Die Dämonisierung der Frau am Beispiel der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit


Bachelorarbeit, 2015

111 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzzusammenfassung

Danksagungen

1. Einleitung
1.1. Motivation
1.2. Fragestellung
1.3. Wahl der Forschungsmethode und Begründung
1.4. Überblick über den Aufbau

2. Theoretische Abhandlung des Themas
2.1. Begriffsklärung
2.1.1. Was ist ein Stereotyp?
2.1.2. Was ist ein Vorurteil?
2.1.3. Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen
2.1.4. Was ist eine Projektion?
2.1.5. Die Anima des Mannes
2.1.6. Was bedeutet Dämonisierung?
2.1.7. Der Begriff ‚Hexe‘
2.2. Die Geschichte des Hexenglaubens
2.2.1. Der Kult um die Große Göttin in der Frühzeit
2.2.2. Die Symboliken
2.2.3. Der Einbruch des Mannes in die Welt der Großen Mutter
2.2.4. Babylonien
2.2.5. Griechenland
2.2.6. Römisches Reich und Christentum
2.2.7. Norden
2.2.8. Das Christentum
2.2.9. Die Zeit der Hexenverfolgung
2.2.10. Hexenverfolgung in Salzburg
2.3. Hexendarstellungen gestern und heute
2.3.1. Gebrüder Grimm
2.3.2. Elfie Donnelly
2.3.3. J. K. Rowling
2.4. Auseinandersetzungen mit der Hexe in der Performancekunst
2.5. Zwischenfazit

3. Forschungsfragen

4. Praktische Abhandlung des Themas
4.1. Beschreibung der Stichprobe
4.2. Methoden
4.2.1. Qualitative und quantitative Forschung
4.2.2. Triangulation
4.2.3. Pädagogische Hermeneutik
4.3.4. Die Kategorienbildung
4.3. Bezug zur Schule
4.3.1. Die Aufgabenstellung
4.3.2. Die schulische Intervention
4.4. Ergebnisse
4.4.1. Die ersten Zeichnungen
4.3.2. Fragebogenergebnisse
4.3.3. Zweite Zeichnung
4.4. Diskussion der Ergebnisse

5. Fazit
5.1. Kritische Reflexion
5.2. Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

Kurzzusammenfassung

Das Herausarbeiten des Konstrukts „Hexe“ war einer der Höhepunkte des Wandels von einem möglichen Matriarchat zum Patriarchat. Mit der aufkeimenden Emanzipation fühlen sich manche Männer in ihrer Macht angegriffen. Damit dieser Machtkampf nicht in einer Dämonisierung der Frau endet, wie es uns die Geschichte schon gezeigt hat, wird durch eine schulische Intervention versucht, diesem Prozess Einhalt zu gewähren. Durch eine schulische Intervention soll aufgezeigt werden, wie die Konstruktion des Frauenbildes von der Frühzeit bis heute einen Wandel erfahren hat und welche Einflüsse daran beteiligt waren. Diese Intervention verfolgte das Ziel, das negative Bild der Hexe zu beeinflussen. Die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Untersuchung zeigten, dass eine Veränderung zwischen erster und zweiter Zeichnung stattfand und dass sich das Hexenbild der Mädchen deutlich von dem der Burschen unterscheidet

Abstract

A school based intervention should show that a construction of the image of women from the early ages up to today has discovered its change and should also show which influences were involved into it. The construction of witches was a milestone of change from matriarchy to patriarchy. Because of the raising emancipation some men felt themselves attacked in their power. This struggle for power shall not end as a demonization of womanhood as history taught us. This school-based intervention tries to put an end to the negative image of witchery. The pupils’ knowledge of witches will be checked by a picture analysis and further evaluated by a questionnaire. In addition, a lesson about the history of women will be held, to reach an eventual change of the picture of witchery. The following representation of witches should show, if and how the mind-made picture of witches has changed or not. It is incidental that students still see witches/ the witch as a negative and frightening person. In recent times a positive picture of witches was formed for children. This picture is based on youth and a good character. Still yet the negative form of witches seems to be stuck in the heads and is bound to ugliness and negative character

Danksagungen

Für die zahlreiche und engagierte Mitarbeit bedanke ich mich bei den Schülerinnen und Schülern, welche die Ergebnisse für die Untersuchung ein- und Freude für das Thema der Hexe mitgebracht haben

Einen besonderen Dank möchte ich meinen Eltern aussprechen, die meine Arbeit sehr schätzen und mich immer dabei unterstützen. Ein Dank gilt auch meinem Freundes- und Bekanntenkreis, der mit viel Verständnis für meinen Zeitmangel und mir ihre guten Wünsche und ihre Begeisterung zu meiner Bachelorarbeit ausgesprochen haben

Ich bedanke mich zudem bei Univ.-Dozin. Drin. Maga. phil. Andrea Bramberger und Drin. Maga Doreen Cerny für ihre Unterstützung. Außerdem möchte ich mich bei Drin. Maga Sabine Veits-Falk für ihren literarischen Beitrag zur Frau in der Geschichte danken, Pfr. Mag. Tilmann Knopf und Drin Angelika Walser danke ich für ihre theologischen Fachkenntnisse und Fritz Glaser für seine unerschütterliche Geduld

Und nicht zuletzt spreche ich dem Betreuer-Team Profin Drin Silvia Kronberger und Mag. Karl Hartwig Kaltner meinen allerherzlichsten Dank für ihr Vertrauen, ihre gute Führung und den kreativen Anregungen bei dieser wissenschaftlichen Abhandlung aus

1. Einleitung

Die Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit ist Beleg für die Grausamkeit der Menschen. Bei den Recherchen über die Gründe der Verfolgung gelangte die Autorin bis zur Eiszeit 25.000 v. Z. Damals wurden Frauen vergöttert, zahlreiche Artefakte in Höhlen machen zumindest auf einen möglichen Kult der Göttin aufmerksam. Doch dieser Kult wandelte sich allmählich, aus der Göttin, die sogenannte „Frau Welt“, welche die sichtbare, spürbare Welt selbst verkörperte, wurde eine rächende Göttin. Es wird vermutet, dass mit dem Glauben an die Göttin die Existenz eines Matriarchats einhergeht.

Unter Matriarchat wird nicht, wie teilweise unterstellt, eine Mütterherrschaft und ein Spiegelbild des Patriarchats oder eine Androkratie[1] verstanden, sondern, wie Gimbutas (1989) feststellt:

A balanced, nonpatriarchal and nonmatriarchal social system is reflected by religion, mythologies, and folklore, by studies of a social structure of Old European and minoan cultures, and is supported by the continuity of the elements of a matrilineal system in ancient Greece, Etruria, Rome, the Basque, and other countries of Europe. (Gimbutas, 1989, p. 55)

Ob das Matriarchat ein Mythos ist, wird wohl nicht endgültig beantwortet werden können und zieht sehr lange Diskussionen auf sich. Nach Scherzberg (1995) ähnelt die feministische Matriarchatsforschung sehr stark der Romantik, deren geschichtsphilosophisches Konzept des Mittelalters auch recht weit als das des idealen Zeitalters von der historischen Wirklichkeit entfernt war. Andererseits aber, würde heute die Romantik auch niemand aus diesem Grund als völligen Unsinn oder kulturell bedeutungslos bezeichnen (Scherzberg, 1995, S. 100)

Die feministische Theologin Mary Daly (1986) geht so weit, zu behaupten, dass in der patriarchalen Religion der ursprüngliche Mord an der Göttin zugrunde liegt. Um die Erinnerungen an die Göttin und ihre Existenz auszulöschen, werden immer wieder dieselben Rituale an einzelnen Frauen ausgeführt: Vergewaltigung des Körpers und des Bewusstseins und das Rauben der Integrität. Der Mord bzw. die Verstümmelung der Göttin wird von männlichen patriarchalen Mythen in vielfältiger Form wiederholt (Daly, 1986, S. 132).

Diese lassen die Göttin vergessen und verwirren das Bewusstsein, lassen das Wissen zu einem Nicht-Wissen werden (Ladner, 2003, S. 157f.).

