Der Mensch als Automat. Die Frauenbilder im Pygmalionmythos und bei E.T.A. Hoffmanns DER SANDMANN


Hausarbeit, 2011

12 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Überdauern mythologischer Motive

2. Frauenbilder im Pygmalionmythos
2.1 Allgemeines zu Pygmalion
2.2 Pygmalion und die Frauen

3. Frauenbilder im Sandmann
3.1 Clara
3.2 Olimpia
3.3 Clara & Olimpia im Vergleich

4. Vergleich und Fazit

5. Bibliographie

1. Überdauern mythologischer Motive

Antike Gestalten & Geschichten aus Götter- und Heldensagen wirkten und wir­ken bis heute in vielfältiger Form nach. Sie wurden in Gemälden, Opern, Bü­chern, Dramen und (moderner) auch in Filmen verarbeitet und weiterentwi­ckelt. Dies veranschaulicht eindrucksvoll, dass sie nichts an Aktualität einge­büßt zu haben scheinen; antike Mythen beschäftigten in sämtlichen Epochen Künstler jeglicher Art. Sie behandeln grundlegende Belange des alltäglichen Lebens der Menschen, beschäftigen sich mit ihren Ängsten, Gefühlen und Sehnsüchten.

In diese Kategorie des Zeitlosen scheint auch der Gedanke bzw. das Bedürfnis danach zu gehören, sich einen Menschen so zu gestalten, wie er dann für ei­nen selbst am besten ist. In der Antike lässt schon Homer Hephaistos Automa­ten aus Gold erschaffen, die ihm gefügig bei der Arbeit zur Seite stehen[1]. Auch Pandora wird von ihm auf Geheiß des Zeus gefertigt; bei ihrer Schöpfung wird von den verschiedenen Göttern größter Wert auf Perfektion gelegt. Dieses Be­streben ändert sich mit der Zeit nicht, nur die ,Schöpfer' nehmen irdischere Gestalt an: Sind es in der Antike in den meisten Fällen die Götter, denen es Vorbehalten ist, Androiden zu erschaffen, übernehmen dies später Künstler und Mechaniker bzw. Naturwissenschaftler. Allen gemeinsam ist nicht nur der Wunsch nach dem vollkommenen äußeren Abbild des Menschen, sondern auch die Perfektion seines Verhaltens. Der Mensch möchte die Natur unterwerfen und durchaus Ebenbilder von Göttern erschaffen, da die Natur dies nicht fertig zu bringen scheint. In den Vordergrund tritt damit einhergehend auch zuneh­mend die Frage, wodurch künstlicher & natürlicher Mensch sich noch unter­scheiden und was einer dem anderen voraus haben sollte.

Mit dieser Problematik wird sich sowohl in der Pygmalionepisode von Ovids Metamorphosen als auch in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann befasst. Beiden ist offensichtlich gemeinsam, dass das vollkommene Ebenbild einer Frau durch Menschenhand erschaffen werden soll. Diese Hausarbeit versucht im Folgen­den zu klären, wodurch für die jeweiligen Protagonisten eben jenes zu entste­hen scheint. Das Hauptaugenmerk soll hierbei denjenigen gelten, die sich von der vermeintlichen Perfektion täuschen lassen sowie deren generelle Interkati­on sowohl mit menschlichen als auch den nicht-menschlichen Individuen. Wei­terhin wird versucht werden, auf die äußerlichen und ethischen Charakteristika der verschiedenen Frauenbilder einzugehen und mögliche Gleichnisse bzw. Unterschiede zwischen diesen festzustellen.

