Die Eigenarten der Mission im frühen Mittelalter


Examensarbeit, 2004

76 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Situation im frühen Mittelalter

3. Die Welt des mittelalterlichen Menschen

4. Gesellschaftsformen
a) Sippe
b) Haus
c) Stamm

5. Motive für die Mission
a) Peregrinatio
b) Ethnische Verbundenheit

6. Die Besonderheiten der Mission im frühen Mittelalter
a) Kollektiver Entscheid zum Religionswechsel
b) Bekehrung von oben nach unten
c) Vorfahren und Tradition
d) Mangelnde Säkularität
e) Ein Motiv für den Glaubenswechsel: Der stärkere Gott
f) Das Bild von den Heiden

7. Die Mission in der Praxis
a) Tatmission
b) Sprache der Missionare
c) Form und Inhalt der Missionspredigt
d) Predigt des Bonifatius auf einem Marktplatz in Hessen
8. Die Taufe - Das Tor zum Reich Gottes

9. Schutz vor dem Rückfall in alte Glaubensvorstellungen - Reform und Kirchenorganisation des Bonifatius
a) Kirchliche Strukturen
b) Petrinische Schlüsselliturgie
c) Klöster als Knotenpunkte der Kirchenorganisation
d) Ehe
e) Totenkult
f) Synoden
g) Kloster Fulda
h) Märtyrertod

10. Ergebnis - Auswirkung der Christianisierung auf Europa
a) Armenfürsorge
b) Verbesserung der Lebensverhältnisse von Sklaven
c) Rolle der Frau
d) Die Auswirkungen der frühmittelalterlichen Mission auf Europa

11. Literatur

1. Einleitung

„Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,

und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt. .“[1]

Dies ist der Missionsauftrag des auferstandenen Jesu an seine Jünger, und auf dessen Ruf sich die Missionare des Mittelalters auf den Weg machten, um ungläubige Heiden zu christianisieren.

Besonders das frühe Mittelalter ist eine äußerst spannende Epoche der Kirchengeschichte und von entscheidender Bedeutung für das Christentum in ganz Europa.

Angenendt schreibt insbesondere der Zivilisation, dem Geistesleben und allem voran der Religiosität im frühen Mittelalter einen großen Prozeßcharakter zu[2], welcher sich insbesondere in der Mission wiederspiegelt und auf dessen Eigenarten im frühen Mittelalter ich mich in dieser Staatsarbeit konzentrieren werde.

Zu Beginn der Arbeit berichte ich in einem kurzen historischen Kontext über die Herkunft der angelsächsischen Missionare, die später in einem asketischen Eifer das europäische Festland missionieren sollten. Auf diesem Wege werde ich erläutern, wie sich das Christentum im frühen Mittelalter generell entwickelte und sich darüber hinaus in Europa ausbreiten konnte.

In diesem Sinne werde ich im weiteren Verlauf der Arbeit die äußerst spannende Lebenswelt der mittelalterlichen Menschen beschreiben, die es in den linksrheinischen Germanenstämmen zu bekehren galt. In diesem Kontext ist es wichtig zu wissen, dass es sich bei diesen Heiden um Menschen handelte, die ihre Götter in der Natur, an Bäumen und Steinen, Felsen und Quellen verehrten. Menschen, die Amulette um den Hals trugen sowie kleine Götterbilder besaßen, die sie vor Unheil und allem Bösen schützen sollten.

Und nun, sich taufen zu lassen und sich zu einem Gottessohn zu bekennen, der wie ein Verbrecher am Kreuz gestorben ist – das kam für die meisten Heiden so ohne weiteres nicht in Frage und das waren vor allem nicht die einzigen Probleme für die christlichen Missionare, auf ihrem Weg zur Christianisierung Europas.

Zur besseren Verständlichkeit der Mission skizziere ich die geistige Atmosphäre, das Bildungsniveau und die religiöse Umwelt in den Gesellschaftsformen der Heiden, ohne die man die frühmittelalterliche Mission nicht verstehen kann.