In der Arbeit wird gezeigt, welche Veränderung die Göttin und das damit einhergehende Frauenbild genommen hat. Spannend dabei ist, dass sich Symbole aus der Frühzeit durch die Geschichte ziehen und bis heute verwendet werden. Ein Weltbild verändert sich und doch gibt es Reste, die uns davon erzählen. Nicht nur Höhlenbildnisse, sondern auch Sagen, Mythen und Märchen zeigen, dass die Hexe eine Erfindung ist. Sie ist ein Konstrukt, das uns die dunkle Seite der Frau vorführen will. Dunkle Aspekte werden allerdings nicht nur in der und durch die Frau verkörpert. Die Polarität zwischen gut und böse ist ein grobes Denkmuster. In vorliegender Arbeit soll vorgeführt werden, dass es noch mehr gibt, als schwarz und weiß. Sündenböcke hat es immer gegeben, sich der eigenen Schuld reinzuwaschen und diese auf andere abzulassen ist einfach. Das eigene Weltbild zu hinterfragen ist ein Schritt zur Wahrheit. Denn niemand ist frei von Sünde. Kinder sind ehrlich, doch sie sind bereits sozialisiert. Daher bringen sie bereits Einstellungen mit, die sie impliziert bekamen. Durch ihre Zeichnungen und Antworten der Fragebögen wird untersucht, welches Bild der ‚Kunstfrau’ Hexe sie in sich tragen.

1.1. Motivation

Immer schon fasziniert von den dunklen Frauengestalten in der Medienlandschaft hat sich die Autorin gefragt, woher wir so genau wissen, dass die eine oder andere Frau, die wir als Hexe bezeichnen, nur die gezeigten schlechten Eigenschaften hat. Denn eigentlich wäre die Idee, eine Hexe zu sein, die magische Fähigkeit hat, etwas Wunderbares. In eine Welt einzutauchen, die scheinbar keine Grenzen hat, den Zauber in den Dingen zu erkennen und unendliche Macht zu besitzen, die Unmögliches möglich macht, könnte wahrlich reizvoll erscheinen. Das erkennen auch viele Menschen aus der Esoterik-Szene und dem New-Age seit den 1970er Jahren. Dass vieles, was auf diesem boomenden Markt angeboten wird, wahrer Humbug ist, steht außer Zweifel.

Eine Hinwendung zu Magie, Mystizismus und Spiritualität ist in letzter Zeit innerhalb der neuen Frauenbewegung festzustellen. Nach Schenk (1988) werden alte Matriarchate wiederentdeckt und Göttinnenkulte propagiert. Der Zugang zur Natur wird gefördert, die als belebter Partner und nicht als Objekt der Ausbeutung verstanden wird. In dieser Entwicklung, in der sich Frauengemeinschaften bilden, steckt einerseits die Gefahr eines neuerlichen Rückzugs und sie wird von vielen Feministinnen als eine erneute Flucht vor der Notwendigkeit gesellschaftspolitischer Veränderungen gesehen. Andererseits ist die Entwicklung Ausdruck der Suche nach einer verschütteten weiblichen Identität, die in einer männlich geprägten Kultur und Religion verloren gegangen ist. Bestimmte Themen, die im patriarchalen Weltbild verdrängt oder verzerrt wurden, sollen aufgegriffen werden. Dabei, so betont Herrad Schenk (1988), soll der neue Mystizismus sich nicht in das Zentrum des weiblichen Lebenszusammenhangs stellen wie Eros, Gefühl, Natur und Irrationalität. Denn dadurch würde sich die Vielfalt der weiblichen Verwirklichungsmöglichkeiten auf ausklammernde patriarchalische Formeln reduzieren wie: „Frau ist gleich Natur“, „Frau ist gleich Gefühl“ oder „Frau ist gleich Eros“ (zitiert nach Schmölzer, 1990, S. 458–459).

Mit dieser Arbeit soll erinnert werden, dass wir alle Vorurteile in uns tragen und dass diese auch hilfreich für die Auseinandersetzung mit der Umwelt sein können. Uns unserer Vorurteile bewusst zu werden, ist einer der wichtigsten Schritte, um Bewusstheit zu erlangen. Wenn dies nicht geschieht, zeigen Beispiele in der Vergangenheit, wozu Menschen fähig sind. Die Zeit der brennenden Scheiterhaufen haben Spuren hinterlassen. Männer wie Frauen sollen sich daran erinnern, was es heißt, ‚ungewöhnliche Außenseiter‘ zu Sündenböcken zu machen. Die Vorurteilsbildung beginnt schon in der frühen Kindheit, hier werden auch Stereotypen in den Köpfen gebildet. Nach der Theorie der Bildung von Vorurteilen ist die Gegeninformation über ein Stereotyp für dessen Veränderung zwar wenig erfolgreich, dennoch möchte die Verfasserin dieser Arbeit durch den Einsatz ihrer schulischen Intervention eine Veränderung von bereits vorhandenen Vorurteilen und der Stereotypen herbeiführen. Gerade auf der schulischen Ebene passieren viel zu schnell Zuschreibungen. Hier können die Lehrer/innen einen wertvollen Beitrag leisten und eingreifen. Aber nicht nur das, sie haben ebenfalls die Möglichkeit, durch den Einsatz von geschichtlichem Bildmaterial einen bewussten Umgang mit dem Thema der Dämonisierung der Frau bzw. von Menschengruppen aufzugreifen und mit den Schülerinnen und Schülern darüber diskutieren. Hier kann über Stereotypie und die damit verbundenen Vorurteile nachgedacht werden. Dies ist auch im Hinblick auf die Gegenwart sehr bedeutend, denkt man etwa an „Ausländer“, „Homosexuelle“ oder einfach an Menschen, die wir gerade zum Sündenbock auserkoren haben.

1.2. Fragestellung

Das Ziel dieser Arbeit ist es, Folgendes herauszufinden: Was waren die Gründe für die soziokulturgeschichtliche Verfolgung von Frauen in Zeiten der Frühen Neuzeit? Dazu wird darauf eingegangen, welche Veränderungen das Frauenbild im interkulturellen Kontext im Laufe der Geschichte genommen hat. Gibt es Phänomene in der heutigen Zeit, die mit der Hexenverfolgung vergleichbar sind? Wenn diese bestehen, dann sollte idealerweise so früh wie möglich einer möglichen Dämonisierung Einhalt gewährt werden. Daher wird auch die Frage gestellt, ob mit einer schulischen Intervention ein negatives Bild der Frau bzw. ein Stereotyp verändert werden kann. Da der Schwerpunkt der Forschung auf dem Thema der Hexenverfolgung liegt, geht es darum, festzustellen, wie viel vom Bild des Archetyps der bösen Hexe ist noch immer in den Kinderköpfen verankert ist und ob es möglich ist, diesbezüglich Veränderungen zu erreichen.

1.3. Wahl der Forschungsmethode und Begründung

Für dieses Forschungsanliegen ist eine Triangulation hilfreich. Es werden verschiedene Methoden angewendet und die daraus gewonnenen Daten werden gleichberechtigt aufgegriffen. Hierfür werden einerseits Fragebögen ausgewertet, die offen zu beantworten sind, und andererseits Zeichnungen gedeutet.

Im Fall dieser Untersuchung wird sowohl für die schriftlichen Äußerungen als auch die Zeichnungen und Sprechhandlungen vor allem die psychologische bzw. mimetische Interpretation der pädagogischen Hermeneutik angewendet, in der es darum geht, sich in den Text/das Bild und die Bedeutung der/des Urhebers/in ‚einzufühlen‘. Welche Gefühle, Haltungen, Eindrücke, Gedanken löst er/es in mir aus? Welche Erlebnisse und Motive könnten seiner/ihrer Herstellung zugrunde liegen? (Rittelmeyer & Parmentier, 2001, S. 49–52)

Die Zeichnungen werden qualitativ erhoben, denn hier geht es um die individuelle Bildsprache, die gedeutet werden muss. Danach werden Kategorien dahingehend definiert, welche Motive entstanden sind, die dann kategorisiert werden. Schließlich werden diese quantitativ erhoben, aufgrund der Anzahl der Zeichnungen und der erhobenen Kategorien. Die qualitative Bildhermeneutik hilft bei der Kategorisierung der Merkmalsausprägung, da es sich bei diesen Zeichnung um individuelles Bildmaterial handelt. Bei der quantitativen Auswertung wird sichtbar, welche Zeichenmotive seltener, welche häufiger entstanden sind. Mit der quantitativen Methode kann festgestellt und gegenübergestellt werden, welcher Geschlechteranteil bestimmte Motive bevorzugt. Die qualitativen Antworten der Fragebögen werden ebenfalls quantitativ mittels eines Kategoriensystems ausgewertet. Der Vorteil eines Fragebogens ist der, dass hier noch eingehender auf das Konstrukt Hexe eingegangen werden kann. Alles das, was in einer Zeichnung nicht ausgedrückt wurde, findet nun seinen Platz. Der Deutungsspielraum vermindert sich hier, gerade wenn es um die Kategorien des Aussehens geht. Die Ergebnisse werden grafisch dargestellt.

