschaft und Kunst. Auch nach Schütz (1981) können sich Akteure gleichen Kulturkreises trotz unterschiedlicher Voreinstellungen und Interpretationen über die Wirklichkeit verständigen (Schütz, 1981, zitiert in Jäger & Meyer, 2003, S. 54).

In der Handlungstheorie gibt es noch weitere Ansätze, wie beispielsweise den von Habermas (1970) entwickelten „kommunikationstheoretischen“ oder das Modell von Don Martindale (1962) (vgl. Weber & Kutsch, 1978, 180 ff). Eine komplette Darstellung aller Ansätze würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen.

Die Handlungstheorie versucht, den sozialen Wandel aus der Interaktion der Akteure in einer Gesellschaft zu erklären. Wiswede und Kutsch (1978), sind jedoch der Meinung, dass dieser Ansatz nicht geeignet ist,

sich diesem Phänomen zu nähern. Die Problematik sehen sie darin, dass bei historischen Zusammenhängen nicht alle relevanten Bedingungen und Merkmale erhoben werden können. Die Auflösung der komplexen historischen Situation kann immer nur einen bestimmten Aspekt der Problematik, jedoch nie das komplette Phänomen, beleuchten (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 37 & S. 182).

Der handlungsorientierte wie auch der im Folgenden dargestellte lerntheoretische Ansatz werden zu den verhaltensorientierten Erklärungsansätzen des sozialen Wandels gezählt. Diese Ansätze gehen davon aus,

„dass Gesellschaft letztlich aus Menschen besteht und dass die

Veränderung auskristallisierter Handlungsmuster und sozial geregelter

Motivationsmuster, mit denen man gewöhnlich den sozialen

Strukturwandel umschreibt, letztlich auf das konkrete Handeln von

Menschen und ihre konkreten Motivationen zurückgeführt werden

kann“ (vgl. Wiswede & Kutsch, 1978, S. 176).

Nach der Darstellung des mikrosoziologischer Ansatzes der Lerntheorie soll im nun folgenden Kapitel die Lerntheorie erläutert werden.

2.1.1.2) Die Lerntheorie

Wie schon erwähnt, handelt es sich bei dem hier exemplarisch dargestellten Ansatz der Lerntheorie, wie auch bei der Handlungstheorie, um einen verhaltensorientierten Ansatz, welcher davon ausgeht, dass sozialer Wandel über das Verhalten von Akteuren erklärt werden kann (vgl. Kapitel 2.2.1 und Wiswede & Kutsch, 1978, S. 176).

Die Lerntheorie geht davon aus, dass menschliches Verhalten nicht auf angeborene Instinkte und Motive oder auf unveränderliche Dispositionen und Anlagen zurück zu führen ist. Handeln wird durch die Wahrnehmung seiner Folgen beeinflusst und verändert. Der Akteur wird sein Handeln immer so anlegen, dass die Chance auf Erfolg möglichst hoch und die auf Misserfolg bzw. Strafe möglichst gering erscheint. Sein weiteres Handeln wird der Akteur an den bis dahin mit seinem Handeln gemachten Erfahrungen orientieren. Durch bewusst eingesetztes Belohnen oder Bestrafen ist Handeln erziehbar. Durch Erfolg bzw. Misserfolg ist beeinflussbar, ob ein bestimmtes Verhalten in der Zukunft wieder auftreten wird oder nicht (Schmid, 1982, S. 37-38).

Opp (1972) sieht die Erklärung für die Änderung von Individualmerkmalen und Merkmalen sozialer Systeme in lerntheoretischen Aussagen. Soziale Systeme sind in diesem Fall als Personenmehrheit zu verstehen. Ihre Merkmale müssen Merkmale dieser Personenmehrheit sein. Merkmalsänderungen sind somit immer die Änderungen der individuellen Merkmale. Merkmalsänderungen sozialer Systeme sind also Änderungen individuellen Verhaltens (Opp, 1972, zitiert in Wiswede & Kutsch, 1978, S. 195 und Schmid, 1982, S. 38).

