Tempel, Burg, Wall, Kulthalle? Arkona in historischen und archäologischen Quellen im Spiegel der Forschungsgeschichte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkung

2. Die historischen Quellen
2.1 Helmhold von Bosau
2.2 Saxo Grammaticus
2.3 Knýtlinga saga

3 Die archäologischen Quellen
3.1 Ortsuntersuchung und Sondierungsgrabung 1921 (C. Schuchhardt)
3.2 Wall- und Torgrabung 1929 (W. Petzsch/G. Martiny)
3.3 Sondiungsgrabung 1969-71 (H. Berlekamp)
3.4 Flächengrabung 1994-99 (N. Nieszery/P. Herfert)
3.5 Ausgrabung 2003-05 (A.Tumuscheit)
3.6 Rettungsgrabung ab 2012 (F. Ruchhöft)

4 Fazit

5 Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
5.2 Literatur

1. Vorbemerkung

„Er [König Waldemar von Dänemark] ließ das uralte Bild des Swantevit, welches von der ganzen Nation der Slawen verehrt wurde, hervorholen, demselben einen Strick um den Hals binden, und es mitten durch das Heer hinziehen vor den Augen der Slawen, endlich es in Stücke hauen und ins Feuer werfen. Er zerstörte den Tempel samt allem was darinnen war, und den reichen Schatz plünderte er. Er befahl ihnen, von ihrem Irrglauben, in dem sie geboren waren, abzulassen und den Dienst des wahren Gottes anzutreten. Und er gab Geld her zur Erbauung von Kirchen, deren zwölf im Lande der Rugianer angelegt wurden. Und man stellte Priester an, um in geistlichen Dingen für das Volk zu sorgen.“1

So schildert Helmhold von Bosau in seiner Slawenchronik den Versuch der Christianisierung der slawischen Ranen im Jahr1168 und die Zerstörung des Tempels am Kap Arkona auf der Insel Rügen. In der folgenden Arbeit soll untersucht werden, wie sich die Geschichte der slawischen Ranen auf der Tempelburg am Kap Arkona und die Geschehnisse des Jahres 1168 aus historischen und archäologischen Quellen rekonstruieren lässt und der aktuelle Forschungsstand soll festgehalten werden. Dies geschieht unter Zuhilfenahme der chronikalen Überlieferung von Helmhold von Bosau, Saxo Grammaticus und der Knýtlinga saga. Jüngere Schriftquellen, welche sich auf diese Quellen beziehen, werden in dieser Arbeit aus Gründen der Kürze ausgespart.

Problematisch in der schriftlichen Überlieferung über die Geschehnisse am Kap Arkona ist vor allem die geringe Zahl der Quellen, die Erkenntnisse über das Leben und die Ereignisse im Rahmen des Überfalls auf die Insel Rügen von 1168 zulassen. Auch gibt es keine schriftlichen Zeugnisse aus der Sicht der Ranen; die vorhandenen Quellen sind teils stark durch nationale Sichtweisen oder religiös gefärbt und folglich nur eingeschränkt glaubwürdig.

Ergänzungen können hier die archäologischen Quellen liefern, welche durch verschiedene Ausgrabungen in den letzten 100 Jahren zu Tage gefördert wurden. Zwar verraten diese nur wenig über konkrete Ereignisse, dafür aber umso mehr über die Lebensbedingungen, Handelsbeziehungen und handwerklichen Fähigkeiten der Slawen am Kap Arkona aber auch der Wikinger. Die archäologischen Ausgrabungen seit 1921 werden im zweiten Teil hinsichtlich ihrer Erkenntnisse ausgewertet.

