Kinderarmut in Deutschland. Welche Gegenmaßnahmen kann die Soziale Arbeit zur Verringerung aufbringen?


Bachelorarbeit, 2012

78 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definition von Armut
2.1 Absolute und relative Armut
2.2 Lebenslagenansatz

3 Ursachen von Kinderarmut
3.1 Auflösung der klassischen Familie
3.2 Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses
3.3 Zusammenfassung

4 Auswirkungen von Armut auf die Lebenslage von Kindern
4.1 Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit bei Kindern
4.2 Auswirkungen von Armut auf die Bildung von Kindern
4.3 Auswirkungen von Armut auf die soz. Kontakte & Netzwerke von Kindern .
4.4 Zusammenfassung

5 Gegenstandsbeschreibung der Sozialen Arbeit

6 Gegenmaßnahmen in der Sozialen Arbeit

7 Resilienz im Kontext von Kinderarmut und pädagogischer Intervention
7.1 Resilienzkonzept im Kontext von Kinderarmut
7.2 Förderung der Resilienz in der pädagogischen Intervention
7.3 Zusammenfassung

8 Offene Kinder- und Jugendarbeit
8.1 Begriffsdefinition: Offene Kinder- und Jugendarbeit
8.2 Rechtliche Grundlage der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.3 Zielgruppe der offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.4 Aufgaben der offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.5 Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.5.1 Konzeptionelle Ansätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.5.1.1 Klassische Arbeitsprinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.5.1.2 Subjektorientierte Offene Kinder- und Jugendarbeit
8.5.1.3 Sozialraumorientierte Offene Kinder und Jugendarbeit
8.5.1.4 Bildungsorientierte Offene Kinder- und Jugendarbeit
8.5.2 Ziele der offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.6 Anwendung der Resilienzförderung am Beispiel der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
8.7 Zusammenfassung

9 Straßensozialarbeit
9.1 Begriffsdefinition: Straßensozialarbeit
9.2 Rechtliche Grundlage der Straßensozialarbeit
9.3 Zielgruppe der Straßensozialarbeit
9.4 Angebote der Straßensozialarbeit
9.4.1 Konzeptionelle Ansätze der Straßensozialarbeit
9.4.1.1 Handlungsprinzipien der Straßensozialarbeit
9.4.1.2 Methoden der Straßensozialarbeit
9.4.1.3 Tätigkeitsschwerpunkte der Straßensozialarbeit
9.5 Ziele der Straßensozialarbeit
9.6 Zusammenfassung

10 Gegenüberstellung der Offenen Kinder- & Jugendarbeit zur Straßensozialarbeit .

11 Abschlussresümee und Ausblick

12 Abkürzungsverzeichnis

13 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die Benachteiligungen in den unterschiedlichen Lebenslagen der von Armut betroffenen Kinder zu beleuchten und zu hinterfragen, inwieweit die Soziale Arbeit in der Lage ist, diese Benachteiligungen auszugleichen bzw. abzumildern. Die Kernfrage dieser Arbeit soll lauten: ÄWelche Gegenmaßnahmen kann die Soziale Arbeit zur Verringerung von Kinderarmut aufbringen“?

Das Thema Kinderarmut ist ein aktuelles Thema, das immer mehr in den Vordergrund tritt, denn ca. 14-18% der Kinder in der BRD gelten als arm (vgl. Pioch 2011, S. 22). Aufgrund der Tatsache, dass die BRD eines der reichsten Industrieländer der Erde ist und der Wohlstand von Jahr zu Jahr wächst, ist es schon fast paradox, auf Kinderarmut aufmerksam zu machen. Im zunehmenden Maße macht sich das Phänomen Kinderarmut auch im reichen Deutschland breit, wobei sie auch nicht vergleichbar ist mit der absolu- ten Kinderarmut (vgl. Kapitel 2.1) in Afrika, Asien oder Südamerika, den sogenannten Entwicklungsländern. Die Kinderarmut nimmt in Deutschland erheblich zu. Natürlich gab es auch in Deutschland schon immer arme Kinder. Aufgrund ihrer geringen Zahl kamen sie in der Öffentlichkeit nur selten zum Vorschein. Spätestens seit der Einfüh- rung der Hartz-IV-Reform im Jahre 2005 ist Kinderarmut zu einem gesamtgesellschaft- lichen Problem geworden. Mit der Hartz-IV-Reform gehen die größten Kürzungen von Sozialleistungen seit 1949 einher. (Vgl. Geißler 2004, S. 28)

ÄMan muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass mit der Arbeitslosigkeit auch die Armut im Gefolge der globalen Finanz-, Wirtschafts-, und Währungskrise stark zunehmen wird“ (vgl. Butterwegge 2009, S. 8). Aufgrund dieser Tatsache muss über Kinderarmut in Deutschland gesprochen werden, um Veränderungen herbeizuführen. Nach wie vor leugnet bzw. verdrängt die Gesellschaft das Problem der Kinderarmut (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2005, S. 10).