1.4. Überblick über den Aufbau

Im theoretischen Teil der Arbeit werden zuerst die Begriffe geklärt, die zum wesentlichen Verständnis der wissenschaftlichen Abhandlung beitragen. Danach folgt der Teil, der einen historischen Rückblick auf die Entstehung des Hexenbildes ermöglicht. Hier werden Göttinnenbilder vorgestellt, die uns heute immer noch begleiten und deren Hintergrund oftmals in Vergessenheit geraten ist. Durch die Veränderung des Frauenbildes im Lauf der Geschichte wird klar, dass die Entwicklung mit der Hexenverfolgung ihren Höhepunkt erreichte. Nachdem diese Zeit der Grausamkeit näher beleuchtet wurde, werden spätere Entwicklungen der Hexe bis heute beschrieben. Einerseits werden Hexendarstellungen der Medien von gestern und heute analysiert und andererseits werden zwei Künstlerinnen vorgestellt, die sich auch mit dem Thema „Hexe“ beschäftigt haben. Anschließend folgt die praktische Auseinandersetzung mit dem Thema, zu Beginn wird die Stichprobe vorgestellt, danach wird die Beschreibung der angewendeten Methoden vorgenommen und zuletzt wird die die Untersuchung in der Schule dargestellt. Hier werden die Ergebnisse dargelegt und diskutiert. Es schließen sich Fazit, kritische Reflexion und ein Ausblick an, welcher den Schlusspunkt dieser Arbeit bildet. Nun greift die Autorin auf die Theorien des Stereotyps, des Vorurteils, der Projektion zurück, um eine mögliche Erklärung für die Entstehung des negativen Frauenbildes zu finden. Außerdem werden die für diese Arbeit bedeutsamen Begriffe „Dämonisierung“, „Anima“ und „Hexe“ erklärt.

2. Theoretische Abhandlung des Themas

2.1. Begriffsklärung

2.1.1. Was ist ein Stereotyp?

Das Wort Stereotyp stammt aus dem Altgriechischen. Es setzt sich aus den beiden Begriffen stereós, das bedeutet fest, haltbar und týpos zusammen, das heißt Form, -artig. Der Stereotyp verbindet eine Attitüde der Sympathie oder Antipathie gegenüber einer Person, einer Klasse oder einer Personenkategorie mit einer Reihe von Vorurteilen und Wertungen, die sich auf die gleiche Person, Klasse oder Personenkategorie beziehen. Stereotypische Vorstellungen sind leicht weitervermittelbar und geben Orientierung in einer komplexen Welt. Besonders Menschen, die sich noch kein eigenes Urteil über etwas bilden konnten, halten am Stereotyp fest. Dadurch können Fehler in der Wahrnehmung passieren, denn die Eigenschaften, die dem Stereotypen zugeschrieben werden, sind meist abwertend (berufliches oder religiöses Stereotyp), können aber auch insgesamt in Einzelheiten falsch sein. Durch die selektive Wahrnehmung und Erinnerung tendieren Personen dazu, nur mehr die Ereignisse zu registrieren, die sich mit ihrer Erwartung und ihrer Vorstellung im Einklang befinden. So ist ein Stereotyp mehr eine Karikatur als ein wahrheitsgetreues Bild (Renkl, 2008; Bodzenta, 1970, S. 116; Brügge, Kammerhofer-Aggermann, Wiener-Lanterdinger & Maier, 2007; Hannover, 2008).

2.1.2. Was ist ein Vorurteil?

Vorurteile sind Zuschreibungen über Menschen oder Meinungen über Dinge, Tätigkeiten, Berufe, Einrichtungen, Formulierungen, Theorien, Wissenschaften.

Meist handelt es sich bei Vorurteilen um abwertende und feindselige Zuschreibungen gegenüber bestimmter Gruppen oder Arten von Menschen. Aufwertende und freundliche Vorurteile gibt es auch, sie treten aber nach der Vorurteilsforschung selten auf und finden sich nach Metzger (1976, S.12) besonders bei Kleinkindern zwischen zwei und vier Jahren.

Wer ist besonders anfällig für die Vorurteilsbildung? Nach Crutchfield streben besonders die Selbstunsicheren zusätzlichen Halt und Selbsterhöhung an. Wenn sie sich Gruppen anschließen, nehmen sie die Rolle der Hüter von Gruppen an und verteidigen diese über die Maßen (zitiert nach Metzger, 1976).

Die von Adler gefundene Dynamik bei der Konkurrenz von Gruppen ist genau dieselbe wie bei dem Rangstreit der Einzelnen. Nach der Theorie des Vorurteils ist das Verhalten der bequemen Herabsetzung des einzelnen Neurotikers für die eigene Selbsterhöhung der ganzen Gruppe dienlich (zitiert nach Metzger, 1976, S. 81).

2.1.3. Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen

Informationen über die Geschlechter werden vor allem durch das Medium Fernsehen vermittelt, das den Erwerb und die Fortbildung von Stereotypen stark begünstigt. Früher übernahmen diese Funktion hauptsächlich die Märchen. Aber auch in Schul-, Kinder- und Jugendbüchern sowie Zeitschriften werden Grundlagen für den Erwerb von Geschlechtsstereotypen geliefert. Die darin enthaltenen Personen oder Figuren übernehmen nachweislich eine Modellfunktion. Dadurch haben die Medien großen Einfluss auf die Entwicklung von Geschlechtsstereotypen und des Rollenverhaltens (Bukovski, 2004/2005, S. 49).

Das Konzept der Hexe ist eines der markantesten Beispiele von Stereotypen aus der Frühen Neuzeit. Hier werden die Auswirkungen auf die soziale Praxis mit den Elementen des Schadenzaubers, des Teufelspakts und der Teufelsbuhlschaft, des Hexensabbats sowie des Hexenflugs sichtbar. Der Stereotyp dient hier in erster Linie dazu, eine Komplexität zu reduzieren. Durch welche Merkmale ist das Hexenstereotyp gekennzeichnet? Hexen werden einerseits als außerhalb des gesellschaftlichen Habitus stehend umschrieben, andererseits sind sie doch ein Produkt dieser Gesellschaft und so an ein enges Korsett von Verhaltensregeln gebunden. Typisch für die Hexe ist, dass sie bei Sabbatritualen tanzt (Czarnecka, 2010, S. 278).

Wie resistent sind Stereotypen? Sie wirken wie eine selbsterfüllende Prophezeiung und daher sind Fehlinterpretationen aufgrund bestimmter Erwartungen die Folge. Die selbsterfüllende Prophezeiung bedeutet, dass die Definition, die auch falsch sein kann, die Situation so verändern kann, dass die Definition schließlich zutrifft (Ostermann & Nicklas, 1976, S. 23).

Es genügt nicht, Vorurteile zu widerlegen, um sie abzubauen. Ein Vorurteil kann zwar abgeschwächt werden, wenn Kontakte und Begegnungen zwischen Menschen hergestellt werden, gegen die sich die vorurteilshafte Einstellung richtet, allerdings ist dies abhängig von der Stärke, mit der die Vorurteile in der Persönlichkeitsstruktur verankert sind. Eine informative Methode führt nur bei Menschen, die Vorurteile nicht in ihre Persönlichkeitsstruktur integriert haben, zum Abbau. Informationen, die abweichend sind, führen bei autoritären Persönlichkeiten zu einem ‚Bumerangeffekt‘. Bei ihnen dienen die Vorurteile zur Ich-Verteidigung. Richtet sich die Kommunikation gegen das Vorurteil, ruft es bei ihnen eine Abwehrhaltung hervor. Im Unterricht reicht es nicht nur, neue Informationen anzubieten, um Vorurteile abzubauen. Vielmehr ist es notwendig, die Konstitutionsbedingungen von Vorurteilen selber in den Reflexionsprozess einzubeziehen. Die Kinder und Jugendlichen müssen lernen, sich selber besser zu verstehen, damit sie den Fremden nicht als Bedrohung erfahren, sondern als Möglichkeit zur besseren Selbsterkenntnis, denn Vorurteile blockieren die Wahrnehmung und machen blind für das Bewusstsein neuer Erfahrungen (Ostermann & Nicklas, 1976, S. 36ff.).

Vorurteile über Menschen entstehen rasch, sie geben uns eine gewisse Sicherheit im Urteil über Menschen, dies ist auch unter der Bezeichnung Schubladendenken bekannt. Der Stereotyp ist ein Bild über eine Person mit implizierten Charaktermerkmalen. Der Vorgang der Projektion ist in diesem Zusammenhang ebenfalls anzuführen, denn sie hat einen wesentlichen Anteil an diesem Vorgang.

