Die Frauendarstellungen von Gönnersdorf - Erste Anzeichen eines urzeitlichen Sport?


Seminararbeit, 2003

36 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung:

1. Die Ursprungstheorie des Sport von Popplow

2. Zeitliche Einordnung der Ausgrabungsfunde (Datierung)

3. Die Jägerkultur des Madalénien

4. Der Fundplatz Gönnersdorf

5. Die Frauenstatuetten

6. Die gravierten Frauendarstellungen (Schieferplatten)

7. Ausgewählte Darstellungen

8. Deutung der Darstellungen nach Bosinski

9. Idee eines weiteren Ansatzes (Pferdedarstellung mit Frau)

10. Ähnliche Fundorte in Europa

11. Zusammenfassung

Anhang:

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Informationsmaterial zum Eiszeitmuseum Monrepos

1. Die Ursprungstheorie des Sport von Popplow

„Die Leibesübungen sind eine der ausgeprägtesten Erscheinungen unserer Zeit. Unvorstellbar, sich Fußball, Boxen, Schwimmen, Turnen. Leichtathletik, Skilauf und all die vielen anderen Sportarten aus unserm heutigen Leben fortzudenken! Wo wir uns auch immer befinden mögen, überall ist Sport, sind Leibesübungen um uns. ... Vergessen wir aber über der Tatsache, dass Leibesübungen uns auf Schritt und Tritt begegnen, nicht allzu leicht die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass Spiel und Sport zum Lebenselement des heutigen Menschen wurden?“[1]

Es existieren eine Vielzahl an Antworten auf die Frage nach dem Ursprung des Sport. Wie verschieden die einzelnen Theorien sind, zeigt sich u.a. in den unterschiedlichen geistigen bzw. ideologischen Positionen und in der Angabe der Quelle, aus der das einmal als Leibesübung, einmal als Sport und schließlich als Körperübung bezeichnete Phänomen entsprang.

Immer wenn Fakten der Vergangenheit gedeutet werden sollen, vor allem solche aus Zeiten ohne schriftliche Überlieferung, kann die subjektive Interpretation des jeweiligen Betrachters nie ausgeschlossen werden.

In dieser Arbeit soll auf die Ursprungstheorie des Sport von Popplow eingegangen werden, da seine Ursprungstheorie meiner Ansicht nach weniger ideologisch geprägt ist und einen direkten Bezug zu den gravierten Frauendarstellungen von Gönnersdorf erlaubt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Fußabdrücke In der Grotte von Pech-Merle (Lot)

Popplow setzt die Anfänge der Leibesübungen in die jüngere Altsteinzeit, das Paläolithikum, ca. 2,5 Mill. Jahre bis 9000 v.Chr. (Der Beginn der Jungsteinzeit ist von Region zu Region unterschiedlich.).

Die älteste Form der Leibesübungen ist für ihn der Tanz, dessen Spuren sich in Fels- und Höhlenzeichnungen, in Lehm erstarrten Fußspuren und Handabklatsch­bildern zum Teil 60 000 bis 80 000 Jahre erhalten haben.[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: „Das Bild des großen Zauberers“ Höhle Trois Frères bei Montesquieu Frankreich

„Erst im Tanz, und zwar im kultischen Tanz, sieht Popplow die Kriterien erfüllt, die er in seiner Begriffsbestimmung der Leibesübungen fordert.“ Im Tanz verwirklicht sich seiner Meinung nach „erstmals ein aus der vitalen Einheit des Menschen gestalteter Bewegungsablauf, dessen Zweck und Ziel außerhalb des Vor­ganges selbst liegen, in ihrem Vorhandensein aber eine geistige Orientierung bezeugen. Leib, Seele und Geist offenbaren hier ihre Einheit in körperlicher Bewegung.“[3]

Daher sind für Popplow jene angenommenen Übungen, die zur Ver­besserung von Jagd- und Kampferfolg ausgeführt wurden und auf deren Motivation man lediglich aus den gefundenen Kampf- und Jagdgeräten schließt, noch keine Leibesübungen. Diese frühsten Übungen nennt er körperliche Übungen. Für Popplow sind sie lediglich eine Vorstufe der Leibesübungen. „Es fehlen diesen Übungen die Verankerung in einer geistigen Einstellung und die entsprechende see­lische Durchformung.“[4]

Das Ausprobieren eines angefertigten Speeres im Wurf wäre für Popplow zwar auch schon eine Leistung menschlicher Intelli­genz, die den Körper zur Ausführung dieser Übung einsetzt. Es ist aber hierzu keine eigentlich geistige Einstellung notwendig, in dem Sinne eines Abstan­des von der Umwelt, der man eine eigene schöpferische Leistung gegenüberstellt. Dieser geistig schöpferische Durchbruch ist erst im kulti­schen Tanz der jüngeren Altsteinzeit erfolgt. Was vor diesem Durchbruch an rhythmischer tanzähnlicher Bewegung lag, verweist Popplow wie die ersten Stein- und Speerwürfe auf die Vorstufe der Leibesübungen.