Bei dem Erklärungsversuch das Verhalten von Akteuren den sozialen Wandel beeinflusst, sind zwei Fragen zu berücksichtigen. Zum einen, was menschliches Verhalten beeinflusst und zum anderen, welche Bedingungen menschliches Verhalten ändern (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 196) ? Ein Wissenschaftler, der diesen Fragen nachgegangen ist, und damit versuchte den „sozialen Wandel“ lerntheoretisch zu erklären, ist John H. Kunkel (1970, 1975). Er konzipierte eine Theorie individuellen Handelns, in der die Bedingungen, welche für ein bestimmtes Verhalten

verantwortlich sind, aufgezeigt werden. Dabei geht er von der „differentiellen Verstärkung“ aus, welche Verhaltensweisen erlernt, in dem sie erwünschtes Verhalten belohnt, andere nicht belohnt und unerwünschte Verhaltensweisen bestraft. Unterschieden werden die Elemente eines sozialen Kontextes, über das Maß in dem sie die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Handlung verstärken oder nicht. Sowohl die Wirksamkeit der Sanktionen, als auch das zu verstärkende Verhalten, werden in unserer Gesellschaft weitestgehend durch Werte und Normen festgelegt. Kunkel (1970) bezeichnet das zu verstärkende Verhalten als „ideal values“, die „operating norms“ zeigen das tatsächlich verstärkte Verhalten an. Allerdings ist die Durchsetzung bestimmter spezifischer Verhaltensmuster immer von ihrer Festigung im Sozialisationsprozess abhängig. Die Wechsel der Verhaltensmuster erfolgen so nur in sehr allgemeinen Zügen. Kunkel (1970) stellt in seinem Ansatz heraus, dass spezifische Wandlungen und Handlungen ihre Erklärung nicht einzig über die Lerntheorien erhalten können. Ebenso müssen jedoch die Elemente sozialer Strukturen unter Berücksichtigung der Lernprozesse betrachtet werden. Soziale Strukturen, verstanden als sozialer Kontext, stellen nach Kunkel immer auch Auslöser für menschliches Verhalten dar. Diesen Umstand gilt es zu berücksichtigen (Kunkel, 1970, 1975 zitiert in Wiswede & Kutsch, 1978, S. 197-199 und in Schmid, 1982 S. 38-49). „Lerntheoretische Analyse von Verhaltensänderung ohne Rückgriff auf den sozialen Kontext ist blind, sozial-strukturelle Analyse ohne Rückbezug auf lernpsychologische Mechanismen bleibt leer“ (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 201).

Ein Defizit, das die verhaltensorientierten Lerntheorien jedoch beim Erklärungsversuch des sozialen Wandels haben, ist dass häufig nur auf das operante Konditionieren nach Skinner(1938), bei dem es hauptsächlich um das Verstärken eines erwünschten Verhaltens durch Belohnung geht, zurückgegriffen wird (Skinner, 1938 zitiert in Piel, 1977, S. 41ff) . Wiswede und Kutsch (1978) sehen jedoch in Lerntheorien, wie des Lernens am Modell von Bandura (1963), ein größeres Potential soziales Verhalten zu erklären. Bei Banduras Beobachtungslernen wird davon ausgegangen, dass Verhaltenssequenzen, die dem Akteur vorher nicht bekannt waren, von diesem durch das Beobachten anderer Akteure erlernt werden können. Erst bei der Häufigkeit des Einsetzens dieses erlernten Verhaltens spielt das Verstärken eine Rolle (Wiswede & Kutsch, 1978, S. 202).