Aus dem Ergebnis einer Studie aus dem Jahre 2012 des Paritätischen Wohlfahrtsver- bands ging hervor, dass in Deutschland jedes siebte Kind unter 15 Jahren von Hartz-IV- Leistungen lebt, in Ostdeutschland ist es jedes vierte Kind. In Berlin ist sogar jedes drit- te Kind auf Hartz IV angewiesen. (Vgl. SPIEGEL-ONLINE 2012) Viele arme Men- schen wissen gar nicht, dass ihnen Hilfe vom Staat zusteht und nicht wenige scheuen den Gang zum Amt aus Stolz, Scham oder Furcht vor der Stigmatisierung als Almosen- empfänger (vgl. Geißler 2004, S. 28). Somit werden aus genannten Gründen viele Leis- tungsberechtigte in den offiziellen Statistiken gar nicht erfasst, vermutlich ist dadurch die Dunkelziffer der von Armut betroffenen Kinder um ein Vielfaches höher. In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, was gegen die zunehmende Verar- mung von Kindern und deren Familien getan werden kann. Kinder bedürfen bereits entwicklungsbedingt besonderer Zuwendungen, Hilfen und Ressourcen orientierte Ent- wicklungsunterstützungsbegleitung, denn sie sind es, die ohne ihr Zutun in Armut gera- ten und leiden stärker als Erwachsene unter deren Folgen (vgl. Butterwegge 2000, S. 271). Bereits seit Beginn der Sozialen Arbeit ist Armut eines ihrer zentralen Themen. Das Ausmaß, der in Armut lebenden Kinder, ist erschreckend hoch. Betroffene sind Er- werbslose im Äbesten Lebensalter“, Menschen mit unzureichendem Arbeitseinkommen, alleinerziehende Frauen, kinderreiche Familien und Migrantinnen (vgl. Chassé, Zander, Rasch 2010, S. 11).

Die Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit bestehen darin, die Lebenssituation dieser Kinder zu verbessern, vorhandene Ressourcen weiter zu fördern und ihnen realis- tische Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Die Auswirkungen von Kinderarmut sind erst zu verstehen, wenn die von Armut betroffenen Kinder mit einbezogen bzw. deren Le- benslage näher betrachtet werden. Armut sollte als ein mehrdimensionales Problem be- trachtet werden, dass nicht nur die materielle Versorgung betrifft, sondern auch alle im- materiellen Lebensbereiche mit einbezieht. Diese Sichtweise hat enorme Auswirkungen bzw. Konsequenzen auf die Lebenssituation von Kindern. Dies können gesundheitliche Einschränkungen (häufigeres Vorkommen von chronischen Krankheiten), schlechtere Schulleistung, geringere Integration in Peer-groups1 geringeres Aktivitätsniveau, prob- lematisches Selbstwertgefühl sein. (Vgl. ebd.)

Die vorliegende Arbeit ist in elf Kapitel untergliedert, die im Folgenden näher beschrieben werden:

Das zweite Kapitel beginnt mit der Definition des Begriffs Armut und der aktuellen Situation in der BRD. Dabei werden neben den Begriffen relative und absolute Armut auch den Lebenslagenansatz herausgearbeitet.

Im dritten Kapitel werden die ursächlichen Faktoren von Kinderarmut genannt. Um herauszuarbeiten, dass die Gründe für Armutslagen oft in den äußeren Verhältnissen wie z.B. Familie oder Beruf der von Armut Betroffenen begründet liegen.

Die Auswirkungen von Kinderarmut auf die unterschiedlichen Lebenslagen werden im vierten Kapitel näher beschrieben. Diese sollen verdeutlichen, dass ein Aufwachsen in Armutslagen, Auswirkung auf die Lebensbereiche Gesundheit, Bildung sowie sozialen Kontakten haben und die Zukunftschancen der in Armut lebenden Kinder gefährden können.

Das fünfte Kapitel widmet sich der Gegenstandbeschreibung der Sozialen Arbeit. Hier soll aufgezeigt werden, was Soziale Arbeit überhaupt ausmacht und wo die nachfolgenden Gegenmaßnahmen konzeptionell einzuordnen sind.

Die Ausführungen des sechsten Kapitels bilden die Einführung zum Schwerpunkt dieser Thesis, nämlich zu den Gegenmaßnahmen in der Sozialen Arbeit.

Das siebte Kapitel befasst sich mit dem Bewältigungsverhalten von Kindern in prekären Lebenslagen. Hier wird ausgehend von der Resilienz der Frage nachgegangen, wie gelingt es Kindern, trotz widriger Umstände sich normal bzw. gesund zu entwickeln? Hier wird aufgezeigt, wie in der pädagogischen Intervention die Widerstandsfähigkeit von Kindern gefördert werden kann.

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit wird im achten Kapitel näher betrachtet. Es wird begonnen mit einer Begriffsdefinition und anschließend werden die relevanten gesetzlichen Grundlagen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit erläutert. Darauf aufbauend werden dann die Zielgruppe sowie die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit benannt, um dann die konzeptionellen Ansätze aufzuzeigen. Die Ziele der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie die Anwendung der Resilienzförderung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit runden dieses Kapitel ab.

Die Straßensozialarbeit bildet das achte Kapitel. Aufbauend auf einer Begriffsdefiniti- on erfolgt die Betrachtung der gesetzlichen Grundlagen. Anschließend werden die Ziel- gruppe sowie die Angebote der Straßensozialarbeit benannt, um dann die konzeptionel- len Ansätze aufzuzeigen. Die Ziele der Straßensozialarbeit schließen dieses Kapitel ab.

Das zehnte Kapitel befasst sich mit einer Gegenüberstellung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zur Straßensozialarbeit, um deutlich zu machen, inwieweit diese beiden Maßnahmen in der Lage sind, Kinderarmut entgegenzuwirken.

Das elfte Kapitel beendet diese Arbeit mit einem Abschlussresümee und einem Aus- blick.

Es sei darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit vorwiegend die männliche Schriftform verwendet wird, da die deutsche Sprache nicht über geschlechtsneutrale Begriffe verfügt. Es sei aber betont, dass damit keine Wertung verbunden ist und sich die weibliche Leserin mit meinend angesprochen fühlen darf.