Neben den körperlichen Übungen, und neben den dem kultischen Tanz vorausgehenden, unbewusst rhythmischen Bewegungen, nennt Popplow als dritte Quelle, aus denen die

Leibesübungen entstan­den, das Spiel.

„Im kultischen Tanz also manifestieren sich die ersten eigentlichen Leibes­übungen. Der Tanz hatte nach Popplow mehrere Funktionen.

Der Jagdtanz und der Fruchtbarkeitstanz (von beiden gibt es eine große Zahl von Höhlen-Zeichnungen) hatten

1. einen äußeren Nützlichkeitswert. Sie sollten z. B. dem Jäger helfen, mit magischen Kräften, die durch die Tanzenden entbunden wurden, eine große Zahl von Tieren zu töten.
2. Darüber hinaus aber gewann der Urmensch durch die Ekstase, in die er sich hineintanzte, seelische Kräfte, mit deren Hilfe er erst das Dasein, den Existenzkampf, das Leben zu bewältigen vermochte.

Auch Popplow betont ausdrücklich, selbst wenn er einschränkend sagt, „dass es nicht ganz treffend ist, wenn man vom religiösen Ursprung des Tanzes spricht“ die religiöse Natur dieser durch den Tanz entbundenen seelischen Kräfte. Ein solcher Tanz „schafft zugleich die Bin­dung zum Göttlichen.“ Der Tanzende erlebt in der Ekstase eine Über­wirklichkeit, deren Natur ihm göttlich zu sein scheint.

3. Die dritte Funktion, die der Tanz des Steinzeitmenschen gehabt hat, ist nach Popplow

eine soziale gewesen,

d. h. der Tanz ist in jener Zeit immer Gemeinschaftssache gewesen, deren Anlass, Ort und Zeit von der Gemeinschaft geregelt worden ist. Popplow nennt den Tanz eine Art Antriebszentrum des kulturellen Lebens für die steinzeitlichen Jäger.“[5] [6]

2. Zeitliche Einordnung der Ausgrabungsfunde (Datierung )

Für die absolute Datierung der Gönnersdorfer Funde wurde die C14 - Datierung an fünf Proben angewandt, von denen drei aus Knochenkollagen im Laboratoire de Radio­carbone der Universität Lyon I und zwei an Molluskengehäusen (Gehäuse von Weichtieren wie z.B. Schnecken – Anm. d. Verf.) durch das C14- Labor des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln gewonnen wurden. Unter Berücksichtigung der C 14- Datierungen, der stratigraphischen Einordnung (Schichtung von Sedimentgesteinen und Ablagerungen) der Siedlungsschicht und der Molluskenfauna wird die Gönnersdorfer Siedlungsschicht in die zweite Hälfte des Böllinginterstadials bzw. an den Beginn der älteren Tundrenzeit (Dryas II), ca. 10500 v.Chr., eingeordnet (also gegen Ende der letzten Eiszeit).[7]

Zwei Ergebniswerte sollen hier beispielhaft genannt werden:

Ly 1172 12660 a B.P. ± 370 a = 10710 a ± 370 a B.C.

Schicht d: KN 1 980 12910 a B.P. ± 105 a = 10960 a ± 105 B.C.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: Gliederung des späten Jungpaläolithikums in Europa

3. Die Jägerkultur des Madalénien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4: Südrand des nordischen Inlandeises 12000-10000 v.Chr. Die unterbrochene Linie umfasst das Gebiet der mittel-europäischen Magdalénien-Kultur.

Der Siedlungsplatz Gönnersdorf gehört zur Kultur des Magdalénien (nach der Höhle von La Madeleine bei Tursac (Département Dordogne, Frankreich) benannte Kulturstufe der jüngeren Altsteinzeit in Mittel- und Westeuropa (etwa 17 000-10 000 v. Chr.)). Die Menschen dieser Zeit waren Jäger und Sammler. Man lebte in Höhlen und Freilandstationen mit Zelt- und Hüttengrundrissen. In der von großen Tierherden durchzogenen Graslandschaft (so auch im Neuwieder Becken – Rentiere und Pferde gab es in großen Herden) eines kontinentalen Klimas war die Siedlungsweise durch dorfartige "Basislager" an günstig gewählten Plätzen und Jagdlager am Wanderweg der Tierherden gekennzeichnet. Der Siedlungsplatz Gönnersdorf z.B. war ein solches Basislager, dass immer zur selben Jahreszeit von (sehr wahrscheinlich) derselben Menschengruppe bewohnt wurde. Dies hat man daran herausgefunden, dass in verschiedenen Abfallgruben immer nur Überreste von Jungtieren derselben Altersstufe gefunden wurden.[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Modellrekonstruktion der Gönnersdorfer Behausungen