Sowohl die Handlungs- als auch die Lerntheorie erheben nicht den Anspruch, durch individuelles Handeln alleine das Phänomen des sozialen Wandels zu erklären. Das Verhalten ist jedoch in zweierlei Weise wichtig für die Analyse des sozialen Wandels. Zum einen „als spezifische Blickrichtung und als Teilinhalt sozialen Wandels: u.a. können eben auch Veränderungen in den Verhaltensweisen analysiert werden“ und zum anderen „als Generalnenner für sozialen Wandel schlechthin, indem von sozialen Wandel erst dann gesprochen wird, wenn auch das Verhalten der beteiligten Individuen sich geändert hat“ (Wiswede & Kutsch, 1978, S.177).

Bei der Unterscheidung in die Dimensionen der Verhaltensebene und der strukturellen Ebene des sozialen Wandels ergeben sich nach Wiswede und Kutsch (1978) die folgende Prozesse :

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Bezugsfeld Wandel der Wandel des

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Wandlungstyp sozialen Struktur sozialen Verhaltens

A ja ja

B ja nein

C nein ja

Abb.1: Prozesse bei Trennung zwischen Verhaltensebene und struktureller Ebene des sozialen Wandels nach Wiswede & Kutsch, 1978, S.177

Die hier dargestellten mikrosoziologischen Theorien stehen exemplarisch für eine große Zahl an Ansätzen, die soziologische Phänomene auf der Individualebene zu erklären versuchen. Ihre Bedeutung für die Erklärung des sozialen Wandels schätzt Schmid (1982) jedoch sehr gering ein. Die Schwachpunkte einer individuellen Theorie sieht er darin, dass sie nur Aufschluss über das Handeln einzelner Akteure liefert. Daher können strukturelle Zusammenhänge nur schwer oder gar nicht erfasst werden. Diese Form der Theorie erklärt meist nur singuläre Verhaltensweisen einzelner Akteure und keine kollektiven Handlungsfolgen. Individuelles Handeln stellt einzig eine notwendige Bedingung für die Erklärung sozialer Strukturen dar (Schmid, 1982, S. 109-111).

In den nun folgenden Kapiteln werden exemplarische einige für die Soziologie ebenso wichtigen makrosoziologischen Ansätze zur Erklärung des sozialen Wandels erläutert.

2.1.2) Makrosoziologische Theorien

Bei der Makrosoziologie handelt es sich um einen weiteren großen Forschungsbereich der Soziologie. Das Forschungsinteresse liegt hierbei darin, die Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung, des Aufbaus, der Veränderung und der gegenseitigen Beeinflussung kollektiver Prozesse, größerer sozialer Gebilde und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu ergründen. Er beschäftigt sich beispielsweise mit Organisationen, Verbänden, Betrieben und auch mit relativ stabilen und institutionalisierten sozialen Systemen wie gesellschaftliche Klassen, Schichten und Minderheiten. Der makrosoziologische Ansatz beschäftigt sich immer mit den für soziale Beziehungen allgemein geltenden kulturellen Werten, Normen und Sanktionen. Der Forschungsgegenstand ist das Kollektiv, nicht das einzelne Individuum (Hillmann, 1994, S. 507).

Im Unterschied zur „Mikrosoziologie, die spezifische Eigenschaften mikroskopischer Einheiten, wie Familie, Arbeitsteams und Freundesgruppen“, stellt die Makrosoziologie „die spezifischen Eigenschaften makroskopischer Einheiten (zum Beispiel Nationen, Klassen)“ dar (Etzioni, 1979, in Zapf, 1979, S. 147).

Exemplarisch für diese Form der soziologischen Forschungsgebietes werden nun die struktur-funktionale und die Konflikttheorie dargestellt werden.

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Details

Titel
Der Begriff der Autorität unter dem Aspekt des sozialen Wandels
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
43
Katalognummer
V32759
ISBN (eBook)
9783638334020
ISBN (Buch)
9783638703987
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begriff, Autorität, Aspekt, Wandels
Arbeit zitieren
Josina Johannidis (Autor:in), 2004, Der Begriff der Autorität unter dem Aspekt des sozialen Wandels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32759

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