Himmlisches Theater. Die Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2016

30 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Die Geschichte der Neuzeller Passionsdarstellungen

Teatrum Sacrum

Auftraggeber und Künstler

Barocke Aufstellung

Papiermodell

Beleuchtung

Die Bühnenbilder
Garten Gethsemane
Palast der Hohepriester
Palasthof (Palast des Pontius Pilatus)
Stadt
Kalvarienberg

Die einzelnen Szenen
Szene 1: Jesus betet am Ölberg im Bühnenbild „Garten“
Szene 2: Jesus wird von Judas verraten im Bühnenbild „Garten“
Szene 3: Jesus wird vor Hannas geführt im Bühnenbild „Palast“ (Palast der Hohepriester)
Szene 4: Jesus vor dem Hohepriester Kaiphas im Bühnenbild „Palast“ (Palast der Hohepriester)
Szene 5: Jesus vor König Herodes im Bühnenbild „Palast“ (Palast der Hohepriester)
Szene 6: Jesus wird gegeißelt im Bühnenbild „Palasthof“ (Palast des Pontius Pilatus)
Szene 7: Jesus wird mit der Dornenkrone gekrönt im Bühnenbild „Palasthof“ (Palast des Pontius Pilatus)
Szene 8: Jesus vor dem römischen Statthalter Pilatus im Bühnenbild „Palasthof“ (Palast des Pontius Pilatus)
Szene 9: Jesus trägt das Kreuz im Bühnenbild „Stadt“
Szene 10: Simon von Cyrene trägt das Kreuz Jesu im Bühnenbild „Stadt“
Szene 11: Jesus wird seiner Kleider beraubt im Bühnenbild „Kalvarienberg“
Szene 12: Jesus wird gekreuzigt im Bühnenbild „Kalvarienberg“
Szene 13: Jesu stirbt am Kreuz im Bühnenbild „Kalvarienberg“
Szene 14: Jesus wird ins Grab gelegt im Bühnenbild „Garten“
Szene 15: Die Auferstehung Christi im Bühnenbild „Garten“ (um 1770 hinzugefügt)

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Neuzeller Passionsdarstellungen sind ein einmaliges Zeugnis barocker Frömmigkeit und Didaktik. Zudem gehören sie zu den wenigen komplett erhaltenen barocken Bühnenbildern und leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Theatergeschichte. Für den norddeutschen Raum sind sakrale Kulissentheater völlig ungewöhnlich. Die enge Verbindung des Klosters Neuzelle zum böhmischen Kulturkreis hat diese besondere Art des Teatrum Sacrum hierher vermittelt. Vergleichsbeispiele dieser bis zu den Reformen Kaiser Joseph II. (1765-1790) weit im Herrschaftsgebiet der Habsburger verbreiteten sakralen Theaterkulissen gibt es heute nur noch in Oberbayern, Sankt Gallen und Tirol. Von diesen unterscheiden sich die Neuzeller Passionsdarstellungen aber stark.

Seit März 2015 werden im Kloster Neuzelle, in einem speziell dafür gebauten Museum, zwei Bühnenbilder mit jeweils zugehörigen Szenen dauerhaft präsentiert. Vorausgegangen war ein langwieriger Restaurierungs- und Entscheidungsprozess. Sakrale Kulissentheater stehen erst seit zwei Jahrzehnten im Fokus kulturhistorischer Forschung. Die Vorbereitungen zur Dauerausstellung in Neuzelle haben einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können. Prof. Dr. Harald Schwillus (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und das Team um Volker Willhardt M.A. (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), sowie Erik Ernst Venhorst M.A., Dr. Ursula Röper, Dr. Winfried Töpler und die Restauratoren unter Leitung von Mechthild Noll-Minor und Werner Ziems (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum) konnten den Forschungsstand erheblich voranbringen.

