Die Bezugsnormorientierung von angehenden Lehrkräften

Der Einfluss des Beurteilungsziels und des Leistungsniveaus der Klasse auf die Bezugsnormorientierung


Masterarbeit, 2014

93 Seiten, Note: 2

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Theoretische Konzepte und Erkenntnisse der Motivationspsychologie
1.1 Formen von Motivation
1.2 Anspruchsniveau, Erwartungs-mal-Wert-Theorie und Risiko-Wahl-Modell
1.3 Attributionstheorie
1.4 Bezugsnormorientierungen und deren Auswirkung auf die Motivation

2. Untersuchung der Bezugsnormorientierungen angehender Lehrkräfte an der Technischen Universität Dortmund
2.1 Beschreibung der Studie von Gerdes und Wilbert (2009)
2.2 Formulierung der Hypothesen und Fragestellungen
2.3 Darstellung des Erhebungsinstruments
2.4 Auswahl der Untersuchungsteilnehmer und Ablauf der Untersuchung
2.5 Darstellung des Versuchsplans

3. Darstellung der Ergebnisse
3.1 Beschreibung der Stichprobe
3.2 Zusammenhang zwischen Beurteilungsziel, Klassenniveau und Bezugs- normorientierung
3.3 Auswirkungen der Praxiserfahrungen auf die Bezugsnorm
3.4 Auswirkungen der Kenntnis des theoretischen Konzepts von Falko Rheinberg (1980) auf die Wahl der Bezugsnorm
3.5 Interpretation der Ergebnisse und Ausblick

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

Vorwort

Der Themenkomplex der Bezugsnormorientierung von Lehrkräften und die Verknüpfung zu den verschiedenen motivationspsychologischen Theorien, die damit zusammenhängen, interessieren mich bereits seit Ende meines Bachelorstudiums. Als ich zum ersten Mal in einer Veranstaltung zur empirischen sonderpädagogischen Forschung vernahm, dass es zum Verfassen einer Masterarbeit möglich ist, eine bereits durchgeführte Untersuchung in einem ähnlichen Zusammenhang zu wiederholen, dachte ich zuerst an die Untersuchung zur Bezugsnormwahl bei der Bewertung schulischer Leistungen durch angehende Lehrkräfte des Förderschwerpunktes Lernen von Wilbert und Gerdes (2009). Es dauerte einige Zeit, bis ich mich dazu entschloss, einem Dozenten vorzuschlagen, diese Untersuchung selbst in einer Masterarbeit durchzuführen, da ich sehr unsicher war, ob meine statistischen und analytischen Kenntnisse ausreichen. Auf der Suche nach Alternativen konnte ich jedoch nichts finden, was mein Interesse gleichermaßen weckte. Hinter dieser Masterarbeit steckt nun fast ein ganzes Jahr Arbeit, und an dieser Stelle muss ich mich bei sehr vielen Personen bedanken. Ein erheblicher Dank gilt meinen Betreuern und Prüfern Herr Prof. Dr. Heinrich Tröster und Herr Dr. Thomas Breucker für die besonders intensive Zusammenarbeit, ohne die ich meine Unsicherheiten nicht hätte bewältigen können. Des Weiteren danke ich Frau Julia Pothmann, Frau Dipl. Soz. Simone Schüller, Herrn Prof. Dr. Franz Wember, Herrn Prof. Dr. Heiner Jansen und nochmals Herrn Dr. Thomas Breucker, dass sie mir die Möglichkeit gaben, innerhalb ihrer Veranstaltungen um Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu werben. Ein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Jürgen Wilbert, der so freundlich war, mir erforderliche Materialien zur Erstellung des Fragebogens zukommen zu lassen. Ohne dieses Entgegenkommen wären weitere Erarbeitungen zum Fragebogen erschwert worden. Zuletzt möchte ich mich aufrichtig für die emotionale und auch inhaltliche Unterstützung bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken, die in der Zeit der Durchführung dieser Untersuchung und der Erstellung meiner Masterarbeit sehr verständnisvoll waren.

Einleitung

Spätestens seit den Untersuchungen von Rheinberg (1980) steht die schulische Leistungsmessung und -bewertung in der Kritik. Es wird u.a. unterstellt, dass „... Leistungen, Leistungsanforderungen und Leistungsmessungen kinderfeindliche, antireformpädagogische, ökonomisch instrumentalisierbare Kontrollmechanismen zur Disziplinierung von Schulen, Lehrern und Schülern.“ (Weinert, 2002, S. 18), seien. Aufgrund des Aufbaus unseres Bildungssystems und der Leistungsgesellschaft kommen wir jedoch nicht um die Messung und Bewertung von Leistungen herum, da „... Leistungsmessungen und die damit verbundenen Möglichkeiten des Leistungsvergleichs … wichtige Bedingungen der Möglichkeit zur rationalen Begründung bildungspolitischer Entscheidungen … und zur reflexiven Vergewisserung des Verhältnisses von Anspruch und Wirklichkeit bei Politikern, Lehrern Eltern und Schülern...“ (Weinert, 2002, S.18), darstellen. Außerdem erfüllt die Leistungsmessung und -bewertung wichtige gesellschaftliche Funktionen, wie die Erfüllung der Chancengleichheit für alle Schülerinnen und Schüler unabhängig vom sozioökonomischen Status, die Schaffung von Auswahlkriterien für die Zuweisung von Bildungsabschlüssen, die Bündelung von Informationen über den Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern für Lehrkräfte und Eltern, die Sozialisation von Schülerinnen und Schülern und die Steuerung des Lernens bei Schülerinnen und Schülern durch Disziplinierungen, infolge von Bewertungen, und die Schaffung von Anreizen zur Motivierung (Topsch, 2008). Die Motivierung zum Lernen durch die Bewertung von Leistungen stellt eine besondere Anforderung an Lehrende dar, denn die Motivation zum Lernen ist einerseits eine Voraussetzung zum erfolgreichen Lernen und andererseits ein pädagogisches Ziel (Wilbert, 2010). Nach Borchert (2000) kann sich eine optimale Leistungsmotivation nur dann entwickeln, „… wenn Kinder sich selbst eine hohe Begabung oder Fähigkeit zuschreiben.“ (S. 705). Die Essenz für eine anhaltende Motivation ist, neben der Anwendung erfolgreicher Strategien zum Lernen (Helmke & Weinert, 1997; Spinath, 2005), dem Setzen realistischer Ziele (Beckmann & Heckhausen, 2010), dem Interesse am Gegenstand und einer innewohnenden Motivation (Borchert, 2000), die Ursachen eines Erfolges bzw. Misserfolges selbstwertdienlich zuzuschreiben (Helmke & Weinert, 1997; Wilbert, 2010).