Eine der zentralen, aber auch naheliegenden Fragen, welche die Schriftquellen aufwerfen, ist, inwiefern die Schilderung der Christianisierung unter der Berücksichtigung der verschiedenen Intentionen der Chronisten und deren religiöser Vorgeschichte glaubhaft ist. Um diese Frage und jene, nach dem möglichst genauen Ablauf der Geschehnisse 1168 zu beantworten, wird zunächst eine genaue Analyse und Interpretation der schriftlichen Quellen vorgenommen. Die Ergebnisse der diversen Ausgrabungen der ca. letzten hundert Jahre werden nachfolgend in chronologischer Reihenfolge dargestellt und die Erkenntnisse und Funde, auch in Beziehung zu den Schriftquellen, gedeutet. Die Rückverfolgung der Ausgrabungen geht auf Grund der Dokumentation nur bis 1921 zurück, vorherige Tätigkeiten werden hier kurz zusammengefasst.

Bereits ab 1691 war die Burg am Kap Arkona Thema historischer Forschung.2 Im Jahre 1860 fand der Historiker Otto Fock am Kap Arkona morsche Holzreste und angekohlte Pfähle. Die Fläche und der Burgwall wurden vermessen, sodass sich heute eine Reduktion der Fläche durch Uferabbruch von fast 60.000m2 auf nur noch 10.500m2 erkennen lässt, ebenso wie eine Verkürzung des Burgwalls von ca. 600m auf lediglich noch ca. 200m (Stand 2001).3 So begann die inzwischen über 150-jährige Geschichte von archäologischen Ausgrabungen am Kap Arkona. Hilfreich ist bei der Bearbeitung dieser Thematik außerdem die Dokumentationsdichte der örtlichen Gegebenheiten und der Abbrüche durch eine ausführliche zeichnerische und fotografische Tätigkeit; der Burgwall ist das am meisten fotografierte bzw. gezeichnete Bodendenkmal Mecklenburg-Vorpommerns.4

2. Die historischen Quellen

2.1 Helmhold von Bosau

Die Chronica Slavorum (Slawenchronik) von Helmhold von Bosau, einem Chronisten und Geistlichen, geboren um 1120 im nordwestlichen Harzvorland, wurde zwischen 1163 und 1168 wohl auf Anregung Gerolds begonnen. Die Chronik setzt mit der Bekehrung der Westslawen in der Zeit Karls des Großen ein und endet 1168, wird aber später noch bis 1170/71 fortgesetzt.5 Die „thematische Konzentration [auf die Missionierung Wagriens] erklärt sich aus der Beschaffenheit der Quellen“6 Helmholds. „Neben klass. Einflüssen und einer allg. Kenntnis reichsgesch. Q. […] aus Braunschweiger Zeit fußt sein Werk v.a. auf →Adam v. Bremen und den Viten →Willehads und →Ansgars“.7 Außerdem verarbeitet Helmhold mündliche Überlieferung Lübecker Geistlicher und eigene Erinnerungen.8 Die Slawenchronik gilt heute unumstritten als bedeutendste, schriftliche Quelle über die Slawenmission, bietet aber auch Informationen über die Reichsgeschichte und die skandinavische Geschichte des 12. Jahrhunderts.9

Besondere Bedeutung für die Geschichte Arkonas hat nun der Anfang des 2. Buches der Slawenchronik, in dem über den Einfall von Truppen unter der Führung König Waldemars I von Dänemark auf Rügen berichtet wird. Helmhold berichtet von der Zerstörung und Verbrennung der Svantevit-Statue, der Zerstörung des Tempels am Kap Arkona und der Plünderung des Tempelschatzes durch die Dänen. Weiterhin wird die Bekehrung der Ranen zum christlichen Glauben geschildert. Ferner wird das Errichten von Kirchen sowie die Einstellung von Pfarrern mitgeteilt. Helmhold führt als Zeugen seines Berichtes Bischof Absalon von Roskilde und Berno von Mecklenburg an.10 Dass diese tatsächlich dabei gewesen sind, bestätigen die noch folgenden Schriftquellen.

