Die Vergangenheit verstehen - Der Einfluss des Rittmeisters Eulenfeld

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Definitionen
1.1 Doderers Konzept der Menschwerdung durch die Überwindung des Charakters
1.2 Die Funktion der Erinnerungen in „Die Strudlhofstiege“
1.3 Militärverstand und Zivilverstand

2. 1=2=1
2.1 Melzer
2.2 René von Stangeler
2.3. Die Zwillinge

3. Melzer und Eulenfeld

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Grundthema aller Romane Heimito von Doderers lässt sich als Menschwerdung auf Umwegen zusammenfassen. Auch „Die Strudlhofstiege“ macht hier keine Ausnahme. Melzer, die Hauptperson (ohne wirklich Hauptperson im herkömmlichen Sinne zu sein), wird zur Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit zum Menschen bzw. zur Person. An ihm wird die Darstellungsweise der Erinnerungen exemplifiziert, auch wenn es neben ihm noch einige weitere Personen gibt, die ebenfalls im Zentrum des Erzählens stehen.

Einen sicherlich nicht unbedeutenden Einfluss auf die Entwicklung Melzers ist dem Rittmeister Eulenfeld zuzuschreiben, in dessen Wirkungsbereich der Leutnant gerät. Welcher Art dieser Einfluss ist, soll im folgenden zu klären versucht werden.

Neben einer kurzen Erläuterung Begriffe wie dem des Militärverstandes und dem des Zivilverstandes betrachtet diese Arbeit ebenfalls das Konzept der Personwerdung durch die Überwindung des Charakters sowie die Funktion der Erinnerungen in Doderers Roman.

Auf Basis dieser Grundlagen wird anschließend das Verhältnis Melzers zum Rittmeister Eulenfeld anhand von Textbeispielen verdeutlicht und so auch die Art der Beteiligung des Rittmeisters an Melzers Personwerdung geklärt.

Um einen Überblick über Melzers soziales Umfeld zu bekommen, wird ebenfalls die Problematik der Zwillinge Mimi Scarlez und Editha Pastré angerissen sowie ein kurzer Vergleich mit einer weiteren Person des Romans, René von Stangeler, der das gleiche Ziel wie Melzer verfolgt, vorgenommen. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang ebenfalls Thea Rokitzer, welche, wie viele andere Personen und Faktoren, ebenfalls zur Entwicklung Melzers beiträgt.

1. Definitionen

1.1 Doderers Konzept der Menschwerdung durch die Überwindung des Charakters

Das Grundthema des Romans "Die Strudlhofstiege" ist, wie in vielen anderen Romanen Heimito von Doderers, die Menschwerdung. Doch schon der Begriff "Menschwerdung" bringt einige Unklarheiten mit sich.

Am Beginn des Prozesses der Menschwerdung befindet sich nach Doderers Auffassung der von seinem Charakter bestimmte Mensch. Zwar beeinflussen äußere Umstände die konkreten Ausprägungen seines Handelns, doch die grundsätzliche Richtung wird vom angeborenen und unveränderlichen Charakter vorgegeben.

Der auf seinen Charakter reduzierte Mensch sieht in allen Phänomenen nur sich selbst und ist unfähig, einen Sachverhalt in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Das kann so weit führen, dass er in einer selbstgeschaffenen Welt ohne jeglichen Bezug zur Realität lebt. Damit der Mensch zu einer Person werden kann, muss er seinen Charakter überwinden.

Die genaue Beschaffenheit dieser Person wird von Doderer nicht näher erläutert.

Da dies jedoch besagt, dass der Mensch die unterste Stufe dieser Entwicklung ist und die Person die oberste, wirkt der Begriff der Menschwerdung irreführend, suggeriert er doch, das am Ende des Prozesses wieder der Mensch steht. Wäre das bei gleichbleibender Bedeutung des Begriffes Mensch der Fall, ließe sich das gewünschte Ziel ohne eine Entwicklung erreichen. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit der synonyme Begriff der Personwerdung verwendet, um Missverständnisse zu vermeiden.

Damit aus dem von seinem Charakter bestimmten Menschen eine Person werden kann, muss eine Entwicklung erfolgen. Der Begriff der Entwicklung bedeutet in diesem Zusammenhang die Auflösung von Verwicklungen in der Vergangenheit.

Diese geschieht durch halbbewusste Erinnerungen, die eine Auseinandersetzung mit dem Geschehenen ermöglichen. Durch die Auseinandersetzung entsteht ein besser Verständnis des Vergangenen und somit auch der Gegenwart, zu der es geführt hat. Es hilft, sich selbst und die Motive des eigenen Handelns zu erkennen und zu verstehen.

Das hieraus folgende Selbstverständnis trägt dazu bei, dass sich der Mensch von seinem Charakter befreit und somit zur Person wird. Der Verhalten in der Gegenwart (und Zukunft) wird beeinflusst.

Der gesamte Prozess geschieht beiläufig bei der Rückwendung zu den eigenen Anfängen und kann nicht erzwungen werden. Sollte es versucht werden, würde am Ende der Entwicklung nicht die Person stehen sondern eine unangemessene Verdinglichung der Ich-Identität.

1.2 Die Funktion der Erinnerungen in „Die Strudlhofstiege“

In Heimito von Doderers Roman wiederholen die Erinnerungen der Figuren nicht einfach vergangene Augenblicke des Lebens. Stattdessen erwecken sie längst Vergessenes mit einer Intensität zum Leben, die über die damalige Erfahrung weit hinausgeht. Die so neu geschaffene Wirklichkeit wird zur Realität, die ursprüngliche Erfahrung, auf der diese Erinnerung basiert, tritt zurück.

Aufgrund der fehlenden Beziehungen dieser Erinnerungen zu aktuellen Problemen kann das Vergangene im Bild spontan und frei wiederkehren und somit um seiner Selbst willen betrachtet und verstanden werden.

Die Erinnerungen Melzers verlaufen zu Beginn rein assoziativ, sie gleiten ohne jeglichen Zusammenhang von Bild zu Bild. Als Auslöser dient meist eine Äußerung (z.B. vom Rittmeister Eulenfeld) oder ein Geschehnis in Melzers Gegenwart. Erst im weiteren Verlauf entsteht aus den halbbewussten Erinnerungen ein geklärtes Bild der Vergangenheit und somit eine Einflussnahme auf die Gegenwart durch das Verstehen des Geschehenen.

Die Erinnerungen bringen somit keine verlorene Zeit und kein verlorenes Paradies zurück sondern dienen vielmehr der Identitätsfindung und Personwerdung.

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