2 Definition von Armut

Armut ist nicht immer eindeutig definierbar, da sie nicht objektiv betrachtet werden kann. In der Fachliteratur finden sich zahlreiche Möglichkeiten, Armut zu definieren. Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Begriff der Armut einmal mit Hilfe von Statisti- ken und Erhebungen, der relativen und absoluten Armut und zum anderen mit Hilfe der subjektiven Armutsempfindung, dem sogenannten Lebenslagenansatz. Im vorliegenden Kapitel wird Armut differenziert beschrieben und das Lebenslagenkonzept dargestellt.

2.1 Absolute und relative Armut

Von absoluter Armut wird gesprochen, wenn es Menschen an lebensnotwendigen Grundlagen wie z.B. Nahrung, Kleidung und Wohnung mangelt. In den Wohlfahrtsstaa- ten wie der BRD wird davon ausgegangen, dass es nur einen sehr geringen Anteil von Menschen gibt, die von absoluter Armut betroffen sind (vgl. Klocke 2001, S. 4). An dieser Stelle stellt sei angemerkt, dass in Deutschland zur Erfassung der Armut andere Maßstäbe angesetzt werden müssen als z. B. in der dritten Welt, in der viele Menschen unter ständigem Hunger leiden und damit von der absoluten Armut betroffenen sind. In der BRD wird daher nicht von der absoluten Armut, sondern es wird zumeist von der relativen Armut ausgegangen (vgl. ebd.).

Die relative Armut betrachtet die Unterversorgung von Menschen bzw. Haushalten bestimmter sozialer Schichten im Verhältnis zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Grundlage hierfür ist das durchschnittliche Einkommen der jeweiligen Bevölkerung, das sogenannte Äquivalenzeinkommen. Nach der EU-Definition befindet sich jemand in relativer Armut, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens beträgt (vgl. Gerull 2006). Arm ist also, wer weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat.

Die 60 Prozentige - Armutsrisikoschwelle für Alleinerziehende mit einem Kind unter 15 Jahren lag 2006 bei ca. 1144 Euro (davon 880 Euro Elternanteil und 264 Euro Kinder- anteil) (vgl. Hübenthal 2009, S. 10). Diese Summe von 1144 Euro wird benötigt, um nicht unterhalb der Armutsrisikoschwelle zu fallen und damit von relativer Armut be- troffen zu sein. Im Jahre 2000 waren 15,7 Prozent der Kinder unter 15 Jahren vom Ar- mutsrisiko betroffen, während es 2006 schon 26.3 Prozent waren. Das Armutsrisiko für Kinder ist in diesem benannten Zeitraum um zwei Drittel gestiegen. (Vgl. Hübenthal 2009, S. 10)

2.2 Lebenslagenansatz

Der Begriff der Lebenslage wurde in Deutschland voranging von Gerhard Weisser geprägt, dessen Definition auf einen Ansatz von Otto Neurath zurückgeht, der die Lebenslage 1931 definierte als: Ä(...) Inbegriff all der Umstände, die verhältnismäßig unmittelbar die Verhaltensweise eines Menschen, seinen Schmerz, seine Freude bedingen. Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheit, Bücher, Theater, freundliche menschliche Umgebung, all das gehört zur Lebenslage (...)“ (Reichwein 2012, S. 32).

Das Einkommen allein reicht zur Erfassung der Armut nicht aus, vielmehr ist es in Rela- tion zu weiteren Lebensbereichen wie Arbeit, Bildung, Wohnen, Wohlbefinden, Gesund- heit und soziale Netzwerken zu sehen, um die genaue Unterversorgungslage der Betrof- fenen erfassen zu können. Der Lebenslagenansatz geht also über die Einkommenssitua- tion hinaus und versucht durch eine mehrdimensionale Herangehensweise, dem Begriff Armut gerecht zu werden.

Es geht insbesondere darum, welche materiellen und immateriellen Ressourcen zur Verfügung stehen, damit eine Einzelperson, eine Familie oder ein Haushalt das Leben individuell und menschenwürdig gestalten kann. Demnach bezeichnet man einen Menschen als arm, der über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel (ÄSpielräume“) verfügt, dass er von der Lebensweise ausgeschlossen ist, die in der Gesellschaft in der er lebt, als Minimum anzusehen ist. Dieses Ausgeschlossensein zeigt sich in einer Vielzahl von Unterversorgungslagen und dem be- oder verhinderten Zugang zu verschiedenen Bereichen des Lebens (vgl. Mühlhaupt 2003):

-‡ Immer schwieriger werdender Zugang zu Bildung und damit zu einer dauerhaf- ten Arbeit,
‡- Auswirkungen auf die Familie und das soziale Umfeld,
-‡ Unterversorgung im Bereich des Wohnens und der Gesundheit sowie
-‡ eingeschränkte oder verhinderte Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben (ebd.).

Der Lebenslagenansatz gilt als der umfassendste bei der Beschreibung von Armut, aller- dings gibt es auch Kritik an dem Konzept. Diese Kritik betrifft die praktische Umsetz- barkeit. Durch die multidimensionale Sichtweise ist eine Operationalisierung und damit die Messbarkeit von Armut nicht leicht durchzuführen (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng, 2008, S. 137).

Im Hinblick auf Kindermut in Deutschland entspricht bzw. spiegelt dieser Ansatz wahrscheinlich eher die Alltagswirklichkeit von Kindern wieder, da dieser durch die mehrdimensionale Herangehensweise, dem Begriff Armut am ehesten gerecht wird. In der vorliegenden Arbeit wird deswegen auch auf die unterschiedlichen Lebenslagen der von Armut betroffenen Kinder geschaut.

3 Ursachen von Kinderarmut

Kinder und Jugendliche sind abhängig von der Lebenslage ihrer Eltern. Aus diesem Grund wird bei den Ursachen der Fokus auf die Lebenssituation der Eltern gerichtet.

