Hilary Putnams Wandel vom Realisten zum Anti-Realisten und zurück


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung
Philosophische Stationen Putnams

2. Der „metaphysische Realismus“

3. Putnams Kritik am metaphysischen Realismus
3.1 Kann eine ideale Theorie falsch sein ?
3.1.1 Putnams modelltheoretisches Argument (MTA)
3.1.2 Die „Gehirne im Tank“
3.2 Begriffliche Relativität
3.3 Beweisbare Koextensivität

4. Putnams Wende vom Realismus zum internen Realismus
4.1 Der Realismus innerhalb einer Theorie
4.2 Putnams Wahrheitsbegriff
4.3 Die verifikationistische Semantik

5. Der direkte oder Common – Sense – Realismus

6. Schluss

7. Bibliographie

1. Einleitung

Philosophische Stationen Putnams

Der amerikanische Philosoph Hilary Putnam (geboren 1926 in Chicago) zählt mit dem großen Themenspektrum seines Werkes zu den streitbarsten, jedoch auch zu den einflussreichsten Philosophen der Gegenwart.

Während Putnam zunächst als Anhänger des metaphysischen Realismus diesen deutlich mitprägt, wendet er sich etwa um die Mitte der siebziger Jahre von ihm ab. Nachdem die vorliegende Arbeit zuerst auf den metaphysischen Realismus aus der Sicht Putnams eingeht, soll anschließend Putnams Kritik an diesem dargelegt werden. In diesem Zusammenhang spielt die Frage danach, ob eine ideale Theorie falsch sein könne (Putnam verneint dies modelltheoretisch) ebenso eine Rolle wie die Phänomene der begrifflichen Relativität sowie der sogenannten beweisbaren Koextensivität.

1976 erläutert Putnam zum ersten Mal in seinem Aufsatz „Realismus und Vernunft“ eine Form der Wahrheitstheorie, das heißt seine neue Position des sogenannten internen Realismus. Der interne Realismus, bei dem es sich strenggenommen um eine Form des Antirealismus handelt, behauptet neben der Notwendigkeit eines Realismus innerhalb einer Theorie (internalistische Perspektive) die Existenz mehrerer gleichwertiger Beschreibungen der Wirklichkeit. In diesem Zusammenhang soll besonders auf Putnams Wahrheitsbegriff (Wahrheit als „(idealisierte) rationale Akzeptierbarkeit“[1] ) eingegangen werden. Putnam stützt sich bei seiner semantischen Realismusformulierung zugleich auf eine verifikationistische Theorie des Verstehens, welche Verstehen als sprachliches Einvernehmen definiert (verifikationistische Semantik).

Erst mit dem Jahr 1994 vollzieht Putnam schließlich eine Wende zurück zum Realismus, das heißt hin zu einem direkten oder Common Sense – Realismus, der eine kognitive Relation zwischen Wörtern und Gegenständen, auf die innerhalb der Wahrnehmung Bezug genommen wird, annimmt, und die ehemals vertretene verifikationistische Semantik verwirft.

Die vorliegende Arbeit möchte diesen Wandel Putnams vom Realisten zum Anti-Realisten und zurück nachvollziehen.

2. Der „metaphysische Realismus“

Etwa bis Mitte der siebziger Jahre vertritt Hilary Putnam einen von ihm später so genannten „metaphysischen Realismus“. Dieser ist nach Putnam zunächst bestimmt durch den Glauben an genau eine Korrespondenzbeziehung zwischen Wahrheit und Realität (Korrespondenztheorie): Dem metaphysischen Realismus zufolge besteht eine „Relation, genannt Bezugnahme [...] zwischen jedem Eigennamen in einer bestimmten Sprache und der von ihm bezeichneten Entität [...] sowie zwischen jedem einstelligen Prädikat der Sprache und jedem Element des Umfangs dieses Prädikats“[2]. Entsprechendes gilt für jedes mehrstellige Prädikat. Demnach wird Wahrheit durch die eindeutige Bezugnahme, das heißt auf „einer Entsprechungsbeziehung“[3] zwischen einem beliebigen Eigennamen und bezeichneter Entität beruhend, bestimmt[4]. Dies bedeutet, dass wir in der Lage sind, auf die sprach – und geistesunabhängigen, vor allem materiellen Dinge so wie sie sind Bezug nehmen zu können. Gleichzeitig stellt das Phänomen der Entsprechung den metaphysischen Realisten aber vor das Problem, „daß es [...] unendlich viele Wege gibt, eine solche Entsprechung auszuzeichnen.“[5] Die Frage nach der Referenz bzw. dem Wesen angenommener Entsprechung bleibt in jedem Fall bestehen. Eine solche Entsprechung zu favorisieren erscheint annähernd unmöglich, sobald man (wie der metaphysische Realist) annimmt, dass die Dinge denkunabhängig existieren. Putnam formuliert dieses Problem folgendermaßen:

