Von der „Massiven Vergeltung“ zur „flexible response“. Der Strategiewechsel der NATO im Kontext des Kalten Krieges


Hausarbeit, 2011

15 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Die Entstehung von NATO und Warschauer Pakt

2. Die quantitativen militärischen Verhältnisse der beiden Bündnisse 1960
2.1 NATO bzw. USA
2.2 UdSSR bzw. Warschauer Pakt

3. Der Strategiewechsel bei der NATO und die Reaktion des Warschauer Paktes
3.1 Die Entstehung des Konzeptes der „Massiven Vergeltung“
3.2 Das Konzept der „flexible response“
3.3 ie Strategien und die Reaktion des Warschauer Paktes

4. Schlussbetrachtung und Ablösung der „flexible response“ mit dem neuen Strategiekonzept 1991

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Die Entstehung von NATO und Warschauer Pakt

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat der Gegensatz zwischen den Siegermächten, den Westalliierten auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite, immer mehr zu Tage. Bereits im Brüsseler Vertrag vom 17. März 1948 schlossen sich Frankreich, Großbritannien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg zu einem Bündnis für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit sowie zur kollektiven Selbstverteidigung zusammen.1 Diese „Westunion“ war in erster Linie eine Reaktion auf die Expansionsbestrebungen und Bedrohungen von Seiten des Sowjetkommunismus, der mit der Berlin-Blockade, dem Februarputsch in der Tschechoslowakei 1948 und der stetigen Sowjetisierung von Mittel- und Osteuropa immer mehr ins Blickfeld der westlichen Welt rückte. In dieser weiteren Entwicklung kam es dann zu einem wechselseitigen Abkommen zwischen den Mitgliedern des Brüsseler Vertrages, einigen anderen westeuropäischen Ländern sowie den USA und Kanada: dem Nordatlantikvertrag. Dieser am 4. April 1949 in Washington gegründete Nordatlantikpakt war die Geburtsstunde der NATO (North Atlantic Threaty Organisation) und setzte der sowjetischen Militärmacht einen Zusammenschluss von freiheitlichen Demokratien entgegen.2 Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Belgien, Italien, Dänemark, Luxemburg, Norwegen, Island und Portugal sowie die USA und Kanada schlossen sich darin zu einem Bündnis politischer und militärischer Verteidigung zusammen. Weitere Beitrittsländer waren Griechenland, die Türkei, die Bundesrepublik Deutschland und schließlich Spanien.3

Nach mehreren diplomatischen Noten und Erklärungen reagierte die Sowjetunion mit einer Sicherheitskonferenz in Moskau vom 29. November bis 2. Dezember 1954. Zum Abschluss dieser Zusammenkunft wurde die so genannte Moskauer Deklaration verabschiedet. Darin warnten die Vertragspartner vor einer Ratifizierung der Pariser Verträge und gaben bekannt, ein eigenes Militärbündnis gründen zu wollen. Als die Pariser Verträge dennoch ratifiziert wurden und die Bundesrepublik der NATO beitrat, war für die Sowjetunion die Sachlage klar: In Warschau wurde zum Abschluss der zweiten „Konferenz europäischer Länder zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit Europas“ 1955 durch Albanien, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, Ungarn, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand unterzeichnet. Der entstandene Warschauer Pakt, oder eigentlich Warschauer Vertragsorganisation, war das vereinbarte Militärbündnis der kommunistischen Staaten Europas gegen die NATO.4 Durch die Gründung dieses Militärbündnisses sicherte sich die Sowjetunion ihren Hegemonialanspruch in Osteuropa und versuchte eine Art Gegenpart zur Nato zu schaffen.

Ziel der folgenden Abhandlung ist es, zu klären, in wie weit die NATO ihre militärische Strategie während des Kalten Krieges aufgrund einer quantitativen Veränderung der Streitkräfte der beiden Bündnisse anpassen musste. Zudem muss die Frage gestellt werden, ob diese Anpassung den neuen militärischen Verhältnissen letzten Endes Rechnung getragen hat und wie glaubhaft bzw. effizient die Strategien im Hinblick auf die historischen Gegebenheiten wirklich waren. Hierfür werde ich zunächst versuchen, einen Überblick über die Zusammensetzung und Anzahl der Truppen der beiden militärischen Bündnisse zu geben. Anschließend werde ich auf den Strategiewechsel der NATO sowie dessen Bedeutung und sein Zustandekommen eingehen.

