Was führte zu den Bürgerprotesten 1989? Die besondere Rolle der Stadt Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution


Seminararbeit, 2014

13 Seiten, Note: 2

Lisa Gebauer (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.AnfängederBürgerproteste
2.1 PolitischeundgesellschaftlicheSituationinderDDR
2.2 Oppositionsgruppenundderen„soziale“Gliederung

3.MassenbewegungeninLeipzig
3.1 RollederNikolaikirche
3.2 Die„FriedlicheRevolution“?

4.Fazit

5.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, soll Michail Gorbatschow, der letzte Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, zu Erich Honecker, dem wohl mächtigsten Politiker der DDR-Zeit, gesagt haben. Schauplatz dieses Kommentars war Ost-Berlin, das sich gerade mitten in den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR-Staatsgründung befand. Am 6. Oktober 1989 schlug sich Gorbatschow mit diesen Worten auf die Seite des Volkes, das den inszenierten Festablauf mit Zurufen übertönte und somit dem Fest eine gespenstische Atmosphäre verlieh.1 Man befand sich schon mittendrin in der brodelnden Anspannung, die für die Bürger, für das SED-Regime und für die Oppositionen eine Revolution zu avisieren vermochte. Doch Honecker und seine Berater befanden sich zu diesem Zeitpunkt, trotz der Bürgerproteste im Lande, in einem Zustand der einem Realitätsverlust2 gleichgesetzt werden kann.

Die Zerfallserscheinungen des DDR-Regimes waren nicht mehr zu leugnen und der mächtigste Mann im SED-Staat schien davon nichts mitzubekommen. Der Status dieses Landes an diesem Tag war dem Wirken tausender Menschen zuzuschreiben, die nun an jenem Punkt angekommen waren, an dem der Wille nach Freiheit größer war als die Angst.

Bereits zu Beginn des Jahres 1989 wurden beispielsweise in Leipzig tausende Flugblätter verteilt, die zur Teilnahme an einer Demonstration der Initiative zur „demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft“ aufriefen.3 Monat für Monat stieg nun die Anzahl und Größe der Demonstrationen in den unterschiedlichsten Städten der DDR und immer mehr Menschen wurden vom revolutionären Gedanken gepackt. Doch diese Massenbewegungen waren kein Ergebnis eines einmaligen Aufrufs zur Demonstration. Viel mehr waren sie ein Prozess, der sich unter anderem durch politische und gesellschaftliche Situationen mit der Zeit zu einer immer größeren werdenden Schar entwickelte.

Bevor die Zustände in der DDR vom Herbst 1989 in den Blick genommen werden können, gilt es also, die Monate davor genauer zu betrachten. Diese Arbeit versucht zum einen Aspekte aufzuzeigen, die die Bürgerproteste der DDR 1989 auslösten und stellt zum anderen die besondere Stellung der Stadt Leipzig in der Geschichte der Massenbewegungen dieser Zeit dar. Neben der breiten Unzufriedenheit, die sich gegen das Regime schon einige Jahre vor den Protesten gerichtet hatte, entstand beim Volk nun der Drang nach Neuem. Die Freiheit stand im Mittelpunkt aller Gedanken. Die Stadt Leipzig bekommt eine besondere Stellung zugeschrieben, da sie mit ihren Friedensgebeten in der Nikolaikirche der Vorläufer für die kommenden Demonstrationen der DDR war. Außerdem ist Leipzig durch die vorherrschende Internationalität, die vor allem auf die Leipziger Messen zurückzuführen ist, eine Ausnahme. Menschen aus aller Welt trafen sich in diesen Wochen und so lernte die Leipziger Bevölkerung immer mehr den Liberalismus der anderen Länder kennen. Ein weiterer Aspekt ist bestimmt auch die Tatsache, dass sich in Leipzig schon sehr früh Oppositionelle Gruppen entwickelten.

Durch die Revolution im Oktober, die nachträglich als die „Friedliche Revolution“ bezeichnet wurde, bekam die Stadt eben diese Sonderstellung zugeschrieben, die anderen Städten der DDR, unter anderem, auf Grund von fehlender Gewaltlosigkeit nicht gewährt wurde.

Sucht man also nach den Gründen für die Proteste, kommt man ohne einen genauen Blick auf diese Stadt nicht aus.