Daraufhin werde ich mich den Motiven für die Mission der asketischen Gottesmänner widmen und die Frage klären, aus welchen Gründen sie ihre Heimat verließen und in den Gebieten nördlich der Alpen die dort lebenden germanischen Einfachvölker bekehrten.

Dies ist Anlass für mich, den Hauptteil dieser Arbeit den Besonderheiten der frühmittelalterlichen Mission mit ihrer universalen historischen, kulturellen und kirchlichen Bedeutung für das Abendland zu widmen.

Es waren nicht wenige Probleme, die auf die christlichen Missionare auf ihrem Weg zur Christianisierung Europas zukamen. Doch ohne das Wirken dieser Gottesmänner wäre das heutige Europa nicht das, was es jetzt ist.

Doch welche Probleme hatten die Missionare im Detail zu bewältigen und wie gingen sie in der Praxis ihrer Missionsaktivitäten vor?

Wie wurden diese Menschen zu Christen, was mussten die Missionare tun, um diese Heiden vom christlichen Glauben zu überzeugen?

Im Klartext: Wie vollzog sich die Mission der Heiden mit all ihren Eigenarten?

Die Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft bedeutete einen totalen Lebenswandel für die neuen Christen. Aus diesem Grund möchte ich im weiteren Verlauf meiner Ausführungen die Taufe als Initiationsakt des Christentums genau beschreiben. Dies ist vor allem deshalb so wichtig, weil die Taufe als Tor zum Reich Gottes zu verstehen ist und gleichsam die Verbindung zum ewigen Leben demonstriert.

Nach der erfolgreichen Bekehrung musste die neue Religion gefestigt und ein Rückfall in alte Glaubensvorstellungen verhindert werden. Ein Meilenstein für die sowohl innerliche als auch äußerliche Entwicklung des christlichen Mittelalters sind die Reformbemühungen des Bonifatius in der Organisation der fränkischen Kirche, die meine Arbeit abschließen werden.

Abschließend spanne ich den Bogen in die Gegenwart und betrachte das missionarische Wirken des Bonifatius und seinen Gefährten als Grundlage des politischen, gesellschaftlichen wie geistigen Europas.

Meine Arbeit basiert in erster Linie auf den Werken des angesehenen Münsteraner Professors Arnold Angenendt. Gegenwärtig gibt es Niemanden, der sich so intensiv mit der Kirchengeschichte, insbesondere der frühmittelalterlichen Mission, beschäftigt hat.

2. Die Situation im frühen Mittelalter

Mit der Entstehung gentiler Reiche im 5. und 6. Jahrhundert auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reiches, kam es zu einer ersten großen Bewährungsprobe für die westliche Christenheit.[3] „Dort ließen sie sich nieder: die Wandalen in Nordafrika, die Westgoten zunächst in Südgallien und dann in Spanien, die Franken zuerst im Norden Galliens und dann auch im Süden und Osten, ferner die Langobarden in Norditalien (…)“[4].

Die ehemalige römische Provinz Britannia, von der für die Christianisierung Europas die so wichtigen angelsächsischen Missionare Willibrord († 739) und Bonifatius († 754) gegen Ende des 7. Jahrhunderts auf das Frankenreich einzuwirken begannen, war nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches zunächst von dänischen und danach von germanischen Stämmen übersiedelt worden. Insbesondere sollte für die geschichtliche Entwicklung auf der Insel der sächsische Stamm der Angeln bestimmend werden, der England seinen Namen gab. Die Landschaftsnamen Wessex und Sussex (Westsachsen, Südsachsen) geben noch heute einen Hinweis auf jene germanischen Eroberer, welche die keltische Urbevölkerung nicht auslöschten, sondern sie vielmehr nach Westen zurückdrängten, ohne eine Vermischung mit ihr einzugehen.