2. Die quantitativen militärischen Verhältnisse der beiden Bündnisse 1960

2.1 NATO bzw. USA

Bis zu Beginn der 60er Jahre war die Sowjetunion nicht in der Lage, wegen fehlender Langstreckenbomber und Raketen die USA auf deren Territorium mit ABC-Waffen unmittelbar anzugreifen. Auch besaßen die USA im Gegensatz zur UdSSR eine zahlreiche, im Zweiten Weltkrieg entwickelte Langstreckenbomberflotte, die nach dem Krieg stetig weiterentwickelt und modernisiert worden war. Zudem war diese in der Luft betankbar.5 Nach offiziellen westlichen Angaben und Schätzungen besaß die NATO zur Zeit der Berlin-Krise etwa 19 bis 22 einsatzbereite Divisionen in Mitteleuropa. Diese bestanden aus fünf amerikanischen, drei britischen, sieben bis acht deutschen, zwei bis drei französischen und zwei bis drei Divisionen von anderen NATO-Mitgliedern. Es konnten bei Bedarf noch zusätzlich vier amerikanische Divisionen und eine große Anzahl von Kampfflugzeugen herangeführt werden.6 Dazu kam auch ein weitverbreitetes Stützpunktsystem der USA, das sich nahezu um den gesamten sowjetischen Machtbereich lagerte. Hinzu kam die klare amerikanische Überlegenheit bei den Flugzeugträgern.7

2.2 UdSSR bzw. Warschauer Pakt

Man schätzte, dass dem Warschauer Pakt zur Zeit der Berlin-Krise zunächst 20 sowjetische, 14 tschechoslowakische sowie sechs bis sieben Divisionen der Volksarmee der DDR zur Verfügung standen.8 Diese konnten weiter durch 46 bis 56 sowjetische Divisionen aus dem gesamten osteuropäischen Raum ergänzt werden. Die westlichen Strategen gingen von einer Gesamtstärke von 175 einsatzbereiten Divisionen und ungefähr 10.000 Kampfflugzeugen des Warschauer Paktes aus.9

Einen weiteren differenzierteren Überblick über einige Streitkräftebestandteile bieten Ernst-Otto Czempiel und Carl-Christoph Schweitzer:10

Angesichts dieser Zahlen und Vergleiche ergab sich für die Überlegungen der westlichen Strategen ein Übergewicht des Warschauer Paktes gegenüber der NATO in einigen zentralen konventionellen Bereichen der Streitkräfte. Manche Einschätzungen gingen sogar von einer Überlegenheit von 2:1 bei den Bodentruppen zu Gunsten des Warschauer Paktes aus. Auch wenn viele dieser Einschätzungen aus späterer Sicht und verschiedenen Gründen weit übertrieben waren11, so machen doch gerade die Vergleiche der strategischen Nuklearkräfte eines deutlich: Die UdSSR hatte neben der Überlegenheit in einer Reihe konventioneller Bereiche die USA vor allem im Bereich der strategischen Waffen, bei den seegestützten ballistischen Raketen (SLBM) und den atomaren Sprengköpfen nahezu eingeholt und den Abstand bei den Interkontinentalraketen verkürzt.

3. Der Strategiewechsel bei der NATO und die Reaktion des Warschauer Paktes

3.1 Die Entstehung des Konzeptes der „Massiven Vergeltung“

Angesichts der in der obigen Grafik12 noch einmal verdeutlichten bestehenden konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes in Europa wurde das NATO-Konzept der „Vorneverteidigung“ (forward strategy), das am 3. Dezember 1952 beschlossen worden war13, abgelöst. Am 23. Mai 1957 wurde die neue NATO-Strategie der „Massiven Vergeltung“ (massive retaliation) beschlossen, welche auf der zu diesem Zeitpunkt herrschenden amerikanischen Überlegenheit bei den strategischen atomaren Waffen beruhte. Jeder Angriff auf die NATO von Seiten des Warschauer Paktes, ob nuklear oder nicht-nuklear, sollte mit einem massiven, vernichtenden Kernwaffenschlag beantwortet werden.14 Parallel dazu wurde auch die Streitkräfteplanung und deren notwendige Anpassung und Modernisierung in Europa ebenfalls am 23. Mai 1957 mit dem Dokument MC 48/2 genehmigt.15 In der ersten Hälfte der 60er Jahre war es aber spätestens nach dem so genannten „Sputnik-Schock“ am 4.10.1957 bei den Amerikanern kein Geheimnis mehr, dass die UdSSR nun den Schritt von der ersten Generation strategischer Raketenwaffen (Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einem Radius bis ca. 4000 km) zur zweiten Generation strategischer Raketenwaffen (Langstrecken- und Interkontinentalraketen mit einem Radius von 6000–12000 km) vollzogen hatte. Sowjetische Kernwaffen waren nun in der Lage, das Territorium der Vereinigten Staaten zu erreichen.16 Trotz ihrer nach wie vor gegebenen Überlegenheit bei den Interkontinentalraketen konnten die Amerikaner die sowjetische Fähigkeit für einen nuklearen „Zweitschlag“, zumindest auf der Ebene der Trägersysteme mittlerer Reichweite, nicht ausschalten. Hier besaß die Sowjetunion in jedem Fall ein klares Übergewicht (SS-4, SS-5, TU-16).17 Das Konzept der Abschreckung mittels massiver atomarer Vergeltung war daher in keiner Weise mehr glaubwürdig und damit auch kaum noch funktionsfähig.