2.1.4. Was ist eine Projektion?

Der Begriff Projektion stammt aus der Neurosenlehre und umschreibt einen Abwehrmechanismus. Nach Ansicht der Psychoanalyse ist die Projektion ein Phänomen, das durch eine Verschiebung vom Ich auf das Objekt entsteht. Das Projizieren ist ein auf trieb-energetischer Grundlage aufgebauter, von der Gesamtpersönlichkeit in ihrer lebensgeschichtlichen Situation entscheidend gestalteter psychischer Akt, der verschiedene bewusste oder unbewusste Bereiche erfassen und diese mit den Mitteln der ‚Verschiebung’ in andere subjektiv gestaltete Strukturzusammenhänge rücken und so besonders als eine Abwehrmöglichkeit unlustbetonter Momente zum Schutz des personalen Gleichgewichtes verstanden werden kann. (Grünewald, 1962, S. 37)

Dass wir projizieren (können), ist uns angeboren, wie und was wir projizieren, kann allerdings erworben worden sein, etwa als Schema. Es kann aber auch eine Neuschöpfung im Sinne eines spontanen Lösungsversuches sein, der als solcher abhängig von der konkreten Situation ist. Die Fähigkeit der Projektion kann mit jener der Assoziation verglichen werden, welche uns angeboren und im physischen Bereich vorgebildet ist. Wie und was wir konkret wirklich assoziieren, drückt sich aus unserer lebensgeschichtlichen Situation aus und entspringt dem gestalteten Ganzen aus Anlage und Erfahrung (Grünewald, 1962, S. 31f.).

Grünewald (1962) ist davon überzeugt, dass Emotionen, Triebe und Affekte, Neigungen und Wünsche nach einer Entladung, nach Erfüllung und Verwirklichung drängen und diese Ziele können im Widerspruch zu eigenen und/oder gesellschaftlichen Normen oft nur über den Umweg der Projektion, also durch Verschiebung, erreicht werden. Projektionen richten sich auf andere Personen, auf Menschengruppen, Lebewesen und Objekte der Außenwelt (Grünewald, 1962, S. 58).[2]

2.1.5. Die Anima des Mannes

Nach Jaffé (1980) tritt die Anima in ihrer Erscheinungsweise individuell auf und ist meist vom Charakter der Mutter geprägt. Erlebte der Mann seine Mutter als negativ, so wirkt sich die Anima oft als depressive Laune, Reizbarkeit, ewige Unzufriedenheit und Empfänglichkeit aus. Alle Aspekte der Anima besitzen die gleiche Neigung wie der Schatten, der sich auf einen Menschen projizieren lässt, die dem Manne als Eigenschaften einer wirklichen Frau erscheinen. Diese Projektion kann zu Problemen führen. Solange die Anima nicht als innere Macht erkannt wird, kann sie den Mann in Wirrnisse stürzen. Das weibliche Element in der männlichen Psyche wird oft als Hexe oder Priesterin dargestellt. Die Frau verfügt demnach über die Verbindung zu den ‚Mächten der Finsternis‘ und der ‚Geisterwelt‘ (dem Unbewussten). Bis heute herrscht der Glaube vor, dass Frauen gegenüber dem Irrationalen empfänglicher sind als Männer. Wie Jungs Definition vom Schatten hat auch die Anima einen positiven und einen negativen Aspekt. Die Frau kann als todbringende Anima die Männer in das Verderben führend, böswillig, wie nach dem germanischen Mythos, durch Gesang die Männer in den Tod lockend oder als Geist Männer verhexend und ertränkend in Erscheinung treten. Häufig wird die dämonische Anima als Hexe dargestellt. In ihrer unreifen Gestalt tritt sie in der Fantasie der Männer in den verschiedenen Formen pornografischer Darstellungen auf. Das hat zur Folge, dass die Anima in ihrer erotischen Form fast zwanghaft in den Männerfantasien vorkommt und der Mann kurvige Frauen betrachten muss, vor allem wenn er infantil ist. Die negative Anima äußert sich durch wespenstichartige ‚weibliche‘, giftige Bemerkungen mit Teilen der Lüge. Interessant ist, dass es auf der ganzen Welt mythologische Erzählungen von sogenannten Giftmädchen gibt. Hier wird von schönen Frauen berichtet, die durch Gift oder Waffen ihren Liebhaber in der Hochzeitsnacht töten. Die Anima in dieser Form wird in einem Mann verkörpert, der ein Stück kalte, ruchlose Natur in sich trägt, die ihn zu plötzlichen unbezogenen Handlungen veranlassen kann (Jaffé, A., 1980, S. 177f.). Durch diese Anima betört, handelt er oft verantwortungslos. Im Mittelalter wurde solches Handeln durch das Einwirken von Hexen erklärt. Es ging in vielen Mythen und Märchen deshalb darum, sich als Mann von einer hexenhaften ‚falschen Braut‘ freizumachen, um die ‚richtige Braut‘, das heißt, eine echte Liebesfähigkeit, zu finden. Die Aspekte der Anima besitzen die gleichen Neigungen wie der Schatten, sie werden auf einen Menschen projiziert, sodass sie dem Mann als Eigenschaften einer wirklichen Frau erscheinen. Bedauerlicherweise verfielen die negativen Aspekte der Verkörperung damals dem aufblühenden Hexenglauben (Jaffé, A., 1980, S. 177f.).

2.1.6. Was bedeutet Dämonisierung?

Der Begriff Dämon (von griech. daimon) wird als unheimliche Kraft, ‚Geist‘ oder Schicksalsmacht (daimonion) ‚warnende‘ oder ‚mahnende Stimme‘ (des Gewissens) und ‚Verhängnis‘ bezeichnet. Aber der Dämon wird auch als ursprüngliche Gottheit, im Altertum und bei Naturvölkern als übermenschliches, teils gutes, teils böses Wesen zwischen Göttern und Menschen umschrieben. Im Christentum wandelte sich die Bedeutung dann zu ‚Teufel‘, ‚Satan‘, ‚Luzifer‘. Heute wird für die gemeinten Geistererscheinungen oder Geistwesen ausschließlich ein Wesen beschrieben, das als ‚böser Geist‘ Menschen erschreckt, bedroht oder ihnen Schaden zufügt (Schwachulla, 1998, S. 174).

Dämonisieren als Verb bedeutet demnach ‚in den dämonischen Bereich rücken‘, oder ‚in einen Dämon verwandeln‘. Synonym zum Wort dämonisieren wird auch jemanden ‚verfluchen‘, ‚verleumden‘ oder ‚verteufeln‘ verwendet.

2.1.7. Der Begriff ‚Hexe‘

Die Bezeichnung ‚Hexe‘ wird von hagzissa, hag(a)zus(sa), haghetisse abgeleitet. Darin enthalten ist der Begriff ‚Hag‘ (Hecke, Umzäunung) und ‚Tysja‘ (Elfe). Diese althochdeutschen Wortformen meinen offenbar eine Heckenelfe, die sich im Gesträuch verbirgt, sich aber (zumindest am Tag) nicht in den beschützten Bereich von Haus und Hof hineinwagt (Biedermann, 1987, S. 214).

Ihr Name lässt erkennen, dass sie mit einer vorchristlichen Göttin, der Holle oder der Perchta, verwandt ist, (Stühlmeyer, 2013) auf die später noch eingegangen wird.

Zauberinnen werden in frühen Hexenbüchern auch als ‚unholde‘ oder ‚drude‘ (eigentlich Urheberin von Alpträumen) bezeichnet. Der Ausdruck Hexe war in Österreich im Mittelalter unbekannt – gebräuchliche Ausdrücke waren ‚Unholde‘ oder ‚Zauberer‘ (lat. malefica), sie standen für unheimliche Menschen (Domandl, 1993, S. 27).

Später setzten sich auch Spott- und Schimpfnamen wie ‚Schauerbrüterin‘, ‚Mantelfahrerin[3] ‘, ‚Hagelanne‘, ‚Wolkenfahrerin‘ oder ‚Gabelschmiererin[4] ‘ durch (Biedermann, 1987, S. 214).

‚Hexe‘ wird erst zwischen dem 15. Jahrhundert und Mitte der Hälfte des 17. Jahrhunderts gebräuchlich verwendet, um alles Unheimliche und Schädliche zusammenzufassen. Alle Vorstellungen, die unheimlicher, dämonisch-heidnischer Natur waren, wurden von der Bevölkerung und den Gelehrten im Übergang zur Neuzeit in Europa unter der Teufels- und Hexenvorstellung zusammengefasst. Dabei wurde weiße und schwarze Magie, die sogenannte Teufelsbeschwörung, die Schwarzkünstlerei, etc. unterschieden (Labouvie, 1987, S. 51ff.).