2. Frauenbilder im Pygmalionmythos

2.1 Allgemeines zu Pygmalion

Die Pygmalionepisode beginnt im zehnten Buch von Ovids Metamorphosen recht unvermittelt. Die Verse 243 - 298 sind sowohl innerhalb dieses Werkes als auch in der bekannten antiken Literatur allgemein die einzige Erwähnung dieses zyprischen Königs. Er steht in keinerlei Verbindung zu anderen (mythi­schen) Gestalten des klassischen Altertums und verdankt seine Berühmtheit einzig den 57 Versen, die ihm Ovid in seinen Metamorphosen gewidmet hat.[2] Doch auch hier erfährt der Leser nicht viel zur Person an sich - einzig die für den weiteren Verlauf wichtigen Attribute werden vorgestellt: Pygmalion lebt ehe- und kinderlos und dementsprechend einsam; jedoch wird er als geschick­ter Künstler vorgestellt.[3]

2.2 Pygmalion und die Frauen

Um zu verstehen, weshalb Pygmalion sich von den Frauen ab- und im Folgen­den seiner Künstlertätigkeit zuwendet, sind auch die beiden vorhergehenden Wandlungssagen wichtig, in denen „die Mädchen verbrecherisch lebten"[4] in­dem sie nicht nur Menschen Gewalt antaten (und sie zum Teil töteten) und sich prostituierten, sondern sich zu allem Überfluss auch noch zu dem Frevel derGötterleugnung hinreißen ließen.[5]

Vom Handeln dieser Frauen angewidert, schließt Pygmalion, dass dies dem ,,Weibergeschlecht[es]"[6] eigentümlich sein muss. Da er alle Frauen mit dem Verhalten der Frevlerinnen gleichsetzt, sieht er sich zu einem Leben ganz ohne Gattin und Kinder motiviert und es scheint, als widme er sich daraus resultie­rend der Kunst. Hierbei entwirft Pygmalion sicherlich nicht zufällig die elfen­beinerne Statue einer Jungfrau, die er mit einer solchen Schönheit ausstattet, wie sie selbst die Natur keiner lebenden Frau zuteilwerden lässt. Es geschieht, was geschehen muss - und zwar sehr schnell: Pygmalion „verliebt sich ins eigne Gebilde"[7]. Ohne ihr zu diesem Zeitpunkt auch nur irgendeine Eigenschaft neben der übernatürlichen äußeren Attraktivität zuzuschreiben, ist es also um Pygmalion geschehen und erst aus diesem Gefühl heraus beginnt dieser, der Statue neben der körperlichen Makellosigkeit auch eine charakterliche beizu­messen.

Die Figur beginnt für ihn lebendig zu werden: Zunächst wird Pygmalions Ein­bildung auch dem Leser so ungefiltert geschildert, dass die „Jungfrau" selbst dem objektiven Beobachter durchaus echt erscheinen muss, da der Eindruck entsteht, sie könne sich gar von ihrem Podest herabbewegen, tue dies aber lediglich aus Scham nicht[8], was nach Pygmalions Vorstellung der Innbergriff des Tugendhaften zu sein scheint. Vorsichtshalber wird dem Leser sogleich noch einmal mitgeteilt, dass die Skulptur natürlich keineswegs lebendig ist; für den Erschaffer derselben jedoch ist dies auf Grund der handwerklichen Perfek­tion und der entflammten Liebe zu seiner Figur nicht ersichtlich. Immer wieder küsst er sein Werk, fühlt sich wiedergeküsst, berührt es, tastet es ab, um zu überprüfen, ob es lebt, jedoch nicht zu fest, da er fürchtet, der Leib könnte „durch bläuliche Flecke entstellt [werden]"[9]. Für ihn steht zweifelsohne fest, dass es kein Elfenbein sein kann, was er mit den Händen festhält. Dement­sprechend beginnt er, seine Angebetete zu umgarnen, indem er ihr regelmäßig Geschenke bringt, sie ankleidet und ihr teuren Schmuck anlegt. Obwohl nicht zu erwarten ist, dass er hierfür in irgendeiner Form Dank oder Gegenliebe er­hält, steigert er sich mehr und mehr in die Vorstellung seiner perfekten und nicht frevelhaften Frau hinein. Letztendlich gesteht Pygmalion seiner geliebten Statue einen Platz neben sich in seinem Bett zu und pflegt von hier an, sie seine Ehefrau[10] zu nennen. Bis zu diesem Zeitpunkt lässt Pygmalion keinen Zweifel daran, dass er die Figur für eine lebendige Frau hält.