Schon seit der Römerzeit gab es auf der britischen Insel Christen. Die älteste Kirche bildete die keltische Christenheit Britanniens, die im Zuge der römischen Eroberung entstand.[5] Die keltischen Christen waren durch den Sachseneinfall in den Westteil der Insel abgedrängt worden und nicht in den eroberten Norden, wo der Stamm der Skoten wohnte. Diese schottischen Gebiete waren wie Irland durch den in Gallien geschulten Missionar Patricius (der heilige Patrick) bereits im fünften Jahrhundert christianisiert worden. Vergleichbar mit der späteren west- und mitteleuropäischen Germanisierung hatte sich dort eine Keltisierung der Kirche herausgebildet. Bei diesen so genannten iro-schottischen Missionaren handelte es sich um Mönche, die von den britischen Inseln aufs Festland kamen.[6]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: England in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts (nach H. K. Schulze)

Dieses iroschottische Christentum war ursprünglich gänzlich vom Mönchtum getragen. Dementsprechend bildeten dort die Klöster die Mittelpunkte der kirchlichen Verwaltung. Es gab keine Bischofssitze mit Kathedralen.

Ihr missionarischer Elan[7], der sich bald auf die britische Hauptinsel und auf das europäische Festland erstreckte, hatte eine monastische, asketische Wurzel. Um der asketischen Weltentsagung willen verließen die Mönche in freiwilliger Buße für Christus die Heimat und gründeten in der Fremde Klöster.[8] Der Kerngedanke der Peregrinatio war die Abkehr von der irdischen Welt. Sie war gleichbedeutend mit der vollkommenen Hinwendung zur himmlischen Welt und wurde als Leistung für Gott verstanden. Das iroschottische Mönchtum war durch Columban den Jüngeren († 615) auch nach Gallien und Italien getragen worden. „Die asketische Peregrinatio forderte, in die Fremde zu ziehen und bei fremden Völkern zu leben“[9], so Angenendt über Columban und seine Gefährten, „(…) die nach Gallien gekommen seien, um das Heil zu säen.“[10]

Das Verlassen und die damit verbundene Abkehr von der Heimat bedeutete gleichzeitig eine schnellere Hinwendung zur Heimat bei Gott: „Wir haben keine Heimat auf Erden, denn unser Vater ist im Himmel; (…) Darum lasst uns, weil wir Reisende und Fremdlinge in der Welt sind, immer über das Ende des Weges – unseres Lebensweges – nachdenken. Das Ende unseres Weges ist unsere Heimat.“[11] Zwischen den Jahren 590 und 612 gründete Columban in Gallien, Allemanien und Oberitalien Klöster. Diese Klöster waren Schulen für die gallisch-fränkischen Missionare, die erneuernd auf die eigene fränkische Kirche einwirkten und das Christentum zusammen mit den irischen Missionaren zu den noch heidnischen Germanen trugen. Dabei wurden durchaus die von Irland ausgehenden Eigenarten, wie die Auffassung der christlichen Askese, damit auch nach Gallien und dann später nach Germanien verpflanzt und prägten das monastische Leben. Besonders bedeutsam wurde dieser Einfluss auf die Bußpraxis. Vor allem das neue Bußsystem, das sich in der gesamten westlichen Christenheit verbreitete, ist eine Frucht der Columbanischen Mission.

Die zunächst indirekt einsetzende Missionierung Mitteleuropas durch Papst Gregor dem Großen war von einem Dauererfolg gekrönt. Ich betone ›indirekt‹, denn die Germanenmission ist über England gelaufen. In England gab es Siedlungsverbände, die sich als Ordnungsgebilde zu einer Anzahl von Herrschaftsbezirken unter Kleinkönigen (Herzögen) formten. Ein typischer Machtkampf tobte unter den Herrschenden und die Sieger schufen sich auf diese Weise größere Herrschaftsbereiche. So hatte sich um 600 der König Aethelbert von Kent gegenüber anderen Machthabern eine gewisse Oberhoheit verschaffen können. Dieser König war es, der der christlichen Mission den Weg auf die Insel eröffnete, und damit begann die Einbeziehung der Angelsachsen in die Geistesgeschichte Europas.