Im Folgenden soll untersucht werden, wo die Gründe der Kinderarmut liegen könnten. Dabei wird der Blick auf die Auflösung der klassischen Familie und auf die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses gerichtet. Sicherlich spielen noch andere Ursachen eine Rolle, die im Folgenden der Knappheit halber nur kurz angerissen werden. Kinder und Jugendliche sind nicht zuletzt deshalb stark von Armut betroffen, weil das Projekt eines Um- bzw. Abbaus des Sozialstaates auf Kosten vieler Eltern geht, die weniger Absiche- rung als vorherige Generationen genießen. (Vgl. Butterwegge 2005, S. 6) Eine weitere Ursache, warum Kinder in Armut leben, ist die Arbeitslosigkeit, insbesondere der Lang- zeitarbeitslosigkeit der Eltern. ÄUnter den Arbeitslosen beträgt die Armutsgefährdungs- quote 43%, d.h. 43% der Arbeitslosen sind von Armut betroffen“ (Pioch 2011, S. 21). Aufgrund von verschiedenen empirischen Untersuchungen, u. a. den Armutsberichten der Bundesregierung wird deutlich, dass hauptsächlich Personen von Armut betroffen sind, die in unserer Gesellschaft am unteren Ende der Machthierarchie unserer Klassen- gesellschaft stehen. Ungünstige Bildungs- und Arbeitsverhältnisse begünstigen diesen Prozess und führen zur sozialen Ausgrenzung durch die Einschränkung ihrer Teilhabe- möglichkeiten und durch Diskriminierungs- und Stigmatisierungsprozesse (vgl. Becher 2005, S. 96).

3.1 Auflösung der klassischen Familie

Das Sozialstaatsprinzip der BRD beruht vorwiegend auf dem Prinzip traditioneller Familienformen, also Kleinfamilien oder auch Kernfamilien mit (zumindest) einem Haupternährer. Diese Familienform wird seit den 1950er Jahren hauptsächlich praktiziert und wurde seitdem kaum hinterfragt. (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 69) Erst im Zuge der neoliberalen Globalisierung, verliert die Normalfamilie an gesellschaftlicher Bedeutung. Stattdessen treten andere Liebes- und Lebensformen wie EinElternteil-Familie, Patchwork-Familie, nicht eheliche und gleichgeschlechtliche Partnerschaften in den Vordergrund, welche oftmals auf weniger materielle Sicherheit zurückgreifen können. (Vgl. Butteregge 2008, S. 69)

Die Auflösung der Normalfamilie führt die einschlägige Literatur vorwiegend auf die Individualisierungsprozesse2 zurück, die dadurch eine ÄPluralisierung der Lebenssti- le“ auslösen (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 71). Unter Pluralisierung der Lebensstile wird die ÄZunahme von gruppen-, milieu- und situationsspezifischen Ord- nungsmustern zur Organisation von Lebenslage, Ressourcen und Lebensplanung“ ver- standen (ebd.). Für die traditionelle Familie waren Kinder ein ökonomischer Gewinn, während heutzutage ein Kind eine erhebliche finanzielle Belastung für die Eltern in un- terschiedlichen Liebes- und Lebensformen bedeutet (vgl. a.a.O., S. 70).

Die finanzielle Belastung für die Eltern hängt auch bedingt mit den gegenwärtigen prekären Arbeitsmarktverhältnissen (siehe Kap. 3.2) zusammen. Arbeitnehmer sollen heutzutage enorm flexibel und belastbar sein und gleichzeitig eine Familie gründen und Kinder erziehen. Da dieser Balanceakt unter den gegebenen Umständen nicht durchführbar ist, entscheiden sich viele Menschen gegen die Gründung einer Familie oder können eben in Armut verfallen. (Vgl. a.a.O., S. 67)

Die traditionelle Familie gilt nach wie vor als angestrebte Lebensform. Rund zwei Drit- tel aller Ehen bleiben zusammen und rund vier Fünftel aller Kinder verbringt ihre Ju- gend in Gesellschaft ihrer leiblichen Eltern. (Vgl. a.a.O., S. 73) Mit der Trennung einer Ehe ergeben sich wesentliche wirtschaftliche Veränderungen, infolge der Trennung steigt die Armutsquote im Vergleich zur Ausgangslage auf mehr als das doppelte an. Hierbei trifft das erhöhe Armutsrisiko vor allem die Frauen und Kinder. (Vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 74) In diesen Haushalten kann nur eine Person er- werbstätig sein und aufgrund der derzeit gegebenen Betreuungssituation zumeist nur eingeschränkt (vgl. BMFSFJ 2008, S. 13).

Im Folgenden wird kurz auf die Ein-Elternteil-Familie eingegangen. Inzwischen gibt es mehr Ein-Elternteil-Familien als Paarhaushalte mit drei Kindern in der BRD. Insgesamt leben 2,5 Mio. Alleinerziehende mit 3,6 Mio. Kindern in Deutschland. (Vgl. Pioch 2011, S. 21) Laut OECD (Organisation for Economic Co- operation and Development) sind größtenteils Alleinerziehende von Armmut betroffen. So bezieht sich SPIEGEL- ONLINE zum Thema Kinderarmut auf eine OECD-Studie: ÄVor allem Kinder, die nur mit einem Elternteil leben, sind der Studie zufolge von Armut betroffen. So liegt die Armutsrate unter Alleinerziehenden in Deutschland bei 40 Prozent...“ (SPIEGEL- ONLINE 2009, S. 1) Die OECD hat die Untersuchung nach folgenden Kriterien durch- geführt: Ä Die Organisation hatte die Lebensbedingungen von Kindern bis zum Alter von 15 Jahren in den 30 OECD-Mitgliedsländern im Hinblick auf Wohlbefinden und Chancengleichheit untersucht. Begutachtet wurde unter anderem (!) die finanzielle Aus- stattung der Haushalte, die medizinische Versorgung und die elterliche Zuwen- dung“ (SPIEGEL-ONLINE 2009, S. 1). Die zunehmende Auflösung der klassischen Familie kann zur Folge haben, dass oftmals nur noch ein Elternteil wie im Beispiel auf- geführt, für das Wohlbefinden des Kindes aufkommen muss, was mit finanzieller Mehr- belastung einhergeht und dadurch zur Kinderarmut beitragen kann.