Irgendwann muss ihm jedoch in den Sinn kommen, dass er sich von seiner eigenen Kunstfertigkeit und seinen Gefühlen ein wenig den Verstand hat ver­nebeln lassen, denn bei dem alljährlichen Fest zugunsten der Venus, die nicht nur der (göttliche) Innbegriff für Schönheit und Liebe, sondern auch die Schutzgöttin Zyperns ist[11], wendet der sich infolge eines dargebrachten Opfers an die Göttin persönlich: Pygmalion wagt es zwar nicht, Venus um die direkte Belebung der Statue zu bitten, jedoch wünscht er sich zumindest eine der Skulptur ähnlichen Gattin. Offenbar scheint ihm die Tatsache des Über- bzw. Unnatürlichen seines Kunstwerkes bewusst geworden zu sein und er hegt wo­möglich ernsthafte Befürchtungen, ihrer Perfektion selbst nicht gerecht werden zu können, sollte sie Statue tatsächlich lebendig werden. Venus „versteht des Gebetes Bedeutung"[12] und macht nicht nur den bescheideneren Wunsch Pyg­malions, den er ihr gegenüber äußerte, wahr, sondern sogar seinen innersten, sehnlichsten Wunsch und erfüllt tatsächlich die Skulptur selbst mit Leben.

Jetzt wird das Kunstwerk zum zweiten Mal erweckt, jedoch erleben Leser und Protagonist dies in vertauschten Rollen: Während der Leser weiß, dass der Statue vonseiten der Göttin Leben eingehaucht wurde, hegt Pygmalion erheb­liche Zweifel. Obwohl das Elfenbein überall dort, wo Pygmalion es berührt, le­bendig wird, taumelt dieser zwischen Skepsis und Freude und befürchtet, dass er sich doch wieder täuscht.[13] Erst der zu spürende Pulsschlag der Frau über­zeugt ihn, dass sie dieses Mal tatsächlich real ist. Für diese beginnt während­dessen Lebens- und Liebesbeginn zur gleichen Zeit[14], denn das erste, was sie erblickt, ist der sie küssende Pygmalion, dem sie durch Venus auch zur Frau versprochen wurde. Ein leichtes Erröten beim Kuss ist die einzige Reaktion ih­rerseits, was darauf schließen lässt, dass sie auch weiterhin über keine nen­nenswerten Eigenschaften verfügt. Dieser Eindruck wird mit der Tatsache ver­stärkt, dass sie bis zum Schluss keinen Namen erhält.

3. Frauenbilder im Sandmann

Bei E.T.A. Hoffmann haben vor allem zwei weibliche Figuren eine bedeutende Rolle inne. Zum einen ist hier Nathanaels Verlobte Clara zu nennen, von der er sich in weiteren Verlauf jedoch abwendet, da er in der Automate Olimpia seine wahre Traumfrau erkennen zu glaubt.

3.1 Clara

Hoffmann arbeitet zuweilen mit sprechenden Namen. Zunächst scheint Clara hierfür ein Paradebeispiel: Aus dem Lateinischen kommend, bedeutet der Na­me hell, deutlich, klar. Und immerhin wird Clara im Verlauf der Geschichte immer wieder bescheinigt, dass sie Dinge generell nüchtern betrachtet und versucht, diese ganz unromantisch im Sinne der Aufklärung zu bewerten. Obwohl sie sich durch ein „tiefes weiblich zartes Gemüth"[15] auszeichnet, ist Clara eher schweigsamer Natur, sodass sich Gesprächspartner in ihrer Gegen­wart genötigt fühlen müssen, dem entgegen zu wirken, indem sie selbst viel reden und sich dadurch profilieren.[16] Clara begegnet diesen hauptsächlich mit non-verbaler Kommunikation, zum Beispiel mit dem ihr so eigentümlichen ,,feine[n] ironische[n] Lächeln"[17] oder einen ,,helle[n] Blick"[18]. Da also zu dem Gesagten vonseiten Claras nur gelegentlicher Widerspruch kommt, neigt der Gesprächspartner dazu, dies als stillschweigendes Einvernehmen zu betrach­ten und so bleiben seine eigenen Vorstellungen, die er von ihr hat, weitgehend unreflektiert und er glaubt, sich in ihr wiedererkennen zu können.

