Gesellschaftsvorstellungen. Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Émile Durkheim und Georg Simmel?


Hausarbeit, 2015

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Émile Durkheim – Biografie
2.1 Die „Année sociologique“

3. Die Gesellschaftstheorie
3.1 Die individualistische und kollektivistische Interpretation der Gesellschaft
3.2 Kollektivbewusstsein
3.3 Moralische Einheiten und Sozialisation

4. Georg Simmel – Biografie

5. Simmels Gesellschaftsbegriffe
5.1 Der allgemeine Gesellschaftsbegriff
5.2 Der soziologische Gesellschaftsbegriff

6. Vergleich der Gesellschaftsvorstellungen

7. Fazit

8. Quellenangaben

9. Literaturliste

1. Einleitung

Gesellschaft, ist das jeweils umfassendste System menschlichen Zusammenlebens. Über weitere einschränkende Merkmale besteht kein Einverständnis. “ – Luhmann (1978)

Das oben angeführte Zitat verdient Aufmerksamkeit. Eine Definition der Gesellschaft die viele Möglichkeiten und Überlegungen offen lässt. Durch seine Aussage bestätigt Luhmann, dass Einigkeit in der Definition der Gesellschaft, jedoch nicht in den einschränkenden Merkmalen besteht. Viele berühmte Soziologen schrieben bereits, dass bis heute zu diesem Thema keine Einigkeit besteht. In meiner Hausarbeit widme ich mich zwei Theorien, die sich ähneln. Bei näherer Betrachtung allerdings sich in vielen Teilen unterscheiden. Die Rede ist hier von Émile Durkheim und Georg Simmel, zwei „Klassikern der Soziologie“, welche bereits im letzten Jahrhundert versuchten eine Lösung für dieses Problem bereitzustellen.

Zuerst sollte diese Hausarbeit nur Durkheim und seinen umfassenden Theorien gelten, jedoch wäre dieses Thema zu umfangreich. Ein Vergleich erlaubt eine weitreichendere Analyse des Materials und ermöglicht unterschiedliche Blickwinkel.

Émile Durkheim und Georg Simmel lebten zur selben Zeit und es verband sie eine enge Zusammenarbeit. Sie hatten beide als Ziel die Soziologie als eine Wissenschaft zu etablieren und gehören, gemeinsam mit Max Weber, zu den Begründern der modernen Soziologie.

Trotz der gemeinsamen Entwicklungszeit unterscheiden sich ihre Theorien in bestimmten Teilen. Im Laufe der Hausarbeit habe ich diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus gearbeitet und die umfassenden Theorien miteinander verglichen.

In den Abschnitten, die jeweils einem Autor gewidmet sind, gehe ich kurz auf die Biografien Durkheims und Simmels ein, damit ein Überblick über die Lebenszeit und ihre Herkunft entsteht. Anschließend stelle ich die Gesellschaftsbegriffe der beiden Autoren vor und gehe auf die unterschiedlichen Gesellschaftsbegriffe ein, die sie geprägt haben. Als folgenden Schritt werde ich die Gesellschaftsbegriffe untereinander vergleichen und dabei nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Theorien suchen. Dies soll einen umfassenden Einblick in die einzelnen Theorien ermöglichen. Das zusammenfasssende Fazit meiner Arbeit, soll dann die Auffassungen bewerten und einen Ausblick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede geben, welche die Theorien Durkheims und Simmels kennzeichnen.

2. Émile Durkheim – Biografie

Émile Durkheim wurde am 15. April 1858 in Épinal, Frankreich, als Sohn eines Rabbiners geboren und streng jüdisch erzogen. Sein Studium absolvierte er an der berühmten École normale supérieure, nachdem er zweimal bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen war. Seine wenigen Freunde beschrieben ihn als kühl und zurückhaltend, unter ihnen der spätere Sozialistenführer Jean Jaures. Durkheim starb am 15. November 1917 in Paris.

2.1 Die „Année sociologique“

Die „Année sociologique“ war eine Zeitschrift die im Jahre 1898 von Émile Durkheim gegründet und auch herausgegeben wurde. Sie erregte großes Aufsehen in gebildeten Kreisen der Gesellschaft. Er betrachtete sie als sein Sprachrohr und publizierte, gemeinsam mit seinen handverlesenen Mitarbeitern, viele Artikel aus unterschiedlichen Themenbereichen. So machten zum Beispiel Wirtschaft und Recht in Verbindung mit Moralsoziologie große Teile der Texte aus die nicht nur in seiner eigenen Zeitschrift veröffentlicht wurden. Dennoch blieb die Zeitschrift hierarchisch strukturiert, mit Durkheim an der Spitze.

Durkheim und Simmel arbeiteten im Laufe der Jahre und im Rahmen der Publikation dieser Zeitschrift eng zusammen, weshalb sich ihre Theorien in diesem Zeitraum in die gleiche Richtung entwickelten.