3.2 Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses

ÄDie Zahl der Erwerbstätigen in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen sei in den vergangenen zehn Jahren um 1,5 Millionen gesunken. Neue oder atypische Beschäftigungsformen stiegen in diesem Zeitraum um 2,6 Millionen an“ (Grigat 2008, S. 278). Zu den Formen atypischer Beschäftigung zählen Teilzeitbeschäftigung mit 20 und weniger Wochenstunden, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung und die sogenannte Zeitarbeit, auch Leiharbeit genannt (vgl. ebd.).

Die zunehmende Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses trägt nach einer Expertise von Hübenthal (2009, S. 26) zu einem geringeren Einkommen bei: ÄDie fortschreitende Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, also der im Idealfall lebenslange Voll- zeitbeschäftigung, spiegelt sich in einer steigenden Anzahl von Erwerbslosen sowie von prekären und befristeten Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnissen wider, die den Beschäf- tigten und deren Familienangehörigen kein ausreichendes Einkommen sichern (Äwor- king poor“) “. ÄWorking poor“ bedeutet, dass man trotz Arbeit in Armut lebt. Die Einführung von Mindestlöhnen wäre eine sinnvolle Maßnahme, um diesem Problem entgegenzuwirken (vgl. Butterwegge 2009, S. 283). Die Höhe des Einkommens be- stimmt wesentlich das Ausmaß von Teilhabechancen. Niedrige Löhne können Betroffe- ne von der gesellschaftlichen Teilhabe ausschließen. (Vgl. BMAS 2008, S. 75)

Die Lebensläufe, insbesondere die der jüngeren Menschen, ähneln immer häufiger Fli- ckenteppichen, die mit den kontinuierlichen Erwerbsbiografien früherer Generationen fast kaum noch Gemeinsamkeiten haben (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 68).

Butterwegge, Klund, Zeng (vgl. ebd.) prognostizieren, dass Normalarbeitsverhältnisse langfristig gesehen eher zur Ausnahme werden, da ÄAutomatisierung, Computerisierung und Digitalisierung des Produktionsprozesses bzw. eine per Regierungspolitik forcierte Deregulierung und Flexibilisierung zusammen mit der … Massenarbeitslosigkeit das Normalarbeitsverhältnis so weit aushöhlen, dass es künftig nicht mehr als Garant der Absicherung elementarer Lebensrisiken fungieren kann“. Nach einer Studie des Nürn- berger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist jeder 2. neue Arbeits- vertrag in Deutschland nur noch befristet. Der Grund dafür liegt in der so gewonnen Flexibilität, die sich die Unternehmen dadurch versprechen. (Vgl. FOCUS-ONLINE 2010)

Wenn die Erwerbsarbeit für einige nur in befristeten Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnis- sen ausgeübt werden kann oder gar ganz wegfällt, bleibt oft nur noch der Weg zur Ar- beitsagentur, um finanzielle Unterstützung zu den geringen Löhnen zu bekommen, was besonders Familien und Alleinerziehenden mit Kindern an den Rand der Armut bringen kann. ÄDas größte Armutsrisiko tragen Kinder, deren Eltern nicht oder nur geringfügig beschäftigt sind“ (Butterwegge 2009, S. 281). Die prekären Arbeitsmarktbedingungen tragen zum einen nicht zu einem ausreichenden Einkommen für Familien mit Kindern bei und zum anderen erschweren sie die Familienplanung bzw. Erhaltung enorm. Die Familien mit Kindern sind oftmals an ihren Wohnort und an einen geregelten Tagesab- lauf gebunden und können dadurch nicht flexibel auf die neuen und atypischen Beschäf- tigungsverhältnisse reagieren.

Deutlich wird, dass Niedriglohnbeschäftigte in einem atypischen Beschäftigungsver- hältnis ein potenzielles Armutsrisiko haben. Allerdings hängt dieses wiederum von wei- teren Faktoren ab, so muss das gesamte Haushaltseinkommen mitberücksichtigt werden. Ausschlaggebend sind, welche finanziellen ergänzenden Leistungen hinzukommen, wie z.B. das Kindergeld, auch hier ist der zeitliche Faktor bedeutsam. Befindet sich die Per- son nur für eine kurze Verweildauer im Niedriglohnbereich, hat das meistens keine grö- ßeren oder längerfristigen Folgen. Allerdings haben Längsschnittuntersuchungen ge- zeigt, dass die meisten Personen die im Niedriglohnbereich angesiedelt sind, auch lang- fristig in dieser Position bleiben. (Vgl. Bäcker u.a. 2008, S. 236ff.)