In der vorliegenden Publikation soll das Neuzeller Kulissentheater einem breiten Publikum vorgestellt werden. Auf Wunsch zahlreicher Besucher des neuen Museums werden erstmals alle 15 Szenen der Neuzeller Passionsdarstellungen beschrieben. Der größte Teil ist noch nicht restauriert und befindet sich derzeit in einem Spezialdepot. In den kommenden Jahren soll die Reinigung und Sicherung der barocken Figuren- und Kulissenteile aber fortgesetzt werden, um weitere Bühnenbilder und Szenen im Wechsel zeigen zu können.

Neuzelle im März 2016

Die Geschichte der Neuzeller Passionsdarstellungen

Die Fertigung des Papiermodells und der Kulissen durch den böhmischen Künstler Joseph Seifrit und seiner Werkstatt sowie die Datierung auf 1751 bis 1753 (bzw. 1770 für die Auferstehungsszene) sind durch Signaturen belegt. Bei der Restaurierung des Bühnenbildes „Der Garten“ konnten Teile eines älteren Kulissentheaters festgestellt werden, die dendrochonolgisch (Auswertung der Jahresringe von Hölzern) auf 1690 datiert werden.

Trotz fehlender Schriftquellen wird mittlerweile aufgrund der Höhe und Breite der Kulissen, der Bemalung des Proszeniums mit barocken Architekturelementen sowie der Raumordnung im Kloster Neuzelle eine Aufstellung des Kulissentheaters von 1751 bis 1817 in der Kirche Zum Heiligen Kreuz – also der für die Seelsorge öffentlich zugänglichen Kirche – angenommen. Erst nach der Auflösung des Klosters und der Umwidmung der Kreuzkirche in eine evangelische Pfarrkirche kamen die Kulissen in die Stiftskirche, wo sie noch bis 1863 gezeigt wurden. Hier allerdings in der seitlichen Josephskapelle, die für die Aufstellung eigentlich zu klein ist. Dafür mussten die Kanten des Proszeniums zurecht geschnitten werden. Die Präsentation erfolgte hier auch nur noch mit einer Szene pro Jahr.

1913 erstellten die beiden preußischen Denkmal-Inspektoren Dr. Wilhelm Jung und Paul Hoffmann einen ersten Bericht zum Neuzeller Passionstheater, in dem sie auch das hölzerne Theatergerüst skizzierten. Heute der einzige Hinweis darauf, denn vom Gerüst haben sich leider nur ein paar wenige Teile erhalten.

Nach 1969 wurden unter der fachlichen Leitung des Instituts für Denkmalpflege – zunächst der Arbeitsstelle Dresden, dann der Arbeitsstelle Berlin – kontinuierlich Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen in den beiden Neuzeller Pfarrkirchen durchgeführt. Auch die Passionsdarstellungen profitierten vom Einsatz der Restauratoren. Bis Mitte der 1970er Jahre wurden die schlimmsten Schäden an den Figuren notgesichert und mit Holzschutzmittel behandelt. Drei Figurengruppen sind seitdem in der Alten Sakristei in der Stiftskirche zu sehen. Die Modelle der Neuzeller Passionsdarstellungen wurden durch die Papierrestauratorin Eveline Alex konserviert.

Frau Dr. Hannelore Sachs führte 1987 mit der ersten wissenschaftlichen Abhandlung über die Neuzeller Passionsdarstellungen das Werk in die Fachwelt ein.