Papst Gregor der Große war derjenige, der die Missionare im Jahre 597 auf die Insel entsandte. Der englische Benediktinermönch Beda verfasste zu seinen Lebzeiten die Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum, die „Kirchengeschichte des Volkes der Angeln“, auf der sich das Wissen über die Bekehrung der Angelsachsen gründet.[12]

Als einer der ersten römischen Missionare auf der Insel, die von Papst Gregor dem Großen gesandt wurden, ist Augustinus von Canterbury († 604) zu erwähnen. Augustinus wurde von Aethelbert in Kent im Jahre 597 empfangen. Dieser hörte sich die Rede des Augustinus an und versprach daraufhin Augustinus und seinen Mönchen in Canterbury Schutz und Unterkunft. Aethelbert wurde im Jahre 597 von Augustinus getauft und von da an verbreitete sich der christliche Glaube rasch unter den Angelsachsen aus. Der äußert günstige Umstand, dass Aethelberts Frau Berta bereits christlich war, dürfte für die erfolgreiche Mission des Königs durch Augustinus von entscheidender Bedeutung gewesen sein.[13] Im Sommer 601 wurde Augustinus Erzbischof mit Sitz in Canterbury.

Der Durchbruch der Mission gelang daraufhin durch die Bekehrung des nordhumbrischen Königs Edwin, nach dessen Taufe „(…) der Andrang des Volkes so groß gewesen sein soll, dass Paulinus in der bernicischen Königspfalz Yeavering einmal 36 Tage lang katechesieren und draußen in Flußwasser habe taufen müssen.“[14] Alles lief anscheinend nach Plan - Paulinus sollte Erzbischof im Erzbistum York werden. Doch nachdem König Edwin in einer Schlacht ums Leben gekommen und sein Reich verloren war, verlor auch Paulinus sein Erzbistum, was zwar den Zusammenbruch der römischen Mission, allerdings nicht das Ende des Christianisierungsprozesses bedeutete.[15] Zwischen 633 und 670 sorgten von Nordhumbrien ausgehend die Herrscher Oswald und sein Nachfolger Oswiu mit ihrer Unterstützung für die weitere Ausbreitung des Christentums bis in den Süden Britanniens, wo der Abschluss der Mission von Wulfhere von Mercien (657-678) erreicht wurde.

In der weiteren Missionsgeschichte wusste das angelsächsische Christentum sich seinem großen Missionspapst Gregor dem Großen nachhaltig verbunden und behielt dadurch stark römischen Einschlag.[16]

Die Bekehrung der Angelsachsen und die Einbeziehung der keltischen Briten können als erste große Erfolge der festländischen Kirche nach der Bekehrung der Franken angesehen werden. Das Ergebnis war die Schaffung einer eng mit Rom verbundenen britisch-angelsächsischen Kirche, dessen Verdienst Papst Gregor dem Großen zuzuschreiben ist. Von dieser Kirche aus sollte hundert Jahre später Bonifatius die fränkische Kirche neu organisieren und fest mit dem Mittelpunkt der Kirche verbinden.

Inzwischen aber gab es auf dem Festland noch einen anderen Typ mönchischen Lebens, der - vom alten römischen Ordnungssinn getragen - in größeren Gemeinschaften zusammengeschlossen lebte. Ihnen zu Grunde lag die in 73 Regeln festgelegte Lebensordnung des Benedikt von Nursia († um 547). Diese Art Mönchtum wurde für das monastische Leben im Abendland maßgebend in ihren verschiedenen Erfordernissen an den Mönch: „Ein detailliertes Gesetz für das zönobitische Klosterleben, Themen sind Profeß, Einkleidung, gemeinsames Stundengebet, gemeinschaftliche Speise- und Schlafsäle, genaue Essens- Fastenverordnungen, Anweisungen für die Arbeit sowie Sonderbestimmungen für Alte, Kranke, Kinder und Gäste. Zu den spirituellen Erfordernissen gehören Demut, Gehorsam, Gemeinschaftsleben, Schweigen, Verzicht, Arbeit – alles begründet aus der Schrift.[17] Der asketische Weltverzicht mit missionarischer Weltgesinnung ist Grundlage dieser Mönchsregel.

