Das Konzept der Flexicurity. Expansion atypischer Beschäftigung in Deutschland


Hausarbeit, 2016

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Atypische Beschäftigung: Frauensache?
2.1. Definitionen und Begriffe
2.2. Frauen und Männer im Vergleich
2.3. Ursachen und Folgen

3. Flexicurity und Geschlecht
3.1. Ein europäisches Leitkonzept
3.2. Geschlechtsspezifische Implikationen: Benachteiligungen und Gleichstellung..

4. Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Die Expansion atypischer Beschäftigung in Deutschland ist zu einem zentralen Forschungsgegenstand der Arbeitssoziologie geworden. Ein primäres Interesse gilt dabei meist den Gründen und Folgen dieser Entwicklung und insbesondere den Risiken der Prekarität, denen Betroffene verstärkt ausgesetzt sind.

Weniger offensichtlich erscheint hingegen eine entscheidende Charakteristik atypischer Beschäftigter: Sie sind überwiegend weiblich.

Der kontinuierliche Anstieg der Frauenwerbequote steht in einem deutlichen Zusammenhang mit der Zunahme atypischer Beschäftigung und einer geschlechtsspezifischen Segregation des deutschen Arbeitsmarktes (Keller/Seifert 2013: 54).

Aus diesem Grunde reicht es nicht, lediglich allgemeine Gründe und Folgen einer derartigen Entwicklung herauszuarbeiten. Es bedarf einer differenzierten, geschlechtsspezifischen Analyse, die unter Einbezug der Reproduktionssphäre den Blick auf strukturelle Ursachen wendet. In diesem Sinne sind zudem Risiken der Prekarität geschlechtsspezifisch zu untersuchen.

Von einer solchen Perspektive ausgehend, müssen auch arbeitsmarktpolitische Lösungsansätze neu unter die Lupe genommen werden. Insbesondere solche, die einen Gegenpol zur reinen Deregulierung der Arbeitsbedingungen darstellen sollten. Der wohl bekannteste Ansatz dieser Art ist das europäische Konzept der Flexicurity.

Auf EU-Ebene wird Flexicurity bereits seit Ende 1990 Jahren als einen arbeitsmarktpolitischen Lösungsansatz diskutiert (Kreimer 2010: 88), der eine Vereinbarkeit von Flexibilität und Sicherheit am Arbeitsmarkt möglich machen soll. Mittlerweile ist die Flexicurity fester Bestandteil der europäische Beschäftigungsstrategie und eines der wichtigsten politischen Leitbilder Europas. Fraglich bleibt jedoch, inwiefern Flexicurity in Deutschland zu einer sicheren Ausgestaltung flexibler Beschäftigungsbedingungen beigetragen hat und somit auch Benachteiligungsstrukturen am Arbeitsmarkt berührt, von denen vor allem Frauen betroffen sind.

Eine geschlechtsspezifische Perspektive kann an dieser Stelle jedoch nicht stehen bleiben: Es bedarf zusätzlich einer tiefer gehenden Analyse der Flexicurity und zwar hinsichtlich ihres gleichstellungspolitischen Potenzials und der Problematik ungleich verteilter Reproduktionsarbeit.

Damit widmet sich diese Arbeit folgender Problemstellung:

Welches sind die geschlechtsspezifischen Implikationen, Gründe und Folgen atypischer Beschäftigungsverhältnisse? Kann Flexicurity aus einer gender Perspektive ein Lösungsansatz darstellen?

Diese Problematiken werden in zwei Schritten bearbeitet:

In ersten Teil der Arbeit sollen die Charakteristika der atypischen Beschäftigungsverhältnisse näher analysiert werden. Dabei wird sowohl die Verteilung atypischer Beschäftigung unter den Geschlechtern aufgezeigt, als auch die Gründe und Folgen derartiger Beschäftigungsbedingungen differenzierter herausgearbeitet. Der zweite Teil ist hingegen dem Flexicurity Ansatz gewidmet. Einer allgemeinen Einführung des Konzeptes folgt eine Analyse aus der gender Perspektive. Dabei soll das Potential des Flexicurity Konzeptes von zweit zentralen Seiten untersucht werden: Zum einen in Bezug auf eine sicherere Gestaltung atypischer Beschäftigung. Zum anderen hinsichtlich einer Gleichstellung der Geschlechter und der Verteilung von Reproduktionsarbeit. Dabei muss klargestellt werden, dass trotz einer Fokussierung auf die deutsche Situation, auch internationale Autoren mit in die Analyse eingehen. Der Schlussteil dient hingegen dazu, die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zusammenzufassen und somit eine klare Stellungnahme zur hier formulierten Problemstellung zu beziehen.

2. Atypische Beschäftigung: Frauensache?

Wie bereits angesprochen wurde, soll eine Analyse atypischer

Beschäftigungsverhältnisse den Ausgangspunkt dieser Arbeit bilden. Dafür müssen zunächst einige zentrale Begrifflichkeiten und Definitionen betrachtet werden, um dann den Blick auf das eigentliche Interesse dieser Untersuchung zu richten: Die geschlechtsspezifischen Charakteristika, Gründe und Folgen der atypischen Beschäftigung.