In den Äußerungen Helmholds spiegelt sich in der betreffenden Passage vor allem seine Glaubenszugehörigkeit – wie im Bericht eines Pfarrers nicht anders zu erwarten – in mitunter unglaubwürdiger Art und Weise betreffend seine Schilderungen bezüglich des Verhaltens der Ranen. So schreibt er:

„Er [Waldemar] befahl ihnen, von ihrem Irrglauben, in dem sie geboren waren abzulassen und den Dienst des wahren Gottes anzutreten. […]

Damals war Fürst der Rugianer Jaromar, ein edler Mann, der, nachdem er die Verehrung des wahren Gottes und den katholischen Glauben kennen gelernt hatte, eifrigst zur Taufe eilte und auch allen den Seinigen befahl, sich durch das heilige Wasser erneuern zu lassen. Er selbst aber war, als er nun Christ geworden war im Glauben so fest und in der Verkündigung des Evangeliums so beharrlich, dass man in ihm einen zweiten Paulus von Christo berufen erblickte, der, das Apostelamt verwaltend, das rohe und in tierischer Wildheit wütende Volk teils durch emsiges Predigen, teils aber auch durch Drohungen von der angeborenen Rohheit zu der ein neues Leben bringenden Religion bekehrte.“11

Zieht man einige Übertreibungen zu Gunsten des vom Chronisten bevorzugten Glaubens ab, so erhält man die Schilderung von mehr oder minder freiwilligen Taufen durch die dänischen Geistlichen. Die Bekehrung der Ranen am Kap Arkona dürfte wie auch bei vorherigen Versuchen nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis dargestellt haben und nach dem Abzug der Dänen schnell vergessen gewesen sein, wenngleich Kirchen erbaut und Geistliche angestellt wurden. Dem Bericht von Überfall, Plünderung des Schatzes und der Zerstörung von Statue und Tempel als Symbolen des heidnischen Glaubens der Ranen kann vergleichsweise problemlos geglaubt werden, wie sich in anderen schriftlichen Quellen noch zeigen wird.

Helmhold datiert die Eroberung Arkonas im Jahr 1168, gibt hiermit den einzigen Hinweis auf das Jahr der Eroberung und äußert an dieser Stelle gleichzeitig die einzige Jahreszahl in seinem Werk. Sie ist als durchaus glaubwürdig zu betrachten, da sie für einen Geistlichen ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte darstellen müsste.12 Bis heute setzt die dänische Geschichtsschreibung allerdings die Eroberung ein Jahr später an, in eben jenem Jahr aus dem die Urkunde stammt, welche belegt, dass Rügen ab diesem Zeitpunkt zum Bistum Roskilde gehörte.13

2.2 Saxo Grammaticus

Die Gesta Danorum, ab 1185 verfasst vom bedeutendsten Geschichtsschreiber des dänischen Mittelalters, Saxo Grammaticus, umfasst eine dänische Nationalgeschichte in 16 Bänden. Seine Schilderung in, zur damaligen Zeit unüblich geschliffenem Latein gilt nur als bedingt historisch glaubwürdig. Saxo war in seiner Funktion als Sekretär für Bischof Absalon von Roskilde bei der Fahrt nach Rügen möglicherweise dabei, ist also zumindest Zeitzeuge14 wenngleich vermutlich kein Augenzeuge, erhält seine Informationen aber aus erster Hand. Saxo ergreift in allen Büchern eindeutig Partei für die Dänen, Mott nennt ihn einen „dänischen Chauvinisten“15 Das Werk gilt als eine der wichtigsten Quellen für die frühe dänisch-nordische Geschichte. Die Passage über die Eroberung Rügens befindet sich im Buch 14.