Im Juli 1997 veranlasste die Stiftung Stift Neuzelle die Verlagerung des gesamten Bestandes in Depoträume. Alle Teile wurden durch Dankwart Kühn und Winfried Töpler fotografiert und dokumentiert. Im Dezember 1997 begannen Studierende des Studiengangs Restaurierung der Hochschule für Bildende Künste Dresden damit, die Leinwandgemälde und Figurentafeln systematisch zu dokumentieren. Mit finanzieller Unterstützung aus dem Aufbauprogramm „Kultur in den neuen Ländern“ des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien konnte mit der ersten Projektphase zur Erarbeitung eines Konservierungskonzeptes im Februar 2001 begonnen werden. Im Rahmen eines DBU-Projektes zur Dekontamination holzschutzmittelbelasteter Kunstobjekte wurde ein speziell entwickeltes Reinigungsverfahren zur Anwendung gebracht, welches an den ungefassten Oberflächen eine weitgehende Reduzierung des DDT-Anteils erbrachte. Ende 2003 konnten die praktischen Konservierungsleistungen am Bühnenbild „Der Garten“ abgeschlossen werden.

In einer weiteren Projektphase wurde bis März 2015 das Kutschstallgebäude und ein Museumsneubau errichtet, um zwei restaurierte Bühnenbilder (Garten und Stadt) und zwei Szenen (Judaskuss und Kreuztragung) dauerhaft in klimatisch geeigneten Räumlichkeiten ausstellen zu können und zudem für die restlichen Teile ein geeignetes Depot zu schaffen. Die Restaurierungsarbeiten wurden maßgeblich von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Oder-Spree finanziert. Der Museumsneubau und der Umbau des Kutschstallgebäudes wurden mit Fördermitteln der Europäischen Union (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums - ELER), des Bundes (die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien) und des Landes Brandenburg realisiert. Weiterhin waren an der neuen Dauerausstellung der Neuzeller Passionsdarstellungen das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und die Kulturstiftung der Länder beteiligt.

Im Mai 2016 beginnt eine dritte Restaurierungskampagne, die von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Oder-Spree gemeinsam mit der Kulturstiftung der Länder und ihres Freundeskreises, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseums sowie der Stiftung Stift Neuzelle finanziert wird. Bis Ostern 2018, dem 750jährigen Jubiläum der Klosterstiftung durch Markgraf Heinrich von Meißen, soll das Bühnenbild „Palast“ mit der Szene Jesus vor dem Hohepriester Kaiphas restauriert werden. Zudem soll die barocke Aufstellung und Beleuchtung näher untersucht und für die geplante Ausstellung rekonstruiert werden.

Teatrum Sacrum

Die „gegenreformatorischen“ Strömungen in der katholischen Kirche demonstrierten ihre wiedererstarkte Macht in aufwendiger barocker Kunst. „Diese Kunst hält nicht vornehm Distanz wie die Hochrenaissance, sucht nicht sanft zu überreden wie die Frührenaissance, ist nicht andächtig in sich selbst versunken wie die Gotik, sondern treibt ganz unverhohlen Propaganda, deklamiert, schreit, gestikuliert mit einer Leidenschaftlichkeit, ja Schamlosigkeit, die Einwände nicht zulässt. Sie ist immer unerbittlich entschlossen, das Äußerste zu geben.“ (Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. II, München 1928, S.58.) Dabei sind sich alle Beteiligten bewusst, dass diese Kunst nur eine Illusion sein kann. Die Welt ist ein Theater.

Der Begriff „Theatrum Mundi“ bezog sich im 17. und 18. Jahrhundert auf die weit verbreitete Auffassung, dass die Welt eine Bühne sei. Theater ist im Zeitalter des Barock ein übergeordneter Begriff und betrifft alle Bereiche des Lebens, in denen es um Repräsentation und deren Rezeption geht. Hier ist Religion von Theater nicht zu trennen. Das Theatrum Mundi ist nirgendwo mehr als in der Kirche gegenwärtig, vor allem während der Mess-Liturgie bei der Darstellung der Wandlung. Der größte Teil des Barocktheaters war Theatrum Sacrum, ob dieses nun aus Messfeiern, Prozessionen innerhalb und außerhalb der Kirche, religiösen Spielen, kirchlichem Theater bzw. Lehrtheater im Sinne von Bühnenaufführungen oder Installationen wie den so genannten Heiligen Gräbern bestand.