Der gesamte Christianisierungsprozess vollzog sich unter den Augen des jungen Winfried Bonifatius, dessen Geburt 672/75 anzusetzen ist. Mit seinem Wirken erreichte die Mission kirchengeschichtlich eine epochale Bedeutung. Die nun auf dem Kontinent aktiven Angelsachsen traten jetzt vornehmlich mit den Karolingern in Beziehung, und diese Beziehung sollte von großem Nutzen für die Bekehrung der heidnischen Stämme sein. Für Angenendt hat sich „im Gefolge der von diesen Männern initiierten Missions- und Reformbemühungen die fränkische Kirche neu formieren können und den Grundstock der mittelalterlichen Christenheit gebildet.“[18]

Erst ab seinem vierzigstem Lebensjahr kam Winfrid auf das europäische Festland und scheiterte mit seinem ersten Missionsversuch bei den Friesen (716). Seine enge Romverbundenheit dokumentiert er mit seiner ersten Romreise (719), auf der er sich von Papst Gregor II. einen Missionsauftrag erteilen ließ. Dieser belegt ihn gleichzeitig mit dem Namen des Vortagsheiligen Bonifatius. Daraufhin wirkte er zunächst in Thüringen, Friesland und in Hessen. 722 wurde er dann bei seiner zweiten Romreise vom Papst zum Bischof ohne festen Sitz geweiht.

Versehen mit einem Schutzbrief des fränkischen Hausmeiers Karl Martell wählte er als Zentrum seiner Missionsarbeit wieder Thüringen und Hessen. 732 wird Bonifatius von Papst Gregor dem III. zum Erzbischof ohne eigenen Metropolitansitz geweiht. Die Neuorganisation der Kirche begann in Bayern, wo er in Salzburg, Passau, Regensburg und Freising Bischöfe einsetzte bzw. bestätigte. 741 kam es zur Gründung der Bistümer in Würzburg, Büraburg und Erfurt.

Sein Wirken ist gekennzeichnet durch die ständige Korrespondenz mit den Petrusnachfolgern in Rom, mit denen er im regen Briefkontakt über Probleme und Fragen über die Mission, Organisation und Reform der Kirche stand. Nach dem Tode Karl Martells (741) wurde die Organisation und Reform der fränkischen Kirche vor allem von Karlmann unterstützt.

Bonifatius gelang es von nun an, regelmäßige Synoden einzuberufen, die für die Stabilität seines Wirkens von großer Bedeutung waren, wobei Bonifatius vor allem versuchte, der Verweltlichung der Bischöfe und des Klerus entgegenzuwirken. Nach der Abdankung Karlmanns (747) zugunsten seines Sohnes Drago konnte sich Bonifatius anscheinend nicht mehr gegen den heftigen Widerstand des fränkischen Episkopats durchsetzen. Er machte in hohem Alter noch einmal den Versuch, die Friesen zu bekehren. In der Nähe von Dokkum wurde er am 5. Juni 754 von friesischen Räubern erschlagen, die es auf die geistlichen Gewänder und wertvollen Gefäße abgesehen hatten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Missionstätigkeit und Martyrertod des Bonifatius (Sacramentarium Fuldense, 10. Jahrhundert, Univ- Bibl. Göttingen)

„Die linke Hälfte zeigt Bonifatius bei der Spendung des Initiationssakramentes; die erhobene Hand dürfte andeuten, dass Bonifatius einem soeben Getauften die Firmung erteilen will; im Hintergrund warten die Paten, während rechts im Vordergrund Eltern ihre Kinder herbeibringen. Die rechte Seite zeigt das Martyrium; gepanzerte und bewaffnete Männer dringen auf Bonifatius ein, der zur Verteidigung ein Buch vor sich hält.“[19]

3. Die Welt des mittelalterlichen Menschen

Um sich ein Bild machen zu können, mit welchen Problemen sich die christlichen Missionare in ihrem Wirken auseinandersetzen mussten, gilt es sich die Welt des einfachen Menschen, den es zu bekehren galt, vor Augen zu führen.