Um nur eine Entsprechung zwischen Wörtern oder geistigen Zeichen und geistesunabhängigen Dingen herauszugreifen, müßten wir schon einen Bezugszugang zu den geistesunabhängigen Dingen haben. Man kann keine Entsprechung zwischen zwei Dingen herausgreifen, indem man eines von ihnen ausquetscht [...]; man kann keine Entsprechung zwischen unseren Begriffen und den vermeintlichen noumenalen Gegenständen herausgreifen, ohne daß man Zugang hat zu den noumenalen Gegenständen.[6]

Die oben genannte Korrespondenztheorie der Wahrheit gilt Putnam zufolge als Voraussetzung der Annahme des metaphysischen Realismus, es müsse genau eine wahre Theorie, also genau eine wahre Beschreibung DER WELT geben. Auch muss die Welt in ihrer feststehenden, geistesunabhängigen Gesamtheit bereits gleichmäßig strukturiert bzw. fertiggestellt sein (Putnam verwendet in diesem Zusammenhang den von Nelson Goodman eingeführten Begriff der „Fertigwelt“[7] ), um der Vorstellung einer objektiven und endgültigen Wahrheit gerecht zu werden. Putnam bezeichnet die Sichtweise des metaphysischen Realisten so auch als eine „externalistische [...] Perspektive [...], denn ihr bevorzugter Gesichtspunkt ist das Auge Gottes.“[8]

Putnam stellt die Grundform des metaphysischen Realismus in etwa folgendermaßen dar[9]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zwischen jedem Ausdruck (A¹, A², ..., A ) der Sprache L und einem Element oder einer Elementart aus DER WELT existiert eine eindeutige Relation der Bezugnahme. Diese „wird in den kanonischen Fassungen der Theorie für die jeweilige Sprache durch eine Semantik in Form von Wahrheitsbedingungen festgelegt“[10]. Um einen Ausdruck vollkommen verstehen zu können, ist es demnach unabdingbar, die jeweilige Relation der Bezugnahme bzw. dasjenige Element DER WELT zu erkennen, auf das der entsprechende Ausdruck Bezug nimmt. An dieser Stelle ist es wichtig, noch einmal zu betonen, dass eine Relation der Bezugnahme zwischen genau einem Ausdruck der Sprache L und genau einem Element DER WELT besteht. Jedoch fordert der metaphysische Realist keineswegs, dass wir zu allem, auf das wir Bezug nehmen, eine reale, etwa eine kausale Verbindung haben, sondern eine Referenz der sogenannten

Basistermini auf Arten von (und Beziehungen) [...], zu denen wir in einer wirklichen Verbindung stehen. Wir können dann mit Hilfe der Basistermini in komplexen Kombinationen deskriptive Ausdrücke aufbauen, welche auf Arten von Dingen referieren, zu denen wir keine wirkliche Verbindung haben und die eventuell noch nicht einmal existieren.[11]

So ist es möglich,

daß wir auf Außerirdische referieren können, obwohl wir mit keinem von ihnen (soweit wir wissen) je in kausaler Interaktion standen, weil wir mit irdischen Personen interagiert haben und auch Beispiele der Beziehung <nicht vom selben Planeten wie> und der Eigenschaft <Lebewesen> kennengelernt haben.[12]

Ein weiteres Kennzeichen des metaphysischen Realismus nennt Putnam mit der Annahme der vollkommenen Denkunabhängigkeit der Dinge im Umfang der unterschiedlichen Prädikate. Die Welt existiert demnach denkunanbhängig von unseren Repräsentationen von ihr. So könnten wir etwa „Gehirne in einem Tank“ sein oder ähnliches (siehe auch Kapitel 3.1.2).

Darüber hinaus besteht der metaphysische Realismus auf einem radikal nicht – epistemischen, das heißt erkenntnisunabhängigen Wahrheitsbegriff. Der Wahrheitsbegriff des metaphysischen Realisten entspricht somit den Kriterien der Korrespondenz, der Unabhängigkeit, der Bivalenz (im Hinblick auf wahre oder falsche Aussagen) sowie der Einzigkeit wahrer Weltbeschreibung.[13] Diese Kriterien bilden das Fundament des metaphysischen Realismus. Die Annahme eines radikal nicht – epistemischen Wahrheitsbegriffes hat folgende Konsequenzen: Erstens ist es möglich, dass Aussagen, über deren Wahrheit bzw. Falschheit wir nicht urteilen können, da ihre Überprüfung unserer Erfahrung nicht zugänglich ist, durchaus „in Wirklichkeit“ wahr oder falsch sein können. Außerdem muss eine Aussage, die wir nach umfassender unseren Mitteln gemäßer Überprüfung als wahre Aussage anerkennen, deswegen nicht wahr sein.

Der metaphysische Realist vertritt also die von Igor Douven als „Methodologische[r] Fallibilismus“[14] bezeichnete Ansicht, dass auch eine mit Sicherheit als wahr befundene, sogenannte ideale Theorie falsch sein kann, da sie an epistemische Bedingungen gebunden ist. Eine ideale Theorie zeichnet sich vor allem durch die „theoretischen Anforderungen“[15] der „[operationalen] Nützlichkeit, [...] [inneren] Schönheit und Eleganz, [...] „Plausibilität“, [...] Einfachheit, [...] „Konservatismus“ usw.“[16] sowie durch „operationale Anforderung[en]“[17] aus. Eine epistemisch ideale Theorie kann außerhalb der Episteme, das heißt in Wirklichkeit falsch sein.