3.3 Zusammenfassung

Als eine Ursache für Kinderarmut kann die Auflösung der sogenannten ÄNormalfami- lie“ genannt werden. An dieser Stelle ist eine andere Form des Zusammenlebens getre- ten, wie z.B. Ein-Elternteil-Familie oder auch Patchwork-Familie. Es ist zu einer Diffe- renzierung und Pluralisierung der Lebens- und Familienformen gekommen. Die daraus entstandenen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens insbesondere die der Ein- Elternteil-Familie haben zur Folge, dass nur noch eine Person, in der Regel die Mutter, für das Wohlbefinden des Kindes aufkommen muss und dadurch oftmals weniger finan- zielle Sicherheiten vorhanden sind. Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses trägt als zweite Ursache größtenteils zur Verbreitung von Kinderarmut bei. Normalarbeits- verhältnisse werden langfristig eher zur Ausnahme werden, stattdessen treten prekäre und befristete Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnissen in den Vordergrund. Das Armutsri- siko ist bei den Kindern am Größten, deren Eltern nicht oder nur in prekären Beschäfti- gungsfeldern arbeitet, da oftmals das Einkommen für die Familie nicht mehr ausrei- chend ist. Das Einkommen bestimmt heutzutage nicht nur die Familienplanung, sondern bestimmt auch über das Ausmaß von Teilhabechancen innerhalb der Gesellschaft.

4 Auswirkungen von Armut auf die Lebenslage von Kin- dern

Aus den vorangegangen Kapiteln wurde ersichtlich, dass Kinder und Jugendliche von der Lebenssituation ihrer Eltern oder anderen Sorgenden bzw. Erziehenden abhängig sind. Armut und soziale Benachteiligung haben Auswirkungen auf die Lebenswelt und das Aufwachsen von Kindern. Die unterschiedlichen Lebenslagen werden im folgenden Kapitel beschrieben. Der Blick fällt zunächst auf den Kontext Armut und Ernährung und den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen, bevor er auf den Zusammen- hang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungsverlauf fällt. Abschließend fällt der Blick auf die sozialen Kontakte und Netzwerke von armen Kindern, um die mögli- chen Auswirkungen bei einem Mangel an sozialen Kontakten bzw. Netzwerken zu ana- lysieren.

4.1 Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit bei Kin- dern

Die Mehrzahl der Kinder in Deutschland wächst gesund auf. Die Kinder, die mit Krankheiten und Gesundheitsstörungen zu tun haben, kommen vermehrt aus sozial benachteiligten Familien (vgl. BMAS 2008, S. 107).

Butterwegge (vgl. 2000, S. 16) stellte in diesem Kontext weiter fest, dass materielle und soziale Armut auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben. So treten verschiedene akute Krankheiten deutlich häufiger bei Kindern aus unteren sozialen Schichten auf, insbesondere die Prävalenz chronischer Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, zerebrales Anfallsleiden sowie Fehler und Erkrankungen des Herzens (vgl. BMAS 2009, S. 107). Ebenfalls ist der Anteil derer, die an Allergien leiden ebenfalls relativ hoch (vgl. Jungbauer-Gans, Kriwy 2004, S. 13).

Laut den Einschulungsuntersuchungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind Kin- der aus sozial schwächeren Familien deutlich stärker von körperlichen wie psychischen Entwicklungs- und Gesundheitsstörungen betroffen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Seh- und Sprach-, wahrnehmungs- und psychomotorischen Störungen, intellektuel- len Entwicklungsverzögerungen, emotionalen und sozialen Störungen sowie psychiatri- schen Auffälligkeiten. (Vgl. BMAS 2008, S. 107) Außerdem sind die unteren sozialen Schichten überproportional von Behinderungen betroffen (vgl. Jungbauer-Gans, Kriwy 2004, S. 12).

Es lässt sich demzufolge die These aufstellen, dass es einen Zusammenhang zwischen materieller Armut und den daraus abzuleitenden belastenden Lebensbedingungen geben muss. Die belastenden Lebensbedingungen wiederum können Auswirkungen auf die Gesundheit bzw. auf das Gesundheitsverhalten von armen Familien oder Kinder haben. (Vgl. Klundt, Zeng 2002, S. 40)

Zu einer gesunden Entwicklung eines Kindes gehört auch immer eine ausgewogene Ernährung. Doch gerade bei dem Ernährungsverhalten von Armut betroffenen Familien wird sichtbar, dass oftmals eine inadäquate Ernährungsform zum Tragen kommt. Bene- cke und Vogel (2003, S. 14) sagen dazu: ÄDurch den oftmals vorhandenen Geldmangel in den unteren Schichten wird weniger Geld für Nahrung aufgewendet. Das hat häufig zur Folge, dass weniger Frischgemüse und Obst sondern mehr Konserven und Fertigge- richte mit einem relativ hohen versteckten Fettanteil gekauft und konsumiert werden“.

Materiell benachteiligte Familien befinden sich demnach in einem Dilemma, selbst wenn sie auf eine adäquate Ernährung achten würden, könnten sie es sich nicht leisten. Zahlreiche Ernährungswissenschaftler weisen darauf hin, dass die materiellen Ressourcen z. B. von Sozialhilfeempfängern eine ausreichende und ausgewogene Ernährung entsprechend den Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als fast unmöglich erscheinen lassen (vgl. Trabert 2008, S. 55).

Die hohen Fettanteile im Essen haben dann zur Folge, dass viele von Fettleibigkeit betroffen sein können. Übergewicht und Adipositas treten deutlich häufiger in den von Armut betroffenen Familien auf (vgl. Benecke, Vogel 2003, S. 14).