Die Chronik berichtet ebenso wie schon Helmholds Slawenchronik über die Stürzung und Verbrennung der Svantevitstatue, über die Plünderung und anschließende Verbrennung des Tempels, wie von der Neuerrichtung einer christlichen Kirche. Mott stellt die These auf, dass es nicht auszuschließen sein, dass sich Helmhold und Saxo kannten, wenngleich Helmhold eindeutig anti-dänisch und Saxo nicht weniger anti-deutsch eingestellt war.16 Hierüber zu spekulieren ginge an dieser Stelle allerdings zu weit. Die Schilderung der Eroberung 1168 von Saxo ist allerdings weitaus ausführlicher als die Helmholds. So wird gleich zu Beginn des Berichts von der Taktik der Dänen berichtet, die darin bestand, die Halbinsel Wittow vom Rest der Insel abzuschneiden, um ein Eingreifen der übrigen slawischen Ranen zu Gunsten der Burg Arkona zu verhindern. Der Angriff der Dänen vollzog sich gegen das Tor bzw. den darüber gebauten hölzernen Turm, indem sie eine Lücke nutzten, in der sie Feuer legen konnten. Nach einiger Zeit, in der es den Verteidigern nicht gelang das Feuer zu löschen, da die Quelle durch die Dänen besetzt worden war, baten diese Absalon ihre Kapitulation an. Er wiederrum machte zur Bedingung, dass die Löschversuche der Verteidiger beendet würden. So geschah es laut Saxo auch und die Burg wurde übergeben, ebenso der Tempelschatz und die christlichen Geiseln der Burg. Außerdem sollten die Ranen zum christlichen Glauben konvertieren. Am Folgetag wurde die Statue gestürzt, anschließend zerteilt und zur Befeuerung des abendlichen Essens genutzt und schließlich auch der Tempel verbrannt. Saxo berichtet außerdem, die Ranen seien zu großen Teilen selbst vom heidnischen Glauben abgefallen.17

Vermutlich wird es sich eher so abgespielt haben, dass sich die Ranen in großer Furcht vor den überlegenen Angreifern haben taufen lassen, da spontane durch Gewaltanwendung beförderte Glaubensübertritte eher selten aus Glauben geschehen. Die militärischen Abläufe hingegen, welche zwar nicht besonders ausführlich beschrieben werden – für einen Geistlichen wohl weniger von Belang – wirken durchaus schlüssig und glaubhaft.

2.3 Knýtlinga saga

Die Knýtlinga saga stammt von einem nicht bekannten Autor und entstand in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf Island. Es handelt sich um eine Geschichte der dänischen Könige von Harald Blauzahn bis ca. 1201 und ähnelt in der Schilderung der Jahre ab 1147 auffällig stark der Gesta Danorum.18

Nachdem Arkona bereits 1136 durch Eric II. erobert wurde, welcher alle slawischen Ranen als bekehrt angesehen hatte, fuhr er wieder nach Hause und „sobald der König fort war, warfen sie das Christentum wieder ab und hielten danach Opfer und heidnische Gebräuche.“19 1168 erfolgte der zweite Versuch der Eroberung durch Waldemar:

„Dann war alles still für drei Jahre, bis auf Rügen wieder gesiedelt wurde. König Waldemar kam wieder nach Rügen, wo er Pfingsten ankam und die zuvor erwähnte Stadt Arkona einnahm. Dann kamen König Tetizlaf und sein Bruder Jaromar, der Fürst der Rüganer zu König Waldemar […]. Der König befahl ihnen, an das Christentum zu glauben, wie sie vorher immer an das Heidentum geglaubt hatten, das Christentum, das sie in der Zeit König Eric Emuns angenommen hatten, welcher sie getauft hatte, nachdem er die Stadt Arkona eingenommen hatte, wie zuvor berichtet wurde, sei richtig. […] Der gewählte König, Sohn Ebbesøns und einige Männer gingen mit ihm nach Arkona zum Tempel in der Stadt und er bat sie, die Statue des Svantevit zu fällen und sie aus der Burg zu nehmen und alles, was im Tempel Geld wert war, zu plündern. Aber diejenigen, die in der Zitadelle waren, wagten es nicht, da sie seinen [Svantevits] Zorn fürchteten. Dann wird der Bischof Svend und der Sohn Ebbesøn geholt und dann traf sie [die Figur] ein Seil um den Hals, und die Rüganer wurden sogar gezwungen mitzuhelfen; und als er herauskam, wunderten die Heiden sich, dass er [der Gott] sich nicht selbst helfen konnte, und hielten weniger von ihm als zuvor. Die Menschen gingen auf ihn zu, zerteilen ihn in Stücke und verbrannten ihn unter ihrem Kessel; die Rüganer erkannten dann, dass sie getäuscht wurden, und dachten nicht mehr an ihn. Bischof Absalon und die anderen Priester machten nun das Volk zu Christen, und an einem Tag wurden 1300 getauft und sie ging fort, nachdem die Menschen König und Bischof Gehorsam geschworen hatten.“20