Sicherlich war der linksrheinische Lebensraum, beeinflusst durch das ehemaligen Imperium Romanum, kulturell fortgeschrittener als die rechtsrheinischen Gebiete. Doch insgesamt verbrachte der unmobile mittelalterliche Mensch sein Leben mit seiner Sippe in seiner Heimat. Ein sozio-kultureller Vergleich der heutigen und damaligen Lebensverhältnisse zeigt: Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland leben zurzeit ca. 200 Einwohner pro Quadratkilometer. Bei einer angenommenen Einwohnerzahl auf dem gleichen Gebiet im frühen Mittelalter von einer halben Million Menschen, waren im Vergleich dazu umgerechnet nur zwei Einwohner je Quadratkilometer anzufinden.[20]

Ähnlich verhält es sich mit dem Bildungsniveau: 98% der Menschen in der heutigen Gesellschaft sind in der Lage zu lesen und zu schreiben. Im gesamten Mittelalter hingegen erreichten nie mehr als fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung diese Fähigkeit, was bereits andeutet, welche Probleme die Missionare zu bewältigen hatten, um die christliche Buchreligion der heidnischen Bevölkerung nördlich der Alpen zu vermitteln.[21] Wie verloren sich der Mensch in dieser Welt vorgekommen sein muss, wird in einer Schilderung von Georges Duby über den Lebensraum deutlich:

„Sehr wenig Menschen – einsame Gegenden, die sich nach Westen, nach Norden und nach Osten erstrecken, unüberschaubar werden und schließlich alles bedecken – Brachland, Sümpfe, unstete Flussläufe, die Heide, das Dickicht und die Weiden, aller Arten verkümmerten Waldes, als Hinterlassenschaft von Buschbränden und den flüchtigen Einsaaten der Brandroder – hier und dort Lichtungen, einmal erobertes, doch nur halbwegs gezähmtes Land, leichte, kümmerliche Furchen, die die von mageren Ochsen gezogenen Holzgeräte auf dem widerspenstigen Boden hinterlassen haben; innerhalb dieses Nahrung spendenden Raums noch riesige Leerstellen, all die Felder, die man ein Jahr, zwei Jahre, drei und manchmal gar zehn Jahre brach liegen lässt, damit sich die Bedingungen ihrer Fruchtbarkeit im Ruhezustand auf natürliche Weise wiederherstellen – bescheidene, zu Weilern versammelte Wohnstätten aus Stein, Lehm oder Zweigwerk, umgeben von dornigen Hecken und einem Ring aus Gärten – gelegentlich inmitten schützender Palisaden der Wohnsitz eines Oberhaupts, ein offener Holzbau, Kornspeicher, Verschläge für die Sklaven und, etwas abseits, die Feuerstelle der Küchen -, ab und an, auf großen Entfernungen, eine städtische Siedlung, die in Wirklichkeit nur noch ein von der ländlichen Natur durchdrungenes, verblichenes Skelett, der römischen Stadt ist. Von Pflugland umgebene Ruinenviertel, eine recht und schlecht ausgebesserte Einfriedung, Steinbauten aus der Zeit des Imperiums, die in Kirchen oder Zitadellen verwandelt worden sind; in ihrer Nähe ein paar dutzend Hütten, in denen Weinbauern, Weber und Schmiede wohnen, jene Handwerker, die als Dienstmannen Schmuck und Waffen für den hochwürdigen Bischof und die Garnison fabrizieren; und schließlich zwei oder drei jüdische Familien, die gegen Pfand etwas Geld verleihen – schmale Pfade, die langen Züge frondienstleistender Lastenträger und kleine Barkenverbände auf allen Wasserläufen (…). Eine wilde Welt, eine Welt in den Fängen des Hungers (…).[22]

Insgesamt war der Lebensraum des mittelalterlichen Menschen sehr beengt und stetig auf vielfältige Weise gefährdet. Die meiste Zeit des Lebens verbrachten die Menschen mit ihrer Selbstversorgung durch die Landwirtschaft und mit bescheidenen handwerklichen Arbeiten, vorausgesetzt sie befanden sich nicht in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit einem anderen Volk oder Stamm.