3. Die Gesellschaftstheorie

Durkheim war fasziniert von der Gesellschaft und den Wechselwirkungen, die in diesem Konstrukt unter den einzelnen Individuen von statten gingen. Eines seiner Wichtigsten Forschungsziele war, den Einfluss von sozialen Tatbeständen auf das menschliche Handeln zu untersuchen und schlussendlich zu ergründen. Jedoch stellte er das Soziale immer über das Individuelle. Sein Leitsatz lautete:„ Die bestimmte Ursache eines soziologischen Tatbestandes muss in den sozialen Phänomenen, die ihm zeitlich vorangehen, und nicht in den Zuständen des individuellen Bewusstseins gesucht werden.“1

Um die Gesellschaft besser erklären zu können, formulierte er drei Fragen, die er in jeder seinen Schriften verfolgte, um seine Ziele zu erreichen:

1. „Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, die soziale Ordnung und individuelle Freiheit ermöglicht, die soziale Solidarität und moralische Autonomie eröffnet?“ 2
2. „Wie müssten die Konturen einer individualistischen Moral aussehen, die soziale Kooperation in einer Zivilgesellschaft ermöglichen?“ 3
3. „Was kann Soziologie, verstanden als rationale, positive und empirische Wissenschaft, zu diesem Projekt einer modernen Wissenschaft beitragen?“ 4

Die wichtigsten Ziele die er durch diese Fragen zu erreichen suchte und durch seine Arbeit verfolgte waren wie folgt:

1. Die Einrichtung der Soziologie als Fachdisziplin 5
2. Eine Diagnose der modernen Gesellschaft 6
3. Die Entwicklung einer neuen Moral 7

In seinen „Regeln der soziologische Methode“ aus dem Jahre 1895, beschreibt Durkheim die Soziologie als „Wissenschaft von den Institutionen, deren Entstehung und Wirken“8. Er fasst unter Soziologie alle sozialen Tatbestände zusammen, die von außen an das Individuum herantreten (aus der Gesellschaft auf das Individuum einwirken, sozialer Druck) und somit eine vom Einzelnen unabhängige Existenz führen.

Soziale Tatbestände sind nach Definition Durkheims wie Dinge zu betrachten, denn sie sind weder angeboren, noch anderweitig von vornherein existent. Sie werden anerzogen und manifestieren sich als zwanghafte Handlungen, weil sie auf den Willen des Individuums einen moralischen Druck ausüben und so als logische Konsequenz auftreten. So sind zum Beispiel Sprache, Geld und bestimmte Verhaltensformen als soziale Tatbestände anzusehen. Sprache an sich dient zur Verständigung innerhalb der Gesellschaft und Geld als Austauschmittel um Güter zu Erwerben denen ansonsten ein individueller Wert fehlen würde. Auch anerzogene Verhaltensformen sind als ein Teil dieser Tatbestände zu sehen. Zu ihnen gehören zum Beispiel Tischmanieren oder Verhalten in Gegenwart anderer Menschen. Auch die gängigen Werte und Normen gehören zu den anerzogenen Verhaltensformen, weil man sich nach ihnen Verhält um in einem „sozialen Rahmen“ zu bleiben.

Durkheim beschreibt die Gesellschaft als ein Konstrukt von Individuen, dass nicht mehr von den Individuen geführt wird, sondern ein Eigenleben entwickelt hat. Ein „Über-Ich“ wenn man so will, dass von den Erfahrungen und Vorstellungen der Individuen gespeist wird. Aufgrund dessen kann es über Generationen hinweg bestehen, ohne sich großartig zu verändern.

Die Individuen beugen sich diesem Kollektiv, ähnlich wie Atome eines Moleküls, da sie nicht ohne das Konstrukt bestehen können. Jedoch bilden sie zusammen auch eine neue Materie, eben dieses kollektivistische Sein das ohne die einzelnen Teile (Individuen) auseinanderbrechen oder gar nicht erst existieren könnte.

„Wasser sei nun einmal ein gegenüber seinen Bestandteilen Wasserstoff und Sauerstoff völlig neuer Stoff und die Chemie ja ohne Zweifel eine erfolgreiche und respektable Wissenschaft.“ 9

Durch dieses Beispiel möchte Durkheim noch einmal verdeutlichen, dass es sich bei einer Gesellschaft um ein Kollektiv von Individuen handelt, welches nur aufgrund der Individuen existieren kann. Zugleich schwebt es über diesen und bringt sie dazu nach einer kollektivistischen Denkweise zu handeln. Man kann demnach die Gesellschaft nicht als Ansammlung von Individuen sehen, sondern muss diese als eigene Instanz betrachten. Diese ist, durch den Zusammenschluss, zu mehr imstande als ihre Einzelteile.

Der Soziologie wird nach Durkheim die Aufgabe des Erfassens der Möglichkeiten dieses Kollektivs zuteil. Durch das Nachzeichnen der Handlungen und das Aufteilen in individuell und kollektiv, ist man in der Lage das Individuum vom Kollektiv zu unterscheiden.

3.1 Die individualistische und kollektivistische Interpretation der Gesellschaft

Der Individualismus steht im Gegensatz zum Kollektivismus. Durkheim geht davon aus, dass es in einer individualistischen Gesellschaft kein „Über-Ich“ gibt und diese nur durch die Verbindungen zwischen den unabhängigen Individuen basiert.