Die Schilderung der anonym verfassten Knýtlinga saga erinnert zum einen stark an diese von Saxo; es liegt nahe, dass sich an dieser orientiert wurde, zum anderen ergreift sie ebenso für die dänische bzw. christliche Seite Partei und nennt gleich noch die Anzahl der getauften Ranen. Dass es sich vermutlich um Zwangstaufen handelt, bleibt unerwähnt. Abgesehen davon liefert diese Version des Geschehens keine wirklich neuen Informationen.

3 Die archäologischen Quellen

3.1 Ortsuntersuchung und Sondierungsgrabung 1921 (C. Schuchhardt)

Von Mitte August 1921 bis Anfang September desselben Jahres führte der Prähistoriker Carl Schuchhardt zusammen mit seinem Sohn Walter Herwig Schuchhardt, einem klassischen Archäologen und Robert Koldewey, einem wichtigen Vertreter der vorderasiatischen Archäologie eine Sondierungsgrabung durch, mit dem Ziel, den bei Saxo beschriebenen Tempel zu finden. Die Gruppe legte in dieser Zeit einige Suchschnitte und Sondagen an.21 In dem Glauben, die Fundamente des Tempels gefunden zu haben, begann mit Hilfe der Überlieferung Saxos auch die Suche nach den Fundamenten der Swantevitstatue. Schuchhardt berichtet 1926:

„Wir vermuteten sie [die Fundamentspuren] zunächst in der Mitte. Da waren sie aber nicht. Wir setzten dann unseren Versuchsgraben nach O weiter fort und fanden die Spur kurz vor der Linie des hinteren Pfosten. […] Die Spur war von einer monumentalen Deutlichkeit. Es war eine Grube von 2m Länge und 1,40m Breite, die 1,05m tief (unter den heutigen Boden) in die Erde ging. Sie war in OWlicher Richtung in drei Teile geteilt […]. Das war die Basis des Swantewitbildes gewesen, von der Saxo sagt, daß sie unter dem Boden lag, so daß die Füße dicht auf dem Boden aufstanden. Und wegen dieser kolossalen Befestigung im Erdreiche war es auch unmöglich gewesen, die Statue anders zu beseitigen als dadurch, daß man sie über den Fußknöckeln durchhieb. […] Wie hoch sie war, dürfen wir erschließen aus der Angabe des Saxo, daß sie beim Umfallen die nächste Tempelwand eingeschlagen habe. […] Sie muss also 8-9m hoch gewesen sein, um eine der Seitenwände oder die Rückwand zu erreichen.“22

Des Weiteren „meinte Schuchhardt, einen freien Raum und hinter dem Wall vier Hausreihen erkannt zu haben.“23 Dass es sich bei diesen Schlussfolgerungen um fatale Irrtümer handelte, wurde erst in der Nachgrabung von 1969-71 deutlich. Die Befunde Schuchhardts waren nicht ausreichend dokumentiert, die Profile unsauber gearbeitet und die Zeichnung glich mehr einer ungefähren Skizze, sodass das falsche Bild des Tempels Jahrzehnte lang in der wissenschaftlichen Literatur bestehen blieb.24 Schuchhardt plante noch eine Torgrabung am Wall, dazu reichten allerdings auf Grund der Inflation die finanziellen Mittel nicht mehr aus.25