Im Förderschwerpunkt Lernen ist die Motivation zum Lernen durch Leistungsbeurteilungen eine besondere Herausforderung, da es eine Ursache sein kann, durch welche sich Lernschwierigkeiten, Lernstörungen und Lernbehinderungen herausbilden können (Gerdes & Wilbert, 2009). Aus diesem Grund ist es für die sonderpädagogische Praxis bedeutend zu wissen, welche Form der Leistungsmessung und –bewertung wann eingesetzt werden sollte und welche Folgen sich dadurch ergeben können. Entsprechend müssen angehende Lehrkräfte des Förderschwerpunktes Lernen bereits im Studium auf diese besondere Herausforderung vorbereitet werden. Angelehnt an eine Untersuchung von Gerdes und Wilbert (2009) an der Universität Köln wird in dieser Arbeit durch eine Erhebung an der Technischen Universität Dortmund untersucht, welche Bezugssysteme angehende Lehrkräfte der Sonderpädagogik bei der Bewertung von Leistungen heranziehen. Die übergeordnete Fragestellung dieser Arbeit ist, ob die Studierenden der Technischen Universität Dortmund im Studium ausreichende Kenntnisse erlangen, die dazu führen, dass ihnen der Zusammenhang zwischen der Bewertung von Leistungen und Motivationsförderung bekannt ist.

Zur sprachlichen Gleichbehandlung wird in dieser Arbeit auf Paarformulierungen und auf geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zurückgegriffen oder auf Personenbezeichnungen verzichtet. Das generische Femininum bzw. Maskulinum wird dann verwendet, wenn die entsprechende geschlechtliche Personenbezeichnung relevant ist. In den Fällen, in denen es für die Lesbarkeit erforderlich ist oder die geschlechtsbezogene Personenbezeichnung irrelevant ist (z.B. bei der Formulierung von Beispielen), wird das generische Maskulinum verwendet.

1. Theoretische Konzepte und Erkenntnisse der Motivationspsychologie

Um beantworten zu können, ob angehenden Lehrkräften der Zusammenhang zwischen der Bewertung von Leistungen und Motivationsförderung durch ihr Studium bekannt ist, muss dieser Zusammenhang entsprechend dargestellt und erläutert werden. Hierzu müssen grundlegende Theorien und Erkenntnisse der Motivationspsychologie herangezogen werden. Diese werden im folgenden Teil dieser Arbeit vorgestellt und erläutert.

1.1 Formen von Motivation

Motivation ist ein theoretisches Konstrukt, das uns dazu verhilft, bestimmte Handlungszusammenhänge zu erklären. Es geht darum zu verstehen, warum Menschen bestimmte Dinge tun bzw. warum sie bestimmte Dinge nicht tun. Der Motivation zu einer bestimmten Handlung liegt demnach ein Motiv, also ein Ziel, ein Grund oder ein bestimmter Antrieb, zugrunde. „Unter Motiven versteht man zeitlich relativ überdauernde [Hervorhebung v. Verf.] Dispositionen von Personen. Man nimmt an, daß Motive … gelernt sind, … wobei besonders die frühe Kindheit als wichtiger Lebensabschnitt für die Motiventwicklung angesehen wird.“ (Weiner, 1975, S. 14). Das bedeutet, dass abhängig von den erlernten Motiven, die gleichen Situationen bei unterschiedlichen Personen verschiedene Motivationen zur Folge haben können. Zudem sind Motive negativ oder positiv behaftet, wodurch sich entweder eine vermeidende oder eine verfolgende Motivation mit den entsprechenden Handlungsentwürfen formt. Motivation ist demnach die Folge der Interaktion von Motiven und Zielen der Person und situativen Anreizen (Heckhausen & Heckhausen, 2010a; Vollmeyer, 2005; Wilbert, 2010).

Die wohl bekannteste Unterscheidung ist die Einteilung in extrinsische und intrinsische Motivation:

- intrinsische Motivation: „Der Wunsch etwas zu tun, weil es uns Spaß macht oder weil wir es interessant finden, nicht aus Gründen des äußeren Drucks oder der Belohnung.“ (Akert, Aronson & Wilson, 2004, S. 165).
- extrinsische Motivation: „Der Wunsch, etwas zu tun, weil ein äußerer Druck besteht oder eine Belohnung winkt und nicht weil es uns Spaß macht oder weil wir es interessant finden.“ (Akert et al., 2004, S. 166).

Entsprechend ist es für das Lernen von großem Vorteil, dass eine intrinsische Motivation zugrunde liegt. Bei der Einschulung ist diese intrinsische Motivation bei den meisten Schülerinnen und Schülern vorhanden. Mit der Zeit, häufig mit der Einführung von Zensuren, ebbt diese intrinsische Motivation jedoch ab und verändert sich zu einer extrinsischen Motivation (Wild & Schwinger, 2006). Das Zustandekommen der extrinsischen Motivation zum Lernen bei Grundschülern wurde bereits durch mehrere Studien untersucht. Eine der wohl bekanntesten Untersuchungen zu diesem Zusammenhang ist die von Greene, Lepper und Nisbett (1999). Sie analysierten in einer experimentellen Untersuchung die Entwicklung der Motivation von Grundschulkindern unter drei unterschiedlichen Bedingungen. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Kinder gerne malen. Die Kinder in der ersten Gruppe erfuhren direkt zu Anfang der Untersuchung, dass sie, wenn sie sich beteiligen, am Ende eine Belohnung erhalten. Die Kinder in der zweiten Gruppe erhielten diese Information nicht, bekamen aber die gleiche Belohnung wie die Kinder der ersten Gruppe. Die Kinder in der dritten Gruppe erhielten keine Belohnung und entsprechend auch keine Informationen hierzu. Zwei Wochen später wurde die Untersuchung wiederholt. Es stellte sich heraus, dass sich die Kinder in der zweiten und dritten Gruppe immer noch rege beteiligen. Die Kinder der ersten Gruppe hingegen verbrachten weniger Zeit mit dem Malen und gingen zum Teil anderen Tätigkeiten nach. Durch das Setzen eines extrinsischen Anreizes wird die intrinsische Motivation untergraben. Dieses Phänomen nennt man Überrechtfertigungseffekt: „Bei der Ursachenzuschreibung für eigenes Verhalten werden extrinsische Gründe (z.B. Belohnungen) überbewertet und intrinsische Gründe unterschätzt.“ (Akert et al., 2004, S. 166). Der Überrechtfertigungseffekt ist also eine Ursache dafür, dass die intrinsische Motivation von Schülerinnen und Schülern mit der Zeit abnimmt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass gänzlich auf extrinsische Anreize im Schulalltag verzichtet werden sollte. Die Aufgabe, die Lehrkräften zuteilwird ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihr Handeln trotz extrinsischer Anreize als selbstbestimmt wahrnehmen. Laut Meyer (1984) begreifen Schülerinnen und Schüler ihr Handeln durch extrinsische Anreize nicht als selbstbestimmt, sondern als kontrolliert. Allerdings kann dieser kontrollierende Aspekt von äußeren Anreizen auch informelle Funktionen haben, indem durch entsprechende Rückmeldungen ein Schüler in seiner Leistungs- und Fähigkeitsentwicklung bekräftigt wird. Entsprechend können, je nach Wahrnehmung, extrinsische Anreize die intrinsische Motivation bestärken. Die Wahrnehmung extrinsischer Anreize hängt von ihrer Form ab. Materielle Belohnung bzw. Bestrafungen werden eher als kontrollierend wahrgenommen, informierende Rückmeldungen, wie Lob oder Tadel, wirken eher bekräftigend bzw. entkräftend (Meyer, 1984). Nun sind Zensuren keine materiellen Belohnungen, wie z.B. Süßigkeiten. Es könnte aber sein, dass Zensuren wegen ihres abstrakten Charakters eher den materiellen Belohnungen zugeordnet werden. An dieser Stelle ist festzumachen, dass es nicht ausreicht, Schülerinnen und Schülern eine Zensur zu nennen und davon auszugehen, dass sie selbst einschätzen können, was diese bedeutet. Zusätzlich ist es erforderlich, mit entsprechenden Rückmeldungen die intrinsische Motivation zu bekräftigen.