2.2. Die Geschichte des Hexenglaubens

Singer (2000) ist davon überzeugt, dass die archaische[5] Religion ihre Lehren aus der Natur entnimmt. Aus der Natur bezieht auch der Hexenglaube seine Lehren, indem er aus den unendlichen Bewegungen von Sonne, Mond und Sternen, aus den Zugbewegungen der Vögel und dem Sterben und Werden alles Lebendigen seine tiefen Eingebungen erfährt. Der Anfang des Hexenglaubens wird mit dem Einsetzen der Eiszeit in Europa vor rund 35.000 Jahren beschrieben. Für Altertumsforscher/innen und Völkerkundler/innen ist dieser Glaube eine wertvolle Hilfe zum Verständnis der Urzeit (Singer, 2000, S. 6-8).

Ab etwa 30 000 v. Chr. wurde die Höhle zum ersten Platz eines kultischen Ausdrucks- und Gestaltungswillens. Beispiele für die frühe Kunstentfaltung finden sich in Frankreich und in den Pyrenäen, wo Ritzungen und Höhlenmalereien von höchster Vollendung von diesem Willen zeugen. (Uhlig, 1995, S. 31ff.).

Die Höhlenmalereien zeigen, dass die ersten gemalten Objekte Tiere waren. Vereinzelt wurden auch Männer dargestellt, deren Maskierungen auf magische Handlungen hindeuteten (Phillips, Contreras & Kelly, 1999).

Die Männer waren Jäger und Schamanen, sie hatten die besondere Fähigkeit, sich mit der Natur zu identifizieren und konnten sich in den Geist der Tiere hineinversetzen. Sie führten rituelle Opferungen durch, hüllten sich in Felle und imitieren die Tiere, damit sie diese dann manipulieren und in die Enge treiben konnten. Beispielsweise wurde ein Bärenschädel in den Höhlen der Alpen entdeckt, wahrscheinlich sagten die frühen Schamanen Orakelsprüche auf, um ihre Stämme zum Wild zu führen. Der frühe Schamane wurde als gehörnter Gott dargestellt. Er schreitet täglich durch das Tor des Todes, er jagt, wird gejagt und wird geboren, das waren die Elemente des Glaubens. Die Ehrfurcht vor der Frau war aber ebenso groß: Während der Jäger sich jeden Tag neu beweisen muss, gebiert sie die Kinder. Für die Männer waren die Geburt und der schwellende Leib während der Schwangerschaft etwas Geheimnisvolles und Mystisches, da die damaligen Menschen den Zusammenhang zwischen männlichen Samen und weiblicher Eizelle noch nicht kannten. Die Befruchtung und das Werden des neuen Lebens umgaben die Frauen mit einer mystischen Aura (Singer, 2000, S. 10).

2.2.1. Der Kult um die Große Göttin in der Frühzeit

Der Vergleich mit den Figuren der Frühzeit zeigt nach Phillips (1999) eine gewisse Ähnlichkeit hinsichtlich der Form und der Symboliken. Die dargestellten Gestalten sind im Allgemeinen nackt, dickleibig, wobei Hüften, Brüste und Schamdreiecke überbetont dargestellt werden, was darauf schließen lassen kann, dass es sich hier mehr um Fruchtbarkeitssymbole als um reale Frauen handelt (Phillips et al., 1999, S. 11).

Abbildung 1: Stilisierte Vulva-Darstellung, National Prehistory Museum, Les Eyziesde-Tayac

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Glaube an die Große Göttin war ein erster Hexenglaube. Die ersten Hexen waren das Bindeglied zu den Mächten der Natur, die Große Göttin war Sonne, Erde, Mond, Wind, Wasser, Geist und Körper in einem (Singer, 2000, S. 11).

Der Kult um die Muttergöttin ist aber ebenso umstritten. Die Urgeschichtlerin Erika Qasim von der Universität Erlangen hat zu den gefundenen Frauenstatuetten eine andere Theorie: „Venusfiguren haben nichts mit Fruchtbarkeitsriten zu tun, sie stellen keine Muttergöttinnen dar, es handelt sich bei ihnen um Mittel zur Übelabwehr.“ (Qasim, 2009)

Abbildung 2: Venus von Laussel, Kalkstein, 42 cm, Musée d’Aquitaine, Bourdeaux

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Göttner-Abendroth ist allerdings davon überzeugt, dass der Begriff ‚Fruchtbarkeitskult‘ hinsichtlich der Göttin einschränkend wirkt. Auch die Bezeichnung des ‚Mutterkults‘ ist eine ideologische Verschleierung und Versüßung der Reduktion der Frau auf ihre bloße Gebärfunktion. Die Bezeichnung ist eine patriarchale Erfindung und kommt traditionell in der katholischen Kirche und im Nationalsozialismus vor, wo die ‚Idealfrau‘ vor allem gebärfreudig und erdverbunden sein sollte (Göttner-Abendroth, 2011, S. 26).

Hitler bediente sich heidnischer Bräuche, altgermanischem Wissen sowie keltischen und nordischen Mythen, wenn es darum ging, seine Ideologie zur Manipulation des Volkes durchzusetzen (Singer, 2000, S. 111).

2.2.2. Die Symboliken

Für die Forscherinnen Marie König (Urgeschichtsforscherin) und Marija Gimbutas (Archäologin) zeigt sich eine kulturell-spirituelle Kontinuität von der frühesten Zeit bis hin zur spätmatriarchalen Phase. Marija Gimbutas entschlüsselte die Symbolschrift in den sogenannten ‚schriftlosen‘ Kulturen vorwiegend auf jungsteinzeitlichen Artefakten. Sie untersuchte hierfür 30.000 Gefäße, Vasen, steinerne Stelen und Statuetten (Göttner-Abendroth, 2011, S. 36f.).

Dabei taucht vor allem die Zahl Drei auf. Sie findet sich in Form von drei parallelen Felsritzungen oder drei Punkten bzw. als geritzte Dreiecke und als dreieckige Schalensteine schon seit der mittleren Altsteinzeit im symbolisch-rituellen Gebrauch.

Eine Triade von Frauen zeigt sich auf Felszeichnungen, die mit reichen Ritzungen verziert sind und ihren übernatürlichen Charakter ausdrücken, sowie ein Schamdreiecke wie auf Abbildung 2[6]. Die Drei als die Wandlungsphasen des Mondes wird deutlich im Zusammenhang mit dem berühmten Flachrelief der Göttin mit Mondhorn auf Abbildung 3, die etwa 20000 v. Z. entstanden ist, der sogenannten ‚Venus von Laussel‘[7] abgebildet. Dabei handelt es sich um eine 46 cm hohe Frauenfigur, die neben weiteren Gravuren auf einem mehreren Kubikmeter großen Felsblock gefunden wurde und als älteste Reliefs der Menschheitsgeschichte gelten. Die Venus von Laussel hält ein Bison- bzw. Mondhorn mit 13 Strichen in der rechten Hand und mit der anderen Hand weist sie auf ihren schwangeren Leib (Uhlig, 1995, S. 48ff.).

Auch in der Jungsteinzeit setzt sich die Symbolik der Drei ungebrochen fort, postuliert Göttner-Abendroth (2011). Auf Göttinnenstatuetten, mit Dreieckskammern und dreifachen Spiralen in Megalith-Gräbern (New Grange, Irland), dreifachen Grundrissen in Kleeblattform von Tempeln (Malta) und der Dreizahl von Kultobjekten (Chatal Hüyük) werden zahlreiche Varianten der Dreifachlinie gefunden. Alle weisen auf die dreifache Kraft oder Funktion der Göttin hin, wie Marija Gimbutas in vielen Einzelheiten entziffert und archäologisch belegt hat. Die göttliche Triade steht zusammenfassend für die ‚Göttin als Lebensspenderin‘ (Geburt), ‚sich erneuernde Erde‘ (Fruchtbarkeit und Nahrung“) und für die ‚Göttin von Tod und Wiedergeburt‘ (Transformation) (Göttner-Abendroth, 2011, S. 36f.) .

Eine der wichtigsten Ausgrabungsstätten für die Vorgeschichte im Vorderen Orient ist das türkische Anatolien. Çatal Höyük wurde 1961 entdeckt und ist der größte Fundplatz aus dem frühen Neolithikum, die nach Jericho als zweitälteste Stadtsiedlung bekannt ist. Die dort gefundenen figürlichen Darstellungen sind überwiegend weiblichen Geschlechts und stammten aus einer ca. 800-jährigen Siedlungsgeschichte im Zeitraum zwischen 6500 v. Chr. bis 5700 v. Chr. Von 33 vollplastischen Figuren sind 26 Frauen, die aus bemaltem Gips bestehen. Diese sind zum Teil angezogen, zum Teil unbekleidet und oft in Gebärstellung dargestellt (Dinis 2011, S. 22f.).