Dies scheint Nathanael zumindest anfänglich auch durchaus an ihr zu schät­zen. Zwar richtet er den Brief, in dem er seine Kindheitsängste und Albträume schildert, nur aus einem Versehen heraus an Clara, schon in dem Wissen, dass er bei ihr auf wenig Mitgefühl für sein darin geschildertes Problem stößt. Den­noch scheint er mit ihrer Antwort zufrieden und beruhigt, da sie, wie es ihrem rationalen Gemüt eigen ist, seine Ängste nur als Hirngespinste abtut und ihm berichtet, dass sie selbst in der Lage war, obwohl von dieser Geschichte durchaus geschockt, problemlos zur Tagesordnung übergehen konnte. Den­noch wird sie für die gleiche Eigenschaft auch als „kalt, gefühllos [und] prosa­isch gescholten"[19]. Dies wird durch das Ende noch verstärkt: Auf Nathanaels Katastrophe folgt unmittelbar die Beschreibung von Claras häuslichem Glück, was den Eindruck vermittelt, dass sie scheinbar recht unbeeindruckt wieder zu ihrem Alltag zurückfand.

[...]


[1] Vgl. Heinrich Dörrie: Pygmalion. Ein Impuls Ovids und seine Wirkung bis in die Ge­genwart. Opladen 1974, S. 11

[2] Vgl. Heinrich Dörrie: Pygmalion. Ein Impuls Ovids und seine Wirkung bis in die Ge­genwart. Opladen 1974, S. 11

[3] Vgl. Publius Ovídius Naso: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Übersetzt und Her­ausgegeben von Herrmann Breitenbach. Stuttgart 2003, V. 245-247
Dieses Werk wird im Folgenden unter der Sigle OM zitiert.

[4] Ebd., V. 243

[5] Vgl. ebd., V. 217 - 242

[6] Ebd., V. 244

[7] OM, V. 249

[8] Vgl. ebd., V. 250f

[9] Ebd., V. 258

[10] Vgl. Heinrich Dörrie: Pygmalion. Ein Impuls Ovids und seine Wirkung bis in die Ge­genwart. Opladen 1974, S. 20

[11] Ebd., S. 12f

[12] OM, V. 276

[13] Ebd., V. 280-288

[14] Vgl. Heinrich Dörrie: Pygmalion. Ein Impuls Ovids und seine Wirkung bis in die Ge­genwart. Opladen 1974, S. 23

[15] Ulrich Hohoff: E. T. A. Hoffmann, Der Sandmann : Textkritik, Edition, Kommen­tar. Berlin / New York 1988. S. 65, Z.7f
Dieses Werk wird im Folgenden unter der Sigle HS zitiert.

[16] Vgl. Lienhard Wawrzyn: Der Automaten-Mensch. E.T.A. Hoffmanns Erzählung vom Sandmann. Mit Bildern aus Alltag und Wahnsinn. Berlin 1976. S. 127

[17] HS, S. 64, Z. 11

[18] Ebd., S. 64, Z. 12

[19] Ebd., S. 66, Z. 5

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Der Mensch als Automat. Die Frauenbilder im Pygmalionmythos und bei E.T.A. Hoffmanns DER SANDMANN
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Einführung in die Neuere Deutsche Literatur
Note
1,7
Jahr
2011
Seiten
12
Katalognummer
V323305
ISBN (eBook)
9783668223974
ISBN (Buch)
9783668223981
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bitte beachten, dass es sich hierbei um eine HA aus dem ersten Semester handelt (siehe 'Veranstaltung')
Schlagworte
Ovid, E.T.A. Hoffmann, Pygmalion, Sandmann, Vergleich, Automat, Mensch als Maschine, Mythos, Antike, Romantik
Arbeit zitieren
Anonym, 2011, Der Mensch als Automat. Die Frauenbilder im Pygmalionmythos und bei E.T.A. Hoffmanns DER SANDMANN, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323305

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