2.1. Definitionen und Begriffe

Die deutsche Arbeitswelt hat sich seit 1970 stark gewandelt. Diese Veränderungen werden häufig als Flexibilisierung der Arbeit beschrieben, die durch den globalen Wettbewerb, den technologischen Fortschritt und die steigende Bedeutung des Dienstleistungssektors vorangetrieben wurde. Darüber hinaus hat die Deregulierung1 institutioneller Rahmenbedingungen zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte beigetragen (Eichhorst 2015: 3).2

In der Arbeitsmarktforschung wird üblicherweise zwischen Formen der internen und externen Flexibilität unterschieden: Interne Formen der Flexibilität beziehen sich auf die innerbetriebliche Arbeitsgestaltung, die den Unternehmen beispielsweise durch wechselnde Arbeitszeiten, flexible Lohnstruktur etc., neuen Spielraum für Produktionsanpassungen bieten (Eichhorst 2015: 4). Mit externer Flexibilität sind hingegen insbesondere atypische Beschäftigungsverhältnisse gemeint (Eichhorst 2015: 12).3

Atypische Beschäftigungsverhältnisse haben in den letzten Jahren zugenommen: Beträgt der Anteil der atypisch Beschäftigten im Jahr 1990 noch 20%, sind es 2010 bereits 38% (Keller/Seifert 2013: 37).

In der Fachliteratur werden atypische Beschäftigungsformen vom Normalarbeitsverhältnis (NAV) abgegrenzt (Keller/Seifert 2013: 11). Wobei sich letzteres im Grundkern durch (1.) unbefristete Vollzeitbeschäftigung, (2.) eine subsistenzsichernde Entlohnung, (3.) vollständige sozialstaatliche Absicherung, (4.) die Beschäftigung bei einem einzigen ArbeitgeberIn („Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis“) sowie (5.) die „Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber“ auszeichnet (Mückenberger, zitiert in Keller/Seifert 2013: 11). Im Falle der atypischen Beschäftigungsverhältnisse ist mindestens eines dieser Kriterien nicht erfüllt (Keller/Seifert 2013: 12).

Keller und Seifert (2013: 12-13) unterscheiden fünf Formen atypischer Beschäftigungsverhältnisse, die jeweils unterschiedliche Merkmale aufweisen: Teilzeittätigkeiten, geringfügige Beschäftigungen, befristete Beschäftigungen, Leiharbeit und Soloselbständigkeit.

Im Rahmen dieser Hausarbeit werden lediglich die ersten drei Formen näher aufgegriffen, weil speziell die Situation der Frauen herausgearbeitet werden soll und diese eben vorwiegend Teilzeit, befristet und geringfügig beschäftigt sind (während in der Leiharbeit und Soloselbständigkeit die Männer überwiegen).4

Die erste Form atypischer Beschäftigung, die Teilzeitarbeit, ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, das eine reduzierte Arbeitszeit aufweist (maximal 35 Wochenstunden). Auch die Entlohnung ist dementsprechend niedriger als beim NAV (Keller/Seifert 2013: 12).

Auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind atypisch. Sie sind vor allem durch eine spezifische Einkommensgrenze definiert, wobei keine Beschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit vorliegt. Zu dieser Obergruppe gehören der Minijob und Midijob: Der Minijob ist ein nicht sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einer Einkommensgrenze von 450 Euro; beim Midijob besteht hingegen eine Sozialversicherungspflicht und eine Einkommensgrenze von 850 Euro (Keller/ Seifert 2013: 12).

Eine dritte Form der atypischen Beschäftigung sind die befristeten Arbeitsverhältnisse, die, wie das Wort „befristet“ schon andeutet, auf einen gewissen Zeitraum begrenzt sind. Ohne sachlichen Grund können befristete Arbeitsverhältnisse nicht länger als zwei Jahre bestehen. Es ist aber die Verlängerung durch einen Tarifvertrag möglich. ArbeitgeberInnen können jedoch nicht mehrmals hintereinander mit dem/der gleichen ArbeitnehmerIn befristete Arbeitsbeträge abschließen (Verbot von „Kettenbefristungen“). Was hingegen den Kündigungsschutz betrifft, ist dieser lediglich während der Vertragsdauer gewährleistet, jedoch nicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Keller/Seifert 2013: 13).

2.2. Frauen und Männer im Vergleich

Wenn man zwischen den Geschlechtern differenziert, wird deutlich, dass im Jahr 2010 55 % der Frauen atypisch beschäftigt sind (im Gegensatz zu lediglich 16% der Männer). Männer sind hingegen vorwiegend im NAV beschäftigt (84%), gegenüber lediglich 45% der Frauen. Zudem hat ist der Frauenanteil mit NAV zwischen 2003 und 2010 um 3% abgenommen (Keller/Seifert 2013: 39-43).

