Sprachpurismus - Sprachnationalismus im 19. Jahrhundert


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: sehr gut

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erste Ansätze der Sprachpflege in Deutschland
2.1 Sprachkritik im Zeitalter der Romantik

3. Sprache und „Rasse“

4. „Der Allgemeine Deutsche Sprachverein“
4.1 Der Vorsitzende Herman Riegel

5.1 Abschlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der Soziolinguistik bilden die Wörter „Sprache, Kultur, Nation“ und deren Korrelation gerade in Deutschland seit Jahrzehnten ein Betrachtungsfeld, das zu etlichen sprachphilosophischen Untersuchungen geführt hat. Wie stehen diese Begriffe zueinander?

Bedingen sie sich gegenseitig, im Sinne einer „Klimax“? Zunächst also die Sprache, die eine gemeinsame Kultur bildet, die wiederum eine Nation konstituiert, wie es womöglich in Deutschland der Fall war? Oder überformt und gliedert eine Nation die Kultur nach ihren Maßstäben und Wünschen, die dann wiederum die Sprache beeinflusst, wie dies scheinbar in Frankreich geschah?

Vielleicht werden die Interdependenzen auch überschätzt und man sollte die Begriffe isoliert betrachten, um zu wertneutralen Urteilen zu gelangen. Eine Aufgabe des interdisziplinären Ansatzes? Überspitzt formuliert hieße dies, das Feld der Sprache den Linguisten zu überlassen, die Kultur den Kunstwissenschaftlern und die Entstehung einer Nation den Politologen und Historikern.

Anstatt sich weiterhin hypothetisch dem Thema zu nähern, soll der Zusammenhang anhand eines konkreten Beispiels dargelegt werden. Der Sprachpurismus des „langen“[1] 19. Jahrhundert wird deshalb unter nationalen Gesichtspunkten analysiert.

Deutschland ist sicherlich ein Land, welches in besonderem Maße und über Jahrhunderte hinweg vor dem Problem der Zusammenführung der Begriffe „Sprache – Kultur – Nation“ stand. Deutsche Intellektuelle nahmen dabei maßgeblichen Einfluss auf diese Diskurse innerhalb der „verspäteten Nation“.

Durch einen konzisen chronologischen Überblick möchte ich Tendenzen schlaglichtartig nachzeichnen, die aufzeigen, inwiefern Sprache als Gegenstand politischer Interessen missbraucht und ideologisiert wurde. Dabei werden historische Stationen behandelt, die Entwicklungslinien und Kontinuitäten eines Denkens widerspiegeln, das sich in breiten Bevölkerungsschichten und im kollektiven Gedächtnis manifestierte. Nur vor dem Hintergrund der geschichtlichen Begleitumstände sind auch die Entwicklungstendenzen auf dem Gebiet der Sprachforschung zu verstehen.

Der in letzter Zeit wieder häufig anzutreffenden Tendenz, den Nationalismus vor der Zeit des Nationalsozialismus eklatant zu verharmlosen und in einen positiv besetzten Patriotismus umzuinterpretieren[2], möchte ich entgegenwirken.

In den folgenden Kapiteln wird die Erscheinung und Entstehung des Sprachnationalismus analysiert. Zunächst stelle ich eine Definition des Sprachnationalismus voran: Der Linguist Andreas Gardt sieht in ihm „die pointiert bis aggressiv formulierte Behauptung der Überlegenheit der eigenen Sprache und damit der eigenen kulturell-ethnischen, politischen Gemeinschaft über andere Gemeinschaften.“[3] Des Weiteren werde hervorgehoben, „dass die eigene Gemeinschaft durch fremde Sprachen und deren Kultur in ihrer Identität gefährdet sei, um eine Abwehr und Abwertung des sprachlich Fremden zu legitimieren.“[4]

Besonderen Wert lege ich auf die Darstellung der Arbeit des „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“ und dessen Gründer Herman Riegel, da durch dieses Beispiel exemplarisch erläutert werden kann, aus welchen Motiven und mit welchen Absichten Sprachnationalisten handelten. Schnell wird dabei deutlich, dass es keineswegs nur um sprachpuristische Zielsetzungen ging.