In diesem Zusammenhang merkt Alex Burri aber schließlich an, dass die Sichtweise Putnams, nach der dieser selbst vor seiner Wende hin zum internen Realismus einst metaphysischer Realist gewesen sei, durchaus „problematisch [sei], da sehr zweifelhaft schein[e], ob er damals wirklich alle vier für den metaphysischen Realismus typischen Merkmale des Wahrheitsbegriffs akzeptierte“[18]. Putnam habe zwar eindeutig die Korrespondenztheorie sowie das Bivalenzprinzip befürwortet, dagegen aber das Wahrheitskriterium der Einzigkeit abgelehnt. Bezüglich des Kriteriums der Unabhängigkeit habe Putnam einen „moderaten, aber keinen radikal metaphysischen Standpunkt“[19] eingenommen. Die zentrale Annahme des metaphysischen Realismus, die Behauptung eines radikal nicht – epistemischen Wahrheitsbegriffes, vertritt Putnam vor seiner Wende in der Tat nicht konsequent, da er trotz Skepsis gegenüber der menschlichen Fähigkeit des Erfassens bzw. der Bewertung einer Aussage als wahr oder falsch, zu keiner Zeit eine prinzipiell erkenntnisunabhängig existierende Wahrheit annahm.

3. Putnams Kritik am metaphysischen Realismus

3.1 Kann eine ideale Theorie falsch sein ?

Etwa Mitte der siebziger Jahre wendet sich Putnam von dem seiner Ansicht nach inkohärenten „Modell“[20] des metaphysischen Realismus ab. Neben dem Heranziehen von Phänomenen begrifflicher Relativität oder beweisbarer Koextensivität (Kapitel 3.2 und 3.3), argumentiert Putnam dabei zunächst vor allem gegen die These des metaphysischen Realismus, auch eine ideale Theorie könne falsch sein:

[...]


[1] Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte. Frankfurt am Main 1982, S. 75.

[2] Putnam, Hilary: Das modelltheoretische Argument und die Suche nach dem Realismus des Common sense. In: Willaschek, Marcus (Hrsg.): Realismus. Paderborn 2000, S. 125 – 142, hier S. 126.

[3] Putnam, Hilary: Von einem realistischen Standpunkt. Schriften zu Sprache und Wirklichkeit (Hrsg. v. Müller, Vincent C.). Reinbek bei Hamburg 1993, S. 174.

[4] Putnam weist darauf hin, dass eine Form der Korrespondenztheorie der Wahrheit - er nennt sie die Ähnlichkeitstheorie der Bezugnahme - bereits etwa 2000 Jahre existiert. Sie besagt, „daß die Beziehung zwischen den Repräsentationen in unserem Geist und den äußeren Gegenständen, auf die sie sich beziehen, buchstäblich eine Ähnlichkeitsbeziehung ist“ (Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, S. 85).

[5] Ebd. , S. 176. [6] Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, S. 104.

Putnam verdeutlicht diesen Sachverhalt am Beispiel der Wahrheit unvereinbarer Theorien (ebd.).

[7] Ebd. , S. 174.

[8] Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, S. 75.

[9] Vgl. Putnam, Hilary: Realismus und Vernunft. In: Willaschek, Marcus (Hrsg.): Realismus. Paderborn 2000, S. 87 – 105, hier S. 88.

[10] Ebd.

[11] Putnam, Hilary: Vernunft, Wahrheit und Geschichte, S. 159.

[12] Ebd.

[13] Vgl. Burri, Alex: Hilary Putnam. Frankfurt, New York 1994, S. 120.

[14] Putnam, Hilary: Das modelltheoretische Argument und die Suche nach dem Realismus des Common sense, S. 132. Douven kommentiert in seinem Aufsatz „Putnam´s Model - Theoretic Argument Reconstructed“ (erschienen 1999 in: Journal of Philosophy 94, S. 479 – 490) das modelltheoretische Argument Putnams und dessen Kritiker.

[15] Putnam, Hilary: Das modelltheoretische Argument und die Suche nach dem Realismus des Common sense, S.130.

[16] Putnam, Hilary: Realismus und Vernunft, S. 89.

[17] Putnam, Hilary: Das modelltheoretische Argument und die Suche nach dem Realismus des Common sense, S.130.

[18] Burri, Alex: Hilary Putnam, S. 122.

[19] Ebd.

[20] Putnam, Hilary: Realismus und Vernunft, S. 87.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Hilary Putnams Wandel vom Realisten zum Anti-Realisten und zurück
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Hauptseminar "Realismus"
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V31887
ISBN (eBook)
9783638327688
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hilary, Putnams, Wandel, Realisten, Anti-Realisten, Hauptseminar, Realismus
Arbeit zitieren
Vera Serafin (Autor:in), 2004, Hilary Putnams Wandel vom Realisten zum Anti-Realisten und zurück, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31887

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