Neben der Orientierung an intrinsischen und extrinsischen Anreizen ist es auch möglich, sich beim Lernen an bestimmten Zielen zu orientieren. Hierbei wird von Lern- und Leistungsmotivation gesprochen, die entsprechend mit der Lern- und Leistungszielorientierung einhergehen:

- Lernmotivation und -orientierung: Die Motivation zum Lernen nährt sich aus der Tatsache, dass sich die Person von der Ausführung der Lernaktivität verspricht, einen Lernzuwachs zu erhalten. „Ziel ist hier ein Kompetenz- und Lernzuwachs in Lernsituationen.“ (Borchert, 2000, S. 704). Bei der Lernzielorientierung (auch Aufgabenorientierung genannt) sind Schülerinnen und Schüler vornehmlich mit dem Erwerb neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten beschäftigt, und bemüht, ständig die eigenen Kompetenzen zu steigern. Ihr Leistungsverhalten ist üblicherweise intrinsisch motiviert (Köller, 2005).
- Leistungsmotivation und -orientierung: Die Motivation, eine bestimmte Leistung zu erbringen, nährt sich aus dem Auseinandersetzen mit einem bestimmten Tüchtigkeitsmaßstab. „Der Zusammenhang zwischen eigenem Bemühen und der Freude über den Leistungserfolg wird hergestellt…“ (Borchert, 2000, S. 704). Bei der Leistungszielorientierung (auch Ichorientierung genannt) sind Schülerinnen und Schüler vornehmlich mit Leistungssituationen und sozialen Vergleichen beschäftigt und bemüht, ständig eigene Stärken zu zeigen bzw. eigene Schwächen zu verschleiern. Ihr Leistungsverhalten ist üblicherweise extrinsisch motiviert (Köller, 2005).

Bei der Frage, danach ob die Lern- oder die Leistungsmotivation förderlicher für das schulische Lernen ist, gibt die Literatur keine eindeutigen Auskünfte. Lern- und Leistungszielorientierung müssen sich nach Spinath (2006) nicht gegenseitig ausschließen, und es wird vermutet, dass sich eine multiple Passung zwischen beiden Orientierungen positiv auf das Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern auswirken kann (Heckhausen & Heckhausen, 2010b). Wild und Schwinger (2006) konnten in einer Studie zur Zielorientierung im Fach Mathematik von der 3. bis zur 5. Jahrgangsstufe (n=208) jedoch keine Teilgruppe identifizieren, die multiple Zielorientierungen haben.

Maßgebend für die weiteren Ausführungen ist, dass Schülerinnen und Schüler, die lernzielorientiert sind, ihre Motivation zum Lernen aus der Steigerung der eigenen Fähigkeiten speisen, während Schülerinnen und Schüler, die leistungszielorientiert sind, sich an einem Tüchtigkeitsmaßstab orientieren und bemüht sind, eigene Stärken zu zeigen und Schwächen zu verschleiern. Wichtig ist nun zu wissen, wie sich dieser Tüchtigkeitsmaßstab zusammensetzt, und welche Auswirkungen dieser auf die Motivation hat.

1.2 Anspruchsniveau, Erwartungs-mal-Wert-Theorie und Risiko-Wahl-Modell

Der Tüchtigkeitsmaßstab, der ein individuell definierter Gütemaßstab dafür ist, etwas besser, genauso gut oder schlechter zu machen als zuvor, definiert sich aus dem Setzen eines Anspruchsniveaus (Beckmann & Heckhausen, 2010; Mayer, 2005).

- Anspruchsniveau: „Anspruchsniveau bezeichnet den für ein Individuum charakteristischen Gütegrad, bezogen auf die erreichte Leistungsfähigkeit, der für die Selbstbewertung eines einzelnen Handlungsresultats entscheidend ist.“ (Beckmann & Heckhausen, 2010, S. 130)

Das Anspruchsniveau wird entsprechend vor der eigentlichen Handlung gesetzt und bezieht sich auf erbrachte Leistungen in der Vergangenheit. Wird dieses Anspruchsniveau bei der neuen Leistung erreicht oder sogar übertroffen, so erfährt die Person einen Erfolg. Wird das Anspruchsniveau bei der neuen Leistung nicht erreicht, so erfährt die Person einen Misserfolg (Beckmann & Heckhausen, 2010). Auf Abbildung 1 ist die Ereignisabfolge der Anspruchsniveausetzung dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Ereignisabfolge der Anspruchsniveausetzung (Lewin et al., 1944, S. 334; Beckmann & Heckhausen, 2010, S. 130)

Zuerst bezieht sich eine Person auf das Ergebnis der letzten Leistung. Hierbei wird definiert, ob die letzte Leistung erfolgreich war oder nicht. War die letzte Leistung erfolgreich, so wird das Anspruchsniveau für die neue Leistung heraufgesetzt, da ein weiterer Erfolg erwartet werden kann. War die letzte Leistung hingegen nicht erfolgreich, so wird das Anspruchsniveau herabgesetzt, um einen weiteren Misserfolg zu vermeiden. Aus der Differenz der Anspruchsniveausetzung und der neuen Leistung wird die Zielerreichungsdiskrepanz definiert. Abhängig von der Größe dieser Differenz ist das Ausmaß des Erfolgs- oder Misserfolgsgefühls. Anschließend folgt eine Reaktion auf die neue Leistung, die mit einer Bewertung einhergeht und entsprechende Folgen haben kann. „Das Gelingen sehr leichter und das Misslingen sehr schwerer Aufgaben hat keine Folgen für die Selbstbewertung.“ (Beckmann & Heckhausen, 2010, S. 130).

Nach einem Erfolg ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person bei ähnlichen Aufgaben das Anspruchsniveau höher setzt, hoch. Dies ist besonders bei deutlichen Leistungssteigerungen der Fall. Bei einem Misserfolg ist die folgende Anspruchsniveausetzung jedoch nicht diametral entgegen eines Erfolges. Das Anspruchsniveau wird bei einem vergangenen Misserfolg nicht zwingend herabgesetzt, sondern kann gleich bleiben. Die Ursache dieses Phänomens liegt im Leistungsmotiv, nach dem wir bestrebt sind, „... die eigene Tüchtigkeit in all jenen Tätigkeiten zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält, und deren Ausführung deshalb gelingen oder misslingen kann…“ (Heckhausen, 1965, S. 604; Beckmann & Heckhausen, 2010, S. 130).

Das Modell erklärt zwar im Allgemeinen, wie Personen auf Aufgaben reagieren und welche Ziele sie sich setzen, es erklärt jedoch nicht, warum es im individuellen Fall zu Anspruchsverschiebungen kommt. Ein weiteres Modell, das sich Erwartungs-mal-Wert-Theorie nennt und ursprünglich von John William Atkinson entwickelt wurde, gibt hier Aufschluss. Nach diesem Modell ergibt sich die Entwicklung einer bestimmten Motivation „... aus dem Verhältnis zweier Parameter:

(1) Die erwartete Wahrscheinlichkeit [Hervorhebung v. Verf.] (W), dass ein bestimmtes Verhalten zu einem bestimmten Effekt führt, und (2) der Wert [Hervorhebung v. Verf.] (oder Anreiz A), der diesem Effekt beigemessen wird.“ (Wilbert, 2010, S. 33).