3.2 Das Konzept der „flexible response“

Die Strategie der „Massiven Vergeltung“ war maßgeblich durch den Koreakrieg sowie durch den Vorstoß und die Festigung des sowjetischen Einflusses in Mittel- und Osteuropa beeinflusst. Obwohl diese Strategie hartnäckig gegenüber dem Warschauer Pakt vertreten wurde, gab es auch schon früh ernste Zweifel. Eine derart starre Vernichtungsstrategie erschien nach dem Sputnik-Schock und angesichts des wachsen-den Nuklearpotentials der UdSSR nicht mehr länger angemessen und auch nicht mehr effizient.

[...]


1 Vgl. Hauser, Gunther: Das europäische Sicherheits- und Verteidigungssystem und seine Akteure, BMLV/Landesverteidigungsakademie, Wien, 2008, S. 17

2 Vgl. Golz, Hans-Georg: Editorial, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. NATO, 6. April 2009, S. 2.

3 Vgl. Schätz, Alfred: Die sowjetische Militärpolitik und die österreichische dauernde Neutralität, Dissertation an der Universität Wien, Wien 2008, S. 144, Z. 8 ff.

4 Vgl. Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=91HT5Q (Stand 26. August 2011)

5 Vgl. Weigl, Ludwig: Strategische Einsatzplanungen der NATO. Einflussfaktoren, Inhalte, Umsetzungsmaßnahmen. Dissertation an der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg 2005, S.70 , Z. 1-9.

6 Vgl. Galay, N.: Berlin. On the Eve of Dénouement, S. 27 in: Bulletin of the Institute for the study of the UdSSR, Vol.8, No. 10, 1961, S. 21-31.

7 Vgl. Walpunski, Günter: Verteidigung + Entspannung = Sicherheit Bonn- Bad Godesberg 1975, Seite 16-18.

8 Vgl. Galay, N.: Berlin. On the Eve of Dénouement, S. 27 f. in: Bulletin of the Institute for the study of the UdSSR, Vol.8, No. 10, 1961, S. 21-31.

9 Vgl. Wolfe, Thomas W.: Soviet Power and Europe 1945 – 1970. Baltimore, London 1970, S. 169.

10 Czempiel, Ernst-Otto; Schweitzer, Carl-Christoph: Weltpolitik der USA nach 1945, „Einführung und Dokumente”, Bonn 1989, S.268 f.

11 Adomeit, Hannes: Die Sowjetmacht in internationalen Krisen und Konflikten. Verhaltensmuster, Handlungsprinzipien, Bestimmungsfaktoren, in: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.): Internationale Politik und Sicherheit, Band 11, Baden-Baden 1983, S 343, Z.16 f.

12 Karber, Phillip A.: The Central European Arms Race: 1948-1980, Papier für eine Konferenz über Rüstungskontolle, Ebenhausen 11. – 13.6.1980, S.64 in: Adomeit, Hannes: Die Sowjetmacht in internationalen Krisen und Konflikten. Verhaltensmuster, Handlungsprinzipien, Bestimmungsfaktoren, in: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.): Internationale Politik und Sicherheit, Band 11, Baden-Baden 1983.

13 Vgl. Strategische Richtlinien des NATO-Militärausschusses MC 14/1 (NATO Strategy Documents 1949–1969) in: http://www.nato.int

14 Vgl. Strategische Richtlinien des NATO-Militärausschusses MC 14/2 (Overall Strategic Concept for the Defence of the NATO Area. NATO Strategy Documents 1949–1969) in: http://www.nato.int

15 Vgl. NATO-Document MC 48/2 (Measures to Implement the Strategic Concept. NATO Strategy Documents 1949–1969) in: http://www.nato.int

16 Vgl. Weigl, Ludwig: Strategische Einsatzplanungen der NATO. Einflussfaktoren, Inhalte, Umsetzungsmaßnahmen. Dissertation an der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg 2005, S.70 , Z. 1-9.

17 Vgl. Adomeit, Hannes: Die Sowjetmacht in internationalen Krisen und Konflikten. Verhaltensmuster, Handlungsprinzipien, Bestimmungsfaktoren, in: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.): Internationale Politik und Sicherheit, Band 11, Baden-Baden 1983, S 412, Z.31 ff.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Von der „Massiven Vergeltung“ zur „flexible response“. Der Strategiewechsel der NATO im Kontext des Kalten Krieges
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Department für Geschichte)
Veranstaltung
Die Geschichte des Warschauer Paktes
Note
2,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V321003
ISBN (eBook)
9783668201903
ISBN (Buch)
9783668201910
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
massiven, vergeltung, strategiewechsel, nato, kontext, kalten, krieges
Arbeit zitieren
Christian Rucker (Autor:in), 2011, Von der „Massiven Vergeltung“ zur „flexible response“. Der Strategiewechsel der NATO im Kontext des Kalten Krieges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321003

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