Natürlich trägt nicht nur das ungesunde Ernährungsverhalten zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit bei, sondern auch mangelnde Bewegung. Viele Tätigkeiten der Kinder und Jugendlichen werden nur noch im Sitzen ausgeübt, wie z.B. stundenlanges Fernse- hen. Der Fernsehkonsum variiert dabei erheblich mit dem familiären Wohlstand. Jungen wie Mädchen am unteren Ende des Wohlstandsgefälles sitzen im Vergleich zu den am besten gestellten Gleichaltrigen mehr als doppelt so oft vor dem Fernseher (vgl. Lam- pert 2005, S. 113). Der Bewegungsmangel könnte abgesehen von anderen Ursachen eventuell damit zusammenhängen, dass im Lebensumfeld benachteiligter Kinder kaum adäquaten Spiel- und Sportmöglichkeiten vorhanden sind oder diese aus Kostengründen oder langen Anfahrtswegen nicht wahrgenommen werden können.

Butterwegge, Klundt und Zeng (2008, S. 165) erläutern die Kausalität von:

… geringe(r) Teilnahme an sportlichen Aktivitäten (außerhalb des Schulsports) oder der über- durchschnittliche TV-Konsum belegen hingegen klar ein ungünstiges Gesundheitsverhalten der Kinder- und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien. Gleiches lässt sich bezüglich eines un- günstigen Ernährungsverhaltens (Fast Food, Mangel-, Fehl- bzw. Überernährung) feststellen.

Eltern haben einen großen Einfluss auf das Ernährungsverhalten der Kinder, das geht aus einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hervor. Dort heißt es, dass der elterliche Lebensstil Einfluss auf das im Haushalt angebotene Essen hat und somit direkt das jugendliche Ernährungsverhalten beeinflusst. (Vgl. BzgA 2003, S. 50) Aufgrund dieser Tatsache ist es umso wichtiger, dass den Kindern und Jugendlichen ein adäquater Rahmen geschaffen wird, wo auf das Ess- Bewegungs- und Sportverhalten Rücksicht genommen wird. Hierbei wäre an eine Kita, Ganztagsschule oder auch sozi- alpädagogische Familienhilfe zu denken, um dieses Verhalten der Kinder explizit zu schulen.

Es gibt also eine Vielzahl an negativen Einflussfaktoren, wie z.B. schlechte Ernährung, überdurchschnittlicher Fernsehkonsum oder auch mangelnde Bewegung als auch die Unterlassung von Vorsorgeuntersuchungen, die sich negativ auf die Gesundheit von Kindern auswirken können. Studien zum Gesundheitsverhalten belegen, dass Verhal- tensweisen, die der Gesundheit förderlich sind, seltener von Personen in schlechter so- zialer Lage wahrgenommen werden. (Vgl. Jungbauer-Gans, Kriwy 2004, S. 15) ÄNicht nur die gesundheitliche Situation, sondern auch das (spätere) Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen wird durch Armut negativ beeinflusst“ (Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 165).

Aus dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht geht hervor, dass eine benachteiligte Lebens- lage nicht zwangsläufig mit einer schlechteren Gesundheit und einem riskanteren Gesundheitsverhalten einhergehen muss. Bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus, die über gute soziale und personale Ressourcen verfügen, sind die negativen Folgen für den Gesundheitszustand weniger stark ausgeprägt. (Vgl. BMAS 2008, S. 109)

4.2 Auswirkungen von Armut auf die Bildung von Kindern

Bildung hat einen großen Einfluss auf die Gestaltung des weiteren Lebenswegs von Kindern. Gerade im Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wird Bildung zunehmend zu einer zentralen Ressource für Beschäftigung, Einkommen und soziale Integration (vgl. Palentien 2005, S. 163).

In der modernen Wissensgesellschaft, wie in der BRD wird Bildung als ein hohes Gut verstanden, um mehr Ausdruckfähigkeit, Verwirklichungskompetenz, Lebensqualität, Chancengleichheit und in der Summe Äkulturelles Kapital“3 zu erwerben (vgl. Hammer 2010, S. 22). Die Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung. Es geht auch um die Erziehung zu mündigen Menschen, die handlungsfähig werden. Die Schule ist ein Ort, in dem soziales Lernen stattfindet, im weitesten Sinne werden in der Schule kulturelles und soziales Kapital erworben und Fähigkeiten zur Lebensbewältigung angeeignet. (Vgl. Butterwegge, Holm, Zander 2003, S. 259)

Da Äkulturelles Kapital“ nach Bourdieu schon früh in Form von Werten, Wahrneh- mungs-, Denk- und Handlungsmustern innerhalb von Familien weitergegeben und von den Heranwachsenden verinnerlicht wird, kann das jeweilige Kind durch seine Primär- erziehung gegenüber seinen Klassenkameraden im Nachteil sein, wenn das ererbte kul- turelle Kapital ein anderes ist, als jenes, welches es sich aneignen soll. Der Bildungser- folg von Schülern hängt deshalb mit deren Teilhabe an der herrschenden Kultur zusam- men. (Vgl. Schütz 2004, S. 14) Aufgrund der belasteten Lebenssituation bzw. den indi- viduellen Vorbelastungen erfahren Kinder, die in Armut aufwachsen, weniger Förderung in ihrer kognitiven und sprachlichen Entwicklung, durch geeignete Bildung. Zudem erfahren sie weniger Unterstützung in ihrer schulischen Laufbahn. Diese fehlende Un- terstützung wiederum hat Auswirkungen auf ihre Lern- und Erfahrungsräume. (Vgl. Palentien 2005, S. 162)

Ein weiterer Grund für die schlechteren Schulleistungen von sozial benachteiligten Kin- dern ist das Fehlen grundlegender Rahmenbedingungen. Die Kinder gehen ohne Früh- stück und Pausenbrot aus dem Haus, ihre Wohnsituation ist ungewiss, weil sie nie genau wissen, ob sie am Monatsende noch ein Zuhause haben, und beengend, so dass es kaum Rückzugsmöglichkeiten gibt. Diese Faktoren verweisen auf die schwierige Situation unter denen Kinder in sozial benachteiligen Lebensverhältnissen aufwachsen. In der heutigen Zeit wird kulturelle Bildung, die in den meisten höheren Schulformen voraus- gesetzt wird, zusätzlich erkauft durch Musikschulen, Sportvereine, Malschulen. Arme Kinder und Jugendliche haben diese Möglichkeiten nur in begrenztem Maße und sind deswegen mit weiteren Ausgrenzungserfahrungen konfrontiert. (Vgl. Becher 2005, S. 78)

ÄUngleiche Bildungschancen führen zu einer Verstetigung ungleicher Lebensbedingun- gen und ungleicher Chancenverteilungen in der Gesellschaft“ (vgl. Palentien 2005, S 163).