3.2 Wall- und Torgrabung 1929 (W. Petzsch/G. Martiny)

1929 kam es dann doch noch zu einer Wallgrabung, im Zuge derer Teile des verbrannten Tores entdeckt wurde. Man nahm für die ursprüngliche Zerstörung der Toranlage einen Zeitraum vor der ersten Eroberung durch Dänenkönig Erich kurz vor 1100 an.26 Ein nicht unerhebliches Problem stellten im Rahmen der Grabung die weiteren Uferabbrüche des Winters 1928/29 dar, welche große Teile der Region um das Tor zerstörten.27 Die vom Preußischen Ministerium der Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft finanzierte Grabung wurde federführend durch den Greifswalder Prähistoriker und Gymnasiallehrer Wilhelm Petzsch sowie durch Dipl.-Ing. Günther Martiny aus Berlin durchgeführt. Sie dauerte von Ende Mai bis Anfang Juni und von Ende August bis Mitte September 1929, folglich insgesamt kaum mehr als insgesamt einen Monat lang, teilweise unter erschwerten Wetterbedingungen.28

In diesem Zeitraum wurde zunächst ein Wallschnitt „bis auf das Holzgerüst hinunter [...] durchgeführt. Es wurde die innere Vorhalle des Tores freigelegt, deren Holzdiele auf einer umgepackten Brandschicht ruhte.“29 Im nächsten Schritt fand eine Grabung des Walls von der Wallkrone nach unten in terassenartiger Form statt, welche wohl allerdings nicht konsequent zu Ende geführt wurde; als Begründung werden bei Martiny der Zeitfaktor sowie die Wetterverhältnisse angegeben.30 Der Wall wird beschrieben als „aufgeschütteter Erdwall von 15m Breite und 3m Höhe und einem Böschungswinkel von 30° wird von einer 5,60m breiten Holzlehmmauer überbaut. Der Wall an sich ist 6m hoch, und die eigentliche Mauer kann kaum höher als 2-3m gewesen sein. […] Die Mauer sitzt auf dem Erdwall auf. Sie besteht aus großen viereckigen Kästen von etwa 5 bis 8cm Wanddicke, die genau so gebildet sind wie die vorbeschriebene Spundwand.“31

Martiny weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei der Burgmauer nicht um eine reine Holzkonstruktion gehandelt habe, sondern um eine durch Erde, Lehm und Weidenruten ergänzte Befestigung, wie man sie von Fachwerkhäusern kennt und welche wesentlich besser vor feindlichen Brandgeschossen schützen.32 Nachdem das verbrannte Tor also gefunden wurde musste es nach der Belagerung 1136 ein neues befestigtes Tor gegeben haben, dies sei aus der Überlieferung abzulesen, schlussfolgerte Martiny. Jedoch wurde im Rahmen der Grabung keines gefunden, möglicherweise, da die betreffenden Flächen bereits durch den Abbruch zerstört worden waren.33

[...]


1 Helmhold II/12.

2 Vgl. Ruchhöft, Fred; Kock, Elke: Die Burg am Kap Arkona. Götter, Macht und Mythos (Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 7), Schwerin 2010, S. 20.

3 Vgl. Krieg, Günter: Das Flächendenkmal Arkona, Doberlug-Kirchhain 2001, S. 6.

4 Vgl. Ruchhöft, Fred: Arkona im Bild der letzten drei Jahrhunderte, in: Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 14, 2007, S. 52.

5 Vgl. Berg, Dieter: Helmhold von Bosau, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, 1981, Sp. 976–977 und Ehbrecht, Wilfried, Helmhold von Bosau, in: LexMa Bd. 4, 2002, Sp. 2124–2125.