Die im Mittelalter und der frühen Neuzeit in den Kirchen weit verbreitete Nachbildung des Heiligen Grabes war zu Ostern Ausgangspunkt und Ziel liturgischer Handlungen, Prozessionen und Osterspielen. Solche naturalistischen Szenen, ob sie nun durch Plastiken verdeutlicht oder von Darstellern gespielt wurden, waren der eher bilderfeindlichen, jedenfalls um eine neue Bildsprache bemühten Reformation ein Dorn im Auge und wurden entsprechend angegriffen. Die katholische Kirche begann deshalb im 16. Jahrhundert, besonders aber nach dem Konzil von Trient 1563, mit einer Art kirchlicher Theaterreform: Es wurde ein neues kirchliches Lehrtheater etabliert, und das naturalistische Karfreitagstheater wurde entdramatisiert. In den Vordergrund trat die Vermittlung theologischer abstrakter Glaubensinhalte, besonders durch das Lehrtheater der Jesuiten.

Das mehr als 150 Jahre nach dem Konzil von Trient entstandene Kulissentheater von Neuzelle ist eine Mischung aus der Absicht, das biblische Geschehen dramatisch und möglichst unmittelbar darzustellen, dies aber durch Bibelkommentare und typologische Vergleiche mit dem Alten Testament theologisch zu erklären. Außerdem gab es bei jedem Bild eine Vorrichtung für die Präsentation der Monstranz mit der geweihten Hostie: Jedes Bild wurde also in der eucharistischen Gegenwart Christi gezeigt. Hier treffen Barocktheater, Theologie und Frömmigkeit auf besonders schöne Weise zusammen.

Auftraggeber und Künstler

Nach dem Dreißigjährigen Krieg stellte Abt Bernadus von Schrattenbach (1641-1660) die grundlegenden Weichen zum Wiederaufbau des vom langen Krieg wirtschaftlich stark geschwächten Klosters und der zum Teil wüst gefallenen Klosterherrschaft. Schon zwei Jahre nach Kriegsende konnte mit der barocken Umgestaltung der Stiftskirche begonnen werden. Sein Nachfolger Abt Albericus von Burghoff (1660 – 1685) konzentrierte sich darauf ein besseres Klima zwischen dem Kloster und der Bevölkerung zu schaffen. Zwischen 1661 und 1673 wurden die Pflichten der Untertanen in mehrere Rezesse (juristische Vergleiche) genau geregelt. Auf Abt Eugenius Haumann (1685 – 1695) sind Verbesserungen in der Wirtschaftsweise des Klosters zurückzuführen. Abt Petrus II. Richter (1695 -1703) erweiterte die kleine Ägidiuskapelle am südlichen Klostereingang, während Abt Conradus Proche (1703 – 1727) die Kanzlei erbauen ließ, die Klausur erweiterte und viel für die Ausstattung der Kirche tat. Abt Martinus Graff (1727 – 1741) wandelte den gesamten Gebäudekomplex zu einer prachtvollen Klosteranlage. Die Klosterkirche erhielt durchweg eine neue Altarausstattung und wurde um Altarraum und Seitenkapelle (Josephskapelle) erweitert. Die kleine Ägidiuskapelle wurde durch eine barocke Kuppelkirche ersetzt. Sie erhielt nun das Patrozinium (Schutzherrschaft) Zum Heiligen Kreuz. Etliche Gebäude wurden erweitert und der westliche Zugang zum Kloster mit Allee und Tor neu gestaltet. Abt Gabriel Dubau (1742 – 1775) vollendete und verfeinerte alles. Bevor der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) den Aufschwung stoppte, konnte er den Klostergarten zu einem prächtigen Barockpark umgestalten.