2. Anfänge der Bürgerproteste

2.1 Politische und gesellschaftliche Situation in der DDR

Zu Beginn des Jahres 1989 befand sich die DDR kurz vor ihrem 40. Jahrestag. Doch von einer feierlichen Stimmung ist nicht viel zu bemerken, denn der Staat selbst ist in Mitten von immer größer werdenden Problemen, die von verschiedensten Bereichen einfließen. Wie bereits erwähnt, gab es eine große Abweichung zwischen der Ideologie und der Wirklichkeit. Dies war unter anderem auf das jahrzehntelange SED-Regime zurückzuführen, das im Jahre 1946 aus der Zwangsvereinigung der KPD und SPD hervorgegangen war. Das politische System könne man als eine „Ein-Parteien-Herrschaft“ bezeichnen, da das SED-Regime sowohl die Exekutive, die Legislative als auch die Judikative kontrollierte. Das Politbüro und das Sekretariat des ZK wurden im Laufe der Jahre zu machtausübenden Organen der Partei und des Staates und politische Entscheidungen wurden von jenen getroffen.4 Spätestens seit dem Jahre 1968 war der Machtanspruch der SED dann auch in der neuen Verfassung gesichert, und die „Überregierung“ des Politbüros zeigte sich in verschiedensten Institutionen und Branchen wieder. 1988 war fast jeder fünfte Erwachsene der DDR ein SED-Mitglied.5

Das Eintreten in die Partei war zwar von verschiedensten Gedanken geleitet, doch die Tatsache, dass sich die Menschen auf Grund von erhöhten Karrierechancen für die Partei aussprachen, ist nach dem Zusammenbruch des Regimes kein Geheimnis mehr.6 Die SED nannte ihr Vorgehen den „Demokratischen Sozialismus“, „oben“ wurde etwas entschieden und dann nach unten durchgereicht.7 Auf Grund dieser Tatsache, kann man erahnen, dass es also nicht unbedingt von großer Bedeutung war, dass das SED-Regime viele Mitglieder hatte. Diese hatten kein Mitspracherecht bei maßgeblich politischen Entscheidungen, sondern waren nur aus eigenen Interessen Mitglied geworden. Eine weitere Tatsache, die diese These bestätigt, ist, dass viele Posten im Lande ohne ein SED-Mitgliedsbuch nicht zu bekommen waren. Es bleibt nun noch die Frage zu stellen, wo denn die Intellektuellen waren, die Staat und Volk in solch einer Situation beraten könnten. Die DDR hatte dafür gesorgt, dass all jenes ausgeblendet blieb, was nicht in die kommunistische Ideologie der DDR integrierbar war. Deshalb wurden Millionen von Schüler und Schülerinnen, Studierende, Lehrer und Lehrerinnen, Parteimitglieder und Funktionäre aller Organisationen permanent gedrillt und eingeschworen.8 Vermittelt wurde also nur das, was laut der obersten Ebene dem Leitgedanken entsprach. Und jene, die sich eigentlich für klüger als den Staat hielten, meinten durch ihr Engagement in der DDR einer gerechten und „antifaschistischen Sache“ zu dienen.9 Dies ist ein Verhalten, das man verstehen kann, nachdem Deutschland schreckliche Erfahrungen mit Krieg und der NS-Diktatur gemacht hat. Das Volk wollte diese Erinnerung hinter sich lassen, und akzeptierte somit zum Großteil den Antifaschismus.10

Bei einem Komplex von Idealismus und Wirklichkeit, muss man davon ausgehen, dass sich früher oder später auch soziale Probleme entwickeln. Ursprung dieser Probleme war unter anderem der Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961. Die Massenflucht war beendet und die Bevölkerung hinter der innerdeutschen Grenze eingesperrt. Wenn man an die Literatur mit der Frage herantritt, warum die Bevölkerung der DDR jedoch trotzdem so sehr in das politische System integriert war, wird man immer wieder auf Sigrid Meuschel (1992) verwiesen, die in ihrem Buch „Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR“ aus dem Jahr 1992 genauer dieser Frage nachgeht. Der Mittelpunkt ihrer Arbeit ist die Legitimation von Herrschaft und System und Gesellschaft und Politik werden mit ständigen Blick auf das Herrschaftssystem dieser Zeit analysiert. Es lässt sich sagen, dass Meuschel die sozialen Prozesse auf die herrschende Parteiführung zurückführt, die den Institutionen und Regelwerken ihre Geltungskraft nahm. Das bedeutete für das Land, dass allein die Partei zu entscheiden hatte, und sämtliche alten Regelungen nichtig wurden. Somit wurde die Gesellschaft homogenisiert, und dieser Prozess hat bis heute Spuren hinterlassen.11 Das Chaos nach dem Zweiten Weltkrieg machte es der Führung leicht, tradierte soziale Strukturen in Gesellschaft und Politik zu verändern. Die zerstörende Eigendynamik des Regimes war also der Grund für die sozialen Strukturen, die sich nun zunehmend entwickelten.12