Bildungschancen werden weiterhin ´sozial vererbt´. So weist der Armutsbericht aus, dass die Chancen für eine Gymnasialempfehlung für ein Kind aus einem Elternhaus mit hohem Sozialsta- tus fast dreimal so hoch wie die eines Facharbeiterkindes sind. Und Kinder aus gut verdienenden Elternhäusern haben sogar eine 7,4-fach größere Chance ein Studium aufzunehmen (Stompe 2005, S. 132).

Demzufolge haben Kinder aus bildungsnahen und gut verdienenden Familien eine größere Bildungschance als die von Armut betroffenen Kinder. Der Bildungshintergrund bzw. der Sozialstatus der Eltern spielt demnach auch eine wichtige Rolle für den Bildungsverlauf der Kinder.

Armut bestimme nicht selten den künftigen Bildungsweg, stellte auch das Max Planck- Institut in einer Studie (2007) fest, in der die Vermutung geäußert wird, dass die Lehrer eher eine Empfehlung für eine weiterführende Schule aussprechen, wenn sie wissen, dass die Eltern zur Not auch mal Nachhilfeunterricht bezahlen können. Sozial schlechter gestellte Jugendliche würden daher mitunter auf Schulen landen, die eigentlich nicht ihren Möglichkeiten entsprechen. Im Hinblick auf die Zukunft ist es um so wichtiger, den von Armut betroffenen Kindern eine Bildungsperspektive aufzuzeigen, unabhängig vom Einkommen der Eltern, um den Teufelskreislauf aus der Armut durchbrechen zu können. (Vgl. bpb 2007)

Bildung darf und sollte nicht von finanziellen Mitteln abhängen dürfen. Butterwegge (vgl. 2009, S. 261) stellte in diesem Kontext fest, dass Studiengebühren, Transportkosten und Schul- oder Büchergeld gerade die Kinder aus sozial benachteiligten Familien den Besuch einer weiterführenden Schule bzw. Hochschule abschrecke.

Die Bundesregierung versucht mit ihrem neuen Bildungspaket aus dem Jahre 2011, gezielt ca. 2,5 Millionen von Armut betroffenen Kindern zu unterstützen. Bedürftige Kinder haben damit einen Rechtsanspruch aufs Mitmachen; u.a. bei Tagesausflügen und dem Mittagessen in Schule, bei Musik und Sport, außerdem erhalten sie finanzielle Unterstützung beim Schulmaterial, das sie brauchen, und die notwendige Lernförderung, wenn ihre Versetzung gefährdet ist. (Vgl. BMAS 2012)

Schulbildung und Bildungszugänge stellen die Weichen für den Ausschluss bzw. die Teilhabe an gesellschaftlich als normal angesehenen Gütern dar. Der Ausschluss von Bildungschancen führt zu einer Verfestigung von Armut und erschwert den an Bil- dungsabschlüssen gebundenen Zugang zum Arbeitsmarkt. (Vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2008, S. 263) Becher (2005, S. 99) stellt in diesem Zusammenhang fest:

[...]


1 Peer-group Begriff aus dem Englischen bedeutet Gruppe von Gleichaltrigen oder Gruppe von Gleichgestellten. Neben diesen Merkmalen sind Peer-groups zumeist freiwillig und unabhängig von Erwachsenen (vgl. Oswald 2008, S. 321).

2 Butterwegge (2008, S. 71) definiert den Individualisierungsprozess folgendermaßen: ÄModernisierung bzw. Individualisierung der Gesellschaft bedeutet, dass sich Klassen und Schichten ´entgrenzen´, soziokulturelle Milieus und Institutionen kollektiver Normengebung an politischer Durchschlagskraft bzw. Geltungsmacht verlieren sowie tradierte Sicherungssysteme und anerkannte Reproduktionsmuster brüchig werden.“

3 Der Begriff Äkulturelles Kapital“ stammt von Bourdieu und existiert in verschiedenen Formen. Als objektiviertes kulturelles Kapital versteht man kulturelle Gegenstände wie z.B. Bücher oder Gemälde. In institutionalisierter Form findet man es in Gestalt von Bildungstiteln. Inkorporiertes Kapital ist wiederum im Individuum selbst verinnerlicht (vgl. Bourdieu 1983, S. 183).

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Kinderarmut in Deutschland. Welche Gegenmaßnahmen kann die Soziale Arbeit zur Verringerung aufbringen?
Hochschule
Fachhochschule Kiel
Note
2
Autor
Jahr
2012
Seiten
78
Katalognummer
V319301
ISBN (eBook)
9783668184565
ISBN (Buch)
9783668184572
Dateigröße
982 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kinderarmut, deutschland, welche, gegenmaßnahmen, soziale, arbeit, verringerung
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Felix Jann (Autor:in), 2012, Kinderarmut in Deutschland. Welche Gegenmaßnahmen kann die Soziale Arbeit zur Verringerung aufbringen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319301

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