Ein wesentliches Anliegen von Abt Gabriel war die Entwicklung der Seelsorge. Die Vermutung liegt nahe, dass der so vielseitig interessierte Abt nicht nur den Auftrag für das Himmlische Theater erteilte, sondern vielleicht selbst das umfangreiche, in seiner Art einzigartige theologische Bild- und Wortprogramm entwarf. Das Werk eines hochgebildeten Theologen ist es in jedem Fall; denn hier ist allein eine solche Fülle typologischer Vorbilder des Alten Testaments zusammengestellt, die weit hinausgeht über die klassischen Beispiele, die man aus anderen Heiliggrab-Prospekten kennt. Hinzu kommt die Auswahl neutestamentlicher Worte, so dass allein die Texte dieses „Stummen Theaters“ ein Programm von großer moralisch-didaktischer Wirkung ergeben. Bezeichnend dafür sind die vielen in der Kurzerläuterung als Deutgeister bezeichneten Kinderengel oder Knaben mit Leitsätzen christlicher Ethik.

Joseph Felix Seifrit (auch Seyfried, Zeyfried und Siegfried) ist in Neuzelle 1748 bis 1752 bezeugt. Seine Lebensdaten sind unbekannt. Möglicherweise wurde er durch den Stuckateur Johann Wilhelm Hennevogel (nach Winfried Töpler war Seifrit mit dessen Schwester Anna Margaretha verheiratet) in Neuzelle eingeführt. Das 1748 gefertigte Tafelbild des Annenaltars in der Stiftskirche soll von Joseph Felix Seifrit stammen. Seine Signatur ist heute nicht mehr lesbar. Mehrere Quellen aus den Jahren 1748, 1749 und 1750 bezeugen „Josephus Felici Seyfrid, Pictor et Architectus“ in Neuzelle (u. a. Mitgliedsbuch der Neuzeller St. Josephs-Bruderschaft). Neben vier Signaturen auf Teilen des Heiligen- Grab-Modells (Verspottung Jesu, Dornenkrönung, Kreuztragung und Simon von Cyrene) ist er 1752 als Zeichner der Klosteransicht im Neuzeller Gebets- und Gesangbuch nachweisbar.

1766 ist Joseph Seifrit im Zisterzienserkloster Obra und 1768/70 als Hofmaler des Fürsten Sułkowski auf Schloss Rydzyna tätig. Hier gestaltete er Theater und Ballsaal. Für die benachbarte Kirche in Kłoda fertigte er Fresko- und Tafelbilder an. Vermutlich stammen auch zwei Pastellbilder von ihm, die auf 1770 datiert werden.

Auch der Bruder von Joseph Seifrit, Johann Georg, ist in Neuzelle als Künstler nachgeweisen.

Barocke Aufstellung

Die von den Restauratoren dokumentierten ältesten Teile des Neuzeller Kulissentheaters im Bühnenbild „Der Garten“ (dendrochronologisch auf um 1690 datiert) können bislang noch nicht interpretiert werden. Es ist möglich, dass es sich um eine kleinere und einfach gehaltene Kulisse handelt, die in der 1699 hergerichteten Ägidius-Kapelle gezeigt wurde. Die älteren Teile sind wie alle anderen aus heimischem Kiefernholz gefertigt und ähnlich bearbeitet und strukturiert.