Wenn man die Gesellschaft der DDR zu dieser Zeit verstehen will, reicht es jedoch nicht, sie mit der Politik zu vergleichen. Man muss sich auch das Alltagsleben eines DDR-Bürgers ansehen, um die Unterschiede zu anderen Gesellschaften erfassen zu können. Während das Volk der DDR seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende der 60er-Jahre ein Gegenmodell zur bürgerlichen Gesellschaft der Bundesrepublik darstellte, änderte sich dies im Jahr 1971. Grund dafür war einen Beschluss der SED. Sie hatte die Idee, die Gesellschaft zu einer pragmatischen Konsum- und Sozialpolitik mit stärkeren Leistungsbezügen anzustreben.13 Die Werte- und Lebensansprüche der Bürger veränderten sich nun, sie wussten, wenn sie etwas leisteten, durften sie sich etwas leisten. Das Kennenlernen wachsenden Wohlstands war etwas Neues. In den 80er-Jahren bemerkten die Bürger dann, dass der westdeutsche Lebensstandard nicht so einfach erreicht werden konnte. Die Verteilungspolitik der SED, die darauf achtete, dass alle Bürger auf gleichem Niveau behandelt wurden, wurde von einer Zentrale aus geregelt. Dort wurden beispielsweise Löhne und Gehälter festgelegt oder die Subvention von Preisen.14 Dies war ein typisches Merkmal der kommunistischen Führung. Das Regime versprach sich davon eine Einhaltung der Parteidisziplin. Der Zentralismus führte dazu, dass es für den Einzelnen keinen großen Spielraum für Wünsche gab. Güter und Leistungen waren am Markt beschränkt, und individuellen Wünschen konnte der Markt auf Grund dessen nicht nachgehen. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die DDR-Gesellschaft deshalb als eine Gruppe anzusehen ist, die trotz Isolation ein sehr traditionelles und familiennahes Leben führte.

[...]


1 AndreasWirsching,DerPreisderFreiheit.GeschichteEuropasinunsererZeit,München2012,S.45f.

2 HeinerTimmermann,DieDDRinEuropa.ZwischenIsolationundÖffnung,Münster2005,S.395.

3 Michael Richter, Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90, Göttingen 2011,S.98.

4 Frank Reichelt, Das System des Leistungssports in der DDR. Darstellung der Struktur und des Aufbaus anhandausgewählterBeispiele,phil.Dipl.Göttingen1995,S.6f.

5 Ilko^SaschaKowalczuk,Endspiel.DieRevolutionvon1989inderDDR,München2009,S.36.

6 Ebd.,S.40.

7 Ebd.,S.37.

8 Ebd.,S.54.

9 Ebd.

10 HermannWeber,DieDDR1945-1990,München2012,S.206.

11 Arnd Bauerkämpfer, Die Sozialgeschichte der DDR (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 76), München 2005,S.56.

12 Ebd.,S.57.

13 Matthias Judt, DDR^Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse(ForschungenzurDDRGesellschaft),Berlin1998,S.166.

14 Ebd.,170.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Was führte zu den Bürgerprotesten 1989? Die besondere Rolle der Stadt Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Zeitgeschichte)
Note
2
Autor
Jahr
2014
Seiten
13
Katalognummer
V319125
ISBN (eBook)
9783668182684
ISBN (Buch)
9783668182691
Dateigröße
1101 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bürgerprotesten, rolle, stadt, leipzig, friedlichen, revolution
Arbeit zitieren
Lisa Gebauer (Autor:in), 2014, Was führte zu den Bürgerprotesten 1989? Die besondere Rolle der Stadt Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319125

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