2. Erste Ansätze zur Sprachpflege in Deutschland

In der Geschichte der deutschen Sprachkritik beginnen die frühesten Verdeutschungsversuche mit dem „Teutschen Dictionarius“, dem ersten deutschen Fremdwörterbuch von Simon Roth aus dem Jahr 1571.[5] In der Zeit des Barock machten sich dann sprachpflegerische Tendenzen bemerkbar. Neben der dezidierten Abkehr vom Lateinischen wurden die Franzosen und deren Sprache als Repräsentanten romanischer Kultur und Lebensart vereinzelt mit Spott überzogen und abqualifiziert. Im Jahr 1640 ist von den „flüchtig leichten Sinne der Ausländer die Rede, die in ihrem Sprechen und Handeln ständig die Dinge verdrehen und den aufrichtigen Deutschen mit „Gauckeley“ begegnen.“[6] Deutsche Grammatiken und Wörterbücher wurden entwickelt und es gründeten sich viele Sprachgesellschaften. Puristen, unter ihnen fast immer Dichter, schlugen in diesen Vereinen teilweise befremdlich wirkende Verdeutschungen vor: Anstatt des lateinischen Ausdrucks „Nase“ sollte beispielsweise künftig „Gerichtserker“ verwendet werden und „Kloster“ fortan „Jungfernzwinger“ heißen. Einflussreiche Sprachkritik in Deutschland ist barocken Ursprungs, die allerdings kaum nationalistische Töne anschlägt. Bedenkt man die historische Situation in Deutschland, das unvorstellbare Leid zur Zeit des 30-jährigen Krieges und die darauf folgende langanhaltende Phase der Regeneration, so wird rasch deutlich, dass in der Barockzeit eher ein selbstaufwertender Sprach- und Kulturpatriotismus des Deutschen herrschte, der das Eigene aufwerten sollte, da man dem französischem Nachbarn in nahezu allen Belangen hoffnungslos unterlegen war.

Dem Verfasser geht es an dieser Stelle nicht darum, die wichtige Arbeit aufgeklärter Personen wie Joachim Heinrich Campe oder Carl Gustav Jochmann zu porträtieren. Ihre Arbeit war weniger aus nationalen Beweggründen motiviert, vielmehr lag ihnen daran, Verständlichkeit durch Verdeutschungen der Fremdwörter zu erreichen, um breiteren Schichten den Zugang zu politischen Diskursen - wie dies z.B. in Frankreich der Fall war - zu erleichtern. Campes Sprachreinigung beinhaltete Aufklärung, er versuchte fehlendes Wissen über Sachverhalte auf der Ebene der Sprache zu kompensieren. Indem er die Sprache aufklärte, glaubte er, auch die Menschen aufklären zu können.[7]

2.1 Sprachkritik im Zeitalter der Romantik

Schon bald nach Campe, bereits in den sogenannten Befreiungskriegen wurde Sprachreinigung nicht mehr wegen der Gemeinverständlichkeit betrieben, sondern aus nationalistischen Gründen.

Im Zeitalter der deutschen Romanitik, das sich u.a. durch den Kampf gegen Napoleon, den Wiener Kongress, die Auseinandersetzungen der Burschenschaften im Zuge der Karlsbader Beschlüsse, die beginnende Industrialisierung und die Nationalstaatsidee zunehmend politisierte, intensivierten sich auch die Bestrebungen, die deutsche Sprache aufzuwerten.

Deutschland war militärisch und wirtschaftlich zugrundegerichtet, das Reich zerstört. Die kulturellen Leistungen waren vorerst das einzig einigende Band dieser mehr oder weniger homogenen „Nation“. Durch den Schock der napoleonischen Kriege, dem die deutschen Lande schlichtweg nichts entgegenzusetzen hatten und die 1806 das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation besiegelten, nahmen die Vorstellungen zur Pflege eines Nationalbewusstseins exponentiell zu. Der Ausspruch (1809) Heinrich von Kleists kennzeichnet die damalige Zeitstimmung: „Wer sind Deine Feinde mein Sohn, Napoleon, und solange er ihr Kaiser ist, die Franzosen“.[8] Die deutschen Intellektuellen wollten die als schmachvoll empfundene Realität ideologisch kompensieren, da Deutschland allenfalls nur noch eine ideologische, kulturhistorische Größe war. Erleichternd für diese Bestrebungen wirkte der inflationäre Gebrauch des Wortes „Volk“, das gerade zu dieser Zeit als eine Menge Menschen bestimmt wurde, „welche sich Sprachzeichen bedient, die eine an Gleichheit gränzende Ähnlichkeit haben.“[9]

[...]


[1] Als Orientierung dient also die Zeit von der französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

[2] Bspw. Otto Dann in seinem Bestseller Nationalismus

[3] Gardt, S. 248

[4] Ebd., S. 248

[5] Schiewe, Sprachpurismus, S. 42

[6] Zit. nach Gardt, S. 249

[7] Schiewe, Sprachpurismus, S. 49

[8] Zit. nach Bär, S. 200

[9] So z.B. August Ferdinand Bernhardi, der im Jahr 1801 seine Sprachlehre verfasst hat.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Sprachpurismus - Sprachnationalismus im 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
sehr gut
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V32323
ISBN (eBook)
9783638330718
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachpurismus, Sprachnationalismus, Jahrhundert, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, Sprachpurismus - Sprachnationalismus im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32323

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