Aus diesen beiden Parametern bildet sich die motivationale Tendenz (T) und kann als Gleichung ausgedrückt werden: T = A × W. Folglich würde eine Person nur dann potenzielles Verhalten zeigen, wenn der Wert oder die erwartete Wahrscheinlichkeit nicht gleich null sind. Beide Parameter müssen einen Wert besitzen, damit überhaupt eine motivationale Tendenz entstehen kann. Entsprechend würde eine Person niemals ein bestimmtes Verhalten zeigen, wenn der erwartete Effekt keinen Wert hat, egal wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Effekt erzielt wird. Umgekehrt wird eine Person niemals ein bestimmtes Verhalten zeigen, wenn der erwartete Effekt unwahrscheinlich ist, egal wie hoch der Wert ist, den man ihn beimisst (Wilbert, 2010).

Diese Theorie ist unvollständig. Eine Mutter würde ihr Kind z.B. immer bei einer Katastrophe retten wollen, egal wie niedrig die Wahrscheinlichkeit ist, dass ihr die Rettung gelingt. Aber auch bezogen auf alltägliche Situationen, wie z.B. wenn Schülerinnen oder Schüler eine Aufgabe lösen, zu der sie die erforderlichen Kenntnisse besitzen, der sie aber keinen persönlichen Wert beimessen, ist dieses Modell unvollständig. Atkinson hat sein Modell entsprechend um eine Komponente erweitert, und zwar um die Motive einer Person. Demnach hat jede Person bei einer Leistungssituation ein Erfolgsmotiv (Me) und ein Misserfolgsmotiv (Mm). Außerdem wird in diesem Modell bei der motivationalen Tendenz zwischen dem Ausmaß der Erfolgstendenz (Te) und dem Ausmaß der Misserfolgstendenz (Tm) unterschieden. Die Erfolgstendenz ergibt sich aus „Dem Erfolgsmotiv, der erwarteten Wahrscheinlichkeit auf Erfolg (We) und dem Anreiz des Erfolgs (Ae).“ (Wilbert, 2010, S. 33): Te = Me × We × Ae. Das Erfolgsmotiv drückt sich dabei darin aus, wie sehr eine Person ein Gefühl des Stolzes verfolgt. Die Misserfolgstendenz ergibt sich entsprechend „... aus dem Misserfolgsmotiv, der erwarteten Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges (Wm) und dem Anreiz oder besser der Aversion des Misserfolgs (Am).“ (Wilber, 2010, S. 33 f.): Tm = Mm × Wm × Am. Das Misserfolgsmotiv drückt sich dabei darin aus, wie sehr eine Person bestrebt ist, ein Gefühl der Scham zu vermeiden. Ob eine Person entsprechend handelt, hängt davon ab, ob die Erfolgstendenz oder die Misserfolgstendenz überwiegt. „Beide motivationalen Tendenzen wirken also subtraktiv aufeinander. Die resultierende motivationale Tendenz (Tr) ergibt sich demnach aus: Tr = Te – Tm.“ (Wilbert, 2010, S. 34). Für den schulischen Kontext bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit eine Aufgabe erfolgreich zu bearbeiten, bei sehr leichten Aufgaben sehr hoch ist und bei sehr schweren Aufgaben sehr niedrig ist. Der Wert eine Aufgabe erfolgreich zu bearbeiten steigt mit der Aufgabenschwierigkeit und ist bei sehr leichten Aufgaben sehr niedrig. Daher werden sehr schwierige Aufgaben für gewöhnlich vermieden, da die Erfolgswahrscheinlichkeit sehr niedrig ist und zu leichte Aufgaben werden für gewöhnlich ebenfalls gemieden, da der erfolgreichen Bearbeitung kein Wert beigemessen werden kann. Entsprechend müssten immer mittelschwere Aufgaben gewählt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. An dieser Stelle kommt der Anreiz des Erfolgs- bzw. Misserfolgsmotivs zum Tragen. Ist der Anreiz des Erfolgsmotivs, also dem Streben nach einem Gefühl des Stolzes, sehr hoch, so werden mittelschwere Aufgaben gewählt. Ist jedoch der Anreiz des Misserfolgsmotives, also dem Vermeiden eines Gefühls von Scham, sehr hoch, so werden entweder sehr schwierige Aufgaben oder sehr leichte Aufgaben gewählt. Abbildung 2 verdeutlicht diesen Zusammenhang.

Abbildung 2. Stärke der Verhaltenstendenz zur Bearbeitung einer Aufgabe in Abhängigkeit der Aufgabenschwierigkeit und des Erfolgs- und Misserfolgsmotives, erklärt mit dem Risiko-Wahl-Modell (Atkinson, 1957; Wilbert, 2010, S. 35)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Grund für die Wahl von sehr schweren oder sehr leichten Aufgaben liegt u.a. darin, ob eine Person erfolgszuversichtlich oder misserfolgsängstlich ist, was entsprechend Auswirkungen auf das Erfolgs- bzw. Misserfolgsmotiv hat. Darüber, wie eine Person erfolgszuversichtlich bzw. misserfolgsängstlich werden kann, gibt die Attributionstheorie Aufschluss.

1.3 Attributionstheorie

In Kapitel 1.2 wurde deutlich, dass durch die Setzung eines Anspruchsniveaus ein Tüchtigkeitsmaßstab festgelegt wird, an dem sich die Motivation zu Leistungen orientiert. Um ein Anspruchsniveau setzen zu können, benötigen Schülerinnen und Schüler Informationen darüber, ob bisherige Leistungen als Erfolg oder als Misserfolg zu deuten sind. Es stellt sich die Frage, woher Schülerinnen und Schüler diese Information genau beziehen. Außerdem wurde auf das Phänomen der motivationalen Tendenz, ob ein Mensch eher misserfolgsängstlich oder erfolgszuversichtlich ist, verwiesen ohne es jedoch genauer zu erklären. Erläuterungen hierzu verschafft die Attributionstheorie, die 1986/1986 von Bernhard Weiner entwickelt wurde.

Weiner hat Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Klassenstufen zu Gründen vorausgegangener Leistungen befragt.

Eine gute Zensur – und somit ein Erfolg – erklärten sie mit ihrer intensiven Vorbereitung. Sie verwiesen weiterhin auf ihr Können, auf Hilfe von anderen, oder sie vermuteten einfach nur, einen guten Tag gehabt zu haben. Mißerfolge führten sie u.a, auf ihr Nicht-Können zurück, sie nannten Kopfschmerzen, Störungen durch den Nachbarn oder erklärten, sie hätten eben Pech gehabt (Mietzel, 1998, S. 336).