Für die damalige Existenz einer mutterzentrierten und matriarchalen Gesellschaftsform, dem Matriarchat, im Sinne einer spiegelbildlichen Umkehrung des Patriarchats, in der die Macht in den Händen der Frauen lag, bestehen umstrittene Thesen (Göttner-Abendroth, 2011, S. 36f.).

Die Matrifokalität ist ein Sammelbegriff für Matrilokalität und Matriliniearität, der eine egalitäre Lebensweise von Mann und Frau meint. Sie wird regelmäßig als ‚rein spekulativ‘ bezeichnet und mit Matriarchat (= Mütterherrschaft) gleichstellt. Gegen das Wissen um die Matrifokalität der Urgeschichte und die Urmutter verfassten die Archäologinnen Brigitte Röder, Juliane Hummel und Brigitta Kunz, Vertreterinnen der Gender Studies, eine Kampfschrift: ‚Die Göttinnendämmerung‘ (1996). Hierin wird Marija Gimbutas’ mit Heide Göttner-Abendroths Auffassung von einer matriarchalen Periode stark kritisiert (Uhlmann, 2012, S. 79-83).

Vorerst bleibt es ein vermeintliches Ärgernis, dass in den altsteinzeitlichen Höhlen immer wieder Urmutterdarstellungen gefunden werden, denn die Allgemeinheit soll weiterhin glauben, die Höhlen hätten dem Jagdzauber gedient. Die Urmutterstatuetten werden regelmäßig auch als Fruchtbarkeitsidole oder ‚Sexpüppchen der Steinzeit‘ bezeichnet, die mit einem Fruchtbarkeitskult in Verbindung gestanden hätten. Riane Eisler äußert sich dazu treffend:

„(…) die einseitige Festlegung hierauf ist jedoch mehr als eine bloße Vereinfachung. Ebenso gut können wir das Christentum als „Todeskult“ bezeichnen – nur weil die zentrale Szene der christlichen Kunstdarstellung eine Kreuzigung ist.“ (Eisler, 2005)

Die Große Göttin erscheint nicht nur in ihrer lebensspendenden oder liebenden Funktion, sondern auch als mit dem Tod assoziierte Gestalt. Die größten Wandbilder zeigen Geierdarstellungen, die nach Mellaart den Todesaspekt der Göttin verkörpern. Meistens befinden sie sich an der Wand gegenüber dem Relief der Göttin in Gebärstellung. Lange nach dem Untergang der anatolischen Siedlung bleibt der Geier ein Kultsymbol der Großen Göttin. Daher ist der Zusammenhang zwischen diesem Tier und der Göttin gut dokumentiert. Geierflügel tragen sowohl die sumerische Lilith als auch die babylonische Ischtar und die ägyptische Isis. Im alten Ägypten ist darüber hinaus die Geierhabe ein priesterliches Hoheitszeichen der Pharaoninnen bis in die hellenistische Zeit. Es ist denkbar, dass, wie im alten Iran, bereits in Çatal Höyük der Brauch bestand, demnach die Leichen den Geiern auf sogenannten ‚Türmen des Schweigens‘ überlassen wurden. Denn die Aufbewahrung der Skelette in embryonaler Hockstellung in großen Körben setzt voraus, dass die fleischlichen Überreste entfernt wurden (Dinis, 2011, S. 22f.).

Uhlig (1995) geht davon aus, dass der Mythos aus den gefundenen Artefakten bis heute lebendig geblieben ist, weil er aus der Erkenntnis geboren wird, dass die Erde als Pflanzenschoß die gleiche Funktion erfüllt wie die Frau als Mutter: Beide bringen ständig neues Leben hervor, welches beliebig vermehrt werden kann. Nachdem sich das Eis zurückgezogen und sich die Erde erwärmte hatte, ließen sich die Menschen nieder und wurden sesshaft, es begann ein neuer Abschnitt in der Menschheitsgeschichte (Uhlig, 1995).

2.2.3. Der Einbruch des Mannes in die Welt der Großen Mutter

Dinis (2011) ist davon überzeugt, dass die damaligen Völker kosmische Kräfte, wie den Wind und den Mond, oder Ahnengeister für die Befruchtung verantwortlich machten, daher war es auch lange Zeit nicht wichtig, wer der Vater eines Kindes war. Die Bedeutung des Mannes bei der Fortpflanzung stieg erst mit der Domestizierung von Tieren und der Viehzucht. So wurde allmählich der Großen Göttin ein Partner an ihre Seite gestellt, der ihr jedoch lange Zeit untergeordnet blieb. Aus dem einfachen Sohn wurde ein Sohngeliebter, der zugleich als Vegetationsgott verehrt wurde. Die männliche Gottheit erhielt erst in dieser Funktion Menschengestalt. Davor taucht das männliche Prinzip lediglich in Tiergestalt auf (Dinis, 2011, S. 35).

Der Einbruch des Patriarchats kann nicht direkt nachgewiesen und zeitlich fixiert werden. Doch es wird angenommen, dass dies um 5000 vor. Chr. erfolgte, als die heutigen Wüsten der Sahara, in Arabien und Zentralasien immer trockener wurden (Hercksen, 2010).

Die Gesellschaftsordnung des Matriarchats zerfiel in einem Jahrhunderte andauernden Prozess von Hunger und Not, es bildeten sich Steppen und riesige Gebiete von Wüsten. Die Ursache für die Versteppung des Gebiets nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres war das Ausbleiben des ostmediterranen Monsuns, wie Geologen erst vor Kurzem nachweisen konnten (Gimbutas, 1991).

So waren große Völkerschaften, die matriarchal organisiert waren, gezwungen, auszuwandern. Die Versteppung dehnte sich derart weit aus, dass es allmählich zum Zusammenbruch der bestehenden Gesellschaftsordnung kam. Aus der matriarchalen Ackerbaukultur heraus reagierten die Menschen aus der Not heraus dazu, indem sie auf ältere und einfachere Gesellschaftsformen zurückzugreifen. Der Boden war nicht mehr zu bearbeiten und so sanken diese Völker auf das Niveau der Altsteinzeit zurück und wurden um 2000 v. Chr. Steppenjäger (Sekundärjäger). Die Bezeichnung ‚Kurgan-Völker‘ steht für die Archäologin Marija Gimbutas als Oberbegriff für die auffälligen, riesigen Kurganen (nach russ.-tatar. kurgán = Grabhügel), wo eine ausgewählte Gruppe von Toten mit zahlreichen Grabbeigaben bestattet wurde. Die Kurgan-Völker waren halbnomadische, runde Hügelgräber-bauende Hirtenvölker aus dem heutigen Südrussland. Derartige Gräber wurden in Moldawien, Südrumänien und Ostungarn gefunden und geben Zeugnis für ihre Kurgan-Völkerwanderungen ab. Für Gimbutas (1991), die den Begriff ‚Altes Europa‘ zwischen 1946 und 1971 in Veröffentlichungen einführte, bedeutet die Ankunft des Kurgan-Volks, dass das indoeuropäische Urvolk die alteingesessene neolithische Bevölkerung überschichtete und sich somit gravierende gesellschaftliche Folgen einstellten. Gimbutas’ Kurgan-Hypothese geht von einem Bereich zwischen Kaukasus, Wolga und Ural aus. Die entstandene hohe Mobilität des Volkes habe zu kämpfenden Reiterhorden geführt und die patriarchalische Gesellschaftsform hervorgebracht. Die Archäologin stellte ihre Theorie als erste Gelehrte, die linguistisches und archäologisches Wissen zum Ursprung der proto-indogermanisch sprechenden Völker in Zusammenhang brachte, 1956 in Philadelphia vor (Gimbutas, 1991, p. 361ff.).

Die Kurgan-Hirtenkrieger hatten davor die matriarchale Ackerbauphase durchlaufen, waren Jäger und dann Hirten. Sie wurden zu Nomaden, die das Pferd als Zugtier für den Streitwagen domestizierten, um in kürzerer Zeit eine höhere Entfernung zurückzulegen. Die Männer eroberten die Steppe, was den Ausgangspunkt einer ausgedehnten Wanderbewegung bildete (Gimbutas, 1991).

In ihrer ursprünglichen Form gilt die Kurgan-Hypothese als überholt, sie wird jedoch ständig weiter entwickelt.