In seiner Theorie beschreibt er, wie sich eben dieses kollektive Bewusstsein auf die Individuen auswirkt und sie lenkt.

„Zweifellos kann keine kollektive Erscheinung entstehen, wenn kein Einzelbewusstsein vorhanden ist; doch ist diese notwendige Bedingung allein nicht ausreichend. Die einzelnen Psychen müssen noch assoziiert, kombiniert und in einer bestimmten Art kombiniert sein; das soziale Leben resultiert also aus dieser Kombination und kann nur aus ihr erklärt werden. Indem sie zusammentreten, sich durchdringen und verschmelzen, bringen die individuellen Psychen ein neues, wenn man will psychisches Wesen hervor, das jedoch eine psychische Individualität neuer Art darstellt. In der Natur dieser Individualität, nicht in jener der sie zusammensetzenden Einheiten müssen also die nächsten und bestimmenden Ursachen der Phänomene, die sich dort abspielen, gesucht werden“ 10

Wie ich bereits vorher erwähnte, spricht Durkheim darüber, dass das Kollektiv ohne das Individuum nicht bestehen könne. Dennoch ist das Kollektiv die nächst größere Einheit über dem Individuum. Dies nennt er Kollektivbewusstsein.

3.2 Kollektivbewusstsein

„Die Gruppe denkt, fühlt und handelt ganz anders, als es ihre Glieder tun würden, wären sie isoliert.“ 11

Dieser Auffassung entspringt der Gedanke, dass sich Individuen nach dem Kollektivbewusstsein der Gruppe richten, der sie sich zugehörig fühlen. Dieses Bewusstsein besteht laut Durkheim aus den Erfahrungen, Werten und Normen der Gruppe. Kann man sich als Individuum mit diesem Bewusstsein identifizieren, so fühlt man sich zugehörig. Als Beispiele wären Parteien, Klubs oder Verbände anzuführen, die alle ihr Eigenleben im Kollektiv führen, aber größere Teile in eben diesem sind, da sie aus mehreren Individuen bestehen. Das Kollektivbewusstsein setzt sich also nicht nur aus einzelnen, sondern auch aus kleineren Ansammlungen von Individuen zusammen. Durkheim nennt diese Ansammlungen auch „soziale Gebilde“. Jedes dieser Gebilde besitzt seine eigenen Werte und Normen, die von den Individuen befolgt werden, da ein Zuwiderhandeln zum Ausschluss aus dem Kollektiv führen könnte. Durch diese Restriktionen werden von den Individuen Kompromisse eingegangen, um zugehörig zu bleiben.

3.3 Moralische Einheiten und Sozialisation

In seinen Theorien schreibt Durkheim über die Beobachtungen der inneren Integration der Gesellschaft und ihre besondere Form als moralische Einheit. Seine Annahme ist die, dass

„Gesellschaften (in all ihren Teilen) integrierte soziale Gebilde seien, die ihre Einheit nur über die moralisch gestützte Solidarität der Mitglieder einerseits und über ein System von Rechtsvorschriften und Sanktionen gegenüber Normübertretungen andererseits finden.“ 12

Das bedeutet, dass die Individuen sich der moralischen Gewalt der Masse und den vorherrschenden Werten und Normen unterwerfen, die durch die Gesellschaft impliziert werden. Funktioniert die freiwillige „Unterwerfung“ nicht, so sorgen die gesellschaftlichen Institutionen (z.B. Polizei, Gerichte usw.) für eine Normanpassung und stellen somit eine Integration sicher.

Diese Regelungen lassen den Schluss zu, dass die Gesellschaft nur durch die Solidarität ihrer Mitglieder zusammenhält und moralische Verpflichtungen als integratives Element ihre Wirksamkeit behalten müssen.

„Zwar muss die Moral immer durch externe Sanktionen ... unterstützt werden; aber der Kern des Zusammenhalts und der Ordnung der Gesellschaft ist das Band der moralischen Verpflichtung.“ 13

[...]


1 Grundfragen soziologischer Theorie, George Caspar Homans, S. 35

2 Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

3Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

4 Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

5 Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

6Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

7 Lehrbuch der Bildungssoziologie, Rolf Becker, S. 479

8 Pädagogische Institutionen: Pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Individualisierung und Organisation, Hans Merkens, S. 137

9 Soziologie – Allgemeine Grundlagen, Hartmud Esser, S. 404

10 Regeln der soziologischen Methode, Èmile Durkheim, S. 187 ff

11 Regeln der soziologischen Methode, Èmile Durkheim, S. 188

12 Soziologie – Allgemeine Grundlagen, Hartmud Esser, S. 409

13 Soziologie – Allgemeine Grundlagen, Hartmud Esser, S. 411

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftsvorstellungen. Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Émile Durkheim und Georg Simmel?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V321565
ISBN (eBook)
9783668209572
ISBN (Buch)
9783668209589
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Durkheim, Simmel
Arbeit zitieren
Maximilian Kratky (Autor:in), 2015, Gesellschaftsvorstellungen. Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Émile Durkheim und Georg Simmel?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321565

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