Aufgrund dieser Befragungen wurden Ursachen und kausale Dimensionen erarbeitet, durch die ein Schema entwickelt werden konnte, das die Ursachenzuschreibung von Erfolgen und Misserfolgen klassifiziert (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1 Klassifikation der Ursachen Fähigkeit, Anstrengung und Zufall nach den Dimensionen der Lokalität, Stabilität und Kontrollierbarkeit (Mietzel, 1998, S. 336)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Lokalität beschreibt, ob die Ursache internal, also in der Person, oder external, also außerhalb der Person, liegt. Die Stabilität definiert, ob die Ursache stabil, also unveränderbar, oder variabel, also veränderbar, ist. Die Kontrollierbarkeit beschreibt entsprechend, ob die Ursache unkontrollierbar, also über Handlungen der Person nicht steuerbar, oder kontrollierbar, also über Handlungen der Person steuerbar, ist. Missverständlich an diesem Konstrukt ist die Tatsache, dass die Fähigkeit als stabil angesehen wird. Fähigkeiten können jedoch mit der Zeit erlernt und somit verändert werden. Hierbei ist zu beachten, dass Kinder befragt wurden, die die eigene Fähigkeit als eine Art Begabung definieren. Außerdem ist die Steigerung der eigenen Fähigkeiten bzw. das Erlernen neuer Fähigkeiten nicht in kurzen Zeitabschnitten zu erreichen, sondern erfordert langfristige Perioden des Lernens und Übens (Mietzel, 1998). Es ist ersichtlich, dass eine Attribution auf die Anstrengung am vorteilhaftesten ist, denn sie ist durch Handlungen der Person veränderbar. Für gewöhnlich werden Personen, die die Ursache für einen Erfolg oder einen Misserfolg suchen, eine selbstwertdienliche Attribution vornehmen. Folglich würden Erfolge in den meisten Fällen auf die eigene Anstrengung zurückgeführt werden, da somit der Selbstwert gesteigert werden kann. Misserfolge würden folglich zumeist dem Zufall (z.B. Pech) zugeschrieben werden, da dieser unkontrollierbar ist und somit für den eigenen Selbstwert nicht als bedrohlich wahrgenommen wird. Die Attribution eines Misserfolgs auf die eigene Anstrengung ist zwar für den Selbstwert bedrohlich, da sie aber kontrollierbar ist, kann damit entsprechend umgegangen werden, indem man z.B. versucht herauszufinden, welche Fehler man bei der Vorbereitung gemacht hat, um diese beim nächsten Mal zu vermeiden. Mit wiederholten Erfolgen und Misserfolgen können bestimmte Attributionsstile entstehen. Personen die grundsätzlich selbstwertdienlich, also Erfolge auf die eigene Anstrengung und Misserfolge auf den Zufall oder die Anstrengung attribuieren, gelten als erfolgszuversichtlich (Mietzel, 1998) oder im schulischen Kontext als niedrigängstlich (Müller, 1998). Es gibt jedoch auch den Fall, dass Personen einen Misserfolg auf die eigenen Fähigkeiten zurückführen und Erfolge sogar dem Zufall zuschreiben. Diese Tendenz wird als misserfolgsängstlich (Mietzel, 1998) oder im schulischen Kontext als leistungsängstlich (Müller, 1998) beschrieben. Nach Heckhausen und Heckhausen (2010) unterscheiden sich diese Attributionsstile hinsichtlich des Begabungskonzeptes der Personen. Das Begabungskonzept von erfolgszuversichtlichen Personen ist eher hoch, das Begabungskonzept von misserfolgsängstlichen Personen ist dagegen eher niedrig.

An dieser Stelle wird ein kurzer Exkurs zu den Begriffen Selbstkonzept und Begabungs- oder auch Fähigkeitsselbstkonzept eingefügt, da diese Begriffe in den folgenden Ausführungen mehrfach erwähnt werden. Nach Dickhäuser (2006) wird das allgemeine Selbstkonzept, das hierarchisch betrachtet an der Spitze steht, in zwei Komponenten unterteilt, und zwar in das akademische und das nicht-akademische Selbstkonzept. Das nicht-akademische Selbstkonzept betrifft hierbei alle sozialen, emotionalen und physischen Komponenten, die sich nicht auf akademisch erlernte Fähigkeiten oder Inhalte beziehen. Im Folgenden wird immer auf das akademische Selbstkonzept, das auch Fähigkeitsselbstkonzept oder Begabungskonzept genannt wird, eingegangen. Das Fähigkeitsselbstkonzept besteht aus fach- oder domänenspezifischen Komponenten, wie z.B. dem mathematischen Fähigkeitsselbstkonzept. In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass vorangegangene Leistungen das Fähigkeitsselbstkonzept beeinflussen, und dass das Fähigkeitsselbstkonzept wiederum folgendes Erleben und Verhalten von Personen beeinflusst. Entsprechend dienen erbrachte Leistungen als Referenzrahmen zur Beurteilung von bestimmten Fähigkeiten, womit zukünftig beurteilt werden kann, ob bestimmte Leistungen erbracht werden können oder nicht. An dieser Stelle werden die Parallelen zur Theorie der Anspruchsniveausetzung und der Attributionstheorie deutlich. In Bezug auf die Attributionsstile ist nun auch zu erkennen, warum erfolgszuversichtliche Personen eher ein hohes Fähigkeitsselbstkonzept und misserfolgsängstliche Personen eher ein niedriges Fähigkeitsselbstkonzept haben.

Allerdings bedeutet dieser Zusammenhang nicht, dass Personen, die misserfolgsängstlich sind, nicht selbstwertdienlich attribuieren können. Während Personen, die erfolgszuversichtlich sind, versuchen, ihre eigene Tüchtigkeit zu steigern (Erfolgsmotiv: Verfolgung eines Gefühls des Stolzes), versuchen misserfolgsängstliche Personen Selbstwertbelastungen zu vermeiden (Misserfolgsmotiv: Vermeiden eines Gefühls der Scham) (Schüler, 2009). Entsprechend der Theorie der Anspruchsniveausetzung suchen sich erfolgszuversichtliche Menschen Herausforderungen, die mit etwas Anstrengung zu bewältigen sind. Misserfolgsängstliche Menschen umgehen hingegen mittelschwere Aufgaben, da hierbei ein Misserfolg Auswirkungen auf das Selbstkonzept hätte. Da sie Angst haben, sie könnten Scham bei einem Misserfolg empfinden, wählen sie sehr schwere oder sehr leichte Aufgaben. Sehr leichte Aufgaben können erfolgreich bewältigt werden. Die erfolgreiche Bearbeitung einer leichten Aufgabe hat jedoch keine positiven Auswirkungen auf das Selbstkonzept, da es keiner Anstrengung bedarf sie zu bewältigen. Bei sehr schweren Aufgaben hat der Misserfolg keine Auswirkungen auf das Selbstkonzept, da bei einem Misserfolg auf die Schwierigkeit der Aufgabe attribuiert werden kann. Das Erfolgserleben kann hierbei sehr hoch sein. Misserfolgsängstliche Personen neigen jedoch dazu Erfolge bei sehr schweren Aufgaben auf Glück zu attribuieren. Es kann festgehalten werden, dass misserfolgsängstliche Personen jede Art von Attributionen vornehmen, die keine direkten Auswirkungen auf das Selbstkonzept haben.

Wie sich bestimmte Attributionsstile entwickeln, die Auswirkungen auf die motivationale Tendenz haben können, was wiederum Auswirkungen auf die Aufgabenwahl hat, ist nun hinreichend geklärt. Es ist auch, durch die Theorie des Anspruchsniveaus, annähernd geklärt, wie Schülerinnen und Schüler Erfolge und Misserfolge erleben können. Jedoch ist die Anspruchsniveausetzung eine Theorie, die von der Wahrnehmung des Subjektes ausgeht und soziale Faktoren nicht hinreichend einbezieht, die im Kontext Schule relevant sind.