„(…) Stets bedrohten Hunger und Not die Existenz des einzelnen wie ganzer Stämme. Aber der Mangel entstand nicht, weil sich die Bevölkerung ungestüm vermehrte oder ungeheure Naturkatastrophen den Lebensraum vernichteten…, sondern wegen der allgemeinen Friedlosigkeit … einer barbarischen Gesellschaft. Diese befand sich ständig im Krieg. Der Friede bildete die Ausnahme, er musste vertraglich festgelegt werden. Der Feind war nicht bloß das Volk, das jenseits einer Grenzzone hauste, sondern bereits das Nachbardorf, der nächste Clan oder die andere Sippe desselben Stammes …“.[23]

Ein weiteres Indiz für diese Kleinräumigkeit ist das nur sehr dürftig ausgebaute Straßennetz. Da das antike Straßensystem meist nicht mehr aufrechterhalten werden konnte[24], mussten sich die Missionare oft durch tiefe Wälder und sumpfige Gebiete durchschlagen, um zur nächsten Siedlung zu gelangen.

Es ist durchaus denkbar, dass sie auch die eine oder andere Nacht ohne Schutz in den Wäldern auf ihren Missionsreisen verbringen mussten. Entweder aus dem Grund, dass sie sich verirrt hatten und nicht rechtzeitig die nächste Siedlung erreichen konnten, oder weil sie in die Wälder von aufgebrachten Heiden nach einem misslungenen Missionsversuch zurückgetrieben wurden. Dort lauerten dann die Gefahren der Natur, wie Unwetter, Dunkelheit, Kälte und Hunger.

Aber auch Räuber und Kriminelle, die in den Wäldern lebten, hatten es stets auf die geistlichen Gewänder und die wertvollen kirchlichen Gefäße der Missionare abgesehen.

Diese Kleinräumigkeit bedeutete ebenfalls einige Einschränkungen für das kirchliche Leben. Es mussten in den Dorfgemeinschaften Kirchen errichtet und zusätzlich mit kostbarem liturgischem Gerät, mit Gewändern und Büchern und einem Geistlichen ausgestattet werden. Um überhaupt kirchliche Strukturen aufbauen zu können, bedurfte es „ (…) hinreichender Verkehrsmöglichkeiten, etwa für die Synoden, für den innerdiözesanen Verkehr oder auch für die Pfarrvisitation des Bischofs. Selbst für den Aufbau einer Pfarrei ergaben sich unerdenkliche Schwierigkeiten, denn wie sollte man die verstreut siedelnden Menschen zu einer Gemeinde versammeln!“[25]

4. Gesellschaftsformen

a) Sippe

Im Gegensatz zur unserer gegenwärtigen Gesellschaft, welche durch zahlreiche Schutzfunktionen des Staates geprägt ist, war die Einzelperson im frühen Mittelalter wenig bis gar nicht geschützt. Schutz garantierten nur die verwandtschaftlich verbundenen Gemeinschaften. Dies war zu jener Zeit in erster Linie die Sippe, „(…) deren Wortbedeutung (Bluts-) Verwandtschaft, Friede, Bündnis noch die alte Schutzwirkung bezeugt.“[26]

Kennzeichnend für die Sippe war ein absolutes Friedensgebot untereinander und eine ständige Kampfbereitschaft nach außen hin, in der ständigen Erwartung von Übergriffen oder Rachezügen anderer. Weiterhin verstand sich die Sippe als eine Abstammungsgemeinschaft, wobei unter anderem bei großen Familien der so genannte Spitzenahn[27] eine entscheidende und prägende Rolle spielte. Als Begründer der Sippe in der Vorzeit, vermittelte er ihr einst Lebenskraft und Normen. Von ihm als halbgöttlichen Stammvater stammen König, Adel und Volk ab. Besonders am Beispiel des Lebens in der Sippe wird der überindividuelle Charakter als ein ganz besonderes Merkmal für das Leben des Menschen im Mittelalter deutlich: In der mittelalterlichen Gesellschaft gab es kein Platz für persönliche Entscheidungen oder individuelle Gedanken.