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Abb.6: Lage Gönnersdorf

4. Der Fundplatz Gönnersdorf

Der Magdalénien-Fundplatz Gönnersdorf liegt auf dem rechten Ufer des Rheins am Nordausgang des Neuwieder Beckens an einem Südhang der Rheinmittelterrasse, die in diesem Bereich nach Süden vorspringt. Das Siedlungsareal befindet sich in Sessellage in einer Höhe von 100 bis 105 m über NN.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7: Höhenschichtenmodell von Gönnersdorf

Nach der Entdeckung der Fundstelle im März 1968 wurde unter der Leitung von G. Bosinski eine großflächige Plangrabung begonnen, die sich in mehreren Kampagnen bis 1976 fortsetzte. Insgesamt wurde eine Fläche von 687 m2 ergraben. Die Untersuchungen erbrachten ein komplexes Siedlungsgefüge des Magdalénien, das durch Siedlungsstrukturen, Artefakte aus lithischen und organischen Rohmaterialien sowie zahlreiche botanische und faunistische Reste gekennzeichnet ist. Neben zahlreichen Steinwerkzeugen, gut erhaltenen Tierknochen-Resten, Geräten aus Geweih, Knochen und Mammutelfenbein wurden insbesondere zahlreiche Statuetten gefunden.[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.8: Landschaftsrekonstruktion „Neuwieder Becken“

Der Kenntnisstand bzw. die Qualität und Vollständigkeit der Funde ist besonders gut.

Dass sich die Fundstellen so außerordentlich gut erhalten haben, liegt an dem Laacher See Bims. Ein gewaltiger Vulkanausbruch Ende des Spätmadalénien (etwa 9.500 – 10.000 v.Chr.) transportierte diesen bis weit nach Norden und Süden Europas, so dass der Bims sich gleich einer Schutzschicht auf die damalige Landschaft gelegt hat.[10]

In Gönnersdorf wurden bisher drei Konzentrationen freigelegt. Die große Fundmenge und die komplexen Befunde innerhalb dieser Konzentrationen legen nahe, dass die Behausungen nicht nur einmal, sondern wiederholt bewohnt wurden. Im Nordteil der Gönnersdorfer Grabungsfläche befand sich außerdem ein größerer Zeltring und eine zu diesem gehörende Feuerstelle im Freien.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.9: Naturlandschaft "Lößsteppe im Neuwieder Becken" Landschaftsrekonstruktion von EVERS nach den Befunden von Gönnersdorf

[...]


[1] Zitat: Popplow, Ulrich: Ursprung und Anfänge der Leibesübungen, In: Olympisches Feuer, 5, 1955, 1, Seite 5

[2] vgl. Popplow, Ulrich: Aufgabe und Sinn einer Urgeschichte der Leibesübungen. In: Leibeserziehung 10, 1959, Seite 312

[3] Zitat: Überhorst, Horst (Hrsg.): Geschichte der Leibesübungen, Band 1, Seite 13

[4] Zitat: Popplow, Ulrich: Ursprung und Anfänge der Leibesübungen, In: Olympisches Feuer, 5, 1955, 1, Seite 10

[5] Zitat: Überhorst, Horst (Hrsg.): Geschichte der Leibesübungen, Band 1, Seite 13-14

[6] vgl. Überhorst, Horst (Hrsg.): Geschichte der Leibesübungen, Band 1, Seite 11-17

[7] vgl. Höck, Christiane: Die Frauenstatuetten von Gönnersdorf und Andernach, Köln, 1992, Seite 15-16

[8] Vgl. Eduard Franken, Stephan Veil: Der Magdalenien-Fundplatz Gönnersdorf. Die Steinartefakte von Gönnersdorf, 1998

[9] vgl. Höck, Christiane: Die Frauenstatuetten von Gönnersdorf und Andernach, Köln, 1992, Seite 12-14

[10] vgl. Forschungsschwerpunkte Monrepos: Vulkanismus und Archäologie des Eiszeitalters am Mittelrhein.

04/11/2002. Online im Internet: URL: http://www.uni-koeln.de/phil-fak/praehist/MPSeiten/Forschung.htm

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Frauendarstellungen von Gönnersdorf - Erste Anzeichen eines urzeitlichen Sport?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Sportwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Seminar Sportgeschichte (Hauptstudium) - Vielfältige Ansätze von Bewegungsfertigkeiten, Leibesübungen und sportlicher Betätigung auf dem Boden des heutigen Rheinland-Pfalz
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
36
Katalognummer
V31731
ISBN (eBook)
9783638326414
ISBN (Buch)
9783638809948
Dateigröße
2725 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frauendarstellungen, Gönnersdorf, Erste, Anzeichen, Sport, Seminar, Sportgeschichte, Vielfältige, Ansätze, Bewegungsfertigkeiten, Leibesübungen, Betätigung, Boden, Rheinland-Pfalz
Arbeit zitieren
Michael Westerberg (Autor:in), 2003, Die Frauendarstellungen von Gönnersdorf - Erste Anzeichen eines urzeitlichen Sport?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31731

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