6 Berg 1981, Sp. 977.

7 Ehbrecht 2002, Sp. 2125.

8 Vgl. Berg 1981, Sp. 978.

9 Vgl. Berg 1981, Sp. 2125 und Ehbrecht 2002, Sp. 978.

10 Vgl. Helmoldus: Slawenchronik (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 19), Darmstadt 21963, II/108.

11 Helmboldus, II/108.

12 Vgl. Ruchhöft 2010, S. 11.

13 Vgl. Ruchhöft 2010, S. 11.

14 Vgl. Volz, Karl-Reinhard: Saxo Grammaticus, in: LexMa Bd. 7, 2002, S. 1422–1423.

15 Mott, Richard: Helmhold und Saxo. In: Hansen, Birk (Hg.): Venner og fjender - dagligliv ved Østersøen 700-1200. Freunde und Feinde - Alltagsleben an der Ostsee 700-1200 (Ausstellungen zur Archäologie in Lübeck 7), Lübeck 2004, S. 103.

16 Vgl. Mott 2004, S. 106.

17 Vgl. Saxo: Zeeberg, Peter; Engelhardt, Maja Lisa, Saxos Danmarkshistorie, København 12000, 14/39/1-46.

18 Ehrhardt, Harald, Knýtlinga saga, in: LexMa Bd. 5, 2002 Sp. 1241–1242.

19 Vgl. Knýtlinga saga, Kap 101, zitiert nach Baetke/Thule XIX, S. 346 in: Petzsch, Wilhelm; Martiny, G., Wall und Tor der Tempelfeste Arkona, in: Praehistorische Zeitschrift 11/3/4, 1930, S. 239-239.

20 Knýtlinga saga, entnmmen von: http://heimskringla.no/wiki/Knytlinga_Saga_%28C.C.Rafn%29, eigene Übersetzung.

21 Vgl. Schuchhard, Carl: Arkona, Rethra, Vineta. Ortsuntersuchungen und Ausgrabungen, Berlin 219261926, S. 17.

22 Schuchard 1926, S. 21-22.

23 Herrmann, Joachim: Arkona auf Rügen. Tempelburg und politisches Zentrum der Ranen vom 9. bis 12. Jh. Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen 1969-1971, in: ZfA 8, 1974, S. 182.

24 Vgl. Ruchhöft, Fred; Kock, Elke: Die Burg am Kap Arkona. Götter, Macht und Mythos (Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 7), Schwerin 2010, S. 25.

25 Vgl. Schuchard, 1926, S. 22.

26 Vgl. Petzsch, Wilhelm; Wilde, Karl August: Ein Wikingerwaffenfund von Arkona, Ausgrabungen auf dem Schloßberg von Gützkow (Mitteilungen aus der Sammlung Vorgeschichtlicher Altertümer der Universität Greifswald), Greifswald/Bamberg 1935, S. 8.

27 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 248.

28 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 248-249.

29 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 248.

30 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 253.

31 Petzsch/Martiny 1930, S. 256.

32 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 257-258.

33 Vgl. Petzsch/Martiny 1930, S. 258.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Tempel, Burg, Wall, Kulthalle? Arkona in historischen und archäologischen Quellen im Spiegel der Forschungsgeschichte
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Ur- und Frühgeschichte)
Veranstaltung
Mecklenburg-Vorpommern vom 10. bis zum 12. Jahrhundert
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
24
Katalognummer
V320809
ISBN (eBook)
9783668200487
ISBN (Buch)
9783668200494
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Archäologie, Kap Arkona, Ausgrabung, Mittelalter, Ranen, Slawen, Ostslawen, Dänen, Slawenchronik, Gesta Danorum, Saxo Grammaticus, Helmhold von Bosau, Grabungsgeschichte
Arbeit zitieren
Birte Katrin Jensen (Autor:in), 2016, Tempel, Burg, Wall, Kulthalle? Arkona in historischen und archäologischen Quellen im Spiegel der Forschungsgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320809

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