Ein Weltbild, in dem das mitteleuropäische Neolithikum von einer ‚Großen Göttin‘ geleitet gewesen sei und das anschließend von patrilinearen Horden kulturell überfremdet worden sei, wird aufgrund der archäologischen Datenbasis und ihrer erkenntnistheoretischen Grundlage infrage gestellt (Röder, Hummel & Kunz, 1996).

Das Erlebnis der Dürre und andere Naturkatastrophen, die sich in das Gedächtnis der Menschen eingeprägt haben, können Gründe dafür sein, dass es zu einer Revolte der Männer kam, dessen Bewusstsein sich immer wieder gegen die Unberechenbarkeit der Natur richtete (Meier-Seethaler, 1996, S. 74).

Schmölzer (1990) geht davon aus, dass ihre vollzogene Revolution wahrscheinlich leitgebend aufgrund biologischer Gegebenheiten entstand, ohne von den Frauen unterdrückt worden zu sein. Sie befanden sich nicht in einer gleichwertigen Position, was für ihr Selbstwertgefühl sicher schmerzlich und problematisch war. So kam es über viele Jahrtausende zum Aufstand, der sich in Raub- und Beutezügen, Eroberung matrizentrischer Kulturen, Vergewaltigungen von Frauen, Imperialismus und Kolonialismus sowie der Errichtung zentralistisch geführter Großreiche manifestierte (Schmölzer, 1990, S. 25).

Die Etablierung der Männerherrschaft brachte eine Frauenfeindlichkeit mit sich, die ein Feindbild entstehen ließ, das nicht nur unterdrückt, sondern abgewertet werden musste (Meier-Seethaler, 1996, S. 73).

Als die Zeit der umherziehenden Völker vorbei war, lebten wahrscheinlich Männer und Frauen bis zur Sesshaftigkeit in lockeren Lebensgemeinschaften zusammen, die eine freie Wahl der Geschlechtspartner/innen zuließen. Durch die neu entstandenen Hierarchien kam es zu Veränderungen, die sich auch auf die Nachkommenschaft auswirkten. Für die Frau kamen, nach Singer (2000), weitere Aufgaben hinzu: Sie wurde Hüterin des Feuers, musste für die Bereitstellung und das Warmhalten der Speisen sorgen, um dem Mann ein sicheres Leben zu ermöglichen. War die Frau bislang die irdische Vertreterin des Urgöttinnenprinzips und war als Inbegriff für Fruchtbarkeit verehrt und geachtet worden, so schwand dieser Status und damit auch der Glaube an die Urgöttin. Dieses Phänomen ist in allen Kulturen zeitgleich zu erkennen. Auf die Priesterinnen und Hexenbünde hatte dies besonders großen Einfluss, da ihnen nun auch Schadenzauber zugetraut wurde. Die bislang dargestellte Sexualität galt lange als Verehrungsgeste der Urgöttin. Der mystisch bedingte freie Umgang damit sowie der Geschlechtsakt waren Inbegriff der Fruchtbarkeit und des Lebens. Nun schien er an Reinheit zu verlieren und Sexualität wurde zur Privatsache. Es wird der Anschein vermittelt, als ob es die Rache der Göttin wäre, die in ihrer verdrängten Rolle der Weiblichkeit den Ursprung aller bis dahin unbekannten bösen weiblichen Kräfte verkörpert. In allen Hochkulturen und allen Schöpfungsmythen zeigt sich eine Gemeinsamkeit: Das veränderte Frauenbild erschuf eine neue mythische Gestalt in Form der rächenden Göttin und deren Vertreterinnen, den Priesterinnen und Hexen (Singer, 2000, S. 21).

Die Frau und mit ihr die Große Mutter hatten nun nur noch eine zweitrangige Bedeutung. Dies war die folgenschwerste Veränderung im menschlichen Leben und den gesellschaftlichen Strukturen, die sich mit diesem Wandlungsprozess vollzogen hat und schließlich zur allgemeinen Vorherrschaft des Mannes führte. Machtentfaltung und Unterdrückung waren an die Stelle der mütterlichen Fürsorge getreten. Feindbilder entwickelten sich und herrschten dort, wo früher Begegnung und Gemeinsamkeit waren. An Plätze wie Çatal Höyük und Hacılar Höyük im alten Anatolien, offensichtlich heilige, der Großen Mutter geweihte Orte, herrschten Überfälle mit Raub, Plünderung und Mord. Auch die Sexualität wird zum Machtmittel im Kampf der Geschlechter. Die Göttinnen verloren ihre Macht und ihr Ansehen immer mehr und aus den Priesterinnen wurden Liebesdienerinnen. Gleichzeitig kam es mancherorts auch zur Abkehr vom Geschlechtlichen, sie wurde als Gegenreaktion verteufelt und tabuisiert und zog Verweigerung und Askese nach sich. Es war der größte Umbruch von einer urreligiösen Seinsvorstellung, wie wir sie beim Frühmenschen feststellen konnten, die von ursprünglichen zu verkündeten Religionen von Religionsstiftern geführt hat. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass die Religionen – zumindest in ihren offiziellen Erscheinungsformen – frauenfeindlich sind, zumindest treffen sie eine deutliche Unterscheidung zwischen den Geschlechtern (Uhlig, 1995, S. 218ff.).

Durch die patriarchale Eroberung und die Herrschaftsbildung wurden die matriarchalen Mythologien, die Grundlage aller späteren Religionen, von Europa, Ägypten, bis zum Mittelmeerraum, in Indien über Westasien, überall dort, wo das magische Weltbild der Göttin herrschte, verzerrt dargestellt. Dies war die Grundlage, um die patriarchale Religion zu bilden. Der Göttinnenkult mit ihren Mythologien und ihrer rituellen Praxis lebte nach dem patriarchalen Umbruch abgedrängt in Subkulturen und in geografischen Randkulturen noch lange durch die patriarchalen Jahrtausende weiter (Göttner-Abendroth, 2011, S. 28).

2.2.4. Babylonien

In den sumpfigen Niederungen zwischen Euphrat und Tigris ließ sich um 4000 v. Chr. ein Volk nieder, das wir heute als die Sumerer bezeichnen. Phillips (1999) postuliert dass, sie den fruchtbar gewordenen Boden Mesopotamiens kultivierten, dessen Flüsse alljährlich überflutet und mit Schlick angereichert wurden. Die Sumerer erfanden die Herstellung sonnengetrockneter Ziegelsteine, die unter anderem zum Bau der ersten uns bekannten Tempel verwendet wurden. Diese Bauten ragten in stufiger Pyramidenform auf und werden heutzutage als Zikkurat bezeichnet. Symbolisch sollen sie die Erdgöttin mit den Göttern des Himmels verbinden. Überall im Alten Orient folgten in den sich anschließenden 1500 Jahren Volksstämme dem Beispiel der Sumerer und führten deren Entwicklung weiter – von Anatolien im Norden bis Ägypten im Süden und von der Mittelmeerküste bis nach Persien. Die mythische Gestalt der Göttin war überall vorherrschend. Sie war die Verkörperung von Zeit, Raum und Materie, mit der jegliches Leben seinen Anfang nahm und endete. Sie war der Lebensfunke, der Stoff, aus dem Pflanzen und Körper gemacht waren, die gleichzeitig in einem ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt die Toten erneut aufnahm (Phillips et al., 1999, S. 13).

Die Göttin Ischtar, die babylonische Entsprechung zu der erotischen Inanna, prägte die Weiterentwicklung der Religion. Inanna, eine Göttin der sumerischen Götterfamilie, ist die Göttin des Himmels und die Königin der Erde (Singer, 2000, S. 47ff.).

Im dritten Jahrtausend v. Chr. galt sie als Göttin der Liebe und des Krieges, ihr Symbol war der Morgen- und Abendstern Venus. Als ihre Embleme galten der achtzackige Stern oder die achtblättrige Rosette (Zingsem, 2000, S. 17).

Nach Singer (2000) prägte sie den Priesterinnenkult entscheidend, liebte alle Männer, paarte sich mit ihnen und konnte Männer in Frauen und Frauen in Männer verwandeln. Ihre Frucht war der Granatapfel. Inanna wurde von Ereschkigal, der Göttin und der Herrscherin der Unterwelt, getötet, wonach alles sexuelle Verlangen auf der Erde starb. Daraufhin ließ Enki, der Gott der Erde, bereit, alles für Inanna zu tun, durch zwei Schamanen lebensspendendes Wasser über sie gießen. So erwachte sie erneut und kehrte auf die Erde zurück (Singer, 2000, S. 47ff.).