1.4 Bezugsnormorientierungen und deren Auswirkung auf die Motivation

An dieser Stelle wird der Zusammenhang zwischen der Bewertung von Leistungen und der Motivationsförderung hergestellt. Heckhausen (1974) verstand unter der Bezugsnorm einen Gütemaßstab „... innerhalb dessen ein Sachverhalt erst seinen Stellenwert, seine Bedeutung erhält...“ (S. 48). Schon damals stellte er fest, dass unterschiedliche Bezugssysteme für unterschiedliche Absichten gebräuchlich sein können, und unterschied drei Bezugsnormen, die von einer Person bei der Bewertung der eigenen Leistung, herangezogen werden können:

- Soziale Bezugsnorm: „Die Leistung von jemand wird mit der Leistungsverteilung in einer Bezugsgruppe verglichen.“ (Heckhausen, 1974, S. 49). Im schulischen Kontext bedeutet das, dass z.B. die Leistung eines einzelnen Schülers, mit den Leistungen der gesamten Klasse verglichen wird. Ob eine Leistung gut oder schlecht ist, bemisst sich also daran, inwieweit der Schüler über oder unter dem Leistungsdurchschnitt der gesamten Klasse liegt (Topsch, 2008, S. 140).
- Individuelle Bezugsnorm: „Die Leistung von jemand wird mit dessen früheren Leistungen verglichen. Die Perspektive ist der zeitliche Längsschnitt der individuellen Entwicklung, der Lern- und Leistungsgeschichte.“ (Heckhausen, 1974, S. 49). Im schulischen Kontext bedeutet das, dass z.B. frühere Leistungen in einem bestimmten Unterrichtsfach von einem bestimmten Schüler mit der aktuellen Leistung im gleichen Unterrichtsfach verglichen werden. Eine Leistung wird als gut beurteilt, wenn der Schüler sich im Vergleich zu vergangenen Leistungen verbessert hat. Als schlecht wird eine Leistung beurteilt, wenn ein Schüler sich im Vergleich zu vergangenen Leistungen verschlechtert hat oder sich nicht weiterentwickelt (stagniert) hat (Topsch, 2008, S. 143).
- Sachliche Bezugsnorm: „Die Leistung bemißt sich danach, wieweit sie Anforderungen genügt, die „in der Natur der Sache“ [Hervorhebung v. Verf.] liegen. Ein Effekt kann erzielt werden oder nicht, … eine Lösung ist eindeutig richtig oder falsch.“ (Heckhausen, 1974, S. 51). Im Zusammenhang mit Schule und Unterricht ist hier z.B. das Erreichen oder nicht erreichen von Lernzielen der Richtlinien gemeint. Hierbei können auch Bereiche definiert werden, in denen beschrieben ist, in welchem Maße sich ein Schüler festgelegten Zielen angenähert hat (Topsch, 2008, S. 141).

„Wird eine bestimmte Bezugsnorm von einer Lehrkraft bei der Bewertung der Leistungen der Schüler systematisch angewandt, so kann man von der Bezugsnormorientierung [Hervorhebung v. Verf.] der Lehrkraft sprechen.“ (Wilbert, 2010, S. 78). Abbildung 3 zeigt, wie sich die drei Bezugsnormen bei einem Vergleich von zwei Schülern verhalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3. Leistungsentwicklung und Leistungsrang zweier Schüler und die Maße für drei Bezugsnormen (Wilbert, 2010, S. 82)

Durch die Forschungen von Falko Rheinberg (1980) erhielten die Überlegungen von Heckhausen (1974) Eingang in die Schul- und Unterrichtsforschung, und er bezog die drei Bezugsnormen auf die Leistungsbeurteilungen von Schülerinnen und Schülern durch Lehrkräfte. Zur Erhebung der Bezugsnormorientierung von Lehrkräften entwickelte Rheinberg (1980) die Kleine Beurteilungsaufgabe. Die Kleine Beurteilungsaufgabe bestand darin, dass eine fiktive Schulklasse mit insgesamt neun Schülerinnen und Schülern tabellarisch dargestellt wurde. Zu jeder Schülerin bzw. jedem Schüler wurden je drei Testergebnisse in chronologischer Reihenfolge angegeben. Rheinberg beschrieb in der Instruktion, dass jeden Monat der Unterrichtsstoff des letzten Monats abgefragt wird, und dass in den Tests maximal 100 Punkte erreicht werden können und der Klassendurchschnitt ca. bei 50 Punkten liegt. Die Versuchspersonen, bei denen es sich meist um ausgebildete Lehrkräfte handelte, sollten bei der tabellarischen Darstellung das letzte Testergebnis einer jeden Schülerin bzw. eines jeden Schülers beurteilen. Gute Ergebnisse konnten mit bis zu fünf Pluszeichen, schlechte Ergebnisse konnten mit bis zu fünf Minuszeichen bewertet werden. Hierbei sollten entweder nur Minuszeichen oder nur Pluszeichen eingesetzt werden. Die Versuchspersonen sollten zudem das Fach eintragen, auf das sie sich bei ihrer Bewertung beziehen (Rheinberg, 1980). Unter den neun dargestellten Leistungen handelte es sich um drei überdurchschnittliche (75 Punkte), drei durchschnittliche (50 Punkte) und drei unterdurchschnittliche Leistungen (25 Punkte). Entsprechend müssen bei einer sozialen Bezugsnormorientierung die Schülerinnen und Schüler am besten bewertet werden, die eine überdurchschnittliche Leistung im letzten Test zeigen. Auf jedem Leistungsniveau (überdurchschnittlich, durchschnittlich und unterdurchschnittlich) gab es jeweils eine Leistungsentwicklung, die in ihrer Gesamtentwicklung abfällt (z.B. erster Test 85 Punkte, zweiter Test 80 Punkte und dritter Test 75 Punkte), eine gleichbleibende Leistungsentwicklung (z.B. 75, 75, 75) und eine ansteigende Leistungsentwicklung (65, 70, 75). Entsprechend müssen bei einer individuellen Bezugsnormorientierung die Schülerinnen und Schüler am besten beurteilt werden, die eine ansteigende Leistungsentwicklung zeigen (Rheinberg, 1980). Rheinberg (1980) stellte fest, dass sich Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Wahl der Bezugsnorm unterscheiden können und dass dies Auswirkungen auf die Ursachenzuschreibung von Leistungen hat und die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern beeinflussen kann. Er stellte zudem fest, dass Lehrkräfte, die eher eine soziale Bezugsnormorientierung bevorzugen, in verschiedenen Situationen ihre Bezugsnorm beibehielten, wohingegen Lehrkräfte, mit einer individuellen Bezugsnormorientierung, ihre Beurteilungspraxis anpassen. Außerdem fand er heraus, dass ein Zusammenhang zwischen der individuellen Bezugsnormorientierung und der Motivationsfunktion, und entsprechend ein Zusammenhang zwischen sozialer Bezugsnormorientierung und Selektionsfunktion besteht. Zur sachlichen Bezugsnormorientierung macht Rheinberg (1980) keine ausführlichen Angaben.