Leider schweigen die Quellen zur Aufstellung der Neuzeller Passionsdarstellungen in der Zeit vor 1817. Aus den wenigen Schriftquellen entnehmen wir aber, dass das Kulissentheater „in den Jahren 1753 bis 1756 aufgestellt und en suite (an mehreren Tagen hintereinander) gespielt [wurde]. Erst nach dem Ende des dritten Schlesischen Krieges [d. i. der Siebenjährige Krieg 1756-1763] wurde es erneut (bis 1769) dargeboten.“ (U. Röper 2014, 114). Aufführungszeitraum dürfte die Passionszeit gewesen sein. Dafür gibt es den Hinweis aus dem Jahr 1818, „dass es im Rahmen der Karfreitagsliturgie eine Prozession der Geistlichen mit dem Allerheiligsten zum Heiligen Grabe gab, an dem dann eine Predigt erfolgte. Dem Bericht des Pfarrers ist weiterhin zu entnehmen, dass das Theater auch für seine musikalische Inszenierung während der Karfreitagsliturgie betreten wurde: `…Aus der Tiefe des Grabes ertönte im leisesten Pianissimo ein schönes Klagelied…‘“ (J. Phillips 2004, 38 f.). Eine Aufstellung zu Fronleichnam, wie von U. Röper 2015 vorgeschlagen, ist unwahrscheinlich, da Fronleichnam in Neuzelle traditionell mit Prozessionen zu im Ort aufgestellten Altären gefeiert wird. Eine zusätzliche Präsentation der Passionsdarstellungen wäre viel zu aufwendig. Die bei den Fronleichnamsprozessionen in einer Monstranz mitgeführte geweihte Hostie würde auch der in jeder Szene der Passionsdarstellungen aufgestellten Monstranz wiedersprechen.

Obwohl es keinen schriftlichen Nachweis gibt, deutet inzwischen alles darauf hin, dass die Neuzeller Passionsdarstellungen vor der Auflösung des Klosters in der zwischen 1728 und 1735 anstelle der alten Ägidius-Kapelle errichteten Kirche Zum Heiligen Kreuz, der sogenannten „Leutekirche“, aufgestellt waren. Einem Zisterzienserkloster war die Pfarrseelsorge eigentlich untersagt, doch fiel dem Kloster Neuzelle diese Aufgabe nach der Reformation zu. Da die Stiftskirche auch weiterhin nur dem Konvent vorbehalten blieb, nahm die Ägidius-Kapelle bzw. später die Kirche Zum Heiligen Kreuz diese Aufgabe wahr. Das Bildprogramm dieser Kirche mit der Bergpredigt, also dem „Sozialprogramm“ Jesu, ist entsprechend gewählt. Hierhin passen auch die Neuzeller Passionsdarstellungen mit ihrer christlichen Didaktik. Weitere Argumente für eine Aufstellung in der Kirche Zum Heiligen Kreuz sind in den Kulissenteilen selbst zu finden: Die Bühnenbilder, die speziell für das Kloster Neuzelle geschaffen wurden, passen genau in die Vierung der Kirche. Dabei muss man sich die Seitenteile des Proszeniums weiter ausgeklappt vorstellen, als im Museum dargestellt. Die beiden Türen des Proszeniums führten ursprünglich seitlich hinter die Kulissen, um die Beleuchtung des Himmlischen Theaters bedienen zu können. Die an den Seitenteilen aufgemalten Architekturelemente entsprechen der damaligen Ausgestaltung der Kirche Zum Heiligen Kreuz (Hier hat es im Laufe der Zeit einige Veränderungen gegeben). Zudem ist im Papiermodell die Rundung des Vierungsbogens eingezeichnet. Der einzige Raum des Klosters Neuzelle, der für eine Aufstellung sonst noch in Frage käme, ist das östliche Mittelschiff der Stiftskirche. Dieser Bereich, der für das Kulissentheater viel zu groß ist, war aber den Mönchen vorbehalten. Es ist auch zu fragen, warum die Passionsdarstellungen nach 1817 in beschnittener Form in der Josephskapelle aufgestellt wurden, wenn sie vorher im Mittelschiff gestanden haben sollen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Himmlisches Theater. Die Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab
Autor
Jahr
2016
Seiten
30
Katalognummer
V317751
ISBN (eBook)
9783668171299
ISBN (Buch)
9783668171305
Dateigröße
596 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kloster Neuzelle, Passion Christi, Passionsdarstellungen, Heiliges Grab, Teatrum Sacrum, Seifrit, Bühnenbild, Niederlausitz, Böhmen, Zisterzienser
Arbeit zitieren
Martin Salesch (Autor:in), 2016, Himmlisches Theater. Die Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317751

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