Phillips (1999) ist davon überzeugt, dass Eindringlinge die Städte der Ackerbau treibenden Kulturen eroberten und alles Erdenkliche taten, um das harmonische und unheroische Verständnis von der Natur, in das die Göttin eingebettet war, zu verbannen. Die babylonische Legende von Marduk und Tiamat veranschaulicht, wie sich die Einstellung gegenüber der Göttin in dieser neuen Ära der Mythologie veränderte. Die Urmutter Tiamat, sie war das Meer, das salzhaltige Wasser und umgeben von einem Mantel, der die Erde war, wird plötzlich als Bedrohung für die ganze Welt dargestellt. Jetzt zieht sie in Gestalt eines riesigen Fisches oder Drachens umher und wird von Dämonen begleitet. Die männlichen Gottheiten versammelten sich und beschlossen, dass der Sonnengott Marduk, der den Krieg verkörpert, der bösen alten Frau Einhalt gebieten soll. Marduk scheut vor der Aufgabe nicht zurück. Durch seine Größe überschattet er Tiamat und schickt Stürme in ihren Schlund und bläst ihr in die Nase, bis sie zerplatzt. Die Göttin ist besiegt und er formt sich aus den einzelnen Teilen ein neues Universum (Phillips et al., 1999, S. 15).

Es gibt zahllose Mythen, Sagen und Märchen von Dämonen wie Schlangen und Drachen, die böse sind und getötet werden. Die Patriarchatsforscherin Kirsten Armburster schreibt:

Dieser Muttermord ist der schwerste Tabubruch der Menschheitsgeschichte. Die Mutter, die alles Leben geboren und wieder zu sich genommen hat, wird zerstückelt und getötet. Damit ein solch immenser Tabubruch überhaupt möglich ist, muss die Mutter und die Symbolik, die für sie steht, unsichtbar gemacht und/oder dämonisiert werden. (Armbruster, 2010, S. 128)

Diese Mythen wirken auf uns harmlos, weil in ihnen ein böser Dämon bekämpft wird, und es scheint, als ob es sinnvoll und gut wäre.

In der Mythologie Vorderasiens entstanden unter semitischem Einfluss zahlreiche Geschichten, wie die vom Kampf zwischen Marduk und Tiamat. In diesen revidierten Darstellungen der Göttin wird sie entweder vernichtet oder zumindest verheiratet und damit in eine Rolle, die unbedeutender war, zurückgedrängt. Die Göttinnen sind es, die in biblischen Überlieferungen des Alten und Neuen Testaments sowie in den homerischen Mythen Griechenlands und Roms überdauert haben. Wir finden in der Bibel Jahwe, den Gott Israels, der über Leviathan, einem kosmischen Seeungeheuer mit unverkennbaren Zügen einer früheren weiblichen Gottheit, triumphiert. In den griechischen Sagen wird berichtet, wie Zeus Typhon, das jüngste Kind der Erdgöttin Gäa und ein halbmenschliches Schlangenwesen, besiegt (Phillips et al., 1999, S. 15).

Abbildung 3: Sumerische Göttin, Burney Relief, British Museum Queen of the night

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Mythos der archaischen Göttin Lilith, die wahrscheinlich einstige Große Göttin aus Sumer erlitt dasselbe Schicksal wie so viele andere Göttinnen: Sie wurde einerseits zur Hexe und andererseits zum Todesengel, denn jeder Mann, den sie umgarnt, ist verloren (Schmölzer, 1990, S. 35).

Die Abbildung 3 zeigt eine sumerische Göttin, die in der Literatur teilweise als Ischtar, aber manchmal auch als Lilith bezeichnet wird. Ihr Charakter verändert sich allerdings im Laufe der Entwicklung und mit ihm auch der Mythos. Sie erscheint, in Abhängigkeit davon, ob sie dem Mann oder der Frau gegenübertritt, jeweils als ein anderer Aspekt ihrer Gestalt. Gegenüber dem Mann tritt sie als göttliche Dirne oder – psychologisch gesprochen – als verführerische Anima auf, bei der Frau dagegen kehrt sie den Aspekt der fruchtbaren Mutter heraus. Die Anima-Figur Lilith versucht nicht nur den ersten Mann Adam, sondern auch noch heute sämtliche Männer zu verführen (Hurwitz, 1998b, S. 103).

In den Texten der hebräischen Mythologie ist Lilith Adams erste Frau. Gott schuf den ersten Menschen und mit ihm, Adam, eine Frau. Sie war aus demselben Material wie er, aus Lehm geschaffen. Doch bald begannen sie, zu streiten, sie wollte beim Geschlechtsakt nicht unter ihm liegen und er wollte nicht auf sie hören. Da wurde Lilith dem gewahr, rief den spezifischen Namen Gottes und erhob sich in die Lüfte der Welt. Adam rief den Schöpfer an und beklagte, dass seine Frau weggelaufen sei. Der Allmächtige wollte ihm seine Frau zurückbringen und sandte drei Engel, um sie zu holen. Doch Lilith wollte nicht zurückkehren. Die Engel fanden sie in der Nähe des Roten Meeres, in einer Gegend, die von lüsternen Dämonen wimmelte. So gebar jeden Tag hundert Dämonenkinder (Zingsem, 2000, S. 28ff.).

Sie wurde zur Kinderverderberin und erregt den Unwillen durch ihr bloßes Dasein, bemerkenswerterweise jedoch nicht aus einer eigenen Entscheidung heraus, sondern durch die Verurteilung des patriarchalen Gottes. Ein Amulett, auf dem die Namen der Engel stehen (Sanvai, Sansanvai und Semangloph) soll Neugeborene gegen Schädigungen schützen (Schmölzer, 1990, S. 35).

Abbildung 4: Hugo van der Goes (ca. 1440–1482), Öl/Holz, 32,3 x 21,9 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eva und Lilith wurden im Judentum als die beiden unversöhnlichen Gegensätze benannt, Lilith war das aufmüpfige und Verderben bringende Weibliche und Eva das angepasste und dem Manne dienliche Werkzeug. Alles, was an Eva rebellisch ist, geht auf Liliths Einflüsterungen zurück. Nun wird Lilith auch für die Frau zur Versucherin und Verführerin, denn sie ist es, die Eva dazu überredet, von den Früchten der Erkenntnis zu kosten. In einem Sohar-Mythos heißt es, dass nun Lilith und die Schlange eins werden (Zingsem, 2000, S. 47ff.).

Die Abbildung 4 zeigt das Bild, das Lilith, die Verführerin, mit dem Gesicht einer Frau und dem Leib einer Schlange zeigt. Dieses Motiv fand vor allem in der christlichen Ikonographie des 15. und 16. Jahrhunderts (in der Zeit der Hexenverfolgung) weite Verbreitung (Zingsem, 2000, S. 47ff.).

Nachdem der Name Lilith in Beziehung zum Sturm sowie dem Wind steht und Lilith auch Flügel besitzt, mit denen sie sich in die Lüfte erheben kann, liegt die Vermutung nahe, wer eher der Erde und wer eher dem Himmel zuzuordnen wäre (wenn überhaupt zugeordnet werden soll). Die Fähigkeit zu fliegen wurde symbolisch mit der Grenzüberschreitung und der Bewusstseinserweiterung gleichsetzt (Hurwitz, 1998, S. 64ff.).

[...]


[1] Männerherrschaft

[2] Gegenstück für die Frau: der Animus.

[3] Der Name ergibt sich aus dem Glauben, dass die Hexe nicht nur auf dem Besen, sondern auch auf einem Zaubermantel durch die Luft fliegen könne.

[4] Angeblich bestrich die Hexe ihr Fluggerät mit einer Hexensalbe.

[5] vorgeschichtlich, altertümlich

[6] Schieferplatte von Gönnersdorf, Deutschland, Jungpaläolithikum

[7] Abri von Laussel, Dordogne/Frankreich, Jungpaläolithikum

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Die Dämonisierung der Frau am Beispiel der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit
Hochschule
Pädagogische Hochschule Salzburg  (Diversität)
Note
1
Autor
Jahr
2015
Seiten
111
Katalognummer
V324292
ISBN (eBook)
9783668233911
ISBN (Buch)
9783668233928
Dateigröße
9856 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hexen, Frauenbild, Gender, Dämonisierung, Stereotyp, Vorurteile, Kunst, Kunstunterricht, Göttin, Religion, Hässlich, Schönheit, Glaube, Performance, Kinderzeichnung, Bibi Blocksberg, Fee
Arbeit zitieren
Sabine Reisenbüchler (Autor:in), 2015, Die Dämonisierung der Frau am Beispiel der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/324292

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