Inwiefern die Wahl der Bezugsnorm nun Einfluss auf die Motivation von Schülerinnen und Schülern hat, zeigt u.a der Rückgriff auf die Attributionstheorie. Bei einer sozialen Bezugsnorm führen Lehrkräfte die Leistungen von Schülerinnen und Schülern eher auf deren Fähigkeiten zurück. Entsprechend werden stärkere Schülerinnen und Schüler immer höhere Leistungen erbringen als schwächere Schülerinnen und Schüler, da sich die Lehrkräfte an eine Normalverteilungskurve orientieren (Rheinberg, 1987; Köller, 2005; Topsch, 2008). Die soziale Bezugsnorm eignet sich daher besonders, um herauszufinden, welche Schülerinnen und Schüler die Besten bzw. die Schlechtesten sind. Die Bewertung schulischer Leistung mittels sozialer Bezugsnorm wird somit der gesellschaftlichen Funktion gerecht, Schülerinnen und Schüler für die Zuteilung bestimmter Abschlüsse auszuwählen und somit Auswahlkriterien für die Zuweisung von Bildungsabschlüssen zu schaffen (Rheinberg, 2001; Topsch, 2008). Die Anwendung der sozialen Bezugsnorm beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Auswahl der Besten, sondern ist beispielsweise auch dann hilfreich, wenn Schülerinnen und Schüler ausgesucht werden sollen, die im Vergleich besonders schwach sind, um ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, an bestimmten Förderungsmaßnahmen teilzunehmen (Rheinberg, 2001). Jedoch hat die soziale Bezugsnorm auch ihre Nachteile, die von Rheinberg (2001) als blinde Flecken bezeichnet werden. Die soziale Bezugsnorm hat nach diesen Überlegungen drei blinde Flecken:

- der Referenzgruppeneffekt
- der Lernzuwachs aller Schülerinnen und Schüler einer Bezugsgruppe bleibt unbemerkt
- Schwankungen im Lernzuwachs bleiben unentdeckt

Der Referenzgruppeneffekt, „... bezeichnet den Befund, dass das gleiche Leistungsniveau eines Schülers in unterschiedlichen leistungsstarken Klassen zu einem günstigen bzw. ungünstigen Fähigkeitsselbstkonzept führen kann.“ (Wilbert, 2010, S. 72). Wenn viele Mitschülerinnen und Mitschüler sehr leistungsstark sind, nimmt ein einzelner Schüler mehr Aufwärtsvergleiche vor, was sich nachteilig auf die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten auswirken kann. Wenn hingegen viele Mitschülerinnen und Mitschüler eher leistungsschwach sind, nimmt ein einzelner Schüler mehr Abwärtsvergleiche auf, was sich vorteilhaft auf die Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten auswirkt. Das bedeutet, dass ein und derselbe Schüler in unterschiedlichen Klassenzusammensetzungen unterschiedliche Leistungen erbringt, da unter der sozialen Bezugsnorm die Klasse als Bezugs- bzw. Referenzgruppe festgelegt ist (Rheinberg, 2001; Topsch, 2005; Wilbert, 2010). Besonders deutlich ist dieser Effekt beim Übergang in die Sekundarstufe zu erkennen. Schülerinnen und Schüler, die nach der Grundschulzeit auf ein Gymnasium wechseln, vergleichen sich nun mit den mindestens ebenso starken Mitschülern, wodurch die eigenen Fähigkeiten niedriger eingeschätzt werden. Wechseln Schülerinnen und Schüler hingegen auf eine Hauptschule erleben sie, dass ihre Mitschüler ebenso stark sind wie sie selbst, aber dass es auch Mitschülerinnen und Mitschüler gibt, die noch wesentlich schwächere Leistungen erbringen. Dies wirkt sich entsprechend positiv auf die Selbsteinschätzung aus. Ebenso steigt die Einschätzung des Fähigkeitsselbstkonzeptes bei Schülerinnen und Schülern des Förderschwerpunktes Lernen, wenn sie auf eine Förderschule wechseln, und sie sinkt, wenn sie auf eine Regelschule mit Gemeinsamen Unterricht wechseln (Wilbert, 2010). Es ist denkbar, dass bereits ein Umzug von einem Stadtteil in den anderen, mit verbundenem Schulwechsel, ähnliche Effekte hervorbringen kann. Lernzuwächse aller Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Klasse und Schwankungen im Lernzuwachs können unbemerkt bleiben, da von einer Normalverteilungskurve ausgegangen wird. Dies ist eine pessimistische Annahme, da in jedem Fall ein Durchschnitt vorliegen muss, an dem Aufwärts- und Abwärtsvergleiche vorgenommen werden können. Da der Vergleich durch einen zeitlichen Querschnitt stattfindet, wird nicht die Entwicklung einzelner bzw. der gesamten Gruppe erhoben und wird entsprechend nicht wahrgenommen (Topsch, 2005; Rheinberg 2001).

Bei einer individuellen Bezugsnorm werden Zuschreibungen über Ursachen zu bestimmten Leistungen eher in der Schwebe gehalten oder bevorzugt auf zeitvariable kontrollierbare Ursachen, wie die eigene Anstrengung, zurückgeführt (Rheinberg, 1987; Köller, 2005; Topsch, 2008). Daher eignet sich die individuelle Bezugsnorm überall dort, wo die soziale Bezugsnorm blinde Flecken aufweist. Da im zeitlichen Längsschnitt beurteilt wird, werden Leistungsfortschritte und Schwankungen sichtbar gemacht. Der Referenzgruppeneffekt besteht bei einer individuellen Bezugsnorm nicht, da nicht auf eine Gruppe, sondern auf ein einzelnes Individuum Bezug genommen wird. Entsprechend kann eine individuelle Bezugsnorm dort selbstwertdienlich wirken, wo die soziale Bezugsnorm blinde Flecken aufweist. Somit kann auch positiv auf das Erfolgsmotiv eingewirkt werden, da es immer möglich ist, die eigene Anstrengung und damit auch die Leistung zu erhöhen (Rheinberg, 1987; Topsch, 2005; Wilbert, 2010). Außerdem kann bei der individuellen Bezugsnorm die Setzung eines Anspruchsniveaus vorgenommen werden. Wenn dies in gemeinsamer Arbeit zwischen Lehrkraft und Schülerin bzw. Schüler geschieht, kann demnach kein Konflikt zwischen eigenen und fremden Leistungsstandards entstehen, da gemeinsam Lernziele definiert werden. Solch ein Konflikt kann bei einer sozialen Bezugsnorm durchaus entstehen (Beckmann & Heckhausen, 2010). „... Beurteilungen unter individueller Bezugsnorm [sind] bestens geeignet, wenn es darum geht, möglichst veränderungssensible, detaillierte Rückmeldungen innerhalb [Hervorhebung v. Verf.] eines Ausbildungsabschnittes zu geben, die über günstige Motivationsauswirkungen den Lernerfolg fördern.“ (Rheinberg, 2001, S. 65 f.). Entsprechend kann die individuelle Bezugsnorm Informationen über den Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern bündeln, um diese an Lehrkräfte, Eltern und die Schülerinnen und Schüler selbst weiterzugeben und das Lernen, durch Disziplinierungen, infolge von Bewertungen, und die Schaffung von Anreizen zur Motivierung, steuern. Jedoch hat die individuelle Bezugsnorm einen entscheidenden blinden Fleck, weshalb sie sich nicht im gesamten Bildungswesen durchsetzen kann. Es werden „... überdauernde Leistungsunterschiede zwischen Schülern ausgeblendet...“ (Rheinberg, 2001, S. 65). Wenn im gesamten Bildungssystem alle Schülerinnen und Schüler nur nach der individuellen Bezugsnorm beurteilt werden würden, könnten bestimmte Schülerinnen und Schüler nicht mehr zu bestimmten Bildungsabschlüssen ausgewählt werden. Das Bildungssystem würde durch das vollkommene Fehlen des sozialen Vergleiches dem Prinzip der Chancengleichheit nicht mehr gerecht werden können. Außerdem würde die ausschließliche Bewertung durch die individuelle Bezugsnorm dem Bedürfnis nach sicherer Selbsteinschätzung nicht gerecht werden. Schülerinnen und Schüler könnten so in späteren Bildungsgängen Fehlentscheidungen treffen, da sie nicht einschätzen können, in welchen Bereichen sie besondere Stärken haben und in welchen weniger. Dies könnte zu Misserfolgen führen, die nicht mehr aufgearbeitet werden können. In diesem Fall hilft ihnen die gewissenhafte Erkenntnis, dass sie alles Lernen können, wenn sie sich nur genügend anstrengen, nicht weiter (Rheinberg, 2001).