Jeder einzelne hatte sich in das Kollektiv einzufügen und die Sippe entschied kollektiv „(…) über die Lebensangelegenheiten des Einzelnen, über Heirat so gut wie über den Beruf und den Besitz.“[28] In der Hauptaufgabe der Sippe sah man die Verteidigung und Haftung der gesamten Gemeinschaft gegenüber Eingriffen von außen. In diesem Fall konnte jedes einzelne Sippenmitglied auf die Unterstützung seiner Sippe bauen.

b) Haus

Alle Sippenangehörigen lebten im Haus, das der Hausherr als Friedensbezirk zu sichern hatte. Das Haus bot allen Bewohnern Schutz. Dazu gehörten auch die Abhängigen (das Gesinde, die Halbfreien und die Sklaven), die den Schutz des Hausherrn genossen, aber seiner Herrschaft unterworfen waren. Der Hausherr hieß Munt (mundiburdium), was als ein Schutzverhältnis anzusehen war, das auch Gewalt sowie Vertretungsrecht implizierte. Weiterhin hatte der Hausherr „(…) den Hausgenossen ihren Lebensunterhalt zu gewähren, trat vor Gericht für ihre Rechte ein, konnte sie aber selbst strafen und die Sklaven sogar verkaufen oder töten.“[29] Im Laufe des Mittelalters wurde ›Munt‹ wesentlich ein familienrechtlicher Begriff.

[...]


[1] Mt 28, 18-20

[2] Angenendt, A., Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000, S. 21

[3] Angenendt, A., Mission – christlich und frühmittelalterlich, in: Die Vita Sancti Ludgeri. Text, Übersetzung und Kommentar, Forschungsbeiträge, Graz – Bielefeld 1999, S. 127 – 149, S.134

[4] Angenendt, A., Mission – christlich und frühmittelalterlich, in: Die Vita Sancti Ludgeri. Text, Übersetzung und Kommentar, Forschungsbeiträge, Graz – Bielefeld 1999, S. 127 – 149, S.128

[5] vgl. Lortz, J., Geschichte der Kirche, Band I Altertum und Mittelalter, Münster, 1962, S. 202

[6] Frank, K., Grundzüge der Geschichte des christlichen Mönchtums, Darmstadt 1975, S. 16

[7] Frank, K., Grundzüge der Geschichte des christlichen Mönchtums, Darmstadt 1975, S. 16

[8] vgl. Angenendt, A., Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahre 800, in: HEINZ LÖWE (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter, Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 52 - 79.

[9] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 222

[10] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 222

[11] Angenendt, A., Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahre 800, in: HEINZ LÖWE (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter, Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 52 - 79. S.52

[12] vgl. Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 224

[13] vgl. Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 183; S. 224

[14] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 224

[15] vgl. Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 224

[16] vgl. Angenendt, A., Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000, S. 39

[17] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 104 f.

[18] vgl. Angenendt, A., Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000, S. 39

[19] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 274

[20] vgl. Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 148

[21] vgl. Lutterbach, Hubertus, Bonifatius, mit Axt und Evangelium, Freiburg im Breisgau, Herder 2004, S. 264

[22] Angenendt, A., Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000, S.203

[23] Angenendt, A., Mission und Christianisierung im Frühmittelalter, in: WALTER BERSCHIN – DIETER GEUENICH – HEIKO STEUER (Hrsg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.-8. Jahrhundert), (Archäologie und Geschichte Bd. 10), Stuttgart 2000, S. 11 – 21, S.11

[24] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 148

[25] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 148

[26] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 255

[27] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 256

[28] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 256

[29] Angenendt, A., Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart – Berlin – Köln, 1990, S. 257

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Die Eigenarten der Mission im frühen Mittelalter
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,7
Jahr
2004
Seiten
76
Katalognummer
V32377
ISBN (eBook)
9783638331104
Dateigröße
1038 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eigenarten, Mission, Mittelalter
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, Die Eigenarten der Mission im frühen Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32377

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