Wie Keller und Seifert (2013: 54) treffend anmerken:

„Die Expansion atypischer Beschäftigung vertieft also die geschlechtsspezifische

Teilung des Arbeitsmarktes. Zwar steigt die Beschäftigungsquote der Frauen (auf knapp über 70% Prozent), den Preis bezahlen sie aber mit schlechteren Arbeitsbedingungen, deren Folgen sich in die Nachterwerbsphase fortsetzen und die Lebensbedingungen beeinträchtigen.“

Was die spezifischen Formen atypischer Beschäftigung angeht, ist im Jahr 2012 die Teilzeitarbeit mit 26% am weitesten verbreitet. Dabei sind im Jahr 2010 89% der Teilzeitbeschäftigen weiblich, wohingegen der Männeranteil lediglich 11% beträgt (Keller/Seifert 2013: 43).

Auch innerhalb der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Minijob & Midijob), wie Keller und Seifert (2013: 43) aufzeigen, sind die Frauen im Jahr 2010 deutlich überrepräsentiert (80% Frauenanteil gegenüber 20% Männeranteil). Die dritte Form atypischer Beschäftigung, die befristete Arbeit, zeichnet sich im Jahr 2010 ebenfalls durch einen höheren Frauenanteil aus: 59% der Frauen gegenüber 41% der Männer sind befristet beschäftigt. Im Falle der befristeten Vollzeit, übersteigt hingegen der Männeranteil mit 53% um wenige Prozentpunkte den Anteil der Frauen (47%) (Keller/Seifert 2013: 43-45).

2.3. Ursachen und Folgen

Die hier angeführten Statistiken zeigen, dass vor allem Frauen atypisch arbeiten. Wie auch Stephan und Ludwig-Mayerhofer (2014: 385-386) herausarbeiten, besteht somit ein klarer Zusammenhang zwischen der steigenden Frauenerwerbstätigkeit und der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Erstens ist zu erwähnen, dass Frauen aufgrund von „ungünstigen Rahmenbedingungen für Kinderbetreuung“ (Stephan/Ludwig-Mayerhofer 2014: 386) oftmals Schwierigkeiten haben, eine Vollzeitstelle mit familiären Verpflichtungen zu verbinden. Aus dieser Perspektive müssen auch die Präferenzen von Arbeitnehmerinnen analysiert werden: Zwar wählen 54% der Frauen „freiwillig“ ein Teilzeitarbeitsverhältnis (ähnliches gilt für Minijob und Midijob), jedoch ist dieses für Frauen oftmals die einzige Option, da Betreuungsplätze eben nur begrenzt vorhanden sind (Keller/Seifert 2013: 25). Infolgedessen muss von einer „durch mangelnde Infrastrukturausstattung bedingte[n] Freiwilligkeit“ (Keller/Seifert 2013: 25) gesprochen werden.

[...]


1 Kronauer und Linne (2005: 10) empfehlen anstatt von Deregulierung eher von „Re-kommodifizierung“ zu sprechen, da die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte nicht unbedingt einen Abbau von Regelungen impliziert, sondern eher eine Anpassungen politischer Rahmenbedingungen an Marktmechanismen.

2 Eichhorst (2013: 3) sieht in den veränderten Präferenzen der ArbeitnehmerInnen einen weiteren Aspekt, der zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen hat.

3 Wie Stephan und Ludwig-Mayerhofer (2014: 385) anmerken, ist die Flexibilisierung der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse nicht nur auf die Unternehmen zu beziehen. Auch im öffentlichen Dienst und speziell sozialem Dienstleistungsbereich sind insbesondere befristete Beschäftigungsverhältnisse weit verbreitet.

4 Im Detail: Der Frauenanteil in der Leiharbeit beträgt im Jahr 2010 43%, gegenüber einem Männeranteil von 57% (Keller/Seifert 2013: 43). Hinsichtlich der Soloselbstständigkeit ergibt sich ein ähnliches Bild: Im Jahr 2010 beträgt der Männeranteil der Soloselbständigen mit MitarbeiterInnen, 73 % (lediglich 27% Frauenanteil). Was hingegen die Soloselbständigkeit ohne MitarbeiterInnen angeht, liegt der Frauenanteil bei 41%, gegenüber einem Männeranteil von 59% (Keller/Seifert 2013: 36). Es ist jedoch zu erwähnen, dass auch der Anteil der Frauen in der Leiharbeit allmählich zunimmt, da Leiharbeit zunehmend auch in Dienstleistungsberufen Anwendung findet (Keller/Seifert 2013: 40)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Konzept der Flexicurity. Expansion atypischer Beschäftigung in Deutschland
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
18
Katalognummer
V324169
ISBN (eBook)
9783668232747
ISBN (Buch)
9783668232754
Dateigröße
846 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konzept, flexicurity, expansion, beschäftigung, deutschland
Arbeit zitieren
Rebecca Lo Bello (Autor:in), 2016, Das Konzept der Flexicurity. Expansion atypischer Beschäftigung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/324169

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