Welche Attributionsmuster eine Lehrkraft bei einer sachlichen Bezugsnormorientierung vornehmen kann, wird in der vorliegenden Literatur nicht thematisiert. Es liegt nahe, dass seitens der Lehrkraft keine eindeutigen Attributionen vorgenommen werden können. Die sachliche Bezugsnorm wird, so wie die soziale Bezugsnorm, in einem zeitlichen Querschnitt vorgenommen. Daher kann nicht auf die Anstrengung attribuiert werden, denn hierzu würde die Leistungsentwicklung, an der sich eine Attribution auf die Anstrengung bemisst, fehlen. Es kann jedoch auch nicht auf die Fähigkeit attribuiert werden, da das Leistungs- oder Lernziel lediglich (zu einem bestimmten Maß) erreicht wurde oder nicht. Es ist bei der sachlichen Bezugsnorm irrelevant einen sozialen Vergleich heranzuziehen, denn „Der Vergleichsstandard liegt hier nicht in bereits erbrachten eigenen oder fremden Leistungen, sondern in Anforderungen, die in der Sache selber liegen...“ (Rheinberg, 2001, S. 66). Es bleibt der Schülerin oder dem Schüler selbst überlassen, ob der Erfolg oder der Misserfolg auf Zufall, Anstrengung oder Fähigkeit zurückzuführen ist. Nach Rheinberg (2001) ist eine sachliche Bezugsnorm überall dort von Vorteil, wo bestimmte Mindeststandards erreicht werden müssen. Als besonders plastisches Beispiel können hier Führerscheinprüfungen genannt werden, denn hier sind die Mindeststandards inhaltlich festgelegt. Da der soziale Vergleich innerhalb einer Gruppe irrelevant ist, können bei einer entsprechenden Prüfung alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchfallen. Im schulischen Bereich wird zur Definition der sachlichen Bezugsnorm der Lehrplan herangezogen. In diesem Zusammenhang haben die soziale und die individuelle Bezugsnorm einen weiteren blinden Fleck.

Ob alle Schüler einer Klasse viel mehr oder viel weniger können, als das vom Lehrplan gewünscht ist, bleibt sowohl beim sozialen Vergleich zwischen verschiedenen Schülern, als auch beim individuellen Vergleich mit vorherigen Resultaten desselben Schülers unsichtbar. Das kann man erst sehen, wenn man die vorliegenden Resultate mit klaren inhaltlich bestimmten Maßstäben, also mit sachlichen Bezugsnormen vergleicht (Rheinberg, 2001, S. 66).

Es stellt sich die Frage, warum die sachliche Bezugsnorm im schulischen Bereich nur vereinzelt vorzufinden ist? Zumal die genaue Formulierung von zu erreichenden Kompetenzgraden, wie sie inzwischen in den aktuellen Lehrplänen auch zu finden sind, für die beurteilenden Lehrkräfte hilfreiche Ausgangspunkte bieten. Die Schwierigkeit liegt, besonders bei kreativen und Kompetenz übergreifenden Inhalten, in der Definition. Der Konstruktionsaufwand, in dem für jedes Fach, jede Klassenstufe und jede Schulform, definiert werden müsste, was Schülerinnen und Schüler leisten müssen, wäre enorm (Rheinberg, 2001). Beispielsweise sollen Schülerinnen und Schüler im Deutschunterricht am Ende der vierten Klasse u.a. eigene Texte unterhaltsam verfassen (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [MSW NRW], 2013a). Was ist ein unterhaltsam verfasster Text? Muss die Lehrkraft diesen unterhaltsam finden oder die Klasse? Ist ein unterhaltsamer Text einer, über den gelacht oder auch einer, über den nachgedacht werden kann? Schon an diesem kleinen Beispiel wird klar, dass bestimmte Inhalte nicht vollständig definiert werden können. Neben dem hohen Konstruktionsaufwand würden solche inhaltlich festgelegten Standards „... die Flexibilität und die Freiheitsgrade der didaktischen Gestaltung des Lehrers...“ (Rheinberg, 2001, S. 67) einengen. Neben diesen praktischen Schwierigkeiten hat die sachliche Bezugsnorm ebenfalls ihre blinden Flecken. Zwar kann durch die sachliche Bezugsnorm festgestellt werden, ob eine Schülerin oder ein Schüler über beschriebene Kenntnisse oder Fertigkeiten verfügt, aber „Ob diese Fertigkeiten auch auf besondere Lernfähigkeiten auf diesem Bereich verweisen oder eher Selbstverständlichkeiten in dem jeweiligen Ausbildungsgang sind, ist dem inhaltlichen Kriterium nicht anzusehen.“ (Rheinberg, 2001, S. 68). Um zu ermitteln, ob ein bestimmter Lerninhalt schwer oder leicht zu erlernen ist, wird die soziale Bezugsnorm benötigt. Außerdem ist die sachliche Bezugsnorm gegenüber Lernfortschritten unsensibel. Wenn ein Schüler wiederholt ein und dieselbe Aufgabe nicht löst, weiß er ohne zusätzliche Informationen nicht, aus welchen Gründen er sie nicht lösen kann. Außerdem weiß er nicht, ob sich seit dem ersten Versuch etwas an seinem Vorgehen verbessert hat oder nicht. „Dieses Ausblenden der Lernzuwachsinformationen – die ja den Kern der individuellen Bezugsnorm ausmacht – dürfte motivational ungünstig sein.“ (Rheinberg, 2001, S. 68).

[...]

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Die Bezugsnormorientierung von angehenden Lehrkräften
Untertitel
Der Einfluss des Beurteilungsziels und des Leistungsniveaus der Klasse auf die Bezugsnormorientierung
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Fakultät 13 - Rehabilitationswissenschaften)
Veranstaltung
Motivationspsychologie
Note
2
Jahr
2014
Seiten
93
Katalognummer
V323028
ISBN (eBook)
9783668226470
ISBN (Buch)
9783668226487
Dateigröße
3328 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bezugsnormorientierung, lehrkräften, einfluss, beurteilungsziels, leistungsniveaus, klasse
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, Die Bezugsnormorientierung von angehenden Lehrkräften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323028

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